Darmstädter Tagblatt 1910


21. April 1910

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173. Jahrgang
verbunden mit Wohnungs=Anzeiger und der Sonntags=Beilage: Rheinſtraße 23, Beſſungerſtraße 47,
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Organ für die Bekanntmachungen des Großh. Polizeiamts Darmſtadt, der Großh. Bürgermeiſtereien des Kreiſes und der andern Behörden.
Das Amtsverkündigungsblatt des Großh. Kreisamts Darmſtadt wird Dienstags, Donnerstags und Samstags nach Bedarf beigefügt.

Inſerate
werden angenommen in Darmſtadt,
ſowie von unſeren Agenturen und
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gerichtlicher Beitreibung oder bei Konkurs
kommt jeder Annoncenrabatt in Wegfall.

M 92.

Donnerstag, den 21. April.

1910.

Die heutige Nummer hat 22 Seiten.

Der Revolution entgegen?
(* Die Wortführer der Sozialdemokratie haben mit
der Anwendung ſchärferer Mittel gedroht, nach=
dem
die öffentlichen Maſſendemonſtrationen der Partei ge=
gen
die Wahlrechtsvorlage zwar keineswegs eindrucklos,
aber doch ohne jede einſchüchternde Wirkung in Szene ge=
gangen
ſind. Die Wortführer der ſtaatserhaltenden Par=
teien
haben geantwortet, die Staatsgewalt würde den
ſchärferen Mitteln mit den ſchärfſten entgegentre=
ten
. Aus dem Parlament, aus der Preſſe und aus Ver=
ſammlungn
ſchallt es heraus, als ob ein blutiges Ringen
im eigenen Lande, gegen innere Feinde der beſtehenden
Ordnung, in kurzem bevorſtände. Und Peſſimiſten be=
haupten
: Ganz wie im Jahre 48, wir gehen der Re=
volution
entgegen!
Unſere heutigen Zuſtände laſſen ſich aber ganz und
gar nicht mit denen des Jahres 48 vergleichen. Das =
nigtum
von Gottes Gnaden hatte damals ſein Anſehen in
Deutſchland verloren, weil es ſich den Forderungen der
Nation taub erwieſen hatte. Die Unzufriedenheit ging
durch alle Schichten der Bevölkerung. Und wenn ſie un=
klar
in ihren Zielen war, ſo waren die Regierungen ſich
noch viel unklarer darüber, wie man ihr begegnen könnte.
Die meiſten Regierenden fühlten, daß vom Heer bis zur
Verwaltung alles reorganiſationsbedürftig war, und
fürchteten doch, noch ſchwächer zu erſcheinen, als ſie in
Wirklichkeit waren, wenn ſie dem Ruf nach Reformen ent=
gegenkamen
. Zudem wußten ſie nicht, wo beginnen, ganz
wie die Unzufriedenen, die ſich darüber auch nichtseinig
waren. Heute ſteht der Regierung eine geſchloſſene Partei
gegenüber, eine einheitliche Schicht der Bevölkerung, ein
Teil der arbeitenden Klaſſe. Daß ihr Leute anderer Be=
rufsarten
Führerdienſte leiſten, ändert an dieſer Tatſache
nichts, ebenſowenig wie der Vorſpann und die Gefolgſchaft,
die die bürgerliche Demokratie der Sozialdemokratie lei=
ſten
. Zwiſchen beiden, Demokratie und Sozialdemokratie,
klafft der Abgrund, daß die Demokraten zumeiſt zu den
Beſitzenden zählen, während die Sozialdemokratie die Be=
ſitzloſen
unabhängig vom Kapitalismus machen will. Beide
Parteien können wohl eine Weile gemeinſchaftlich marſchie=
ren
, aber ſie können niemals vereint ſchlagen.
Die Tatſache, daß die Sozialdemokratie ſich über das,
was ſie erreichen will, klarer iſt, als es die Unzufriedenen
von 48 waren, ſcheint ja zunächſt für die Situation be=
drohlicher
, als ſie um die Mitte des vorigen Jahrhunderts
war. Ein einiger Feind iſt gefährlicher als ein uneiniger.
Aber die konſtitutionelle Monarchie ſteht dieſem Feinde
nicht erſchüttert gegenüber,wie die abſolute im Jahre 1848,
ſondern ſie blickt gerade in Deutſchland auf ein halbes
Jahrhundert unerhörter und glänzender äußerer Erfolge
und einer niemals für möglich gehaltenen inneren Ent=
wickelung
zurück. Die Sicherheit und das Selbſtbewußt=
ſein
, die ihr dadurch gegeben ſind, werden unantaſtbar ge=
macht
durch ein in ſeinen Fundamenten ganz unerſchütter=
tes
Heer und durch eine niemals vorher gekannte Zentra=
liſation
aller ihr zur Verfügung ſtehenden Kräfte. Eine
noch ſo zahlreiche politiſche Partei, die im Ernſt das Ziel
verfolgte, dieſer Staatsgewalt mit Waffen=
gewalt
entgegenzutreten, müßte von dem Furor
der Selbſtvernichtung beſeſſen und zur Verzweiflung ge=
trieben
ſein. Der deutſche Arbeiter erinnert ſich viel zu
gut der Lage und der Lebenshaltung, aus denen er ſich
in Jahrzehnten emporgearbeitet hat, um ſeine Erfolge
durch eine ſo horrende Dummheit zu gefährden, wie eine
blutige Revolution wäre. Maſchinengewehren gegenüber
kann man keine Barrikaden bauen. Einer modernen Ar=
mee
gegenüber kann nicht einmal mehr ein ganzes Volk,
viel weniger ein Bruchteil eines Volkes auch nur an vor=
übergehende
Erfolge glauben. Auch der=Abgeordnete Lieb=
knecht
und Roſa Luxemburg nicht Wenn ſie ſich in ihren
Reden den Schein einer ſolchen Torheit geben, ſo iſt das
zum Teil ein Ausfluß ihres Temperaments, zum Teil
Agitationshunger. Wer nicht über das Ziel hinausſchießt,
iſt ein ſchlechter Agitator. Gefolgſchaft hat nur, wer ſich
ſeine Ziele unerreichhar zu ſtecken ſcheint.
Wahrſcheinlich, daß ſich auch nüchternere und klarere
Führer der Sozialdemokratie allmählich immer mehr mit
dem Gedanken befreunden, mit einem Maſſenſtreik, noch
beſſer: mit einem Generalſtreik die beſtehende Ord=
nung
niederzuwerfen! Alle Räder ſtehen ſtill, wenn dein
ſtarker. Arm's will, wie ihnen ein Parteipoet vorgeſun=
gen
hat. Und wie es ihnen die ruſſiſchen Revolutionäre

vorgemacht haben. Leider ſcheint die Partei vergeſſen zu
haben, einen wie kläglichen Verlauf das Experiment in
Rußland nahm, trotzdem dort noch einige Räder mehr
ſtillſtanden, als bei uns ſtillſtehen würden, Eiſenbahnen,
Poſt, Telegraphen, Banken zum Beiſpiel. In Rußland
durfte der ſtarke Arm nicht lange feiern, weil der hungrige
Magen zu eſſen verlangte! Nicht immer nutzen ſolche
Lehren, unſere Arbeitgeber mögen ſich immerhin darauf
vorbereiten, daß ihren Fabriken und Betrieben einmal ge=
gen
ihren Wunſch Stillſtand geboten werden könnte. Auf
ſie wird es ankommen, ob die Sozialdemokratie, wenn die
Räder ſich wieder zu drehen beginnen, einen Sieg oder
eine Niederlage zu verzeichnen hat.
Dann mag es auch hier und da blutige Köpfe geben,
Revolten, die mit Waffengewalt unterdrückt werden müſ=
ſen
. Aber Revolution!? Die erfordert mehr Vorbe=
reitungen
, als ungeſehen getroffen werden können, mehr
Grund zur Unzufriedenheit, als vorhanden iſt, mehr Fa=
natismus
, als ſich in verſtändigen Köpfen feſtſetzen kann,
und weniger bürgerlichen Ordnungsſinn, als die arbei=
tende
Klaſſe ſich unter ihren gebeſſerten Lebensbedingungen
zu eigen gemacht hat!
Wahlprüfungen.
* Die Wahlprüfungskommiſſion des
Reichstags hat die Wahl des Abg. Wehl (14. Hanno=
ver
) für ungültig erklärt, weil ſie es für erwieſen hielt, daß
Wehl durch amtliche Stellen und durch Kriegervereine, die
von der Mehrheit der Kommiſſion als eine behördliche
Einrichtung angeſehen wurden, unterſtützt worden ſei. Ob
das Plenum dieſer Auffaſſung beitreten wird, iſt noch
zweifelhaft. Die Kommiſſion beſchloß, alle Krieger=
vereinlerſtimmen
einfach zu kaſſieren. Man zog dem Kan=
didaten
Wehl 1223 Stimmen ab, ſodaß er die Mehrheit
verlor.
Das iſt nun ſchon das ſiebente Mandat, das im Ver=
laufe
der letzten Wochen von der Wahlprüfungskommiſſion
für ungültig erklärt wurde, nachdem freilich die betreffenden
Abgeordneten die Mandate ſchon ſeit über drei Jahren
inne hatten. Die betroffenen Abgeordneten ſind die Herren
Arnſtadt für Mühlhauſen=Langenſalza (konſ.), Henning
für Kalau=Luckau (konſ.), Kleye für Wolfenbüttel= Helm=
ſtedt
(nl.), Gottfried Mayer für Pfarrkirchen (Zentr.), von
Kaphengſt für Oſt= und Weſt=Sternberg (konſ.), Sievers
für Lüneburg=Winſen (nl.), endlich Wehl für Celle=Peine=
Gifhorn (nl.)
Es iſt nicht zu leugnen, daß dieſe Fälle alle ſchon reich=
lich
früher hätten erledigt werden können, ſowohl von der
Kommiſſion, wie auch vom Plenum, das ſeinerſeits ſich
noch mit keinem der ſieben Fälle befaßt hat. Mindeſtens
hätte der Reichstag ſofort nach Oſtern die Sache erledigen
müſſen. Das Haus iſt aber jetzt ſchon 8 Tage zuſammen
und noch weiß man nicht, daß und wann die Wahlprü=
fungen
daran kommen. Ja man hört Stimmen im
Reichstag, daß die Wahlprüfungen überhaupt nicht erle=
digt
werden ſollen. Die Parteien ſcheuten die Koſten der
Neuwahlen.
In jedem Falle iſt es nötig, da bisher in jeder Periode
die Wahlen mit größter Saumſeligkeit geprüft worden
ſind, daß ein Geſetz gemacht wird, daß innerhalb der
6 Monate nach den Neuwahlen ſämtliche Mandate ge=
prüft
werden müſſen. Aehnliche Vorſchriften beſtehen in
anderen Parlamenten.
Oelpalmen=Verſuchspflanzung in Oſtafrika.
op. Die faſt unbegrenzte Aufnahmefähigkeit des Welt=
marktes
für Oelfrüchte und der Vorteil, der unſerer oſt=
afrikaniſchen
Kolonie durch die Kultur der Oelpalme er=
wachſen
würde, veranlaßte den Beſchluß der Kolonialwirt=
ſchaftlichen
Komitees, eine Oelpalmen= Verſuchs=
pflanzung
einzurichten.
Während Togo und Kamerun mit etwa 5½ Millionen
Mark an der jährlichen Einfuhr von Palmöl und Palm=
kernen
nach Hamburg allein im Werte von über
70 Millionen Mark beteiligt ſind, findet eine Aus=
fuhr
aus dem klimatiſch ähnlichen Deutſch=Oſtafrika bis
jetzt nicht ſtatt. Intereſſiert ſind an der Einfuhr zahlreiche
Induſtrien, wie die Kerzen=, Seifen=, Schmieröl=, Speiſeöl=,
Margarine=, Parfümerie=, die chemiſche Induſtrie und un=
ſere
heimiſche Landwirtſchaft (Oelkuchen als Viehfutter).
Ermutigend für die Einführung der Oel=
palme
in Oſtafrika und für eine vermehrte Aus=
beute
der Oelpalmenbeſtände in Weſtafrika wirkt die
infolge eines Preisausſchreibens des Kolonialwirtſchaft= 1

lichen Komitees in Deutſchland erfundene Palmöl=
und Palmkern=Gewinnungsmaſchine, die
nunmehr auch eine durch Europäer zu betreibende Oel=
palmen
=Plantagenkultur ermöglicht; bei der jetzigen Be=
reitungsweiſe
der Eingeborenen gehen etwa zwei Drittel
des in den Früchten enthaltenen Oeles einfach verloren.
Tauſende von Tonnen der Früchte verfaulen in den Wäl=
dern
Weſtafrikas, weil es an Transportmitteln und
namentlich an Maſchinen fehlt, dieſe an Ort und Stelle
rationell zu verarbeiten.
Das Komitee hat eine beſondere Oelpalmen= Kommiſ=
ſion
, beſtehend aus induſtriellen und kolonialen Sachver=
ſtändigen
eingeſetzt, die ſich u. a. befaſſen ſoll mit der
Oelpalmen=Verſuchspflanzung, mit der Verteilung von
Pflanz=, Qualitätsprämien= und Transportvergütungen,
mit der Errichtung von Pionier=Palmöl= und Palmkern=
Gewinnungsfabriken. Die Verſuchspflanzung in Oſtafrika
iſt an die Baumwollſchule Mpanganya am oberen Rufiyi
angeſchloſſen und ſoll insbeſondere planmäßige Verſuche
mit weſtafrikaniſchen und anderen Sorten und die Abgabe
von Pflänzlingen an Europäer=Plantagen und an die ein=
geborene
Bevölkerung betreiben.
Deutſches Reich.
* Zum deutſchen Geſandten in Kopenha=
gen
iſt, wie die N. G. C. erfährt, der bisherige Ge=
ſandte
bei der argentiniſchen Republik in Buenos Aires
Dr. v. Waldthauſen ernannt worden. Legationsrat
Dr. v. Waldthauſen entſtammt einer außerordentlich be=
güterten
rheiniſchen Großinduſtriellen=Familie, die ihren
Sitz hauptſächlich in Eſſen hat. Herr von Waldthauſen
wurde dort am 30. Juni 1858 geboren, iſt alſo 51 Jahre
alt. Er wurde im Mai 1880 Referendar beim Oberlandes=
gericht
in Frankfurt a. M., beſtand 1885 das Aſſeſſor= Exa=
men
und ging 1887 zur diplomatiſchen Laufbahn über.
Er war Botſchaftsſekretär in Madrid, dann Legations=
ſekretär
in Tokio und leitete 1892 nach der Abberufung
des Herrn von Holleben die Geſandtſchaft in Waſhington
als Geſchäftsträger. Nachdem er im Frühjahr 1893 zum
Legationsrat befördert worden war, kam er als zweiter
Botſchaftsfekretär nach St. Petersburg, von dort ein Jahr
ſpäter nach Rom und ging 1895 als Generalkonſul nach
Kalkutta, wo er 1900 den Geſandtentitel erhielt. Von 1901.
bis 1904 war er beurlaubt und wurde dann am 11. Mai
1904 als Geſandter bei der Republik Argentinien beglau=
bigt
. Seit 1906 iſt Herr von Waldthauſen mit dem Frl.
Ellinor Böcking, einer Nichte des verſtorbenen Frhrn. von
Stumm=Halberg, vermählt. Er iſt wohl der reichſte
aller deutſchen Diplomaten und war bei der
ſilbernen Hochzeit des Kaiſers in der Lage, dem Monar=
chen
eine bare Million zu gemeinnützigen Zwecken
zur Verfügung zu ſtellen. Aus eigenen Mitteln übergab
er auch vor kurzem dem Kaiſer 200000 Mark zur Unter=
ſtützung
des Deutſchtums in Argentinien.
Zu der Erſatzwahl in Friedberg= =
dingen
ſchreibt die Köln. Ztg.: Unter den Anhän=
gern
des Grafen Oriola ſind auch die Mitglieder des Bun=
des
der Landwirte geweſen, die bei der bevorſtehenden Er=
ſatzwahl
wohl für den Kandidaten der Rechten eintreten,
werden. Da die Deutſchſozialen aber im Großherzogtum
Heſſen an Bedeutung außerordentlich viel eingebüßt ha=
ben
, wird die nationalliberale Partei von einer konſer=
vativen
Kandidatur nicht viel zu befürchten haben. Die
Gefahr könnte von der radikalen Linken kommen. Dieſe
Gefahr würde ſich aber vermindern, wenn die national=
liberale
Partei einen Kandidaten aufſtellte, für den auch
der Freiſinn ſchon im erſten Wahlgang eintreten könnte.
Im Wahlkreiſe Friedberg=Büdingen iſt Gelegenheit gege=
ben
, das Wort von der liberalen Solidarität, das in letzter
Zeit von unterſchiedlichen liberalen Parlamentariern ge=
ſprochen
worden iſt, zur Tat werden zu laſſen. Bei dem
ländlichen Charakter des Wahlkreiſes, der nur einige
Städte mit wenigen tauſenden Einwohnern hat, und bei
den zu berückſichtigenden Parteiverhältniſſen erſcheint die
Kandidatur eines Landwirts, vielleicht eines Bauern=
bündlers
, an deſſen liberaler Geſinnung nicht gezweifelt
werden könnte, als ausſichtsreich.
Zur Ausſperrung im Baugewerbe er=
ließen
die Hauptſtelle deutſcher Arbeitgeberverbände und
der Verein deutſcher Arbeitgeberverbände eine Erklä=
rung
, in der es heißt: Der Verein deutſcher Arbeit=
geberverbände
, welcher der im Kampfe ſtehende deutſche
Arbeitgeberbund für das Baugewerbe als Mitglied ange=
hört
und die mit ihm in Kartellverhältnis ſtehende Haupt=
ſtelle
deutſcher Arbeitgeberverbände erkennen bei aller
Wahrung ihres jeweiligen grundſätzlichen Standpunktes

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Nummer 92.

Seite 2.

Darmſtädter Tagblatt, Donnerstag, den 21. April 1910.

hinſichtlich der einzelnen Programmpunkte, insbeſondere
hinſichtlich der Tarifverträge durchaus an, daß das Vor=
gehen
des deutſchen Arbeitgeberbundes für das Bau=
gewerbe
berechtigt geweſen iſt und daß den immer weiter
gehenden Anſprüchen und Beſtrebungen der Arbeiterorga=
niſationen
auch einmal der berechtigte Standpunkt des Ar=
beitgebers
entgegengeſetzt werden muß. Die im Kampfe
befindlichen Arbeitgeber des Baugewerbes ſind hiernach
der tatkräftigen Unterſtützung der übrigen organiſierten
Arbeitgeber von Induſtrie und Gewerbe ſicher.
Die Kommiſſion des Reichstages für
das Kaligeſetz trat zu einer unverbindlichen Aus=
ſprache
über den neuen Kompromißgeſetzentwurf zuſam=
men
. Dieſer Entwurf ſieht bekanntlich u. a. die Abſatzkon=
tingentierung
für das In= und Ausland, eine Preisfeſt=
ſetzung
, die Schaffung einer Verteilungsſtelle, einer Beru=
fungskommiſſion
und den Ausſchluß des Rechtsweges vor.
Im allgemeinen zeitigte die Beſprechung das Reſultat, daß
der Entwurf bei den Parteien der Linken die zwar noch
nicht offiziell Stellung genommen haben auf ſehr erheb=
liche
Bedenken ſtößt. Auch aus den Reihen der Konſer=
vativen
und des Zentrums wurden noch mancherlei Wünſche
geäußert, die jedoch das Zuſtandekommen des Geſetzes an=
ſcheinend
nicht ernſtlich gefährden.

Der Landesausſchuß für Elſaß=
Lothringen kehrte am Dienstag zur Budgetberatung
zurück, nachdem zwiſchen dem Unterſtaatsſekretär Petri
und Blumenthal noch zwei Stunden lang über bedeu=
tungsloſe
Juſtizbeſchwerden perſönlicher Natur verhandelt
worden war. Der Schluß dieſer perſönlichen Debatten er=
folgte
nach einer Erklärung des Staatsſekretärs Baron
Zorn von Bulach, daß Wetterlé heute größer da ſtünde,
wenn er die Erörterungen im Landesausſchuß vermieden,
die Juſtiz nicht angegriffen, ſondern ſtumm ſeine zwei

Monate für Elſaß=Lothringen geſeſſen hätte.
Die Wahlrechtskommiſſion des preu=
ßiſchen
Herrenhauſes nahm in der Geſamtabſtim=

mung die Vorlage mit 10 gegen 9 Stimmen an,

Ausland.

Im öſterreichiſchen Abgeordnetenhauſe ſprach ſich im
weiteren Verlaufe der Beratung des Geſetzentwurfes über
die Dienſtpragmatik die Mehrzahl der Redner un=
ter
Anerkennung einzelner moderner Beſtimmungen der
Vorlage gegen die Einſchränkung der Koalitions= und Ver=
einsfreiheit
der Staatsbeamten aus und verwahrte ſich
dagegen, daß die Staatsbedienſteten zu Staatsbürgern
zweiter Klaſſe herabgedrückt würden. Einzelne Redner be=
fürworteten
, die richterlichen Beamten nicht in die Dienſt=
pragmatik
einzubeziehen, um die richterliche Unabhängig=
keit
zu wahren. Die Abgeordneten v. Stransky und Mühl=
wert
verlangten die nationale Trennung der Qualifika=
tionskommiſſionen
und Diſziplinarſenate in Böhmen und
Mähren. Darauf wurde die Beratung über dieſen Ge=

genſtand abgebrochen und der Dringlichkeitsantrag Vuko=
witſch
über die dalmatiniſchen Anſchlußbahnen weiterbe=

raten.
Auf eine Anfrage des Lords Lansdowne im eng=
liſchen
Oberhauſe erklärte Lord Crewe, die Regierung
ſei bereit, die Veto=Reſolutionen ſehr bald vorzunehmen,
aber er glaube, daß es bequemer ſein werde, wenn die

Wie politiſche Schlagworte entſtehen.
In einer der erſten Reden, die Herr von Beth=
mann
Hollweg als Reichskanzler vor dem Parlament
hielt, glaubte er eindringlich vor dem Mißbrauche
politiſcher Schlagworte warnen zu müſſen.
Die Warnung war ſicherlich gut gemeint und, bis zu
einem gewiſſen Grade, auch unzweifelhaft berechtigt.
Es liegt in vielen Schlagworten eine Art von ſugge=
ſtiver
Kraft. Sie ſetzen ſich auf dem Wege des Gehörs
im Gehirne ſo feſt, daß man ſich daran gewöhnt, ſie
wie ewige, unerſchütterliche Wahrheiten hinzunehmen,
während doch oft genug nichts weiter hinter ihnen
ſteckt als ein ſchiefes Bild oder eine hiſtoriſche Lüge.
Trotzdem wird gerade gegen die politiſchen Schlag=
worte
jeder Kampf ausſichtslos und von vornherein
verloren ſein. Sie ſind unentbehrlich. Sie ragen aus
den Reden und Schriften der Politiker hervor wie
Fahnen und Standarten im Gewühle der Schlacht, ſie
ſind Feldzeichen, um die die Heerhaufen ſich ſammeln.
Oder ſie ſchmücken doch wenigſtens das Einerlei des
wohlgepflegten Satzbaues wie Blumenbeete auf weiten
Raſenflächen. Manche Schlagworte ſind als geflügelte
Worte Gemeingut aller geworden. Georg, Büch=
mann
und ſeine Nachfolger haben denn auch mit
vollem Rechte einer ganzen Anzahl von politiſchen
Schlagworten Aufnahme in das Werk Geflügelte
Worte gewährt, das als eines der vortrefflichſten
Bücher der deutſchen Nachſchlageliteratur ſoeben in 24.
Auflage erſchienen iſt.
Kein deutſcher Politiker ſpricht oder ſchreibt heu=
tigen
Tages über England, ohne unſere liebenswürdi=
gen
Vettern jenſeits des Kanals hin und wieder mit
dem Sammelnamen John Bull zu bezeichnen,
namentlich, wenn er den geſunden, kraftſtrotzenden
Egoismus hervorheben will, den England von alters=
her
in allen politiſchen Fragen bekundet. Die Eng=
länder
ſelbſt haben uns gelehrt, uns John Bull als
einen ſtämmigen, unterſetzten Geſellen in der Tracht
der britiſchen wohlhabenden Gutsbeſitzer des 18. Jahr=
hunderts
vorzuſtellen, im blauen Frack, mit weißen
Beinkleidern und Stulpenſtiefeln, einer gelben Weſte
über dem wohlgerundeten Bäuchlein und einem nied=
rigen
, ſchwarzen Zylinderhute auf dem fetten, vom
Genuſſe alten Portweines angenehm geröteten Kopfe.
Der geſchichtliche John Bull aber war Hoforganiſt des
Königs Jakob I. von England und lebte nicht vor 100
oder 150, ſondern vor 300 Jahren. Er beſitzt auch für
uns Deutſche einiges Intereſſe, weil er als der Schöpfer
der engliſchen Nationalhymne God save the King
gilt, aus der unſer Heil Dir im Siegerkranz ent=
ſtanden
iſt. In ſeiner politiſchen Satire Hiſtory of
John Bull wendet John Arbuthnot 1712 zum erſten
Mäle den Namen auf das engliſche Volk an. Die Ber
einigten Staaten von Nordamerika nennen wir, ebenfo
anſchaulich, Bruder Jonathan oder Unele
Sam. Beide, Bruder Jonatban und Unele Sam,

