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Heſſiſche Neueſte Nachrichten
Morgenzeitung der Landeshauptſtadt
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Nummer 263
Sonntag, den 23. September 1923 186. Jahrgang
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Der griechiſch=italieniſche Konflikt.
Die Griechen unſchuldig.
Der Mord, ein Racheakt.
Paris, 23. Sept. (Wolff.) Nach einer Meldung aus
Pre=
peſa wird der Bericht der von der Botſchafterkonferenz
einge=
ſetzten Unterſuchungskommiſſion heute nach Paris
abgehen. Man nehme an, daß die Griechen unſchuldig
ſeien, daß ihnen jedoch Fahrläſſigkeit vorzuwerfen ſei,
und daß ſie nicht alle erdenklichen Maßregeln träfen, um die
Mör=
der ausfindig zu machen. Andererſeits hätten die Italiener einen
Bericht abgefaßt, in dem ſie das Anklagemateriial Italiens gegen
Griechenland zu verdichten ſuchten. Der japaniſche, der
franzö=
ſiſche und der engliſche Delegierte ſeien, wie verlautet, überzeugt,
daß der Mord ein Racheakt und kein politiſches
Verbrechenſei.
Ein Zwiſchenfall.
London, 22. Sept. (Wolff.) Reuter meldet aus
Pre=
veſa: Geſtern ereignete ſich ein Zwiſchenfall, der ernſte
Folgen hätte nach ſich ziehen können. Die Griechen widerſetzten
ſich dem Vorſchlag der italieniſchen Delegation, daß ihr geſtattet
werden ſolle, eine Abteilung Karabinieri auf griechiſches
Gebiet zu entſenden, um den Kurierdienſt zwiſchen Janina
und Italien wieder aufzunehmen. Schließlich wurde durch
Ver=
mittlung des japaniſchen Vertreters eine Regelung erreicht.
Vom Tage.
In einer am 13. September abgehaltenen Sitzung hat der
Reichs=
arbeitsausſchuß beſchloſſen, außer den beim deutſchen Volksopfer
ein=
gegangenen Zahlungen aus dem In= und Ausland weitere 11 Billionen
Mark für Wohlfahrtszwecke im beſetzten Gebiet zur Verteilung zu
bringen.
Der preußiſche Miniſter des Innern hat angeordnet, unverzüglich
den Aufenthalt des zurzeit in Verlin befindlichen Mörders der
Zaren=
familie ausfindig zu machen und ihn als läſtigen Ausländer über die
Grenze zu bringen.
Dem Preußiſchen Landtag iſt ein Antrag der
Koalitions=
parteien zugegangen, wonach für die preußiſchen
Gemeinde=
wahlen der äußerſte Termin vom 30. September 1923 auf den
2. März 1924 verſchoben werden ſoll.
Der Herausgeber des „Kunſtwart‟. Dichter Ferd. Avenarius,
iſt, 67 jährig, im Nordſeebad Sylt geſtorben.
In allen dem amerikaniſch=deutſchen Hilfswerk eingegliederten
Ge=
meinden und Anſtalten des Deutſchen Neiches fand geſtern ein
Gedenkfeſt für das Kinderhilfswerk mit einer ſchlichten
Feier für die Speiſungsteilnehmer ſtatt. Es wurden insgeſamt in
Deutſchland während des Sommerhalbjahres täglich 500 000 Kinder
geſpeiſt. Davon in Groß=Berlin 80 000 Kinder.
Nach einer Meldung der „Chicago Tribune” ſoll der
Unterſtaats=
ſekretär im Foreign Office, Sir William Tyrrel, der zu der
Unter=
redung zwiſchen Baldwin und Poincaré in Paris eingetroffen war,
noch einige Zeit in Paris bleiben, angeblich weil er am Quai
dOrſahy noch irgendwelche Mitteilungen zu machen haben werde.
Nach der „Chicago Tribune” ſteht ein neuer Aufſchub der
Sachverſtändigenkonferenz für die Tangerfrage,
die nächſte Woche in London ihre Arbeiten wieder aufnehmen ſollte,
bevor. Man nel, ie an, daß die Verhandlungen bis nach der britiſchen
Reichskonferenz v rtagt würden.
PVor der Löſung des Ruhrkonflüikts.
Keine Entſcheidung der Regierung ohne Einvernehmen mit den Vertretern der beſetzten Gebiete.
Berlin, 2. Sept. (Wolff) Wie man erfährt, werden in Die künftige Regelung der Reparationsfrage:
den erſten Tagen der kommenden Woche in Berlin Vertreter
Eine franzöſiſche Auffaffung.
aller Bevölkerungs= und Intereſſentenkreiſe
der beſetzten Gebiete, insbeſondere auch des
Nuhr=
gebiets, mit der Reichsregierung zu ernſten
Be=
ratungen über die Frage der Beendigung des Ruhrkonflikts
zuſammentreten. Die Reichsregierung wird keine
Entſchei=
dung treffen ohne Einvernehmen mit den
Vertre=
ternder beſetzten Gebiete. Sie wird aber auch die Zu=
. I ſtimmung der Regierungen der deutſchen Länder
ein=
holen. Deshalb werden auch die Miniſterpräſidenten
der einzelnen Staaten anfangs der kommenden Woche zu
Be=
ratungen mit der Reichsregierung in Berlin eintreffen. Man
betont nochmals, daß ohne Wiederherſtellung der
deut=
ſchen Souveränität über die beſetzten Gebiete, des
nor=
malen Rechtszuſtandes und der Freiheit eine
Wie=
derkehr der vollen früheren Produktionstätigkeit im
Ruhrgebiet nicht möglich ſein werde. Unter keinen
Umſtänden werden die von der Reichsregierung zu treffenden
Entſcheidungen eine Kapitulation bedeuten, die das
Rhein=
land und das Ruhrgebiet aufgeben werde.
Das Ruhrgebiet gegen eine Kapitulation.
TU. Gelſenkirchen, 22. Sept. Unter der Ueberſchrift
„Eine ſchwere Entſcheidung” veröffentlicht der Vorſitzende des
Deutſchen Gewerkſchaftsbundes, Breddemann, einen Artikel, in
dem er auf die unverhüllte Ablehnung der Franzoſen gegenüber
den deutſchen Verſtändigungsverſuchen hinweiſt. Alles deute
darauf hin, daß die Franzoſen nur eine vollſtändige Kapitulation
des Ruhrgebiets fordern.— Eine Abmachung, die aber nicht die
volle Sicherheit für Leben und Exiſtenz der Ruhrbevölkerung
biete und eine Rückkehr der Ausgewieſenen ſowie Freilaſſung
der Opfer des paſſiven Widerſtandes gewährleiſte, würden aber
die Mitglieder des Deutſchen Gewerkſchaftsbundes niemals
an=
erkennen, und ſie glauben ſich hierbei eins mit der Geſamtheit
des deutſchen Volkes. Wenn die Franzoſen auch durch alle
mög=
lichen Repreſſalien das Land bedrücken und ausſaugen, ſo
wer=
den ſie es niemals vermögen, die Kräfte,, die im Ruhrgebiet
ſchlummern, zu wecken. Die Bevölkerung des Ruhrgebiets wird
einem franzöſiſchen Diktator niemals Folge leiſten. Zum Schluß
heißt es: Die dielen Hunderttauſende, die im Einbruchsgebiet
im Deutſchen Gewerkſchaftsbund zuſammengeſchloſſen ſind,
wer=
den ſich nach wie vor gegen alle franzöſiſchen
Unterdrückungsver=
ſuche wehren.
Militärpolizeigericht.
Witten, 22. Sept. (Wolff.) Das
Militärpolizei=
gericht verurteilte geſtern zwei Mitglieder der
Kommuni=
ſtiſchen Partei wegen angeblicher antifranzöſiſcher
Aeußerungen zu 1 bzw. 6 Monaten Gefängnis und 1000
Goldmark Geldſtrafe.
Die Paſtoren Lindemann und Kaher, die verſucht hatten,
durch die Ruhr in das unbeſetzte Gebiet zu gelangen,
wur=
den zu drei Monaten Gefängnis und 500 Goldmark
Geldſtrafe verurteilt.
Weitere Ausweiſungen.
Von den Franzoſen ſind weiter ausgewieſen worden am
16. September 1923 der Poſtamtmann Baſta mit ſeiner
Ehe=
frau und 3 Kindern, ſowie der Poſtinſpektor Schertel vom
Poſtamt in Bingen (Rhein).
Paris, 22. Sept. (Wolff.) Das Journée Induſtrielle
ſchreibt im Hinblick auf die künftige Regelung der
Re=
parationsfrage:
Mit dem Tage, wo der paſſive Widerſtand zu Ende geht,
wird ſich plötzlich das bisherige einfache Ziel Frankreichs
komplizieren. Solange der Widerſtand angedauert habe,
habe es gegolten, zu ſiegen. Wenn er niedergeworfen ſei, werde
es darauf ankommen, die allgemeinen Notwendigkeiten Europas
und die Intereſſen und die beſonderen Anſprüche der beteiligten
Völker einander anzupaſſen, und das werde eine furchtbar
ver=
wickelte Aufgabe ſein. Bei dieſer ſogenannten poſitiven
Aufgabe werde Poincaré ſich nicht mehr, wie bisher,
auf eine öffentliche Meinung ſtützen können, deren
In=
ſtinkt ſeine Reflexe und ſeine Akte geleitet, der ihm zuſtimmte
oder ihn gewarnt habe. Er werde es nicht mehr können, weil die
öffentliche Meinung zwar wüßte, was ſie wolle und was ſie nicht
wolle, aber nichts von den feinen Schwierigkeiten der Kunſt
ver=
ſtehe, zu bauen, ebenſo wenig von den Schwierigkeiten des
Bau=
geländes, wie von denen des zu verwendenden Materials und
ſeiner Anordnung. Damit ſei der Architekt ſeinem eigenen
Er=
meſſen überlaſſen und übernehme eine außergewöhnliche
Ver=
antwortung, während gleichzeitig ſein Auftraggeber, Frankreich,
ein außergewöhnliches Riſiko trage. Die politiſche Führung der
künftigen Verhandlungen werde bei Poincaré in den Händen
eines Meiſters liegen. Aber man dürfe die Befürchtung
aus=
ſprechen, daß der Stoff dieſer Verhandlungen
un=
genügend vorbereitet worden ſei. Die heutige Welt,
die gegenwärtigen Bedürfniſſe, die Pſychologie der Nationen
von heute, die materiellen Mittel ſeien nicht mehr diejenigen,
mit denen die Unterhändler des Friedensvertrages von 1919
es zu tun zu haben glaubten. Und wenn es eines Beiſpiels für
dieſen radikalen Wandel bedärfte, ſo würde man es in der
zurückhaltenden Sprache vor ſich haben, mit der die engliſche
Preſſe ſoeben die in Frankreich aus Anlaß der tatſächlich
herz=
lichen Beſprechung zwiſchen Poincaré und Baldwin
aufgekom=
menen Hoffnungen aufgenommen habe. Die Völker ſeien
nicht mehr geſonnen, etwas von ihren Intereſſen dem Gefühl,
noch auch der Erinnerung an den gemeinſamen
Heldenmut zu opfern. Der neue Frieden werde alſo
nur inſoweit wirkſam ſein, als er ſich den Bedürfniſſen
Euro=
pas anwaſſe. Es ſei nicht einmal ſicher, daß in
Frankreich ſelbſt improviſierte Löſungen, eine
willfährige Zuſtimmung finden würden. Es gebe zahlreiche
Anzeichen dafür, daß man angeſichts dieſer oder jener Löſung von
wirtſchaftlicher Tragweite — und faſt das ganze Problem des
neuen Friedens ſei wirtſchaftlicher Art — ein regelloſes
Auf=
treten von Strömungen erleben werde, die einander bekämpfen
und die ſchließlich die franzöſiſche Diplomatie zur Ohnmacht
ver=
urteilen und die nationale Tätigkeit Frankreichs in einen
Zuſtand anarchiſchen Fiebers ſtürzen würden.
Geteilte Meinung in London.
London, 22. Sept. (Wolff.) Der Times zufolge wird
die außerordentliche Befriedigung über die
Zuſam=
menkunft, die in Paris gezeigt werde, in offiziellen
Londoner Kreiſen nicht ganz geteilt, wo man der
Anſicht ſei, daß die wirklichen Hinderniſſe für eine
Zuſammen=
arbeit keineswegs beſeitigt worden ſind und wo die Befürchtung
ausgedrückt werde, daß der vollſtändige Zuſammenbruch und die
Auflöſung Deutſchlands jeden Augenblick erwartet werden könne,
wodurch alle Pläne bedeutungslos würden.
