Darmstädter Tagblatt 1910


30. September 1910

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turen
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173. Jahrgang
verbunden mit Wohnungs=Anzeiger und der Sonntags=Beilage:
Illuſtriertes Unterhaltungsblatt.

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werden angenommen in Darmſtadt.
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ſowie von unſeren Agenturen und
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kommt jeder Annoncenrabatt in Wegfall.

Organ für die Bekanntmachungen des Großh. Polizeiamts Darmſtadt, der Großh. Bürgermeiſtereien des Kreiſes und der andern Behörden.
Das Amtsverkündigungsblatt des Großh. Kreisamts Darmſtadt wird Dienstags, Donnerstags und Samstags nach Bedarf beigefügt.

34 220,

Freitag, den 30. September.

1910.

Die heutige Nummer hat 20 Seiten.

Staatsſekretär Delbrück über das Schickſal
der Reichsverſicherungsordnung.
* In der Dienstagſitzung der Kommiſſion zur Vera=
tung
der Reichsverſicherungsordnung hat, wie Berliner
Blätter erfahren, gelegentlich der Debatte über den Re=
ſervefonds
der Berufsgenoſſenſchaften der Staatsſekretär
des Innern ſich grundſätzlich über die allgemeine Bedeu=
tung
, die hauptſächlichſten Ziele Erweiterung der
Krankenverſicherung, Einführung der Hinterbliebenenver=
ſicherung
, Vereinheitlichung der Verwaltung und die
Schwierigkeiten der Reichsverſicherungsordnung ausge=
ſprochen
. Gegenüber neuerdings mehrfach verbreiteten
irrtümlichen Mitteilungen gab er hierbei mit aller Deut=
lichkeit
die Erklärung ab, daß die verbündeten Re=
gierungen
nach wie vor auf das Zuſtandekommen
der ganzen Reichsverſicherungsordnung und ihre Ver=
abſchiedung
durch den Reichstag noch in dieſem Winter
den größten Wert legen. Sie würden unter keinen Um=
ſtänden
darin willigen, daß einzelne Teile, etwa die Aus=
dehnung
der Krankenverſicherung oder die Hinterbliebe=
nenverſicherung
, aus der Reichsverſicherungsordnung her=
ausgebrochen
und als beſondere Geſetze erledigt werden.
Dieſe Ausfühungen fanden nirgends Widerſpruch in der
Kommiſſion, insbeſondere ſtellte ein Redner der Konſer=
vativen
ſich für dieſe ausdrücklich auf den Standpunkt der
verbündeten Regierungen. Die Konſervativen hätten, um
die Erledigung der Vorlage zu beſchleunigen und dieſe
nicht etwa am Zeitmangel ſcheitern zu laſſen, ſich ſchon
bisher aller nicht unbedingt nötigen Anträge enthalten
und ſich auch nicht an Debatten über ausſichtsloſe Anträge
beteiligt.
Eine ähnliche Erklärung wie die obige wurde ſeitens
der Regierung auch von der Reichsfinanzreform abgege=
ben
, und die verbündeten Regierungen haben ſich dann
doch der Reichstagsmehreit gefügt und ſind anderen Sin=
nes
geworden.

Der franzöſiſch=türkiſche Anleiheſtreit.
* Wie Daily Telegraph aus Konſtantinopel meldet,
hat der türkiſche Finanzminiſter Dſchavid Bey einem
Beſucher gegenüber folgende Aeußerungen getan: Als die
anfänglichen Verhandlungen der Regierung mit der
Banque Ottomane im Juli eine Wendung nahmen, die
die Regierung vor die Notwendigkeit ſtellte, eine andere
franzöſiſche Bankgruppe anzugehen, veröffentlichten die
franzöſiſchen Zeitungen die falſche Nachricht, daß die
Türkei über den Eintritt in den Dreibund verhandle.
Dieſe Nachricht wurde dementiert, rief aber einen unan=
genehmen
Eindruck in Frankreich hervor. Jetzt, während
der neuen Verhandlungen, bringt der Matin die Nachricht
von einem Abkommen mit Rumänien. Der Miniſter
wies dieſe künſtliche und kindiſche Finanzpolemik
der franzöſiſchen Preſſe zurück und bemerkte
weiter: Der Ankauf deutſcher Schiffe war gegen unſeren
Wunſch; er war jedoch angeſichts ähnlicher Ankäufe benach=
barter
Mächte notwendig. Wir hatten uns zunächſt an
England und Frankreich gewandt. Als beide
ablehnten, wandten wir uns an Deutſchland. In betreff
der Anleihe erklärte Dſchavid: Wir befinden uns in
ausgezeichneter Lage. Das Beiſpiel Sir Erneſt Caſſels
wird von anderen Finanzgruppen nachgeahmt. Heute er=
hielt
ich ein Angebot von angeſehenen Häu=
ſern
Oeſterreichs und Deutſchlands. Der
Finanzminiſter erklärte ſich ſchließlich entſchieden gegen
eine Kontrolle der Finanzverwaltung durch die Banque
Ottomane.
Die Pariſer Abendblätter beſchäftigen ſich lebhaft mit
dieſen vom Daily Telegraph veröffentlichten Erklärungen
Dſchavid Beys.
Der Temps meint unter anderem bezüglich der An=
leihefrage
, Dſchavid Bey möge nur ein Syſtem wirkſamer
Bürgſchaften vorſchlagen und er wird ſich überzeugen kön=
nen
, daß die franzöſiſche Regierung an keine, irgendwelche
Sonderintereſſen vertretende Gruppe gebunden iſt. Die
Erklärungen Dſchavid Beys werden niemand über die
franzöſiſche Politik täuſchen. Die Haltung der franzöſiſchen
Regierung iſt um ſo beſſer, als dieſelbe ſich unangreifbar
fühlt. Sir Erneſt Caſſel, deſſen Reiſe nach Paris wieder=
holt
angekündigt wurde, hat England noch nicht verlaſſen;
er iſt vielleicht verſtändigt worden, daß man hier nicht ge=
willt
iſt, die Anleihefrage anders als durch Vermittlung
des franzöſiſchen Botſchafters in Konſtantinopel und des
türkiſchen Botſchafters in Paris zu verhandeln. Das

Dſchavid Bey gegen die Ottomanbank erhobenen Beſchwer=
den
heute nicht erörtern. Wir haben dieſes Finanzinſtitut
weder zu verteidigen noch anzugreifen; nur das eine kön=
nen
wir ſagen, daß die Ottomanbank bisweilen den
nationalen Intereſſen Frankreichs ſchlecht gedient hat und
daß die franzöſiſche Regierung, falls ſie die Vermittelung gegenwärtig die erſten Vorbereitungen für einen Geſetz=
dieſer
Bank in Anſpruch nehmen ſollte, genaue Vorkeh=
rungen
treffen müſſe, um ſich gegen eine etwaige Ver=
letzung
der Verpflichtungen zu ſchützen. Der Sisele Das Geſetz bezweckt die Förderung der Sozialpolitik und
meint: Dſchavid Bey hat mit ſeinen Erklärungen zweifel=
los
eine Ausſöhnung mit der Tripelentente angeſtrebt, aber Erbbaurecht ſelbſt, das heißt das dingliche Recht zur
es ſcheint, daß der türkiſche Finanzminiſter noch immer ! Benutzung fremden Baubodens, iſt gegenwärtig nur
nicht den Ernſt der von ihm erörterten Frage begreift, und
falls er fortfahren ſollte, den Anſichten des jungtürkiſchen! durch fünf Paragraphen des Bürgerlichen Geſetzbuches ge=
Komitees Gehör zu ſchenken dann würden wir vorziehen,
gen beſſer Beſcheid weiß. Der Matin ſchreibt: Der
Ton, den Dſchavid Bey in ſeinen Erklärungen gegen die
ben zu wiſſen, daß dieſe Erklärungen in den hieſigen Re=
gierungskreiſen
einen ſchlechten Eindruck hervorgerufen
haben. Die Verhandlungen, die die türkiſchen Vertreter
mit der franzöſiſchen Regierung wieder aufnehmen möch=
ten
, werden dadurch gewiß nicht erleichtert werden.
Ein Mitarbeiter des Echo de Paris hatte eine Un=
terredung
mit dem türkiſchen Botſchafter juſtizamt Beratungen pflegen.
Naum Paſcha über die Erklärungen Dſchavid
Beys. Der Botſchafter ſagte unter anderem, er könne nur
beſtätigen, daß ſeine Regierung ihn lange vor dem An=
kauf
der zwei deutſchen Panzerſchiffe beauftragt habe, bei
der franzöſiſchen Regierung anzufragen, ob ſie der Türkei
ein Kriegsſchiff verkaufen könne. Der Botſchafter las hier=
auf
dem Interviewer eine vom 28. Januar d. J. datierte
vertrauliche Depeſche vor, in der es heißt, Griechenland
hat einen italieniſchen Panzerkreuzer zu 10000 Tonnen er=
worben
; in Athen macht man kein Geheimnis von dem
Zwecke dieſer Flottenverſtärkung. Es handelt ſich um
Kreta. Obgleich dieſe Rüſtungen uns durchaus nicht be= ſtrie, die in den Räumen des Geſamtverbandes Deutſcher
unruhigen, iſt es doch notwendig, zwecks Hintanhaltung
eines blutigen Abenteuers Griechenland gegenüber über= der Vertagung; die Verhandlungen werden am 3. Oktober
legen zu bleiben. Deshalb haben wir den dringenden in Hamburg fortgeſetzt. Das Ergebnis wird geheim ge=
Wunſch, ein Panzerſchiff neueſten Modells von ungefähr
15000 Tonnen zu erwerben. Wir haben dabei keinerlei
Angriffsgedanken und wählen dieſes Mittel gerade im
wir bitten Sie, einen dementſprechenden Schritt bei der ſperrung, wenn die inzwiſchen weiter gepflogenen Eini=
franzöſiſchen
Regierung zu unternehmen und dieſe über
tivmaßnahme zu verhindern. Wir hoffen, daß Frankreich angeſchloſſenen Firmen ihre Berufsgenoſſen in dem im
uns in dieſem Sinne freundſchaftlich helfen wird. Lei=
der
, ſo fügte der Botſchafter hinzu, war in Frankreich kein
Kriegsſchiff verfügbar und wir waren deshalb gezwungen,
die Schiffe in Deutſchland zu kaufen. Die Kölniſche und die Daimler=Werke Untertürkheim haben bereits 60
Bank bot der Türkei einen Vorſchuß von 120 Millionen gekündigt.
auf die ſpäter wo immer aufzunehmende Anleihe an.
Deutſches Reich.
Die Krawalle in Moabit. In der Ber=
liner
Preſſe finden ſich verſchiedene Auslaſſungen über die
Gründe der Krawalle in Moabit und über die Frage, nalliberaler Entwicklung angeſprochen. Da unter dieſer
ob ſie nach allen Regeln der Kunſt von einer politiſchen
Partei organiſiert oder ob ſie nur als ein Ausbruch der links verſtanden wird, ſo fürchten wir, der Parteitag werde
wilden Radauluſt und der Roheit des Janhagels zu be= geben, wenn wir nach rechts oder nach links abmarſchier=
kundgebungen
ſozialdemokratiſcher Natur zu tun habe, heißt: geradeaus! Nach ſchmerzlichen Erfahrungen und
Moabit ſei ein Bollwerk der Sozialdemokratie, und die Prüfungen der Vergangenheit iſt die Nationalliberale Par=
Leute, die von den Balkonen ihrer nach der Straße zu lie= daß eine über ganz Deutſchland ausgebreitete, unabhän=
genden
Vorderwohnungen die Schutzleute bombardierten, I
i
Janhagel gerechnet werden. So weit wie die Kreuzzeitung
(
gehen andere Blätter nicht, aber auch in ihnen wird die ertremen Richtungen .. unſerem Vaterlande nicht erſpart
Anſicht zum Ausdruck gebracht, daß die Vorgänge in I
Moabit in ihren inneren Entſtehungsurſachen auf die Ver= rale Partei auch in der heutigen Zeit unerſchütterlich feſt,
hetzungen der Sozialdemokratie zurückzuführen ſeien. Bei
vielen früheren Unruhen konnte man die Beobachtung
machen, daß zahlreiche, namentlich linksſtehende Blätter, Te
das Vorgehen der Polizei bemängelten und ihr allzu
große Schroffheit vorwarfen. Dieſes Mal finden wir nir= 1
Rolle geſpielt hat, ſondern auch der Revolver in Tätigkeit! füllen. Parteien, welche gleiche oder ähnliche Ziele ver=
getreten
iſt. Faſt durchweg wird das Verhalten der Schutz= folgen, werden uns zur Verſtändigung und zu gemein=
mannſchaft
als maßvoll anerkannt, manchmal mit einem ſamem Wirken immer bereit finden.
Unterton, als ob man ſogar ein ſchärferes Vorgehen ge=
wünſcht
haben würde, Der Grund zu dieſem für Berlin 1

Journal des Debats ſchreibt: Wir wollen die von faſt auffallenden Urteil wird darin zu ſuchen ſein, daß die
Haltung der Ruheſtörer in keiner Weiſe Entſchuldigung
oder gar Rechtfertigung finden kann.
Ein Geſetz über das Erbbaurecht. Im
Reichsamt des Innern werden, wie die Bauwelt erfährt,
entwurf zur Fortentwickelung des Erbbaurechtes getroffen.
der Wohnungsfrage insbeſondere für die Städte. Das
regelt, und zwar, da die Verfaſſer des B. G.=B. an eine
daß die Türkei bald einen Staatsmann finde, welcher be= ſozialpolitiſche Verwendung des Erbbaurechtes nicht dach=
züglich
der gegenwärtigen politiſchen und finanziellen Fra= j ten, nur ſehr abſtrakt und lückenhaft. Bereits Graf Poſa=
dowsky
hat als Staatsſekretär ein Reichsgeſetz zur Aus=
franzöſiſche
Regierung und die franzöſiſche Preſſe an= füllung der Lücke in baldige Ausſicht geſtellt. Erſt jetzt
ſchlägt, hat einen herausfordernden Charakter. Wir glau= aber geht man ernſtlich an den Ausbau dieſes Rechtes.
Es wird ſich insbeſondere darum handeln, das Erbbau=
recht
für die Löſung der Wohnungs=, zumal der Klein=
wohnungsfrage
, in den Städten zu verwerten. Das
Reichsamt des Innern muß, da die Beſtimmungen des
B. G.=B. abgeändert werden müſſen, auch mit dem Reichs=
Die neue Militärvorlage wird nach der
Poſt die Abſchaffung der Küraſſiere bringen. Nur das
Garde du Corps=Regiment, die Leibgarde der Kaiſerin
und ein Leib=Küraſſier=Regiment ſollen beibehalten wer=
den
.
Die Enqueteüber die Fleiſchtenerung,
die von den Bundesſtaaten auf Erſuchen der Reichsregie=
rung
veranſtaltet wird, wird vor fünf Wochen nicht abge=
ſchloſſen
ſein.
Der Werftarbeiterſtreik. Die Verhand=
lungen
zur Beilegung der Differenzen in der Werftindu=
Metall=Induſtrieller in Berlin ſtattfanden, endeten mit
halten.
Zur Ausſperrung in der Metallindu=
ſtrie
. Der Verband der Metallinduſtriellen Württembergs
Intereſſe des Friedens. Wir würden glücklich ſein, wenn erklärte ſich in einer außerordentlichen Verbandsverſamm=
wir
ein Kriegsſchiff in Frankreich erwerben könnten, und lung einmütig für die geſchloſſene Durchführung der Aus=
gungsverhandlungen
ergebnislos verlaufen, und ſpricht die
unſer Ziel aufzuklären, jeden Konflikt durch eine Präven= beſtimmte Erwartung aus, daß die dem Verband nicht
Intereſſe der geſamten Arbeitgeberſchaft geführten Kampf
durch Nichteinſtellung ausgeſperrter oder ſtreikender Ar=
beiter
unterſtützen werden. Die Maſchinenfabrik Eßlingen
Zeitung meldet aus Konſtantinopel: Die Deutſche Prozent ihrer organiſierten Arbeiterſchaft zum 8. Oktober
Zum nationalliberalen Parteitag in
Kaſſel, der von heute bis Sonntag ſtattfindet, ſchreibt
die Nationalliberale Korreſpondenz:
Man ſagt, die Nationalliberale Partei ſtände vor
einer folgenſchweren Entſcheidung, und auf allen Seiten
wird Kaſſel als einer der ſo beliebten Merkſteine natio=
Entſcheidung ausnahmslos die Wahl zwiſchen rechts und
die Neugierigen enttäuſchen. Wir würden uns ſelbſt auf=
trachten
ſeien. Am weiteſten geht die Kreuzzeitung, die ten Wir haben keinen erſichtlichen Anlaß, von unſerer
kurzweg behauptet, daß man es mit planmäßigen Maſſen= bisherigen Richtung abzuweichen. Dieſe Richtung aber
tei aus der Ueberzeugung unſeres Volkes hervorgegangen,
gige, reaktionären wie radikalen Tendenzen gleichmäßig
können ihrer ganzen Lebensſtellung nach unmöglich zum ſich fernhaltende . .. liberale Partei eine Notwendigkeit
iſt. Ohne eine ſolche Partei würde ein fortdauernder, die
Grundfeſten des Staates erſchütternder Kampf zwiſchen
bleiben. An dieſer Ueberzeugung hält die Nationallibe=
wo
wirtſchaftliche Sorge wie politiſche Enttäuſchung und
Verbitterung das ruhige Urteil zu verwirren und die Be=
völkerung
in großer Zahl dem politiſchen Leben zu ent=
fremden
oder extremen Richtungen nach rechts oder links
zuzutreiben drohen . . . Unabhängig, in ſich geeinigt, frei
von Ermüdung wie von Erbitterung. zu ernſter Arbeit ent=
gends
ſolchen Tadel, obwohl jetzt nicht nur der Säbel ſeine ſchloſſen, wird die nationglliberale Partei, auch unter ge=
ſteigerten
Schwierigkeiten ferner ihre politiſche Pflicht er=

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Seite 2.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 30. September 1910.

Nummer 229.

Ausland.
Oeſterreich=Ungarn
Die ungariſche Anleihe. Finanzminiſter Lu=
kacs
hat mit der Ungariſchen Allgemeinen Kreditbank als
Bevollmächtigten der unten angeführten Finanzgruppe
betreffend eine Anleihe von 500 Millionen Kronen ein
Uebereinkommen getroffen. Von dieſem Betrage ſollen
75 Prozent auf feſte Rechnung und 25 Prozent mittelſt
Option übernommen werden. Es werden nämlich 250
Millionen 4½proz. Staatskaſſenſcheine mit einer Ablaufs=
zeit
von drei Jahren und ſodann 250 Millionen 4proz. un=
gariſche
Kronenrente emittiert. Die unter Führung der
Ungariſchen Allgemeinen Kreditbank ſtehende Finanz=
gruppe
beſteht aus den bisherigen Mitgliedern Rothſchild=
Wien, der Oeſterreichiſchen Kreditanſtalt, Bodenkreditan=
ſtalt
=Wien, Diskontogeſellſchaft=Berlin, Bleichröder= Ber=
lin
, Mendelsſohn u. Co.=Berlin, Bank für Handel und
Induſtrie=Berlin, ferner aus den neu eingetretenen Mit=
gliedern
der Poſtſparkaſſe=Peſt, Vaterländiſche Sparkaſſe=
Peſt, Kommerzialbank=Peſt, Oeſterreichiſche Länderbank und
Wiener Bankverein. Der Kurs der 4½proz. Staatskaſſen=
ſcheine
beträgt 98 Prozent, der Kurs der 4proz. Kronen=
rente
ſtellt ſich auf nahezu 90 Prozent. An dem etwaigen
Mehrerlös über einen gewiſſen Verwertungskurs iſt die
Staatskaſſe beteiligt.
Italien.
Eine neue Diſziplinarverfügung des
Papſtes? Demnächſt ſoll, wie (Pariſer Meldungen be=
ſagen
, eine neue Diſziplinarverfügung des Papſtes ver=
öffentlicht
werden, die noch wichtiger und folgenſchwerer
ſei, als jene Maßregeln, die in der letzten Zeit von der
päpſtlichen Kurie beſchloſſen worden ſind und ſich mit dem
Alter, in dem die Kinder zur erſten Kommunion geführt
werden ſollen, und mit der Abſetzbarkeit der Pfarrer be=
ſchäftigen
. Die neue Maßnahme der Kurie habe eine Vor=
ſchrift
an die Geiſtlichen zum Inhalt, die darauf abziele,
das religiöſe Begräbnis jedem zu verweigern, der nicht
der doppelten Vorſchrift der öſterlichen Beichte und Kom=
munion
Genüge geleiſtet hat oder wenigſtens im Augen=
blicke
des Todes ausdrücklich zur Erkenntnis ſeines Feh=
lers
gelangt iſt. In dieſem letzteren Falle müſſe ein
Prieſter ausdrücklich Zeugnis von der Reue und Beſſerung
des Sterbenden ablegen. Die Verfügung des Papſtes
ſolle, wenn anders es nicht den Warnungen der Biſchöfe
gelingt, ſie hintanzuhalten, bereits in der allernächſten
Zeit veröffentlicht werden. Es wird von ihr behauptet,
daß ſie, genau genommen, keine eigentliche Neuerung ent=
hält
, ſondern eine Vorſchrift des Tridentinums, die aller=
dings
vollſtändig in Vergeſſenheit geraten iſt, wieder in
Kraft ſetze.
Miniſterbegegnung. Der Miniſter des Aeu=
ßern
reiſte am Mittwoch abend in Begleitung des General=
ſekretärs
im Miniſterium des Auswärtigen Bollati und
das Kabinettsſekretärs Baron Fasciotti nach Turin, wo
er mit dem Grafen Aehrenthal eine Begegnung haben
wird. Graf Aehrenthal iſt in Begleitung des Legations=
rates
Grafen Szapari am Mittwoch abend nach Turin ab=
gereiſt
.
Spanien.
Spaniſch=franzöſiſche Verſtimmungen.
Der Imparcial veröffentlicht an leitender Stelle einen
Artikel, worin es heißt, die Ausſichten für die bevor=
ſtehenden
Verhandlungen mit Marokko ſeien nur wenig
befriedigend. Wenn man auch die verſchiedenen Mel=
dungen
der Preſſe trotz der Bedeutung der einzelnen Or=
gane
nicht ohne weiteres für bare Münze nehmen wolle,
ſo könne doch darüber kein Zweifel beſtehen, daß die letzte
Note des Sultans für Spanien recht wenig angenehm ſei,
da ſie die volle Rechtmäßigkeit des Vorgehens Spaniens
und die Berechtigung der geltend gemachten Anſprüche
nicht anerkenne. Mit Beginn der Unterhandlungen zeige
es ſich, daß der Sultan Frankreich und Spanien gegenüber
zweierlei Maß gebrauche. Während die übertriebenen For=
derungen
der Pariſer Regierung erfüllt worden ſeien, lehne
man diejenigen Spaniens ab. Für den Krieg von Caſa=
blanca
werde Frankreich entſchädigt, für die Vorgänge von
Melilla verweigere Marokko jeden Schadenerſatz. Die offen=
baren
Eroberungszüge Frankreichs in Marokko fänden
die Zuſtimmung oder wenigſtens die ſtillſchweigende Dul=

dung des Maghzens, während dieſer ſich dagegen auf=
lehne
, daß Spanien die notwendigſten Maßregeln zur
Sicherung ſeines Beſitzſtandes treffe. Wenn den Marok=
kanern
aber der Kamm plötzlich ſo geſchwollen ſei, ſo ſei
das darauf zurückzuführen, daß an den Hof des Sultans
die Nachricht gedrungen ſei, Spanien würde gegebenen=
falls
an der freien Entfaltung ſeiner Kräfte verhindert
werden. Spanien ſei gewillt, ſelbſt unter Zubilligung
weitgehender Zugeſtändniſſe dem Werke des Friedens zu
dienen; nie aber werde es ſich entehrenden Zumutungen
beugen. Das ſpaniſche Volk werde ſich aber nicht damit
zufrieden geben, verteidigungslos dem franzöſiſch= marokka=
niſchen
Ehrgeiz ausgeliefert zu werden, ebenſowenig wie
es ſich darauf einlaſſen werde, ſeine Geſchicke einer diplo=
matiſchen
Konferenz anvertraut zu ſehen. Man wolle
hoffen, daß die Madrider Verhandlungen die Gefahren
us dem Wege räumen möchten, mit denen die Feinde
Spaniens vorher gedroht hätten. Nach dieſen letzten Wor=
ten
zu ſchließen, ſcheint es ſchon ſoweit gekommen zu ſein,
daß man in Spanien Frankreich als den Feind betrachtet.
Die ſcharfe Sprache des ſpaniſchen Blattes iſt um ſo auf=
fälliger
, als man ſich ſonſt immer in Spanien die größte
Mühe gibt, Frankreich nicht zu verletzen.
Rußland.
Der ruſſiſche Miniſter des Auswär=
tigen
, Iswolski, beſtätigt, daß er als Botſchafter
nach Paris geht. Seine Berufung auf dieſen Poſten ſei
bereits vor zwei Monaten auf ſeinen eigenen Wunſch be=
ſchloſſen
worden. Iswolski wird, bevor er ſeinen Pariſer
Poſten antritt, eine Reiſe unternehmen, auf der er Berlin
und Rom beſuchen wird. Bis 20. Oktober bleibt Iswolski
bei ſeiner Familie am Tegernſee. Der Zuſammenkunft
des Zaren mit Kaiſer Wilhelm wird er nicht beiwohnen.
China.
Ein neuer Bahnbau in China. Zwiſchen
der chineſiſchen Regierung und einer Gruppe amerikaniſcher
Geldleute iſt nun der Vertrag zuſtande gekommen, deſſen
Ziel der Bau einer großen neuen Bahn in China bildet,
die beſtimmt iſt, ein neues Stück Oſtaſien dem Verkehr
und dem Handel zu erſchließen. Die Strecke wird von
Tſchintſchow in der Mongolei nach Aigun und Blagoweſt=
ſchensk
führen. Die Koſten des Baues werden vorausſicht=
lich
über 200 Millionen Mark erfordern, die durch eine
beſondere, mit 5 Prozent verzinsbare Anleihe aufgebracht
werden. Nach den Bedingungen des Vertrages ſoll bei
dem Bau nur amerikaniſches und chineſiſches Material zur
Verwendung kommen.