Debatte nach der Frühjahrspauſe, ungefähr am 24. Mai;
ſtattfinden würde. Die auf den Veto=Reſolutionen baſier=
ten
Geſetzesvorlagen werden vor dem Beginn der Debatte
veröffentlicht werden. Das Budget werde am 28. ds. Mts.
im Oberhauſe zur Debatte gebracht und die königliche Zu=
ſtimmung
am nächſten Tage erklärt werden, wenn nicht
die Lords die Debatte verlängern ſollten. Er könne keine
Angaben machen, wenn Roſeberys Reform=Reſolution
zur Debatte gelange, aber er meine, es ſei vielleicht prak=
tiſch
, ſie vor der vorgeſchlagenen Tagung am 29. ds. Mts
zu diskutieren.
Bei der Einbringung des alten Budgets für
1909/1910 im Unterhauſe erklärte Lloyd George,
obſchon ein taſächliches Defizit von 26 243000 Pfund Ster=
ling
vorhanden ſei, würde dies durch Erhebung der noch
rückſtändigen Staatseinnahmen mehr als ausgeglichen
werden und ſogar ein Ueberſchuß von 2960000 Pfd.
Sterling vorhanden ſein. Wenn die Lords das Budget
nicht verworfen hätten, was zu einem Verluſt des Schatz=
amtes
durch Nichtbezahlung von Einkommenſteuern,
Stempelſteuern, Zöllen und anderen Beträgen geführt habe,
ſo würde der Ueberſchuß für das Jahr 1909 4 200000 Pfd.
Sterling betragen haben. Er glaube, wenn die Ungewiß=
heit
für die Induſtrie nicht exiſtiert hätte, ſo hätte die
Whiskyſteuer den Ueberſchuß um weitere 1250000 Pfund
Sterling geſteigert. Während der Dauer von vier Mo=
naten
hätten ſich die Finanzen des Landes in einem Zu=
ſtande
der Verwirrung befunden, doch habe die Regierung
drei Millionen Pfund aus den Staatseinkünften des Jah=
res
zur Verminderung der öffentlichen Schuld verwendet
und einen Ueberſchuß von 2900000 Pfund Sterling er=
zielt
, welcher ebenfalls für die Verminderung der Schul=
den
oder zu jedem anderen Zwecke, den das Haus wählen
möge, verwendet werden könne. Er glaube nicht, daß ir=
gend
ein anderes Land dies fertig bekommen hätte. Es
ſei lächerlich, wenn behauptet würde, daß die Finanz=
wirtſchaft
des Freihandelsſyſtems verſagt
habe und das geſamte fiskaliſche Syſtem zuſammengebro=
chen
ſei. Es gebe kein anderes fiskaliſches Syſtem, das
aus einer ſo ſtarken Anſpannung, wie ſie dem Lande auf=
erlegt
worden ſei, ſo triumphierend hätte hervorgehen
können.
Das portugieſiſche Unterhaus war auch am Diens=
tag
der Schauplatz wüſter Szenen. Nachdem der Führer
der Regierungspartei erklärt hatte, er befürworte die Vor=
age
zur Ordnung der Einſprüche Hintons, umſomehr, als
kein beſſeres Projekt vorliege, brachte die Oppoſition eine
Vorlage ein, deren Diskuſſion von der Regierung verwor=
fen
wurde. Darauf brach der bekannte Lärm in verſtärk=
tem
Maße aus. Die Sitzung mußte geſchloſſen werden.
Die augenblickliche Situation iſt ſo kritiſch, daß entweder
die Auflöſung der Kammer oder eine Miniſterkriſis un=
mittelbar
bevorſteht. In erſterem Falle dürften ernſtere
Verwickelungen unausbleiblich ſein.
Bei der Beratung der Klauſel der kanadiſchen Flot=
tenbill
, die beſagt, daß die kanadiſche Flotte ohne den im
Geheimen Rat erlaſſenen formellen Befehl des General=
gouverneurs
nicht in Aktion treten kann, erklärte Premier=
miniſter
Laurier im Hauſe der Gemeinen, daß
England in der Vergangenheit ſchon in ſolche Kriege

verwickelt geweſen ſei, daß Kanada unmöglich hätte teil=
nehmen
können, z. B. in der Krim und in Aegypten. Wenn
natürlich Großbritannien ernſtlich in Gefahr geraten ſollte,
ſo würde die Woge der Begeiſterung das ganze Reich über=
fluten
und dann würden die ganze Flotte und alle Hilfs=
quellen
Kanadas dem Mutterlande zur Verfügung ſtehen.
Der Führer der Oppoſition Borden ſagte, das Geſchick des
Reiches könnte binnen zehn Tagen entſchieden ſein und die
kanadiſche Flotte könnte nur eine geringe Unterſtützung
bringen, wenn immer erſt formelle Erlaubnis nötig ſei.
Das Bundeskabinett in Auſtralien iſt in=
folge
des Ausfalls der Wahlen zurückgetreten.

Stadt und Land.
Darmſtadt, 21. April.
III. Kammermuſikfeſt Darmſtadt 1910.
P.A. Das dritte Kammermuſikfeſt findet
unter dem Protektorat Sr. Königl. Hoheit des Groß=
herogs
in Darmſtadt in den Tagen vom 3. bis 5. Juni
d. J. ſtatt. Am erſten Tage gelangen Inſtrümental=
rompoſitionen
und Lieder der Klaſſiker J. S. Bach,
Haydn und Gluck und in einer beſonderen Abteilung
Werke von R. Schumann zur Feier von deſſen 100. Ge=
burtstage
zur Aufführung. Das Programm des zweis
ten Tages enthält Quartette von Mozart und Brahms,
Klavierſonate von Beethoven und Lieder von Schubert
und Hugo Wolf und ein Oktett von J. Spendſen. Für
den dritten Tag ſind Erſt= und Uraufführungen vör=
geſehen
und zwar: ein Trio für Klavier, Violine und
Violoncell von Stephan Krehl, Lieder für Alt von
M. Schillings, Hans Pfitzner und Max Reger und ein
Quintett für Klavier und Streichinſtrumente von
H. Pfitzner, ſowie im zweiten Teil ein Streichquartett
von F. Woyrſch, Lieder für Sopran von Cl. Debuſſy und
als Uraufführung ein Klavierquartett von Max Reger.
Mitwirkende ſind: Die Darmſtädter Kammer=
muſikvereinigung
und das Havemann=Quartett (die
Herren Havemann, Groſchopp, Grünsfelder und Dr.
Sakom), ferner die Komponiſten Max Reger und Hans
Pfitzner, und als Soliſten der Klaviervirtuoſe Frédérie
Lamond, die Sängerinnen Frau Ilona Durigo aus
Peſt und Frau Lauprecht=Lammen aus Frankfurt a. M.
Weitere orientierende Mitteilungen über Kompo=
niſten
und Künſtler werden folgen.

* Empfänge. Se. Königl. Hoheit der Groß=
herzog
empfingen geſtern den Oberſt v. Ruville,
Kommandant von Mainz, den Oberſtleutnant v. Behr,
beauftragt mit der Führung des Inf.=Regts. Prinz
Karl (4. Großh. Heſſ.) Nr. 118, den Hauptmann v. Hahn,
Batteriechef im Großh. Art.=Korps, 1. Großh. Heſſ.
Feldart.=Regt. Nr. 25, den Techniſchen Eiſenbahnſekretär
Koehler von Mainz, den Edgar Andrege von Frank=
furt
a. M., den Profeſſor Pützer, den Geh. Reg.=Rat
Noack, den Pfarrer Werner von Nidda, den Profeſſor
Neumann von Gießen, den Profeſſor Zimmer, den
Pfarrer Römer von Herchenhain, den Pfarrer Reichert
von Ober=Lais; zum Vortrag den Staatsminiſter
Ewald, den Finanzminiſter Braun, den Miniſter des
Innern von Hombergk zu Vach, den Vorſtand des
Kabinetts Geh. Rat Römheld, den Ordenskanzler
Oberſt z. D. Freiherrn Roeder v. Diersburg.
* Eiſenbahnperſonalien. Ernennungen und
Beförderungen: Zum techniſchen Eiſenbahnſekretär
der techniſche Bureauaſſiſtent Kraft zu Mainz; zu Bahn=

mann zu Nieder=Ramſtadt, Ußner zu Sprendlingen=
Buchſchlag, die Oberbahnaſſiſtenten Feick zu Mörlenbach,

haben gelebt. Jonathan Trumbull, Gouverneur von
Conneetieut, war ein Freund George Waſhingtons,
und wenn Waſhington Kriegsrat hielt, ſoll er, da er
auf Jonathan Trumbulls Urteil großen Wert legte,
häufig geſagt haben: Da müſſen wir Bruder Jona=
than
zu Rate ziehen‟. Das wurde allmählich ein
Sprichwort und Bruder Jonathau dann zur Bezeich=
nung
des Nordamerikaners überhaupt. Das Urbild
des Uncle Sam war Samuel Willigm aus New=York,
der am Anfange des 19. Jahrhunderts im zweiten
Kriege Nordamerikas gegen England Proviantinſpek=
tor
des Heeres war und ſeines gemütlichen Weſens
wegen von Groß und Klein Unele Sam genannt
wurde. Die von ihm mit U. S. (United States)
gezeichneten Lebensmittel nannte man Uncle Sams
Rindfleiſch und noch heute ſagt man in Nordamerika
von den jungen Leuten, die beim Militär ſind, daß
ſie Unele Sams Rindfleiſch und Brot eſſen Leider
gibt uns der Büchmann keine Auskunft darüber,
warum man uns Deutſche ſo gern Michel nennt
und wann dieſer Name zum erſten Male auftauchte.
Im Altdeutſchen bedeutete Michel ſo viel wie groß
und ſtark, ſpäter aber verband man mit dem Worte
den Begriff des Schwerfälligen und Einfältigen, und
in dieſem Sinne fand es Anwendung auf Deutſchland,
das ſo lange Zeit gebraucht hat, bis es ſich ſeiner
Kraft und Macht bewußt wurde. Auch über die Ur=
ſache
, aus welcher man Frankreich Marianne‟
zu nennen beliebt, ſchweigt der Büchmann ſich aus.
Und doch iſt dieſe Urſache ohne viele Mühe feſtzuſtellen.
Den Namen Marianne hatte ſich eine republikaniſche
Geheimgeſellſchaft im Weſten Frankreichs gegeben, die
das zweite Kaiſerreich Napoleons III. ſtürzen wollte,
aber 1854 entdeckt und geſprengt wurde. Seitdem
nennen die franzöſiſchen Monarchiſten die Republik
verächtlich Marianne Vom Türken ſprechen wir als
ron dem kranken Mann am Bosporns.
Schon der Ehorherr des oberbayeriſchen Kloſters
Baumburg, J. Albert Poyſel, ſchrieb 1683 ein luſtiges
Lied, das den Titel führt: Der Türk iſt krank und
in welchem der ſchöne Vers vorkommt:
Mein Alkoran und mein Divan
In ſchwerer Schwachheit liegen:
Mein ghabte Macht, mein g’führte Pracht
Liegen faſt in den letzten Zügen.
Ungefähr gleichzeitig hatte Sir Thomgs Roe, der
Botſchafter Jakobs II. von England in Konſtantinopel,
ſeinem Herrn berichtet, das Osmanenreich gleiche dem
Körper eines kranken alten Mannes, der ſich nicht zum
Sterben entſchließen könne, und, obwohl die Tatſachen
doch eigentlich die Unrichtigkeit dieſes Vergleiches be=
wieſen
haben, iſt es ein heliebtes Schlagwort der Diplo=
mgten
geblieben. Denn nicht nur die Parlaments=
redner
, auch die Diplomaten operieren gern mit einem
ganzen Arſenal von Schlagworten. Sie ſprechen z. B.
von einer Pylitik der freien Hand und der
zoffenen Tür. Das erſte dieſer beiden Schlag=

worte iſt nicht alt. Der preußiſche Miniſter des Aus=
wärtigen
, Freiherr von Schleinitz, ſchuf es 1859 wäh=
rend
des franzöſiſch=öſterreichiſchen Krieges, und
Bismarck eignete es ſich fünf Jahre ſpäter in einer
Rede im preußiſchen Abgeordnetenhauſe an. Das
Schlagwort von der Politik der offenen Tür iſt noch
viel jünger. Es ſtammt aus einem Rundſchreiben, das
der Staatsſekretär John Hay am 6. September 1899 an
die nordamerikaniſchen Botſchafter im Auslande über
die Integrität Chinas richtete. Wenn zwei Länder
zwar kein offizielles Schutz= und Trutzbündnis mitein=
ander
abgeſchloſſen, ſich aber auf freundſchaftliche Weiſe
über die Richtlinien ihrer Politik geeinigt haben, ſo=
ſagen
die Diplomaten, daß eine Entente eor=
diale
zwiſchen ihnen herrſcht. Der Vater dieſes
Schlagwortes iſt nicht mehr mit Sicherheit feſtzuſtellen.
Es kommt angeblich zum erſten Male in einer Adreſſe
der franzöſiſchen Deputiertenkammer von 1840 vor und
ſoll von Gnizot herrühren. Drei Jahre ſpäter ſprach
König Ludwig Philipp in einer Thronrede von der
Entente cordiale, die ihn mit Großbritannien ver=
binde
.
Daß es in der Politik wie in allen Dingen des
Lebens viel auf die Imponderabilien an=
kommt
, iſt eine Weisheit, die uns allen längſt in Fleiſch
und Blut überging. Und doch iſt dieſes Schlagwort
noch kein Menſchenalter lang in Umlauf. Bismarck
ſprach am 1. Februar 1866 im preußiſchen Abgeordne=
tenhauſe
von den Imponderabilien in der Pplitik,
deren Einflüſſe oft mächtiger ſind, als die der Heere
und der Gelder und hgt das Wort ſpäter noch in ver=
ſchiedenen
anderen Reden gebraucht. Das populärſte
Schlagwort Bismarckſcher Zeit, das Wort vom Kul=
turkampf
, hat, wie man weiß, Rudolf Virchvw zum
Urheber, der es 1873 in einem Wahlprogramme der
Fortſchrittspartei gebrauchte. Es iſt ein wenig in Ver=
ruf
gekommen, ſeitdem wir den neuen Kurs haben.
Dieſes moderne Schlagwort iſt auf den Kaiſer Wil=
helm
II. zurückzuführen, der nach ſeiner Thronbeſteig=
ung
ſeinem Freunde, dem Grafen Goertz, ſchrieb: Das
Amt des wachthabenden Offiziers auf dem Staatsſchif=
iſt
mir zugefallen. Der Kurs bleibt der alte, nun voll
Dampf voraus! Als Bismarck dann geſtürzt wurde,
nannte man ſeine Politik den alten Kurs und die
ohne ihn begonnene den neuen Kurs. Kaiſer Wil=
helm
II. iſt alſo gewiſſermaßen unfreiwillig zu dieſer
Verfaſſerſchaft gelangt. Dafür verdankt man dem Kai=
ſer
aber manches andere kräftige Schlagwort. Er ſchrieb
dem Staatsſekretär der Reichspöſt von Stephan 1891 an
deſſen 60. Geburtstag auf ſein Bild, daß die Welt
im Zeichen des Verkehrs ſtehe; er ſprach
189s bei der Eröffnung des Stettiner Hafens es aus,
daß zunſere Zukunft auf dem Waſſer
liege, und verſchaffte dem alten Worte Blut iſt
dicker als Waſfer indem er es auf unſere alte
Stammesgemeinſchaft mit den Briten bezog, die weiteſte
Verbreitung.

[ ][  ][ ]

Nummer 92.

Kallmayer zu Wörrſtadt, Delp zu Hainſtadt, Baum
zu Oberlahnſtein, Große zu Wald=Michelbach, Kunze
zu Stockſtadt a. M., Keil zu Jugenheim, Ritter zu
Nackenheim, Jäger zu König i. O., Weier zu Genſin=
gen
=Horrweiler und Fiſcher zu Raunheim; zu Güter=
vorſtehern
die Oberbahnaſſiſtenten Freund zu Mainz,
Germann zu Kreuznach, Conradi zu Groß=Gerau,
die Eiſenbahnpraktikanten Schlottner, Leiſt zu Bop=
pard
, Bottenhorn, Kühnlein zu Mainz und Ka=
bey
zu Wiesbaden; zu Eiſenbahnaſſiſtenten die kommiſſ.
Eiſenbahnaſſiſtenten Klippſtein zu Darmſtadt,
Schmidt zu Eppelsheim, Seelinger zu Worms,
Hahn, Haring zu Mainz, Dick zu Budenheim, Za=
chow
zu Mainz, Feller zu Mannheim=Waldhof, die
kommiſſ. Eiſenbahnunteraſſiſtenten Uhl zu Heidesheim,
Friedrich zu Groß=Zimmern, Dippell zu Zwingen=
berg
, Haub zu Wiesbaden und Grußendorf zu
Mainz; zu Werkführern die Werkführerdiätare Endner
und Feldmann zu Mainz; zu Werkführerdiätaren die
Hilfswerkführer Barnewald, Pfenninger, Hof=
mann
, Löhr und Müller zu Darmſtadt; zu Lokomo=
tivheizern
die Hilfsheizer Lattermann, Ludwig zu
Worms und Menz zu Bingerbrück; zu Eiſenbahnunteraſ=

Darmſtädter Tagblatt, Donnerstag, den 21. April 1910.

Seite 3.

zu Lorſch, Becker zu Götzenhain, Henrich zu Wörr=
ſtadt
und Mohr zu Meſſel; zu Weichenſtellern 1. Klaſſe
die Weichenſteller Bender zu Bingen, Beſt zu Oſthofen,
Stark zu Bingen, Bärſch zu Mainz, Dinges zu Hof=
heim
i. R., Böhner zu Guſtavsburg, Kohr zu Mann=
heim
=Waldhof, Schorn zu Biblis, Schröder zu Bin=
gen
und Stiehl zu Worms zum Weichenſteller 1. Klaſſe
(Stellwerkoberſchloſſer) der Weichenſteller ( Stellwerkſchloſ=
ſer
) Häuſer zu Darmſtadt; zu Weichenſtellern die Hilfs=
weichenſteller
Haßemer zu Flonheim, Schmelzer zu
Planig, Heiſer zu Keilbach, Hoppe zu Hergershauſen,
die Bahnwärter Heilmann zu Mannheim und Ru=
dolf
zu Armsheim; zum Rottenführer der Bahnwärter
Berſch zu Mannheim, zu Bahnwärtern die Hilfsbahn=
wärter
Fiſcher zu Meſſel und Wennesheimer zu
Kempten: zu Eiſenbahngehilfinnen die Eiſenbahnanwär=
terinnen
Reitz zu Mainz, Laiſt zu Darmſtadt, Frey,
Jöſt, Runkel zu Mainz und Seely zu Worms; zu
Schirrmännern die Hilfsſchirrmänner Biſchel zu Mainz,
Engroff zu Biſchofsheim, Krug zu Worms und Luſt
zu Kranichſtein; zu Schirrmeiſtern die Schirrmänner
Diehl zu Worms, Müller zu Mainz und Walker
zu Darmſtadt; zu Schaffnern die Hilfsſchaffner Hoffart
zu Worms und Kunz zu Bingen.
* Das Großh. Regierungsblatt Nr. 8 vom 20. April
hat folgenden Inhalt: 1. Weiterer Nachtrag zu den
Statuten der Großh. Verdienſtmedaille für Wiſſenſchaft
und Kunſt. Induſtrie und Landwirtſchaft. 2. Bekannt=
machung
, die Abänderung und Ergänzung der Rhein=
ſchiffahrts
=Polizeiordnung betreffend. 3. Bekanntmach=
ung
, die Ausführung des Geſetzes vom 15. Juli 1896
(Reg.=Bl. Seite 89) über den Schutz der Heilquellen im
Großherzogtum betreffend. 4. Bekanntmachung, die
Verleihung der Rechisfähigkeit an den Verein Gas=
verſorgungsverband
Budenheim=Finthen zu Buden=
heim
betreffend. 5. Bekanntmachung, die Anlage eines
Anſchlußgleiſes für den Fabrikbeſitzer Friedrich Frei=
tag
in Betzdorf betreffend. 6. Bekanntmachung, die
Tagegelder, Reiſekoſten und Umzugskoſten der Zivil=
heamten
betreffend.
L. Die Strafkammer hatte es geſtern mit einem
Fahrradmarder, nämlich dem 27 Jahre alten Taglöh=
ner
Heinrich Mohr von Schiersfeld, zu tun. Dieſer
hatte in Bauſchheim aus einem Stall, in den er ge=
ſchlichen
war, ein dort aufbewahrtes Fahrrad im Wert
von 100 Mark geſtohlen. Außerdem unterſchlug er auch
ein Rad, welches er geliehen. Er iſt als Dieb rück=
fällig
und wurde zu 1 Jahr 1 Monat Gefängnis ver=
Urteilt; 1 Monat iſt durch die Unterſuchungshaft ver=
büßt
. Der 41 Jahre alte Fuhrmann Nikolaus Lei=
pold
von Hanau fuhr auf der Straße von Mühlheim
nach Klein=Steinheim und beläſtigte im angetrunkenen
Zuſtand zwei Paſſanten mit der Peitſche. Der Wacht=
meiſter
Orb, dem Anzeige gemacht worden war, wollte
ſpäter ſeinen Namen feſtſtellen und forderte ihn mit
höflichen Worten auf, anzuhalten. Anſtatt Folge zu
leiſten, ſchimpfte Leipold den Beamten, ſchlug ihn mit
der Peitſche und biß ihn in den Arm, daß ſechs Wochen
zur Heilung der Wunde erforderlich waren. Der
Widerſtand war ſo heftig, daß der Fuhrmann geſchloſſen
und in Arreſt genommen werden mußte. Das Schöf=
ſengericht
Offenbach ſprach eine Gefängnisſtrafe

von 4 Monaten 2 Wochen und 14 Tage Haft aus.
Leipold, dem dies zu viel war, verfolgte gegen das Ur=
teil
Berufung, die jedoch verworfen wurde. Das Ge=
richt
ſprach ſein Bedauern aus, daß die Staatsanwalt=
ſchaft
nicht ebenfalls Berufung eingelegt hätte; dieſer
würde entſprochen und die Strafe weſent=
lich
erhöht worden ſein.
* Der Evangeliſche Pfarrverein im Großherzogtum
Heſſen hielt am Mittwoch in Darmſtadt in dem ihm
vom Großh. Oberkonſiſtorium überlaſſenen Landes=
ſunodalgebäude
ſeine 20. Hauptverſammlung
ab, die gut beſucht war. Der kurheſſiſche und naſſauiſche
Pfaru

Jahresbericht ab, der von einem einträchtigen und er=
folgreichen
Arbeitsjahr Zeugnis gab. Der verſtorbenen
Mitglieder wurde ehrend gedacht. Der Rechner des