Paris, 22. Sept. (Wolff.) Der Londoner Berichterſtatter
des Petit Pariſien berichtet, Baldwin habe geſtern kurz nach
ſei=
ner Ankunft in London, eine erſte Unterredung mit Lord
Curzon über das Ergebnis ſeiner Verhandlungen in Paris
gehabt. Im Laufe dieſer Unterhaltung ſei der Zeitpunkt des
Zuſammentritts des Kabinetts beſtimmt worden, das ſich mit
dem Reparationsproblem und mit dem engliſch=
franzö=
ſiſchen Abkommen zu beſchäftigen haben würde.
Die Toche.
Kaum jemals wohl iſt die politiſche Lage des deutſchen
Vol=
kes ſo ernſt geweſen, wie im gegenwärtigen Augenblick, und es
würde mehr wie leichtfertig ſein, wenn man ſich nicht überall
darüber Rechenſchaft ablegen würde. Herr Poincaré glaubt ſich
kurz vor dem Ziel. Was das Ende des Weltkrieges den
Fran=
zoſen nicht brachte, der Ruhrkampf ſoll es vollenden. Seit über
einem halben Jahrhundert war das „ceterum eenseo
Germa-
niam esse delendam” das Leitotiv franzöſiſcher Staatskunft.
Das Ende des Deutſchen Reiches ſoll den Franzoſen die
unbe=
ſtrittene Vorherrſchaft in Europa politiſch und wirtſchaftlich
ſichern. Der paſſive Widerſtand an Rhein und Ruhr iſt der
ver=
zweifelte Verſuch eines waffenlos, um ſein Leben kämpfenden
Volkes, ſich feindlicher Vergewaltigung zu erwehren.
Verſtänd=
lich war es daher, wenn man Ausſchau danach hielt, ob nicht von
irgendwoher dem deutſchen Volke in dieſem harten Kampfe Hilfe
kommen könnte. Bedauerlich dagegen war es, daß man ſich
manchevorts hinſichtlich der Möglichkeiten ſolcher Hilfe ſtarken
Illuſionen hingab, und wir haben uns daher ſtets für verpflichtet
gehalten, eindringlichſt vor derartigen Illuſionen zu warnen, und
oft genug haben wir gerade an dieſer Stelle erörtert, daß vom
engliſcher Seite kaum eine wirkungsvolle Hilfe zu erwarden
ſei. Der verhängnisvolle Fehler der engliſchen Kriegspolitik, der
darin beſtand, daß man den richtigen Moment im
Friedens=
ſchluß verpaßte, hat ſich im Laufe der letzten Jahre dahin
aus=
gewirkt, daß Frankreich — allerdings unter Anſpannung ſeiner
letzten Kräfte — zur unbeſtritten erſten Macht Europas werden
konnte, und daß heutte jede Regierung Großbritanniens mit
die=
ſer harten Tatſache vechnen muß. Die franzöſiſche Küſte iſt mit
Flugzeuggeſchwadern geſpickt, und der Ausbau ſeiner
Unter=
ſeebootflotte würde Frankreich im Falle eines engliſch=
franzöſi=
ſchen Krieges infolge der günſtigen Lage ſeiner Küſten eine viel
ſtärkere Bedrohung des engliſchen Welthandels ermöglichen, als
dies bei Deutſchland während des Weltkrieges der Fall war.
Die Zuſammenkunft des engliſchen Premierminiſters mit Herrn
Poinoaré in der vergangenen Woche zeigt wehr als deutlich, daß
man in London wenigſtens im Augenblick beine Möglichkeit ſieht,
der franzöſiſchen Gewaltpolitk, die zweifellos dem engliſchen
Intereſſe geradezu entgegenläuft, ein Paroli zu bieten.
Die Politik des Kabinetts Cuno war auf den
Grundgedan=
ken eingeſtellt, daß England und auch Amerika ihr Gewicht in
die Wagſchale zugunſten Deutſchlands werfen würden, und dieſer
Gedanke war keineswegs ſo abwegig, wie das unſere
ſogenann=
ten Kontinental=Politiker glauben machen möchten. Entſcheidend
war jedoch das, und wir haben es an dieſer Stelle mehrfach
aus=
geſprochen: Englands und Deutſchlands politiſches Intereſſe
läuft hinſichtlich des Ruhrkonflikts zweifellos bis zu einem
ge=
wiſſen Grade parallel. Erſt in dem Augenblick jedoch durfte wan
in Deutſchland auf die wirkliche Unterſtützung Englands rechnen,
in welchem man in London die Ueberzeugung gewann, daß
Deutſchland in der Lage ſein würde, den Kampf gegen
Frank=
reich zu erfolgreichem Ende zu führen.
Als Dr. Streſemann die Leitung der deutſchen
Reichsregie=
rung übernahm, ſah er ſich einer überaus ernſten Lage
gegen=
über. Gerade damals ließ eine Nervenkriſe, wie ſie wohl ein
Volk in einem ſo ſchweren Kampf gelegentlich durchmachen muß,
die Ausſichten der deutſchen Abwehr in recht trübem Licht
er=
ſcheinen, und es iſt daher wohl zu verſtehen, daß der neue
Reichskanzler es unter dieſen Umſtänden für ſeine Pflicht hielt,
ſich darüber zu unverrichten, ob und unter welchen Bedingungen
eine Verſtändigung mit den Franzoſen möglich ſei. Das muß
Ular ausgeſprochen werden, gerade wenn man wie wir ſtets der
Anſicht war, daß eine für Deutſchland irgendwie annehmbare
Verſtändigung mit der Regierung eines Poincaré niemals und
beſonders nicht under den gegenwärtigen Umſtänden möglich
ſein würde. Die Mindeſtforderungen, die jede deutſche
Regie=
rung bei der gegenwärngen Lage ſtellen müßte, hat der deutſche
Reichskanzler wehrfach zu klarem Ausdruck gebracht. Die
Aus=
ſichten jedoch, daß die diplomatiſchen „Unterhaltungen” in
Ber=
lin die Franzoſen davon überzeugen könnten, daß ein weiteres
Entgegenkommen der Reichsregierung ſchlechterdings unmöglich
iſt, müſſen vecht ſchwach erſcheinen. Vor überaus ernſte
Ent=
ſchließungen aber wird ſich die Reichsregierung geſtellt ſehen in
dem Augenblick, in dem endgültig feſtſtehen wird, daß Herr
Poincaré under allen Umſtänden auf einer glatten Kapitulation
Deutſchlands beſtehen bleibt. Nicht um ein leeres Wort handelt
es ſich bei dieſer Kapitulation, ſondern — es wäre frevelhaft,
wenn man ſich darüber irgendwelchen Illuſionen hingäbe — um
das Ende des Deutſchen Reiches, um das Chaos ſchlechthin. Die
Politik muß mit Tatſachen rechnen und guich Imponderabillien
ſind Tatſachen, an denen ein Staatsmann nicht
vorüber=
gehen darf.
Die Rede des bayeriſchen Miniſterpräſidenten v. Knilling
am vergangenen Sonntag verdient inſofern ganz beſondere
Be=
achtung, als hier einmal mit aller Klarheit gewiſſe Dinge
aus=
geſprochen worden ſind. „Es gibt Dinge, bei denen es für uns
in Bayern ein Paktieren nicht gibt”, betonte Herr v. Knilling,
und wer die Stimmng in Bahern einigermaßen kennt, wird
zugeben mütſſen, daß der bayeriſche Miniſterpräſident recht daran
tat, auf die Gefahren hinzuweiſen, die dem Reich erwachſen
würden, falls man in Benlin nicht in der Lage ſein ſollte, das
Reichsſchiff den Kurs zu ſteuern, der von dem Kanzler des
Deutſchen Reiches jedenfalls beabſichtigt iſt. Die Begegnung des
Reichskanzlers mit dem bayeriſchen Miniſterpräſidenten in
Mit=
tenwald hat ergeben, daß zwiſchen beiden Staatsmännern
grundſätzliche Meinungsverſchiedenheiten über die Zielle der
Reichspolitik kaum beſtehen. Die Tuntenhauſener Rede hat auch
in dieſer Hinſicht nur klärend gewirkt. Daß es im Augenblick
mehr denn je die Pflicht der Reichsvegierung iſt, den
Bedürf=
niſſen der Länder Rechnung zu tragen, bedarf keiner Erörterung.
Auf der anderen Seite aber iſt es auch die Pflicht der Länder,
alles zu vermeiden, was eine Belaſtung für die Reichspolitik
be=
deuten könnte. Die Ereigniſſe in Thüringen und Sachſen bilden
ein übevaus trauriges Kapitel der neueſten deutſchen Geſchichte.
Parteipolitiſche Engſtirnigkeit feiert groteske Triumphe.
Der ungeheuere Ernſt unſerer außenpolitiſchen Lage
erfor=
dert gebieteriſch, daß das geſamte deutſche Volk ſich entſchloſſen
hinder ſeine Führung ſtellt. Von dieſer aber muß verlangt
wer=
den, daß ſie den Weg, den ſie ich entſchloſſen hat einzuſchlagen,
miteiſerner Eng. gie verfolgt. Innerpolitiſche Geſundung
iſt die Vorbedingung fü: jede Auße rolitik, welche das Deutſche
Reich zu erhalten in der Loge ſi, und es iſt daher eine der ernſte=
Seeti 2.
Darmſtädter Tagblatt, Sonntag, den 23. September 1923.
Nummer 263.
ſten Aufgaben der Reichsregierung, dieſe innerpolitiſche
Geſun=
dung herbeizuführen. Es iſt natürlich nicht möglich, im Rahmen
dieſer kurzen Ueberſicht das Währungsproblem zu erörtern.
Dar=
über aber muß allgemein Klarheit beſtehen, daß es nur gelöſt
werden kann, wenn Hand, in Hand wit der Währungsreform
eine durchgreifende Finanz= und Wirtſchaftsreform geht. Daß
die Schaffung ſtabiler Verhältniſſe in unſerem Wirtſchaftsleben
nachgerade Lebenswotwendigkeit für das geſamte Volk geworden
iſt, braucht wohl kaum noch geſagt zu werden in einem Lande, in
dem jeder Einzelne täglich und ſtündlich die kataſtrophalen
Wir=
kungen unſeres Elends verſpürt. Gewaltige Opfer wird das
deutſche Volk zu bringen haben, wenn es ſich ſelbſt behaupten
vill. Nur das Volk aber iſt verloren, welches ſich ſelbſt aufgibt. M.
Die Deutſchnationalen gegen Streſemann.
Das deutſchnationale Parteiprogramm.
TU. Berlin, 22. Sept. Auf dem 5. Verbandstag der
Deutſchnationale Volkspartei des Landesverbandes
Mecklenburg=Schwerin ſprach heute der Parteivorſitzende,
Staats=
miniſter a. D. Dr. Hergt, über die Aufgaben der Gegenwart
der Deutſchnationalen Volkspartei. Wir haben, ſo führte er aus,
als ſtaatserhaltende Partei die Pflicht, vor aller Offenulichkeit
darauf hinzuweiſen, wie verkehrt die Politik der Regierng
Streſemann iſt. Wir Deutſchnationalen ſind der Auffaſſung, daß
bei den kommenden Verhandlungen unbedingt die Gelegenheit
benutzt werden muß, um von Verſailles loszukommen. Man muß
aus einer Regierungserklärung entnehmen, daß die Regierung
Streſemann ſich innerlich zu der „Rechtmäßigkeit” der
franzöſi=
ſchen Ruhrbeſetzung bekennt, obwohl ſelbſt engliſche Juriſten
einen Rechtsbruch feſtgeſtellt haben.
Die Nationalliberale Korreſpondenz hat uns vier Fragen
vorgelegt, von deren Beantwortung ſie die weitere Einſchätzung
der deutſchnationalen Politik abhängig machen will. Wir
erken=
nen daraus, daß die Politik des jetzigen Reichskanzlers davon
ausgeht, daß ſie annimmt, machtpolitiſch laſſe ſich eine Löſung
nicht erzwingen. Wir Deutſchnationalen aber denken anders.
Wir glauben an eine machtpolitiſche Löſung. Das bedeutet nicht
ohne weiteres, daß wir einen Krieg mit Frankreich wünſchen.
Es wäre ſchon ein furchtbares Riſiko für Frankreich, wenn es
verſuchen wollte, weiter vorzudringen in Deutſchland. Man
ſollte die Franzoſen endlich einmal vor das Riſiko ſtellen, und
man wird ſehen, daß ſie dieſes Riſiko nicht eingehen.