* London, 28. Sept. Die Verhandlungen
gegen den Leutnant Helm waren nur kurz, da
er ſich ſeine Verteidigung für den Prozeß vor dem
Schwurgericht vorbehielt. Nachdem das Gericht den
Fall vor die Geſchworenen verwieſen hatte, beantragte
der Verteidiger die Haftentlaſſung unter Bürgſchafts=
ſtellung
. Der öffentliche Ankläger erklärte, er habe
keinen Auftrag, gegen die Zulaſſung einer Bürgſchaft
Verwahrung einzulegen. Das Gericht beſchloß in Ge=
mäßheit
des Antrages.
Stadt und Land.
Darmſtadt, 30. September.
Ernannt wurde der Gefangenwärter an der
Zellenſtrafanſtalt Butzbach Johann Wanner zum
Gefangenaufſeher an dieſer Anſtalt.
L. Vor dem Schwurgericht ſtand geſtern die noch
unbeſtrafte, 22 Jahre alte Dienſtmagd Lina Schott
von Ober=Breitenbach wegen Diebſtahls und ſchwerer
und einfacher Urkundenfälſchung. Das Mädchen hatte
hier in der Neckarſtraße gedient und mit dem Dragoner
Georg Röſch von Gras=Ellenbach ein Liebesverhältnis
unterhalten. Das Pärchen beabſichtigte, ſich zu hei=
raten
, womit der Bräutigam um ſo mehr einverſtan=
den
war, als die Schott behauptete, 2000 Mark zu be=
ſitzen
; in Wahrheit hatte ſie nur 500 Mark. Um ſich im
Nähen und Flicken zu vervollkommnen, trat das Mäd=
chen
aus der Stelle aus und nahm bei der Putzfrau
Dina Hofmann von Eberſtadt, die ihr koſtenlos Auf=
nahme
gewährte, Wohnung. Am 28. Mai benutzte ſie
die Abweſenheit ihrer Wohltäterin, nahm den Schlüſſel,
deſſen Aufbewahrungsort ihr bekannt war, und nahm
das im Tiſchkaſten liegende Sparkaſſebuch an ſich. Mit
dieſem ging ſie hierher an die Sparkaſſe und erhob
von den eingelegten 2800 Mark 1800 Mark. Dabei gab
ſie ſich für eine Tochter der Einlegerin aus und unter=
ſchrieb
die Quittung Lina Hofmann Nach der Tat
kaufte ſie Radiergummi, löſchte den Rückzahlungsver=
merk
, welchen der Beamte in das Buch gemacht hatte,

vorſichtig aus und legte das Sparkaſſebuch wieder an
ſeinen Platz. Andern Tags begab ſie ſich nach Gras=
Ellenbach, wo bereits am 5. Juni zwiſchen dem Schuh=
macher
Georg Röſch I. und dem Georg Röſch II. und
ſeiner Verlobten Lina, geb. Schott, ein Uebergabever=
trag
abgeſchloſſen wurde, inhaltlich deſſen erſtere eine
Herauszahlung in baar von 1970 Mark zu erhalten
hatten. Dieſe ſollte aus den Mitteln der Braut er=
folgen
. Am 8. Juni bereits genas dieſe, ohne daß
jemand wußte, daß ſie guter Hoffnung ſei, eines Kin=
des
. Noch größer war die allgemeine Ueberraſchung,
als am 23. Juni ein Kriminalſchutzmann auftauchte,
um wegen des Diebſtahls Erhebungen vorzunehmen.
Dieſer war dadurch an den Tag gekommen, daß die
Hofmann, die nichts gemerkt hatte, wieder etwas Geld
in die Kaſſe legen wollte, wobei der Beamte ſah, was
geſchehen war. Glücklicherweiſe fand ſich das Geld noch
in einem Strumpf verſteckt vor, ſodaß die Hofmann
wieder zu ihrem Eigentum kam. Das Mädchen iſt
reumütig geſtändig und bittet um eine gelinde Strafe.
Die Geſchworenen bejahten die Schuldfrage nur be=
züglich
des Diebſtahls, ſowie der einfachen Urkunden=
fälſchung
durch Ausſtellen der falſchen Quittung und
billigten mildernde Umſtände zu; eine beſondere
ſchwere Urkundenfälſchung durch die Raſur im Spar=
kaſſebuch
wurde nicht feſtgeſtellt. Das Gericht erkannte
auf 4 Monate Gefängnis.
Heſſiſcher Oberlehrerverein. Die Darmſt.
Zeitung ſchreibt: Die Frankfurter Zeitung
hat in ihrem Bericht über die Generalverſammlung des
Heſſiſchen Oberlehrervereins am 25. d. M. gegen den
Schluß hin bemerkt: Vor und nach der Verſammlung
wurde die Rolle, die Oberſchulrat Nodnagel beim Per=
ſonalwechſel
in der Schulabteilung ſpielte, einer ab=
fälligen
Kritik unterzogen. Dies gab dem Vorſitzenden
des Oberlehrervereins, Prof. Dr. Beck in Mainz, Anlaß,
an den Geh. Oberſchulrat Nodnagel folgendes
Schreiben zu richten: Mainz, 26. 9. 10. Hochverehrteſter
Herr Geh. Oberſchulrat! Eben leſe ich in dem Morgen=
blatt
der Frankfurter Zeitung vom 26. I. M. einen
Bericht über unſere geſtrige Verſammlung, deſſen Schluß=
abſatz
in Kollegenkreiſen und ſelbverſtändlich auch bei
mir eine gerechte Entrüſtung hervorgerufen hat. Ich
gebe hiermit die Erklärung ab, daß der Vorſtand dieſem
Artikel vollſtändig fern ſteht, und bedauere, daß der
Eindruck der ſo würdig, ohne perſönliche Angriffe ver=
laufenen
Verſammlung dadurch beeinträchtigt worden
iſt. Hochachtungsvoll und ergebenſt Prof. Dr. Beck,
Vorſitzender des Heſſiſchen Oberlehrervereins.
Jubiläum. Heute, am 30. September, ſind es
50 Jahre, daß Herr Heinrich Bögel im Großh.
Hoftheater, dem er nahezu 40 Jahre angehört hat, zum
erſten Mal in einer Solopartie auftrat, nämlich des
alten Melchtal in Roſſini’s Tell. Herr Bögel hat in
dieſem Sommer ſeinen 75. Geburtstag gefeiert.
* Die Gemäldeausſtellung von Profeſſor Haus
Chriſtianſen in ſeiner Villa In Roſen erfreut ſich
dauernd eines regen Beſuchs. Neben den zahlreich aus=
geſtellten
Gemälden dürfte das Haus ſelbſt in ſeiner zum
großen Teil neuen Ausſtattung Veranlaſſung zur Be=
ſichtigung
geben.
* Rückkehr der Truppen. Geſtern vormittag
zwiſchen 9 und 11 Uhr kehrten die beiden Dragoner=
Regimenter und die Artillerie, die zurückgeritten ſind,
aus dem Manöver in die hieſige Garniſon zurück.
Komitee Darmſtadt im Blumen= und Pflanzen=
ſchmuck
. Die diesjährige Prämiierung findet am
heutigen Freitag, den 30. d. M., im Beſſunger Oran=
geriehaus
ſtatt. Die Beteiligung war auch in dieſem
Jahre wieder ſehr ſtark, es lagen weit über 300 An=
meldungen
vor. Zu der Prämiierung ſind auch dies=
mal
wieder zahlreiche Stiftungen zugegangen, ſodaß
wir eine größere Anzahl der Angemeldeten prämiieren
können. Die Ausſtellung der Ehrenpreiſe iſt am
Samstag und Sonntag von 106 Uhr für die Oeffent=
lichkeit
zugänglich.
* Der Winterfahrplan des Tagblatts, gültig ab
1. Oktober, liegt der heutigen Nummer unſeres Blattes
als Beilage bei.
Griesheim, 29. Sept. Der Plan der Erweiter=
ung
des Bahnhofs Griesheim der Darm=
ſtädter
Dampfſtraßenbahn liegt in der Zeit
von Samstag, den 1., bis Montag, den 10. Oktober
einſchließlich, auf der Großh. Bürgermeiſterei Gries=
heim
zu jedermanns Einſicht offen. Der landespoli=
zeiliche
Prüfungstermin iſt auf Montag, den 17. Okto=
ber
nachmittags 3¾ Uhr, auf der Großh. Bürger=
meiſterei
Griesheim anberaumt.
S. Griesheim, 29. Sept. Vorgeſtern nacht wurde
im Gaſthaus Zur Krone ein Einbruchsver=
ſuch
verübt. Die Einbrecher, deren es zwei geweſen
ſein ſollen, waren im Begriffe, zum Küchenfenſter ein=
zuſteigen
, als durch das Geräuſch die Kinder des Haus=
beſitzers
, deren Schlafzimmer ſich über der Küche be=
findet
, aus dem Schlafe geweckt wurden und Alarm
ſchlugen, was die Spitzbuben veranlaßte, ſich aus dem
Staube zu machen. Man hat ſie noch nicht ermitteln
können.
Neu=Iſenburg, 28. Sept. Bei der geſtrigen Ge=
meinderatswahl
ſiegte die ſozialdemo=
kratiſche
Liſte. Es ſtimmten von 1853 Wählern

Das neue Babel.
** Gelangt man im New=Yorker Hafen bis zu den
weitläufigen Gebäuden der Einwanderungskommiſſion,
die ſich gleichſam unter dem Schatten der rieſenhaften
Freiheitsſtatue erheben, ſo glaubt man ſich in die Welt
des alten Babels verſetzt. Alle Sprachen der Welt, alle
Idiome und Dialekte ſind hier vertreten. Germaniſche
und lateiniſche, flawiſche und orientaliſche Mundarten
ſchwirren wüſt durcheinander und bilden mit dem
Chineſiſch und Japaniſch, dem vorlauten Jiddiſch und
dem nicht minder lauten keltiſchen Brogue der Ir=
länder
ein disharmoniſches Chaos. Und dieſer Ein=
druck
der Vereinigung verſchiedenartigſter Raſſen und
Sprachen wird verſtärkt, je weiter man in der viel=
geſtaltigen
Welt New=Yorks vordringt. Die Ange=
hörigen
der vielen Völker und Nationen, die hier zu=
ſammengeſtrömt
ſind, haben ihre charakteriſtiſche Eigen=
heit
bewahrt und bilden Enklaven für ſich, tragen
dadurch zu dem verwirrenden Bilde der Rieſenſtadt bei.
Von New=York als dem neuen Babel entwirft G. von
Taube in Ueber Land und Meer farbige Bilder.
Zwar Kleinfrankreich und Kleindeutſchland ſind
allmählich verſchwunden, verſchlungen worden von der
gleichmachenden Uniformität des modernen Lebens,
aber die Chineſenſtadt beſteht noch für ſich mit ihren
Opiumhöhlen, Spielhäuſern und Reſtaurants. Nicht
weit davon ſind die Italiener zu Hauſe mit ihren un=
zähligen
Lottobanken und ihrem maleriſchen Straßen=
leben
. Hier begegnet man noch dem echten Typus des
Abruzzenbriganten mit den feurigen Augen und der

theatraliſch=affektierten Haltung, die die Kühnheit und
den Abenteuerſinn der alten Bergheimat noch nicht ver=
lernt
haben und mit denen die amerikaniſchen Poliziſten
ſehr ungern ſich einlaſſen. Eine Welt für ſich iſt auch
das Ghetto, das Judenviertel, in dem ſich das ungariſche
Element ſcharf von dem ruſſiſch=polniſchen ſondert. Ge=
ſchäftlich
geht es hier hoch her. Jeder Handelszweig iſt
vertreten, kleine Induſtrien entſtehen, Advokaten und
Aerzte vermiſchen ihre Tätigkeit mit Politik; Literatur
und Künſte ſind auch vorhanden, die von Baron Hirſch
begründeten Gewerbeſchulen und die Hebrew Techni=
cal
School ſorgen für tätige und gediegene Erziehungs=
arbeit
. Auch Bankinſtitute gibt es, denn das Klein=
kreditſyſtem
, ſeit einigen Jahrzehnten von wirklich
philanthropiſchen, reichen Juden eingeführt, ſteht hier
in voller Blüte. Etwas weiter hinauf beginnt dann
Kleinungarn wo man Paprikafleiſch, ungariſchen
Wein und pſeudoungariſche Kapellen in Fülle in den
Reſtaurants findet. Das eigentliche nationale Leben
entfaltet ſich aber immer in den Vierteln, wo das niedere
Volk ſich angeſiedelt hat und die armen Leute leben;
das vornehme Judenviertel und das vornehme italie=
niſche
Viertel unterſcheiden ſich nicht viel von den echt
amerikaniſchen Stadtteilen.
Nach der Statiſtik von New=York kommen auf über
4 Millionen Einwohner 750000 eingeborene Ameri=
kaner
, gegen 800000 Juden, etwa 1 Million Irländer,
eine halbe Million Italiener und andere Nationalitäten
und über eine Million Deutſche. Der Einwanderungs=
ſtrom
dauert noch immer unvermindert fort, und wäh=
rend
ſich etwa 60 Prozent der Neuangekommenen all=
mählich
aſſimilieren, bleiben doch immer etwa 40 Pro=

zent übrig, die das Leben ihrer Heimat auf amerika=
niſchem
Boden fortſetzen und New=York den Eindruck
des neuen Babel erhalten. Für dieſe nichtaſſimilier=
baren
Elemente iſt natürlich der Kampf ums Daſein
am ſchwerſten, denn die Erwerbsverhältniſſe ſind von
den europäiſchen ſehr verſchieden. Das wird aus
einigen Beiſpielen deutlich: Ein Pianoforteträger z. B.
erhält fünf Dollar pro Tag; der elegant gekleidete
Kommis, der viel mehr Stunden arbeiten muß, hat
höchſtens 10 Dollar die Woche. Der Portier in einem
größeren Geſchäft bezieht einen Wochenlohn von 25
Dollar: architektoniſch und techniſch gut geſchulte Zeich=
ner
, die alſo ein Technikum abſolviert haben müſſen,
haben 20 Dollar die Woche. Maurer, Eiſendreher,
Schreiner bekommen 4 bis 6 Dollar den Tag, ein Muſik=
oder
Sprachlehrer erhält höchſtens einen halben Dollar
für die Stunde. Der ſtets geſuchte Reporter fängt bei
der Zeitung mit 8 bis 12 Dollar die Woche an und be=
kommt
auch bei längerer Tätigkeit ſelten mehr als
15 Dollar. Der Advokatenelerk beginnt mit 5 bis 7
Dollar, der Bankelerk mit kaum 5 Dollar in der Woche.
Dieſen durchſchnittlichen Löhnen gewöhnlicher Erwerbs=
leute
ſtehen aber die ungeheuerſten Honorare gegen=
über
, die für außergewöhnliche Leiſtungen in jeder
Branche gezahlt werden. Da gibt es Advokaten, die bis
zu 50000 Dollar im Jahr verdienen, Muſiklehrer, die
kaum für 10 Dollar die Stunde zu haben ſind, Geſchäfts=
reiſende
, um die ſich die erſten Firmen reißen, Proku=
riſten
, deren Leiſtungen mit Gold aufgewogen werden;
nur dem beſten Mann zeigt ſich Amerika von ſeiner
einträglichſten Seite.

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Seite 3.

Nummer 229.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 30. September 1910.

nur 1443 ab, von 286 Ortsbürgern nur 207. Für die
Sozialdemokratie wurden 754, für Nationalliberale
und Zentrum 323 und für die Fortſchrittliche Volks=
partei
, die zum erſten Male auftrat, 120 ungeſtrichene
Zettel abgegeben. Gewählt wurden: Georg Galloy,
Kaſſenbeamter, und Franz Jünger, Auslaufer, mit
820, Heinrich Fiſcher, Kaufmann, mit 794, Andreas
Möller, Bleicher, mit 793 und Franz Fecher, Schrei=
ner
, mit 786 Stimmen. Nationalliberale und Zen=
trum
erhielten 365 bis 450, die Volkspartei 165 bis 215
Stimmen. Der Gemeinderat beſteht nun vom 1. Ja=
nuar
ab aus neun Sozialdemokraten und ſechs Bür=
gerlichen
. Mit ihrem geſtrigen Siege erhielt die So=
zialdemokratie
auf ſechs Jahre eine ſichere Mehrheit,
da 1913 nur fünf Bürgerliche aus der Gemeindever=
tretung
ausſcheiden. Der Sieg der Sozialdemokraten
war vorauszuſehen, nachdem es in den letzten Tagen
nicht gelungen war, das Bürgertum zu einen. Die
geſamten bürgerlichen Stimmen ſind gegen 1907 nicht
zurückgegangen, die ſozialdemokratiſchen dagegen um
rund 200 gewachſen. Da der Zuwachs an Wählern
nur 150 beträgt, iſt nicht zu leugnen, daß Bürgerliche
von 1907 nun zu den Sozialdemokraten geſtoßen ſind.
K. Zwingenberg, 29. Sept. Es wurde ſchon längſt
angeregt, daß ſich die Bergſtraße, weil auch durch
ihre milde, geſchützte Lage begünſtigt, dem Obſtbau,
vornehmlich dem Frühobſtbau, zuwende. So wurde
letztes Jahr in Zwingenberg ein Obſtverwertungsver=
ein
gebildet, der durch Annoncieren viele und beſſere
Käufer herbeizuziehen ſucht, um die jetzigen Obſternten
ſchlank und möglichſt gut bezahlt abzuſetzen. Damit
wurden ſchon gute Reſultate erzielt. Es ſollen aber
auch ſämtliche Ortſchaften durch einen einheitlichen,
zielbewußten Anbau der begehrteſten und beſtbezahlten
Obſtſorten nach und nach die Bergſtraße zu einem
Obſteldorado machen. Um die Bewohner mehr anzu=
regen
und das Intereſſe zu fördern, wurde beſchloſſen,
am 9. und 10. Oktober eine Obſtausſtellung in
Zwingenberg abzuhalten, welche verſpricht, ſehr
ſchön und reichhaltig zu werden. Der Sache wird hier
großes Intereſſe entgegengebracht.
Mainz, 28. Sept. Vor Eintritt in die Tagesord=
nung
der heutigen Stadtverordneten= Ver=
ſammlung
widmete Oberbürgermeiſter Dr. Göttel=
mann
dem am 16. September verſtorbenen Geheime=
rat
und Staatsminiſter a. D. Frhr. v. Starck einen
Nachruf und hob ſeine Verdienſte bei dem Zuſtande=
kommen
der Selbſtverwaltung wie für die Provinzen,
die Städte und die Landgemeinden, ſowie beim Bau
der Straßenbrücke nach Kaſtel hervor. Der Magiſtrat
hat an den Sohn des Verſtorbenen einen Beileidsbrief
gerichtet. Ebenſo wurde des verſtorbenen Juſtizrats
Dr. Struve gedacht, der ſich auf dem Gebiete der
Armenpflege große Verdienſte erwarb.
Mainz, 28. Sept. Ein ſchweres Automobil=
unglück
, dem das Leben eines ſechsjährigen Knaben
zum Opfer fiel, ereigneten ſich nach dem Höchſter Kreisblatt
am Montag abend auf der Mainzer Straße bei Hat=
tersheim
. Dort wurde der ſechsjährige Sohn Joſeph
des Fabrikarbeiters Veſt durch das von dem Beſitzer ſelbſt
gelenkte Auto, dem Buchdruckereibeſitzer Körber aus Mainz
gehörig, überfahren und ſofort getötet. Ueber den Her=
gang
des Unglücksfalles iſt folgendes feſtgeſtellt: Einige
Kinder fuhren mit einem Wägelchen auf der Chauſſee am
Weſtausgang des Ortes, als aus der Richtung von Weil=
bach
her das Automobil kam. Auf deſſen Warnungsſignale
fuhren die Kinder, anſtatt rechts auf dem Wege zu bleiben,
nach der linken Seite der Chauſſee, ſo daß das Auto ſie
rechts überholen mußte. Im letzten Augenblick aber bogen
die Kinder wieder nach rechts herüber, der Führer des
Autos warf dieſes raſch ganz rechts herum, daß er von
der Straße ins Feld geriet, doch konnte er nicht mehr ver=
hindern
, daß der kleine Veſt von dem Schutzblech des
Wagens erfaßt und tödlich verletzt wurde. Das Automobil
blieb mit gebrochener Achſe im Feld liegen.
Mainz, 28. Sept. Generalmajor z. D. v. Zſchüſchen
feierte ſein 50jähriges Militärjubiläum. Die Offiziere des
Regiments 87, dem er faſt 25 Jahre angehörte, überreichten
dem Jubilar die bronzene Wiedergabe des Löwen von
Waterloo auf einem Marmorſockel. Herr v. Zſchüſchen
wurde vor Paris mit dem Eiſernen Kreuz 1. Klaſſe aus=
gezeichnet
.
Friedberg, 27. Sept. Am 1. Dezember wird der neue
Bahnhof in Angriff genommen. Er kommt etwa 500
Meter weiter ſüdlich zu liegen als der ſeitherige. Der Vor=
anſchlag
beträgt 7 Millionen Mark. Aus dieſem Anlaß
wurde ſämtlichen Geſchäftsinhabern, ſowie den Land=
wirten
, die mit ihrem Gelände in den Bebauungsplan
fallen, zu dem obengenannten Termin gekündigt. Die An=
käufe
der Bahn von den betreffenden Eigentümern ſind zu
allſeitiger Zufriedenheit erledigt worden

Reich und Ausland.
Aus der Reichshauptſtadt, 28. Sept. Geheimerat
Witting, der frühere Oberbürgermeiſter von Poſen,
der ſeit acht Jahren Direktor bei der Nationalbank
für Deutſchland war, hat ſeine Entlaſſung zum 1. Ja=

nuar eingereicht. Herr Witting, der im 53. Lebens=
jahre
ſteht, wird ſich, wie verlautet, künftig ſeinen
Neigungen auf politiſchem Gebiete in ſtärkerem Maße
widmen. Er hat im Jahre 1907/08 dem Abgeordneten=
hauſe
als Mitglied der nationalliberalen Partei ange=
hört
, dann aber die Annahme eines Mandats ab=
gelehnt
. Kommerzienrat Georg Haberland, der
Direktor der für die Verwertung des Tempelhofer
Feldes zu bildenden Aktiengeſellſchaft, hat, nachdem
er geſtern ſeinen Austritt aus der Fraktion der Linken
erklärt hat, heute ſein Berliner Stadtverordneten=
mandat
niedergelegt. Der Bezirksausſchuß in Pots=
dam
genehmigte heute einſtimmig den Beſchluß des
Teltower Kreistages bezüglich der Garantie für den
Erwerb des Tempelhofer Feldes. In der gleichen
Sache hat heute auch der Kreisausſchuß in Nieder=
Barnim getagt und den Beſchluß des Teltower Kreis=
ausſchuſſes
gebilligt. Damit iſt der Inſtanzenzug er=
ſchöpft
und alle Formalitäten für die Uebernahme des
Geländes ſind erfüllt. Geheimer Kommerzienrat
Karl Bolle, der Begründer der bekannten Berliner
Molkerei, iſt, wie gemeldet, geſtorben. Mit dieſem
Manne iſt eine der populärſten Figuren Berlins
dahingegangen. Die Milchwagen der von ihm ins
Leben gerufenen Firma ſind eine Berliner Straßen=
type
geworden. Was den Verſtorbenen den Berlinern
beſonders ſympathiſch machte, war ſeine Entwickelung
als Selfmademan. Nachdem Bolle das Maurerhand=
werk
erlernt hatte, begründete er im Jahre 1868 die
Norddeutſchen Eiswerke. Im Jahre 1881 legte er den
Grundſtein zu dem jetzigen Unternehmen, das zu einem
der größten milchwirtſchaftlichen Betriebe emporwuchs.
Heute ſind etwa 2500 Leute bei der Firma beſchäftigt.
Als Arbeitgeber hat ſich Bolle in vorbildlicher Weiſe
betätigt. So wurden die Kinder ſeiner Angeſtellten
in den verſchiedenſten nützlichen Dingen und ſelbſt in
den ſchönen Künſten unterrichtet; auch wurde der
Handfertigkeitsunterricht eifrig gepflegt. In der Nähe
ſeines Geburtsortes Mirow hatte Bolle eine eigene
Ferienkolonie für die Kinder ſeiner Angeſtellten ge=
gründet
und in jeder Beziehung für das leibliche und
geiſtige Wohl ſeiner Arbeitnehmer zu ſorgen geſucht.
Unſer Kaiſerpaar hat dieſen Beſtrebungen Bolles viel=
fach
ein warmes Intereſſe entgegengebracht und auch
einmal die Meierei beſucht. Erſt im vorigen Jahre
war Bolle zum Geheimen Kommerzienrat ernannt
worden. Schon ſeit einigen Jahren wird das Geſchäft
von ſeinem Sohn, dem Dr. med. C. Bolle, geleitet.
Leutnant v. Schröder vom Bückeburger Jäger=
bataillon
, kommandiert zur Schloßgarde=Kompagnie,
iſt in der Nähe von Großbeeren bei dem Verſuch, zwi=
ſchen
den Flügeln einer Windmühle hindurchzugehen,
tödlich verunglückt. Er wurde von einem Flü=
gel
erfaßt und 50 Meter weit fortgeſchleudert. Den
Anſtoß zu dieſem verhängnisvollen Experiment gab die
Erzählung, daß ein anderer Offizier glücklich zwiſchen
den Windmühlenflügeln hindurchgeritten ſei. Ein
bedauerliches Renkontre zwiſchen eng=
liſchen
Journaliſten und Schutzleuten
in Moabit ereignete ſich geſtern abend infolge eines
Mißverſtändniſſes. Der Vertreter vom Reuterſchen
Bureau befand ſich dort mit dem Vertreter der Daily
Mail, dem Vertreter der Daily News und der Sun,
um von einem Automobil aus die Tumultuanten zu
beobachten. Plötzlich gingen, wahrſcheinlich in der
Meinung, die Journaliſten ſeien Organiſatoren der
Tumultuanten, Schutzleute gegen das Automobil vor
und brachten namentlich einem der Herren empfind=
liche
Verletzungen bei. Wie ſeinerzeit berichtet,
hatte der Rendant Supplitt die Kreisſparkaſſe in
Tuchel um 102500 Mark geſchädigt und war mit die=
ſer
Summe flüchtig geworden. Heute gelang es, den
Defraudanten hier in der Friedrichſtraße feſtzu=
nehmen
. Bei ihm fand man eine Summe von 2700
Mark.
Wiesbaden, 28. Sept. Heute nachmittag fand hier
die feierliche Einweihung des Säuglings=
und Kinderheims der Paulinenſtiftung ſtatt, zu
deſſen Erbauung der Kaiſer 30000 Mk. geſpendet hat.
Die Kaiſerin, die ſich bei ihrem hieſigen Aufenthalte im
Mai dieſes Jahres die Baupläne hatte vorlegen laſſen,
ließ der Oberin, Frau von Wintzingerode, durch den
Polizeipräſidenten v. Schenck ihr Bild mit eigenhändi=
ger
Unterſchrift überreichen.
Königgrätz, 29. Sept. Hier erkrankten 37 Perſonen
nach dem Genuß von verdorbenem Fleiſch unter ſchwe=
ren
Vergiftungs=Erſcheinungen.
Peſt, 28. Sept. In der Tiefebene in Berettyo=Szent=
Marlon, nahe bei Debreczin, lebte der wegen ſeines ge=
walttätigen
Charakters weit und breit bekannte u. gefürch=
tete
Landwirt Emerich Vitalis. Aus einer wohl=
habenden
Bauernfamilie ſtammend, war er früh auf Ab=
wege
geraten und hatte ſchon als 17jähriger junger Mann
eine längere Zuchthausſtrafe wegen verſchiedener Gewalt=
tätigkeiten
verbüßt. Er verließ das Zuchthaus ebenſo ver=
ſtockt
, wie er es betreten hatte. Kaum auf freiem Fuße,
ſetzte Vitalis die Bevölkerung ſeiner Gemeinde in Schrecken,
befand ſich in unaufhörlichem Kampfe mit den Gerichten