ſiſchen Kirchenblattes, an dem er 68 Mitarbeiter hatte.
Beide wurden erneut für ihr Amt ernannt. Beſonde=
res
Intereſſe erweckten die Vorträge von Pfarrer
Veyer=Güttersbach und Pfarrer Fritſch, von
welchen der erſte au einem beſonderen Beiſpiel, der
andere im Blick aufs Ganze die Verſchiedenheit der
Arbeit humanitärer Fürſorge und der Innern Miſſion,
ſowie die daraus entſtehenden Konflikte ſchilderten und
Abhilfe dagegen anrieten. Eifrige Diskuſſion gab auch
ardersartiger Anſchauung Ausdruck. Pfarrer Brill=
Ober=Widdersheim empfahl in längerem Vortrage
Anlage eines Amtstagebuchs zur Selbſtköntrolle
der Geiſtlichen; von zwangsweiſer Einführung eines
ſolchen wollte jedoch die Verſammlung nichts wiſſen.
In kurzen, einſchneidenden Worten zeigte Inſpektor
Weimar, daß es eines jeden Pfarrers Gewiſſens=
pflicht
ſei, in der ihm ſich aufdrängenden Weiſe am
Kampfe gegen die Alkoholgefahr teilzu=
nehmen
, auch ſoll er ſich fragen, wie er ein aus dem
Trinkeraſyl entlaſſenes Gemeindemitglied in der Nüch=
ternheit
erhalten helfe. Auch beantragte er, daß dieſe
Frage auf dem kommenden Königsberger Verbandstag
des Deutſchen Pfarrvereins behandelt werde. Es
wurde von Pfarrer Dittmar= Offenbach und Pfar=
rer
Störmer=Vielbrunn für Abſtinenz geworben.
Ueber Stellenbeſetzung referierte Pfarrer
Brill. Der Verein beantragt, daß Großh. Oberkon=
ſiſtorium
gebeten wird, die geſetzlichen Beſtimmungen
über Stellenbeſetzung authentiſch zu interpretieren, da=
mit
dieſelben nicht falſch angewandt werden. Verſchie=
dene
Bitten des Verbandes werden von Pfarrer
Fritſch mitgeteilt. Hilfskaſſe und Sterbe=
kaſſe
hielten ihre Jahresverſammlungen. Sie ent=
wickeln
ſich gut. Es wird um ihre rege Benutzung
gebeten. Ein gemeinſames Mahl im Hotel Prinz
Heinrich verſammelte noch einmal die Teilnehmer, die
dankbar auf ein gutes Vereinsjahr und ein ſchön ver=
laufenes
Feſt zurückblicken.
* Landwirtſchaftliche Genoſſenſchaftsbank. Dem
Bericht des Vorſtands über das abgelaufene
Geſchäftsjahr entnehmen wir folgendes: Das abgelau=
fene
26. Geſchäftsjahr ſchließt bei einem Geſamt=
umſatz
von 341,4 Millionen Mark mit einem Rein=
gewinn
von 203709,43 Mark. Dieſes Ergebnis ge=
ſtattet
die Verteilung einer Dividende von 4 Pro=
zent
90000 Mark auf das im Jahresdurchſchnitt
mit 2,25 Millionen Mark werbende Grundkapital, ſo=
wie
die Rücklage von 100000 Mark neben einem Vor=
trag
von 13709,43 Mark auf neue Rechnung. Geneh=
migt
die Generalverſammlung die Gewinnverteilungs=
vorſchläge
, dann haben die eigentlichen Reſerpen den
Betrag von 500000 Mark erreicht, das ſind 20 Prozent
unſeres 2500000 Mark betragenden Grundkapitals.
Unſer geſamtes eignes Betriebskapital beläuft ſich als=
dann
auf 3 Millionen Mark. Die unterm 17. Mai 1909
beſchloſſene Erhöhung unſeres Grundkapitals um
500000 Mark durch Ausgabe von 500 Namensaktien
zum Nennwert von je 1000 Mark war bis zum 30. Inni
glatt durchgeführt. Sämtliche neuen Aktien ſind von
Mitgliedern des Verbands der heſſiſchen landwirtſchaft=
lichen
Genoſſenſchaften übernommen. Die Vollzahlung
fand zum 30. Juni 1909 ſtatt, von welchem Tage ab die
neuen Aktien mit ihrem vollen Nennbetrag an dem
Reingewinn für das Geſchäftsjahr 1909 anteilberechtigt
ſind. Die neuen Aktien konnten noch vor Inkrafttre=
ten
der Reichsfinanzreformgeſetze, die unter anderem
eine Erhöhung des Aktienurkundenſtempels von 2 auf
3 Prozent, alſo um 50 Prozent brachten, ausgegeben

werden, wodurch der Bank ein Stempelbetrag von 5000
Mark erſpart wurde. Infolge des durch das Reichs=
ſtempelgeſetz
eingeführten Scheckſtempels von 10 Pfg.
für jeden Scheck iſt nicht nur der Kleinſcheckverkehr,
ſondern auch der wirtſchaftlich richtig angewandte
Scheckverkehr bereits weſentlich zurückge=
gangen
. Die Ausſchreibung von Schecks auf unſer
Inſtitut hat gegenüber der Durchſchnittszahl aus den
Monaten Januar bis September 1909 im Oktober be=
reits
um 21 Prozent, im November um 38 Prozent und
im Dezember um 49 Prozent abgenommen. Ein großer
Teil der uns angeſchloſſenen Kreditgenoſſenſchaften hat
den Scheckverkehr nicht eingeführt bezw. ihn zur Er=
ſparung
des Scheckſtempels und insbeſondere des Quit=
tungsſtempels
wieder ausgeſchloſſen. Bis zum In=
krafttreten
des neuen Wechſelſtempelgeſetzes
hatten die Genoſſenſchaften für einen beſtimmten Be=
trag
des ihnen von uns eingeräumten Kredits Wechſel,
welche das Ausſtellungs= wie das Fälligkeitsdatum
nicht enthielten, mit der Ermächtigung in Depot ge=
geben
, ſolche bei Bedarf in Beträgen bis zur Höhe des
von der betreffenden Genoſſenſchaft gerade in Anſpruch
genommenen Kredits zu vervollſtändigen, zu verſtem=
peln
, dann dem Depot zu entnehmen und zu diskon=
tieren
. Dadurch war die Bank jederzeit in der Lage,
einen gewiſſen Teil ihrer Buchforderungen in Wechſel=
ſorderungen
umzuwandeln und die für die Genoſſen=
ſchaften
benötigten Geldmittel durch Diskontierung
dieſer Depot= bezw. Genoſſenſchaftswechſel zu beſchaffen.
Durch den Anſchluß an die Ende 1908 ins Leben
getretene Verwaltungs= und Verwertungsgeſellſchaft
für Immobilien m. b. H. in Frankfurt a. M., deren
Gegenſtand der Ankauf, die Verwaltung und Verwert=
ung
von Grundſtücken und Hypotheken iſt, haben die
Genoſſenſchaften jetzt Gelegenheit, durch Abſtoßung von
Hypotheken und Verwertung von Immobilien über
ihre Verhältniſſe hinaus feſtgelegte Mittel wieder
flüſſig zu machen. Der von heſſiſchen Verbandsgenoſſen=
ſchaften
gegründeten und der Bank als Mitglied ange=
ſchloſſenen
Verwaltungs= und Verwertungsgeſellſchaft
haben wir einen entſprechenden Kredit zur Durchführ=
ung
ihrer Aufgaben zur Verfügung geſtellt. Die zu
Anfang des Berichtsjahres eingetretene Geldflüſ=
ſigkeit
, von der wir als Zentralgeldausgleichſtelle
der heſſiſchen Verbandsgenoſſenſchaften keinen Nutzen
für unſer Inſtitut ziehen konnten, hielt längere Zeit
an, mußte aber im Herbſt einer größeren Geldknapp=
heit
, die eine Verſteifung der allgemeinen Geldleih=
ſätze
mit ſich brachte, wieder weichen. Unſere allgemei=
nen
Zinsſätze haben wir auch im Berichtsjahre nicht
geändert, ſie ſind immer noch die ſeit 1. Januar 1907
gültigen.
nu. Die Meiſterprüfungen für das Frühjahr 1910
der Provinz Starkenburg ſind jetzt ſoweit beendigt, daß
die feierliche Ueberreichung der Meiſterbriefe in der
Pfingſtwoche ſtattfinden wird. Der Meiſterprüfung
haben ſich diesmal 152 Handwerker unterzogen; ge=
wiß
eine ſtattliche Zahl und ein erfreuliches Zeichen,
daß in den Kreiſen der Gewerbetreibenden die Wichtig=
feit
und der Wert der Meiſterprüfung voll und ganz
anerkannt wird. Die Leitung der Prüfung lag in den
Händen des Vorſitzenden des Prüfungsausſchuſſes für
Starkenburg, Herrn Ingenieur und Stadtv. Mark=
wort
. Bemerkenswert iſt, daß bei der diesjährigen
Prüfung das Hauptkontingent der Prüflinge die Land=
gemeinden
geſtellt haben, während die Städte Darmſtadt
Offenbach, Bensheim uſw. weniger ſtark wie früher
vertreten ſind. Beſonders aus dem Kreis Offenbach
haben ſich 38 Kandidaten meiſt aus der Portefeuiller=
Induſtrie zur Prüfung geſtellt. Anch der Kreis Bens=
heim
, Erbach uſw. iſt ſtark vertreten. Aus Darmſtadt
haben 9 Prüflinge an der Meiſterprüfung teilgenom=
men
. Dem Gewerbe nach beteiligten ſich an der münd=
lichen
und Fachprüfung: 15 Bäcker, 2 Dachdecker, 1 Elek=
trotechniker
, 1 Fahrradſchloſſer, 5 Friſeure, 17 Maurer,
14 Metzger, 1 Metalldrücker, 29 Portefeuiller, 2 Sattler,
1 Schindler, 1 Hufſchmied, 7 Schmiede, 2 Schornſteinfeger,
4 Schneider, 1 Schreiner und Glaſer, 16 Schreiner,
5 Schuhmacher, 3 Schloſſer, 1 Schloſſer und Mechaniker,
Feinmechaniker, 1 Mechaniker und Inſtallateur,
Spengler und Inſtallateure, 1 Spengler, 2 Steinmetzen,
3 Wagner, 6 Weißbinder, 1 Dekorationsmaler, 1 Blei=
glaſer
und 5 Zimmerer. Als Prüfungsmeiſter fungier=
ten
32 Fachhandwerksmeiſter, die gewiſſenhaft und mit
Opferfreudigkeit ihrem ſchwierigen Amt oblagen.
* Oeffentlicher Arbeitsnachweis. Im Januar v. J. iſt
ſeitens des preußiſchen Miniſters für Handel und Gewerbe
in Berlin eine eingehende Beſprechung mit Vertretern des

Großherzogliches Hoftheater.
Dienstag, den 19. April.
Orpheus und Eurydike‟.
W-l. Glucks Oper Orpheus und Eurydike über
deren Geſchichte und Bedeutung wir uns anläßlich
ihrer Wiedereinſtudierung in voriger Saiſon ausführ=
lich
verbreitet haben, gelangte heute wieder zur Auf=
führung
und erweckte bei dem Publikum, das ſich mei=
ſtens
wohl einen ganz falſchen Begriff von der Oper
macht, da es ſich ein im langweilig=akademiſchen Stile
gehaltenes veraltetes Werk darunter vorſtellt, lebhaſ=
teſtes
Intereſſe. Die Partie des Orpheus ſang zum
erſten Male Fräulein Howard, die zwar nicht über
ſo große ſtimmliche Mittel gebietet wie ihre Vorgän=
gerin
, ſie aber mit künſtleriſcher Intelligenz und vor=
nehmem
Geſchmack auffaßte und durchführte, und zwar
nicht nur in darſtelleriſcher, ſondern auch in geſanglicher
Hinſicht. Für eine paſtoſe Altſtimme iſt die getragene
Muſik der elegiſchen Orpheuspartie, die erſt im dritten
Akte dramatiſch wird, wie geſchaffen und eine dankbare
Aufgabe. Dem künſtleriſchen Ernſt, mit dem ſich Frl.
Howard ihr widmete, entſprach der Erfolg. Frl.
Geyersbach ſang zum erſten Male die Partie der
Eurydike und übertraf ihre Vorgängerin durch die
Wärme des Tons und Beſeelung ihres Vortrags. Die
unbedeutende Partie des Amor ſang wieder Frl.
Zeiller. Herr Oberregiſſeur Valdek hatte für
die Oper wirkungsvolle ſzeniſche Bilder geſchaffen,
unter denen ſich namentlich das Gefilde der Seligen
durch ſtimmungsvolle Schönheit hervortat.

Vorträge.
Der von dem Allgemeinen Deutſchen
Frauenverein veranſtaltete Vortragszyklus,
in welchem Herr Rechtsanwalt Dr. Hoffmann II.
über Rechtsfragen des täglichen Lebens ſprach, fand
vorgeſtern ſeinen Abſchluß. Der Redner behandelte in
ſeinem letzten Vortrage zunächſt die Rechtsgrund=
ſätze
der Verjährung. Die meiſten Forderungen
des geſchäftlichen Verkehrs verjähren in zwei Jahren;
ſo die Anſprüche der Kaufleute, Handwerker, Arbeiter,
Handlungsgehilfen, Privatlehrer, Aerzte uſw. Die
Verjährungsfriſt von zwei Jahren beginnt jedoch erſt

mit dem Ende desjenigen Jahres zu laufen, in dem
die Waren geliefert oder die Dienſte geleiſtet worden
ſind. Der Geſchäftsmann muß vor Ablauf der Verjäh=
rung
für Zahlung oder Sicherſtellung ſeiner Forderung
ſorgen; andererſeits muß der Kunde ſeine Quittungen
bis zum Ablauf der Verjährungsfriſt aufheben, damit
er vor irrtümlichen Anforderungen geſichert iſt. In
einzelnen Fällen läuft die Verjährung erſt in vier oder
in dreißig Jahren ab, wie von dem Redner näher aus=
geführt
wurde. Zum Schluß des Vortrages ging Herr
Dr. Hoffmann auf die gegenwärtigen Reform=
beſtrebungen
in der Rechtspflege, insbeſondere
auf dem Gebiet des Strafrechts ein. Zurzeit iſt die
Berufung nur gegen Urteile der in den leichteren
Fällen erkennenden Schöffengerichte zuläſſig, dagegen
nicht gegen Urteile der Strafkammern, die über die
Anklagen in den ſchwereren Fällen entſcheiden. Daß
nunmehr die Berufung auch gegen die Urteile der
Strafkammern eingeführt werden ſoll, iſt mit Freuden
zu begrüßen, denn es iſt eine Unbilligkeit, daß man
bis jetzt in den ſchwereren Fällen dem Angeklagten
den Segen der Berufungsinſtanz verſagt hat. Ferner
ſieht die Novelle zur Strafprozeßordnung vor, daß
Jugendliche unter 18 Jahren, die ſich einer Straf=
tat
ſchuldig gemacht haben, nicht mehr vor das Schöffen=
gericht
geſtellt werden müſſen, ſondern dem Vormund=
ſchaftsrichter
zur Einleitung erzieheriſcher Maßnahmen
überwieſen werden können. Die Rechte des Verteidi=
gers
ſollen durch die Novelle erweitert werden; auch
dies wird von dem Vortragenden als ein erfreulicher
Fortſchritt begrüßt; denn nur dann, wenn Staats=
anwaltſchaft
und Verteidigung in gleichem Maße in der
Lage ſind, an der Aufklärung eines Falles mitzu=
arbeiten
, läßt ſich das Ziel der Rechtspflege erreichen:
die Erforſchung der Wahrheit und der Sieg des Rechts!
An den Vortrag ſchloß ſich wieder eine rege Dis=
kuſſion
an, in deren Verlauf der Vortragende zahl=
reiche
an ihn gerichtete Fragen eingehend beantwortete.
Am Schluſſe dieſes, des letzten von fünf Vorträgen,
dankten die wieder zahlreich erſchienenen Zuhörerinnen
alle perſönlich Herrn Rechtsanwalt Dr. Hoffmann für
die außerordentlich liebenswürdige und ſachkundige
Weiſe, mit welcher derſelbe die Rechtsfragen des täg=
lichen
Lebens vor ihnen erörtert hatte.

Kleines Feuilleton.
nge. Das Diner der Sezeſſion. Nur mit
wenigen Zeilen hat man hier und da des Diners
Erwähnung getan, das der Verein der Berliner Se=
zeſſion
auch in dieſem Jahre am Tage nach der Er=
öffnung
der Frühjahrsausſtellung ſeinen Mitgliedern
und ſeinen Freunden gegeben hat. Und doch iſt dieſes
Diner ſo ſchreibt die N. G. C. im geſellſchaft=
lichen
und künſtleriſchen Leben Berlins ein Ereignis
von beſonderer Art. Es iſt kein prunkendes Feſtmahl
mit den Spitzen der Behörden‟. Die Exzellenzen und
Geheimräte fehlen gänzlich, und an Ordensketten und
Ordensbändern herrſcht ein für Berlin anffälliger
Mangel. Es iſt aber auch nichts von jener Steifheit
und Kälte zu bemerken, die ſonſt das Kennzeichen Ber=
liner
Bankette ſind. Berlin W und WW iſt ſehr ſtark
vertreten. Man weiß, daß dieſe geldmächtigen Kreiſe
die Schützer der Sezeſſion ſind, daß ſie den Sezeſſioni=
ſten
ihre Bilder abkaufen und ſie in ihren Salons will=
kommen
heißen. Viele ſchöne Frauen ſind da, Edel=
ſteine
funkeln an Hals und Schultern und man hat
Gelegenheit, die neueſten Moden des Sommers zu
ſtudieren. Schauplatz: das Hotel Adlon, genauer, der
große Feſtſaal des Reichshofes, der dem Hotel Adlon
angegliedert iſt. Max Liebermann führt den
Vorſitz und das gute Einvernehmen, welches zwiſchen
der Sezeſſion und dem Moabiter Glaspalaſte allmäh=
lich
entſtanden iſt, veranſchaulicht ſich dadurch, daß
Arthur Kampf den oberſten Ehrenplatz in ſeiner
Nähe hat. Mar Liebermann ſpricht gut und gern.
Schon nach der Suppe klopft er ans Glas, um die Gäſte
der Sezeſſion in deren Namen willkommen zu heißen,
die Genießenden im Namen der Schaffenden. Er
ſtreift einige brennende Fragen mit der ihm eigentüm=
lichen
berliniſchen Ironie, indem er daran erinnert,
daß die Kunſt, allen Philiſtern zum Trotze, ihre eigenen
Wege gehe und doch, Gott ſei Dank, jetzt die Zeit über=
wunden
ſei, da man, vor fünfzig Jahren, Großmütter=
chens
Liebling und Sonnenaufgang am Chiemſee‟
malte. Er rühmt, mit etwas ſtärker unterſtrichenem
Spotte, die Einigkeit in der Sezeſſion, die, wie man
weiß, während dieſes Winters durch einen Staatsſtreich
der Jüngeren ſehr ernſthaft gefährdet wurde, und auch
die böſe Kritik bekommt einen kleinen Hieb ab.

[ ][  ][ ]

Nummer 92.

Seite 4.

Darmſtädter Tagblatt, Donnerstag, den 21. April 1910.

öffentlichen Arbeitsnachweiſes und des intereſſierten Ge=
werbes
über die beſſere Organiſation der Vermittlung für
das Gaſt= und Schankwirtſchaftsgewerbe
veranſtaltet worden und die Eingliederung beſonderer
Facharbeitsnachweiſe in die kommunalen paritätiſchen Ar=
beitsnachweiſe
dringend empfohlen, ſowie auch die Be=
reitſtellung
ſtaatlicher Mittel für den interlokalen Verkehr
in Ausſicht geſtellt. In einer Reihe deutſcher Großſtädte
ſind inzwiſchen derartige Facharbeitsnachweiſe neu entſtan=
den
oder ſie ſind, wie in Frankfurt a. M. und Wies=
baden
, weiterentwickelt worden. Eine immer ſteigende
Zahl der Vermittelungen im Gaſtwirtsgewerbe war die
Folge. Im Gaſtwirtsgewerbe ſind die Schäden der pri=
vaten
Stellenvermittlung beſonders groß und auch die
kleinen Intereſſenvereine, die als Aushängeſchild faſt alle
die Arbeitsvermittlung führen, zerſplittern die Vermitt=
lungstätigkeit
in unerfreulicher Weiſe und erſchweren den
Ueberblick für die Intereſſenten, ganz abgeſehen davon, daß
dieſe Vereine zum großen Teil, ebenſo wie die private
Stellenvermittlung, Gebühren erheben und vielfach die
Vereinsgründungen die für die gewerbsmäßige Stellen=
vermittlung
beſtehenden polizeilichen Kontrollvorſchriften
verhindern ſollen. Im Gegenſatz dazu ſtrebt der öffent=
liche
paritätiſche Arbeitsnachweis, in deſſen Verwaltung
Arbeitgeber und Arbeitnehmer in gleicher Weiſe vertreten
ſind, energiſch dahin, dieſen Mißſtänden ein Ende zu ma=
chen
und den Bedürfniſſen des Gewerbes in ausgiebiger
und unparteiiſcher Weiſe gerecht zu werden. Es wird des=
halb
an alle Intereſſenten die Bitte gerichtet, ſich des am
Orte beſtehenden öffentlichen Arbeitsnachweiſes (Adreſſe:
Waldſtr. 6, Telephon Nr. 371) vorkommendenfalls zu bedie=
nen
. Die ſchriftlichen und mündlichen Anmeldungen wer=
den
hier entgegengenommen und ſofort weitergegeben.
Koſten entſtehen für den Arbeitnehmer nicht. Der Arbeit=
geber
iſt lediglich gehalten, die Telephongebühren und
etwa entſtehende Portokoſten, ſowie auch den eventnell vor=
gelegten
Reiſevorſchuß zu erſetzen.
Neu hergeſtellte Fernſprechanſchlüſſe und Aender=
nugen
bei beſtehenden Sprechſtellen. a) Neuan=
ſchlüſſe
: Nr. 1894: Heinrich Alter, Möbelfabrikaut,
Fuchsſtraße 16; 1892: v. Arndt, Major und Div.=Adj.,
Rheinſtraße 43; 1887: Georg Bieſer, Schweinemetzger,
Saalbauſtraße 37; 346: Dr. jur. J. Carnier, Rechtsan=
walt
, Bismarckſtraße 16; 1909: Darmſtädter Mühlen=
bauanſtalt
, G. m. b. H., Bachgangweg 20; 1914: J. Dex=
heimer
u. Söhne, Inhaber Otto Dexheimer, Gardinen=
haus
, Weißwaren und Wäſche, Ernſt=Ludwigſtraße 5;
1397: Frau Heinrich Elbert, Rentner, Hoffmannſtr. 57,
1908: Fey, Provinzialdirektor, Nikolaiweg 14; (7):
Heinrich Fritz, Ingenieur, Wendelſtadtſtraße 15 ( Privat=
wohnung
); 450: Geſchäftsleitung der Ausſtellung des
Deutſchen Künſtlerbundes, Städtiſches Ausſtellungsge=
bäude
auf der Mathildenhöhe; 1891: Dr. Otto Gros,
Arzt, Rheinſtraße 6; 1916: Karl Herber, Tapeziermſtr.,
Luiſenſtraße 34; 1895: Karl Idé, Architektur= u. Bau=
geſchäft
, Gutenbergſtraße 39; 1913: Adam Kaus, Fuhr=
unternehmer
, Kiesſtraße 13; (85): J. Kleeblatt, Kauf=
mann
, Frankfurter Straße 18; 1903: Dr. W. Köhler,
Geheimer Medizinalrat, Krankenhausdirektor i. P.,
Orangerie=Allee 8; 1920: Peter Krämer, Ochſenmetzger,
Karlſtraße 53½; 1906: Heinrich Luckhardt, Kaufmann,
Privatwohnung, Heinrichſtraße 11; 1904: Jakob Luſt,
Lohnkutſcherei, Rückertſtraße 8; 1901: Otto Markus,
Firma F. Wirtz, Kunſtanſtalt, Landwehrſtraße 10; 1889:
Heinrich Meyer, Generalagentur der Berliniſchen Le=
bens
=Verſicherungs=Geſellſchaft, Schützenſtraße 17, part;
1129: Paul Meyer, Rentner, Hoffmannſtraße 57: 1915:
Gg. Rackur, Kaufmann, Privatwohnung, Hügelſtr. 11;
523: Gebrüder Roeder, Herdfabrik und Eiſengießerei,
Allee 19; 1918: Dr. Otto Röhm, Fabrikant, Frankfur=
ter
Straße 38: 1911: Georg Schickel, Landesprodukten=
und Südfrüchte=Großhandlung, Friedrichſtraße 36;
1898: Ernſt Schmeel III., Rechtsanwalt, Rheinſtr. 47;
1912: H. Steinacker, vorm. Hofatelier Thiele, Heſſiſcher
Hofphotograph, Wilhelminenſtraße 6; (211): Turnge=
meinde
, Hausmeiſter, Woogsplatz 5: 1907: Gg. Ph.
Weber, Lederhändler, Nieder=Ramſtädter Straße 1;
1427: L. von Werner, Leutnant, Artillerieſtraße 8;
1731: C. W. Witterſtätter, Dipl.=Ing., Friedrichſtr. 36.
b) Aenderungen: 1848: Dr. Appel, jetzt
Luiſenplatz 7: 1289: Dr. Eigenbrodt, jetzt Ohlyſtr. 33;
884: Dr. Kayſer, jetzt Hügelſtraße 6; 70: W. Koban, jetzt
Dieburger Straße 61; 736: E. Kuhlen, jetzt Hügelſtr. 4;
1312: Hch. Levy, jetzt E. Blum; 1468: Hermann Marx,
jetzt Grafenſtraße 23½; 1685: R. Moeller, jetzt Ohly=
ſtraße
69; 146: Oſann, Dr., jetzt Oſann, Dr., u. Colin,
Rechtsanwälte; 111: Peters u. Trautwein, jetzt J.
Trautwein; 592: Pfaff, jetzt Wilhelmſtraße 30, part.;
1622: Georg Rackur, jetzt Rheinſtraße 47; 1733: Georg
Friedr. Rettig, jetzt Niederſtraße 23; 1699: Ferdinand
E