Wir Deutſchnationalen — und das erklären wir an dieſer
Stelle feierlich und offiziell: Wir werden dieſe Kapitulation
nicht mitmachen. Man hofft regierungsſeitig, daß ſich Poincaré
noch in letzter Stunde bereit finden wird, dieſer Kapitulation
ein diplomatiſches Mäntelchen umzuhängen. Kommt es durch
die Manipulationen des Kabinetts Streſemann und die
Bereit=
willigkeit Poincarés zu einer verſcheierten Kapitulation, ſo
wür=
den wir weiter wie bisher das Sklavenvolk bleiben. Wenn aber
Poincaré ablehnt und es doch noch zum offenen Bruch kommen
ſollte, ſo müßte eine ganz fundamentale Erneuerung eintreten.
Es ſei ein Ding der Umnöglichkeit, daß dieſelben Männer, die
jetzt die Kapitulation vorbereiten, das deutſche Volk bei einem
Aufruf zum weiteren Ausharren im Kampfe hinter ſich finden
werden. Es müſſe dann eine Regierung kommen, die ganz und
gar im deutſchnationalen Sinne eingeſtellt ſei. Wir wiſſen ganz
genau, daß es in dieſem Falle ein ſchlimmes Erbe ſein würde,
das wir antreten. Aber niemals werden wir Deutſchnationalen
uns dieſer Aufgabe, wenn ſie an uns herantreten ſollte, entziehen.
Nach der Rede Hergts as der Vorſitzende des
Landes=
verbandes Schwerin eine Reſolution, die einſtimmig
angenom=
men wurde. In dieſer Reſolution heißt es, der Landesverband
erwarte von der Parteileitung, daß ſie in der klaren Oppoſition
gegenüber der Regierung Streſemann=Hilferding verharre.
Die=
ſer Regierung müſſen wir das Vertrauen verſagen, da ſie Leben
und Eigentum der bürgerlichen Bevölkerung in Stadt und Land
vor den kommuniſtiſchen Terrorakten nicht hinreichend ſchützt,
und da ſie durchgreifende wirtſchaftliche und politiſche
Maß=
nahmen aus Nachgiebigkeit vor der Linken, die in der Regierung
einen übermäßigen Einfluß hat, nicht zu unternehmen wagt.
Wildes Notgeld.
Berlin, 22. Sept. (Wolff.) Durch den letzten Markſturz
und das dadurch bewirkte Anſchwellen der Preiſe und Löhne iſt
ein bedauerlicher Mangel an Reichsbanknoten und anderen
ge=
ſetzlichen Zahlungsmitteln eingetreten. Der Reichsfinanzminiſter
hat ſich genötigt geſehen, in vielen Fällen die Ausgabe von
Not=
geld zu geſtatten, in jedem Falle jedoch genaue Beſtimmungen
über die Anlegung des Gegenwertes des jeweiligen Betrages
aufgeſtellt, die einer mißbräuchlichen Geldmacherei vorbeugen
ſollen. Indeſſen iſt daneben auch von zahlreichen Stellen
Not=
geld ohne jede Genehmigung ausgegeben worden, wobei
ſelbſt=
verſtändlich die von der Behörde verlangten
Sicherheitsmaßnah=
men nicht getroffen ſind. Wie wir von zuſtändiger Stelle
erfah=
ren, wird gegen dieſes wilde Notgeld mit aller Schärfe
vorge=
gangen. Es wird unnachſichtlich ſeine ſchleunigſte Einziehung
verlangt und nötigenfalls erzwungen werdem.
Geiſtige Führer der Gegenwart über die
evangeliſche Landeskirche.
Rundfrage zum 75jährigen Jubiläum der Inneren MNiſſion.
epd. Am 23. September jährt ſich zum 75. Male der Tag,
n dem Johann Hinrich Wichern von dem Wittenberger
Kirchen=
ag jenen zündenden Appell für das Werk der Inneren Miſſion
gehen ließ, der zur Gründung des Zentralausſchuſſes für die
innere Miſſion der deutſchen evangeliſchen Kirche führte. Auf
ne anläßlich dieſes Gedenktages veranſtaltete Rundfrage nach
er Bedeutung der evangeliſchen Liebestätigkeit ſind u. a. die
olgenden Antworten eingelaufen:
In unſeren Tagen ungeahnter und unermeßlicher Not hat
ich eine von echter Liebe getragene private Wohlfahrtspflege
Is offenbare Staatsnotwendigkeit erwieſen. Jeder Deutſche
ollte heute mehr denn je ſich auf dieſem Gebiete betätigen. Ich
bünſche darum der Inneren Miſſion der deutſchen evangeliſchen
irche zu ihren Apoſtolat der Wohlfahrtsplege Glück und Gottes
egen!“
Dr. H. Brauns, Reichsarbeitsminiſter, Berlin.
In den 75 Jahren des Beſtehens des Zentralausſchuſſes iſt
eine Fülle von Segen für unſer Volk von den „Arbeiten der
Inneren Miſſion ausgegangen, die in dieſer Zeit ſchwerſter
ſeeli=
ſcher und leiblicher Not weniger denn je entbehrt werden können.
Möchte auch für die Innere Miſſion das Schriftwort gelten:
Dein Alter ſei wie Deine Jugend!
Dr. O. Boelitz,
Pr. Miniſter für Wiſſenſchaft, Kunſt und Volksbildung, Berlin.
Die ſittliche und nationale Erneuerung unſeres Volkes nach
deutſcher und chriſtlicher Art iſt die erſte Vorausſetzung für die
Rettung aus der Not. In dieſem Sinne zu wirken, muß heute
mehr denn je die wichtigſte Aufgabe der Innerem Miſſion ſein.
Dr. v. Kahr, Regierungspräſident von Bayern, München.
In dieſer ſchweren Zeit iſt es notwendiger als je, daß dem
Volk die Religion erhalten bleibt.
Dr. Cuno, Reichskanzler a. D., Berlin.
Die Innere Miſſion als Geſamtorganiſation und mehr noch
als Einzelleiſtung unzähliger unbekannter Jünger und
Jünge=
rinnen des Heilandes erſcheint mir als der größte Beitrag, den
das evangeliſche Deutſchland im letzten Jahrhundert für den
Beweis der Wahrheit des Chriſtentums gegeben hat.
D. Adolf Deißmann, Univerſitätsprofeſſor, Berlin.
Ein Vorſtoß ins unbeſetzte Gebiet.
Münſter, 22. Sept. (Wolff.) Eine Kompagnie
franzöſi=
ſcher Infanterie drang heute früh 8,15 Uhr bis zur Brücke beim
Bahnhof Schwerdte im unbeſetzten Gebiet vor, kehrte aber nach
einiger Zeit zurück. Es handelte ſich angeblich um einen
„Uebungswarſch”.
Täuſchungsverſuch.
Münſter, 22. Sept. (Wolff.) Auf der Zeche Dorſtfeld
ver=
brennen die Franzoſen leere Oelfäſſer, um dadurch den
Anſchein zu erwecken, als ob ihnen die Inbetriebſetzung der
Kokereien gelungen ſei.
Wiederaufnahme der Gasbelieferung.
Münſter, 22. Sept. (Wolff.) In Gelſenkirchen hat
ſich die Stadtverwaltung entſchloſſen, die Gasbelieferung wieder
aufzunehmen, da die Beſatzungsbehörde Sanktionen angedvoht
hat, durch die der Bevölkerung mehr Schaden erwachſen würde.
Franzöſiſche „Lebensmittelverſorgung”.
Münſter, 22. Sept. (Wolff.) In Kirchhörde begeben ſich
tatſächlich größere Trupps des franzöſiſchen Infanterie=
Regi=
ments 151 auf die Felder und ſtehen Feldfrüchte, hauptſächlich
Kartoffeln.
Diebſtähle.
Berlin, 22. Sept. (Wolff.) Am 18. September ſind bei
der Reichsbanknebenſtelle in Neuß 12 Milliarden fortgenommen
worden. Bei der Reichsbankſtelle München=Gladbach
ent=
wendeten die Belgier am 19. September 70 Milliarden Mark.
Mit dem Bargeld wurde ein Teil der vom Reich angekauften
Wechſel von den Belgiern mitgenommen. Aus Dortmund
wird geweldet, daß die Franzoſen in der Druckerei Crüwell in
Dortmund am 20. September wiederum 2 Billionen Mark
fer=
tiger Reichsbanknoten fortgenommen haben.
Deutſchland und der Völkerbund.
Paris, 22. Sept. (Wolff.) Zu dem Beſchluß der
Ab=
rüftungskommiſſion ſchreibt das Echo de Paris: Gegen die
Stimme des franzöſiſchen Vertreters hat die Kommiſſion
beſchloſ=
ſen, daß die Staaten, die heute dem Völkerbund nicht
ange=
hören, unter anderen auch Deutſchland, dem allgemeinen
Abrüſtungspakt ſofort beitreten können. In der Praxis
bedeute das, daß Deutſchland in den Völkerbund, durch eine
Hintertür eintreten könne, ohne die für ſeinen
Bei=
tritt erforderlichen Bedingungen (Erfüllung der Verträge) erfüllt
zu haben, und daß auf alle Fälle keine beſonderen Allianzen, die
automatiſch im Augenblick der Gefahr ſpielen ſollen, gegen
Deutſchland ſowie gegen irgend ein anderes Land Geltung haben
können. Die Angelegenheit habe ihre Bedeutung. Viele Leute
hätten tatſächlich geglaubt, daß es uns leicht ſei, uns auf den
Völkerbund zu ſtützen hinſichtlich des Syſtems der Garantie der
Artikel 42, 43 und 44 des Friedensvertrages, die von der
Ent=
militariſierung der Rheinlande handeln und zu
denen wir greifen ſollen in den Jahren, die den jetzt in den
Ver=
trägen feſtgeſetzten Beſetzungsperioden folgen. Wenn der Wille
der Abrüſtungskommiſſion endgültig durchgeführt wird, müſſen
wir andere Grundlagen ſuchen.
Die Kriſe des Völkerbundes.
Paris, 22. Sept. (Wolff.) Der Völkerrechtslehrer Prof.
Georges Scelle ſpricht von einer Kriſeim Völkerbund,
die er im Oevre auf die Behandlung der Kompetenzfrage im
griechiſch=italieniſchen Konflikt zurückführt. Nach ſeiner Anſicht
iſt es ſehr ernſt für den Völkerbundsrat ſelbſt, daran zu denken,
den Streitfall vor den internationalen Gerichtshof zu bringen;
denn dadurch werde der erſte Schritt unternommen zu einem
Sy=
ſtem, den Haager Gerichtshof zum Schiedsrichter über die
Kompetenz gewiſſer Organe des Völkerbundes zu machen,
wo=
durch ihm eine konſtitutionelle Vorherrſchaft über
alle Organe des Bundes gegeben würde. Profeſſor
Scelle ſieht nicht ohne Mißvergnügen dieſen Vorrang des
Rich=
ters über die Politik; denn ein des Namens würdiger Richter
habe oft mehr Autorität, aber immer mehr Mut als ein
Diplo=
mat. Daß die Dinge ſo kommen mußten, führt der
Völkerrechts=
lehrer zum Teil auf die franzöſiſche Politik zurück, über
die er folgendes Urteil fällt: Die Kriſe des Völkerbundes könne
vom innerpolitiſchen Geſichtspunkte für die Franzoſen heilſam
ſein, wenn ſie begriffen, daß der rückſchrittliche
Natio=
nalismus und die kleinliche Politik, die man am Quai d’Or=
Die Innere Miſſion fing klein und verachtet an. Das iſt
charakteriſtiſches Kennzeichen allen chriſtlichen Werdens. Aber
der Fruchtkern trug die Kraft in ſich, weltweit zu werden. Sie
hat der Menſchheit die Augen für ihre Not geöffnet, ſie hat ueben
die Forderung ſelbſtloſer Liebe das Streben nach Verwirklichung
der Gerechtigkeit geſetzt. Ohne Innere Miſſion kein wahrhaft
ſoziales Verſtändnis. Ohne die Vorarbeit Wicherns keine ſoziale
Botſchaft des erſten deutſchen Kaiſers.
D. Dr. Michaelis, Reichskanzler a. D., Saarow.
Die Innere Miſſion der deutſchen evangeliſchen Kirche hat
ſich die hohe Aufgabe geſtellt, in chriſtlicher Liebesarbeit die Not
auf allem Gebieten zu lindern und damit dem Vaterland beim
Wiederaufbau zu helfen und auch den Proteſtantismus, zu
ſtär=
ken, als einen der Grundpfeiler der Entwickelung des deutſchen
Volkes.
Ludendorff, Generalmajor, München.
Nur durch eigene innere Kraft kann Deutſchland aus tiefer
Erniedrigung erſtehen. Dieſe ſittlichen Kräfte zu erhalten und
zu heben war und iſt das Ziel der Inneren Miſſion in
uner=
müdlichem Schaffen und ſelbſtloſer Aufopferung. Mehr denn
je ſollte das deutſche Volk erkennen, daß kein Opfer zu groß iſt,
um die Tätigkeit der Inneren Miſſion als wirkſame Hilfe zur
Wiedergeburt Deutſchlands zu fördern.