und ſetzte ſeinen Untaten die Krone auf, als er Anfang
September d. J. ſeine Schwiegermutter bei einem gewöhn=
lichen
Wortwechſel erſchoß. Nach dieſer Tat floh Vitalis
nun aus ſeiner Nachbargemeinde und fand wahrſcheinlich
in den nahegelegenen Sümpfen und Röhrichten ein ſicheres
Verſteck. 250 Gendarmen veranſtalteten förmliche
Treibjagden auf ihn, ſuchten die Orte, wo man ſeinen
Schlupfwinkel vermutete, zu umzingeln und den Kreis all=
mählich
enger zu ziehen, aber immer gelang
es Vitalis, zu entfliehen. Die Bevölkerung der ganzen
Gegend lebte die drei letzten Wochen in unausgeſetzter
Furcht vor dem Räuber, dem man zutraute, daß er jeden,
der ſich ihm widerſetzte, einfach niederſchießen werde. So
fanden ſich immer Leute, die den Mörder im Notfalle mit
Nahrungsmitteln verſahen, dazwiſchen half er ſich auch
mit kleineren Raubanfällen. Erſt am Samstag erreichte
ihn ſein Schickſal. Er fühlte ſich ſchon ſo ſicher, daß er
bei hellichtem Tage in ſein Heimatdorf zurückkehrte. In
ſeinem Wohnhauſe wurde er von Dorfleuten bemerkt, wor=
auf
ſich 20 Gendarmen dorthin begaben, um ihn zu ver=
haften
. Vitalis empfing ſie in dem Fenſter, von wo er
zwei Schüſſe auf ſeine Verfolger abgab. Aber obgleich er
ein ſicherer Schütze war, gingen ſeine Schüſſe diesmal fehl,
ſeine Hand ſcheint vor Aufregung gezittert zu haben. Zum
dritten Schuß wurde ihm keine Zeit mehr gelaſſen. Die
Gendarmen ſelbſt feuerten ihre Gewehre ab, und tödlich
verletzt brach der Räuber zuſammen. Er hatte nur noch
ſo viel Kraft, um raſch, bevor die Gendarmen eingedrun=
gen
waren, ſeine Waffe zu laden und durch einen Schuß
ſeinem Leben ſelbſt ſofort ein Ende zu machen.
Zürich, 29. Sept. Hier waren geſtern abend, wie
der Berliner Lok.=Anz. berichtet, zwei Bahnbeamte auf
dem Baſeler Bahnhof mit dem Einladen von Kof=
fern
beſchäftigt, die aus Amerika durchwandernden
Ruſſen gehörten. Als ſie einen Koffer fallen ließen,
erfolgte eine furchtbare Exploſion durch die
beide. Beamten ſchwer verletzt wurden. In dem Koffer
war eine Bombe verpackt geweſen. Der Eigentümer
des Koffers, ein Ruſſe aus Agram, wurde mit Frau
und Kindern verhaftet.
Paris, 29. Sept. Hier wurden drei Finanziers,
namens Paul Breittmeyer, Jan Stevens und Maer
verhaftet, die beſchuldigt ſind, im Vereine mit zwei
Bankiers, namens Friedland und Demeuroy, durch
Ausgabe fiktiver Aktien zahlreiche Perſonen, nament=
lich
in der Schweiz, um mehrere Millionen geſchädigt
zu haben. Gegen die beiden Bankiers, die gegenwärtig
nicht in Paris ſind, wurde der Befehl zur Verhaftung
erlaſſen.
Sable (Dep. Sarthe), 28. Sept. Ein Perſonen=
zug
ſtieß auf dem Bahnhof Sable mit einem Manö=
verzug
zuſammen. An zwanzig Perſonen wurden
leicht verletzt.
Rom, 29. Sept. In der Nähe von Catania drangen
drei Banditen in das Schloß der Baronin Gianno
ein, quälten dort die Dienerſchaft und bedrohten die
Baronin mit dem Tode, wenn ſie ihnen nicht die
Schlüſſel zum Geldſchrank ausliefere. In ihrer Angſt
gab die Baronin die Schlüſſel her und die Banditen
raubten 10000 Lire, mit denen ſie das Weite ſuchten.

Kunſtnotizen.
(eber Werke, Künſtler und künſtleriſche Veranſtaltungen ꝛc., deren im Nach
ſtehenden Erwähnung geſchieht, behält ſich die Redaktion ihr Urteil vor.
Hoftheater. Die Diebeskomödie Der Biber=
pelz
von Gerhart Hauptmann kommt heute,
Freitag, zum erſten Male an unſerer Hofbühne zur
Aufführung. Im Biberpelz hat Hauptmann wie
Paul Schlenther in ſeiner Biographie des Dichters ſagt
die Komödie der ſtreberhaften Dummheit gegeben‟ Der
Held iſt nicht der Pelzdieb, ſondern derjenige, der dieſes
Pelzdiebes habhaft werden ſoll. Die Diebesgeſchichte
ſelbſt dient nur dazu, den ſtreberhaften Dummkopf als
blitzdummen Streber zu blamieren. Und darum ſym=
pathiſiert
man geradezu mit der durchtriebenen Spitz=
bübin
, der Mutter Wolffen, die, nebenbei auf Fleiß und
Ordnung haltend, den Herrn Amtsvorſteher ſo köſtlich
hinters Licht zu führen weiß. Die Rollen ſind beſetzt
mit den Damen Rudolph, Heumann, Grünberg und
Gothe, ſowie den Herren Jürgas, Jordan, Heinz,
Schneider, Lehrmann, Holler, Wagner und Hacker, in
deſſen Händen auch die Inſzenierung des Stückes liegt.

Kongreſſe und Verbandstage.
23, Generalverſammlung des evangeli=
ſchen
Bundes.
Chemnitz, 27. Sept. Heute fand die zweite
Mitgliederverſammlung und die geſchloſſene
Abgeordnetenverſammlung ſtatt. Nach Aus=
ſchußſitzungen
, mit denen in früher Morgenſtunde die
Arbeit begann, tagte erſtere unter dem Vorſitz des ge=
ſchäftsführenden
Vorſitzenden, Reichstagsabgeordneten
Liz. Everling. Seine einleitenden Worte wieſen auf
die Bedeutung des Arbeitsprogramms hin, das dieſer
Verſammlung geſetzt war: zu handeln von den Welt=
aufgaben
des deutſchen Proteſtantismus. In Abwech=

Kleines Feuilleton.
C.K. Die Mechanik des Glücks. Die Vor=
ellung
des Volkes verbindet mit der Vorſtellung der
lücksgöttin gewöhnlich das Bild einer ſchönen Frau
tit freien, ebenmäßigen Geſichtszügen, den Körper in
ürdige, faltenreiche Gewänder gehüllt. Die herrlich
eformte Hand liegt läſſig auf dem Glücksrad, oder der
rm trägt ein Füllhorn, aus dem ihre Gaben in die
elt ſtrömen. So ähnlich ſieht man ſie an unzähligen
denkmälern, ja bisweilen auf Banknoten, wo immer
auftaucht. Frau Fortuna iſt eine ſchöne Frau, und
hr Blick ſtrahlt Frohmut und Hoffnung. Die Wirklich=
eit
wird dieſem lockenden Traum nicht gerecht, ſie iſt
ders, ganz anders. Der Figaro gibt eine hübſche
childerung, wie das Glück mit der Zeiten Wandel
ndere Formen erkoren hat. Bis vor kurzem noch,
enn bei der Ziehung großer Lotterien Fortuna ihre
ntſcheidungen treffen ſollte, beſtellte ſie einen Ver=
eter
, der ihre Unparteilichkeit ſymboliſierte. Die
einen Pavierrollen, auf denen die Losnummern ver=
ichnet
ſtanden, wogten in einem großen Glasbehälter
in und her. Dann, im Saale brachte dieſer Augenblick
imer atemloſe Stille, trat ein kleiner Junge, ein
ternloſes Kind, heran. Der Aermel, der den zarten
inderarm umhüllte, war vorſorglich zurückgezogen,
an ſah, wie dieſer ſchmale Arm tief hineintauchte in
s Gefäß mit den Papierrollen und dann eine Nummer
erauszog: die Nummer des Hauptgewinnes. Das war
sher der Vertreter der Glücksgöttin; ein unſchuldiges,
nges Kind und ein glitzerndes Rad, das war noch
ne Allegorie, ja faſt echte Poeſie. Aber heute iſt das
iders geworden. Paris hat den Anfang gemacht. Der
Vaiſenknabe iſt verſchwunden und die Stellvertretung
fortungs hat die weſenloſe, kalte, moderne Mechanik

übernommen. Das Rad mit den Loſen wird nicht mehr
von Menſchenhand gedreht, und kein Kinderarm taucht
mehr hinab in das Meer der Loſe. Die Hand eines
korrekten Beamten drückt läſſig auf einen elektriſchen
Knopf, das Glücksrad dreht ſich, und von ſelbſt fällt die
Nummer heraus. Gewiß, man hat gewonnen oder ver=
loren
wie einſtmals, aber der Zauber Fortunas, die
Romantik ihres Schickſalsſpruches, iſt gewichen. In
dieſen Tagen iſt in Auteuil die neue Lotteriemaſchine
erprobt worden, ſie hat getan, was verlangt wurde, das
Rad hat ſich gedreht, die Mechanik produzierte eine
Nummer, und der Beſitzer von 98 593 hat 50000 Francs
gewonnen. Das Glück aber gewinnt einen neuen
Klang, man hört Räder raſſeln und Elektrizität ſurren,
der Fortſchritt hat das Glück erobert, und ſeine weihe=
volle
Unbeſtimmbarkeit in eine kluge, mechaniſche
Formel eingefangen.
* Die Buchſtaben S im deutſchen Heere.
ſo überſchreibt die chileniſche Zeitung Las Ultimas
Noticias (Abendausgabe des Blattes El Mereurio) in
ihrer Nummer vom 1. September folgenden Artikel:
Um den Grad der Trunkſucht ihrer Untergebenen in
der Führungsliſte anzugeben, bedienen ſich die Vorge=
ſetzten
im deutſchen Heere folgender fünf Bezeichnungen:
S, Ss, Sss, Ssss, 88ss8. Der Buchſtabe S iſt der
Anfangsbuchſtabe des Wortes ſaufen (Trinken von
alkoholiſchen Getränken), des Wortes ſehr des
Wortes ſtark, des Wortes ſchlecht und des Wortes
Schnaps (Branntwein). Die erſte Bezeichnung mit 8
bedeutet, daß der betreffende Offizier etwas mehr trinkt
als er ſollte (ſäuft). Ss bedeutet, daß er viel trinkt
(ſäuft ſtark). Sss bedeutet, daß er außerordentlich viel
trinkt (ſäuft ſehr ſtark). Ssss bedeutet, daß er eine er=
ſchreckende
Menge Branntwein zu ſich nimmt (ſäuft ſehr
ſtark Schnaps). Sssss bedeutet, daß er überraſchende

Mengen ſchlechten Branntweins zu ſich nimmt (ſäuft
ſehr ſtark ſchlechten Schnaps). Das letztgenannte Prä=
dikat
pflegt ſehr fatal zu ſein, denn, obgleich es im
deutſchen Heere nicht als Verbrechen gilt, gewaltige
Mengen von Schnaps zu trinken, ſo iſt es doch ein
unverzeihliches Vergehen, ſolchen von ſchlechter Be=
ſchaffenheit
zu trinken. Die Geſchichte, die da das
deutſchfeindliche Blatt Santiagos als ernſtgemeinte
Mitteilung vorträgt, iſt nichts als eine uralte
Anekdote, die aus der Zeit des alten Fritzen ſtammt.
Sie taucht merkwürdigerweiſe immer wieder in der
ausländiſchen Preſſe als Gegenwartsſchilderung auf;
zuletzt iſt man ihr vor genau vier Jahren im Giornale
di Sicilia begegnet, und ſo dürfen wir mit einiger
Sicherheit annehmen, daß in abermals vier Jahren die
Geſchichte von den fünf S von neuem auftauchen wird.
* Streik der Tanzburſchen. Aus einem
oberheſſiſchen Städtchen wird dem Gieß. Anzeiger ge=
ſchrieben
: Es iſt ja eine alte und bekannte Tatſache, daß
das ſchöne Geſchlecht beſondere Sympathien für
zweierlei Tuch zeigt. Dieſer Vorzug iſt unſeren
braven Vaterlandsverteidigern wohl zu gönnen, und
der Burſche in Zivil weiß ſich auch damit abzufinden
Aber nicht immer! In unſerem Orte müſſen die Mäd=
chen
ſich über das Maß in die Soldaten verliebt haben,
die hier in Quartier lagen. Die Burſchen, die ſich da
zurückgeſetzt glaubten, ſcheinen das auch bitter empfun=
den
zu haben. Sie haben dem holden Geſchlecht Rache
geſchworen, indem ſie beſchloſſen haben, mit vielen
Mädchen auf dem demnächſtigen Kirmes=Ball einfach
nicht zu tanzen und ſo die zugefügte Beleidigung zu
ſtrafen. Alſo ancb auf dieſem Gebiete kann geſtreikt
werden!

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Seite 4.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 30. September 1910.

Nummer 229.

ſelung damit pflegen auf Generalverſammlungen des
Bundes Oſt= und Weſtmarkenfragen behandelt zu wer=
den
. Ueber deutſch=evangeliſche Diaſpora im Ausland
ſprach Geheimer Konſiſtorialrat Profeſſor D. Mirbt=
Marburg, eine Autorität auf dieſem Gebiet. Als
zweiter Redner nahm Profeſſor D. Haußleiter=
Halle, der vor einigen Monaten von einer Reiſe nach
Oſtafrika zurückkehrte, das Wort zu dem Thema: Die
evangeliſche Miſſion in den deutſchen Schutzgebieten.
Eine überaus lebhafte und fruchtbare Ausſprache ſchloß
ſich an beide Vorträge. Mit zugrunde gelegt war ihr
folgende Kundgebung: Die Mitgliederverſamm=
lung
der 23. Generalverſammlung des Evangeliſchen
Bundes erklärt es für eine wichtige Aufgabe des Evan=
geliſchen
Bundes, das tatkräftige Intereſſe für die deut=
ſchen
Cvangeliſchen im Auslande und die evangeliſche
Miſſion in den Kolonien zu wecken und zu pflegen und
bittet ſowohl den Zentralvorſtand, als auch die Vor=
ſtände
der Haupt= und Zweigvereine, durch geeignete
Veranſtaltungen und Vorträge die Aufklärung über
die Bedeutung dieſer deutſch=proteſtantiſchen Aufgaben
veranlaſſen zu wollen.
Den Reigen der Redner, zu deren Ausführungen
Direktor Everling ſeitens der Bundesleitung Stellung
nahm, eröffnete Generalſuperintendent D. Kaftan
der um die weitere Unterſtützung des deutſch= evangeli=
ſchen
Kirchenausſchuſſes durch die freie Vereinstätigkeit
bat, auch um dem drohenden Theologenmangel abzu=
helfen
. Das Ideal ſei, daß die ganze Hilfe von der
Kirche des evangeliſchen Deutſchlands geleiſtet werde.
Hofprediger D. Rogge teilte mit, daß nach den neue=
ſten
Berichten, die im Zentralvorſtand des Guſtav
Adolf=Vereins zur Sprache kamen, die Schulnot in
Braſilien das größte Uebel ſei. Volks= und Mittelſchu=
len
treiben dort Portugieſiſch; die Gelehrtenſchulen,
Gymnaſien uſw. ſind in Händen der Jeſuiten. Die erſte
deutſche evangeliſche höhere Schule ſoll jetzt begründet
werden. Prälat v. Herrmann behandelte die
Schule in Tſingtau, Pfarrer Mix=Stargardt
erinnerte an die Aufhebung der evange=
liſchen
Schulen in. Windhuk auf Drängen
des Zentrums, während zu gleicher Zeit gegen
die Begründung einer paritätiſchen Schule in Dares=
ſalam
zugunſten der beſtehenden katholiſchen proteſtiert
wurde. Jetzt iſt in Windhuk eine katholiſche Schule er=
richtet
worden, die von 15 Katholiken und 20 Evange=
liſchen
beſucht wird. Im weiteren Verlauf der Debatte
ſprachen unter lebhafter Anteilnahme der Verſamm=
lung
Hauptprediger D. Rode=Hamburg, der u. a. auf
das ſegensreiche Wirken des Kolonialinſtituts in Ham=
burg
auch für die Miſſion hinwies. Pfarrer Ur=
ban
, der Vorſitzende des in dieſem Jahre begründe=
ten
Vereins der Auslandsgeiſtlichen; Pfarrer Griſe=
bach
, der für den evangeliſchen Auswandererverein
Witzenhauſen, und Oberlehrer Moldenke=Groß=
Lichterfelde, der für die Beeinfluſſung der höheren
Schulen durch Miſſionsvorträge und für den Laien=
miſſionsbund
eintrat. Sämtliche Redner gaben der Ge=
nugtuung
darüber Ausdruck, daß der Evangeliſche
Bund die Plattform ſeiner großen Organiſation dem
Schutze der Auslandsdiaſpora und der evangeliſchen
Miſſion zur Verfügung ſtellt. Die obenſtehende Kund=
gebung
wurde einſtimmig angenommen.
Vor der Diskuſſion war die eingelaufene Ant=
wort
des Königs von Sachſen mitgeteilt wor=
den
: Se. Majeſtät der König von Sachſen haben mich
beauftragt, der Generalverſammlung des Evangeliſchen
Bundes Allerhöchſt Seinen Dank für die Huldigung zu
übermitteln. Major Könneritz, Flügeladjutant.
In der geſchloſſenen Abgeordnetenver=
ſammlung
nachmittags, an der ungefähr 1000 Dele=
gierte
teilnahmen, wurden wichtige Organiſationsfra=
gen
behandelt und wurde über den Jahresbericht dis=
kutiert
. Am Abend fand unter abermals gewaltiger
Beteiligung die unter Leitung von Amtsgerichtsrat
Parzer=Chemnitz ſtehende, durch Orgelſpiel und Geſang
verſchönte zweite Volksverſammlung ſtatt.
Erſter Redner des Abends war Pfarrer Pröbſting= =
denſcheid
. Sein Thema hieß: Mehr Verſtändnis für
Organiſation. Den zweiten Vortrag hatte Profeſſor
D. Schian von der Univerſität Gießen übernommen
über das Thema: Mehr Teilnahme am Leben der Ge=
meinde
Mit dem gemeinſamen Geſang des proteſtan=
tiſchen
Schutz= und Trutzliedes Evangeliſch bis zum
Sterben, deutſch bis in den Tod hinein ſchloß die
ſchöne Kundgebung deutſch=proteſtantiſcher Treue.
28. Sept. Wie auf allen letzten Generalverſamm=
lungen
des Evangeliſchen Bundes, ſo hat ſich auch in
Chemnitz die Anziehungskraft des Bundesgedankens
auf die Maſſen durchaus bewährt. Auf die vollen Kir=
chen
ſind fünf öffentliche Verſammlungen gefolgt, in
denen viele Tauſende geſpannt und begeiſtert den Red=
nern
gelauſcht haben. Auch die heutige Hauptver=
ſammlung
lieferte den Beweis, daß in Sachſen und
Deutſchland der Proteſtantismus eine im Volke tief
wurzelnde Macht iſt. Nach Geſang und Gebet eröffnete
der ſtellvertretende Vorſitzende des Geſamtbundes,
Superintendent D. Wächtler=Halle a. S., die Ver=
ſammlung
mit einer Anſprache. Generalſuperintendent
D. Kaftan=Kiel nahm darauf das Wort zum Haupt=
vortrag
der Tagung: Gemeinſame Weltanſchauung,
Ultramontanismus und Proteſtantismus‟ Nach der
mit ſtürmiſchem Beifall aufgenommenen Rede nahm,
nachdem der geſchäftsführende Vorſitzende, Liz. Ever=
ling
, mitgetilt hatte, daß die nächſtjährige Jubiläums=
verſammlung
in Erfurt tagen werde, Geh. Kirchenrat
D. Meyer das Wort, um in dankenden Worten für die
Geber mitzuteilen, daß die Feſtgabe zur Chemnitzer
Generalverſammlung des Evangeliſchen Bundes im
Königreich Sachſen die Höhe von rund 42000 Mk
erreiche. Mit freudigem Beifall nahm die Verſamm=
lung
von dieſem großartigen Zeugnis deutſch= prote=
ſtantiſcher
Opferwilligkeit im Jahre der Borromäus=
Enzyklika Kenntnis. Die Feſtſtadt ſelbſt iſt mit rund
8000 Mark in dieſer Summe vertreten; die höchſte
Summe hat Plauen aufgebracht (14000 Mark), eine
Ehrung für den verewigten, langjährigen Vorſitzenden
des Plauener Zweigvereins, Kommerzienrat Uebel.
Die Gabe wird der Förderung evangeliſcher Intereſſen
in Oeſterreich dienen. Vor der Hauptverſammlung
fanden wichtige Ausſchußſitzungen ſtatt; auch die
akademiſchen Ortsgruppen ſetzten ihre Beratungen fort.
Mit einem Feſteſſen, Konzert in der Schloßkirche und
in den drei Schloßteichgärten heute abend, bei denen
verſchiedene Anſprachen gehalten werden ſollen, ſchließt
die glänzend verlaufene 23. Generalverſammlung des
Evangeliſchen Bundes in Chemnitz.

Der 20. Bundestag der deutſchen
Bodenreformer findet in Gotha vom 2. bis 4.
Oktober ſtatt. Welchen bedeutenden Einfluß die Boden=
reformer
in den letzten Jahren in Deutſchland bekom=
men
haben, zeigt ihre ſtattliche Gefolgſchaft. Allein 500
Vereine mit rund 800000 Mitgliedern gehören ihm an,

außerdem haben bis jetzt 65 Gemeinden, u. a. München,
Hannover und Straßburg, ſich ihm körperſchaftlich an=
geſchloſſen
. Auf dem Bundestage werden vertreten ſein:
das Reichsamt des Innern, das Reichsſchatzamt, das
Großherzoglich=Sächſiſche Staatsminiſterium und viele
Städte. Dem Bunde befreundete Organiſationen, wie
der Verband mittlerer Reichs=, Poſt= und Telegraphen=
Beamten, der Deutſche Werkmeiſter=Verband, der Ge=
ſamtverband
der evangeliſchen Arbeitervereine Deutſch=
lands
, der Deutſchnationale Handlungsgehilfen= Ver=
band
, der Rheiniſche Verein zur Förderung des Klein=
Wohnungsweſens und andere Körperſchaften werden
offizielle Vertreter entſenden. Die Tagesordnung hat
für Freunde und Gegner weitgehendſtes Intereſſe.

* Lugano, 28. Sept. Die Internationale
Vereinigung für geſetzlichen Arbeiter=
ſchutz
nahm in ſeiner Schlußſitzung einen Antrag an,
den ſchweizeriſchen Bundesrat zu erſuchen, die Indu=
ſtrieſtaaten
einzuladen, eine Konferenz zu beſchicken,
auf der durch Staatsverträge das Verbot der Nacht=
arbeit
der jugendlichen Arbeiter, ſowie der Zehnſtun=
dentag
für Frauen und Jugendliche in Gewerbebetrie=
ben
zu beſchließen ſein wird. Außerdem ſollen die Lan=
desſektionen
bei ihren Regierungen auf die Bekämpf=
ung
der Giftgefahren in ihren Betrieben, auf Schutz
für Arbeiter in der Druckluft, auf die Beſchränkung
der Nachtarbeit Jugendlicher in Wirtſchaften, Läden
und Bureaus, auf Abkürzung der Arbeitszeit in ge=
fährlichen
Betrieben und die Einführung der Achtſtun=
denſchicht
in den Kohlenbergwerken hinwirken. End=
lich
iſt als eine neue Aufgabe auserſehen die Gleichſtel=
lung
ausländiſcher Arbeiter mit den Inländern in der
geſamten ſozialpolitiſchen Verſicherung und die Um=
frage
über die Kinderarbeit. Die nächſte Tagung wird
im Herbſt 1912 in Zürich abgehalten.