Stern, jetzt Fuchsſtraße 20; 1519: Jean Stichel, jetzt
Rheinſtraße 4; (339): Theodor Strauß, jetzt Bismarck=
ſtraße
17: 1623: A. Trautmann, jetzt Saalbauſtraße 42.
e) Abgebrochene Sprechſtellen: 205:
Bavaria=Drogerie; 7: Deutſche Chronophon=Geſellſchaft;
(551): v. Eckenbrecher: 1871: Felix Frohmann; 1799:
Graffweg u. Co., Kahlertſtraße 36; 974: Georg Link.
Tierſchutzverein. Mau ſchreibt uns: Zum beſ=
ſeren
Verſtändnis ſeiner Beſtrebungen und richtigen
Würdigung ſeiner Abſichten in weiteren Kreiſen hat
der Vorſtand beſchloſſen, in Gaſthäuſern, Bahnhöfen,
Volksküchen und anderen öffentlichen Lokalen im gan=
zen
Großherzogtum Mäppchen zur Benutzung auszu=
legen
, in denen namentlich die regelmäßig erſcheinende
Allgemeine Tierſchutz=Zeitſchrift zu finden iſt.
Hoffentlich werden dadurch dem Tierſchutz, als einer
ſittlichen Forderung unſerer modernen Kultur, immer
mehr Freunde vewonnen.
Ornis. Am 18. d. M. fand in der Stadt
Pfungſtadt die Monatsverſammlung des Vereins
für Geflügel= und Vogelzucht Ornis ſtatt,
die der erſte Vorſitzende, Herr Schömer, mit Bekannt=
gabe
der neuen Einläufe eröffnete. Die von dem erſten
Schriftführer, Herrn Wenz, verleſenen Niederſchriften
wurden nicht beanſtandet, ſo daß man gleich zu dem
nächſten Punkte der Tagesordnung: Uebernahme der
V. Heſſiſchen Landes=Verbandsausſtellung,
ſchreiten konnte. Ueber dieſen Gegenſtand fand eine
längere, eingehende Beratung ſtatt, wobei ſchließlich ein
Antrag des zweiten Vorſitzenden einſtimmig ange=
nommen
wurde. Allgemein wurde bedauert, daß die
Reſidenz nicht über ein allen Zwecken dienendes
größeres Ausſtellungshaus mit guten Lichtverhältniſſen
verfügt, um derartige Landesausſtellungen in zweck=
dienlicher
Weiſe veranſtalten zu können. Herr Kauf=
mann
Nungeſſer (Dieburgerſtraße) zeigte unter ſach=
kundiger
Erklärung verſchiedene Trockenfutterſorten
für Kückenaufzucht vor. Seinen Ausführungen wurde
lebhaftes Intereſſe ſeitens der Anweſenden entgegen=
gebracht
. Der erſte Vorſitzende dankte dem Redner für
ſeine lehrreichen Worte. Wegen vorgerückter Stunde
mußte der Vortrag: Das Brutgeſchäft bis zur Mai=
verſammlung
verſchoben werden. Es ſoll alsdann ſo=
wohl
über dieſen Punkt als auch über Aufzucht der
Kücken ein eingehender Vortrag ſtattfinden. Nachdem
der erſte Vorſitzende noch mitgeteilt hatte, daß die Klub=
ringe
für das Junggeflügel im Sekretariat des Ver=
eins
, Karlſtraße 38, erhältlich ſeien, ſchloß er nach ſtatt=
gehabter
reichhaltiger Verloſung gegen Mitternacht die
anregend verlaufene Verſammlung.
Berliner Vaudeville=Enſemble im Orpheum.
In den nächſten Tagen ſteht unſerem Darmſtädter
kunſtſinnigen und theaterliebenden Publikum ein höchſt
intereſſantes Gaſtſpiel bevor, das gewiß lebhaft begrüßt
werden wird. Das bekannte Berliner Vaudeville=
Enſemble, das auch hier in Darmſtadt durch ſeine
früheren erfolgreichen Gaſtſpiele vorteilhaft eingeführt
iſt, wird in der Zeit vom Sonntag, den 24. April ab
einen kurzen Gaſtſpielzyklus abſolvieren, wobei die
neueſten und beſten Senſationsſchlager der franzöſiſchen
Schwankliteratur zure Aufführung gelangen. Am
Sonntag, den 24. April, nachmittags 4 Uhr und abends
8 Uhr wird im Orpheum das Gaſtſpiel mit dem bril=
lanten
vieraktigen Pariſer Schwank Kümmere Dich
um Amélie! (Occupe=toi d’Amélie!) von Georges Fey=
deau
eröffnet, der dann Montag, den 25. und Dienstag,
den 26. April zur Wiederholung kommt. Ueber das
weitere Repertoire und alles Nähere berichten wir noch
in den nächſten Tagen.
u. Warnung. Ein kürzlich in Bensheim geſchehener
ſchwerer Unfall, die gemeldete Verwundung eines Kin=
des
, gibt Veranlaſſung, auf die Gefährlichkeit der viel= Taſchenteſchings hinzuweiſen. Wer dieſe
kleinen, nur 1,60 Mark koſtenden Piſtolen ſieht, möchte
ſie nicht für bedenklich halten, obwohl gerade die Be=
ſchaffenheit
und der billige Preis ſie nur allzu leicht in
die Hände von jungen Leuten oder gar Kindern ge=
langen
läßt. Die Unterſuchung jenes Unfalles hat er=
geben
, daß die Waffe zwar nicht treffſicher iſt, aber auch
auf größere Entfernungen trägt und alſo Unheil an=
richten
kann. Im Fragefalle ſoll das betreffende Kind
beinahe 40 Meter von dem auf eine Taube ſchießenden
fahrläſſigen Schützen geſtanden haben, und bei Ver=
ſuchen
drang auf 30 Meter Entfernung das Geſchoß
noch in ein Brett. Man achte alſo auf ſolche Teſchings

in den Händen Unerfahrener.
§ Unfall. Ein 4 Jahre altes Mädchen geriet am
Dienstag mittag 12 Uhr in der Alexanderſtraße unter
das Pferd eines Kutſchers. Das Kind, welches einige
Verletzungen (Hautabſchürfungen) davontrug, hat auf

der Straße geſpielt und lief dem Kutſcher in das Fuhr=
werk
. Den Kutſcher trifft keine Schuld.
§ Diebſtahl. In einer der letzten Nächte wurden
aus einem Gartenhäuschen in der Roßdörfer Straße
mittels Ueberſteigens vier Hühner geſtohlen.
§ Fahrraddiebſtahl. Am Dienstag mittag kurz vor
12 Uhr iſt ein Fahrrad, welches kurze Zeit in dem
Vorgarten einer Wirtſchaft im Rhönring aufgeſtellt
war, entwendet worden.
gs. Selbſtmordverſuch. Geſtern vormittag gegen
½11 Uhr verſuchte ſich eine in der Heinheimerſtraße
wohnhafte Frau durch Leuchtgas zu vergiften. Sie
wurde in bewußtloſem Zuſtande durch die Rettungs=
wache
mittels Krankenautomobils nach dem ſtädtiſchen
Krankenhauſe gebracht. Anſcheinend wurde die Tat in
einem Anfalle von Schwermut begangen, da der Mann
der Bedauernswerten erſt vor ein paar Tagen ges=
ſtorben
iſt.
§ Selbſtmord. Am Dienstag abend gegen 8¾ Uhr=
wurde
an dem Kinderbad am Woog die Leiche eines
unbekannten jungen Mannes im Alter von 25 bis 28
Jahren geländet. Die Leiche hat eine Schußwunde an
der rechten Schläfe und iſt mit gutem, ſchwarzem Anzug
bekleidet. Es liegt zweifellos Selbſtmord vor. Der
Revolver lag am Ufer. Der Unbekannte trug noch
32 Mark und eine Taſchenuhr bei ſich.
Wie wir erfahren, handelt es ſich um den Schulver=
walter
Eckel, der aus Oberheſſen ſtammt. Er ſtand vor
der Definitorialprüfung und ſcheint die Tat in nervöſer
Ueberreiztheit ausgeführt zu haben. Die ſchriftliche Prü=
fung
hatte E. gut beſtanden.
Aſtheim (bei Trebur), 20. April. Das 7 Jahre alte
Töchterchen des Landwirts Ph. Keller IV. von hier
ſpielte an dem Tor des Schulhofes. Dieſes fiel um und
begrub das Kind unter ſich. Es erlitt einige Rippenbrüche
und eine Gehirnerſchütterung, an deren Folgen es ge=
ſtorben
iſt.
Mainz, 20. April. Die Stuckdecke der Torfahrt im
Römiſchen Kaiſer, die ſich leider augenblicklich in
einem Zuſtande troſtloſeſter Verwahrloſung befindet, ſoll
demnächſt durch ſachverſtändige Hand wieder hergeſtellt
werden. Die heſſiſche Denkmalpflege hat auf Anregung von
Profeſſor Neeb bereits die einleitenden Schritte getan. Die
Höhe der Wiederherſtellungskoſten und die Aufbringung
der Mittel zu ihrer Beſtreitung ſind noch ſchwebende
Fragen.
n. Worms, 20. April. Der neue Direktor der=
Eleonorenſchule, Herr Prof. Lauteſchläger, der=
40 Jahre alt iſt, ſtammt von Darmſtadt, abſolvierte das
dortige Ludwig Georgs=Gymnaſium, ſtudierte in Leipzig
und Gießen und war nach beſtens beſtandener Staatsprü=
fung
zuerſt als Lehramtsaſſeſſor, dann als Oberlehrer am
Ludwig Georgs=Gymnaſium bis jetzt tätig. Im öffent=
lichen
Leben pflegte er während dieſer Zeit vielfach nach
den verſchiedenſten Richtungen, insbeſondere als Vorſitzen=
der
der Ortsgruppe des Flottenvereins, ſowie als Mit=
glied
des Deutſchen Schulvereins, des Deutſchen und
Oeſterreichiſchen Alpenvereins, des Odenwaldklubs, des
Kriegervereins u. a. m. hervorzutreten, wie beiſpielsweiſe
die Schülerwanderungen des Odenwaldklubs in ihm einen
eifrigen Förderer fanden. Umfaſſende Sachkunde, Tat=
kraft
und Initiative ſtehen ihm für ſein künftiges Amt zur
Seite.
Gießen, 19. April. Das Landwirtſchaft=
liche
Inſtitut der Univerſität Gießen wird gegen=
wärtig
von 47 ſtudierenden Landwirten, außerdem von
45 nichtlandwirtſchaftlichen Studierenden, im ganzen
alſo von 92 Studierenden beſucht, zu denen noch einige
nichtimmatrikulierte Hörer kommen. Die Frequeng
hat, daher wieder in ſehr erfreulicher Weiſe zuge=
nommen
. Neben der Staatsprüfung und Diplom=
prüfung
wird jetzt durch die Studierenden auch von den
Zuſatzprüfungen umfangreicherer Gebrauch gemacht. So
wurde zum Beiſpiel die Tierzuchtinſpektorenprüfung
im Winter 1909/10 von acht Kandidaten abgelegt. Drei
Kandidaten legten 1909/10 die Doktorprüfung ab. Die
Vorleſungen und Uebungen haben wieder eine Er=
weiterung
erfahren; auch wurde ein Studienplan aus=
gearbeitet
. Nach demſelben können praktiſche Land=
wirte
zwei bis drei Semeſter dem Studium obliegen,
während nach vier Semeſtern die Diplomprüfung, nach
ſechs Semeſtern die Staatsprüfung und das Doktor=
examen
abgelegt werden können. Das Verſuchsfeld
wird gegenwärtig neuorganiſiert; im Herbſt 1910 wird
ein großer ſtatiſcher Verſuch neu eingerichtet. Der mit
dem Inſtitut verbundene heſſiſche öffentliche Wetter=
dienſt
verſorgt Heſſen mit Wetterkarten. Auch finden
Maſchinenprüfungen ſtatt, die viel Neues bringen. Das
Wiener Unterrichtsminiſterium entſendet im Sommer

Nach dem nächſten Gange ſteht dann Friedrich
Naumann auf, um für die Gäſte zu antworten.
Sein von Liebermann gemaltes Porträt iſt einer der
Clous der diesjährigen Ausſtellung und es iſt in
der Tat von verblüffender Aehnlichkeit und Lebendig=
keit
. Friedrich Naumann iſt der einzige in dieſer
höchſt mondänen Tafelrunde, der keinen Frack, ſondern
einen ziemlich altmodiſchen Gehrock trägt. Er ſpricht
ſehr lange, gewiß eine gute Viertelſtunde. Was man
hört, iſt ein hübſches, unterhaltendes Feuilleton, vier
Spalten unter dem Strich, freilich ohne einen einzigen
neuen, originellen Gedanken. Jeder Satz läßt ſchon
den nächſten vorausahnen. Ein liebenswürdiger Plau=
derer
, nicht mehr und nicht weniger. Endlich, endlich
hat er geendet und ſich, mit einer gewiſſen ſelbſtgefälli=
gen
Wucht, niedergeſetzt. Meſſer und Gabeln klappern
wieder und das fröhliche Tiſchgeſpräch wird nur noch
auf kurze Augenblicke unterbrochen, als Lovis
Corinth ein paar Dankesworte vom Blatt an
die Maecene der Sezeſſion richtet und Hans Balu=
ſchek
luſtig das Wohl der Damen ausbringt. Nach
aufgehobener Tafel iſt der Saal bald ausgeräumt und
das Tanzen beginnt. Da ſieht man Emil Orlik
mit der zierlichen Frau Meyer=Graefe einen ſehr
temperamentvollen Two=ſtep exekutieren, ſieht man
Fritz Klimſch im wirbelnden Walzer mit Max Lie=
bermanns
anmutiger junger Tochter (der Kronprin=
zeſſin
der Sezeſſion) und die Sonne iſt ſchon eine
geraume Weile nicht bloß am Chiemſee, ſondern auch
über den Ufern der Spree aufgegangen, als die letzten
Schaffenden und Genießenden in die Automobile
ſteigen, um den heimatlichen Penaten zuzueilen.
C.K. Was die Mode bringt. Die reizenden
Waſſen der Anmut und Koketterie, mit denen Frau
Mode in dieſem Frühling das ſchönere Geſchlecht aus=
rüſtet
, laſſen an Mannigfaltigkeit der Erfindung und
Eleganz der Formen nichts zu wünſchen übrig. Nach
der Deviſe: Wer vieles bringt, wird jedem etwas
bringen hält ſie Rieſenhüte und zierliche Toques be=
reit
, bunteſte Farben und ſchlichte Schwarzweiß= Har=
monien
, ſeierliche Empiredraperien und einfache bunte
Pierrette=Kragen. Innerhalb dieſer weitherzigen Duld=
ſamkeit
aber herrſchen ſtrenge Regeln, denn die Frauen

unterwerfen ſich ja ſo gern den deſpotiſchen Geſetzen
der Mode. In der höchſt bedeutſamen Hutfräge ringen
der breitrandige flache Hut und die kühn geſchlungene.
Turbantoque um die Palme. Die Toque hat für den
Morgenſpaziergang ſich allerdings Geltung verſchafft,
denn ſie nur fügt ſich dem knappen vertikalen Rhyth=
mus
in den Linien des modernen Tailor=made=Koſtüms
ein. Dieſer Morgenhut beſteht in einer leichten Stroh=
form
, die von einer ſich weich dem Kopf anſchmiegenden
Draperie umſchlungen iſt. Die Garnierung iſt ſehr
einfach und beſteht nur in einer Feder oder einer
Aigrette. Sehr beliebt iſt ein kokett angebrachter Flü=
gel
. der durch einen kühnen und überraſchenden Far=
benton
die ſonſtige Schlichtheit des Hütes etwas aus=
gleichen
darf. Einfachheit des Schmuckes iſt auch bei
den großen Hüten oberſtes Geſetz. Vielfach läßt man
den Kopf ganz frei, während nur eine volle ſchwere
Straußenfeder graziös über den Rand herüberfällt.
Die Parole, die ein Aufgeben der Hutnadel verlangte,
iſt ſchon wieder beſeitigt; ja die Hutnadeln bringen einen
ſehr wichtigen Akzent in die Geſamtwirkung mit ihren
großen, ſchön gearbeiteten Köpfen. Die Glockenform
gewinnt wieder mehr und mehr Anhängerinnen; bei
ihr überwiegt die Garnierung mit Blumen, die ſich in
vollen Sträußen und leichten Girlanden immer ſtärker
hervorwagen. Ein aparter Reiz geht von dem
Louis XVI.=Hut aus, der uns ſo anmutig aus den
Bildniſſen der Mme. Vigée=Lebrun grüßt. Sogar die
Farben dieſer Zeit werden wieder aufgenommen, zum
Beiſpiel ein Tiefblau zuſammen mit roſigen Tönen.
Das Promenadenkoſtüm zeigt ebenſo wie die Morgen=
toque
eine nur ſparſam geſchmückte Einfachheit. Die
Tendenz, das Tailor=made=Kleid mehr und mehr zu
garnieren, hält ſich noch in berechtigten Grenzen. Vor=
läufig
garniert man das Jackett, das vorne leicht ge=
ſchweift
iſt und kaum noch die Hüften bedeckt, mit Sticke=
rei
. Der kurze Rock, der ſogar in der Geſellſchaftstoi=
lette
noch dominiert, iſt natürlich beibehalten; er wird
anger und enger, und dieſe ſich ſtraff um den Körper
ſchmiegende Knappheit des Rockes wird wohl die auf=
fälligſte
Note in der Sommertoilette werden. Eine
andere bemerkenswerte Neuerung der Mode iſt, den
Hals möglichſt frei zu laſſen. Der kleidſame Spitzen=
kragen
iſt überall mit Frenden aufgenommen worden,

doch wird er ſich in der etwas kindlichen Form des
Pierrette=Kragens wohl bald überlebt haben. Die Mode
bringt jetzt entzückende reiche Formen des Jabots, die
ja eine unendliche Fülle der Anordnung geſtatten.
* Die fiameſiſchen Zwillinge‟ Roſa=
und Joſefa Blaſche k, deren anläßlich des Fa=
milienereigniſſes
Erwähnung geſchehen iſt, haben ſich
ſtets als ſelbſtändige Perſönlichkeiten gefühlt. Im Ein=
klang
damit ſteht die durchaus verſchiedene geiſtige
Veranlagung. Joſefa iſt von phlegmatiſchem Tempera=
ment
, geiſtig etwas weniger regſam, Roſa dagegen leb=
haft
, beinahe etwas nervös, dabei beweglich ſoweit
ihre unfreiwillige Feſſelung an den Körper der anderen
geſtattet und recht intelligent. Es beſteht alſo zwi=
ſchen
beiden keinerlei geiſtige Gemeinſchaft, was auch
äußerlich darin zum Ausdruck kommt, daß beider Ge=
ſichtszüge
wenig Aehnlichkeit aufweiſen. Trotzdem zwi=
ſchen
den Zwillingen dauernd ein Austauſch des Blu=
tes
ſtattfindet, iſt die körperliche Konſtitution bei beiden
verſchieden, und auch krankhaften Einwirkungen gegen=
über
verhalten ſie ſich ganz abweichend. So zeigte der
eine Zwilling wiederholt Fieber, während der andere
normale Körpertemperatur aufwies. Daß der Saft=
austauſch
zwiſchen den beiden jungen Damen gleichwohl
raſch und ausgiebig iſt, ging aus einem ſeinerzeit von
ärztlicher Seite angeſtellten Experiment hervor: Roſa
erhielt zwei Gramm einer Arznei, und ſchon nach eini=
gen
Stunden konnte man ſie zu gleichen Teilen in dem
Mundſpeichel beider nachweiſen. Vorderhand wollen
ſie von einer gewaltſamen Trennung nichts wiſſen
aus geſchäftlichen Gründen, wie gemeldet wird. Die
Operation würde wohl keine beſonderen Schwierigkei=
ten
bieten, jedenfalls erheblich geringere, als ſeinerzeit
die an den Zwillingen Radika und Dodika vorgenom=
meue
. Der bekannte Pariſer Chirurg Dr. Doyen
trennte dieſe beiden, weil die eine von einem unheil=
baren
Leiden befallen war. Und ſchließlich ſiechte auch
die andere dahin. Die berühmten echten ſiameſiſchen
Zwillinge hatten in einer Doppelehe mit zwei Schwe=
ſtern
nicht weniger als achtzehn normale Kinder und
lebten auf ihrer Farm in Nord=Karolina in der Union
ſehr glücklich, bis ſie 1864 zur ſelben Stunde ſtarben.

[ ][  ][ ]

Nummer 92.

Darmſtädter Tagblatt, Donnerstag, den 21. April 1910

Seite 5.

1910 ſieben Lehrer zu einem Oberkurſus für ländliches
Fortbildungsſchulweſen. Durch Exkurſionen werden
hervorragende Betriebe der weiteren und engeren Um=
gegend
zugänglich gemacht, auch der Beſuch von Aus=
ſtellungen
vermittelt. So bietet das Gießener Inſtitut
den jungen Landwirten Gelegenheit zur Ausbildung
und zur Fortbildung nach den verſchiedenſten Seiten
hin dar.
* Bad Nauheim, 20. April. Der frühere Statt=
halter
von Elſaß=Lothringen, Fürſt Hermann zu
Hohenlohe=Langenburg, iſt hier zur Kur ein=
getroffen
und hat im Parkhotel Wohnung genommen.