Eleonore Großherzogin von Heſſen.
Die Innere Miſſion der evangeliſchen Kirche hat das
unver=
gängliche Verdienſt, daß ſie die Blicke auf die großen, ganze
Volksſchichten erfaſſenden leiblichen und ſittlichen Notſtände
ge=
richtet und Kräfte geſammelt und in Bewegung geſetzt hat, um
in der Vollmacht des Glaubens und dem Geiſt des barmherzigen
Samariters durch Wort und Tat Hilfe zu bringen.
D. Moeller,
Präſident des Deutſchen Evang. Kirchenausſchuſſes, Berlin.
Die Innere Miſſion darf nie vergeſſen oder verſchweigen,
baß ſie „Miſſion” iſt, d. h. Dienſt an den Seelen. Das gibt ihrer
Arbeit ihre Eigenart und Kraft und macht ihren Dienſt erſt zu
wirklicher Hilfe. Möge unſer Volk, das der Hilfe bedarf, auch
die Hand ergreifen, die ihm geboten wird!
D. Veit, Kirchenpräſident, München.
Chriſti Lehre iſt der Lebensnerv unſeres Volkes. Es iſt
eine Verruchtheit, ihn abtöten zu wollen. Die Innere Miſſion
iſt beſtrebt, ihn lebendig und ſtark zu erhalten. Sie fördern,
heißt Heilsarbeit leiſten an unſerem Volke. Gott ſegne ſie!
Dr. Dietrich Schäfer, Univerſitätsprofeſſor,
Claustal i. Harz.
ſay mache, nicht allein das auswärtige Preſtige Frankreichs,
ſon=
dern auch die Zukunft der friedlichen Einrichtung gefährdeten.
zu deren Stützen, nicht aber zu deren Feinden die Franzoſen in
ihrem eigenen Intereſſe ſich machen ſollten.
Indiſche Kritik am Völkerbund.
Genf, 22. Sept. (Wolff.) Die Völkerbundsverſammlung
ſchloß heute ihre politiſche Ausſprache über den Ratsbericht ab.
nochdem nach die Vertreter Indiens, Südafrikas und Schtbedens
geſprochen hatten. Der indiſche Vertreter ſpielte auf die
griechiſch=
italieniſche Frage an und führte aus, daß die Zuſtändigkeit in
Streitfällen zwiſchen Völkerbundswitgliedern unzweifelhaft ſei
und eine Verletzung der Grundſätze des Paktes alle anderen
Ent=
ſcheidungen des Völkerbundes zweifelhaft macht.
Vereinbarung zwiſchen Danzig und Polen.
Genf, 21. Sept. (Wolff.) Zwiſchen Danzig und
Po=
len wurde heute eine Vereinbarung, über die Stellung
Polens zu der neuen Danziger Währung abgeſchloſſen, die
morgen unterzeichnet wird und dann dem Völkerbundsrat
zugehen ſoll. Die Verhandlungen, die ſeit einigen Tagen
wäh=
ren, wurden von dem Danziger Finanzſenator Dr.
Volk=
mann, dem polniſchen diplomatiſchen Vertreter in Danzig,
Plucinski, und dem zeitweiligen polniſchen Finanzminiſter
unter Mitwirkung des Finanzkomitees des Völkerbundes geführt.
Durch die Vereinbarung ſind alle Schwierigkeiten, die ſich der
neuen Danziger Währung von polniſcher Seite entgegenſtellen
könnten, behoben.
Am Dienstag engliſcher Kabinettsrat.
London, 22. Sept. (Wolff.) Dem parlamentariſchen
Berichterſtatter des Daily Telegraph zufolge wird erwartet, daß
der Kabinettsrat für Dienstag einberufen wird.
Reuter zufolge werde Baldwin zweifellos die Anſichten
der Premierminiſter der Dominions einholen, da ein
ſol=
cher Schritt ſeine Stellung beträchtlich ſtärken würde.
Die Lage in Aegypten.
London, 22. Sept. (Wolff.) Einer Reutermeldung aus
Kairo zufolge bezeichnete der Nationaliſtenführer Zaglul
Paſcha in einer Unterredung die augenblickliche Lage in
Aegypten als beklagenswert. Niemals ſeit 1832 habe
Aegyp=
ten in einer gefährlicheren Atmoſphäre der Unſicherheit gelebt
als jetzt. Die Verfaſſung, die dem ägyptiſchen Volke viel zu geben
ſcheine, gebe in Wirklichkeit nichts. Die britiſche Verwaltung
habe ſich nur äußerlich verändert. Die Lage ſei ernſt. Das
ägyptiſche Volk müſſe verſtehen, daß es ſeine Pflicht ſei, alle
Kräfte zu vereinigen, Vertreter zu wählen, die im Parlament
ihre Stimme erhöben und ihren Willen zum Ausdruck brächten.
Die Kommuniſtenunruhen in Bulgarien.
Sofia, 22. Sept. (Wolff.) Zu den
Kommuniſten=
unruhen wird durch die bulgariſche Telegraphen=Agentm
mitgeteilt, daß in Tſchirpan bei einem Angriff der
Kom=
muniſten auf das Polizeiamt ſechs Angreifer getötet
und zwölf verhaftet wurden. Außer in Stara=Zagora, Nova=
Zagora und Tſchirpan ereigneten ſich in Bulgarien keine
Zwi=
ſchenfälle. Zurzeit herrſcht überall Ruhe.
Einwanderung in die Vereinigten Staaten.
Durch die Tagespreſſe ging von kurzem eine ſich angeblich auf
Mit=
teilungen aus Waſhington ſtützende Meldung, daß das diesjährige
Ge=
ſamtkontingent der nach dem gegenwärtigen Einwanderungsgeſetz in den
Vereinigten Staaten zuzulaſſenden Einwanderer bereits in nächſter Zeit
erſchöpft ſei und die Einwanderung dann bis zum Abſchluß des
laufen=
den Einwanderungsjahres, nämlich bis Ende Juni 1924, aufhören müſſe.
Dieſe Nachricht iſt unzutreffend. Nach den vom amerikaniſchen
Einwan=
derungsamt herausgegebenen Statiſtiken hat bisher keines der wichtigſten
Herkunftsländer die zuläſſige Einwanderungshöchſtzahl erreicht.
Insbe=
ſondere haben die Einwanderer aus Deutſchland noch nicht einmal die
Monatsquote für Juli und Auguſt erſchöpft. Die Gefahr einer
Zurück=
weiſung von deutſchen Auswanderern wegen Ueberſchreitung der
Jahres=
quote beſteht alſo, ſoweit ſich bis heute überſehen läßt, für die nächſten
Monate nicht. Im vorigen Einwanderungsjahr iſt bekanntlich die
zu=
läſſige Höchſtzahl der Einwanderer aus Deutſchland überhaupt nicht
er=
reicht worden.
Die Innere Miſſion will eine revolutionäre Bewegung ſein.
Sie iſt ein Aufſtand der bewußten Chriſten wider den
Despo=
tismus des Böſen und den Druck des Uebels in einem Volke.
Sie ſammelt und ſendet Freiſcharen aus zum heiligen Krieg
wider die eingewurzelten Vorurteile des landläufigen
Unglau=
bens und wider deſſen Zwillingsbruder, den gemeinen und
gemeingefährlichen Egoismus. Ein ewig Geſtriges ſind dieſe
beiden Feinde, aber ſie mühen ſich, des Heute Herr zu werden,
damit der Fortſchritt zu einem hellen und frohen Morgen nie
gemacht werde. Gegen dieſen Rückſchritt und Stillſtand lehnt
ſich die Innere Miſſion auf. An Stelle des leeren Unglaubens
und des nie geſättigten Egoismus, die das Verderben und den
Niedergang der Völker hervorbringen, will ſie den Glauben und
die ſoziale Liebe, die den Aufſtieg der Völker nach den Lehren
der Geſchichte begleiten. Gegenüber dem Rückſchritt der
Geſin=
nung, der ſich trotz aller fortſchrittlichen Fragen bei uns
auszu=
breiten beginnt, vertritt die Innere Miſſion den Fortſchritt zu
neuen und dauerhaften Kräften. Wem über dem ſalzloſen
Ge=
jede der ewig Geſtrigen der Sinn für Gut und Böſe, für Erſtes
und Letztes nicht erſtorben iſt, wer an eine Zukunft unſeres
Vol=
kes glaubt, deſſen Platz muß heute unter den Freunden und
Förderern der Inneren Miſſion ſein, ſelbſt dann, wenn er für
ſeine private Anſchauung ſich andere Farben ausgeſucht hat, als
die Innere Miſſion ſie führt.
D. Dr. Reinhold Seeberg, Univerſitätsprofeſſor, Berlin.
Was mich in dieſen ſchweren Tagen mit ſo viel Hoffnung
für die Innere Miſſion erfüllt, das iſt vor allem die Tatſache,
daß ſie nach Wicherns oft vergeſſener Andeutung ſich wieder
zielbewußt zu ihrer ſozialen Aufgabe hingewendet, ohne dadurch
auch nur das wenigſte ihrer geiſtlichen Innerlichkeit zu
ver=
lieren.
Dr. Slotemaker de Bruine, Univerſitätsprofeſſor,
Utrecht.
Uinter den vielen Arbeitsfeldern der Inneren Miſſion iſt
eines, mit dem der eigene Lebensberuf als Kriminaliſt mich im
enge Beziehungen gebracht hat: Gefangenenpfleg= und Fürſorge
für entlaſſene Sträflinge. Beide haben ihren tiefſten
Grund=
gedanken in der Anerkennung des Ewigkeitswertes durch
Einzel=
perſönlichkeit, in der Rettung aus leiblicher und ſeeliſcher Not,
und darum ihren Heimatboden in der Inneren Miſſion. Das
Beſte ihres geiſtigen Gehalts und ihrer äußeren Erfolge
ver=
danken wir den beiden Herolden des Werkes der Inneren
Miſ=
ſion: Theodor Fliedner, dem Gründer des rheiniſch=weſtfäliſchen
Gefängnisvereins, und Johann Hinrich Wichern, dem
einfluß=
reichen Reformator des Gefängnisweſens unter Friedrich
Wil=
helm IV. Noch heute keine Tagung über Gefangenen= oder Ent=
hüb
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Nummer 263
en.
mStaaten.
Darmſtädter Tagblatt, Sonntag, den 23. September 1923.
Seite 3.
Nochmals zur Beamtenbeſoldung.
Von
Profeſſor D. Schian, M. d. L.
Die Fragen der Beamtenbeſoldung ſind jetzt gewiß nicht die
wichtigſten. Aber ſehr wichtig ſind ſie doch. Sind ſie nicht
be=
friedigend geregelt, ſo kann ein geordnetes Staatsweſen nicht
beſtehen. Alſo nochmals einige Worte zu dieſer Sache!
Die Vorauszahlung für drei Monate wird beſeitigt. Die
Beamtenſchaft ſtimmt in der Erkenntnis der Notlage zu. Das iſt
ein Beweis dafür, daß die Beamtenſchaft dem Staat jedes
Opfer zu bringen bereit iſt, das ſie bringen kann.
Die Vorauszahlung für einen Monat bleibt beſtehen.
Widerſprechende Meldungen waren falſch. Man ſollte ſich heute
zehnmal bedenken, ehe man beunruhigende Nachrichten in die
Welt ſetzt. Dieſe Vorauszahlung hat für Monate mit rapid
fallendem Geldwert leider wenig Bedeutung; das
Voraus=
bezahlte hat ja nach kurzer Friſt ſeinen Wert verloren. Aber
ſie iſt trotzdem unbedingt erforderlich. Denn ſie iſt, auch wenn
ſie raſch überholt wird, das einzig Feſte, worauf die Mehrzahl
der Beamten rechnen kann.
Der Jammer der heutigen
Beamtenbeſol=
dung liegt darin, daß der Beamte überhaupt
nicht mehrweiß, woraner iſt. Er teilt dieſes Los, was
die Ziffern des Gehalts betrifft, mit allen Deutſchen. Aber er
iſt ſchlechter als viele andere geſtellt, was den Termin des
Empfangs betrifft. Manche Beamtenkategorien erhalten — das
führte ich ſchon neulich aus — ihre „Nachzahlungen” raſch;
an=
dere — die meiſten — warten eine Woche, zwei Wochen, auch
länger. Die Penſionäre und die Witwen warten Monate lang.
Je kürzer die Friſten, für die Nachzahlungen gewährt werden,
bemeſſen werden, um ſo mehr ſteigert ſich die Arbeit der
Amts=
ſtellen, der Kaſſen; um ſo länger muß der Beamte warten.