Stadtverordneten=Verſammlung.
* Darmſtadt, 29. September.
Oberbürgermeiſter Dr. Gläſſing eröffnet die Sitz=
ung
um 4 Uhr und macht die nachſtehenden
Mitteilungen;
Der Herr Oberbürgermeiſter hat Ihrer Königlichen
Hoheit der Großherzogin aus Anlaß ihres Ge=
burtstages
die Glückwünſche der Stadt ausgeſprochen.
Ihre Königliche Hoheit hat, wie bereits durch die Preſſe
bekannt gegeben, hierfür telegraphiſch gedankt. Das Prä=
ſidium
der Kriegerkameradſchaft Haſſia hat der Stadt
für die beim Ableben Sr. Exz. des Generalleutnants z. D.
Hof bewieſene Anteilnahme gedankt. Der Pferde=
zuchtverein
hat unter Ueberſendung von Eintritts=
karten
uſw. zum Beſuche des diesjährigen Herbſt= Pferde=
marktes
eingeladen. Die Mitglieder der Großh. Hof=
kapelle
danken für die dem Hilfsfönds für die Hofmuſik
aus Anlaß der 100jährigen Jubelfeier des Hoftheaters be=
willigte
Zuwendung von 2000 Mark und bitten, dieſen
Betrag dem Orcheſter zur freien Verfügung zu übermitteln.
Oberbürgermeiſter Dr. Gläſſing kann ſich hierzu nicht einver=
ſtanden
erklären, da der Betrag nur zu Zwecken des Hof=
theater
=Hilfsfonds bewilligt wurde. Die Eingabe geht an
den Finanz=Ausſchuß. Der Jahresbericht der
ſtädtiſchen Sparkaſſe für 1909 liegt im Druck vor
und wird an die Mitglieder der Verſammlung verteilt.
Aus Anlaß der 40jährigen Gedenkfeier der
Schlachten um Metz hat die Stadt einen Lorbeer=
kranz
mit blauer Schleife und der goldgedruckten Wid=
1mung: Den tapferen Söhnen Heſſens gewidmet von der
Stadt Darmſtadt an dem Denkmal der Großh. Heſſiſchen
25. Diviſion bei Amanweiler niederlegen laſſen. Nach den
Feſtſtellungen eines hieſigen Beſuchers des Heſſen=
denkmals
iſt der untere Teil der Schleife mit der
Widmung abgeſchnitten und entfernt worden. Dadurch
erklärt ſich die auch in einer hieſigen Zeitung gebrachte
Notiz, Darmſtadt hätte von den heſſiſchen größeren
Städten allein es verſäumt, einen Kranz niederlegen zu
laſſen. Der Großh. Hofſchauſpieler und Hofrezitator Her=
mann
Knispel hat der Stadt in dankenswerter Weiſe
ſeine Sammlung von Bildern und Gegenſtänden, die auf
die Geſchichte des Großh. Hoftheaters ſich beziehen, für
Zwecke des ſtädtiſchen Muſeums laut beſonderer
Schenkungsurkunde zugewieſen. Oberbürgermeiſter Dr.
Gläſſing ſpricht dem Geſchenkgeber den Dank der Stadt=
verwaltung
aus. Das mit Frl. Reineck beſtehende Miet=
verhältnis
für die Räume des ehemaligen Reineck=
ſchen
Inſtituts in der Zimmerſtraße ſoll bis Oktober
1911 verlängert werden, da das Anweſen bis dahin für
ſtädtiſche Schulzwecke verwendet werden muß. Die Ver=
ſammlung
ſtimmt dem Antrag zu. Der Rentner und
frühere Metzgermeiſter W. Hechler wendet ſich in einer
Eingabe gegen die in der letzten Sitzung der Stadtver=
ordneten
=Verſammlung bei der Debatte über die
Fleiſchpreiſe vertretene Auffaſſung, daß der
Metzgerberuf hinſichtlich ſeines Verdienſtes an erſter
Stelle des geſamten Handwerks ſtehe und regt
an, eine beſondere Kommiſſion zur Feſtſetzung der
Fleiſchpreiſe einzuſetzen. Im Anſchluß an dieſe Mittei=
lung
verlieſt Beigeordneter Mueller folgende Erklä=
rung
des Herrn Stadtv. C. Lautz zur
Frage der Fleiſchteuerung:
Ich habe in dieſer Frage ſchon meinen Standpunkt
dahin erläutert, daß es den Stadtverwaltungen vorbehal=
ten
bleiben muß, den Gang der Fleiſchpreiſe zu über=
wachen
und die Urſache einer etwaigen Teuerung näher
zu unterſuchen, weil hohe Fleiſchpreiſe die Ernährung brei=
ter
Volksmaſſen auf das äußerſte gefährden können. Ich
war und bin deshalb mit dem Vorgehen des Herrn Beige=
ordneten
Mueller völlig einverſtanden und anerkenne auch,
daß ſeine Aeußerungen im großen ganzen ſachlich gehalten
waren. Immerhin brachte er in ſeiner Rede eine Reihe
Angriffspunkte gegen das Metzgergewerbe, die nicht un=
widerſprochen
bleiben dürfen und die er jedenfalls unter=
laſſen
hätte, wenn er ſich über die Betriebs= und Geſchäfts=
verhältniſſe
des Gewerbes bei einem Fachmanne näher in=
formiert
hätte. Ich darf doch wohl behaupten, daß eine
ſo weitgehende Kritik eines Berufszweiges nur dem er=
laubt
ſein kann, der mit deſſen innerſtem Weſen voll ver=
traut
iſt; denn in jedem Gewerbe wird der geſchäftliche
Nutzen durch eine Reihe Umſtände beeinflußt, die nur der
kennt, der darin arbeitet.
So darf ich weiter feſtſtellen, daß ſich der Herr Beige=
ordnete
im Irrtum befindet, wenn er ſagt, daß die Bevöl=
kerung
die Steigerung der Fleiſchpreiſe und deren Urſache
nicht verſtehe. Trotzdem die Kundſchaft durch die hohen
Preiſe ſo ſehr in Mitleidenſchaft gezogen iſt, bringt ſie den
Verhältniſſen das Verſtändnis entgegen, daß die Steige=
rung
der Fleiſchpreiſe ſich naturgemäß aus den allgemein
geſtiegenen Viehpreiſen ergibt und daß zum minde=
ſten
die Metzger hierbei weder Schuld, noch
Vorteil haben. Wie hoch die Viehpreiſe von 1900
bis 1908 geſtiegen ſind, dürfte aus der Zuſammenſtellung

der amtlichen Marktpreiſe für Durchſchnittsware in 15
Städten (Anlage 1) klar zu erſehen ſein; ſeit dieſem Jahre
ſind ſie noch bedeutend in die Höhe gegangen (Anlage 2).
Der Herr Beigeordnete glaubt, daß Zweifel darüber
laut geworden wären, ob die jüngſt eingetretene Erhöhung
des Preiſes für Ochſen=, Kuh= und Rindfleiſch
ſich durch die Marktpreiſe rechtfertigen ließe, kommt aber
ſelbſt zu dem Ergebnis, daß dieſes wohl der Fall ſei. Aus
Anlage 3 wird hervorgehen, daß die Viehpreiſe in der hie=
ſigen
Gegend ſchon ſeit längerer Zeit ſehr hohe ſind, wäh=
rend
ſich aus Anlage 4 ergibt, daß die hieſigen Metzger
gegen die der umliegenden Städte mit dem Aufſchlag am
längſten gewartet haben. Trotzdem die Preiſe für Ochſen
und Kühe einen Aufſchlag ſchon im Januar gerechtfertigt
hätten, zögerte man damit, weil man ſich damals ſchon be=
wußt
war, daß mit jeder Erhöhung der Preiſe der Konſum
bedeutend nachlaſſen wird, und daß namentlich die ärmere
Beyölkerung zum Kaufe von billigem, wenig nahrhaftem
Kuhfleiſch getrieben wird. Schweine ſind der ab= und auf=
ſteigenden
Konjunktur ſo raſch gefolgt, wie es eben möglich
iſt, das Kalbfleiſch aber wurde und wird jetzt noch bedeu=
tend
billiger verkauft, als es beim Einkaufe ſteht.
In der Rede des Herrn Beigeordneten wurde auch
auf den Antrieb der einzelnen Tiergattungen hinge=
wieſen
und geſagt, daß die Preiſe für Ochſen und Kühe
ſich durch die Auftriebsziffern wohl rechtfertigen ließen, daß
ſieraber bei Schweinen und Kälbern in einem gewiſſen
Mißverhältnis zu ſtehen ſchienen. Hierbei iſt ganz außer
acht gelaſſen, daß dem Auftrieb die Nachfrage
gegenüberſteht und die Preiſe von derem beiderſeitigen
Verhältnis abhängig ſind. Die Nachfrage iſt aber ſowohl
in Frankfurt wie auch in Mannheim (Mainz iſt Lokalmarkt
und kommt nicht in Betracht) deswegen eine bedeutende,
weil nicht nur viele Landmetzger aus Mangel an Vieh
auf dem flachen Lande dieſe Märkte beſuchen, ſondern auch
Metzger und Händler aus weiteren Gegenden, wie Elſaß
und Rheinland, ihren Bedarf dort decken. Selbſtverſtänd=
lich
gibt es auf den Märkten Rückſchläge und kann man
beobachten, daß nach hohen Preiſen bei geringem Auftrieb
der nächſte Markt ſozuſagen überfahren wird. Dieſe Au=
genblickserſcheinungen
müſſen aber außer Be=
tracht
bleiben, denn es dürfte doch klar ſein, daß die
Fleiſchpreiſe nicht von Woche zu Wache erhöht oder herab=
geſetzt
werden können. Wenn deshalb in der Rede auf den
Abſchlag der Preiſe am 22. und 29. Auguſt verwieſen iſt,
ſo darf dem gegnübergeſtellt werden, daß der nächſte
Markt in Frankfurt ſchon wieder erhöhte Preiſe brachte,
prima Ochſen am 5. September 95 Pfg., am 12. September
ſogar 98 Pfg., Kühe 85 Pfg. koſteten. In Mannheim blieb
der Preis mit 92 Pfg. für Ochſen noch beſtehen, ſtieg aber
am 12. auf 94, Kühe koſteten am 5. 92 Pfg. und am 12.
95 Pfg.
Der Herr Beigeordnete kommt zu dem Schluß, daß un=
ter
Berückſichtigung der bedeutend erhöhten Geſchäfts=
unkoſten
die Steigerung der Fleiſchpreiſe gerechtfertigt
wäre, wenn die früheren Ladenpreiſe in einem normalen
Verhältnis zu den Schlachtgewichtspreiſen geſtanden hätten
und glaubt, daß die Spannung zwiſchen Ein= und Ver=
kaufspreiſen
bei Schweinen heute noch eine recht erheb=
liche
ſei. Dieſe Beurteilung aber iſt nur möglich auf
Grund ganz genauer Kenntnis der Geſchäftsführung und
namentlich der tatſächlichen Verkaufspreiſe. Jeder
Metzger, auch der Schweinemetzger, kann im großen gan=
zen
nur ganze Tiere kaufen und muß dabei ein erheb=
liches
Quantum ſolcher Teile mitkaufen, die nur ſchwer
und zu billigem Preiſe fortzuſchaffen ſind; bei Großvieh
iſt dieſes Sack=, Nieren= und Schlußfett, die fetten Bauch=
ſtücke
uſw., bei Schweinen Kopf und Füße uſw. Es darf
auch geſagt werden, daß dieſer Umſtand die Geſchäftsfüh=
rung
auf das äußerſte erſchwert, weil jeder Metzger in
die Notwendigkeit verſetzt wird, einem Kunden einmal
ein Stück Fleiſch zu geben, von dem er weiß, daß es nicht
zur Zufriedenheit des Kunden ausfällt. Bei Schweine=
metzgern
iſt es insbeſondere der hier ſehr eingebürgerte
10 Pfennig=Verkauf, der die offiziellen Preiſe ganz erheb=
lich
herabmindert. Berückſichtigt man noch das Eintrock=
nen
der Ware und nicht in letzter Linie den verwöhnten
Geſchmack der Bevölkerung, die größtenteils alles Fett,
ſelbſt das an magern Stücken gewachſene, zurückweiſt, ſo
wird man einſehen, daß ein oberflächlicher Ver=
gleich
der Viehpreiſe mit den Fleiſchprei=
ſen
nicht ſtichhaltig ſein kann.
Leider kam der Herr Beigeordnete auch auf das Thema
der Rentneranwartſchaft der Metzger zu
ſprechen. Wenn er auch nicht ſagte, daß jeder Metz=
ger
der geborene Rentner ſei, und wenn er zu=
gibt
, daß die Rentabilität des Metzgergewerbes ebenfalls
geſunken ſei, ſo meint er doch, das Metzgergewerbe ſtände
in dieſer Beziehung oben an. Ich bin nicht ſo unduld=
ſam
, wie es der Handwerkerſtand im allgemeinen gegen=
ſeitig
iſt und gebe gerne zu, daß unter Umſtänden bei
Einbringen erheblicher Barmittel in das Geſchäft auch im
Metzgergewerbe in normalen Zeiten etwas erübrigt wer=
den
kann, weil das Betriebskapital oft umgeſchlagen wird.
Vergeblich ſuche ich aber unter den Metzgern ſolche Rent=
ner
, wie ſie aus anderen Gewerbszweigen hervorgehen, die
zum Teil Automobil fahren und ſich Ausgaben erlauben
können, die der Metzger=Rentner ſich verſagen muß. Man
wird nicht beſtreiten können, daß nur der Metzger in ſeinem
Geſchäft voran kommen kann, der von früh bis ſpät mit
ſeiner ganzen Familie fleißig tätig iſt. Er ſelbſt muß mit
ſeiner Perſon vorne ſtehen, ſolange er das Geſchäft be=
treibt
,denn eine Vertretung für ihn gibt es nicht. Wohl kommt
dann die Zeit beieinem früher, beim andern ſpäter- wo er
den Anforderungen, die das Geſchäft ſtellt, nicht mehr ge=
nügen
kann und er ſich zur Ruhe ſetzen muß. Wieviel
Mittel ihm dann für ſein Privatleben zur
Verfügung ſtehen, dürfte eine andere
Frage ſein! Wenn früher das Geſchäft durch zwei
und mehr Generationen ging, bis ein gewiſſer Wohlſtand
eintrat, ſo liegen die Verhältniſſe heute noch ungünſtiger.
Die Abnutzung der Kräfte im Geſchäft iſt aber weſentlich
geſtiegen.
Ich bedauere ſelbſt, daß ich hier feſtſtellen muß, daß
namentlich in unſerer Stadt die Verhältniſſe der Metzger
nichts weniger als erfreulich ſind und ein großer Teil ar=
beitet
, um zu leben. Es erklärt ſich dieſes von ſelbſt da=
durch
, daß der Bedarf der Stadt mit rund 90000 Einwoh=
nern
von 180 einheimiſchen Metzgern gedeckt wird und mehr
als 40 Landorte an der Einfuhr beteiligt ſind; ohne die
letzteren kommt alſo auf 500 Einwohner ein Metzger. Wir
haben eine Reihe Großviehmetzger, die jährlich nur 25 bis
30 Stück ſchlachten und dabei, hoch genommen, einen Um=
ſatz
von 1015000 Mark erreichen. Wie dall Ver=
mögen
verdient werden lönnen, kkann je=
dermann
ſich ſelbſt ausrechnen! Gerade beſſere
Kunden beziehen von auswärts und dabei iſt der Fleiſch=
bedarf
mangels eines nenuenswerten Fremdenverkehrs
an ſich gering; die für kleinere Städte, wie Worms, Ha=
nau
und Fulda bedeutſame kaufkräftige Landbevölkerung
fehlt hier faſt ganz.

[ ][  ][ ]

Seite 5.

Nummer 229.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 30. September 1910.

So iſt das Metzgergewerbe hier Verhältniſſen preis=
gegeben
, die den Wettbewerb auf das ſchärfſte anſpornen,
dem Publikum werden Konzeſſionen gemacht, die den ge=
ſchäftlichen
Nutzen durch erhöhte Ausgaben für Bedienung
uſw. auf das äußerſte einſchränken. Aus allen die=
ſen
Gründen haben die hieſigen Metzger,
wie ich Sie verſichern darf, mit der Er=
höhung
der Fleiſchpreiſe ſolange gezö=
gert
, bis es nicht mehr zu umgehen war, und
wohl warſichdas Gewerbebewußt, daß, wie ich
vorn ſchon ſagte, jedeneue Steigerung den Kon=
ſumnochmehreinſchränken
muß. Die Lehre, die
der Herr Beigeordnete Mueller dem Metzgerſtand am
Schluſſe ſeiner Ausführungen geben zu müſſen glaubte,
hatte dieſer ſchon lange ſich ſelbſt gezogen. Er iſt ſich
aber auch bewußt, daß er den verſteckten
Vorwurf, von der Aufhebung des Oktrois
allein Nutzen gezogen zu haben, nicht ver=
dient
!

Die Metzger waren ſchon nicht aufgeſchlagen, weil
ſie von der Aufhebung des Oktrois Beſſerung erwar=
teten
. Die Stadtverwaltung aber brachte als finan=
zielle
Maßregel Schlachtgebühren in Vorſchlag, die
dem früheren Oktroi ſozuſagen gleich kamen und
eigentliche Schlachtgebühren nicht mehr genannt wer=
den
konnten. Trotz der durch das Großh. Miniſterium
veranlaßten Herabſetzung ſind ſie heute noch die weit=
aus
höchſten in ganz Deutſchland. Eine eigentliche
Erſparnis iſt nur bei Ochſen zu verzeichnen, ſie be=
trägt
10 Mark, d. h. bei 800 Pfund Durchſchnittsgewicht
1,25 Pfennige pro Pfund. Ich darf wohl fra=
gen
, ob unter ſolchen Verhältniſſen das Metzger=
gewerbe
den Wegfall des Oktrois mit einer Herab=
ſetzung
der Fleiſchpreiſe beantworten konnte‟ Nach
den Aeußerungen des Herrn Beigeordneten glaubt die
Stadt von einer vorübergehenden Aufhebung der
Schlachtgebühren keine Ermäßigung der Fleiſchpreiſe
erwarten zu dürfen, weil hier und anderwärts die Er=
fahrung
dieſes lehre. Es blieb dieſes abzuwarten,
wenn auch immerhin der Abſchlag in den Grenzen ſich
halten müßte, die durch die Höhe der Gebühr feſtgelegt
iſt und wobei auch die allgemeine Konjunktur das erſte
Wort mitzureden hätte. Die Stadt ſcheint aber nicht
gewillt zu ſein, auf dieſe Einnahmequelle zu verzich=
ten
! Es wird weiter die Frage ventiliert, ob durch
Errichtung einer ſtädtiſchen Maſtanſtalt für
Schweine das Angebot vermehrt werden könnte;
hierbei iſt vor allem zu berückſichtigen, daß durch die
Verfütterung des Abfalles aus Krankenhäuſern und
dergleichen nie erſtklaſſiges, brauchbares Schweine=
fleiſch
produziert werden kann und daß durch auf=
tretende
Seuchen anderwärts die Beſtände dezimiert
worden ſind.
Mit Recht ſieht der Herr Beigeordnete in der Er=
richtung
einer Gemeindeſchlächterei ein
noch größeres finanzielles Riſiko. Die Summen,
die anderwärts bei ſolchen Verſuchen geopfert wur=
den
, laden keineswegs zur Nachfolge ein. Das Metzger=
gewerbe
würde ſchließlich die darin liegende wirtſchaft=
liche
Schädigung auf ſich nehmen müſſen, denn es
tauſchte dafür den Vorteil ein, daß endlich ein=
mal
über ſeinen geſchäftlichen Nutzen
volle Klarheit geſchaffen würde.
In der Rede iſt zugegeben, daß gleiche Verhältniſſe
in ganz Deutſchland herrſchen und=grundlegende Ab=
hilfe
nur von der Reichsregierung zu erwarten iſt.
Die Bürgermeiſterei hatte ſich deshalb an das Großh.
Miniſterium gewandt, ohne beſtimmte Vorſchläge zu
machen. Aehnliche Schritte haben andere Stadtver=
waltungen
unternommen, Bevölkerungsgruppen haben
dringend Abhilfe von der Reichsregierung verlangt,
der Deutſche Fleißer=Verband und andere Inter=
eſſentenkreiſe
haben unzählige Eingaben abgeſchickt,
der Verband hat letzte Woche eine Audienz bei dem
Herrn Landwirtſchaftsminiſter gehabt. Das Ergeb=
nis
war: Ausweichende Antworten und
die Ablehnung jeglicher ernſtlicher Maß=
regel‟
. Die verlangte Oeffnung der Grenzen für
die Einfuhr von Vieh wird in Rückſicht auf die ver=
meintliche
Seuchengefahr, die, wie auch in der Rede
zugegeben wird, gar nicht vorhanden iſt, mit
der Behauptung verweigert, daß auch im Auslande
Viehmangel herrſche. Es ſei zugegeben, daß nament=
lich
in Oeſterreich mit der Erſchwerung der Vieh=
ausfuhr
nach Deutſchland die Prodnktion zurückging
und zur Zeit ſelbſt einiger Mangel Platz greift. Dort
hat man ſich aber geholfen durch die viehreichen Hinter=
länder
, wie Serbien, Rumänien uſw. Das öſterreichiſche
Vieh iſt bei weitem geſünder als das deutſche; eine Reihe
von Staaten, wie Dänemark, Holland und Frankreich
könnten Vieh zu weitaus billigerem Preis liefern. Ein
erheblicher Rückgang der Preiſe wäre durch die leicht
zu ermöglichende Vieheinfuhr aus Argentinien herbei=
zuführen
. Es müſſen aber Tuberkulin=Impfung, Qua=
rantäne
uſw. herhalten, um die noch geſtattete Einfuhr
zu verteuern und zu erſchweren, weil alle Forde=
rungen
abprallen an der einſeitigen In=
tereſſenpolitik
der Großgrundbeſitzer,
von der, wie beſonders hervorgehoben werden muß,
weder Mittel= noch Kleinbauer irgend=
wie
Nutzen noch Vorteil haben, die aber
vorallem dem Metzgergewerbeſeit Jahr=
zehnten
die ſchwerſten Laſten auferlegt
hat.
Hier iſt der Grund alles Uebels zu
ſuchen! Es iſt von vornherein feſtzuſtellen, daß die
Fleiſchproduktion in Deutſchland mit Ausnahme der
Marſchgegenden nicht Haupt=, ſondern Nebenzweck iſt.
Ochſen werden zum Zug benutzt, Kühe, ſo lange ſie
milchergiebig ſind, abgemolken und dann möglichſt raſch
mit künſtlichen Futtermitteln gemäſtet. Ob das pro=

Entgegenkommen der Regierung werden die ganzen
Notierungen unter, hohen Koſten für die betreffenden
Marktverwaltungen nach Lebendgewicht vollführt. Das
endgiltige Streben geht dahin, den Handel nach
Lebendgewicht der dem Betrug Tür und Tor
öffnet, zwangsweiſe einzuführen.
Des weiteren hat die Landwirtſchaft gar kein In=
tereſſe
mehr daran, ob das verkaufte Vieh geſund oder
krank iſt, denn ſie erzielt für dieſes ſo viel, wie für
jenes. Wenn ſchon in dem Währſchaftserlaß nur wenige
Tierkrankheiten als Hauptmangel gelten, ſo verweigert
durchweg die Landwirtſchaft auch die geſetzliche
Währſchaft. Während jeder Kaufmann in der Lage iſt,
die gekaufte Ware zur Verfügung zu ſtellen, ſofern ſie
nach ſeiner Anſicht dem Muſter nicht entſpricht, muß der
Metzger, jedem Handelsgebrauch entgegengeſetzt, den
Schaden auf ſich nehmen. Er bleibt bei der Beurteil=
ung
des Viehes ausgeſchloſſen, denn der Tierarzt

entſcheidet, während er nur zahlen darf. Jeder Metz=
ger
wird die Handhabung der Fleiſchbeſchau nur be=