Reich und Ausland.
Aus der Reichshauptſtadt, 19. April. In dem Be=
finden
des Profeſſors Robert Koch iſt eine leichte Ver=
ſchlimmerung
eingetreten. Die Gefahr einer Lungen=
entzündung
iſt nicht ausgeſchloſſen. Wegen Nicht=
genehmigung
der Verſammlung im Trep=
tower
Park am 6. März wurde heute vor dem Be=
zirksausſchuß
die Klage des Leiters der ſozialdemokra=
tiſchen
Wahlvereine von Groß=Berlin, Schriftführers
Eugen Ernſt, gegen den Polizeipräſidenten v. Jagow
verhandelt. Der Bezirksausſchuß erklärte die Nicht=
genehmigung
im Sinne des § 7 des Reichsvereins=
geſetzes
für berechtigt, insbeſondere im Hinblick auf
das Verhalten der Menge am 13. Februar, das eine
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auch für den
6. März befürchten ließ. Der Vorſitzende des Aus=
ſchuſſes
der ſozialdemokratiſchen Wahlvereine wird an
das Oberverwaltungsgericht appellieren. Dem Kläger
wurden die Koſten des Verfahrens auferlegt. Ein
in letzter Zeit zugunſten der Berliner Schutzmannſchaft
geſammelter Fonds ſoll zur Errichtung eines Erhol=
ungsheims
für invalide Schutzleute an
der Weichbildgrenze Berlins verwendet werden. Vor
dem Schwurgericht des Landgerichts I Berlin begann
heute die Verhandlung wegen des in der Beſſelſtraße
verübten Raubanfalls auf den Geldbrief=
träger
Friedrich Eulenburg. Aus der Straf=
haft
wurden der Schneidergeſelle Emil Drechsler und
der Handlungsgehilfe Wilhelm Kayſer vorgeführt, um
ſich wegen verſuchten ſchweren Raubes in Idealkonkur=
renz
mit verſuchtem Mord bezw. Anſtiftung zu ver=
antworten
. Nach Verleſung des Eröffnungsbeſchluſſes
gab der Vorſitzende eine kurze Darſtellung des Sach=
verhalts
. Bekanntlich wurde der jetzt 59jährige Geld=
briefträger
Friedrich Eulenburg, der auf dem Poſt=
amt
48 in der Friedrichſtraße beſchäftigt war, am frühen
Morgen des 2. April v. J. auf der Treppe des Hauſes
Beſſelſtraße 19 mit einem Beil niedergeſchlagen und
beraubt. Dem Täter ſiel der Inhalt der Geldtaſche
in Höhe von 755,81 Mk. zur Beute. Der Polizeipräſi=
dent
hatte ſeinerzeit auf die Ermittelung des Täters
eine Belohnung von 1000 Mk. ausgeſetzt. Beide An=
geklagten
leugnen die Schuld.
Wiesbaden, 20. April. Wieder eingefunden
hat ſich der vermißte Gymnaſiaſt Bruſch. Er war zu
Fuß nach Wixhauſen bei Darmſtadt gegangen, wo
ſeine Großeltern wohnen.
B. Nieder=Heimbach, 19. April. Ein heute mittag
12 Uhr rheinabwärts kommendes Automobil, das
ſich auf dem Wege nach Köln befand, hat auf der Strecke
zwiſchen hier und Trechtingshauſen eine etwa 30 Jahre
alte Frau von Trechtingshauſen überfahren. Das
Auto wollte einem ihm entgegenkommenden Fuhrwerk
ausweichen, wobei die Frau, die ihrem in den Steinn=
brüchen
tätigen Manne das Mittageſſen bringen wollte,
zwiſchen die beiden Fahrzeuge geriet und vonedem Auto
überrannt wurde. Die Frau hat einen Bruch des rech=
ten
Beines davongetragen. Das Automobil wurde in
Oberweſel angehalten. Wer die eigentliche Schuld an
dem Unfall trägt, muß noch aufgeklärt werden.
Hamburg, 20. April. Die Hamburger Polizei befindet
ſich in fieberhafter Tätigkeit. Zahlreiche hochangeſehene
Kaufleute ſowie ſonſtige hochgeſtellte Perſönlichkeiten ha=
ben
in Druckſchrift hergeſtellte Erpreſſerbriefe erhal=
ten
, in denen Summen von 100000 Mark, 200000 Mark,
eine halbe und eine ganze Million gefordert werden. Im
Weigerungsfalle werden die Briefempfänger mit dem Tode
bedroht.
Peſt, 20. April. Theodore Rooſevelt iſt heute nacht
nach Paris abgereiſt.
Paris, 18. April. In der Nähe von Tours wurde
dieſer Tage ein gräfliches Ehepaar namens
d’Aulby verhaftet, das ſeit acht Jahren das Schlöß=
chen
de la Tour bei Saint=Cyr ſur=Loire bewohnte und
ein großes Haus machte. Die Gräfin iſt amerikaniſcher
Herkunft, ihr Gatte fügte ſeinem Grafentitel bald den
eines Prinzen von Luzignan, bald den eines Herzogs
von Borghetto bei. Vor einigen Jahren machten die
d’Aulby auf einer Reiſe die Bekanntſchaft eines Ameri=
kaners
Charles Hamilton Paine und ſeiner Gattin, mit
denen ſie ſich ſehr anfreundeten. Der Graf erbot ſich,
den reichen Yankees ihr Hotel in der Avenue dn Bois
de Boulogne mit wertvollen Möbeln auszuſtatten und
ihnen vor allem aus ſeiner Gemäldegalerie die ſchönſten
Meiſterwerke gegen eine Rente von 40000 Francs zu
leihen. Dieſer Vorſchlag wurde ausgeführt. Letztes
Jahr ſtarb Herr Paine, und ſeine Witwe ließ ſich über=
reden
, einen Corregio für den Spottpreis von 75000
Francs zu erwerben. Graf d’Aulby hatte ſie zu über=
zeugen
gewußt, daß dieſes Werk das Original ſei, wäh=
rend
das Louvre=Muſeum nur eine ſchlechte Kopie davon
beſitze. Es dauerte nicht lange, daß Frau Paine über
den Wert ihres Gemäldes, ſowie der anderen Bilder
ihrer Galerie aufgeklärt wurde. Es ſind alles nur
grobe Kopien. Sie verklagte daher die d’Aulby wegen
Betruges und die Folge davon war deren Verhaftung.
Wie weiter gemeldet wird, beſchlagnahmte
die Staatsanwaltſchaft von Tours im Schloſſe des an=
geblichen
Grafen d’Alby de Glatigny eine große Anzahl
von Bildern, die mit Hamilton, Largillieres, Teniers
uſw. gezeichnet waren, und nach dem Geſtändnis
d’Aulbys gefälſcht ſind. d’Aulby gab zu, daß en ſich
auch den Grafentitel unrechtmäßig angeeignet habe und
der Sohn eines Schneiders aus London ſei.
Glasgow, 19. April. Eine Trauung im Löwen=
käfig
wurde hier vor einer Zuſchauermenge von 6000
bis 7000-Köpfen. vollzogen. In dem Käfig befanden ſich
ſechs ausgewachſene Löwen. Der Prediger vollzog die
Trauung unverkürzt, und die Löwen ſchienen die,
Zeremonie mit großem Intereſſe zu verfolgen. Vier
Wärter waren im Käfig anweſend, aber die Tiere gaben
kein Zeichen von Unruhe von ſich, und nachdem das
junge Paar den Käfig verlaſſen hatte, wurde es mit
lautem Beifall von den Zuſchauern belohnt.

Parlamentariſches.
*X* Darmſtadt, 20. April. Im Finanz=
ausſchuß
der Zweiten Kammer fand heute
eine gemeinſame Beratung mit der Regierung, ſtatt,
die durch=Herrn Miniſter des Innern v. Hombergk

zu Vach Exz. und mehrere Kommiſſarien vertreten
war. Zunächſt wurde noch einmal über die Regier=
ungsvorlage
, die Verwendung des Ueberſchuſſes der
Landesausſtellung Darmſtadt 1908, beraten, die vom
Kammerplenum an den Ausſchuß zurückverwieſen wor=
den
war, nachdem mehrere Mitglieder verlangt hatten,
daß, wenn nach dem Vorſchlag der Regierung der
Ueberſchuß zur Bildung eines beſonderen Fonds für
kunſtgewerbliche Zwecke verwendet werde, dann auch
der Ueberſchuß der letzten Mainzer landwirtſchaftlichen
Ausſtellung zur Schaffung, eines Fonds für landwirt=
ſchaftliche
Zwecke beſtimmt werden müſſe. Nachdem
Geh. Oberregierungsrat Dr. Wagner dargelegt
hatte, daß ſich der für Heſſen verbleibende Ueberſchuß
aus der Mainzer Ausſtellung nur auf einige Hundert
Mark beziffere und es doch unzweckmäßig ſei, aus ſo
geringen Mitteln einen beſonderen Fonds ins Leben
zu rufen, beſchloß der Ausſchuß auf Antrag des Be=
richterſtatters
, Abg. Dr. Oſann, ſeinen früheren Be=
ſchluß
aufrecht zu erhalten und dem Plenum die An=
nahme
der Regierungsvorlage zu empfehlen. Dann
kam die Vorſtellung des Oberbahn=Aſſiſtenten Fer=
kinghoff
, betreffend die. Penſionsverhältniſſe der
ehemaligen heſſiſchen Ludwigsbahn=Beamten, zur Be=
ratung
. Die Intereſſenten führen aus, daß ſie zurzeit
immer noch Beiträge zu der Penſions= und Witwen=
kaſſe
zahlen müßten, und zwar früher in Höhe von 7
Prozent, jetzt in Höhe von 5 Prozent; auch ſei darin
eine gewiſſe Ungerechtigkeit zu erblicken, daß die Ge=
haltszulagen
erſt nach Jahresfriſt anrechnungsfähig
ſeien. Hierzu machte Miniſterialrat Süffert die
Mitteilung, daß nach einem Beſcheid des preußiſchen
Eiſenbahnminiſters, dem in der Vorſtellung enthaltenen
Erſuchen keine Folge gegeben werden könne, da nicht
nur die ehemaligen Beamten der heſſiſchen Ludwigs=
bahn
, ſondern auch diejenigen anderer verſtaatlichter
Privatbahnen ihre Beiträge weiter bezahlen müßten
und durch deren Wegfall ein zu großer Verluſt ent=
ſtehen
würde. Abg. Molthan wünſchte als Aus=
ſchußberichterſtatter
die Ueberweiſung der Vorſtellung
an die Regierung zur Berückſichtigung und der Aus=
ſchuß
beſchloß demgemäß. Inbetreff der Vorſtellung
der Gemeinde Langen=Brombach über den Umban der
Kreisſtraße nach Zell referierte Abg. Dr. Oſann, der
auf den unerträglichen Zuſtand dieſer Kreisſtraße hin=
wies
und betonte, daß, wenn eine Einigung zwiſchen
den betreffenden Gemeinden nicht zu erzielen ſei, durch
ein verwaltungsgerichtliches Verfahren eine ſchleunige
Entſcheidung herbeigeführt werden müſſe. Das für
die Straße erforderliche Gelände ſei nach den geſetz=
lichen
Vorſchriften die Gemeinde Zell zu ſtellen ver=
pflichtet
. Geheimerat Beſt verſprach, noch einmal auf
gütlichem Wege eine Verſtändigung verſuchen zu
wollen, andernfalls das Verwaltungsſtreitverfahren
einzuleiten. Die Regierungsvorlage, betreffend die
Errichtung einer Nebenbahn Sprendlingen=Kreuznach,
wurde genehmigt. Da Abg. Ulrich, der über eine
Reihe von Gegenſtänden das Referat übernommen hat,
den beiden letzten Sitzungen des Ausſchuſſes unent=
ſchuldigt
fern geblieben war, mußten die weiteren Be=
ratungen
auf nächſte Woche vertagt werden.

Deutſcher Reichstag.
* Berlin, 20. April. Präſident Graf Schwerin=
Löwitz eröffnet die Sitzung um 12 Uhr 15 Min. Die
Beratung
der Reiſchsverſicherungsordnung
wird fortgeſetzt. Abg. Enders (Fortſchr. Volksp.): Die
Vorlage bedarf noch mancher Erweiterungen, z. B. hin=
ſichtlich
der Heiminduſtrie, deren Mißſtände allgemein be=
kannt
ſind. Es iſt bedauerlich, daß dieſe Verhältniſſe nicht
ſchon in dieſer Seſſion grundſätzlich geregelt werden ſollen.
Wenigſtens kann die Verſicherungsordnung den dringen=
den
Uebelſtänden abhelfen. Die vorgeſehene Regelung der
Beiträge der Heimarbeiter und Verteilung der Kranken=
gelder
könnte in der Praxis Schwierigkeiten haben. Im
einzelnen wäre am Entwurf auszuſetzen, daß die Sätze des
Jahresdurchſchnittsverdienſtes des Hausarbeiters zu nie=
drig
angeſetzt ſind und daß ſie nicht an die Ortskranken=
kaſſen
, ſondern an die Landeskrankenkaſſen angeſchloſſen
werden ſollen. Immerhin begrüßen wir in dem Entwurf
einen verheißungsvollen Fortſchritt. (Beifall.) Abg.
Schmidt=Berlin (Soz.): Die Vorlage iſt in manchen
Punkten den Berufsgenoſſenſchaften entgegengekommen
und hat ſo die Zuſtimmung des Handelstages und des
Zentralverbandes deutſcher Induſtrieller gefunden. Er=
forderlich
iſt, daß für alle Arten der Verſicherung eine ein=
heitliche
Grundlage geſchaffen wird. Das geſchieht aber in
der Vorlage nicht. Die Rechtſprechung iſt nicht einheitlich.
Dann beſchränkt die Vorlage die Selbſtverwaltung durch
die Arbeiter ganz unzuläſſig, die Kaſſen leiden unter dieſer
Beſchränkung der Selbſtverwaltung. Das iſt der größte
Fehler der Vorlage, die damit die Ortskrankenkaſſen ſchä=
digt
. Der ſozialdemokratiſche Terror, der angeblich den
Anlaß zur Beſchränkung gegeben hat, beſteht nicht. Auch
die Landkrankenkaſſen werden ungerecht und ohne ſach=
lichen
Grund behandelt. Das Verdienſt der Vorlage liegt
in der Schaffung der Einigungsämter. Den Aerzten ſind
die Kaſſen ſtets entgegengekommen. Die Stellung des
Leipziger Verbandes iſt aber eine ſcharf ablehnende. Das
Apothekenweſen iſt nicht genügend geregelt. Ueber dieſe
und ähnliche Wünſche, hinſichtlich der Berufskrankheiten
uſw., werden wir in der Kommiſſion ſprechen. (Beifall
bei den Sozialdemokraten.)
Abg. Linz (Rp.): Man kann ſchon jetzt mit Beſtimmt=
heit
behaupten, daß die Reichsverſicherungsordnung in der
gegenwärtigen Geſtalt keine Geſetzeskraft erlangen wird.
Die ſachlichen Mängel ſind ganz erheblich. Die Halbie=
rung
der Beiträge und das Stimmrecht der Ortskranken=
kaſſen
verfolgt mit Recht die Tendenz, die ſozialdemokra=
tiſche
Propanda bei der Verwaltung der Ortskrankenkaſſen
ſoviel als möglich auszuſchalten. Die Regierungsvor=
ſchläge
ſind nur ein Niederſchlag der Stimmung im Bür=
gertum
, das über den Mißbrauch der Krankenkaſſen empört
iſt. Bei der Anerkennung, die die Betriebskrankenkaſſen
gefunden haben, iſt es befremdlich, daß die Mehrzahl dem
Prinzip der Zentraliſation geopfert werden ſoll. Aller=
dings
muß die Einrichtung und der Beſtand zu kleiner
Hilfskaſſen unmöglich gemacht werden, aber die Vorlage
ſchießt über das Ziel hinaus, wenn ſie als Mindeſtgrenze
500 Mitglieder verlangt. Freie Hilfskaſſen müßten als
vollwertige Erſatzinſtitute zugelaſſen werden. Schwierig
iſt es, das Koalitionsrecht der Aerzte mit den wohlbegrün=
deten
Rechten der Kaſſen und den Intereſſen der leidenden
Arbeiterſchaft in Einklang zu bringen. Eine Ausſchaltung
der Zahntechniker, die den Befähigungsnachweis für zahn=
techniſche
Behandlung erbracht haben, erſcheint uns nicht
wünſchenswert. Bedauerlich iſt es, daß bei der Witwen=
und Waiſenverſicherung der Kreis der Bezugsberechtigten
nicht erweitert und die Rente nicht höher bemeſſen werden
konnte, auch daß die Herabſetzung der Altersgrenze für die
Altersrenten nicht vorgeſehen iſt. Die freiwilligen Inſti=
tute
für Altersverſicherung entſprechen den Wünſchen gro=

ßer Mittelſtandsorganiſationen. Abg. Burckhardt
(Wirtſch. Vgg.): Durch die Vorlage werden die Apotheker
zu ſehr benachteiligt; die entſprechenden Beſtimmungen
der Vorlage müſſen geändert werden.
Der Entwurf wird darauf an eine Kommiſſion von 28
Mitgliedern überwieſen.
Es folgt die Fortſetzung der erſten Beratung einer
Fernſprechgebührenordnung.
Abg. Nacken (Ztr.): Die im Vorjahre erhobenen
Beſchwerden ſind in dieſer Vorlage nicht berückſichtigt
worden. Die vorgeſehene Beſeitigung der Pauſchge=
bühren
iſt geradezu eine Beläſtigung des Publikums.
Die Koſten ſollen Handel und Induſtrie tragen, diet
34 Prozent der Teilnehmer bilden; ſie ſchädigt aber
geradezu den Verkehr. Die Einnahmen könnten wohl
geſteigert werden durch Staffelung der Nebenanſchlüſſe
im Privatbetriebe. In dieſem Sinne werden wir in
der Budgetkommiſſion, an die wir die Vorlage zu ver=
weiſen
bitten, wirken. (Beifall im Zentrum.) Abg.
Graf Weſtarp (freikonſ.): Der Widerſpruch gegen
die Vorlage in den Intereſſentenkreiſen iſt begreiflich.
Eine geſtaffelte Pauſchgebühr wird wohl auf techniſche
Schwierigkeiten ſtoßen, aber dieſe ſind vielleicht nicht
unüberwindlich. Der Vorwurf, daß die Vorlage Han=
del
und Induſtrie zu Gunſten des platten Landes be=
nachteilige
, iſt ganz ungerechtfertigt. Dagegen hat das
Land weniger Vorteile vom Telephon als die Stadt.
Das Land würde nur dann Vorteile durch die Vorlage
haben, wenn die kleinen Telephonnetze ausgebaut wür=
den
. Im übrigen werden wir in der Kommiſſion
unſere Vorſchläge machen. Abg. Kaempf (Fortſchr.
Vpt.): Bedauerlich iſt es, daß die frühere Vorlage trotz
der erhobenen Widerſprüche unverändert wieder einge=
bracht
worden iſt. Der Widerſpruch richtet ſich gegen=
die
Reglementierung und Bureaukratiſierung des Ver=
kehrs
, die dieſem eine Menge Unannehmlichkeiten und
Widerwärtigkeiten bringen werden, und nicht gegen
eine Erhöhung der Abgaben, die zu ertragen wäre,
wendet er ſich, und zwar mit vollem Rechte. (Beifall
links.) Die Panſchgebühr hat die Verwaltung früher
ſelbſt als das beſte anerkannt. Das Wort von Leiſtung
und Gegenleiſtung gilt in dieſem Verkehr nicht. Die
Poſt hat nur die Verpflichtung zu erfüllen, die ſie
übernommen hat. Unſere Gebühren ſind ſchon jetzt
gegenüber dem flachen Lande reichlich hoch. Wir gönnen
dem flachen Lande jeden Vorteil, aber das darf nicht
geſchehen auf Koſten von Handel und Verkehr.
Staatsſekretär Krätke: Die Angriffe gegen den
Entwurf ſind erfreulicherweiſe nicht in dem übertrie=
benen
Tone gehalten, der heute an der Tagesordnung
iſt. Wir ſind alle einig in dem Wunſche, bei der Er=
höhung
der Einnahmen die Laſten auf die Teilnehmer
richtig zu verteilen. Doch kann man die Einnahmen
nicht vermehren, ohne jemand wehe zu tun. Auch ohne
Verſtimmung geht es nicht ab. Wir haben jetzt ſchon
neben dem Pauſchſyſtem das Einzelgeſprächs=Prinzip,
und es hat ſich herausgeſtellt, daß die Mehrheit des
Publikums dem Einzelgeſprächs=Syſtem viel günſtiger
gegenüber ſteht. Eine Staffelung des Pauſchſyſtems
würde nur die Ausgaben vermehren. Ich muß die
Frage in Betracht ziehen, wie weit ſich unſere Anlagen
rentieren. Bei jedem Syſtem iſt ſchließlich die Gefahr
vorhanden, daß uns die Einnahmen geringer werden.
Bei der Beratung in der Kommiſſion werden manche
falſchen Urteile verſchwinden, unerfüllbare Wünſche
fallen und manche Vorteile im Entwurf erkannt wer=
den
. In der Feſthaltung der Einnahmen werden eben
manche Beſchränkungen beſtehen bleiben müſſen.
Abg. Beck=Heidelberg (natl.): Schon früher be=
ſtand
die Befürchtung, daß das platte Land bei dieſer
Vorlage ſchlechter wegkommt. Die Abgrenzung der
Zonen iſt nicht richtig getroffen, um dem Lande
den Gebrauch des Telephons zu ermöglichen.
Wir wollen keine Liebesgabe für das platte Land, ſon=
dern
eine erleichterte Benutzung dieſer Verkehrsein=
richtung
. Anerkanntermaßen bietet das deutſche Tele=
phonweſen
manche Vorteile gegenüber dem anderer
Staaten und wir freuen uns dieſes ehrenden Zeugniſſes
für das deutſche Vaterland. Abg. Südekum (Soz.):
Gewiß ſoll das platte Land nicht benachteiligt werden.
Die Vorlage beweiſt, daß die Verwaltung im Sinne
des Reichstages nichts ſchaffen kann und daß dieſer die
Sache ſelbſt in die Hand nehmen muß. Abg. Linz
(Reichspt.): Es iſt bedauerlich, daß die Vorlage unab=
geändert
wieder eingebracht worden iſt. Die größeren
Geſchäftsbetriebe waren bisher den kleineren gegen=
über
ungebührlich bevorzugt, aber auch die Beſeitigung
der Pauſchalgebühren und eines gemiſchten Syſtems
muß als eine Verteuerung erſcheinen. Brauchbar iſt
nur die vorgeſchlagene Staffelung der Pauſchgebühren.
Abg. Herzog (Wirtſch. Vgg.): Dem Grundge=
anken
der Vorlage ſtimmen wir zu.
Hierauf wird die Vorlage an die Budgetkommiſſion
verwieſen. Nächſte Sitzung Freitag 1 Uhr: Geſetz betr.
die Schaffung eines Reichsſchuldbuches, Haftung des
Reiches für ſeine Beamten, Rechnungsſachen. Schluß
6¾ Uhr.
* Berlin, 20. April. Die Wahlprüfungs=
kommiſſion
des Reichstages erklärte die Wahl des
Abgeordneten Sievers (natlb., 16. Hannoverſcher)
für ungültig.

Das Kaiſerpaar in Homburg.
* Homburg, 19. April. Heute vormittag nahm
das Kaiſerpaar, begleitet von Prinz Oskar, die
Schloßkirche und die Fürſtengruft in Augenſchein und
ſchloſſen daran einen Spaziergang durch den Kuxpark.
Nachmittags um halb 5 Uhr fuhren das Kaiſerpaar, der
Prinz und die Prinzeſſin nebſt Gefolge in Automobilen
nach Sandplacken und gingen von hier über die Jagd=
hütte
, wo der Tee eingenommen wurde, bis zur Kano=
nenſtraße
, von wo die Rückfahrt erfolgte. Heute
abend kehrte Prinz Oskar nach Berlin zurück.
* Homburg, 20. April. Der Kaiſer hörte heute
vormittag den Vortrag des Staatsſekretärs des Reichs=
marineamtes
, des Chefs des Admiralſtabes der Marine
und des Chefs des Marinekabinetts. Zur Frühſtückstafel
bei Ihren Majeſtäten ſind geladen die Admirale von Tir=
pitz
, von Fiſchel und von Müller und die Fürſtin=Mutter
von Erbach=Schönberg. Die Kaiſerin beſuchte heute vor=
mittag
in Begleitung der Hofſtaatsdame Frl. v. Gersdorff.
und des Kabinettsrates von Behr=Pinnow das Viktoria=
Penſionat in Dornholzhauſen.

Luftſchiffahrt.
Mannheim, 20. April. Die, wie bereits geſtern
meldet, begonnene Füllung des in der Lanzſchen
ftſchiffhalle erbauten lenkbaren Luftſchiffs des
rof. Schütte von der Dresdener Techniſchen Hoch=
hule
und die Beiziehung einer Abteilung Mannheimer
renadiere (30 Mann, 1 Vizefeldwebel und 2 Unteroffi=

[ ][  ][ ]

Seite 6.

Därmſtädter Tagblatt, Donnerstag, den 21. April 1910.

Nummer 92.

ziere) rief hier die Meinung hervor, daß das Luftſchiff
unmittelbar vor ſeinem erſten Probeaufſtieg ſtehe. Von
ſachverſtändiger Seite wird uns jedoch mitgeteilt, daß der
erſte Probeaufſtieg bei planmäßigem Fortſchreiten
der Arbeiten vor Ende Mai oder Anfang Inni
kaum zu erwarten ſei, da das Anbringen der Innen= und
Außenhülle nach Füllung der Ballonetts bei den rieſigen
Dimenſionen des Luftſchiffs noch eine ſehr erhebliche Zeit
erforderlich machen wird. Das Luftſchiff hat den Typ des
Zeppelinſchen, nur wird bei dem Schütteſchen Luftſchiff
anſtatt Aluminium Holz und Stahl verwandt und das=
ſelbe
etwas größer gebaut.
* Nizza. 19. April. Als der deutſche Aviati=
ker
Grade heute nach einem Flug zu landen ver=
ſuchte
, verfehlte er die Landungsſtelle und ſtürzte in die
Var. Er ſelbſt erlitt keinen Schaden, ſein Flugapparat
dagegen wurde ſtark beſchädigt.