Die=
ſer Zuſtand iſt nicht tragbar. Er muß unter allen Umſtänden
beſeitigt werden. Die oberſten Inſtanzen dürfen ſich nicht damit
begnügen, auf das Datum der Anweiſung, die ſie ſelbſt
unter=
ſchrieben haben, hinzuweiſen. Sie müſſen den Geſchäftsgang
bis in ſeine Ausläufe verfolgen. Sie müſſen dafür ſorgen, daß
die Beamten zu beſtimmten Terminen ihren Gehalt bekommen.
Die ungeheure Unſicherheit,, die jetzt beſteht, darf nicht andauern.
Sie würde die Beamtenſchaft zur Verzweiflung treiben.
Ausdrücklich hebe ich nochmals hervor, daß die Nöte bei den
Penſionären und den Witwen am größten ſind. Mir ſind
erſchüt=
ternde Notſchreie zugekommen. Ihnen gegenüber darf man nicht
bloß mit einem Achſelzucken auf die Ueberlaſtung der Aemter
hinweiſen. Es müſſen Wege gefunden werden, die Hilfe
bringen.
Die Einführung eines wertbeſtändigen Zahlungsmittels in
Verbindung mit der prompten monatlichen Vorauszahlung
würde helfen. Aber wann geſchieht ſie?
Daß die ſo lange angekündigte Reviſion des
Beſol=
dungsgeſetzesfür Heſſen noch immer nicht kommen will,
iſt vielen heſſiſchen Beamten ein beſonderer Schmerz.
Diejeni=
gen Beamten, die eine Beſſerſtellung erhoffen durften, ſehen ſich
von Tag zu Tag in ihren beerchtigten Erwartungen getäuſcht.
Wenn nur nicht über dem, was die kommenden Wochen bringen
werden, die Arbeit der Beſoldungsnovelle aufs neue
zurück=
geſtellt werden muß!
Die deutſchen Beamten wiſſen, daß ſie in einem in allen
Fugen ächzenden Staatsweſen nicht eine ruhige und geſicherte
Exiſtenz führen können. Sie werden bereit ſein müſſen, auch
ſchwere Opfer zu bringen. Aber der jetzige Zuſtand alſoluter
Unſicherheit auch in bezug auf die Termine muß beſeitigt
wer=
den. Der Arbeiter bekommt ſeinen Wochenlohn am feſten Tag;
der Beamte bekommt ihn — von der geringen Vorauszahlung
ab=
geſehen — irgendwann einmal —, nach Wochen tielleicht, die
Witwe ihre Penſion nach Monaten. Das kann ſo nicht bleiben,
ſonſt treten ganz ſchlimme Folgen ein.
Das eindrücklich auszuſprechen, war der Zweck dieſer Zeilen.
Zur Lage der Beamtenſchaft.
Vom Vorſtand des Heſſiſchen Beamtenbundes wird uns
geſchrieben:
Einigen irrigen Zeitungsnachrichten Berliner Blätter
gegen=
über geſtatten wir uns die Feſtſtellung, daß die Beamten für
die erſte Septemberhälfte keinerlei
Nachzah=
lung erhielten, trotzdem bie Regierung gemäß dem
Wert=
beſtändigkeitsabkommen zu einer Nachzahlung verpflichtet
gewe=
ſen wäre, und trotzdem die Tatſache zu verzeichnen war, daß der
Poſtſchaffner in der erſten Septemberhälfte um
95, 1 Millionen weniger erhalten hatte, als der
angelernte Staatsarbeiter. Der Beamte erhielt für dieſe Zeit
nämlich nur 95 112000 Mark, während der Staatsarbeiter 204,6
Millionen Mark bekommen hatte. Soweit der Staatsarbeiter,
was bei mehr als der Hälfte der Fall iſt, in Akkord arbeitet, iſt
der Verdienſt noch um ein Drittel höher.
Der im Laufe der Beſoldungsverhandlungen letzter Woche
erzielte Angleich der Beamtenbezüge an die Geldentwertung der
zweiten Septemberhälfte entſppicht demgegenüber einem
In=
der von nur 11 184000, bleibt alſo nach der bis heute bekannten
Entwichlung der Großhandelsziffer um die Hälfte hinter
der tatſächlichen Preisſteigerung zurück. Ueberdies hat die
Reichs=
regierung entgegen den vom Reichstag ſanktionierten, auf dem
Beſoldungsgeſetze beruhenden Rechtsgrundlagen für die
Nach=
zahlungen den Beamten eine achttägige Zahlungsweiſe, ſtatt der
bisher 14tägigen angeboten. Die Reichsrogierung begründet dies
mit Mangel an Zahlungsmitteln. Die Beamten richten an die
Reichsregierung die Frage, was ſie getan hat, um dieſe
Zah=
lungsmittelknappheit zu hindern? Die Reichsregierung mußte,
nachdem ſie in der zweiten und dritten Septemberwoche den
Ar=
beitern Lohnerhöhungen bewilligt hatte, für die Zahlungen der
Beamten, die am 23. d. Mts. zu erfolgen gehabt hätten, die
ent=
ſprechenden Banknoten vorbereiten, ſofern ſie ihren rechtlichen
Verpflichtungen gegenüber der Beamtenſchaft, nachkommen
wvollte. Die Erklärung der Regierung, ſie könne aus Mangel
an Zahlungsmitteln nicht zahlen, beweiſt, daß ſie ihren
recht=
lichen Verpflichtungen gegenüber den Beamten nicht rechtzeitig
die nötige Beachtung geſchenkt hat.
Die Nachrichten über die ſtündlich ſteigende Beunruhigung
in der Beamtenſchaft müſſen leider in vollem Umfang beſtätigt
werden.
Die neuen Bezüge für Staatsbeamten und =Arbeiter.
Berlin, 22. Sept. (Wolff.) Der Haushaltsausſchuß des
Reichstags beſchäftigte ſich mit der Anpaſſung der
Beamten=
gehälter und Reichsarbeiterlöhne an den veränderten Geldwert.
Nach Mitteilung der Reichsregierung über die Meßzahl der
Er=
hebungen zwiſchen dem Reichsfinanzminiſter und den
Spitzen=
organiſationen iſt die Meßzahl für das vierte Septemberviertel
bei den Beamtengehältern mit 7000 in Ausſicht genommen. Für
die örtlichen Sonderzuſchläge beträgt die Meßzahl für Berlin
1085, in Hamburg 1785, in Köln und Eſſen 3675. Die
Frauen=
zulage ſoll von jetzt ab ebenfalls nach Grundbetrag und Meßzahl
berechnet werden. Der Grundbetrag ſoll ſich auf 50 000 Mark
pro Monat belaufen. Das würde für Berlin eine monatliche
Frauenzulage von 404 250 000 Mark ergeben. Der Ausſchuß traf
die Abmachung zur Auszahlung der Teuerungszuſchläge gemäß
den Vereinbarungen zwiſchen dem Reichsfinanzminiſterium und
den Spitzenorganiſationen und vertagte ſich.
Die neuen Bergarbeiterlöhne.
TU. Berlin, 22. Sept. Die Löhne für den
Kohlenberg=
bau in der Lohnwoche vom 17. bis 24. September ſind geſtern
durch Schiedsſpruch eines vom Reichsarbeitsminiſterium
einge=
ſetzten Schlichtungsausſchuſſes feſtgeſetzt worden. Danach beträgt
der Durchſchnittstariflohn einſchließlich des Hausſtands= und
Kindergeldes für den Ruhrbezirk 160 Millionen, für den
ober=
ſchleſiſchen Steinkohlenbezirk 120 Millionen, für den ſächſiſchen
Steinkohlenbezirk 112 Millionen und für die Kernreviere des
mitteldeutſchen Braunkohlenbergbaus 108 Millionen Mark.
Die neuen Kohlenpreiſe.
TU. Berlin, 22. Sept. Wie der Vorwärts mitteilt, ſind
die neuen Kohlenpreiſe in Goldmark gemäß der Feſtſetzung der
neuen Bergarbeiterlöhne durchſchnittlich um 30—34 Prozent
heraufgeſetzt worden.
Oeviſenbeſchlagnahme in Leipzig.
Leipzig, 22. Sept. (Wolff.) Nach einer Mitteilung des
Landesfinanzamtes in Leipzig iſt man in den letzten Tagen auch
in Leipzig dem illegalen Handel mit Deviſen und Noten
tatkräf=
tig zu Leibe gegangen und konnte dabei ausländiſche
Zahlungs=
mittel im Wert von über 1½ Billionen beſchlagnahmen. In
einem hieſigen Bankgeſchäft haben Ermittelungen zur Aufdeckung
groß angelegter Steuerhinterziehungen und unerlaubter
Deviſen=
geſchäfte geführt.
Erhöhung der Großhandelspreiſe um 158,2 Prozent.
U. Berlin 22. Sept. In der Woche, beginnend mit dem
15. September und endigend mit dem 21. September, hat ſich
der Großhandelspreis nach den Berechnungen der
In=
duſtrie= und Handelszeitng von 18943 813,98 auf 47900 772,98,
alſo um 148,2 Prozent erhöht. Unter dem Einfluß der Umſtellung
der Kohlenpreiſe auf Dollarmark erfährt die Gattung Kohlen
und Eiſen eine Steigerung von 176,7 Prozent. Die Steigerung
aller anderen Gattungen folgte erheblich und iſt mehr als doppelt
ſo hoch als die Markentwertung nach dem Dollar gemeſſen.
Ge=
treide und Mehl ſtiegen um 153 Prozent, Schmalz und Fett um
122,5 Prozent.
Teuerungsunruhen in Hindenburg.
Hindenburg, 22. Sept. (Wolff.) In den
Mittagsſtun=
den fanden hier große Teuerungsdemonſtrationen ſtatt.
Gewal=
tige Arbeitermaſſen durchzogen die Straßen und drückten ihren
Unmut über die hohen Preiſe aus, die trotz des geſunkenen
Dol=
larſtandes nicht herabgeſetzt worden waren. Aus der Nähe
her=
beigezogener Schutzpolizei gelang es bisher, die Ordnung
auf=
recht zu erhalten.
Stadt und Land.
Darmſtadt, 23. September.
Kartoffelverſorgung.
Schon vor Wochen iſt an dieſer Stelle die Bevölkerung
dar=
aff aufmerkſam gemacht worden, daß es in dieſem Jahre
drin=
gend notwendig iſt, daß ſie ſich rechtzeitig mit ihrer
Winterver=
ſorgung mit Kartoffeln befaßt und alsbald vorſorglich alle
ein=
leitenden Schritte unternimmt, um die Wintereindeckung zu
er=
möglichen. Wer in dieſer Richtung noch nichts unternommen hat,
ſei daran erinnert, daß es nun höchſte Zeit iſt, die Sache in
An=
griff zu nehmen und nicht mehr auf die lange Bank zu ſchieben.
Jeder, der bisher ſeine Kartoffeln direkt vom Landwirt
be=
zögen hat, ſoll dieſe Verbindung wieder aufnehmen, und
ver=
ſchen, daß er auch für dieſes Jahr ſeine Belieferung zugeſagt
erhält. Wer das nicht erreichen kann, muß ſich alsbald an die
hieſigen Händler oder an ſeine Genoſſenſchaft wenden und dort
ſeinen Bedarf anmelden. Die Vereinigung des Darmſtädter
Einzelhandels iſt gebeten worden, alsbald diejenigen ihrer
Mit=
glieder bekannt zu geben, die Beſtellungen auf Winterkarooffeln
annehmen wollen. Sollden die hieſigen induſtriellen oder
ande=
ren Betriebe, Firmen oder Dienſtſtellen die Wintereindeckung
ihrer Angeſtellten und Arbeiter ſelbſt in die Hand nehmen, dann
müßten bei dieſen Stellen die Bedarfsanmeldungen erfolgen.
Auch ihnen muß dringend ans Herz gelegt werden, den
Kartoffel=
ankauf nicht direkt durch eigenes Perſonal zu tätigen, ſondern
ſich hierzu des dazu berufenen Händels zu bedienen.