grüßen, daß aber deren Koſten, die im Jahre 1908 die
Summe von 37 400000 Mark betrugen, von den
Landwirten auf die Metzger abgewälzt wurden, kann
jedenfalls einer Verbilligung der Fleiſchpreiſe nicht
dienlich ſein. Den tatſächlichen Mangel an Vieh (Anl. 5)
weiß die Zentralſtelle für Viehverwertung, wie vor
mehreren Jahren, durch geſchickte Schiebungen zu ver=
ſchleiern
, indem ſie größere Mengen Vieh nach den
Gegenden oder Märkten weiſt, in denen die Preiſe an=
gezogen
haben. Es iſt das gleiche Vorgehen, wie ſie es
in umgekehrten Verhältniſſen bei der Milch fertig
bringen, durch künſtliches Fernhalten die Preiſe hoch=
zuſchrauben
.
Es haben ſich hier Verhältniſſe herausgebildet, die
auf die Dauer zu dem führen müſſen, was auch von
dem Herrn Beigeordneten geſagt wurde, zu einer
Unterernährung weiter Volkskreiſe. Ich
glaube nachgewieſen zu haben, daß die Metzger die
Mitnotleidenden ſind und daß die Schuld
nur der zur Zeit vorherrſchenden Agrar=
politik
, die auch auf anderen Gebieten das Volk
in Mitleidenſchaft zog, beizumeſſen iſt. Zu einer durch=
greifenden
Beſſerung müſſen alle beteiligten Faktoren
in kräftiger Weiſe mitwirken.
Hierzu bemerkt Beigeordneter Mueller:
Auf die letzten Ausführungen kann ich es mir ver=
ſagen
, näher einzugehen, ſie berühren Dinge, auf die die
Stadtverwaltung keinen Einfluß ausüben kann. Ich
habe bereits am 1. September hier mitgeteilt, daß wir
uns an das Großh. Miniſterium mit der Anfrage ge=
wandt
haben, ob es geeignete Schritte bei der Reichs=
regierung
getan habe oder tun werde, und nach welcher
Richtung hin ſich dieſe Schritte bewegen. Auch andere
heſſiſche Städte, wie Mainz und Offenbach, ſowie die
Mainzer Handelskammer, haben ſich in gleicher Ange=
legenheit
an die Zentralbehörde gewandt. Nach einer
mir von dem Miniſterium auf telephoniſche Anfrage
vorläufig gewordenen Mitteilung ſind Verhandlungen
eingeleitet worden, deren Ergebnis aber zurzeit noch
nicht vorliegt.
Was den Inhalt der Erwiderungsſchrift im übrigen
anbetrifft, ſo muß ich vor allem der Behauptung wider=
ſprechen
, als ob ich den Metzgern den verſteckten Vor=
wurf
gemacht hätte, ſie hätten von der Aufhebung des
Oktrois allein Nutzen gezogen. Es iſt bei den ganzen
Verhandlungen über die Erhöhung der Schlachtge=
bühren
keinen Augenblick davon die Rede geweſen, daß
man erwarte, die Minderbelaſtung des Metzgerſtandes
mit etwa 80000 Mark würde dem Publikum zugute
kommen. Herr Lautz berechnet den Nutzen bei dieſer
Minderbelaſtung für den Ochſenmetzger auf etwas mehr
als 1 Pfg. pro Pfund. Das Publikum wäre gewiß
dankbar geweſen, wenn das Fleiſch damals auch nur um
dieſen 1 Pfg. abgeſchlagen wäre. Aber das hat man,
wie geſagt, nicht erwartet. Man hat damals ausdrück=
lich
anerkannt, daß durch die Erhöhung der Gebühren
die Konkurrenzfähigkeit der hieſigen Metzger beein=
trächtigt
wird und die genannte Minderbelaſtung daher
wohl als ein Ausgleich angeſehen werden kann. Es
kann aber doch nicht beſtritten werden, daß die Erhöhung
der Schlachtgebühren von den Metzgern als eine zu
ſtarke Belaſtung des Gewerbes bekämpft wor=
den
iſt. Dieſe Begründung wäre unrichtig oder unver=
ſtändlich
, wenn die Metzger die Abſicht gehabt hätten,
die Fleiſchpreiſe um den Betrag der weggefallenen
Oktroiſätze zu reduzieren. Herr Lautz ſagt jetzt zwar,
es bliebe abzuwarten, ob bei einer vorübergehenden
Aufhebung der Schlachtgebühren ein Abſchlag der
Ladenpreiſe eintreten würde, er fügt aber gleich
hinzu, daß hierbei natürlich auch die all=
gemeine
Konjunktur das erſte Wort mit=
zureden
hätte. Dieſe Einſchränkung beweiſt doch,
daß man nicht ohne weiteres bereit wäre, die Fleiſch=
preiſe
um den Betrag der etwa weggefallenen Gebühren
zu erniedrigen. Daß die Stadt bei dieſer Sachlage Be=
denken
tragen muß, die Frage einer vorübergehenden
Aufhebung der Schlachtgebühren, als deren unmittel=
bare
Folge eine Steuererhöhung Platz greifen müßte,
in Erwägung zu ziehen, dürfte ohne weiteres verſtänd=
lich
ſein.
Widerſprechen muß ich aber mit allem Nachdruck
der Auffaſſung des Herrn Lautz, als ob nur der die
Verhältniſſe im Metzgergewerbe beurteilen könne, der
darin arbeitet. Es liegen ſo viele einwandfreie Ziffern
und Feſtſtellungen über die Faktoren vor, die in dem
Gewerbe eine weſentliche Rolle ſpielen, daß eine unan=
fechtbare
Grundlage für eine Beurteilung der geſamten
Verhältniſſe des Metzgerſtandes, insbeſondere ſeiner
wirtſchaftlichen Lage auch dem Außenſtehenden durchaus
möglich iſt. Natürlich bedürfen dieſe Unterlagen eines
eingehenden Studiums, dem ich mich ſelbſtverſtändlich
unterzogen habe, ehe ich mit meinen Ausführungen an
die Oeffentlichkeit getreten bin. Das große Publikum
hat allerdings keinen tieferen Einblick in die Verhält=
niſſe
des Metzgergewerbes. Es verſteht wohl, daß die
Fleiſchpreiſe mit den Viehpreiſen ſteigen müſſen, und
es iſt weit davon entfernt, die Schuld an der Steige=
rung
der Viehpreiſe den Metzgern beizumeſſen. Das,
was der Mehrzahl der Konſumenten aber nicht ohne
weiteres einleuchtet, das iſt die Höhe des Unterſchiedes
zwiſchen den Einkaufs=, d. h. den Schlacht=
gewichtspreiſen
, und den Verkaufs=, d. h.
den Ladenpreiſen. Dieſe Differenz betrug im
Laufe des letzten Jahres z. B. bei Schweinefleiſch bei
dem Bauchfleiſch 1318 Pfg, pro Pfund, bei Braten=
ſtücken
1926 Pfg., zumeiſt mehr als 22 Pfg. pro Pfund,
bei Kotelettſtücken 2330 Pfg., bei Schmalz 1324 Pfg.
Allgemein bekannt iſt, daß es beim Schwein unverwert=
bare
Teile an dem als Schlachtgewicht geltenden Fleiſch
überhaupt nicht gibt, und daß auch die ſogenannten
Freiteile, die für ſich allein einen Wert von durch=
ſchnittlich
6 Mk. pro Schwein darſtellen, reſtlos, verar=
beitet
und verwertet werden können. Beim Großvieh
tritt der Unterſchied zwiſchen Schlachtgewicht und Laden=
preis
weit weniger in die Erſcheinung. Zur Zeit ſind
die beiden Sätze ſogar faſt gleich. Der Verdienſt des
Metzgers beim Großvieh wird hierbei in der Haupt=
ſache
durch die Verwertung der hier ſehr wertvollen
Freiteile erzielt, d. h. der Teile des Viehes, die bei
Feſtſtellung des Schlachtgewichts nicht mitgewogen und
dem Metzger ohne beſondere Gegenleiſtung überlaſſen
werden, wie Kopf mit Zunge, Haut, Herz, Lunge, Leber,
Magen uſw. Der Mindererlös für Abfall und Nie=
renfett
wird reichlich durch die höhere Verwertung von
Lenden, Roaſtbeef, Zunge uſw., ſowie durch die dem
natürlichen Verhältnis des Knochengewichts zum
Fleiſchgewicht nicht entſprechende Knochenzugabe reich=
lich
wieder ausgeglichen.
Daß die Verdienſtverhältniſſe des Metzgerſtandes
eine Herabſetzung der Ladenpreiſe an ſich rechtfertigen
könnten, war in meiner Rede vom 1. September nicht
behauptet worden. Ich hatte mir lediglich erlaubt zu
bemerken, daß das Gewerbe vorübergehend wohl einen
kleinen Abſchlag vertragen kann, ohne daran zu Grunde
zu gehen. Ich=ging=dabei auch von dem alten=Erfahr=

ungsſatze aus, daß zu hohe Preiſe ſtets einen ſtarken
Konſumrückgang zur Folge haben, während billigere
Preiſe den Abſatz und damit den Verdienſt erhöhen.
Daß ein Abſchlag wirklich möglich war und iſt, geht aus
der Tatſache hervor, daß in der vorigen Woche billigere
Verkaufspreiſe in den Zeitungen angezeigt waren.
Da meine Anregung, allgemein etwas mit dem
Ladenpreis herunterzugehen, keinen Erfolg hatte, habe
ich mich einige Tage nach der letzten Sitzung mit einem
Schreiben an die Innung gewandt, in dem ich die An=
regung
wiederholte. In einer Beſprechung, die am
12. September innerhalb der Schlachthof=Deputation
ſtattfand, erklärte mir Herr Lautz, daß die Preiſe von
den einzelnen Zweigen des Gewerbes feſtgeſetzt und
durch die Innung lediglich veröffentlicht würden. Er
wolle meinen Antrag zur Sprache bringen, glaube je=
doch
, daß der Erfolg ausbleiben würde. In der Tat
iſt bis jetzt kein Rückgang der Preiſe eingetreten.
Wir haben aber nach einer anderen Richtung hin
den Verſuch gemacht, eine allmähliche Herabſetzung,
wenigſtens der Schweinefleiſchpreiſe, herbeizuführen.
Gerade auf dem Schweinemarkt liegen die Verhält=
niſſe
zurzeit ſehr ungünſtig. Das Fehlen geeigneter
Unterkunftsräume im Schlachthofe hat den Schweine=
verkauf
in Bahnen gelenkt, die den Bezug für den
Metzger erſchweren und verteuern. Der Bau der er=
forderlichen
Hallen, die im nächſten Jahre vorausſicht=
lich
fertig ſein werden, wird dieſe Verhältniſſe ganz
von ſelbſt beſſern. Die Stadtverwaltung hat ſchon
jetzt die Frage zu löſen verſucht, ob nicht durch einen
gemeinſamen Bezug von Schweinen durch
die Metzger eine alsbaldige Beſſerung
der Verhältniſſe im Schweineverkauf
und damit eine Verbilligung der Laden=
preiſe
hherbeigeführt werden kann. Um
die Sache zu fördern, hat die Schlachthofverwaltung auf
unſere Veranlaſſung den Einkauf zunächſt ſelbſt in die
Hand genommen. Auf Grund einer Bedarfsumfrage
ſind Ende voriger Woche 44 Schweine direkt bezogen
worden, von denen 40 ſofort abgenommen worden ſind.
Die Qualität des Fleiſches wurde allſeitig als gut an=
erkannt
. 4 Schweine, die nicht gleich abgenommen wor=
den
waren, wurden auf Veranlaſſung der Verwaltung
geſchlachtet, das geſchlachtete Fleiſch aber alsbald eben=
falls
reſtlos verwertet. Die Preiſe ſtellten ſich erheb=
lich
billiger wie bei den Händlerſchweinen. Der Ver=
ſuch
wird in dieſer und den kommenden Wochen fort=
geſetzt
, und es iſt zu hoffen, daß auf dieſe Weiſe ein
nicht unweſentlicher Fleiſchabſchlag erzielt werden
kann.
Die Bürgermeiſterei glaubt damit alles getan zu
haben, was zurzeit in dieſer Angelegenheit für ſie zu
tun möglich war. Sie hofft, daß ihr weiteres Vorgehen
einen greifbaren Erfolg zeitigen wird. Sie iſt dabei
allerdings auf die nachhaltige Unterſtützung der beiden
zunächſt beteiligten Faktoren angewieſen, des Publi=
kums
und des Metzgerſtandes. Der letztere muß in der
gegenwärtigen ernſten Zeit bereit ſein, ſich im Intereſſe
der allgemeinen Wohlfahrt auch einmal über den rein
geſchäftlichen Standpunkt zu erheben. Das Publi=
kum
kann ihm das erleichtern, wenn es
darauf verzichtet, ſich kleine Quantitä=
ten
ins Haus bringen zu laſſen und einen längeren
Kredit in Anſpruch zu nehmen, und wenn es ſich daran
gewöhnt, nicht allein andere Bedarfsartikel, ſondern
auch das Fleiſch am Platze zu kaufen.
Bauliche Geſuche.
Die Firma Gebr. Röder beabſichtigt, auf ihrem
Gelände am Griesheimer Weg ein Stallgebäude zu er=
richten
. Der Hochbau=Ausſchuß hat die nachgeſuchte
Befreiung von den Beſtimmungen in § 22 des Orts=
bauſtatuts
befürwortet. Nach dem Referat des Herrn
Stadtv. Wittmann wird dem Geſuche ſtattgegeben.
Die Baufluchtlinie der Beſſunger Straße
vor den Häuſern Nr. 4145 ſoll im Anſchluß an die
Fluchtlinie des Hauſes Beſſunger Straße 47 geregelt
werden. Gleichzeitig ſoll die Mauer zwiſchen den Häu=
ſern
Nr. 45 und Nr. 47, die vielfach als Verkehrshin=
dernis
beanſtandet wurde, beſeitigt und umgebaut wer=
den
. Die bezüglichen Vorſchläge des Stadtbauamtes
ſind von dem Hochbau=Ausſchuß gutgeheißen worden.
Nach dem Referat des Herrn Stadtv. Sames wird
dem Antrage zugeſtimmt. Zur planmäßigen Re=
gulierung
der Helfmannſtraße und des
Gräfenhäuſer Weges ſind vom Bauunterneh=
mer
Delp zuſammen 534 Quadratmeter Straßenge=
lände
abzutreten, deren Erwerbung zum ortsſtatutari=
ſchen
Preiſe von 70 Pfg. pro Quadratmeter von dem
Hochbau=Ausſchuß beantragt wird. Hierzu referiert
Herr Stadtv. Dr. Lindt, und ſtimmt die Verſamm=
lung
dem Antrage zu. Mit Zuſtimmung des Hoch=
bau
= und des Finanz=Ausſchuſſes ſollen zur Verbeſ=
ſerung
der Lichtverhältniſſe in den von der
Mädchenmittelſchule I benutzten beiden Schulräumen
im alten Hoftheater zwei weitere Fenſter hergeſtellt
werden. Nach gegebenen Erläuterungen durch Herrn
Stadtv. Wittmann wird der Antrag angenommen.
Die Abrechnung über den Neubau des Naturwiſſen=
ſchaftlichen
Inſtituts des Realgymnaſiums ſchließt mit
einer Erſparnis von rund 13500 Mark ab, welcher Be=
trag
für andere Zwecke verfügbar iſt. Das Stadtbau=
amt
ſchlägt vor, zu Laſten dieſer Erſparnis die drin=
gend
notwendige Auswechſelung der Keſſel
der Heizungsanlage, ſowie die Aufſtellung von
Heizkörpern in den Gängen des Altbaues des Großh.
Realgymnaſiums mit einem Koſtenaufwand von 10000
Mark vorzunehmen. Die Keſſel ſind jetzt ſeit 31 Jah=
ren
im Betrieb und erforderten ſeither ſtändig bedeu=
tende
Reparaturen. Hochbau= und Finanz=Ausſchuß
empfehlen den Vorſchlag zur Genehmigung. Nach ein=
gehendem
Referat des Herrn Stadtv. Sames wird
der Antrag angenommen. Die an einen ſtädtiſchen
Bedienſteten vermietete Wohnung im Dachgeſchoß des
Hauſes Waldſtraße Nr. 6 ſoll durch Anbringung
einer Dachgaube verbeſſert und hergeſtellt werden.
Hochbau= und Finanzausſchuß ſchlagen vor, die erfor=
derlichen
Mittel zu bewilligen. Hierzu referiert Herr
Stadtv. Wittmann. Der Antrag findet einſtimmige
Annahme.
Wirtſchaftsplan für die ſtädtiſchen
Waldungen.
Die Großh. Oberförſterei Darmſtadt hat den von
der oberſten Forſtbehörde bereits gutgeheißenen Wirt=
ſchaftsplan
für die ſtädtiſchen Waldungen
für das Wirtſchaftsjahr 1910/11 zur Genehmigung vor=
gelegt
. Der Holzertrag der vorgeſehenen Fällungen iſt
auf zuſammen 8290 Feſtmeter geſchätzt. Die Landwirt=
ſchaftsdeputation
hat nichts zu beanſtanden. Nach dem
Referat des Stadtv. J. H. Möſer wird der Wirt=
ſchaftsplan
auf 10000 Mark feſtgeſetzt.
Stadtv. Leyerzapf regt hierbei an, daß das
Waldgras nur einmal im Jahre geſchnitten wird und
dann liegen bleibt. Er bittet, demgemäß den Wirt=
ſchaftsplan
zur Abamanigen Prüfung zurückzuſtellen=

[ ][  ][ ]

Seite 6.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 30. September 1910.

Nummer 229.

Stadtv. Sames wünſcht, daß bei einer demnächſti=
gen
Beratung des Wirtſchaftsplanes auch Herr Ober=
förſter
Kullmann zugezogen werden ſoll. Dieſer An=
regung
wird der Herr Oberbürgermeiſter Folge geben.
Stadtv. Stemmer wünſcht eine Einſchränkung des
Wildſtandes, da die Einnahmen nicht im Verhältnis
zu den Koſten der Erhaltung ſtehen. Dem Wirt=
ſchaftsplan
wird zugeſtimmt.
Waſſerleitung in den Hohlen Weg.
Die von der Stadtverordneten=Verſammlung ge=
nehmigte
Verteilung der Zinsbeträge für die bei
der Einlegung der Waſſerleitung in den Hoh=
len
Weg entſtandenen Anlagekoſten muß infolge ver=
ſchiedener
Beſitzübergänge und neuer Anſchlüſſe geän=
dert
werden. Die vorgelegte Neuverteilung iſt von
der Waſſerwerksdeputation gutgeheißen worden.
Stadtv. Dr.=Ing. Heyd macht auf eine demnächſt in
Ausſicht ſtehende Steigerung der Rohrpreiſe aufmerk=
ſam
und beantragt, daß ſchon jetzt der Bedarf an Gas=
und Waſſerleitungsröhren für das neue Bahnhofsviertel
gedeckt werde. Stadtv. Sames hat ebenfalls in
gleichem Sinne einen Antrag geſtellt und bittet um Be=
fürwortung
desſelben. Stadtv. Lehr rügt in ſchar=
fen
Worten den Kanalbau im Hohlen Weg. Man hätte
dort bauen ſollen, ehe der Straßendamm aufgeworfen
wurde. Beigeordn. Ekert erläutert das Kanal=
projekt
der Gartenſtadt Hohler Weg, für das erſt jetzt
eine feſte Grundlage geſchaffen ſei. Stadtv. Dr.=Ing.
Heyd ſtellt noch feſt, daß in früherer Zeit ohne jeden
Grundplan bei den Kanalbauten verfahren wurde.
Heute ſeien hierfür beſtimmte Normen feſtgelegt.
Stadtv. J. H. Möſer findet es ebenfalls unbegreif=
lich
, daß man nicht früher den Kanal im Hohlen Weg
gebaut hat. Heute müſſe die Stadt die unnötigen Bau=
koſten
tragen. Oberbürgermeiſter Dr. Gläſſing
und Beigeordn. Ekert erläutern in eingehender Weiſe
die Notwendigkeit des dortigen Kanalbaus. Der erſtere
verwahrt ſich noch gegen die Annahme, daß beim Kanal=
bau
ohne einen Grundplan verfahren würde. Damit
iſt die Debatte beendigt. Nach dem Referat des Herrn
Stadtv. Saeng wird dem Antrage ſtattgegeben.
Die Ueberſicht über die wirklichen Ein=
nahmen
und Ausgaben der Realgym=
naſialkaſſe
für 1909
ſchließt mit einer Einnahme von 97335,30 Mark ab.
Hierunter ſind 96778,42 Mark Schulgeld enthalten.
Die perſönlichen Ausgaben betragen 214 193,56 Mark,
die ſachlichen Ausgaben 15 490,29 Mark. Der Staats=
zuſchuß
berechnet ſich auf 58 202,57 Mark, der ſtädtiſche
Zuſchuß auf 74145,98 Mark, gegen 73040 Mark nach
dem Voranſchlag. Der Finanzausſchuß hat die Ueber=
ſicht
nicht beanſtandet. Hierzu referiert Stadtv. Dr.
Bender und beantragt Bewilligung, dem die Ver=
ſammlung
zuſtimmt.
Zur Ausſtattung der neuen Oberreal=
ſchule

auf dem Gaswerksgelände mit den notwendigſten Lehr=
mitteln
für Phyſik, Naturgeſchichte, Zeichnen, Erdlunde
nſw. und für die Bibliothek wird mit Zuſtimmung des
Finanzausſchuſſes die Bewilligung eines einmaligen
Kredits von 10000 Mark beantragt. Nach dem Referat
des Stadtv. Dr. Gallus wird die Summe bewilligt.
Vertilgung der Feldmäuſe.
In der hieſigen Feldgemarkung und auch in den
Waldungen treten ſeit dem letzten Winter die Feld=
mäuſe
in großer Zahl auf und richten beträchtlichen
Schaden an. Es ſoll daher eine Vertilgung der
Mäuſe durch Auslegen von Gift durchgeführt wer=
den
. Die entſprechenden Maßnahmen werden für die
Feldgemarkung durch die ſtädtiſche Güterverwaltung
nud für die Waldungen durch die Großh. Oberförſterei
Darmſtadt getroffen werden. Auch die Oberförſterei
Kranichſtein hat ſich zu einem gleichzeitigen Vorgehen
in der Faſanerie bereit erklärt. Die Landwirtſchafts=
deputation
und der Finanzausſchuß haben die vorge=
ſchlagenen
Maßnahmen gebilligt und die Bereitſtellung
der erforderlichen Mittel zu Laſten des Reſervefonds
befürwortet. Die Verſammlung beſchließt nach einem
Referat des Stadtv. Schneider dementſprechend.
Kleinere Vorlagen.
Ein Geſun des Gutspächters Schwarz um Er=
mäßigung
der ihm angeſonnenen 5proz. Verzinſung
des Anlagekapitals für eine Feldſcheuer auf dem
Gehaborner Hof, wird von dem Finanzausſchuß
nicht befürwortet. Der Ausſchuß empfiehlt vielmehr,
an der beſchloſſenen 5proz. Verzinſung feſtzuhalten,
obwohl die Landwirtſchaftsdeputation die Feſtſetzung
auf 4½ Prozent vorgeſchlagen hatte. Das Geſuch wird
nach dem Referat des Stadtv. Müller angenommen.
Auf Antrag der Beſitzer ſollen die beiden Erbbegräb=
nisplätze
Abteilung II, Lit. L, Nr. 98 (Neßling)
und Abteilung III, Lit. M, Nr. 69 (Schader) mit Zu=
ſtimmung
der Friedhofsdeputation gegen Einzahlung
eines Kapitals von 1500 Mark bezw. 1000 Mark in
bauernde Unterhaltung der Stadt übernommen wer=
den
. Die Verſammlung ſtimmt dem zu. Der
deutſche Hilfsverein in Paris hat um Be=
willigung
eines ſtändigen Beitrages gebeten. Der
Finanzausſchuß ſchlägt vor, einen jährlichen Beitrag
von 50 Mark zu gewähren. Die Summe wird hierauf
bewilligt.
Die öffentliche Sitzung iſt hiermit geſchloſſen.

Luftſchiffahrt.
sr. Der Meldeſchluß zur nationalen
Berliner Flugwoche, die in der Zeit vom 9. bis
16. Oktober in Johannisthal abgehalten wird, iſt äußerſt
befriedigend ausgefallen. Von 25 verſchiedenen deut=
ſchen
Aviatikern wurden nicht weniger als 45 Flug=
maſchinen
angemeldet. Im einzelnen nannten: Thelen
(Wright) 3 Apparate, Grade (Grade) 2 Apparate,
Wiencziers (Blériot) 2 Apparate, Engelhardt (Wright)
2 Apparate, Otto (Aviatik= und Sommer=Apparat), Lind=
paintner
(Sommer=, Sommer=Albatros=, Farman= Alba=
tros
= und Hanriot=Libellule=Apparat), Liſſauer (Grade)
2 Apparate. Schwade (Schwade=Apparat), Heidenreich
(Heidenreich) 2 Apparate, Mente (Wright) 2 Apparate,
Haas (Wright) 2 Apparate, v. Moßner (Wright) 2 Appa=
rate
, Hanuſchke (Hanuſchke=Apparat), Haves (Haves=
Apparat), Frey (Farman) 2 Apparate, v. Gorriſſen
(Albatros=, Voiſin= und Euler=Apparat), Haller (Euler=
und Voiſin=Apparat), Jeannin (Aviatik) 2 Apparate,
Plochmann (Aviatik, 2 Apparate, und Grade=Apparat),
Brunhuber (Albatros=Apparat), Kahnt (Grade= Appa=
rat
), Dorner (Dorner) 2 Apparate, Eyring (Dr. Huth=
Apparat), Laitzſch (Voiſin=Apparat), Rode (Grade= Appa=
rat
). Die Meldungen von Haller, Eyring und Haves
wurden nur unter Vorbehalt angenommen, da dieſe
Aviatiker zurzeit noch nicht das zur Teilnahme an
öffentlichen Wettbewerben erforderliche Führerzeugnis

erworben haben. Die von Haller gemeldeten Apparate
ſind im übrigen die gleichen, wie die von Gorriſſen ge=
meldeten
Voiſin= und Euler=Apparate, ſo daß alſo die
Zahl der Maſchinen 45 beträgt.
Frankfurt a. M., 29. Sept. Die Flug=
ſtudien
, die der bekannte Hamburger Sportsmann
Hans Haller von der Deutſchen Fluggeſellſchaft in
der letzten Zeit auf dem Flugplatz in Frankfurt a. M.
zur Vorbereitung für ſeine Beteiligung an der Okto=
ber
=Flugwoche in Berlin ausführte, haben leider
geſtern zu einem unglücklichen Ergebnis ge=
führt
. Infolge der ungünſtigen Beſchaffenheit des
Platzes, an deſſen Stelle ja durch das Entgegenkommen
der Frankfurter Stadtverwaltung bald ein neuer Platz
treten ſoll, und infolge Herumliegens größerer Gegen=
ſtände
wurde vorgeſtern ein Propeller beſchädigt. Bei
dem geſtrigen Aufſtieg erfaßte leider bald, nachdem der
Pilot mit kurzem Anlauf aufgeſtiegen war, eine
Seitenbö den Apparat und warf ihn rechts herunter
zu Boden, ſodaß der Apparat erheblich beſchädigt
wurde. Der Flieger trug eine ernſtliche Ge=
hirnerſchütterung
davon.
* Metz, 28. Sept. Fernwettfliegen Trier=
Metz. Als einziger ſtieg heute nachmittag 4 Uhr 21
Minuten Thelen auf; er paſſierte in glatter Fahrt um
4 Uhr 30 Minuten Wellen a. d. M., mußte dann um
5 Uhr 26 Minuten bei Nieder=Yeuz infolge Verluſtes
eines Ventildeckels landen. Thelen blieb unver=
letzt
; ſein Apparat iſt leicht beſchädigt.
* Metz, 29. Sept. Thelen iſt um 3,50 Uhr, nachdem
ſein Apparat repariert worden war, in Nieder=Jeutz aufge=
ſtiegen
und überflog 4,20 Uhr Uettingen. Um 4,30 Uhr
wurde er vom Flugplatze in Metz geſichtet, wo er um 4,33
Uhr glatt landete. Bei dieſem Fluge hat Thelen eine
Höhe von etwa 400 Meter erreicht. Beigeordneter Jung
begrüßte den Flieger im Namen der Stadt. Engelhardt
wird um 5 Uhr in Trier einige Schauflüge unternehmen.
Haas wird heute nicht aufſteigen.
* Metz, 29. Sept. Der Flug Thelens erfolgte mit
Oberleutnant Moßner als Paſſagier. Thelen hat ſeinen
urſprünglichen Plan, nach Trier zurückzukehren, aufge=
geben
, und zwar wegen des heftigen Windes, der 6 bis 7
Sekundenmeter betrug. Der Herflug vollzog ſich direkt ge=
gen
den heftigen Wind. Die Fahrt nach Trier wird The=
len
morgen bei günſtigem Wetter antreten.
* Mülhauſen i. E., 29. Sept. Nach den heute
morgen eingezogenen Erkundigungen iſt der Avia=
tiker
Plochmann in der vergangenen Nacht um
11¼ Uhr ſeinen Verletzungen erlegen, ohne
das Bewußtſein wieder erlangt zu haben. Seine Frau
iſt in Begleitung eines Verwandten hier eingetroffen.
* München, 28. Sept. Der Parſeval=
ballon
, der um 12 Uhr 45 Minuten aufgeſtiegen war,
landete um 5½ Uhr. Hochrufe der Menge begrüßten
das Luftſchiff, und ſie erneuerten ſich, als nunmehr
Prinz Ludwig von Bayern und Graf Zep=
pelin
die Gondel beſtiegen, um unter Führung des
Oberleutnants Stelling eine Fahrt über Mün=
chen
anzutreten. Um 5 Uhr 50 Minuten erfolgte der
neue Aufſtieg. Nach einer Fahrt von etwa zwanzig
Minuten, die ſich über München bis Schwabing aus=
dehnte
, erfolgte die Landung um 6 Uhr 9 Minuten.
Prinz Ludwig, ſowie Graf Zeppelin ſprachen dem Führer
des Luftſchiffes ihre große Freude aus. Graf Zep=
pelin
richtete ſodann an den Major v. Parſeval
in Berlin folgendes Telegramm: Gelegentlich der
Jahresverſammlung des Deutſchen Muſeums war es
mir vergönnt, mit Sr. Königl. Hoheit dem Prinzen
Ludwig eine Fahrt in Ihrem Luftſchiff auszuführen,
und ich möchte Ihnen für dieſe Freude meinen herz=
lichſten
Dank zum Ausdruck bringen. Graf Zeppelin.
* Mailand, 28. Sept. Den heutigen Flug=
vorführungen
wohnten der König und der
Graf von Turin bei. Nachdem die offiziellen
Flüge vorüber waren und der König ſich entfernt hatte,
unternahm der Graf mit dem Aviatiker Ruggerome
einen Flug, nach deſſen Beendigung er ſich mit meh=
reren
Herren vor dem Fliegerſchuppen unterhielt.
Plötzlich kam der Aviatiker Simon, der die plau=
dernde
Gruppe nicht bemerkt hatte, mit ſeinem Ein=
decker
aus dem Schuppen herausgefahren, wodurch die
vor dem Schuppen Stehenden in die größte Gefahr ge=
rieten
. Von allen Seiten ſchrie man: Niederwerfen!
Niederwerfen! Der Graf von Turin und die anderen
Herren warfen ſich ſofort zu Boden, ſodaß der Flug=
apparat
über ſie hinweggehen konnte, ohne ihnen
Schaden zu tun.
* Bracciano, 29. Sept. Das Militärluft=
ſchiff
Nr. 2 ſtieg heute früh 4½ Uhr zu einem Fluge
nach Campalto bei Venedig auf, wo ſich die Ballonhalle
befindet. Nachdem es unter Glockengeläute und dem
Jubel der Einwohnerſchaft um 9 Uhr über Arezao hin=
weggeflogen
war, mußte es vier Kilometerkhinter der
Stadt infolge eines Motordefektes, der eine Erneuer=
ung
der Schrauben nötig macht, landen. Die Landung
erfolgte ohne Zwiſchenfall. Zahlreiche Schauluſtige aus
der Umgegend ſtrömen zu der Landungsſtelle, die ſich
auf einem Hügel befindet.