Zum Ballonunglück bei Reichenſachſen.
* Reichenſachſen, 19. April. Der vermißte
Ventilring des Ballons Delitzſch den Sach=
verſtändige
als wertvolles Stück zur Ermittelung der
eigentlichen Urſache des Unglücks anſehen, wurde
etwa 500 Meter weſtlich von der Unfallſtelle aufgefunden.
Bei Feldarbeiten fand ihn geſtern loſe im Sande ein=
gebohrt
ein Einwohner. Der Ring weiſt zwei ſtarke
Bruchſtellen auf, iſt aber nicht völlig gebrochen. Am
Ring befanden ſich kleine Teile der zerriſſenen Hülle und
Teile der Stahltroſſen. Der Ring, der zwanzig Pfund
wiegt, wurde heute nachmittag nach Bitterfeld geſandt.
Wenige Meter von der Stelle entfernt, wo der Ventil=
ring
gefunden wurde, lag auf dem Acker der Ueberzieher
des Verunglückten Leuchſenring. 150 Meter von
der Unfallſtelle wurde auch noch ein Sandſack gefunden,
der ſich beim Fallen entleerte. Einen Beweis von der
Heftigkeit des Aufſchlagens der verunglückten Luftſchiffer
auf den Boden liefert die Tatſache, daß von den in der
Taſche Leuchſenrings gefundenen Schlüſſeln einer mitten
durchbrochen iſt; auch ein im Portemonnaie befindliches
Zweimarkſtück war verbogen.
Letzte Nachrichten.
(Wolffs telegr. Korreſp.=Bureau.)
* Berlin, 20. April. Die Norddeutſche Allgemeine
Zig. ſchreibt: Eine in den Annales des Douanes
vom 15. Februar 1910 veröffentlichte Entſchließung des
Finanzminiſters vom 3. Februar beſtimmt, das vom 1.
Mai ab Methyl=Alkohol in Frankreich nur dann
zum Minimaltarif zugelaſſen wird, wenn bei der Ein=
fuhr
durch ein Urſprungszeugnis nachgewieſen wird,
daß das Erzeugnis tatſächlich in einem Lande hergeſtellt
worden iſt, das den franzöſiſchen Minimaltarif ge=

nießt.
** Frankfurt
delskammer

a. M., 20. April. Die hieſige Han=
richtete
an die 15. Kommiſſion des
Reichstages zur Vorberatung des Entwurfes eines

Zuwachsſteuergeſetzes folgendes Telegramm:
Gegen die überſtürzte Behandlung des
Geſetzentwurfes über die Zuwachsſteuer legen wir auf
Grund hier gemachter Erfahrungen entſchieden Ver=
wahrung
ein, da das Geſetz in der vorliegenden
Faſſung das Grundſtücksgewerbe und alle damit zu=
ſammenhängenden
Geſchäftszweige in der allerſchwer=
ſten
Weiſe ſchädigen würde. Schriftliche Reſolution
folgt. Die Handelskammer zu Frankfurt am Main.
* Paris, 20. April. Der Agence Havas iſt über
den neuen Zwiſchenfall in Tripolis bisher
noch keine Nachricht aus franzöſiſcher Quelle zus
gegaugen. Dem Zwiſchenfall wird hier übrigens keine
ernſtere Bedeutung beigemeſſen.
* Kopenhagen, 20. April. Das Königspaar,
die Prinzeſſinnen Thyra und Dagmar, ſowie Prinz
Guſtav ſind heute vormittag über Jedſer und Ber=
lin
nach der Riviera abgereiſt.
* Moskan, 20. April. Vor dem Appellhof begann
unter dem Ausſchluß der Oeffentlichkeit die Verhand=
lung
des Prozeſſes gegen eine Gruppe der Mos=
kauer
Organiſation der Sozial=Revolutionäre. 27 An=
geklagte
ſtehen vor Gericht, unter ihnen der engliſche
Untertan Watſan.
* Ottawa, 20. April. Das Haus der Gemeinen
nahm einen Antrag an, der die Regierung ermächtigt, im
Notfalle alle Docks und Werften den britiſchen Behörden
zu überlaſſen. Nach der Flottenbill hat der König oder
der Generalgouverneur als ſein Stellvertreter das Ober=
kommando
über die kanadiſche Flotte.
* Konſtantinopel, 20. April. Wie der türkiſche
Flottenverein bekannt gibt, iſt der Vertrag mit
der Schichau=Werft, betreffend den Ankauf von
vier Torpedobootszerſtörern, unterzeichnet
worden.
* New=York, 20. April. Geſtern begann der Pro=
zeß
gegen den 18 Jahre alten Deutſchen Albert Wol=
ter
, der beſchuldigt iſt, die 15jährige Ruth Wheeler

erdroſſelt und im Kamin ſeines Zimmers verbrannt
zu haben.
Berlin, 20. April. Die B. 2 meldet aus
Kuxhaven: Seit letzter Nacht herrſcht in der Nord=
ſee
und an der Elbemündung ein ſchwerer Nord=
weſtſturm
. Der holländiſche Dampfer Nord=
holland
traf mit ſtarken Beſchädigungen ein. Das=
ſelbe
Blatt meldet aus Paris: In der Nähe der
Ortſchaft Peſſens (Südfrankreich) iſt die 17jährige Toch=
ter
einer Schuldirektorin ermordet und beraubt
anfgefunden worden. Der Mörder iſt vermutlich ein
Grubenarbeiter, der das junge Mädchen auf dem Heim=
wege
vom Bahnhofe überfiel. Der Lokalanzeiger
meldet aus Berlin: Heute vormittag wurde im Rix=
dorſer
Schiffahrtskanal eine männliche Kindes=
leiche
aufgefunden; ſie befand ſich in einer Holzkiſte
in ein Frauenhemd eingewickelt. Das Kind wurde
vermutlich mit einem ſtumpfen Inſtrument erſchlagen.

Bestbewährte
gesunde
und
magen
darmkranke

Nahrung für:
sowie
schwächliche,
in der Entwicklung
zurückgebliebene
Kinder.

Citrovin=Eſſig, arzilich dringend
empfohlen beſonders bei Magenleiden
zeglicher Art, iſt der beſte Erſatz für
Eſſig bei der Bereitung von allen
Salaten, Saucen und Speiſen. (3649m

Verkaufs-
stellen
durch
dieses Plakat
kenntlich.

Fabrik ant:
August Jacobi
Darmstadt.

2083M

Familiennachrichten.

Todes-Anzeige.
Heute Morgen verſchied ſanft nach kurzem,
ſchwerem Leiden im vollendeten 51. Lebens=
jahre
meine liebe, gute Frau, unſere herzens=
gute
, treubeſorgte Mutter, Schwiegermutter,
Schweſter, Schwägerin und Tante (8692
Charlotte Hahn
geb. Guntrum
was wir Verwandten, Freunden und Be=
kannten
ſchmerzerfüllt mitteilen.
Im Namen der trauernden Hinterbliebenen:
Jean Hahn und Familie,
Erbacherſtraße 7¼.
Darmſtadt, den 20. April 1910.
Die Beerdigung findet Freitag, nachmittags
2½ Uhr, vom Portale des Friedhofes aus, ſtatt.

Die Beſtattung meines Vaters
Erhst Wrenzien
findet heute Donnerstag, den 21. April, nach=
mittags
2½ Uhr, von der Friedhofskapelle
aus, ſtatt.
(*10025
Für die Hinterbliebenen:
Günther Krenzien.
Darmſtadt, den 20. April 1910.

Bankſagung.
Für die vielen Beweiſe herzlicher Teilnahme
bei dem ſo unerwarteten Hinſcheiden und uns
ſo ſchwer getroffenen Verluſt meiner lieben Frau,
unſerer u. lieben unvergeßlichen Mutter, Schwieger=
mutter
, Großmutter, Schwägerin und Tante
Frau Marie Nungesser
geb. Wissmel
ſprechen wir hiermit allen Verwandten, Freunden
und Bekannten, ſowie geehrter Nachbarſchaft
unſeren innigſten Dank aus. Beſonders danken
wir der Schweſter Sophie für ihre liebevolle
Pflege, Herrn Pfarrer Widmann für ſeine troſt=
reichen
Worte am Grabe, den Stammtiſchgeſell=
ſchaften
und Gäſten der Reſtauration Wilhelm
Nagel für ihre herzliche Teilnahme und Kranz=
ſpenden
, der Firma Beck u. Roſenbaum, ſowie
der Muſikabteilung für ihre erhebende Grabmuſik.
Ferner danken wir noch Allen für die überaus
zahlreichen Kranz= und Blumenſpenden.
Im Namen der trauernden Hinterbliebenen:
Karl Nungeſſer,
Anna Hahn Wwe.,
Wilhelm Nagel,
Wilhelm Nungeſſer.
Darmſtadt und Hochemmerich bei Duisburg,
den 20. April 1910.
(8695

Tageskalender.
Großh. Hoftheater, Anfang 7 Uhr: Julius Cäſar.
Vorſtellung um 8 Uhr im Orpheum.
Bekenntnis=Verſammlung von bibelgläubigen
Chriſten um 8¼ Uhr im Saalbau.
Muſeumsführung um 3 Uhr (Naturwiſſenſchaftliche
Abteilung).
Konzert um 8 Uhr im Bürgerkeller.
1. Darmſtädter Kinematograph (Ecke Rhein= und
Grafenſtraße): Vorſtellungen von 311 Uhr.
Olympia=Kinematograph Ernſt=Ludwigſtr. 23.
Verſteigerungskalender.
Freitag, 22. April.
Gold= und Silberſachen= ꝛc. Verſteigerung um
9 und 2 Uhr im ſtädtiſchen Pfandhaus.
Mobiliar= ꝛc. Verſteigerung um 9 und 3 Uhr
Heinrichſtraße 46.
Stroh=Verſteigerung um 2½ Uhr am Bahnhof zu
Pfungſtadt.
Druck und Verlag: L. C. Wittich’ſche Hofbuchdruckerei=
Verantwortlich für den politiſchen Teil, für Feuilleton,
Reich und Ausland: Dr. Otto Waldacßel; für den übrigen
redaktionellen Teil und Letzte Nachrichten: Max Streeſe;
für den Inſeratenteil: J. Kroſt, ſämtlich in Darmſtadt.
Für den redaktionellen Teil beſtimmte Mitteilungen find
an die Redaktion des Tagblatts zu adreſſieren. Etwaige
Honorarforderungen ſind beizufügen; nachträgliche werden
nicht berückſichtigt. Unverlangte Manuſkripte werden nichs
zurückgeſandt.

Kurſe vom 20. April 1910.
Mitgeteilt von Hermann Reichenbach.

Bf. Staatspapiere. In Proz.
4 Dſche. Reichsſchatzanw. 100,50
3½ Deutſche Reichsanl. . 83,30
84,90
do.
4 Preuß. Schatzanweiſg. 100,90
93,40
3½ do. Conſols
84,70
3 do. do.
4 Bad. Staatsanleihe . . 102,00
do.
94,00
3½
do.
3
4 Bayr. Eiſenbahnanl. 101,90
do.
93,10
3½
do.
83,70
4 Hamburger Staatsanl. 101,80
4 Heſſ. Staatsanleihe . . 101,50
do.
92,40
3
do.
3.
81,20
3. Sächſiſche Rente . . . 84,10
Württemberger v. 1907 102,00
do.
93,60
3½
5 Bulgaren=Tabak=Anl. 101,50
1¾ Griechen v. 1887 . . 49,10
3¾/ Italiener Rente . . . 105,40
4½ Oeſterr. Silberrente 98,50
4 do. Goldrente . 100,20
4 do. einheitl. Rente 94,60
3 Portug. unif. Serie I 65,70
3 do. unif. Ser. III 66,75
3 do.. Spezial. 13,00
5 Rumänier v. 1903 .
94,70
4 do. v. 1890
4 do. v. 1905. . 91,40
4 Ruſſen v. 1880 . . .

91,20

In Proz.
4 Ruſſen v. 1902 . . . . 91,20
100,50
4½ do. v. 1905
3½ Schweden . .
92,75
4 Serbier amort. v. 1895 86,10
4 Türk. Admin. v. 1903 88,70
4 do. unifiz. v. 1903 95,00
4 Ungar. Goldrente . . 95,50
4 do. Staatsrente . 92,80
5 Argentinier . . . . . . 101,00
do,
4½ Chile Gold=Anleihe . 94,00
5 Chineſ. Staatsanleihe 103,00
do.
4½
98,40
4½ Japaner . .
5 Innere Mexikaner . . 101,30
69,80
do.
4 Gold=Mexikan. v. 1904 96,40
5 Gold=Mexikaner . . . 102,75
Aktien inländiſcher
Transportanſtalten.
4 Hamb.=Amerika= Paket=
fahrt
.
. . . .141,20
4 Nordd. Lloyd . . . 104,00
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. 82,50
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92,90
3½
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do.
98,30
do. alte .
5 Oeſterr. Südbahn . . 102,60
do.
84,50
do.
26
58,30
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5f.
76,20
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5 Anatoliſche Eiſenb. .
5 Tehuantepec
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Deutſche Vereinsbank 127,40
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Dresdner Bank.
4 Mitteldeut. Kreditbk. 119,30
4 Nationalbk. f. Deutſchl. 123,50
Pfälzer Bank .
Reichsbank .
Rhein. Kredit=Bank 139,00
4 Wiener Bank=Verein 137,00
Pfandbriefe.
4 Frankft. Hypoth.=Bank
S. 16 und 17 100,50
do. S. 19. . . . . 92,50
4 Frkf. Hyp.=Kreditverein
S. 1519, 2126 99,60
4 Hamb.=Hypoth.=Bank 100,50
do,
91,00
3½
4 Heſſ. Land.=Hyp.=Bk. 101,60
92,50
do.
3½
4 Meining. Hyp.=Bank 101,00
91,00
do.
4 Rhein. Hypoth.=Bank
(unk. 1917) 100,40
do. (unk. 1914) 91,60
4 Südd. Bd.=Kr.=Bk.=Pf. 100,30
do,
93,30
3½

158,40
101,30
145,30

In Proz
Zf.
Städte=
Obligationen
.100,70
4 Darmſtadt
92,30
3½ do.
. 102,00
4 Frankfurt
95,50
do.
Gießen
do.
100,10
Heidelberg
3½ do.
91,70
4 Karlsruhe
.100,50
3½ do.
91,30
4 Magdeburg.
3½ do.
4 Mainz
3½ do.
91,70
4 Mannheim
3½ do.
92,00
München .
. 101,40
3½ Nauheim
92,00
4 Nürnberg.
.101,50
3½ do.
4 Offenbach
3½ do.
92,20
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102,20
do.
1 Worms.
3½ do.
91,80
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Verzinsliche
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3½ Cöln=Mindner 100 137,60
5 Donau=Reg. fl. 100
3 Holl, Komm. 100 104,50

Zf.
In Proz
3 Madrider Fs. 100.
4 Meining. Pr.= Pfand=
briefe
.
. 136,00
4 Oeſterr. 1860er Loſe 174,20
3 Oldenburger
2½ Raab=Grazer fl. 150

Unverzinsliche
Anlehensloſe.

Augsburger
Braunſchweiger
Freiburger
Mailänder
do.
Meininger

ft.
Tlr.
Fs.
Fs.
Fs.

7
20 215,30
15 59,50
45
10

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do. v. 1858 100 464,80
Ungar. Staats 100 391,00
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81,15
Holländiſche Noten .
.169,05
Italieniſche Noten .
80,75
Oeſterr.=Ungariſche Noten 85,10
Ruſſiſche Noten . . . . . .
Schweizer Noten . . . . . 81,05
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Reichsbank=Lombard Zsf. 5%

[ ][  ][ ]

Nummer 92.

Darmſtädter Tagblatt, Donnerstag, den 21. April 1910.

Seite 7.

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Seite 8.

Darmſtädter Tagblatt, Donnerstag, den 21, April 1910.

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Die Dame mit dem Orden.
Von Little.

3)

Ueberſetzt aus dem Engliſchen.
(Nachdruck verboten.)

Hieiſan, den 28. Auguſt 1901.
Märchenland! Das echte, wahre Märchenland, von
dem wir uns erzählten oben auf dem alten Kirſchbaum
bei Großmuttern! So iſt’s hier, Kameradin. Nur noch
viel, viel märchenhafter, als wir je träumten! Ich bin
durch kleine Dörfer gekommen, die ausſahen, als ob ſie
eben aus dem Bilderbuch gefallen wären. Die Straßen
voll von luſtigen kleinen Leuten, die lächelnd und ſich ver=
beugend
umherlaufen und einander hübſche Dinge erzäh=
len
. Es iſt ein Land, wo jedermann vergnügt zu ſein
ſcheint und wo die Höflichkeit das erſte Gebot iſt.
Geſtern reiſten wir in Iinrikſhas auf die Berge. Der
Weg war eng, aber eben, und mehr als drei Stunden lang
marſchierten die Männer aufwärts, ohne anzuhalten oder
ihre Gangart zu ändern, bis wir um die Mittagszeit
raſteten. Ein japaniſches Haus iſt nicht viel mehr als ein
Dach und eine Menge Bambuspfähle, aber alles iſt wun=
dervoll
ſauber. Noch ehe wir abgeſtiegen waren, liefen
Männer und Weiber aus ihren Häuſern, verbeugten ſich
und riefen: Ohayo, ohayo! das heißt: Guten Morgen!
Sie liefen und holten Kiſſen herbei, und wir waren froh,
uns auf niedrigen Bänken bequem ausſtrecken zu können.
Dann brachten ſie uns köſtlichen Tee, ſtanden herum und

enie ne e e ge e e e e
große Seltenheit iſt; jedenfalls war ihnen das meine ſo
intereſſant, daß ſie mir Zeichen machten, ich möchte meinen
Hut abnehmen, und dann ſtanden ſie eifrig lachend und
ſchwatzend um uns herum. Miß Leſſing meinte, ſie
wünſchten, ich ſolle mein Haar aufmachen, aber wagten
nicht, die Bitte auszuſprechen wegen der ſchönen Friſur.
Blonde Fluten! Ich wünſchte, Du hätteſt es ſehen kön=
nen
! Doch Du haſt es ja geſehen nach mancher tollen
Tennispartie!
Nachdem wir eine Stunde lang geruht, Tee getrunken,
uns verbeugt und gelächelt hatten, machten wir uns wieder
auf den Weg, diesmal in einer Art Tragſtuhl aus Bambus,
der von zwei Männern an einer langen Stange auf den
Schultern getragen wurde. Ich habe doch wahrhaftig
ſchon manchen Berg erſtiegen, aber dieſer Ausflug übertraf
alles, was ich je erlebt. Man kam ſich vor wie eine Fliege
auf der Glatze eines Mannes. So ſtiegen wir aufwärts,
höher und immer höher, manchmal durch dichte Wälder,
wo die Nacht wohnte, und wieder über Strecken in blen=
dendem
Sonnenlicht.
Gerade als ich anfing, mich zu wundern, wo wohl
unſer Gepäck geblieben ſei, kamen wir an vier lachenden,
ſingenden Frauen vorbei. Zwei von ihnen trugen Schiffs=
kiſten
auf ihren Köpfen und die andern rieſige Kori. Das
ſchien ihnen aber abſolut nichts auszumachen; ſie verbeug=
ten
ſich und lächelten, bis wir außer Sicht waren. Ein
zweiſtündiger Aufſtieg brachte uns dann endlich in dieſes
Lagerdorf hier, Hieiſan genannt. Es ſind gegen vierzig

Amerikaner hier, die während des Sommers im Freien
kampieren, und ich bin der Gaſt eines Doktor Waring und
ſeiner Gemahlin aus Alabama. Mein Zelt ſteht hoch oben
über dem Dorf auf einem großen, überhängenden Felſen,
und vor mir habe ich eine Ausſicht, die eine paſſende Ein=
faſſung
des Paradieſes abgeben würde. Dieſer Berg iſt
dem Buddha heilig und darum mit vielen Tempeln und
Altären beſtanden, von denen manche uralt ſind. Einmal
habe ich alle meine Energie zuſammengenommen und bin
gegen drei Uhr früh aufgeſtanden, um die Affen zum
Frühſtück kommen zu ſehen. Die Berge ſind voll von
ihnen, aber man kann ſie nur zu dieſer beſtimmten Stunde
ſehen. Es gibt einige ſehr nette Leute hier und ich habe
manche Bekanntſchaft gemacht. Ich bin ihnen eine Art
Rätſel, und die liebe Neugier iſt eifrig, zu erfahren, warum
ich nach Japan gekommen bin. Mrs. Waring putzt mich
und ſtellt mich aus wie eine neue Puppe und die Frauen
beraten mit mir den Aufputz ihrer alten Kleider.
Ich begreife nicht, warum ich nicht ganz und gar elend
bin. Der Grund iſt wohl der, daß es mir zu gut geht.
Es iſt nett, gehätſchelt und wie ein Kind behandelt zu
werden, und angenehm, unter einfachen, herzlichen Leuten
zu ſein, die im Freien leben und geſund ſind an Leib und
Seele.
Ich ſehne mich danach, alles zu vergeſſen, was ich in
den letzten ſieben Jahren von der Welt gelernt habe.
Könnte ich das Leben noch einmal beginnen als junges
Mädchen mit ein paar Illuſionen, wären es auch nur ge=,
borgte! Ich weiß zu viel für meine Jahre und habe mit

[ ][  ][ ]

Darmſtädter Tagblatt, Donnerstag, den 21. April 1910

Nummer 92.

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ſch dongehninten, n benefen. Die Pieſe vor zu Harfe=
waren
himmliſch, ich habe ſie zerleſen, den Reſt will ich
morgen beantworten.
Hiroſhima, den 2. September 1901.
Endlich, nach all meinen Wanderungen habe ich mich
für den Winter niedergelaſſen. Die Schule iſt ein großes
Gebäude, offen und luftig; ich habe ein nettes Zimmer
nach Oſten zu, wo ich Euch Lieben im Geiſte ſuche. Auf
zwei Seiten türmen ſich die Berge und zwiſchen ihnen liegt
das märchenhaft ſchöne Binnenmeer. Hiroſhima iſt eine
bedeutende Marine= und Militärſtation, und während ich
ſchreibe, tönen die Hörnerrufe vom Exerzierplatz zu mir
herüber.
Ich habe eine hübſche, kleine Dienerin bekommen
und wünſchte, Du könnteſt uns zuſammen plaudern
ſehen. Sie tritt ein, verbeugt ſich, bis ihr Kopf den
Boden berührt, und ſpricht die Hoffnung aus, daß
meine geehrten Augen, Ohren und Zähne ſich wohl
befinden. Ich antworte ihr auf gut Engliſch, daß ich
zum Zanken aufgelegt ſei, und dann lachen wir zu=
ſammen
. Sie iſt von all meinen Sachen entzückt, be=
rührt
ſie manchmal zärtlich und ſagt: Ich darf dies alles
hüten. Es ſind zwiſchen vier= bis fünfhundert Mädchen
in der Schule, und bis ich mit der Sprache vertraut
bin, ſoll ich mit den älteren Mädchen, die etwas Engliſch
verſtehen, arbeiten. Du würdeſt lächeln, wenn Du ihre
Neugierde in allem, was mich anlangt, ſäheſt. Sie fin=
den
meine Taille ſehr komiſch, meſſen ſie mit ihren
Händen und lachen ſich halb tot. Eines der Mädchen
fragte mich ganz ernſthaft, warum ich mir denn hätte
Stücke aus den Seiten ſchneiden laſſen, und eine andere
wollte wiſſen, ob mein Haar früher ſchwarz geweſen ſei.
Du ſiehſt, in dieſer ganzen großen Stadt bin ich die
einzige Perſon mit goldenen Locken, und eine grüne
Nelke könnte nicht mehr Gloſſen hervorrufen.
Geſtern gingen wir aus, um Vorhänge für mein
Zimmer einzukaufen. Es folgte uns ſolch eine Men=
ſchenmenge
, daß wir kaum unſern Weg finden konnten.