Wenn Händler und Genoſſenſchaften bei der Anmeldung
eine größere Anzahlung verlangen, dann ſoll der Beſteller
ſich ernſtlich benühen, die geforderten Beträge ſelbſt
aufzubrin=
gen und möglichſt noch über dieſe Beträge hinaus alsbald
wei=
tere Beträge einzahlen und auch fernerhin im voraus in
regel=
näßigen, möglichſt kurz bemeſſenen Abſchnitten weitere
Einzah=
lungen wachen. Kann der Beſteller trotz gewiſſenhafter
Be=
mühung die geforderte Anzahlung nicht aufbringen, dann ſoll er
ſeinen Arbeitgeber um Hilfe angehen. Kann der letztere nicht
einſpringen — was aber bei Reich, Staat, Stadt, anderen
öffentlichen Körperſchaften und Betrieben, bei den größeren und
großen Induſtriebetrieben, dem Handel, den Banken, größeren
Geſchäften uſw. unbedingt gefordert werden muß — dann hilft
die Stadt und leiſtet gegen entſprechende Sicherheit, Bürgſchaft
uſw. die erbetene Hilfe. Die gleiche Hilfe leiſtet ſie auf Anruf
auch allen denjenigen, die in keinem feſten Arbeitsverhältnis
ſtehen, alſo den ſelbſtändigen Handwerkern und Geſchäftsleu
den Angehörigen der freien Berufe uſw. Geſuche dieſer Art ſind
bei der Stadtkaſſe unter Vo age des Lebensmittelausweiſes
mündlich vorzubringen, mit der auch alles weitere, namentlich
wegen der Abzahlung und Verzinſung der Kredite, zu
verein=
baren iſt. Auf eine weitergehende Hilfe als für 4 Zentner auf
den Kopf kann ſich die Stadt im Hinblick auf ihre Finanzlage im
Einzelfalle aber nicht einlaſſen. Wer mehr beziehen will, muß
den Mehrbedarf unter allen Umſtänden ſelbſt finanzieren.
In derſelben Weiſe wird die Stadt, wie ſie das auch ſchon
mehrere Jahre lang getan hat, auch denjenigen beiſpringen, die
ihre Kartoffeln direkt vom Erzeuger beziehen, die Mittel hierfür
aber nicht auf einmal aufbringen können. Auch ſie müſſen ihre
Geſuche unter Vorlage des Lebensmittelausweiſes, der Rechnung
des Lieferanten und ſonſtigen Zubehörs mündlich bei der
Stadt=
kaſſe vorbringen.
Die Klein= und Sozialrentner und die anderen Pfleglinge
des Wohlfahrtsamtes, ebenſo auch die Erwerbsloſen, müſſen ſich
wegen ihrer Verſorgung mit dem Wohlfahrtsamt in Verbindung
ſetzen.
Bei dieſer Gelegenheit ſei darauf hingewieſen, daß die
Stadt=
verwaltung ſich ſeit Wochen eingehend mit der Sache befaßt und
in wiederholten Beſprechungen und Verhandlungen mit den
be=
teiligten Dienſtſtellen und Behörden, den Vertretern der Banken
und Induſtrie, des Handels und der Genoſſenſchaften nebſt der
eigens dazu erwählten Sonderkommiſſion, die aus drei
Stadtver=
ordneten, einem Mitglied der Preisprüfungsſtelle, einem
Händ=
ler und dem Vorſtand des Lebensmittelsamts beſteht, alle
Vor=
arbeiten zur Erledigung der wichtigen Aufgabe in Angriff
ge=
nommen hat. Die Stadt ſelbſt wird keine
Beſtel=
lungen entgegennehmen, alſo auch nicht ſelbſt
einkaufen und nicht verteilen. Das muß Aufgabe des
Handels und der Genoſſenſchaften ſein und bleiben, die nicht
nur alle hierzu erforderlichen Einrichtungen, ſondern auch die
unbedingt nötige Erfahrung und Sachkenntnis beſitzen. Dagegen
will die Stadt dieſe Stellen nach jeder Richtung hin unterſtützen
und fördern. Sie will ſich insbeſondere darum bewühen, daß
die zuſüändigen Stellen der Reichsbahn, mit denen die
Verhand=
lungen begonnen ſind, nach Möglichkeit dafür Sorge tragen, daß
das Anrollen der Waggons in kürzeſter Friſt erfolgt. Zu dieſem
Zweck will ſie den Reichsbahnſtellen die vom Handel und den
Genoſſenſchaften beſtellten Mengen bezeichnen und angeben, in
welchen Bezirken oder Bahnhöſen die für Darmſtadt gekaufte
Ware verladen wird. Um weiter die Entleerung der Waggons
auf dem ſchnellſten Wege und längſtens innerhalb der
vorge=
ſchriebenen Entladefriſt zu ermöglichen, will ſie vorſorglich die
laſſenenfürſorge, bei der nicht dieſer Männer mit Ehrfurcht, der
von ihrer Arbeit ausgegangenen Segensſtröme mit Dankbarkeit
gedacht würde. Möge, nicht trotz, ſondern erſt recht, wegen der
tiefen Not des Vaterlandes ihr herrliches Werk in allen ſeinen
Verzweigungen unter Gottes Segen weiter blühen und gedeihen.
D. Dr. Kahl, M. d. R., Univerſitätsprofeſſor, Berlin.
Die Treue, immer und immer weiter ausgedehnte,
ent=
ſagende Liebesarbeit der Inneren Miſſion der evangeliſchen
Kirche Deutſchlauds hat mich, ſoweit ich ſie kennen gelernt habe,
mit Dankbarkeit und Bewunderung erfüllt. Nicht ſchöner und
eindrucksvoller kann unſer Chriſtentum bekannt werden, als
durch die Taten und die Geſinnung der dienenden Liebe. Gott
ſegne und ſtärke auch weiterhin die Wirkſamkeit der evangeliſchen
Inneren Miſſion in Deutſchland!
D. Dr. Nathan Soederblom, Erzbiſchof, Upſala.
Die Innere Miſſion hat, wie auf vielen anderen Gebieten
der ſozial=hygieniſchen Liebestätigkeit, auch in der
Krüppelfür=
ſorge zuerſt Panier aufgeworfen. Sie hat ferner im Gegenſatz
zu einer körperlichen oder rein ſozialen Auffaſſung der
Krüppel=
fürſorge von Anfang an gefordert, daß der Krüppel als ein
ganzer Menſch mit Leib und Seele angefaßt werden müßte. Auf
den Schultern der Krüppelfürſorge, welche die Innere Miſſion
begonnen hat, ſtehen die folgenden Epochen, die ihren vorläufigen
Abſchluß mit dem preußiſchen Krüppelfürſorgegeſetz gefunden
haben. Ich wünſche, daß dieſe Arbeit der Inneren Miſſion in
reichem Segen weiter blühen möge.
Prof. Dr. Bieſalski, Direktor des Oskar=Helenen=Heims,
Berlin=Zehlendorf.
In dem hohen Gedanken der Inneren Miſſion liegt das
Geheimnis, wie der Einzelne innere Ruhe und Stärkung
gewin=
nen kann, indem er nicht ſein eigenes Schickſal in den
Vorder=
grund ſtellt, ſondern das der Volksgemeinſchaft, nicht ſich ſelbſt,
ſondern dem großen Ganzen dient. Siegt dieſer Geiſt, dann
braucht uns trotz aller wirtſchaftlichen Nöte um Deutſchlands
Erneuerung nicht bange zu ſein. Ich habe dieſen feſten Glauben,
ſeitdem mich die Arbeit um die Erhaltung der privaten
deut=
ſchen Wohlfahrtspflege mit ausgezeichneten Vertretern der
Innere Miſſion in engſte Berührung gebracht hat, ein Moment,
das ich als größten Gewinn meiner Tätigkeit buche.
Prof. Dr. Langſtein, Direktor im Auguſte=Viktoria=Haus,
Vorſitzender des Verbandes der freien gemeinnützigen Kranken=
und Pflegeanſtalten Deutſchlands, Berlin.
Durch die rettende und werktätige Liebe der Inneren Miſſion
wird das Evangelium zur Tat.
Prof. Dr. A. Borchard, Geh. Medizinalrat, Generalarzt a. D.
Berlin.
Die caritativ und ſozial tätigen deutſchen=Katholiken ſchauen
mit Hochachtung und Zuneigung hin auf Geiſt und Leitung der
Inneren Miſſion der deutſchen evangeliſchen Kirche. Mit deren
Mitgliedern eint ſie der Glaube an die Sendung der chriſtlichen
Bruderliebe und Gottesliebe in unſerer Zeit, da die
bürger=
lchen und religiöſen Lebensgemeinſchaften unſeres Volkes
kranken am Verſiegen ihrer höchſten, gemeinſchaftsbildenden
Kräfte: der Treue als Glaube aneinander, und der gütigen, ſich
ſelbſt verſchenkenden Liebe. Darum ſucht beider ſtiller Dienſt
in herzlicher Liebestätigkeit ſehnlich dafür zu werben, daß im
deutſchen Volke die chriſtliche Bruderliebe nicht als Sache des
Beliebens, ſondern als Volksgemeinſchaftspflicht aller Bekenner
der Religion Chriſti erkannt und ſtändig geübt werde.
Prälat Dr. Auguſt Pieper
Schriftührer des Vorſtandes des Volksvereins für das katholiſche
Deutſchland, München=Gladbach.
Möge es die Hauptaufgabe jeder Miſſion ſein, der
Menſch=
heit ihren eingeborenen Gottesglauben zu erhalten. Wenn das
deutſche Volk kein frommes, gottergebenes Volk iſt und bleibt,
ſo verſinkt es ins Barbarentum.
Hans Thoma, Karlsruhe i. B.
Die Innere Miſſion iſt nach meiner Meinung die Seele
aller chriſtlichen Liebestätigkeit, denn ſie ſucht die Seele und
ruht nicht, bis ſie ſie gefunden. Ein krankes und aus tauſend
Wunden blutendes Vaterland bedarf der Inneren Miſſion, ſo
nötig wie des täglichen Brotes; denn, was wir an äußeren
Werten verloren, können wir nur durch innere erſetzen, zu deren
Gewinnung uns niemand und nichts ſo gut helfen kann als die
recht geübte Innere Miſſion.
Artur Brauſewetter, Danzig.
Was wir im zerriſſenen, ſorgenvollen, materialiſtiſchen
Deutſchland brauchen, iſt vor allem eine edle Lebensgemeinſchaft
im Sinne reiner Brüderlichkeit. Und was kann beſſer dazu
beitragen, als die ſtarke Entfaltung chriſtlicher Liebestätigkeit?!
Hier iſt das Wort der Inneren Miſſion: Liebet einander, helfet
einander!
Dr. Friedrich Lienhard, Weimar.
Der Expeditionsberichtvon der Wrangel=Inſel.
C.K. Der Leiter der Hilfsexpedition nach der Wrangel=Inſel
im nördlichen Eismeer, die nur den Tod der vier dort
gebliebe=
nen Engländer feſtſtellen konnte, Harold Noice, gibt im
Man=
cheſter Guardian einen ausführlichen Bericht des Unternehmens.
„Die Inſel ſah im Zwielicht der Dämmerung, als wir ihr uns
um Mitternacht näherten, in ihrer düſteren Verlaſſenheit wenig
einladend aus” ſchreibt er. „Beim Licht des anbrechenden Tages
erblickten wir aber zu unſerer Freude eine weite grasbedeckte
Prärie, die bis zu den Hängen der Berge im Innern
empor=
ſtieg. Die Landſchaft ſah ſo ſchön aus, daß wir unſere dunklen
Befürchtungen über das Schickſal derer, die wir retten wollten,
verſcheuchten. Plötzlich erſchien eine Herde von Walroſſen an dem
Rand des Eisfeldes; einige unſerer Eskimos fuhren im Boot
heran und ſchoſſen ein paar der Walroſſe, was die übrigen
Es=
kimos ſehr freudig ſtimmte, ſodaß ſie lachten und ihre Geſänge
zum Preiſe der Wrangel=Inſel und der Walroſſe anſtimmten.
Wir ſegelten dann bis nahe an die Küſte heran, um keine Zeichen
einer menſchlichen Wohnung zu überſehen und kamen bis nach
Rodgers Harbour, wo die vier ihre Siedlung aufgeſchlagen haben
ſollten. Wir gingen vor Anker und fanden an einem Felſenriff
die Spuren des erſten Lagers, das die Expedition auf der Inſel
eingerichtet hatte. Dann entdeckten wir noch die verlaſſenen
Stätten von zwei weiteren Lagern, fahen eine lange Stange
mit Seilen auf dem Boben liegen, die wohl als eine Art
Signal=
maſt gedient hatte, und fanden in der Nähe der Stange, in einem
Holzkaſten eingegraben, die Flaſche, die die Proklamation der
Inſel für die engliſche Regierung enthielt.” Beſonders ergreifend
iſt die Schilderung, wie ſie ſchließlich auf die einzig Ueberlebende
der Geſellſchaft ſtießen: „Um 8 Uhr abends konnte ich an der
Bucht die Geſtalt einer Frau erblicken, die zum Waſſer herabkam.
Es war Ada Blackjack, die ihren Mann, einen Eskimo, auf der
Reiſe begleitet hatte. Wir ſteuerten ſofort nach der Küſte, gingen
vor Anker, ich ſprang in das Boot und ruderte zu ihr hin. Ich
ſchüttelte ihr die Hand. Für einen Augenblick ſprach keiner.