Die Straßenkämpfe in Berlin.
* Berlin, 28. Sept. Ueber eine Szene aus den
geſtrigen Straßenkämpfen wird folgendes
berichtet: Nachdem es der Polizei gegen ½12 Uhr ge=
lungen
war, die Beuſſel= und einen Teil der Turm=
ſtraße
zu ſäubern, ſammelten ſich gegen Mitternacht in
der Roſtockerſtraße über 1500 Tumultuanten an, die
unter Verübung eines ohrenbetäubenden Lärms die
Laternenſcheiben zerſchlugen und das Licht zum Ver=
löſchen
brachten. Auch zahlreiche Jalouſien von Schau=
fenſtern
wurden zertrümmert, die Scheiben eingedrückt
und die Auslagen geplündert. Auf die Alarmnachricht
der an der Ecke der Roſtocker= und Turmſtraße poſtier=
ten
Schutzmannskette wurden ſofort von allen Revie=
ren
etwa 300 Beamte zuſammengezogen, die im
Sturmſchritt nach der Roſtockerſtraße abrückten. Dort
wurden ſie ſofort von einem Hagel von Steinen, Fla=
ſchen
, Bierſeideln und Stücken von den Häuſern ab=
geſchlagenen
Stuckes empfangen, ſo daß Polizeimajor
Klein das Signal zum Blankziehen gab. In dieſem
kritiſchen Augenblick ſauſte Polizeipräſident
v. Jagow im Automobil heran, ſtieg zu Pferde und
ſtellte ſich perſönlich an die Spitze der Schutzmannſchaft.
Als der Pöbel den Berliner Polizeigewaltigen er=
kannte
, erhob ſich ein furchtbarer Lärm. Rufe: Das
iſt der Jagow, ſchlagt ihn tot, ſchießt den Hund nieder!
und andere Drohungen ertönten aus den Maſſen.
Plötzlich krachten aus den Fenſtern der nächſtbelegenen
Häuſer der Roſtockerſtraße etwa 50 Schüſſe hernieder
und mehrere Kugeln ſauſten unmittelbar an dem Po=
lizeipräſidenten
vorbei. Damit war das Signal für
den Pöbel zum Losſchlagen gegeben. Wer von den
Exzedenten keine Schußwaffe bei ſich führte, ergriff

das erſte beſte Stück, das ihm in die Hand kam, ſund.
ſchleuderte es den Wachmannſchaften entgegen, von
denen viele von den zum Teil recht ſchweren Wurfge=
ſchoſfen
ernſtlich verletzt wurden. Nun erteilte Herr
v. Jagow den Befehl zum Feuern. Im nächſten
Augenblick krachte eine Salve aus den Browningpiſto=
len
der Beamten, der ein Stöhnen und Aufſchreien Ge=
troffener
folgte. Offenbar ſind mehrere Bewohner der
Häuſer, aus denen auf die Beamten geſchoſſen worden
war, durch die Schüſſe der Schutzmannſchaft verwundet
worden, denn man ſah die einzelnen Perſonen un=
mittelbar
nach Abgabe der Salve von den Fenſtern
zurücktaumeln. Die Tumultuanten hatten die Taktik
beobachtet, in ihren Wohnungen das Licht zu verlöſchen,
ſo daß Straßen und Häuſer in tiefſte Dunkelheit wäh=
rend
des blutigen Kampfes gehüllt waren. Kaum
waren jedoch die Polizeibeamten einige Meter vor=
gedrungen
, da eröffneten die Hausbewohner wiederum
ein Piſtolenfeuer, und die Schutzleute befanden
ſich nunmehr direkt zwiſchen zwei Feuern. Auch aus
den Hausfluren verſchiedener Gebäude, die von den
Exzedenten dicht beſetzt waren, wurden Schüſſe auf die
Beamten abgegeben.
* Berlin, 28. Sept. In Moabit iſt heute nach=
mittag
alles ruhig geblieben. Der Magiſtrat hat, ſo=
weit
es möglich war, die zertrümmerten Straßen=
laternen
wieder herſtellen laſſen, damit die Straßen
nicht abends im Dunkeln bleiben. Die Polizei hat die
bisherigen Abſperrungen aufrechterhalten und im üb=
rigen
noch ſchärfere Maßregeln als vorgeſtern getroffen.
Die Unruheſtifter pflegten ſich in Schankwirtſchaften
ſund Deſtillationen zu verſammeln, um von dort aus
nach Eintritt der Dunkelheit vorzugehen. Um derartige
Anſammlungen zu verhindern, hat die Polizei ange=
ordnet
, daß alle Wirtſchaften in dem Unruhevier=
tel
um 5 Uhr geſchloſſen werden. Die Schließ=
ung
wird durch Beamte überwacht. Die frühe Stunde
iſt gewählt worden, weil um 5½ Uhr die großen Fa=
briken
wie Ludwig Löwe ſchließen. Es ſollte den Ar=
beitern
nach Feierabend die Gelegenheit genommen
werden, ſich erſt in den Kneipen feſtzuſetzen. Das
Moabiter Unruhegebiet wurde heute abend
ſtreng abgeſperrt. Die Zulaſſung erfolgte nur gegen
den Nachweis als Anwohner. Die Bewohner haben
ſich innerhalb ihrer Häuſer zu halten und die Fenſter
haben geſchloſſen zu bleiben. Trotzdem iſt es bisher an
fünf Stellen, wo aufreizende Anſprachen gehalten wur=
den
, zu Zuſammenſtößen gekommen, wobei einige
Verwundungen vorkamen und auch Verhaftungen vor=
genommen
wurden. Da die Tätigkeit der Polizei geſtern
beſonders durch die Dunkelheit der Straßen gehemmt
war, ſo hat ſie ſich heute mit Magneſiumfackeln ausge=
rüſtet
. Um die neunte Stunde ſchien ſich die Menge
aus dem Unruhegebiet weiter in das Innere Moabits
zurückzuziehen.
* Berlin, 28. Sept. Die in der Emdener=
und in der Turmſtraße auf dem Rückzuge in das
innere Moabit befindliche Menge ſperrte den Ver=
kehr
in dieſen Straßen vollſtändig. Als wieder ge=
johlt
, geſchimpft und mit Steinen geworfen wurde,
hieben die Beamten ſcharf ein. Auf beiden
Seiten der Straßen ſah man Verwundete liegen. Viele
Perſonen wurden überritten. Eine Anzahl Schwer=
verletzter
wurde in das Moabiter Krankenhaus ge=
bracht
. Um Mitternacht lag das Zentralgebiet der
Unruhen totenſtill. Die Manifeſtanten waren teils
nach dem Wedding, teils durch den kleinen Tiergarten,
der wiederholt geſäubert wurde, bis zum Kriminalge=
richt
zurückgedrängt worden. Es fehlte nicht an klei=
neren
Zuſammenſtößen, bei denen die Ruheſtörer mit
ſcharfen Hieben traktiert oder ſchonungslos nie=
dergeritten
wurden. In das Krankenhaus Moabit
ſind im Laufe des Abends zwanzig Verwundete ein=
geliefert
worden. Aus den Reihen der Unruheſtifter
ſind wiederholt Schüſſe gefallen, doch wurde niemand
verwundet, und es läßt ſich nicht ſagen, ob ſcharf oder
blind geſchoſſen wurde. Kurz vor Mitternacht erſchien
Polizeipräſident v. Jagow auf dem Schauplatz der
Unruhen.
* Berlin, 29. Sept. Bei den Unruhen in
Moabit wurden geſtern abend 73 Perſonen ſo er=
heblich
verletzt, daß ſie ſofort verbunden werden muß=
ten
; fünf Verletzte mußten im Krankenhauſe bleiben,
wo jetzt insgeſamt 22 Verletzte ſind. Die angehaltenen
Perſonen wurden nach Feſtſtellung ihrer Perſönlichkeit
bis auf fünf einſtweilen wieder freigelaſſen.

Die Cholera.
* Spandau, 29. Sept. Nach einer Bekanntmachung
der Polizeiverwaltung iſt die Choleragefahr in
Spandau vollſtändig beſeitigt.
* Marienburg, 29. Sept. Als choleraver=
dächtig
wurden neuerdings ein 30jähriger Arbeiter
und ein 15 Monate altes Kind eingeliefert, ſo daß im
Krankenhauſe jetzt 41 Choleraverdächtige liegen. Bei
18 wurden Cholerabazillen feſtgeſtellt.
* Konſtantinopel, 29. Sept. Geſtern wurden
hier 15 Erkrankungen und fünf Todesfälle an
Cholera feſtgeſtellt; außerdem iſt ein Soldat eines
Redifbataillons unter verdächtigen Erſcheinungen er=
krankt
.

Vermiſchtes.
D Rechtsauskunft in Unfall= und Inva=
lidenrentenangelegenheiten
für die länd=
liche
Bevölkerung. Der Verband der deutſchen ge=
meinnützigen
und unparteiiſchen Rechtsauskunftsſtellen mit
dem Sitz in Rirdorf erbietet ſich, in allen Fällen, in denen
ſich Perſonen der ländlichen Bevölkerung in ihren
Unfall= und Invalidenrentenangelegenheiten an ihn wen=
den
, unentgeltlich Auskunft zu erteilen und die Ver=
tretung
vor dem Reichsverſicherungsamt koſtenlos zu
übernehmen. Die Anträge ſind an den Vorſitzenden des
Verbandes, Herrn Oberbürgermeiſter Kaiſer, Rixdorf, Rat=
haus
, zu richten. Die Benutzung dieſer Einrichtung wird
auch ſeitens der Behörden empfohlen.
Zur Einheitsſtenographie wird eine
auf einem bedauerlichen Mißverſtändnis beruhende,
angeblich halbamtliche Nachricht verbreitet. Der
Gabelsbergerſche Stenographentag im Juli d. J. hat
nachdrücklich die Mitwirkung der Gabelsbergerſchen
Schule bei Schaffung einer Einheitsſtenographie be=
ſchloſſen
. Er hat nicht den ſeinerzeit auf Vorſchlag
des Gabelsbergerſchen Bundesvorſitzenden eingeſetzten
Sachverſtändigen=Ausſchuß für erledigt erklärt, ſon=
dern
den aus neun Perſonen beſtehenden ſogenannten
Arbeitsausſchuß, der mit dem Sachverſtändigen= Aus=
ſchuß
nicht identiſch iſt und auch für die Ausarbeitung
einer Syſtemvorlage nie in Betracht gekommen wäre.
Dieſer Arbeitsausſchuß hatte lediglich die Aufgabe, die
Regierungen für den Gedanken einer Einheitsſteno=
graphie
zu gewinnen, und hat dieſe Aufgabe, wie das

[ ][  ][ ]

Nummer 229.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 30. September 1910.

Seite 7.

Zuſammentreten der Regierungen zu der Konferenz
vom 8. Juni d. J. zeigt, auch erfüllt.
Literariſches.
Die Balkongärtnerei in ihrem ganzen
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Balkone und Fenſter mit Blumen. Von Paul Juraß,
Obergärtner, vollſtändig neu bearbeitet, verbeſſert und
vermehrt von Johs. Schneider, Chef=Redakteur des
Lehrmeiſter im Garten und Kleintierhof, in Leipzig.
II. Auflage. Preis 1,20 Mk. Verlag von Rud. Bech=
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dieſer reich illuſtrierten, ſachgemäß und leichtverſtändlich
geſchriebenen Broſchüre eingehend, nach den allerneueſten
Erfahrungen behandelt. Das Werkchen eignet ſich auch
ganz beſonders zur Verteilung bei Prämiterungen für
geſchmackvollen Blumenſchmuck der Balkone und Fenſter.
Wir können dasſelbe jedermann empfehlen.
Länder= und Völkernamen von Dr. Rudolf
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G. J. Göſchenſche Verlagshandlung in Leipzig. (Preis in
Leinwand gebunden 80 Pfg. Der Verfaſſer führt den Le=
ſer
durch die vier Weltteile und zeigt ihm die Menſchen
und die Tiere, nebenbei auch die Kulturpflanzen und die
Steine, die für jeden charakteriſtiſch ſind. Aber er veran=
ſchaulicht
dieſe Typen in den Namen, die die Länder und
die Völker führen, er holt die intereſſanten Dinge gleichſam
aus den Namen heraus, ſodaß es einem iſt, als ob man
das alles ſchon gewußt hätte, und man über ſich ſelbſt
ſtaunt.
Der Oldenburger Volksbote tritt mit dem
Jahrgange 1911 in ſein 74. Lebensjahr. Unter den Kalen=
dern
, die nun ſchon für das Jahr 1911 erſchienen, nimmt
der Oldenburger Volksbote gewiß eine achtungswerte
Stellung ein. Der uns nun vorliegende Kalender reiht ſich
ſeinen Vorgängern würdig an. Inhalt und Ausſtattung
ſind vorzüglich. Der Preis iſt, wie bisher, 50 Pfg. Her=
ausgegeben
wird der Kalender von der Schulzeſchen Hof=
Buchhandlung, Oldenburg.
Die ungariſche Anleihe.
* Wien, 29. Sept. Die Neue Freie Preſſe meldet aus
Peſt: Staatsſekretär v. Kiderlen=Wächter empfing
auf der Durchreiſe nach Bukareſt den Korreſpondenten der
Neuen Freien Preſſe. Er gab dabei ſeiner Freude dar=
über
Ausdruck, daß es gelang, die ungariſche An=
leihe
unter Heranziehung des öſterreichiſchen und des
deutſchen Geldmarktes in ſo erfolgreicher Weiſe zuſtande
zu bringen. Mit dieſer Angelegenheit ſeien ohne jede in=
nere
Berechtigung von ausländiſcher, weder von ungari=
ſcher
, noch von deutſcher oder öſterreichiſcher Seite auch
politiſche Momente verquickt worden. Unter dieſen Um=
ſtänden
ſei es verſtändlich, wenn auch die deutſche Regie=
rung
auf das Zuſtandekommen dieſer Anleihe großes Ge=
wicht
lege, und wenn ſie ſich jetzt, nachdem die Anleihever=
handlungen
mit Erfolg beendet ſind, aufrichtig über das
Gelingen freue. Es ſei übrigens das beſondere Intereſſe
der deutſchen Reichsregierung für dieſen Gegenſtand keine
unbedingte Vorausſetzung des Erfolges der Verhandlun=
gen
geweſen, da in den deutſchen Finanzkreiſen ſeit jeher
in Würdigung der Antezedentien dieſer Angelegenheit,
aber auch ſonſt von allem Anbeginn an volle Bereitwillig=
keit
beſtand, dazu beizutragen, daß Ungarn die zur Deckung
ſeines Kreditbedarfs nötigen Summen mit Heranziehung
des öſterreichiſchen und des deutſchen Geldmarktes finden
könne. Es ſei nicht gering zu ſchätzen, daß es ſich in die=
ſem
Falle gezeigt habe, daß die Herrſchaft des franzöſiſchen
Geldmarktes doch nicht ſo unbedingt ſei, wie man in Frank=
reich
angenommen habe Mit dem Ausgang dieſer Ange=
legenheit
könne das Verhältnis zwiſchen Deutſchland und
der Monarchie, wenn es noch irgendwie möglich wäre, an
Innigkeit nur gewinnen, und ſo bedeute das Zuſtandekom=
men
der Anleihe einen Erfolg gerade derjenigen Kreiſe,
die der franzöſiſche Geldmarkt in Verlegenheit bringen zu
können glaubte.
Letzte Nachrichten.
(Wolffs telegr. Korreſp.=Bureau.)
* Berlin, 29. Sept. Nach Meldungen der Abend=
blätter
wurden zwei Milchwagen von Bolle von
Exzedenten umgeworfen und einem Kutſcher die Geld=
taſche
geraubt.
* München, 29. Sept. Im Feſtſaale der Akademie
der Wiſſenſchaften fand heute vormittag unter dem Vor=
ſitze
des Prinzen Ludwig von Bayern eine Ausſchuß=
ſitzung
des Deutſchen Muſeums ſtatt, zu der die
Ausſchußmitglieder aus allen Teilen Deutſchlands herbei=
gekommen
waren. Geheimer Marine=Oberbaurat Heßfeld
übergab im Namen des Kaiſers ein großes Schnitt=
modell
des Linienſchiffes Rheinland das der Kaiſer
dem Muſeum bei deſſen Grundſteinlegung zugeſagt hatte.
Das im Verſammlungsſaal aufgeſtellte Schnittmodell, deſ=
ſen
einzelne Teile elektriſch betrieben werden können, fand
ungeteilte Bewunderung, die auch in herzlichen Dankes=
worten
des Prinzen Ludwig von Bayern und des Reichs=
rates
von Miller zum Ausdruck kam. An den Kaiſer
wurde ein Danktelegramm geſandt.
* Nürnberg, 29. Sept. Nach einer der hieſigen Kri=
minalpolizei
zugegangenen Depeſche iſt der wegen des
Raubmordes an einer Kellnerin hier verfolgte
Kaufmann Dick=Nisko in Galizien verhaftet worden.
* Mühlhauſen (Elſaß), 29. Sept. Als geſtern abend
ein 53jähriger Gießereiarbeiter in der Kolmarer Straße
an den Heizungsanlagen etwas in Ordnung
bringen wollte, wurde er infolge ausſtrömender gif=
tiger
Gaſe betäubt. Ein herbeigeeilter Inſtallateur
wurde gleichfalls betäubt, konnte aber noch den Aus=
gang
erreichen. Der Inſtallateur konnte durch einen
Arzt gerettet werden, während bei dem Arbeiter die
Wiederbelebungsverſuche erfolglos blieben.
* Neu=Ruppin, 29. Sept. Der Bauerngutsbeſitzer
Kleine=Schönhagen bei Pritzwalk wurde geſtern
abend, der Märkiſchen Zeitung zufolge, von einem
ruſſiſch=polniſchen Landarbeiter, vermutlich Czerna mit
Namen, im Stalle durch Hammerſchläge ge=
tötet
; die Ehefrau wurde im Seſſel erwürgt und die
26jährige Tochter im Bett gefeſſelt. Dann ſuchte der
Täter Geld. Inzwiſchen war es der Tochter gelungen,
ſich zu befreien, worauf ſie in die Stadt eilte, um Hilfe
herbeizuholen; als dieſe eintraf, war der Raubmörder
mit tauſend Mark entkommen.

H. B. Berlin, 29. Sept. Die engliſchen und
amerikaniſchen Journaliſten, die in Berlin an=
ſäſſig
ſind, traten heute im Berliner Bureau der Daily
Mail zuſammen und erklärten ihre Solidarität mit den
vier engliſchen und amerikaniſchen Kollegen, die geſtern
abend in Moabit durch Poliziſten verletzt wurden. Die
entſprechenden Maßregeln ſind bereits ergriffen worden,

um an den zuſtändigen Stellen die Beſchwerde wegen
Verletzung der ausländiſchen Zeitungsvertreter vorzu=
bringen
.
Berlin, 29. Sept. Der Kaufmann Kladow,
Baumſchulenweg, vergiftete ſeine Familie und ſich
mit Leuchtgas. Er führte die Tat im Einvernehmen
mit ſeiner Frau aus. Anlaß waren Nahrungsſorgen,
wie aus einem hinterlaſſenen Briefe hervorgeht.
Kaſſel, 29. Sept. In Abweſenheit der Familie des
Oberbürgermeiſters und Landtagsabgeordneten Dr. An=
toni
wurde die ganze Inneneinrichtung ſeiner Villa nebſt
einer wertvollen Bibliothek vollſtändig zerſtört.
Wahrſcheinlich liegt ein politiſcher Racheakt vor.
. Leipzig, 29. Sept. Der Schutzmann Hend=
ſchel
verfolgte heute früh gegen 11 Uhr einen Fahrrad=
dieb
, der in den Hof des Hauſes Sidonienſtraße 55 flüch=
tete
und dort die Mauer zu dem Nachbargrundſtück zu er=
klettern
verſuchte. Als der Verbrecher ſah, daß er ver=
folgt
wurde, drehte er ſich um und gab ſechs Schüſſe
aus einem Revolver auf den Beamten ab. Der Schutzmann
wurde von drei Kugeln getroffen und ſtarb kurze Zeit
darauf an den erhaltenen Verletzungen. Der Verbrecher
wollte flüchten, wurde aber aufgehalten und von der an=
geſammelten
Menge niedergeſchlagen.
Köslin, 29. Sept. Das Kriegsgericht der
9. Diviſion verurteilte den Leutnant Mehlhorn
wegen Diebſtahls dienſtlicher Gegenſtände zu 3 Jahren
Gefängnis und Ausſtoßung aus dem Heere. Die Be=
gründung
erfolgte unter Ausſchluß der Oeffentlichkeit.
Wriezen, 29. Sept. Ein Automobil, in dem
ſich ein Berliner Rentier und ſein Schwager, ein Berliner
Reſtaurateur, befanden, ſchlug in der Nähe von Herzhorn
um; die Steuerung hatte beim Nehmen einer Kurve ver=
ſagt
. Der Reſtaurateur wurde ſchwer verletzt, der Rentner
erlitt etliche Kopfwunden; der Chauffeur dagegen blieb faſt
unverletzt. Das Automobil wurde total zertrümmert.
H. B. Meran, 29. Sept. Geſtern und heute wurden
vor dem Meraner Bezirksgericht über 16 Klagen von =
ſten
des abgebrannten Karerſee=Hotels auf Scha=
denerſatz
wegen ihrer verbrannten Effekten verhandelt.
Die eingeklagte Summe beträgt insgeſamt 130000 Kronen.
Alle Sachen wurden zur gemeinſamen Verhandlung auf
den 2. November vertagt.
H.B. Athen, 29. Sept. In parlamentariſchen Krei=
ſen
betrachtet man eine abermalige Miniſterkriſe
nur als eine Frage der Zeit. Die Parteiführer be=
mühen
ſich, das Kabinett Dragumis zu ſtürzen, bevor
der Miniſterpräſident ſeine Rede vor der Nationalver=
ſammlung
halten wird, da man ein Vertrauensvotum
für ihn vorausſieht. Venizelos, der von mehreren
Seiten zur Uebernahme der Regierung gedrängt wird,
hat ſich für die Beibehaltung des Kabinetts Dragumis
ausgeſprochen.
Amtlicher Wetterbericht.
Oeffentliche Wetterdienſtſtelle Gießen.
Verlauf der Witterung ſeit geſtern früh: Bei
hohem Druck über Mittel= und Südoſteuropa dauert
im ganzen Bezirk das trockene, am Tage heitere, mor=
gens
nebelige Wetter an. Die Nachttemperaturen ſin=
ken
bis 7 und 8 Grad. Zyklonen, die im Norden Eu=
ropas
vorüberwandern und in Island und Nordruß=
land
bereits Schnee bringen, haben auf unſere Wit=
terung
auch morgen noch keinen weſentlichen Einfluß.
Ausſichten in Heſſen für Freitag, den 30. Sep=
tember
: Anfangs heiter bis nebelig, dann Bewölkung,
trocken, nachts kalt, am Tage Temperatur nicht ge=
ändert
.

Daran ist doch wirklich nichts wunderbar,
daß Fays ächte Sodener Mineral=Paſtillen die
Schleimhäute des Halſes, die Bronchien und neben=
bei
auch die Schleimhäute des Magens und des
Darmes ſo ungemein wohltätig beeinfluſſen. Die
Sodener Quellſalze ſind eben ein Spezifikum für die
Atmungsorgane und die ausgezeichnete Wirkung
der Salze bei Säureanſammlungen im Magen
iſt wiſſenſchaftlich doch auch längſt feſtgeſtellt.
Daraus folgt, daß Fays ächte Sodener nirgends
und in keinem Haushalt zu entbehren ſind. Die
Schachtel koſtet nur 85 Pfg. und iſt in allen ein=
ſchlägigen
Geſchäften zu haben.
(17830M

ſeiernch

Harnsäure, Grundübel der Gicht.
Zeugnis. Ich beſcheinige hierdurch pflicht= und
wahrheitsgemäß, daß ich auf ärztliche Verordnung als
Nachkur gegen Gicht und Blaſenleiden St. Georgs=
quelle
aus Biskirchen a. d. Lahn im Mai 1903 zuerſt
getrunken und ſeitdem vom Frühjahr bis zum Herbſt
alljährlich beibehalten habe; es iſt nicht allein ein
ſchönes Tafelwaſſer, ſondern es trägt beſonders
zur Beſeitigung der unliebſamen Harnſäure im
Körper bei, dem Grundübel der Gicht. Ich habe
ſeit dem Gebrauch dieſer Quelle einen Gichtanfall
nicht mehr gehabt und glaube dies dem längeren Ge=
brauch
der St. Georgsquelle verdanken zu können.
G. O. in St.
Preis für 25 Flaſchen Mk. 9. (18892fI
50
17.
inkl. Verpackung ab Station Stockhauſen a. d. Lahn.