Als wir in den Laden traten, ſetzten wir uns auf die
Erde, und ein kleiner Knabe fächelte uns Kühlung zu,
während wir auswählten. Letzten Montag bat mich
Miß Leſſing, einen Turnkurſus zu beginnen, und zwar
mit größeren Mädchen, die zu Kleinkinderlehrerinnen
ausgebildet werden. Den Anfang machte ich mit einer
Lektion im Seilſpringen. Dies iſt eine unbekannte
Kunſt in Japan, ein Mangel, der die Kindergarten=
arbeit
recht erſchwert. Ich nahm alſo vierzehn Mäd=
chen
mit mir ins Vorhaus und bedeutete ihnen durch
Gebärden, mir alles nachzumachen. Dann ſteckte ich
meine Röcke hoch, und eine Negermelodie pfeifend
hüpfte ich los. Nichts, was Du je geſehen, kommt der
Verblüffung gleich, die ſich auf den Geſichtern malte!
Auf Knie und Händen ließen ſie ſich nieder, um meine
Füße beſſer beobachten zu können. Aber ſchon hatte
ich gewonnenes Spiel, und trotz der engen Kimonos
und Sandalen machten ſie tapfere Verſuche, mir zu
folgen. Der erſte Verſuch mißglückte gründlich, einige
fielen auf die Geſichter, einige auf die Knie, alle ſtol=
perten
. Ich wagte nicht zu lachen, denn die Japaner
können nichts ſchwerer vertragen als Spott. Ich half,
förderte und ermunterte ſie, bis der Sieg gewonnen
war. Am nächſten Tage war ſchon ein kleiner Fort=
ſchritt
zu verzeichnen, und am dritten Tage hatten ſie
es alle intus. Ich hörte, daß ſie den ganzen Nachmittag
mit Ueben zugebracht hätten. Was meinſt Du wohl,
iſt das Reſultat? Eine Seilſpringepidemie iſt über
Hiroſhima hereingebrochen, Männer, Frauen und
Kinder ſind ergriffen, und wenn wir ſpazieren gehen,
bekomme ich faſt Lächkrämpfe, wenn ich die ältlichen
Paare ernſthaft ſich bemühen ſehe, den Sprungſchritt
zu erfaſſen.
Dieſer Erfolg hat mich ſo ermutigt, daß ich die
Mädchen alle möglichen Schritte und Reigen lehrte, ich
ging ſogar ſo weit, ihnen die Quadrille beizubringen.
Aber mein Ehrgeiz führte mich ein wenig zu weit.
Eines Tages kam ich mit einem nagelneuen, ſelbſter=

fundenen Schritt in die Stunde, er war ziemlich ver=
rückt
, aber eine famoſe Uebung. Gut! Ich ſtelle mich
an die Spitze, und nachdem die Mädchen mir zweimal
um den Platz gefolgt ſind, bemerke ich, daß ſie faſt berſten
vor Lachen. Als ich frage, was denn los ſei, erklärten
ſie platzend, daß gerade dieſer Schritt die Hauptbe=
wegung
in einem heidniſchen Tanze ſei, der während
der Götzenfeſte dem Gott der Schönheit getanzt würde!
Alle Heiligen! Der Schlag würde die Brüder rühren,
wenn ſie das wüßten!
Jeden Nachmittag führe ich gegen vierzig ſpazieren.
Unſer Lieblingsbummel iſt am Graben entlang, der
das alte Kaſtell umgibt. Er iſt faſt immer über und
über mit Lotosblumen bedeckt. Die Mädchen geben
ein hübſches Bild, wie ſie ſo ehrbarlich dahintrotten
in ihren bunten Kimonos und kleinen, klapernden
Sandalen. Wir kommen dann an dem Exerzierplatze
vorbei und an den Kaſernen, wo 20000 Soldaten in
Quartier liegen. Ich wünſchte, Du könnteſt ſie ſehen,
wie ſie ſittſam zu ſein verſuchen und doch aus den
Winkeln ihrer kleinen Mandelaugen hinüberlugen auf
eine Weiſe, wie es alle Mädchen der Welt fertig
bringen.
Die Art, wie ſie mir alles nachtun, benimmt mir
faſt meine Unbefangenheit. Die Idee, ein leuchtendes
Vorbild zu ſein, iſt mehr, als ich gewettet habe. Es iſt
eins von den wenigen Dingen in meinem bunten Leben,
denen ich bisher entgangen bin. Habe keine Angſt, Ge=
fährtin
, ich könnte in Hiroſhima nicht leichtſinnig ſein,
wenn ich auch wollte. Kobe würde ſich wohl als ver=
hängnisvoll
erwieſen haben; denn dort ſind viel
Fremde, und die Verſuchung, mich gehen zu laſſen,
wäre zu groß für mich geweſen. Hier jedoch entwickle
ich mich rapid zu einer choralſingenden Schweſter, und
die Welt und das Fleiſch und der Teufel ſtecken tief
hinten im Schrank.
(Fortſetzung folgt.)

[ ][  ][ ]

Amtsverkündigungsblatt des Großh. Kreisamts Darmſtädt.

46.
Donnerstag,

Bekanntmachung.
Betreffend: Die Unterhaltung der Kreisſtraßen im Kreiſe Darmſtadt hier die Sperrung
der Kreisſtraße Nieder=Ramſtadt-Ober=Ramſtadt behufs Einwalzens der
Fahrbahn.
Es wird hiermit zur Kenntnis der Intereſſenten gebracht, daß die Kreisſtraße
von Nieder=Ramſtadt bis Ober=Ramſtadt von Freitag, den 22. I. Mts., für Fuhr=
werke
, Automobile, Motorräder und dergleichen auf ca. 14 Tage wegen Einwalzens
der Fahrbahn geſperrt iſt.
Der Verkehr nach Ober=Ramſtadt hat über Roßdorf Bahnhof-Ober=Ramſtadt
zu erfolgen.
Darmſtadt, den 13. April 1910.
(8454im
Großherzogliches Kreisamt Darmſtadt.
Fey.
Bekanntmachung.
Betreffend: Vechütung von Waldbränden.
Mit Rückſicht auf die beſondere Gefahr, welche entſtehende Brände infolge der
herrſchenden Trockenheit für die Waldungen nach ſich ziehen können, ſehen wir uns ver=
anlaßt
, auf Grund des Art. 79 der Kreis= und Provinzialordnung für den Kreis Darm=
ſtadt
die nachſtehende Anordnung zu treffen:
1. Das Rauchen in Waldungen außerhalb der Kreisſtraßen iſt bis auf weiteres
verboten.
2. Zuwiderhandlungen werden mit Geldſtrafen bis zu neunzig Mark beſtraft.
3. Dieſe Verfügung tritt mit dem Tag der Bekanntmachung in Wirkſamkeit.
Gleichzeitig machen wir auf den nachfolgenden Inhalt des Art. 36 des Forſtſtraf=
geſetzes
vom 13. Juli 1904 aufmerkſam.
Darmſtadt, den 15. April 1910.
Großherzogliches Kreisamt Darmſtadt.
J. V.: Dr. Reinhart.
Artikel 36.
Mit Geldſtrafe bis zu ſechzig Mark oder mit Haft bis zu vierzehn Tagen wird
beſtraft:
1. wer mit unverwahrtem Feuer oder Licht einen Wald betritt oder ſich demſelben
in gefahrbringender Weiſe nähert:;
2. wer im Walde brennende oder glimmende Gegenſtände fallen läßt, fortwirft
oder unvorſichtig handhabt;
3. wer in anderen als nach § 368 Nr. 6 des Strafgeſetzbuchs ſtrafbaren Fällen
im Walde oder in gefährlicher Nähe desſelben im Freien ohne Erlaubnis
der Forſtpolizeibehörde Feuer anzündet oder, falls ihm die Erlaubnis erteilt
iſt, das Feuer gehörig zu beaufſichtigen oder auszulöſchen unterläßt, oder den
bei Erteilung der Erlaubnis ihm vorgeſchriebenen Bedingungen zuwiderhandelt;
4. wer Waldflächen oder Grundſtücke, welche an Waldungen angrenzen, ohne
Erlaubnis der Forſtpolizeibehörde abbrennt oder den hierauf bezüglichen An=
ordnungen
der Forſtpolizeibehörde zuwiderhandelt;

21. April.
1910.

5, dbrande der Auft
oder Ortspolizeibeamten zur Hülfeleiſtung nicht nachkommt, obſchon er derſelben
ohne erheblichen eigenen Nachteil Folge zu leiſten vermag.
Betreffend: wie oben.
Darmſtadt, den 15. April 1910.
Das Großherzogliche Kreisamt Darmſtadt
an die Großherzoglichen Bürgermeiſtereien der Landgemeinden des Kreiſes.
Wir empfehlen Ihnen den Inhalt obiger Bekanntmachung ſofort auf ortsüblicht
Weiſe zur allgemeinen Kenntnis zu bringen und das Polizeiperſonal entſprechend an=
zuweiſen
. Zuwiderhandlungen ſind ohne Nachſicht zur Anzeige zu bringen.
J. V.: Dr. Reinhart.
(8631
Bekanntmachung.
Betreffend: Das Radfahren auf öffentlichen Wegen im Kreiſe Darmſtadt.
Da neuerdings wiederholt Klagen über das Radfahren auf Fußſteigen, auf denen
nach nachſtehend abgedruckter Polizeiverordnung das Radfahren verboten iſt, bei uns
vorgebracht wurden, ſehen wir uns veranlaßt, die nachſtehenden Beſtimmungen erneut
in Erinnerung zu bringen.
Darmſtadt, den 15. April 1910.
(8455id
Großherzogliches Kreisamt Darmſtadt.
I. V.: von Werner.
Polizei=Verordnung.
Betreffend: Das Radfahren auf öffentlichen Wegen im Kreiſe Darmſtadt.
Unter Aufhebung der Polizei=Verordnung vom 4. Oktober 1907 wird auf Grund
des § 13 der Verordnung, den Radfahr=Verkehr betreffend, vom 6. Mai 1907 und des
Art. 78 der Kreis= und Provinzial=Ordnung vom 12. Juni 1874 nach Zuſtimmung des
Kreisausſchuſſes und mit Genehmigung des Großh. Miniſteriums des Innern vom
14. Dezember 1908 zu Nr. M. d. J. 21048 hierdurch verordnet, was folgt:
§ 1. Das Radfahren iſt verboten:
I. in der Gemarkung Darmſtadt:
a) auf dem Fußſteige längs der Nieder=Ramſtädterſtraße bis zum
Böllenfalltor,
b) auf dem nördlichen Fußſteige der Eſchollbrückerſtraße zwiſchen Main=
Neckarbahn und Beſſungerweg:
II. in der Gemarkung Eberſtadt auf dem ſüdlichen Fußſteige der Mühltal=
ſtraße
vom Ortsausgang bis zum Felſenkeller.
§ 2. Zuwiderhandlungen gegen vorſtehende Beſtimmung werden nach § 366.
Ziffer 10 des R.= St.=G.= B. mit Geldſtrafe bis zu 60 Mark oder mit Haſt
bis zu 14 Tagen beſtraft.
§ 3. Dieſe Polizeiverordnung tritt am Tage ihrer Verkündigung im Darmſtädter
Taglatt in Kraft.
Darmſtadt, am 17. Dezember 1908.
Großherzogliches Kreisamt Darmſtadt.
J. B.: von Starck=

Amtliche Nachrichten des Großherzoglichen Polizeiamts Darmſtadt.
Polizeilich eingefangene und zugelaufene Hunde.
In polizelicher Verwahrung und Pflege in der Hofreite Schulzengaſſe Nr. 3 be=
*
finden ſich: 2 Pinſcher, 1 Kriegshund.
Die Hunde können von den Eigentümern bei dem 1. Polizei=Revier ausgelöſt
werden. Die Verſteigerung der nicht ausgelöſten Hunde findet dortſelbſt jeden Werk=

tag, vormittags um 10 Uhr, ſtatt.

Bekanntmachung.

Betreffend: Die Frühjahrsmeſſe 1910.

Unter Bezugnahme auf § 366 Ziffer 10 St. G. B., Art. 264 Pbl. St. G. und Art. 56
Abſ. 2 der Städteordnung wird für die Dauer der diesjährigen auf dem ſtädtiſchen Gelände
gegenüber dem Hallenſchwimmbad ſtattfindenden Frühjahrsmeſſe folgendes angeordnet:
1. Es iſt verboten, durch die Reihen der Schau= und Verkaufsbuden zu reiten
oder mit Fuhrwerken irgend welcher Art, namentlich auch mit Fahrrädern zu
fahren.
2. Ueber die an das vorerwähnte Gelände grenzenden Straßen (Lindenhof=, Mühl=
und Landgraf=Georg=Straße) darf nur im Schrit gefahren oder geritten werden.
Darmſtadt, den 16. April 1910.
Großherzogliches Polizeiamt.
Dr. Kranzbühler.
(8479imd


Bekanntmachung,
betreffend die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe in der Haupt= und Reſidenzſtadt
Darmſtadt.
Da aus Anlaß der Meſſe am Sonntag, den 24. April 1910, für die Stadt
ein geſteigerter örtlicher Geſchäftsverkehr zu erwarten iſt, wird hiermit auf Grund des
§ 105 b Abſatz 2 der Reichsgewerbeordnung und des § 37 der Ausführungsanweiſung
für dieſen Tag die Offenhaltung ſämtlicher offenen Verkaufsſtellen einſchließlich der
Verkaufsſtände der Meſſe in der Zeit von 11 Uhr vormittags bis 7 Uhr abends
zugelaſſen.
Während dieſer Stunden iſt die Beſchäftigung von Gehilfen, Lehrlingen und
Arbeitern in allen offenen Verkaufsſtellen geſtattet.
Darmſtadt, den 16. April 1910.
(8564mdf
Großherzogliches Polizeiamt.
Dr. Kranzbühler.
Warnung
vor dem unlauteren Geſchäftsgebahren von Serienlosgeſellſchaften.
Schon wiederholt iſt vor dem unkauteren Geſchäftsgebahren zahlreicher in= und
ausländiſcher, beſonders niederländiſcher und däniſcher Unternehmern, ſog. Serienlos=
Spielgeſellſchaften, gewarnt worden.
Das Weſen dieſer Unternehmern beſteht darin, daß der Unternehmer einen Anteil
an Serienloſen oder die Ausſicht auf den Gewinn aus einer größeren oder kleineren
Anzahl ſolcher Loſe verkauft und die Zahlung des Kaufpreiſes in der Regel in Raten
erfolgen kann
* Der Betrieb ſolcher Geſchäfte iſt ſtrafbar. Denn handelt es ſich um den
Verkauf von Gewinnausſichten, ſo iſt dies als öffentliche Veranſtaltung einer Lotterie
ohne obrigkeitliche Erlaubnis anzuſehen (§ 286 des R.=Str.=Geſ.=B.) und werden
Losanteile gegen Teilzahlungen verkauft, ſo liegt ein Vergehen gegen §7 des Reichs=
geſetzes
, betreffend die Abzahlungsgeſchäfte, vom 16. Mai 1894 (R. Geſ.=Bl., S.
450) vor. Der gewerbsmäßige Verkauf von Losanteilen wird aber auch in der Regel
gegen das Großherzoglich Heſſiſche Geſetz, betreffend den Handel mit Anteilen
und Abſchnitten von Loſen zu Lotterien und Ausſpielungen, vom 11. April 1896
(Reg=Bl. S. 47) verſtoßen.
Es kommt ferner das Großherzoglich Heſſiſche Geſetz vom 14. Februar 1906
(Reg.=Bl. S. 45) in Betracht, wonach das Spielen in außerheſſiſchen Lotterien, die
nicht mit ſtaatlicher Genehmigung im Großherzogtum zugelaſſen ſind, bei Geld=
ſtrafe
bis zu 600 Mark im Großherzogtum Heſſen verboten iſt.
Wenn hiernach einerſeits derjenige, der einer derartigen Serienlosgeſellſchaft bei=
tritt
, nicht nur hierdurch ſich an dem ſtrafbaren Tun des Unternehmers beteiligt, ſon=
dern
in den meiſten Fällen (ſofern es ſich nicht ausſchließlich um im Großherzogtum
Heſſen zugelaſſene Lokterie=Loſe handelt) ſelbſt eine mit empfindlicher Strafe bedrohte
Handlung begeht, ſo iſt andererſeits hiermit für ihn in den meiſten en auch eine
erhebliche Vermögensſchädigung verbunden, wie ſich aus nachſtehendem ergibt.
Die Serienlosgeſellſchaften beruhen faſt ohne Ausnahme auf ſchwindel=
hafter
Grundlage. Die Beitrittseinladungen laſſen die Natur des Geſchäfts und die
den Teilnehmern zuſtehenden Rechte nicht klar erkennen. Das Publikum wird durch
die Anpreiſung, daß jedes Los gewinnt und Nieten nicht exiſtieren, ſowie durch die
fettgedruckten Geſamtbeträge der Gewinne angelockt. Dabei iſt meiſt nicht bekannt und
kann auch aus den Ankündigungen gar nicht erſehen werden, daß die Zahl der Teil=
nehmer
an den fraglichen Geſellſchaften unbeſchränkt iſt, die Summe der einzelnen Bei=
träge
den von dem Unternehmer gezahlten Kauſpreis der Loſe um ein vielſaches über=
ſteigen
, und daß deshalb der auf den Teilnehmer entfallende Gewinnbetrag faſt aus=
nahmslos
nur einen verſchwindenden Teil der Geſamtſumme der gezahlten Beiträge
ausmachen wird. Dazu beſteht nicht einmal die Gewähr, daß der Unternehmer ſich im
Beſitze der Loſe befindet, an denen die Teilnehmereinen Anteil erwerben ſollen. Zweiſel
der letzt erwähnten Art ſind namentlich hinſichtlich der ausländiſchen Unternehmer ge=

wreiche des Seſchiſtin Ddautſchand derchen ader durch Agenter deirchen
laſſen.
Wir ſehen uns veranlaßt, auf dieſe Geſichtspunkte wiederholt hinzuweiſen, da
trotz häufiger Warnungen in der Preſſe, troß zahlreicher Beſtrafungen von Unter=
nehmern
derartiger Spielgeſellſchaften, trotz der traurigen Erfahrungen vieler Spieler
ſich immer noch Leute finden, die auf die verlockenden Anerbieten dieſer klugen Geſchäfts=
unternehmer
hereinfallen, namentlich wenn dieſe unter einer hochtrabenden Firma wie
Internationale Vereinsbank: Nationale Renten= und Kreditbankt oder dergl. auftreten.
Aus den angegebenen Gründen warnen wir auch davor, den in letzter Zeit hieſigen
Einwohnern zugegangenen Auforderungen ausländiſcher Bankfirmen zu folgen und
als Vertreter dieſer Firmen Teilnehmer für Serienlosgeſelſchaften zu werben.
Da ſowohl der Handel mit Losanteilen in der fingierten Form des Geſellſchafts=
ſpiels
als auch deſſen Unterſtützung ſeitens der Zeitungen durch Aufnahme von An=
zeigen
und Proſpekten ſtrafbar iſt, erſcheint es im Intereſſe der Allgemeinheit ratſam,
die Aufnahme derartiger Reklamen ſowie die Verbreitung ſolcher Proſpekte abzulehnen.
Darmſtadt, 19. April 1910.
Großherzogliches Polizeiamt Darmſtadt.
Dr. Kranzbühler.
(8618df

Bekanntmachung.
Im Intereſſe des ungehinderten Fußgängerverkehrs auf den Fußſteigen iſt
das Befahren der Fußſteige mit Fuhrwerken jeder Art (auch Handwagen) bei
Strafe verboten. Ausgenommen von dieſem Verbote iſt, ſoweit hierdurch der Fuß=
gängerverkehr
nicht gehindert wird, die Beförderung von Kindern in Kinderwagen und
von Kranken in Krankenwagen (Fahrſtühlen), jedenfalls dürfen niemals 2 Kinder=
oder
Krankenwagen gleichzeitig nebeneinander auf dem Fußſteig aufgeſtellt oder
fortbewegt werden.
Die Schutzmannſchaft iſt zur Ueberwachung angewieſen und wird namentlich
gegen das die Fußgänger in hohem Grade gefährdende Abwärtsfahren der Kinder
mit Sportwagen u. dergl. auf den Fußſteigen ſteiler Straßen einſchreiten.
(8617df
Darmſtadt, den 19. April 1910.
Großherzogliches Polizeiamt Darmſtadt.
Dr. Kranzbühler.
Aus der Landrichter Dr. Müllerſchen Stiftung zu Darmſtadt ſind durch die
unterzeichnete Behörde drei Unterſtützungslegate von jährlich 500 Mk. an be=
dürftige
elternloſe Studierende der Rechtswiſſenſchaft aus den Provinzen Starken=
burg
oder Oberheſſen zu vergeben. Bewerbungen um dieſe Legate ſind binnen bier
Wochen bei der unterzeichneten Behörde einzureichen.
Darmſtadt, den 14. April 1910.
Großherzogliches Miniſterium der Finanzen
Abteilung für Finanzwirtſchaft und Eiſenbahnweſen.
Süffert.
8639a)
Verſteigerungs-Anzeige.
Donnerstag, den 21. April 1910, nachmittags 4 Uhr,
verſteigere ich im Saale Rundeturmſtraße 16 öffentlich zwangs=
weiſe
gegen Barzahlung
a) für beſtimmt:
1 Schreibtiſch, 1200 Zigarren (beſſere Marken), 1 Ständer mit 5 Flam=
men
und 1 Ständer mit 3 Flammen;
b) ferner vorausſichtlich:
4 Büfetts, 2 Pianinos, 3 Diwans, 4 Sofas, 4 Kleiderſchränke, 2 Glasſchränke,
3 Warenſchränke, 3 Eisſchränke, 3 Schreibtiſche, 2 Fahrräder, 1 Motorrad,
3 Wagen, 1 Landauer, 40 Dutzend Servietten, 2 Stück Serge, 3 Ballen Roß=
haarſtoff
, 17 Meter Seidenſammet, 160 Bilderſtäbe, 50 Bilder, 100 Geſchäfts=
bücher
, 1 Brotgeſtell, 1 Ausſtoß= und 1 Heſtmaſchine, 1 Partie Falziegel und
Schieferſteine uſw.
Darmſtadt, den 20. April 1910.

Thüre, Großh. Gerichtsvollzieher,
Bleichſtraße 9.

Yffenlage von Stenerhebregiſtern.
Das Gemeinde= und Kirchenſteuer= Nach=
nas
=Hebregiſter Nr. 23 III Ider
emeindeDarmſtadt,ſowieNr. ZIIISTII
er Gemeinde Darmſtadt (Beſſunger Stadt=
il
) für 1909 liegen vom 20. April an acht
age lang auf dem Bureau der Stadtkaſſe,
hrafenſtraße 28, zur Einſicht auf.
Beſchwerden gegen die Beitragspflicht
der gegen das angenommene Beitrags=
erhältnis
müſſen binnen der erſten vier

Wochen nach Ablauf der Offenlegungsfriſt
ſchriftlich oder mündlich) bei Großherzoo=
lichem
Kreisamt vorgebracht werden. Später
vorgebrachte Beſchwerden finden keine Be=
rückſichtigung
.
Darmſtadt, den 18. April 1910.

Großherzogliche Bürgermeiſterei Darmſtadt.
(8628
J. V.: Schmitt.
fertigt Heſſiſches
Bittſchriften Burean, Darm=
(5958a
ſtadt, Kirchſtraße 21.

[ ][  ][ ]

Seite 12.

Darmſtädter Tagblatt, Donnerstag, den 21. April 1910.

Nummer 92.

Bekanntmachung.
Für die Gemarkungen Arheilgen, für
dieſe nach der demnächſtigen Anlegung des
Grundbuchs, Eberſtadt, Griesheim und
Pfungſtadt werden die Dienſtſtunden zur
Entgegennahme mündlicher Anträge und
Erklärungen in Grundbuchſachen des neuen
Rechts wie folgt feſtgeſetzt:
a) Arheilgen, Griesheim: Montags,
b) Eberſtadt, Pfungſtadt: Donnerstags,
je vormittags von 912 Uhr und nach=
mittags
von 46 Uhr.
Im übrigen bleiben die feſtgeſetzten Dienſt=
ſtunden
für die Gemarkungen des Gerichts=
bezirks
unverändert.
(8683
Darmſtadt, den 18. April 1910.
Großherzogliches Amtsgericht II.
Dorderungen an den Nachlaß des zu
Darmſtadt verſtorbenen Privatiers
Ludwig Molter ſind bei Meidung der
Nichtberückſichtigung bei dem Unterzeichneten
bis ſpäteſtens den 15. Mai 1910 unter
Beifügung einer ſpezifizierten Rechnung
ſchriftlich anzumelden.
8517mdf
Darmſtadt, 19. April 1910.
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[ ][  ][ ]

Nummer 92.

Darmſtädter Tagblatt, Donnerstag, den 21. April 1910.

Seite 13.

Till Eulenſpiegel.
Skizze von Otto Johannes.
B. In dem früheren Herzogtum Lauenburg, das
jetzt einen Teil der preußiſchen Provinz Schleswig=
Holſtein bildet, liegt in herrlicher Umgebung, von Wald
und Seen umrauſcht, das freundliche Städtchen Mölln.
Seine roten Dächer lugen unter dem grünen, dichten
Laub gar ſo traulich hervor und laden die vielen
Fremden, die zur ſchönen Sommerszeit in bellen
Scharen dorthin kommen, gaſtlich zu erquickender Raſt.
Eine alte, ſchöne Kirche aus grauer Vorzeit ragt in der
Mitte des Städtchens hoch in die Lüfte empor und gibt
dem ganzen Orte Anſehen und Würde.
Doch noch ein anderes Wahrzeichen hat Mölln, ſo
wie Hamburg den Eſel mit dem Dudelſack, das ein
jeder geſehen haben muß, der Mölln beſucht, das iſt der
Grabſtein Till Eulenſpiegels.
Im Volksmunde lebt dieſer luſtige Schalksnarr mit
allen ſeinen Schelmenſtreichen noch lebendig fort, aber
welche Bewandtnis es eigentlich mit ihm und den
luſtigen Geſchichten, die von ihm berichtet werden, hat,
darauf iſt die Antwort ſchwer zu finden. Es iſt aber
nicht unwahrſcheinlich, daß in der erſten Hälfte des
vierzehnten Jahrhunderts ein luſtiger Geſell dieſes
Namens gelebt und in Norddeutſchland, vorzüglich in
Niederſachſen, ſein Weſen getrieben habe. Hat aber
ein ſolch luſtiger Geſelle gelebt, dann iſt es auch ſehr
gut möglich, daß er, wie die Ueberlieferung angibt, im
Jahre 1350 zu Mölln geſtorben und dort begraben iſt.
Nachrichten über ſeinen Grabſtein finden ſich freilich
erſt ſeit dem Anfange des ſechzehnten Jahrhunderts.
Dieſer iſt ſpäter renoviert worden und mag in ſeiner
jetzigen Form etwa aus der erſten Hälfte des ſiebzehn=
ten
Jahrhunderts ſtammen. Die Inſchrift auf dem
Grabſtein lautet:
Anno 1350 is düſſe gravſten up gehaven.
Tileulenſpiegel ligt hir under begraven.
merket wol und denket dran:
wat ick geweſt ſi üperen,
alle de hir vorbvergan,
Moten mi glick waren.
Die hölzerne Umzäunung, die früher das Grab
umgab, iſt nicht mehr vorhanden. Ein Span von ihr
war nämlich nach den Berichten glaubwürdiger Chro=
niſten
ein probates Mittel gegen Zahnweh, und gläu=
bige
Pilger haben ſo viele Späne abgeſchnitten, daß
ſie um das Jahr 1630 erneuert werden mußte. Ver=
ſchwunden
iſt auch die alte Linde, die früher auf dem
Grabe ſtand, und in deren Stamm jeder Handwerks=
burſche
einen Nagel ſchlug, ſo daß ſie ſchließlich ganz
mit Eiſen bedeckt war.