Dann fragte ich nach den Männern. Sie ſeufzte ſchwer und ſagte:
„Es iſt niemand mehr hier außer mir. Ich bin allein.‟ Dann
kam ein Zittern in ihre Stmme, und ſie ſchluchzte: „Ich will heim
zu meiner Mutter. Wirſt Du mich mit nach Nome nehmen?”
Als ich ihr dieſes zuſicherte, kam ein Leuchten in ihre Augen,
der ſtarre Ausdruck ihres Geſichtes verſchwand, ſie taumelte
vor=
wärts, und als ich ſie in meine Arme nahm, weinte ſie wie ein
leines Kind.” Ada erzählte dann von dem Tod des einen
Eng=
länders und von dem Verſuch der drei andern, über die Eisfelder
nach Sibirien zu gelangen.
Seite 4
Rummer 263,
Darmſtädter Tagblatt, Sonutag, den 23. September 1923.
Induſtrie und die anderen in Betracht kommenden Betriebe um
Ueberlaſſung ihrer Anſchlußgleiſe erſuchen, auch ihr eigenes
An=
ſchlußgleis am Schlachthof dauernd zur Verfügung ſtellen, wenn
der Hauptgüterbahnhof oder der Oftbahnhof nicht ausreichen
ſoll=
ten. Für das Entleeren der Waggons will ſie ihre dazu
beſon=
ders geeignete Fliegende Arbeitskolonne, die jederzeit durch
Er=
ſverbsloſe verſtärkt werden kann, ſowie auch geeignetes
Aufſichts=
perſonal zur Verfügung halten. Um die Zuſtellung der Ware
an die einzelnen Empfänger zu fördern, kann ſie ihre
Laſtkraft=
wagen und die Wagen und Geſpanne des ſtädtiſchen Fuhrparks
im Bedarfsfalle einſetzen. Sie wird ſich bemühen, ſoweit das
nötig ſein ſollte, auch die anderen hieſigen Beſitzer von
Laſtkraft=
wagen und anderen geeigneten Transportmitteln zur Mithilfe
zu gewinnen.
Wegen des wichtigen Punktes, der Frage der Unterſtützung
und Förderung des Handels und der Genoſſenſchaften in
finan=
zieller Hinſicht, die aber die Stadt allein, und ohne Hilfe von
Reich, Staat und Induſtrie nicht wird löſen können, ſind
Ver=
handlungen im Gange.
— Heſſiſches Landestheater. Die heutige Aufführung von „Figaros
Hochzeit” im Kleinen Haus beginnt bereits um 6 Uhr.
— Heſſiſches Landestheater — Kleines Haus. Am Montag,
den 24. September 1923, kommen im Kleinen Haus d’Alberts
einaktige Oper „Die Abreiſe” und „Die Jahreszeiten” mit der Muſik
von Franz Schubert zur Aufführung. In der „Abreiſe, die vor vier
Jahren mit großem Erfolg in Darmſtadt zum letzten Male gegeben
turde, ſind unter der Spielleitung Joſeph Schlembachs und der
muſi=
kaliſchen Leitung Joſef Roſenſtocks Pauline Jack, Theobor Heuſer und
Eugen Vogt beſchäftigt. Die choreographiſche Einrichtung der
Jahres=
zeiten” ſtammt von Nini Willenz. Die muſikaliſche Leitung liegt in
den Händen Joſef Roſenſtocks. Mitwirkende: Nini Willenz, Aenne
Osborn, Wera Donalies, ſowie der neu verpflichtete Solotänzer Julian
Olgo und ſämtliche Damen des Balletts. Bühnenbilder: T. C. Pilautz.
— Morgenfeier der Volkshochſchule. Heute Sonntag, vormittags
11,15 Uhr pünktlich, findet die erſte Morgenfeier des Winters in der
Aula der Landesbaugewerkſchule (Neckarſtraße) ſtatt. Sie iſt
Hein=
rich ven Kleiſt gewidmet. Zutritt iſt nicht nur Mitgliedern und
Hörern der Volkshochſchule, ſondern jedermann frei. Nach Beginn der
Veranſtalrung kein Zutritt mehr. — Engliſcher Kurs, Sonntag, 23.
Sep=
tember, morgens 9 Uhr.
Poſtſcheckverkehr. Wegen Umzug des Frankfurter Poſtſcheckamts
in das neue Dienſtgebäude ruhte der geſamte Buchungsbetrieb am
Sams=
tag, den 22. September. Vorliegende Aufträge werden am folgenden
Montag erledigt.
L. Standesamtliche Gebühren. Die in der Verordnung vom 6. Juli
1923 genannten Sätze werden mit Wirkung vom 26. d. M. auf das
1500fache erhöht.
Vermehrung der Beſchäftigungs= und Verkaufsſtunden am
Meß=
ſonntag. Da aus Anlaß der Meſſe am Sonntag, den 30. September,
für die Stadt ein geſteigerter örtlicher Geſchäftsverkehr zu erwarten
iſ weiſt das Polizeiamt darauf hin, daß für dieſen Tag folgende
Ver=
mehrung der Beſchäftigungs= und Verkaufszeiten
nach der Bekanntmachung des Kreisamts Darmſtadt vom 3.
Novem=
ber 1919 und 12. Oktober 1922, betreffend Sonntagsruhe im Bezirk der
Stadt Darmſtadt, zugelaſſen iſt: I. Es iſt erlaubt: 1. Der Verkauf von
Backwaren von 11 Uhr vormittags bis 4 Uhr nachmittags; 2, der
Ver=
kauf von Konditoreiwaren von 7—10 Uhr vormittags und von 11 Uhr
vormittags bis 4 Uhr nachmittags; 3. der Verkauf von Fleiſchwaren von
4—6 Uhr nachmittags; 4. der Handel mit Blumen und Kränzen von
11 Uhr vormittags bis 6 Uhr nachmittags; 5. der Verkauf von Roheis
von 6 Uhr vormittags bis 1 Uhr nachmittags; 6. der Betrieb in allen
übrigen Handelsgewerben von 11 Uhr vormittags bis 6 Uhr
nachmit=
tags. II. Ferner iſt auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder
an=
deren öffentlichen Orten am Meßſonntag erlaubt: 7. Die Ausübung
des Gewerbes im Umherziehen von 11 Uhr vormittags bis 6 Uhr
nach=
mittags; 2. der ambulante Gewerbebetrieb, d. h. der Hauſierbetrieb
am Wohnort, von 11 Uhr vormittags bis 6 Uhr nachmittags.
— Alkoholgegnertag. Der für heute nachmittag geplante
Demonſtrationszug findet nicht ſtatt. Alle übrigen
Veranſtaltungen dagegen finden wie bekannt gegeben ſtatt.
— Die Höchſtſätze der Erwerbsloſenunterſtützung betragen im
der Woche vom 19. bis 25. September 1923 wochentäglich
1. für männliche Perſonen in den Orten der Ortsklaſſen
O Du. E.
B
a) über 21 Jahre, ſofern A.
in Millionen Mk.
ſie nicht im Haushalt
17
18,5
eines anderen leben 21,5
20
b) über 21 Jahre, ſofern
ſie in dem Haushalt
eines anderen leben 17
14
6
15
10
12
11
c) unter 21 Jahren .. 13
2. für weibliche Perſonen
a) über 21 Jahre, ſofern
ſie nicht im Haushalt
eines anderen leben 17
16
14
b) über 21 Jahre, ſofern
ſie in dem Haushalt
eines anderen leben 14
12
13
c) unter 21 Jahren. 10
8,5
9,5
8. als
Familien=
zuſchläge für
65
a) den Ehegatten .
b) die Kinder und
ſon=
ſtige
unterſtützungs=
berechtigte Angehö=
5,5
6,5
rige
L. Altenteilsverträge. Die oberſten Landesbehörden können
beſtim=
men, daß wiederkehrende Geldleiſtungen aus Leibgedings=
Leibzuchts=
oder Auszugsverträgen entſprechend den veränderten Verhältniſſen an=
derweit fegeſetzt werden, ſoweit dies der Billigkeit entſpricht.
Entſpre=
chend gilt von den Verſorgungsanſprüchen, die einzelnen
Familienglie=
dern gegenüber den Inhabern von bisherigen Stammgütern und
Fa=
milienfideikommiſſen aus Geſetz, Stiftung oder Vertrag zuſtehen oder
bei Auflöſung gebundener Familiengüter begründet wurden. Die
Geld=
leiſtung ſoll möglichſt in Naturalleiſtung umgewandelt oder in
Natural=
wertrente ausgedrückt werden. Die Entſcheidung erfolgt durch das
Amtsgericht in einem Einigungsverfahren, das landesrechtlich geregelt
wird. Auch hier iſt der Geſetzgeber jetzt bereit, der Geldentwertung
Konzeſſionen zu machen.
* Der Richard=Wagner=Verein Darmſtadt, der in der glücklichen
Lage iſt, ſeine ſämtlichen für das Vereinsjahr 1923 in Ausſicht geſtellten
acht Vereinsabende ſeinen Mitgliedern im Laufe des Kalenderjahres
bereits dargeboten zu haben (der letzte, Abſchiedsabend von Fräulein
Fanny Cleve, fand am 26. Juni ſtatt), hat mit Rückſicht darauf, daß
ſein Konzertſaal, der große Feſtſaal der Turngemeinde, im nächſten
Winter ohne Zentralheizung ſein wird, den Beſchluß gefaßt, ſeinen
nächſten Vereinsabend, erſt im kommenden Frühjahr zu
ver=
anſtalten. Auch hat der Vorſtand des Vereins, entſprechend einer ihm
von der letzten Hauptverſammlung erteilten Ermächtigung, beſchloſſen,
von den Mitgliedern einen nachträglichen Beitrag in Höhe
von 2 Millionen Mark zu erheben, um damit die infolge der
Geld=
entwertung in wenigen Wochen durch buchhändleriſche, poſtaliſche und
andere Verpflichtungen entſtandenen bedeutenden Schulden des Vereins
begleichen zu helfen. Von der Treue und Anhänglichkeit der
zahl=
reichen Vereinsmitglieder wird beſtimmt erwartet, daß ſie dieſen
ge=
ringen Betrag als kleine Dankesſchuld bis ſpäteſtens 10. Oktober bei
Heinrich Arnold, Wilhelminenſtraße 9, einzahlen, um dem
Vor=
ſtand des Vereins das teure Einholen desſelben zu erſparen. Weitere
Anmeldungen werden fortgeſetzt entgegengenommen.
e. Stadtmiſſion. Heute vormittag findet kein Waldgottesdienſt und
keine Hofmiſſion ſtatt, mit Rückſicht auf das Jahresfeſt des
Jugend=
bundes: vormittags 10 Uhr (Johanneskirche), nachmittags 3 Uhr und
abends 8 Uhr. — Von Montag bis Mittwoch einſchließlich desſelben
hält Schweſter Kalteißen jeden Abend 8½ Uhr einen
Evangeliſations=
vortrag für Frauen und Mädchen.
— Orpheum — Neues Operettentheater Frankfurt a. M. Heute
Sonntag, den 23. September, findet die letzte Aufführung Die kleine
Sünderin”, Operette in drei Akten von H. H. Zerlett und W. Prager,
Muſik von Jean Gilbert, ſtatt. (Näheres ſiehe Anzeige.)
L. Verwaltungsgerichtshof. Reviſionsbeſchwerde der Odenwälder
Toninduſtrie=A.=G. in Pfaffenbeerfurth i. O. gegen ihre Heranziehung
zur Grunderwerbsſteuer durch den Kreis Erbach. Nach § 40 des
Lan=
desſteuergeſetzes können Gemeinden und Gemeindeverbände Zuſchläge
zur Grunderwerbsſteuer erheben. Nach Art. 12 des Heſſiſchen
Ausfüh=
rungsgeſetzes zum Landesſteuergeſetz iſt beſtimmt, daß auch der Kreis,
in deſſen Bezirk die Gemeinde von ſolcher Ermächtigung keinen
Ge=
brauch macht, dieſe Zuſchläge erheben kann. Die Odenwälder
Ton=
induſtrie=A.=G. iſt vom Kreiſe mit ſolchem Zuſchlag herangezogen
wor=
den. Das Finanzgericht hat die Berufung zurückgewieſen.
Rechts=
anwalt Dr. Mainzer bekämpft dieſe Entſcheidung, weil Art. 12 des Heſſ.
Ausf.=Geſ. gegen Reichsrecht inſoweit verſtoße, als der Kreis — da er
kein Gemeindeverband ſei — zur Erhebung ſolchen Zuſchlags für
be=
fugt erklärt wird, falls die Sitzgemeinde von dieſer Befugnis,
Zu=
ſchläge zur Grunderwerbsſteuer zu erheben, keinen Gebrauch mache.