Gottesdienſt bei der israelitiſchen Beligionsgemeinde.
Haupt=Synagoge (Friedrichſtraße 2).
Freitag, den 30. September 1910.
Vorabendgottesdienſt 6 Uhr Min.
Samstag, den 1. Oktober 1910.
Morgengottesdienſt 8 Uhr 30 Min. Sabbat=
ausgang
6 Uhr 50 Min.
Gottesdienſt in der Synagoge der israelitiſchen Religions=
geſellſchaft
.
Samstag, den 1. Oktober.
Vorabend 5 Uhr 30 Min. Morgens 7 Uhr 45 Min.
Nachmittags 4 Uhr 30 Min. Sabbatausgang 6 Uhr
50 Min.
Wochengottesdienſt von Sonntag, den 2. Okt., an:
Morgens 5 Uhr Min. Nachmittags 5 Uhr 30 Min.
Montag, den 3. Okt.: Morgens 4,30.

Danksaqung.

Für die vielen Beweise herzlicher Teilnahme bei dem Hinscheiden unserer
lieben Tochter, Schwester, Schwägerin und Tante
(18905
Trauffen-Huiso Zimmermanf
sagen wir allen Freunden und Bekannten unseren innigsten Dank.
Die tieftrauernd Hinterbliebenen.

Todes-Anzeige.
Statt jeder beſonderen Mitteilung.
Heute früh 4½ Uhr entſchlief ſanft nach
längerem Leiden unſere liebe Mutter und
(18921
Schweſter
Frau Auquste Klebe
geb. Wolff.
In tiefer Trauer:
Carl Klebe,
Elisabeth Klebe,
Julie Gonnermann, geb. Wolff,
Dorothee Timm, geb. Wolff,
Christine Wolff.
Eberſtadt,
den 29. Sept. 1910.
Darmſtadt,
Die Beerdigung findet in aller Stille ſtatt.

Beſtellungen
auf das
Darmſtädter Tagblatt‟
werden in der Expedition, ſowie von allen
Poſtanſtalten entgegengenommen.
Tageskalender.
Hoftheater, Anfang 7 Uhr (Ab. C): Der Biberpelz.
Konzert um 8 Uhr im Hotel Heß.
Konzert um 8 Uhr im Perkeo.
Ausſtellung des Deutſchen Künſtlerbundes (geöffnet
von 10 Uhr ab).
Gemälde=Ausſtellung im Haus Chriſtianſen auf
der Mathildenhöhe (geöffnet von 106 Uhr).
1. Darmſtädter Kinema tograph (Ecke Rhein= und
Grafenſtraße): Vorſtellungen von 311 Uhr.
Großh. Landesmuſenm. Geöffnet: Sonn= und
Freitags von 101 Uhr, Mittwochs und Sonntags
von 35 Uhr, Eintritt frei; Dienstags, Donnerstags
und Samstags von 111 Uhr gegen Eintrittsgeld.

Druck und Verlag: L. C. Wittich’ſche Hofbuchdruckerei.
Verantwortlich für den politiſchen Teil, für Feuilleton,
Reich und Ausland: Dr. Otto Waldaeſtel; für den übrigen
redaktionellen Teil und Letzte Nachrichten: i. V. Dr. Otto
Waldaeſtel; für den Inſeratenteil: J. Kroſt, ſämtlich in
Darmſtadt. Für den redaktionellen Teil beſtimmte
Mitteilungen ſind an die Redaktion des Tagblatts zu
adreſſieren. Etwaige Honorarforderungen ſind beizu=
fügen
; nachträgliche werden nicht berückſichtigt. Un=
nicht
zurückgeſandt=
verlangte
Manuſkript

[ ][  ][ ]

Seite 8.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 30. September 1910.

Nummer 229.

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229.

Freitag, 30. September.

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Freiburg, Kaiserstrasse 35
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Auf Liebespfaden.
Roman von H. Ehrhardt.
(Nachdruck verboten.)
Hans von Haſſingen, der noch immer das Rotwerden
nicht verlernt hatte, war von der Begegnung mit dem
Wer Ulanen=Oberleutnant nicht ſonderlich entzückt, aber
kameradſchaftliche Rückſicht gebot ihm, das nicht merken zu
laſſen.
Die naſſen Biwaks ſind mir ausgezeichnet bekommen,
Meiſenberg, aber wenn der Menſch Pech haben ſoll, geben
kleine Urſachen auch große Wirkungen. Sie wiſſen doch,
daß ich zum Reitkurſus bei Ihrem Regiment kommandiert
wurde; das war ja damals ſchon beſtimmt, als wir uns
beim Abſchiedsdiner Ihres Kommandeurs zum letztenmal
ſahen die Sache ging recht glatt, habe ja ſchon auf dem
Gute meines Onkels oft genug auf einem Gaul geſeſſen
natürlich zum Schluß, acht Tage vor Weihnachten, fährt
der Teufel in das Bieſt von Rappen, der bis dahin wenig
Schwierigkeiten gemacht hatte, will und will nicht über die
Hürde bricht immer vorher ars wie ich ihn endlich

ſo weit hatte und denke, nun geht er zum zweitenmal im
glatten Anlauf drüber, tut er’s wohl, überſchlägt ſich aber
auf der andern Seite und ich komme ausgerechnet mit mei=
nem
kaum geheilten Bein unter ihn zu liegen. Das Re=
ſultat
: eine Quetſchung, Waſſeranſammlung in der Knie=
ſcheibe
, gräßliche Kliniktage, wo ſie mich zöpften und
ſchröpften, elektriſierten und maſſierten, noch gräßlichere in
meiner einſamen Stube in B., wie ich ſie ja ſchon einmal
durchgemacht hatte, und als letzte Rettung: Wiesbaden.
Sein abgemagertes Geſicht hatte ſich bei ſeiner Erzäh=
lung
ſo verdüſtert, daß der hagere Oberleutnant mit wirk=
licher
Herzlichkeit meinte:
Donnerwetter, das tut mir aber leid, Haſſingen. Hat
denn Ihre Kur hier wenigſtens den gewünſchten Erfolg?
Eine abwehrende Handbewegung. Der blonde Offi=
zier
lächelte etwas bitter.
Sie ſehen ja, wie brillant ich vorwärts komme, Mei=
ſenberg
! Sie waren miteinander weiter gegangen, und
es war allerdings ein langſames Wandern. Die vier
Wochen in der Heilmühle haben gar nichts genützt, trotz=
dem
ſie mich natürlich dort auch mit Röntgenſtrahlen durch=

leuchtet haben und mich jetzt noch abwechſelnd baden,
maſſieren und elektriſieren. Seit fünf Tagen wohne ich
privat für teures Geld.
Der andere antwortete nicht ſofort, er ließ die nervöſen
Augen beſtändig über die Vorübergehenden, beſonders die
Damen wandern. Er gehörte zu jener Sorte von Damen=
freunden
, deren Geſchmack Hans Haſſingen von jeher un=
begreiflich
geweſen war.
Ja, iſt ein hölliſch teures Pflaſter, das liebe Wies=
baden
, beſonders wenn man all ſeine Vorzüge genießen
will, meinte er dann mit einem vielſagenden Lächeln. Ich
wohne natürlich auch erſt meine vier Wochen in der Heil=
mühle
, man muß ſeine Groſchen zuſammenhalten, geht
mir auch nicht anders wie Ihnen, lieber Haſſingen.
Dafür hatte dieſer nur ein direkt amüſiertes Lächeln,
denn er wußte, daß der hagere, nervöſe Ulan über einen
recht wohlbegüterten Vater verfügte.
Wenn er dagegen an ſeine Lage dachte! Gewiß, er
konnte hoffen, daß ihm vom Generalkommando ein Bei=
trag
zu den Kurkoſten bewilligt werden würde, aber im
Moment waren es doch die Erſparniſſe, deren Anfänge

[ ][  ][ ]

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Lnamer 229.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 30. September 1910.

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bis in die Kinderzeit zurückreichten, die unaufhaltſam
durch ſeine zögernden Finger glitten, ohne daß er Gene=
ſung
fand oder ſonſt etwas Schönes dafür eingetauſcht
hätte.
Und mit welch großartigen Vorſtellungen war er hier=
her
gegangen.
Wiesbaden! Das Wort hatte für ſeinen von Krank=

heit und ſchweren inneren Kämpfen niedergedrückten Sinn
einen eigenen, belebenden, aufrühreriſchen Klang gehabt.
Als ob dort, in einer Welt voll Genuß und Leichtſinn, voll
Reichtum und Luxus für ihn Vergeſſen und Glück ſich fin=

den müßte.

Manches um ihn und in ihm hatte ſich verändert, ſeit
er an dem ſonnigen Herbſtatge von Helene Falk Abſchied
genommen. Die Schwingen ſeiner Hoffnung, das geliebte
Mädchen einſt zu ſeiner Frau machen zu können, waren
längſt gebrochen, aber er ſchleppte ſie doch noch mit ſich
weiter, weil er den Mut nicht fand, ſich ganz und gar von
dieſer Hoffnung zu löſen. Immer noch kamen Zeiten, in
denen das Wort vom geduldigen Warten tröſtend in ihm
aufklang, in denen er ſich den Kopf zergrübelte, nach wel=
cher
Richtung hin ſich ihm eine Exiſtenz eröffnen könnte,
durch die er der Liebe zu Helene zu ihrem Recht verhelfen
durfte, ohne heilige Sohnespflichten zu vergeſſen.
Er hatte, angeblich im Intereſſe eines Freundes, an
ſeinen Bruder geſchrieben, ihn um die Ausſichten eines
Fortkommens im fremden Lande befragt, aber was dieſer
ihm geantwortet, hatte ihn erſchüttert und angeekelt zu=
gleich
. Den Weg der Entbehrungen und Demütigungen,
der ſchweren körperlichen Arbeit und der ſkrupelloſen Ehr=
begriffe
, den der Bruder gegangen, ehe er ſein Ziel gefun=
den
, in dem noch jetzt ſeine Frau und ſeine Kinder, falls
er erkrankte oder ſtarb, mittellos und bitterer Not preis=
gegeben
daſtehen mußten, dieſen Weg konnte ein Menſch
von Hans Haſſingens Weſen und Art nicht gehen. Er hatte
ein ſtark ausgeprägtes Pflichtgefühl und ein feſtes Wollen,
ſobald er einem ſicheren, erreichbaren Ziel zuſtreben konnte,

aber ihm fehlte die aus ſtarkem Selbſtbewußtſein entſprin=
gende
Energie, die das Ungewiſſe in raſchem Entſchluſſe
wagt und für die Hinderniſſe nur da ſind, um ſie in küh=
nem
Sprunge zu nehmen.
In ſeinen Gefühlen war er ein Zweiſeelenmenſch. Er
loderte nicht raſch und feurig auf, aber wenn ein Gefühl
ihn erfaßt hatte, ging es in die Tiefe und war von einer
ruhigen Beſtändigkeit und Treue, er vergaß über dem
einen nie völlig das andere, noch heute konnte er mit dank=
barer
Zärtlichkeit des kleinen, blonden Bürgermädchens in
S. gedenken, eine Liebe, über die viele andere im Erinnern
nur lächeln und ſpotten würden; aber andernfalls wieder
geſtattete er dieſen Gefühlen keinen zu breiten Raum in
ſeinem Leben. Ein Etwas in ihm lehnte ſich auf gegen
ihre Macht, die ihm die Zügel ſeines Schickſals, ſo weit er
ſie zu führen vermochte, zu entreißen drohte. Er liebte
Helene Falk mit einer ſtarken, ehrlichen und treuen Liebe,
aber er konnte auf die Dauer weder ſo leidenſchaftlich noch
ſo ſentimental lieben, um ſein Leben, ſeine Zukunft für
wertlos zu halten, wenn er Helene nicht erringen könnte.
Ueber Standesvorurteile der Seinen wäre er hinweg=
geſchritten
, nachdem er die eigenen überwunden, aber die
gemeine Not ums tägliche Brot, die ihre Tage verbitterte,
die durch Leid und Kummer zu verſchärfen, das brachte er
nicht fertig.
Wie angſtvoll klangen noch jetzt die Briefe des Vaters!
Nie deutlich ausgeſprochen und doch aus jedem Wort
ſchreiend: Was wird aus Dir, wenn Dein Leiden Dich
dienſtuntauglich macht?
Und die beſorgten Zeilen der Mutter, die nur das
körperliche Wohl des Sohnes im Auge hatte, ihm müh=
ſam
vom Wirtſchaftsgeld abgeſparte Stärkungsmittel
ſandte, die kurzen Kartenmitteilungen des in Sorge
und Arbeit alternden Onkels, der vom unbedingt nöti=
gen
Verkaufen ſchrieb und dem Neffen hundert Mark
ſchickte, damit er das Wiesbadener Theater ſorglos und
ohne Skrupel genießen könnte‟
Und dazwiſchen Helenens häufige, bald leiden=

ſchaftlich hoffende, bald herzzerreißend traurige Mäd=
chenbriefe
, die ihn jedesmal für Stunden in eine Ge=
fühlsduſelei
hineinriſſen, die ihm innerlich wider=
ſtrebte
, die ihn mehr und mehr zu bedrücken begann.
Er ſehnte ſich nach einer Ablenkung, nach einem
ſei’s noch ſo flüchtigen Intereſſe für eine andere Frau,
wobei das Herz ja gar nicht beteiligt zu ſein brauchte.
Aber aus all den blitzenden, kecken Augen, die ihn,
mehr noch als ſeinen blaſſen Begleiter, wohlgefällig
muſterten, ſprang kein zündender Funken zu ihm
herüber.
Helene Falks ſcheuer Liebreiz ſiegte.
Haben Sie ſich hier wenigſtens ſchon gut amüſiert,
Haſſingen? erkundigte ſich der Ulan, indem er fröſtelnd
den Pelzkragen hochſchlug und den ſchwarzen, ſteifen
Filzhut tiefer in die Stirn drückte.
Nach Ihrem Geſchmack wohl gar nicht, Meiſenberg,
und nach dem meinen, offen geſtanden, auch ſehr mäßig.
War viel im Theater und ſchwanke heut’ zum erſten=
mal
in einer Anwandlung von Karnevalsleichtſinn
zwiſchen Hoffmanns Erzählungen und dem letzten
Maskenball im Kurhauſe.
So ſo! Der Ulan wurde plötzlich zerſtreut und ſehr
unruhig und blickte ſcharf geradeaus. Dann ſagte er:
In Wiesbaden darf man nicht ſo lange bedenken und
zögern, muß immer gleich die Gelegenheit zu einem
lleinen oder großen Amüſement beim Schopfe faſſen.
Ich bin erſt ſeit geſtern abend hier, aber wenn Sie
jetzt mitkommen, will ich Ihnen garantieren, daß Sie
ein kleines, pikantes Abenteuer erleben.
Haſſingen wollte nicht gern philiſterhaft ablehnen,
obgleich er zu Meiſenbergs Führertalent recht wenig
Vertrauen hatte.
Er ſah ſeinen ſtarren, nach vorn gerichteten Blick.
Wen haben Sie denn eigentlich geſpürt, Meiſen=
berg
?
Der packte ihn vertraulich am Arm.
(Fortſetzung folgt.)

[ ][  ][ ]

Nummer 229.

Darmſtädter Tagblatt, Freitng, den 30. September 1910.

Seite

Amtliche Nachrichten des Großherzoglichen Polizeiamts Darmſtadt.
Polizeilich eingefangene und zugelaufene Hunde.
In polizeilicher Verwahrung und Pflege in der Hofreite Beſſungerſtr. Nr. 56 be=
finden
ſich: 2 Pinſcher. 1 Foxterrier (zugelaufen).
Die Hunde können von den Eigentümern bei dem 5. Polizei=Revier ausgelöſt
werden. Die Verſteigerung der nicht ausgelöſten Hunde findet dortſelbſt jeden Werk=
tag
, vormittags um 10 Uhr, ſtatt.

Bekanntmachung.
Am 1. und 2. November 1910 findet im Sitzungsſaal des Kaufmannsgerichts,
Waldſtraße 6, Zimmer Nr. 10, die Wahl der je zur Hälfte aus den Kaufleuten
und Handlungsgehilfen zu entnehmenden 20 Beiſitzer für das Kaufmannsgericht
Darmſtadt ſtatt, und zwar am erſten Tage für die Handlungsgehilfen, am andern für
die Kaufleute, jedesmal in der Zeit von 11 Uhr vormittags bis 2 Uhr nachmittags
und von 5 Uhr nachmittags bis 8 Uhr abends.
Zu dieſen Wahlen werden die Stimmberechtigten hiermit eingeladen unter dem
Hinweiſe auf folgende Vorſchriften:
I. Wahlfähigkeit oder paſſives Wahlrecht.
Zu Mitgliedern eines Kaufmannsgerichts ſollen nur berufen werden: Deutſche,
männlichen Geſchlechts, welche das 30. Lebensjahr vollendet, in dem der Wahl voran=
gegangenen
Jahre für ſich oder ihre Familie Armenunterſtützung aus öffentlichen
Mitteln nicht empfangen oder die empfangene Unterſtützung erſtattet haben, in den
Bezirk des Gerichts ſeit mindeſtens 2 Jahren ihre Handelsniederlaſſung haben oder
beſchäftigt ſind und nicht zu den Perſonen gehören:
1. welche die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter infolge ſtrafgericht=
licher
Verurteilung verloren haben,
2. gegen welche das Hauptverfahren wegen eines Verbrechens oder Vergehens
eröffnet iſt, das die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte oder der Fähig=
keit
zur Bekleidung öffentlicher Aemter zur Folge haben kann,
3. welche infolge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen
beſchränkt ſind. Die Beiſitzer müſſen zur Hälfte aus den Kaufleuten, welche
mindeſtens einen Handlungsgehilfen oder Handelslehrling regelmäßig das ganze
Jahr hindurch oder zu gewiſſen Zeiten des Jahres beſchäftigen, zur Hälfte aus
den Handlungsgehilfen entnommen werden.
Den Kaufleuten ſtehen geſetzlich gleich die Mitglieder des Vorſtandes einer Aktien=
geſellſchaft
oder eingetragenen Genoſſenſchaft oder einer als Kaufmann geltenden
juriſtiſchen Perſon, ſowie die Geſchäftsführer einer Geſellſchaft mit beſchränkter Haftung.
II. Wahlberechtigung oder aktives Wahlrecht.
Zur Teilnahme an den Wahlen ſind nur berechtigt: Deutſche, männlichen
Geſchlechts, die das 25. Lebensjahr vollendet und in dem Bezirk des Kaufmanns=
gerichts
ihre Handelsniederlaſſung haben oder beſchäftigt ſind, in die von Großh.
Bürgermeiſterei endgültig feſtgeſtellten Wählerliſten eingetragen ſind und nicht zu den
oben unter 1, 2 und 3 bezeichneten Perſonen gehören.
III. Wählerliſten.
Die Wählerliſten liegen in der Zeit vom 4. bis 10. Oktober 1910 einſchließ=
lich
, von 8 Uhr vormittags bis 6 Uhr nachmittags, bei Großh. Bürgermeiſterei in
dem Bureau, Waldſtraße 6, Zimmer Nr. 2, zur Einſicht offen.
Innerhalb der Offenlegungsfriſt können ſeitens der Beteiligten bei Großh. Bürger=
meiſterei
Einwendungen gegen die Richtigkeit und Vollſtändigkeit der Wählerliſten vor=
gebracht
werden. Wer ſeine nachträgliche Aufnahme in die Liſten verlangt, hat die die
Stimmberechtigung nachweiſenden Beſcheinigungen vorzulegen. Als Beſcheinigungen
genügen für die Kaufleute: Geburtsſchein und ein Auszug aus dem Handels=, Ge=
noſſenſchafts
= oder Geſellſchafsregiſter oder ein Zeugnis des Großh. Polizeiamts, aus
dem die Stimmberechtigung hervorgeht; für die Handlungsgehilfen: Zeugnis des
Arbeitgebers oder des Großh. Polizeiamts, aus dem die Stimmberechtigung hervorgeht.
Die Anerkennung anderer Nachweiſe iſt nicht ausgeſchloſſen.
Formulare zu dieſen Zeugniſſen werden von Großh. Bürgermeiſterei und dem
Großh. Polizeiamt unentgeltlich verabfolgt.
Nach Ablauf der erwähnten Friſt ſind Einwendungen nicht mehr zuläſſig.
Ueber die innerhalb der Friſt erhobenen Einwendungen entſcheidet Großh. Bürger=
meiſterei
, vorbehältlich der Berufung an den Kreisausſchuß, welche binnen einer Friſt
von drei Tagen, von der Bekanntmachung der Entſcheidung an gerechnet, bei der Bürger=
meiſterei
angezeigt und bei dieſer oder dem Kreisausſchuß gerechtfertigt werden muß.
Die Wahlhandlung iſt öffentlich. Während derſelben muß der Wahlausſchuß in
beſchlußfähiger Zahl anweſend ſein. Jeder Abſtimmende übergibt perſönlich ſeinen mit
den Namen derjenigen, welche er zu wählen beabſichtigt, handſchriftlich oder im Wege
der Vervielfältigung ausgefüllten Stimmzettel ohne Namensunterſchrift und ſo zuſam=
mengefaltet
, daß die auf ihm verzeichneten Namen verdeckt ſind, einem Mitglied des
Wahlausſchuſſes, welches denſelben uneröffnet in die Wahlurne legt. Die Abgabe des
Stimmzettels wird in der Wählerliſte angemerkt.
Enthält ein Stimmzettel mehr Namen, als für eine Vorſchlagsliſte zugelaſſen
ſind, ſo kommen nur die der Reihe nach zuerſt aufgeführten in Betracht.
Ungültig ſind Stimmzettel:
1. welche nicht von weißem Papier oder mit einem äußeren Kennzeichen ver=
ſehen
ſind,
2. welche oder inſoweit ſie keinen lesbaren Namen enthalten,
3. inſoweit darin die Perſon eines Gewählten nicht unzweifelhaft zu erkennen iſt,
4. inſoweit darin Namen von überhaupt oder für die betreffende Kategorie nicht
wählbaren Perſonen verzeichnet ſind,
5. welche einen Proteſt oder Vorbehalt enthalten.
Inſoweit die zu 2, 3, 4 und 5 bezeichneten Vorausſetzungen der Ungültigkeit ſich
nur auf einzelne Namen beziehen, gelten bezüglich der anderen Namen die außerdem
auf dem Stimmzettel noch angegebenen Namen.
IV. Aufforderung zur Einreichung der Vorſchlagsliſten.
Die Wahl der Beiſitzer iſt unmittelbar und geheim; ſie findet nach den Grund=
ſätzen
der Verhältniswahl ſtatt derart, daß neben den Mehrheitsgruppen auch die
Minderheitsgruppen entſprechend ihrer Zahl vertreten ſind. Es ergeht hiermit die
Aufforderung an die Wähler, Wahlvorſchlagsliſten, getrennt für Kaufleute und
Handlungsgehilfen, bis ſpäteſtens drei Wochen vor dem Wahltage bei dem Vor=
ſitzenden
des Ausſchuſſes im Stadthauſe einzureichen. Verſpätet eingereichte Vor=
ſchlagsliſten
werden zurückgewieſen.
Jede Vorſchlagsliſte darf höchſtens ſoviel Namen enthalten, als Beiſitzer von der
betreffenden Gattung zu wählen ſind, z. Z. je 10 Namen; die dieſe Zahl überſchießenden
Namen werden geſtrichen; es gelten hiernach nur die erſten zehn auf der Liſte ſtehenden
Namen. Ferner muß jede Vorſchlagsliſte von mindeſtens 20 Wahlberechtigten
unterzeichnet ſein und hat die Benennung eines für weitere Verhandlungen be=
vollmächtigten
Vertreters der Unterzeichner zu enthalten, ſowie die vollſtändigen
Vor= und Familiennamen, das Gewerbe und die Wohnung oder Beſchäftigungs=
ſtelle
der Unterzeichner und der vorgeſchlagenen Perſonen. Liſten, welche den vor=
bezeichneten
Erforderniſſen nicht entſprechen, ſind ungültig, ſofern nicht der Mangel
innerhalb der Einreichungsfriſt beſeitigt wird.
Die rechtzeitig eingereichten und gültigen Vorſchlagsliſten werden nach erfolgter
Prüfung vierzehn Tage vor der Wahl in ortsüblicher Weiſe veröffentlicht.
(18082a
Darmſtadt, den 13. September 1910.
Großherzogliche Bürgermeiſterei Darmſtadt.
J. V.: Jaeger.

Bezug von Tafel- und Kochobſt.
Der Obſtbauverband des Kreiſes Dieburg (Heſſen) hat zum Verkauf des Obſtes
in ſeinem Bezirke eine Vermittelungsſtelle eingerichtet, derart, daß den Obſtliebhabern
Adreſſen nachgewieſen werden, wo und in welchen Sorten Tafel= und Kochobſt ſie
ihren Bedarf zu billigem Preiſe decken können. In unſerem Vereinsbezirke, ausge=
zeichnete
Obſtlage, ſind die beſten Sorten ſehr verbreitet und in vorzüglicher Qualität
vorhanden, ſodaß beim Einkauf von Obſt die weitgehendſten Anſprüche befriedigt
(18864fso
werden können.
Dieburg, den 28. September 1910.
Der Vorſitzende des Kreisobſtbauverbandes Dieburg.
Dr. Kratz, Großh. Kreisrat.

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Zucht geeignet, billig zu verk. (*23885df
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[ ][  ][ ]

Seite 12.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 30, September 1910.

Nummer 229,

Bekanntmachung.
Hierdurch erlaube ich mir, die ergebene Mitteilung zu machen, dass ich mein
Bankgeschäft am 1. Oktober ds. Js. auf Grund besonderer Vereinbarung der
Bank für Handel und Industrie
hier, überlasse, um mich ins Privatleben zurückzuziehen.
Indem ich für das mir im réichsten Masse bewiesene Vertrauen verbindlichst
danke, bitte ich meine verehrliche Kundschaft, ihre Aufträge künftig der
Bank für Handel u. Industrie bezw. deren Depositenkasse, Wilhelminenstr. 14
zu überweisen, auf deren nachstehende Bekanntmachung ich hiermit höflichst
Bezug nehme.
Darmstadt, den 29. September 1910.

Hochachtungsvoll

Alexander Sander
bisher in Firma J. Sander, Bankgeschäft,
Elisabethenstrasse 54.