Mehr als hundert Jahre waren ſeit dem Tode Tin
Eulenſpiegels vergangen, als man zuerſt daran ging,
die über ſein Leben und ſeine Taten im Volke um=
lauſenden
Hiſtorien zu ſammeln und dem Drucke zu
übergeben. Dieſe in niederdeutſcher Sprache abge=
faßte
Sammlung iſt im Jahre 1483 erſchienen, aber
leider iſt ſie nicht erhalten geblieben, und erſt eine
ältere hochdeutſche Ausgabe iſt auf uns gekommen. Die
älteſte Ausgabe iſt im Jahre 1519 zu Straßburg ge=
druck
unter dem Titel: ,Ein kurtzweilig leſen von Bil
Ulenſpiegel, geboren dem Land zu Brunswick. Un=
zählige
Male iſt dann das ſchnell beliebt gewordene
Buch ſeitdem gedruckt, außerdem iſt es aber auch in die
lateiniſche, franzöſiſche, däniſche, vlämiſche, polniſche
uſw. Sprachen überſetzt worden.
In allen Ausgaben beginnt das Buch vom Eulen=
ſpiegel
mit einer Vorrede, in der der Verfaſſer die Be=
wohner
der von Eulenſpiegels Streichen betroffenen
Orte bittet, ſich den Spott nicht verdrießen zu laſſen,
denn nur allein um ein fröhlich Gemüt zu machen in
ſchweren Zeiten habe er auf Andringen ſeine Frreunde
dieſe Erzählungen zu Papier gebracht.
Die zweiundneunzig Hiſtorien, die dann folgen und
Tills Leben von ſeiner Geburt im Dorf Kneitlingen
bei Schöppenſtedt bis zu ſeinem Tode in Mölln behan=
deln
, ſtehen unter ſich in einem ſehr loſen Zuſammen=
hange
. Die Scherze, die darin erzählt werden, er=
ſcheinen
uns meiſt nicht ſehr geiſtvoll, mögen aber in der
Geſellenherberge, wo abends die Genoſſen der verſchie=
denen
Aemter Einkehr hielten, gern gehört worden ſein,
weil ſie luſtig und drollig ſind und Anlaß zu fröhlichem
Lachen gaben. Für die Entſtehung ſolcher Geſchichten
war aber gerade die erſte Hälfte des vierzehnten Jahr=
hunderts
beſonders günſtig. Mächtig regte ſich damals
das Selbſtbewußtſein des Handwerkers. Ueberall traten
ſie zu feſten Verbänden zuſammen, und nicht gering iſt
die Zahl der deutſchen Städte, in denen es ihnen ge=
lang
, den alten Geſchlechtern die Herrſchaft ganz oder
teilweiſe zu entreißen. Da herrſchte denn auch in den
Handwerksſtuben ein friſches, fröhliches Leben, und
vielfach ſuchten auch die Glieder der einzelnen Gewerke
die Genoſſen eines andern Gewerbes zu necken und
mit Sticheleien zu reizen. Solche Handwerkergeſchichten,
in denen faſt immer der Meiſter der Geprellte iſt, füllen
einen großen Teil des Buches und ſcheinen den eigent=
lichen
Kern der Eulenſpiegelſage zu bilden. Damit
aber auch die gelehrten Stände nicht leer ausgehen,
ſchickte man Eulenſpiegel auf die hohen Schulen nach
Praa, Erfurt und ſogar nach Paris, und ließ ihn durch
ſpitzfindige Fragen die Fakultäten in ſchwere Bedräng=
nis
bringen. Vorzugsweiſe aber bildet die Gegend
zwiſchen Hildesheim, Hannover, Braunſchweig, Magde=
burg
und Halle den Schauplatz ſeiner Taten. Nur ge=

legentlih hat er auh Handurg, Zübeck und Bremen
mit der Ehre ſeines Beſuches bedacht. Aus Bremen
mußte er fliehen, weil er behauptete, dort gingen nur
Schälke (Spitzbuben) auf, ehrliche Leute gediehen dort
nicht; in Hamburg richtete er aber Unheil bei einem
Bartſcherer an, ſprang durch deſſen Fenſter und wurde
vom Büttel verfolgt, entrann aber ſeinen Verfolgern.
Als aber Eulenſpiegel alt und verdroſſen geworden
war, wollte er in ein Kloſter gehen und für den Reſt ſeines
Lebens Gott dienen. Er fand auch Aufnahme in der
Abtei Marienthal bei Helmſtädt. Aber er konnte nicht von
ſeinen Schalkſtreichen laſſen und trieb ſo argen Unfug,
daß er aus dem Kloſter verwieſen wurde. Nun wandte
er ſich wieder gen Norden und kam nach Mölln. Er nahm
zuerſt Herberge bei einem Apotheker um der guten Arzenei
willen, aber dieſem wurde der Gaſt bald läſtig und er ließ
ihn in das Hoſpital zum Heiligen Geiſt bringen.
Aber Eulenſpiegel wurde ſehr krank und nun ſetzte er
ein Teſtament auf und teilte all ſein Gut in drei Teile;
einen Teil beſtimmte er ſeinen Freunden, einen Teil dem
Rat zu Mölln und einen Teil dem Kirchherrn daſelbſt,
jedoch mit dem Beſcheide, wenn er mit Tod abginge, ſo
ſollte man ſeinen Leichnam begraben in geweihter Erde
und für ſeine Seele begehen Vigilien, Seelenmeſſen uſw.
nach chriſtlicher Ordnung. Nach vier Wochen aber ſollten
ſie einhellig die ſchöne Kiſte aufſchließen und was darin
wäre, miteinander teilen.
Das nahmen die drei Parteien gütlich an und Eulen=
ſpiegel
ſtarb. Als nun vier Wochen um waren, kamen der
Rat, der Kirchherr und Eulenſpiegels Freunde und öff=
neten
die Kiſte, ſeinen Schatz zu teilen. Aber zu ihrem
Erſtaunen und Schrecken fanden ſie darin nichts weiter
als einen Stein. Nun entſtand Uneinigkeit unter den bis=
her
ſo fröhlichen Erben, denn der Pfarrer meinte, der Rat,
der die Kiſte in Verwahrung gehabt, hätte den Schatz her=
ausgenommen
. Der Rat aber meinte, die Freunde hätten
den Kaſten ſeines koſtbaren Inhalts entleert, und die
Freunde endlich mutmaßten, der Pfarrer hätte bei der
Beichte ſich den Schatz von Eulenſpiegel überantworten
laſſen. So veruneinigten ſich die drei Erben über die Erb=
ſchaft
und gingen in Unfrieden auseinander.
Auch bei Eulenſpiegels Begräbnis ſoll es noch wun=
derlich
zugegangen ſein. Das Seil, an dem der Sarg her=
untergelaſſen
wurde, zerriß und Eulenſpiegel kam im
Sarge auf die Füße zu ſtehen. Da ſprachen alle, die dabei
ſtanden: Laſſet ihn nur ſtehen, er iſt wunderlich geweſen
im Leben, wunderlich will er auch ſein in ſeinem Tode.
So warfen ſie das Grab zu und ſetzten einen Stein oben
auf das Grab und ſchrieben auf den Stein:
Dieſen ſtein ſoll nieman erhaben.
Hie ſtat Ulenſpiegel begraben.
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Nummer 92,

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Darmſtädter Tagblatt, Donnerstag, den 21. April 1910.

Nummer 92.

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auf 14 Tage im Leſeſaale zur Anſicht auf=
geſtellt
: Bibliothéque nationale, Départ. des
manuscr. Lovino Traité d'Escrime Reprod., Phébus,
Gaston, Livre de la Chasse. Reprod.; Bruno, Giord,
Eroici furori, Deutſch v. Lud. Kuhlenbeck: Despatches
from Paris 178490, ed. O. Browning 1; Aulard,
F.-A. Reeueil des Actes du Comité de Salut Public 19,
1794/95; Engler, A. u. Prantl, K., Die natürl.
Pflanzenfamil., 1. Geſamtregiſter; Fedde, Fr., Reper-
torium
novar. specierum regni vegetab. 4; Fouilles
de Delphes 5; Katalog d. Berl. Stadtbibl. 8;
Mommſen, Theod., Philol. Schrift.; Seitz, Ad., D.
Groß=Schmetterl. d. Erde, 1; Richelieu, Cardinal de,
Mémoires, 2, 161619; Saint-Hilaire, Mémoires
p. p. Léon Lecestre, 2. 3. 16801704; Stau=
dinger
J., v. Kommentar z. B. G. B. 5/6. Afl. 1.:
Allg. Teil v. Th. Loewenfeld u. E. Riezler; D.
Gräberfeld b. Lanneshof, hs. v. J. Vonderau; 5:
Diehl, W., Philipp, Landgraf v. Heſſ.=Butzb., Darmſt. 09.
Außerdem die neueſten gebundenen Bände
wiſſenſchaftlicher Zeitſchriften.
Sämtlich vom 2. Mai ab verleihbar.
In die Handbibliothek des Leſeſaales
ſind aufgenommen worden: Conrad, J., Elſter, L.,
Lexis, W., Loening, E., Handwörterb. d. Staats=
wiſſ
.; Entſcheid. d. Reichsger. i. Strafſach. 41/42;
Mitteil. d. Gr. Heſſ. Zentralſt. f. d. Landesſtat. 39;
Real=Encyklopädie f. proteſt. Theol. u. Kirche,
hs. v. A. Hauck; Roſcher, W. H., Ausf.=Lex. d.
griech. u. röm. Mythol. 3, 1. 2.: NP; Seyler, G.
A., Deutſche Souveräne u. Lande, Nürnb. 09; Zeitſchr.
f. roman. Philol. Regiſt. 130.
Sport.
Rg. Bei den Berliner Ringkämpfen
ſiegten am letzten Abend Markuſſen=Dänemark in 12
Minuten 11 Sekunden über Camillotti=Italien und
Schwarz=München in 9 Minuten 45 Sekunden über
Schill=Berlin. Hoffmann=Berlin und Otto Meyer=
Ludwigshafen rangen 30 Minuten unentſchieden.
Rr. Der Grand=Prix von Nantes, ein
Flieger=Rennen über 1200 Meter, wurde von Ellegaard

mit 4 Punkten gewonen. Zweiter blieb Pouchois mit
6 und dritter Fournons mit 7 Punkten. Ellegaard ge=
wann
zwei Läufe, während er im dritten zu gleicher
Zeit mit Fournous hinter dem ſeinen Gegnern aus=
geriſſenen
Pouchois das Ziel paſſierte. Der Auſtralier
Clark unterlag in ſeinem Zwiſchenlauf gegen Four=
nous
, gewann aber mit Ellegaard als Partner das
Tandem=Rennen gegen Fournous=Ponchois und Couſ=
ſeau
=Lemaſſon. Darragon landete in Troyes ein
30=Kilometer=Rennen in 37 Minuten 33 Sekunden
gegen einige Lokalmatadore.
Luftſchiffahrt.
sr. Als ein nächtliches aviatiſches Mee=
ting
wird die Petersburger Veranſtaltung vom 12.
bis 19. Mai abgehalten werden, und zwar unter Be=
nutzung
der ſogenannten weiten Nächte. Es wird
jedenfalls ein ſeltenes Schauſpiel ſein, die Aeroplane
zu nächtlicher Stunde am Himmelshorizont dahin=
ſchwirren
zu ſehen. Auch den Aviatikern wird die
Startzeit zugute kommen, da erfahrungsgemäß nach
Sonnenuntergang die Windverhältniſſe weit günſtiger
ſind als am Tage.
Das Nizzaer Flugmeeting brachte am
vierten Tage einen Unfall des franzöſiſchen Aviatikers
Rougier, der mit ſeinem Apparat aus etwa 30 Me=
ter
Höhe in die See ſtürzte. Während ſich Rou=
gier
durch Schwimmen retten konnte, wurde ſein Appa=
rat
vollſtändig zertrümmert ans Land gezogen. Efi=
moff
=Rußland konnte wiederum alle Preiſe an ſich
reißen. Er gewann den Paſſagier=Preis mit einem
Fluge von 1500 Meter in 1 Minute 44 Sekunden, den
Start=Preis mit einem Anlauf von 10,65 Meter mit
Paſſagier und von 11,30 Meter ohne Paſſagier, den Ge=
ſchwindigkeits
=Preis in 6 Minuten 58 Sekunden für 6
Kilometer und den täglichen Totaldiſtanz=Preis end=
lich
mit 132 Kilometer.
Ein neuer Ueberlandflug=Relord
wurde von dem franzöſiſchen Aviatiker Paulhan auf=
geſtellt
. Paulhan ſtieg in Orleans auf, um mit ſei=
nem
Zweidecker eine Fernfahrt Orleans=Tours aus=
zuführen
. Auf halbem Wege zwang ihn jedoch ein
ſtarker Gegenwind, ſeinen Kurs zu ändern und eine
andere Richtung einzuſchlagen. Er flog in etwa 500
Meter Höhe das Seinetal aufwärts und landete
ſchließlich bei Bouan, da ſich Benzinmangel eingeſtellt
hatte. Die zurückgelegte Strecke betrug zirka 180 Kilo=
meter
und Paulhan erreichte damit die bisher weiteſte
Strecke im Ueberlandflug.
Vermiſchtes.
** Die neuen Wunder von Coney=Island. Coney=
Island, der berühmte Vergnügungsort der New=Yorker,
hat ſich raſch von den Folgen des furchtbaren Brandes
erholt, der ſeinerzeit die Stätte der Fröhlichkeit in einen
traurigen Aſchenhaufen verwandelte. Die großen Ver=
gnügungsparks
haben längſt alle Spuren der Kataſtrophe
getilgt, im größten Stile ſind die Etabliſſements wieder
neuaufgebaut, die damals ein Raub der Flammen
wurden, und voll Neugier erwartet der New=Yorker die
neuen Senſationen, die Coney=Island ihm in dieſem

Jahre verſpricht. Tauſende von Arbeitern ſind noch am
Werke, um die großen Ueberraſchungen zu vollenden.
Der Lunapark wird ſeinen Beſuchern in dieſem Jahre
ein beſonderes Schauſpiel bieten: eine Ueberſchwemmungs=
kataſtrophe
im Gebirge. An dem ſteilabfallenden Hang
eines hohen Berges ſieht der Beſucher kleine Städte und
Dörfer. Man gewahrt die Bevölkerung, wie ſie eifrig
ihrem Tagewerk obliegt, ſieht die Bauern ihre Felder=
beſorgen
und die Hirten ihre Kühe austreiben. Plötzlich
tritt ein großer See, der auf dem Bergesgipfel liegt,
über ſeine Ufer. Die entſetzte Bevölkerung findet nicht
Zeit zur Rettung, gewaltige Waſſermengen ſtürzen
toſend den Berghang hinab und reißen alles mit ſich in
die Tiefe. Männer, Frauen, Kinder, Tiere und Häuſer,
alles brauſt inmitten einer Waſſerlawine von mehr als=
2 Millionen Litern in die Tiefe, ſicherlich ein Ans=
blick
, der den unterhaltungsfrohen Gäſten von Coney=
Island die willkommene Senſation eines gelinden
Schauers verſchaffen wird. Aber der Ehrgeiz der Unter=
nehmer
von Coney=Island iſt damit noch nicht erſchöpft.
Im Lunapark erwartet die Vergnügungsluſtigen noch=
eine
andere ſchauerlich=ſchöne Beluſtigung, die große
Rieſenkanone, in der man mit ſchwindelnder Schnelligkeit
durch den Raum geſchoſſen wird. Der Apparat beſteht
aus einer rieſigen, faſt zwei engliſche Meilen langen
Röhre. Das Projektil, das die Form einer Rieſenpatrone=
hat
, gibt einer ganzen Reihe von Abenteuerluſtigen
Unterſchlupf. Dann wird das ſeltſame Geſchoß mit=
ſeinem
Menſcheninhalt abgefeuert; mit einer Geſchwin=
digkeit
von 160 km in der Stunde ſoll es durch die=
Tube ſauſen und ſo den Inſaſſen in der Patrone den
Genuß verſchaffen, als blitzſchnell dahinwirbelndes Ge=
ſchoß
über Raum und Zeit zu ſiegen. Ein großes Aero=
plan
ſoll den Beſuchern die bequeme Gelegenheit zu
einer Reiſe auf den Mars bieten, dicht daneben iſt ein
mächtiges Krokodilparadies errichtet, in dem Alligator=
Joe, der berühmte Alligatorzüchter aus Florida, mehr
als tauſend ſeiner Zöglinge ausſtellen will, ſodaß der
Beſucher inmitten der furchtbaren Amphibien behaglich
luſtwandelt, ohne einer Gefahr ausgeſetzt zu ſein. Allerlei
andere Maſchinen, durch die man gefahrlos in einen
Abgrund ſtürzt, rieſige Sturmapparate, die unvorſich=
tigen
Beſuchern in launiſchem Uebermut die Hüte weg=
wehen
, und andere Ueberraſchungen harren ihres Publi=
kums
. Beſonders ſtolz iſt man auf das umkippende
Boot, das friedlich am Ufer eines kleinen flachen Sees
auf naive Freunde des Waſſerſports harrt, die mit
ihren Schönen ein wenig Waſſerromantik genießen wollen.
Anfangs geht alles gut, aber plötzlich beginnt das Boot
infolge eines geheimen Mechanismus zu ſchaukeln und
zu ſtampfen, die Bewegungen werden immer heftiger
und ſchließlich kentert das Fahrzeug mit ſeinen Inſaſſen
inmitten des Sees. Man verſpricht ſich von dieſem
reizvollen kleinen Scherz einen beſonderen Erfolg; aller=
dings
dürfte es ſich empfehlen, den ahnungsloſen
Waſſerfreunden doch vorher den Rat zu geben, das
trügeriſche Fahrzeug nur in Badekoſtümen zu beſteigen,
denn es ſteht zu befürchten, daß manche Dame dieſen
kleinen amerikaniſchen Scherz mißverſtehen wird, wenn
dabei ihr neuer Sommerhut und ihr Sommerkleid von
den Launen der Wogen zerſtört werden.

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I RanmerWustk-Fest
zu Darmstadt.
Unter dem Allerhöchsten Protektorat Sr. Königlichen Hoheit des
Grossherzogs Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein.

Am Freitag den 3., Samstag den 4. und Sonntag
den 5. Juni d. J., wird im Städtischen Saalbau zu Darmstadt,
ähnlich wie in den Jahren 1908 und 1909, ein
Kammermusik-Fest
abgehalten werden, zu welchem namhafte Künstler und Komponisten
ihre Mitwirkung zugesagt haben.
Der erste Abend wird Werke von I. S. Bach, Gluck, Haydn und Schumann
bringen; der zweite Abend ist der Aufführung von Werken Mozarts, Schuberts,
Beethovens und Brahms, sowie von Hugo Wolf und von I. Svendsen gewidmet. Der
dritte Abend soll, wie in den beiden vergangenen Jahren, Ur- und Erstaufführ-
ungen
vorbehalten bleiben und sind dafür Werke von Krehl, Schillings, Pfitzner und
Max Reger in Aussicht genommen.
Von auswärtigen Künstlern haben die Komponisten Max Reger (Klavier) und
Pflizner (Klavier) ihre Mitwirkung zugesagt, desgleichen die Damen Lauprecht-Lammen
(Sopran) und Iona Durigo (Alt), sowie Herr Lamond (Klavier) und das Havemann-
Quartett, Hamburg.
Die hiesige Künstlerschaft wird durch die Kammermusik-Vereinigung, also durch
die Herren Hofrat de Haan, Konzertmeister Schmidt, Bornemann, Delp und Andrae, sowie
Herrn Köhler (Flöte) vertreten sein.
Der Fest-Ausschuss.
8624)

Freie Literarisch-Künstlerische Gesellschaft
Darmstadt.
Freitag, 22. April 1910 Hotel zur Traube abends 8 Uhr:
Abend.

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Karten zu Mk. 3., 2., 1. bei A. Bergsträsser und abends an
der Kasse.
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Verein Waiderholungsstätte Darmstadt.
Zu der Mittwoch, den 27. April ds. Js., nachmittags 4 Uhr im Reſtaurant
Kaisersaal (Grafenſtraße) ſtattfindende
Oraehene inigneder Versammlung
deehren wir uns ergebenſt einzuladen.
Tagesordnung: 1. Abnahme und Genehmigung der Jahresrechnung, 2. Wahl
des Vorſtandes, 3. Wahl von zwei Rechnungsprüfern für das laufende Geſchäftsjahr.
Darmſtadt, den 19. April 1910.
Verein Walderholungsſtätte
Langenbach, 1. Vorſitzender.
(8619df)
Sachwaldklab.
Die elfte Auflage unſerer Wegbezeichnungskarte iſt im
Verlag der
A. Bergsträsser’schen Buchhandlung
zu Darmstadt (Inhaber Wilhelm Kleinſchmidt)

erſchienen.
Dieſe Karte iſt von unſerem Wegbezeichnungsausſchuß nach
dem neueſten Stand der Farbmarkierung bearbeitet; ſie iſt die
einzige Odenwaldkarte, die unbedingte Zuverläſſigkeit für die
Benutzung der Farbzeichen bei Odenwaldwanderungen bietet.
Zeutralausſchuß des Odenwaldklnbs.
8630)

Jeſus lebt! Jeſus hat gelebt!
Jeſus lebt in Ewigkeit!
Bekenntnis-Versammlung
im Städtischen Saalbau
Donnerstag, den 21. April, abends 8¼ Uhr,
veranstaltet von bibelgläubigen Christen gegenüber
den feindlichen Angriffen auf die
Person des Sohnes Gottes.
Mehrere Redner werden Ansprachen halten.
Zutritt frei für jedermann.
(8451id

Kaisersaal Darmstadt.
Sonntag, den 24. April, nachmittags 5 Uhr
findet die
Schüler-Aufführung
(Prüfung) der
Weyrauch’schen Musikschule
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NB. Programme erhältlich in der Inſtrumentenhandl. Heinheimerſtr. 25 u. an der Kaſſe.

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Seite 22.

Darmſtädter Tagblatt, Donnerstag, den 21. April 1910.

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Szeniſche Leitung: Oberregiſſeur Valdek.
Perſonen:
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Marcus Antonius
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Publius,
Hr. Feder
Senatoren
Hr. Geibel
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Casca,
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Decius Brutus,
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Flavius,
Tribunen
Marullus,
Artemidorus, ein Wahr=
ſager
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Hr. Riechmann
Einna, ein Poet
Hr. Kretſchmer
Lucilius, Freunde u. Feld= Hr. Hönel
Titinus, herren d. Brutus Hr. Jürgas
Meſſala, u. Caſſius Hr. Bohne
Strato, 1 Diener des . . Hr. Klotz
. Frl. Gothe
Lucius, Brutus
Pindarus, Diener d. Caſſius Hr. Schneider
Calpurnia, Gemahlin des
Cäſar.
Portia, Gemahlin d. Bru=
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Frl. Oſter
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Hr. Jordan
Zweiterl Römiſcher
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(1. bis 6. Reihe) 2.50 Mk., (7. und 8. Reihe,
2. Mk., Sperrſitz (1. bis 13. Reihe) 4. Mk.)
(14. bis 20. Reihe) 3.20 Mk., Parterre (1. bis
(5. Reihe) 2.70 Mk., (6. bis 8. Reihe) 2.20 Mk.,
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6 Uhr an.
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von 11 bis 1 Uhr für die Vorſtellungen:
Freitag, 22. April. 161. Ab.=Vorſt. C41.
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Samstag, 23. April. Außer Abonnement.
Schüler= und Volks=Vorſtellung zu er=
mäßigten
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des Deutſchen Bühnenvereins.
Die Nibelungen. Anfang 7 Uhr.
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Sonntag, 24. April. 162. Ab.=Vorſtell.
D 41. Der Graf von Luxemburg.
Hroße Preiſe. Anfang 7 Uhr.

Aus dem Spielplan.
Montag, 25. April. 163. Ab.=Vorſtell.
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Dienstag, 26. April. 164. Ab.=Vorſtell.
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