Unter höflicher Bezugnahme auf vorstehende Bekanntmachung des Herrn
Alexander Sander erlauben wir uns ergebenst mitzuteilen, dass wir dessen Bank-
geschäft
per 1. Oktober ds. Js. übernommen haben.
Wir bitten daher die verehrliche Kundschaft der Firma J. Sander, ihre ge-
schätzten
Aufträge entweder uns oder unserer
Depositenkasse, Wilhelminenstrasse 14.
zuwenden zu wollen, indem wir die prompte und coulante Ausführung dieser Auf-
träge
zusichern.
Darmstadt, den 29. September 1910.

18904P)

Hochachtungsvoll
Bank für Handel und Industrie.

W
W

Unter hohem Protektorat Ihrer Durchlaucht der Fürstin Marie zu Erbach-Schönberg, Prinzessin von Battenberg.
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Licht= und Kraftanlagen.
Wir bringen in Erinnerung, daß die
Einrichtung von elektriſchen Licht=und Kraft=
anlagen
, die an das Kabelnetz des ſtädti=
ſchen
Elektrizitätswerks angeſchloſſen wer=
den
ſollen, ſowie alle Erweiterungen, Ver=
änderungen
und Reparaturen ſolcher An=
lagen
nur von Elektrotechnikern ausgeführt
werden dürfen, die von Großherzoglicher
Bürgermeiſterei eine ſchriftliche Erlaubnis
hierzu erhalten und ſich verpflichtet haben,
alle dieſe Einrichtungen unter Zugrunde=
legung
und gewiſſenhafter Beachtung der
hierfür erlaſſenen beſonderen Vorſchriften
(11188a
auszuführen.
Zur Zeit iſt folgenden Firmen dieſe Er=
laubnis
erteilt:
1. H. Ackermann, Arheilger Straße 82.
2. W. Gelfius, Fuhrmannſtraße 6.
3. Georg Keil, Kirchſtraße 17.
4. Theodor Korfmann, Taunusſtraße 1.
5. Louis Lange, Hoflieferant, Schulſtr. 6.
6. Ernſt Lorey, Karlſtraße 56.
7. Jakob Nohl, Hoflieferant, Wilhelminen=
ſtraße
10.
8. Willy Schoeller, Rheinſtraße 9.
9. Auguſt Wilk, Hoflieferant, Schuchard=
ſtraße
12.
Städt. Elektrizitätswerksverwaltung Darmſtadt.
Meyer.

Belanntmachung.
Freitag, den 11. November I. Js.,
vormittags 10 Uhr,
ſollen die den Stukkateur Georg Gerlach
Eheleuten dahier zuſtehenden Immobilien:
Flur Nr. qm
4 648971/1000o 159 Grabgarten Pfründ=
nerhausſtraße
,
4 6489/7/10000 505 Hofreite daſelbſt,
in unſerem Bureau zwangsweiſe verſteigert
(K132/10
werden.
Darmſtadt, den 26. September 1910.
Großh. Ortsgericht Darmſtadt I.
Müller. (D18876,7

Bekanntmachung.
Freitag, den 21. Oktober I. Js.,
vormittags 10 Uhr,
ſoll die den Bierbrauereibeſitzer Georg
Friedrich Diehl Eheleuten dahier zuge=
ſchriebene
Liegenſchaft:
Flur Nr. qm
35 149/10 212 HofreitehintermBan=
gert
, jetzt Heinhei=
merſtraße
Nr. 77,
in unſerem Bureau zwangsweiſe verſteigert
werden.
(K52/10
Falls andere rechtliche Hinderniſſe nicht
entgegenſtehen, kann Genehmigung der Ver=
ſteigerung
auch dann erfolgen, wenn das
eingelegte Meiſtgebot die Schätzung nicht
erreicht.
Darmſtadt, den 23. September 1910.=
Großherzogliches Ortsgericht Darmſtadt I.
Müller. (D18873,7

Bekanntmachung.
Für den Verkauf des Holzes in dem Holz=
hofe
dahier ſind folgende Preiſe pro Rm.
bis auf weiteres feſtgeſetzt:
Buchen=Scheiter I. Kl. 12 Mk.
II. Kl. 10
Kiefern=Scheiter I. Kl. 10
II. Kl. 8.
Scheiter II. Kl. beſtehen aus aufgeſpal=
tenem
Knüppelholz,
Die Beſtellungen des Holzes haben bei
Großh. Bezirkskaſſe Darmſtadt II zu er=
(6746a
folgen.
Darmſtadt, 12. März 1910.
Großh. Holzmagazins=Verwaltung.
Heinemann, Geh. Forſtrat.

Für ſchönes Lokal
56 Hekto pro Woche, werden ſofort tüchtige
Wirtsleute
kautionsfähig, von auswärtiger Groß=
brauerei
für Darmſtadt geſucht. Auch
werden Lokale gepachtet. Anerbieten unter
W10 an die Expedition ds. Bl. (B18886

Kurſe vom 29. September 1910.
Mitgeteilt von Hermann Reichenbach.

Bf. Staatspapiere. In Proz.
4 Dſche. Reichsſchatzanw. 99,70
3½ Deutſche Reichsanl. . 91,90
82,80
do.
3
4 Preuß. Schatzanweiſg. 99,70
91,90
3½ do. Conſols .
82,90
B do. do.
4 Bad. Staatsanleihe . . 101,50
93,40
do.
3½
do.
3
4 Bayr. Eiſenbahnanl. . 101,50
91,30
do.
3½
do.
3
4 Hamburger Staatsanl. 101,20
4 Heſſ. Staatsanleihe . . 101,20
do.
90,90
3½
do.
80,00
3
3 Sächſiſche Rente . . . 82,70
4 Württembergerv. 1907 101,90
do.
92,70
3½
5 Bulgaren=Tabak=Anl. 100,80
1¾ Griechen v. 1887 . . 47,20
3¾ Italiener Rente .
4½ Oeſterr. Silberrente . 96,90
4 do. Goldrente . . 98,50
do. einheitl. Rente 93,30
3 Portug. unif. Serie I 67,20
3 do. unif. Ser. III
3 do. Spezial. 12,10
5 Rumänier v. 1903 . . 101,70
4 do. v. 1890. .
4 do. v. 1905 .
A Ruſſen v. 1880 8 92,10

InProz.
Zi.
4 Ruſſen v. 1902 .F7. 92,75
4½ do. v. 1905 . . . . 100,10
3½ Schweden . . . . . .
4 Serbier amort. v. 1895 83,50
4 Türk. Admin. v. 1903 86,30
do. unifiz. v. 1903 94,00
4 Ungar. Goldrente . . 93,50
4 do. Staatsrente . 91,30
5 Argentinier . . . . . . 101,00
do.
91,10
4½ Chile Gold=Anleihe . 93,80
5 Chineſ. Staatsanleihe 101,80
do.
99,20
4½
4½ Japaner . . . . . . . 97,50
5 Innere Mexikaner . . 99,70
do.
3
4 Gold=Mexikan. v. 1904 95,20
5 Gold=Mexikaner . . . 100,10
Aktien inländiſcher
Transportanſtalten.
4 Hamb.=Amerika= Paket=
fahrt
.
.142,70
4 Nordd. Lloyd . . . . 108,70
4 Südd. Eiſenb.=Geſ. . . 122,00
Aktien ausländiſcher
Transportanſtalten.
4 Anatol. Eiſenb. 60%
Einz.=Mk. 408
4 Baltimore & Ohio . . 106,75
4 Gotthardbahn .

InProz.
4 Oeſt.=Ungar. Staatsb. 162,00
4 Oeſt. Südbhn. (Lomb.) 22,50
4 Pennſylvania R. R. 129,00
Induſtrie=Aktien.
Mainzer Aktienbrauerei . 205,00
Werger=Brauerei
. 73,00
Bad. Anil.=u. Sodafabrik 491,80
Fabrik Griesheim . . . . 262,50
Farbwerk Höchſt . . . . . 530,50
Verein chem. Fabriken
Mannheim
Lahmeyer :
116,50
Schuckert
.161,75
Siemens & Halske ... 254,00
Adlerfahrradwerke Kleyer 441,50
Bochumer Bb. u. Guß . . 234,00
Gelſenkirchen .
.219,75
Harpener .
. . . . 192,00
Phönix, Bergb. u. Hütten=
betrieb
.
. . . 247,50
Prioritäts=
Obligationen.
8½ Südd. Eiſenb.=Geſ.. . 90,00
4 Pfälzer Prt. . . . . . 100,10
3½ . do.
4 Eliſabeth., ſteuerpfl. . 99,20
4
do. ſteuerfrei .
5 Oeſterr. Staatsbahn.,
* do.
4
97,25
3
do. alte .
5 Oeſterr. Südbahn . .
do.
4
80,20
do.
57,90
3 Raab=Oedenburger . . 75,30
4 Ruſſ. Südweſt. . . . . 90,25
4 Kronpr. Rudolfhahn . 98,20

In Prot.
Bl.
74,50
2¾/10 Livorneſer . .
4 Miſſouri=Paciſic .
4 Bagdadbahn Mk. 408 86,00
Anatoliſche Eiſenb..
5 Tehuantepec . . . . .
Bank=Aktien.
Berliner Handelsgeſ. 165,40
4 Darmſtädter Bank . . 130,90
Deutſche Bank . . . 257½)
Deutſche Vereinsbank 127,00
Diskonto=Geſellſchaft . 189,50
Dresdner Bank . . . . 161,90
Mitteldeut. Kreditbk. 120,20
Nationalbk. f. Deutſchl. 126,00
105,10
Pfälzer Bank.
143,00
Reichsbank .
Rhein. Kredit=Bank . 139,00
4 Wiener Bank=Verein 141,00
Pfandbriefe.
4 Frankft. Hypoth.=Bank
S. 16 und 17 100,20
3½ do. S. 19. . . . . 92,00
4 Frkf. Hyp.=Kreditverein
S. 1519, 2126 99,50
4 Hamb.=Hypoth.=Bank 100,50
3½ do.
90,50
4 Heſſ. Land.=Hyp.=Bk. 101,60
do.
3½
92,30
4 Meining. Hyp.=Bank 101,00
3½
do.
*91,00
4 Rhein. Hypoth.=Bank
(unk. 1917) 100,00
3½ do. (unk. 1914) 90,50
4 Südd. Bd.=Kr.=Bk.=Pf. 100,30
3½ 20g
92,303)

InPryz.
Bl.
Städte=
Obligationen
4 Darmſtadt
100,30
91,80
3½ do.
. 100,90
4 Frankfurt.
95,00
3½ do.
4 Gießen
100,20
3½ do.
4 Heidelberg
3½ do.
91,30
4 Karlsruhe
3½ do.
91,00
-
4 Magdeburg.
-
3½ do.
4 Mainz
-
-
3½ do.
4 Mannheim
* 100,00
3½ do.
4 München
100,30
3½ Nauheim
90,80
4 Nürnberg.
a 100,60
3½ do.
4Offenbach .
99,70
3½ do.
4 Wiesbaden .
* 100,00
3½ do.
4 Worms.
3½ do.
4 Liſſaboner v. 1886.
Verzinsliche
Anlehensloſe.
4 Badiſche Tlr. 100 163,30
3½ Cöln=Mindner 100 135,00
5 Donau=Reg. fl. 100
3 Holl. Komm. A200 104.90

In Proz
Sf.
3 Madrider Fs. 100
4 Meining. Pr.= Pfand=
briefe
.
136,10
4 Oeſterr. 1860er Loſe 175,20
3 Oldenburger .
2½ Raab=Grazer fl. 150 114,50
Unverzinsliche
Anlehensloſe.
Augsburger
fl. 7 37,00
Braunſchweiger Tlr. 20 212,60
Freiburger
Fs. 15 55,10
Mailänder Fs. 45
do.
Fs. 10 32,40
Meininger
fl. 7 37,00
Oeſterreicher v. 1864 100 550,00
do. v. 1858 100 445,00
Ungar. Staats 100 385,50
Venediger
Frs. 30
Türkiſche
400
Gold, Silber und
Banknoten.
Engl. Sovereigns .
20,39
20 Franks=Stücke .
16,17
Oeſterr. 20=Kronen .
16,90
Amerikaniſche Noten .
4,18½
Engliſche Noten ..
20,42
Franzöſiſche Noten .
80,95
Holländiſche Noten .
169,05
Italieniſche Noten . . . . 80,75
Oeſterr.=Ungariſche Noten 85,00
Ruſſiſche Noten . . . . . .
Schweizer Noten . . . . . 80,75

Reichsbank=Diskonto . .
Reichshanf=Lombard (3sf. 6%

[ ][  ][ ]

Nummer 229.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 30.=September 1910.

Seite 13.

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an
925 9fs 5a5 115
bl. 2. bl. 2.
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Hauptbahnhöfe
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a0t
1i 1
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1122e 1127
(e
642 654 706 718 730 736 742 749 756 804 811 S5ß5 904 918 930 5g5 1130 1142
an
654 706 718 730 742749 756 804 811 819826 F 918 930 942
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Seite 14.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 30. September 1910

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Nummer 229.

Darmſtädter Tagblatt. Freitag, den 30. September 1910.

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Seite 18.

Nummer 229,

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 30. September 1910.

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Ein Beſuch bei Carmen Sylva.
nge. Die vornehme Pariſer Geſellſchaft ſteht im all=
gemeinen
nicht in dem Rufe, daß ſie ſich allzu gern mit
ernſthaften Dingen beſchäftigt und den ſchönen Künſten
mehr Aufmerkſamkeit zuwendet, als zum guten Ton
gehört. Es fehlt aber auch in dem Paris von heute
nicht an Salons, in denen der Literatur eine beſondere
Stätte bereitet iſt, und zu dieſen Salons gehört in
erſter Reihe derjenige der Herzogin von Rohan.
Sie iſt nicht nur eine Schützerin junger, aufſtrebender
Talente, ſie dichtet ſelbſt und hat auch mehrere Bände
in Proſa veröffentlicht. Vor einiger Zeit hat die Her=
zogin
eine Reiſe nach dem Oſten Europas, bis an die
Grenze Aſiens unternommen, und von den Eindrücken,
die ſie unterwegs empfing, erzählt ſie in einem Buche,
das jetzt eben erſchienen iſt. Auf dieſer Reiſe hat die
Herzogin von Rohan die ihr geiſtig naheſtehende =
nigin
Eliſabeth von Rumänien auf dem
Schloſſe Peleſch in Sinaja beſucht und es wird gewiß
alle Verehrer und Freunde, die Carmen Sylva
in deutſchen Landen beſitzt und die erſt jüngſt die
Kunde von ihrer Geneſung nach ſchwerer Krankheit
mit aufrichtiger Freude vernahmen, intereſſieren, aus
dem Munde der Herzogin von Rohan eine Schilderung
dieſes Beſuches zu hören.
Das Schloß Peleſch iſt, ſo ſchreibt die Herzogin
von Rohan, ein zugleich großartiger und anziehender
Bau. Er iſt ein Gemiſch von gotiſchem und Renaiſ=
ſance
=Stil, mit viereckigen Türmen, Balkonen, Holz=
ſchnitzereien
, eingeſchloſſenen Höfen und einer Fülle
von Blumen. Rechts von der Eingangshalle befindet
ſich das militäriſche Muſeum: Waffen, Fahnen, Tro=

phäen, ein Szepter, das der deutſche Kronprinz voriges
Jahr als Ueberraſchung, im Aermel verborgen, mit=
brachte
(Es handelt ſich offenbar um den preußiſchen
Feldmarſchallſtab, den der Kronprinz dem Könige von
Rumänien zu deſſen Militärjubiläum im Auftrage des
Kaiſers überbrachte. Die Red.), Schilde und viele an=
dere
Dinge. In der großen Galerie des erſten Stock=
werkes
finden wir den geſamten Hof verſammelt: die
Oberhofmeiſterin, die Ehrendamen, die Kammerherren,
den Arzt, der die Königin von ſchwerer Krankheit er=
rettete
, und alle Eingeladenen. Auf den Tiſchen viele
Bücher. Eine Orgel, ein Klavier, eine Harfe. Neben=
an
ein mauriſcher Salon, ein türkiſches Zimmer, ein
Boudoir im Stile Ludwigs XV. und Möbel, auf
denen man ſitzen kann, eine Seltenheit in Schlöſſern.
Man ſpürt, daß Einfachheit und guter Geſchmack ſich
hier neben der Etikette behaupten. Den Wiſſenſchaften
und den Künſten iſt ein weiter Schutz gewährt, die
Diplomatie berührt ſich mit der Muſik, die Staatsge=
ſchäfte
leben im Einklange mit der=Dichtkunſt, der Li=
teratur
und den Werken der Wohltätigkeit. Hier ſind
die Herrſcher die Eltern ihres Volkes. Kleine und
Große, Reiche und Arme ſind ihnen gleichermaßen will=
kommen
. Einige Minuten nach unſerer Ankunft treten
die Majeſtäten ein. Aus dem Antlitze des Königs
ſprechen Klugheit und Wohlwollen. Die Königin Eliſa=
beth
trägt einen langen weißen Schleier, der zu ihren
ſchönen und edlen Zügen einen wunderbaren Rah=
men
bildet und ihr ein märchenhaftes, unirdiſches Aus=
ſehen
gibt. Ihre Worte ſind voll Güte. Barmherziger
noch als der hl. Martin würde ſie den Armen ihren
ganzen Mantel geben. In der großen menſchlichen
Familie liebt ſie die Kranken und Blinden am meiſten.
Für deren Pflege hat ſie aus angeſehenen Familien
des Landes Schweſtern ausbilden laſſen, deren einfache
Tracht wunderhübſch iſt: ſie ſind alle weiß gekleidet,
mit einem Kreuze auf der Bruſt. Beim Eintritte
müſſen ſie ſich verpflichten, drei Jahre zu bleiben, und
ſie werden heimgeſchickt, ſowie ſie ſich das Geringſte zu
ſchulden kommen laſſen. Die Königin hat großes Mit=
leid
mit den rumäniſchen Bäuerinnen, ſie findet ihre
Arbeit zu hart, zu anſtrengend und den Boden nicht
dankbar genug für ihre Mühen. Ich antworte ihr, daß
ich mein Mitgefühl, da ich eben aus dem Orient komme,
mehr den müßigen, untätigen Geſchöpfen, die dort in
mehr oder weniger goldenen Käfigen gefangen ſind,
zuwende. Arbeit adelt, ſo ſage ich, und ich ziehe ſie
tauſendmal dieſen profanen Klöſtern der Liebe vor.
Dann ſpricht die Königin zu mir von ihrer Arbeit, von
den Kümmerniſſen ihres Lebens. Sie ſagt: Jeder
neue Ring der Lebenskette iſt gewichtiger als der
vorige, je älter man wird, und wie ſchwer zu tragen!
Dieſe treue Mutter kann den Verluſt ihres einzigen
Kindes nicht vergeſſen, deſſen holdes Andenken ein Bild
im Erdgeſchoſſe des Schloſſes wachhält. Die Waſſer der
Quelle von Peleſch, die weit über die Grenzen Ru=
mäniens
hinaus beliebt ſind, werden geraden Weges
in den Speiſeſaal geleitet und füllen als Springbrun=
nen
ein kleines Becken, das in der Mitte des Tiſches
ſteht und rings von einem Parterre wundervoller
Roſen umgeben iſt. Das Arbeitszimmer der Königin
enthält einen rieſigen Schreibtiſch, auf dem ſich drei
Schreibmaſchinen für drei verſchiedene Sprachen, Fran=
zöſiſch
, Deutſch, Rumäniſch, befinden. Man fühlt es,
das iſt der Raum, wo Carmen Sylvas eigentliches
Leben ſich abſpielt, ein Leben, das zwiſchen Arbeit und
Nächſtenliebe geteilt iſt.

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rechnung
und Algebra, ſowie für ebene Geometrie
(Planimetrie) und Anwendung der Algebra auf Geometrie
in Geſprächsform zum Selbſtunterrichte, verfaßt von Di=
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Verlag in Wien und Leipzig). Die bisher erſchienenen
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für Buchſtabenrechnung und Algebra einzig daſtehenden
Werkes, behandeln in 16 Lektionen die Einführung in die
Buchſtabenrechnung leichtverſtändlich und ſpeziell, ſoweit
dies bei Mathematik tunlich iſt, nicht in ermüdender Form
für den Lernenden. Um dem Studierenden eine Kontrolle
der richtigen Durchführung an die Hand zu geben, ſind den
Beiſpielen ſtets richtig durchgeführte Löſungen angefügt.
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Sternſtraße 18, Preis 1,50 Mark). In drei Kapiteln gibt
der Autor in eleganter, höchſt anziehender Form eine Fülle
origineller Anregungen und beweiſt überzeugend, wie das
Wandern zu einem Jungborn völkiſcher Kraft, zu einer
Quelle reinſten und edelſten Lebensgenuſſes werden kann.
Das Buch iſt dazu berufen, vor allem den im Frohn des
Alltags ſtehenden Menſchen der erſehnte Pfadfinder ins
Land des Lebensgenuſſes, der Geſundheit, der Kraft und
der Schönheit zu werden. Herr Geh. Hofrat Auguſt Trinius
hat dem Werkchen ein fein empfundenes Geleitwort mit
auf den Weg gegeben und dadurch die beſondere Bedeutung
der Trojanſchen Ausführungen ausdrücklich anerkannt.
Von der neuen Lieferungsausgabe des Werkes
Die Franzoſenzeit in deutſchen Landen
1806 bis 1815. R. Voigtländers Verlag, Leipzig, liegen
heute zwei weitere Lieferungen 2 und 3 zu je 1 Mark vor
uns, in denen weitere hervorragende Zeitgenoſſen über
traurige Zeit des Zuſammenbruches des preußiſchen Staa=
tes
nach der Doppelſchlacht bei Jena bis Friedland berich=
ten
. Viel beſſer als die beſten, modernen erzählenden Dar=
ſtellungen
geben uns dieſe wertvollen Quellenſchriften eine
anſchauliche Schilderung der damaligen Zuſtände und Er=
eigniſſe
. Das überaus reiche, koſtbare und vortrefflich wie=
dergegebene
Bildmaterial nach Originalen der damaligen
Zeit, darunter eine Menge bisher faſt unbekannte Schätze
aus den berühmten Leipziger Sammlungen, dazu die zeit=
genöſſiſchen
Kartenſkizzen und die Fakſimile= Reproduktio=
nen
von Dokumenten, bilden hier nicht das ſonſt übliche
Beiwerk, ſondern ſie ſpenden uns einen Schatz, der bisher
unſeres Wiſſens nirgends publizert wurde und erſt hier
der Allgemeinheit zugängig gemacht iſt.
J. J. David: Mähriſche Dorfgeſchich=
ten
. (Hausbücherei, Band 34.) Mit Bild Davids und
Einleitung von Profeſſor Dr. A. von Weilen. 146 S.
Preis gebunden 1 Mk. Verlag der Deutſchen Dichter=
Gedächtnis=Stiftung in Hamburg=Großborſtel. Die in
dem Bande vereinigten Erzählungen: Ruzena Capek
und Cyrill Wallenta gehören zum Beſten, was J. J.
David, der allzu früh dahingeſchiedene und leider auch
noch viel zu wenig bekannte Dichter, geſchaffen hat. Die
meiſterhafte Schilderung des Landes der Hanna und
die intereſſanten und feſſelnden Stoffe, die er behan=
delt
, und ſeine knorrige Sprache ſind von packender
Wirkung, der ſich ſchwerlich jemand entziehen kann. Es
iſt zu hoffen, daß durch Herausgabg eines David= Ban=
des
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Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 30. September 1910.

Seite 19.

Nummer 229.

Während den Pausen und vor Anfang
Vorträge des Oberbayer. Virtuosen-Terzetts:
(Hans Reiter, Edi Kiem, Pauli Kiem)
sowie des Orpheum-Orchesters.

Dienstag, 4. Oktober:
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Zum I. Male
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zum Besten der hiesigen Barmherzigen Schwestern.
Montag, den 10. Oktober, abends 7 Uhr im Städt, Saalbau unter
Leitung des Grossh. Hofkapellmeisters
Herrn Hofrat W. de Haan
und unter gütiger Mitwirkung der Konzertsängerin Frau Sophie Schmidt-Illing,
des Herrn Professor Arnold Mendelssohn, des Grossh. Kammersängers Herrn
Georg Weber, des Grossh. Hofkonzertmeisters Herrn Ernst Schmidt, des
Grossh. Kammermusikers Herrn Rohde, sowie der Grossh. Hofmusiker Herrn
Andrä und Winkler.
Kartenverkaufsstellen: Grossh. Hofmusikalienhandlung von G. Thies
(Inh. Herrn Schutter), Grossh. Hofbuchhandlung von A. Bergsträsser (Inh.
Herrn Kleinschmidt), Herrn Kaufmann Horn, Kirchstrasse, Herrn Ludwig
Litzendorff, Privatier, Ludwigstrasse 6, sowie abends an der Kasse des Städt.
Saälbaus.
Preise der Plätze: Sperrsitz (numeriert) 3 Mark, Saal 2 Mark, Loge und
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Vorsaal 1 Mark.
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Morgen Samstag, den 1. Oktober:

mit Konzert.
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Freitag, den 30. September 1910.
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Eine Diebskomödie in 4 Akten
von Gerhart Hauptmann.
Spielleitung: Regiſſeur Hacker.
Perſonen:
von Wehrhahn, Amtsvor=

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Doktor Fleiſcher
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Motes
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Frau Wolff, Waſchfrau
Julius Wolff, ihr Mann
Leontine, 1 ihre
Adelheid, Töchter
Wulkow, Schiffer
Glaſenapp, Amtsſchreiber
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Zeit: Septennatskampf.
Nach dem 2. Akte findet eine längere
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Balkonloge 5 Mk., 1. Rang 4.50 Mk., 2. Rang
(1. bis 6. Reihe) 2.50 Mk., (7. und 8. Reihe)
2. Mk., Sperrſitz (1. bis 13. Reihe) 4. Mk.,
(14. bis 20. Reihe) 3.20 Mk., Parterre (1. bis
5. Reihe) 2.70 Mk., (6. bis 8. Reihe) 2.20 Mk.,
1. Galerie 1.20 Mk., 2. Galerie 60 Pfg.
Kartenverkauf von 11 bis 1 Uhr und von
6 Uhr an.
Anfang 7 Uhr. Ende 9½ Uhr.
Vorverkauf
von 11 bis 1 Uhr für die Vorſtellungen:
Sonntag, 2 Okt. 23. Ab.=Vorſtell. D 6.
Alda‟. Große Preiſe. Anfang 6½ Uhr.
Montag, 3. Okt. 24. Ab.=Vorſtell. A 6.
Neu einſtud.: Das Glück im Winkel.
Kleine Preiſe. Anfang 7 Uhr.
Dienstag, 4. Okt. 25. Ab.=Vorſt. B 7.
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Seite 20.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 30. September 1910.

Nummer 2 9.

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