Dieſe Beſtimmung erachtet Reviſionsklägerin deshalb für rechtsungültig,
der Kreis ſei nach heſſiſchem Recht ein Bezirk der Staatsverwaltung.
Der Vertreter verweiſt auf die bezüglichen Beſtimmungen der Städte=
und Landgemeindeordnung und des heſſiſchen Geſetzes, der Kreis= und
Provinzialordnung. Die Reichsgeſetzgebung habe nur den Gemeinden
und Gemeindeverbänden die Befugnis, Zuſchläge zur
Grunderwerbs=
ſteuer zu erheben, verleihen wollen. Der Vertreter des
Staatsinter=
eſſes ſtellt ſich auf den Boden des angefochtenen Urteils. Entſcheidung
ergeht dahin: Die Rechtsbeſchwerde wird
zurück=
gewieſen.
Kartoffelverkauf. Am Montag, den 24. September d. J.,
von vormittags 9 Uhr ab, werden vorausſichtlich in den
Ver=
kaufsſtellen des Bezirkskonſumvereins und in den übrigen
be=
kannten Geſchäften Kartoffeln an jedermann verkauft. Der Preis
wird in den Verkaufsſtellen bekannt gegeben. Mehr als 5 Pfund
werden auf die Familie nicht verabreicht.
— Beſſunger Kirchweihe. Einer alten Ueberlieferung zufolge,
findet in allen Lokalen Beſſungens Tanzvergnügen ſtatt. Im
Chauſſee=
haus ſtellen die Obermuſikmeiſter Mickley und Weber die Muſik zur
Vorkirchweihe heute und zur Nachkirchweihe am 30. September. An
Ueberraſchungen wird es nicht fehlen.
* Betriebseinſtellung der Staaklichen Münze. Die Staatliche Münze
in Berlin, die bereits mit der Herſtellung von Hartgeld über 100 000,
200 000 und 500 000 Mark beſchäftigt war, hat unter dem Eindruck der
neuen Geldentwertung ihre Münzpläne aufgegeben und wird am
Oktober ihre Tätigkeit ganz einſtellen. Den Arbeitern iſt gekündigt
worden.
Lokale Veranftaltungen.
Die Werunier erſchelnenden Notizen ſind ausfihſießlich als Hinwelſe auf Atrzeigen zu betachten,
in leinem Falle irgendwie als Beſprachung oder Kritit.
— Jugendherbergsverband Ortsgruppe Darmſtadt.
Dienstag, den 25. September, abends 7¾ Uhr, findet in der
Jugend=
herberge, Dieburger Straße 26, eine Verſammlung ſtatt. Wegen der
Wichtigkeit der Tagesordnung iſt das Erſcheinen jedes Einzelnen
unbe=
dingt erforderlich.
Aus den Parteien.
Deutſche Demokratiſche Partei Frauengruppe.
Die Parteifreundinnen werden darauf aufmerkſam gemacht, daß im
Parteilokal außer den Tageszeitungen auch die demokratiſchen
Zeit=
ſchriften, wie „Die Hilfe” und „Der Demokrat” ſowie „Die Frau”
ge=
leſen werden können. Mittwoch, den 26. d. M., von 41/ Uhr ab,
zwangloſes Zuſammenſein mit Gelegenheit zu politiſcher und ſonſtiger
Ausſprache.
Deutſche Demokratiſche Partei. Am Montag, den
24. d. M., finder im Parteilokal, Waldſtr. 45, ein Kommunalpolitiſcher
Abend ſtatt, zu dem alle Parteimitglieder eingeladen werden. In der
Hauptſache werden Steuer= und Schulfragen erledigt.
Die Not der Anwaltſchaft.
* Unter dem Vorſitz von Herrn Geheimrat Hallwachs und
unter Anweſenheit von Regierungsvertretern, darunter dem Herrn
Juſtizminiſter, hielt geſtern vormittag die heſſiſche Anwaltſchaft
eine gut beſuchte Verſammlung ab, in der eingehend zu den
wiſſen=
ſchaftlichen, techniſchen und finanziellen Nöten Stellung genommen
wurde.
Herr Rechtsanwalt Dr. Mainzer als Hauptreferent führte aus:
Die Not der Anwaltſchaft ſei zum größten Teil verurſacht durch die
all=
gemeine Not des Vaterlandes. Aber darüber hinaus beſteht eine Reihe
von beſonderen Mißſtänden, die Redner einzeln eingehend beleuchtete
und die in der gefaßten Reſolution zuſammengefaßt ſind. Herr
Rechts=
anwalt Dr. Klöpfel beleuchtete die Not unſeres Geldes als den
Kern=
punkt der Berufsnot. Für die Anwaltſchaft heißt es nicht mehr „Schiff
in Not” ſondern „Mann über Bord‟. Vor dem Untergang ſchützt nur
noch die Selbſthilfe, die jetzt nach der Abſchaffung des Koalitionsverbots
einſetzen muß. (Die Anwaltſchaft als einziger Beruf hatte bis vor
kur=
zem keine Koalitionsfreiheit!) Seine Hauptforderung war die
Ein=
führung der Goldmarkberechnung und die Beſeitigung einer ſtarren
Ge=
bührenordnung, betragen doch die Gebühren des Anwalts oft nur einen
Bruchteil der Vergütungen an untergeordnete Gerichtsorgane. Mancher
Anwalt hat heute ein monatliches Einkommen von nur 200 Millionen
Papiermark. Während für eine Verteidigung an der Strafkammer,
wenn ſie einen ganzen Tag dauert, 10 Millionen vergütet werden, hat
heute der Metallarbeiter einen Stundenlohn von 15 Millionen. Das
iſt ein ſchreiendes Mißverhältnis. Unſere Not iſt keine Not der
Ar=
beit, wir haben mehr zu tun als im Frieden, ſondern eine rein
finan=
zielle Not. Ein großer Teil unſerer Arbeitskraft wird durch die
Be=
rechnung der Gebühren in Anſpruch genommen, deshalb verlangen wir
wertbeſtändige Gebühren.
Rechtsanwalt Dr. Buß bekräftigte nochmals das Verlangen nach
Goldmarkberechnung. Wir verlangen keine geldliche Unterſtützung, wir
verlangen keine Arbeitsloſenunterſtützung, wir haben Arbeit genug,
aber wir verhungern faſt, weil wir nicht angemeſſen vergütet werden,
ſondern nach der Taxe. Wir wünſchen die Einſetzung einer Kommiſſion
durch die Regierung, die mit uns die Forderungen prüft, die wir in
nachſtehender Reſolution zuſammengefaßt haben:
Die Anwaltkammer verlangt: Von den Anwälten:
Jeder=
zeitige ſofortige Einſtellung auf die wirtſchaftliche Geſetzgebung und
das Wirtſchaftsleben, um zur ſachgemäßen Beratung der
Rechtſuchen=
den befähigt zu bleiben. Beherrſchung des geſamten Rechtsſtoffs, auch
desjenigen, der weiten Kreiſen der Anwaltſchaft bislang ferngelegen
hat. Strengſte Selbſtdiſiziplin bei Ausübung der anwaltlichen
Tätig=
keit, Verhinderung jeder Verſchleppung durch nutzloſe Vertagungen
und verſpätetes Erſcheinen zu den Terminen. Rege Tätigkeit der
Or=
ganiſation im wiſſenſchaftlichen und wirtſchaftlichen Intereſſe der
An=
waltſchaft. Von der Verwaltung: Anhörung der Organe der
Anwaltſchaft bei Beſetzung von Richterſtellen. Mitwirkung der
Anwalt=
ſchaft bei Vorberatung aller die Intereſſen der Rechtspflege und der
Anwaltſchaft berührenden Angelegenheiten. Einwirkung auf die
Reichs= und Landesgeſetzgebung gemäß Ziffer 3. Von der
Geſetz=
gebung: Beſeitigung der Gerichtsferien. Beſeitigung aller
prozeß=
verzögernden geſetzlichen Beſtimmungen unter Aufrechterhaltung des
Grundſatzes der Verhandlungsmaxime. Beſeitigung der Beſtimmungen
über die Vorauszahlung des Gerichtskoſtenvorſchuſſes. Zulaſſung der
Anwälte zu allen Sondergerichten. Aenderung der Ausführungsgeſetze
zur Zivilprozeß= und Konkursordnung und zum Freiwilligen
Gerichts=
barkeitsgeſetz dahin, daß zu Prozeßpflegern, Teſtamentsvollſtreckern,
Nachlaßverwaltern, Vormündern uſw., ſoweit nicht geſetzliche
Vor=
ſchriften zwingend entgegenſtehen, Rechtsanwälte nach einem von der
Anwaltkammer aufzuſtellenden Turnus beſtellt werden müſſen, mit der
Maßgabe, daß Abweichungen durch den Richter nur nach Anhörung des
Vorſtandes der Anwaltkammer ſtattfinden können, und daß gegen
Ab=
weichungen dem Vorſtand ein Beſchwerderecht zuſteht. Aenderung der
Notariatsordnung derart, daß das Notariat jedem Anwalt, der nach
Auffaſſung der Anwaltkammer hierzu geeignet iſt, auf Antrag verliehen
werden muß. Schaffung einer den wirtſchaftlichen Verhältniſſen
ent=
ſprechenden Gebührenordnung; Beſeitigung des ſtarren Prinzips der
ſeitherigen Gebührenordnung, wertbeſtändige Gebühren;
Angemeſſen=
heitsklauſel; Beſeitigung des Streitwertminimums in „Armenſachen;
Beſeitigung der einengenden Beſtimmungen bei Streitwertfeſtſetzungen
nicht vermögensrechtlicher Anſprüche; Reform der Gebührenordnung vor
Verſicherungsbehörde. Von den Gerichten: Straffere
Prozeß=
diſziplin; Vermeidung unnötiger Vertagungen; Rückſichtnahme auf die
Aenderung der wirtſchaftlichen Verhältniſſe durch Beſtimmung naher
Termine und, ſolange die geſetzlichen Beſtimmungen über die Ferien
noch beſtehen, durch möglichſt weitherzige Verfügungen bei Anträgen
auf Erklärung zur Ferienſache. Herbeiführung von Verſtändigungen
mit den Prozeßparteien zur Beſchleunigung des Verfahrens; Feſtlegung
der Termine, in denen verhandelt wird. Beſchleunigung des
Prozeß=
verfahrens durch Erlaß von Teilurteilen und durch weitgehendſte
An=
wendung des Grundſatzes der freien Beweiswürdigung. Angemeſſene
Rückſichtnahme auf die fiskaliſchen und die anwaltlichen Intereſſen bei
richtiger Feſtſetzung des Streitwerts.
Vor dem Schlußwort ſprach Herr Rechtsanwalt und Notar Spohr
aus Gießen. Er verlangte Entlaſtung von der techniſchen Arbeit und
Uebernahme der Bureaukoſten durch den Staat.
Da die Maſſe der Geſichtspunkte keine erſchöpfende Erwiderung
er=
möglichte und da die Kommiſſion eine eingehende Prüfung der
einzel=
nen Punkte vornehmen wird, verzichtete die Verſammlung auf eing
Diskuſſion.
Dr. D.
v. Eberſtadt, 21. Sept. Die Erwerbsloſen überwachen hier ſeit
kurzem die Ausgabe von Milch u. Kartoffeln. —
Verſteigerungs=
erlös. Die Aepfel= und Zwetſchenernte der Gemeindegrundſtücke
brachte einen Betrag von zirka 51) Milliarden ein. Ein Zentner Aepfel
kam im Durchſchnitt auf 70—80 Millonen, Zwetſchen auf 25—30
Mil=
lionen Mark. — Arbeitsmarkt. Die Zahl der Arbeitsloſen iſt auf
200 und diejenige der Kurzarbeiter auf 300 geſtiegen. — Die
Bürger=
meiſterei macht ausdrücklich bekannt, daß die Vorauszahlungen auf den
Gasbezug ſowie auf elektriſchen Strom unbedingt geleiſtet werden
müſſen, da ſonſt die Lieferungen eingeſtellt werden.
nr. Roßdorf, 21. Sept. Pachtgelder. Für die Berechnung der
Pachtgelder wurde als Stichtag der 5. November (abgeſehen von einigen
Ausnahmen) feſtgeſetzt. — Die Eberhaltung wurde zum Preiſe von 1.4
Millionen an Gg. Nikolay 2. vergeben.
Heſſiſches Landestheater.
Großes Haus. — Samstag, den 22. September.
Der lebende Leichnam.
Drama von Leo Tolſtoi.
Der vorige Winter brachte eine Einwanderung ruſſiſcher
Kunſt in Deutſchland. In Berlin, der Koloniſtenſtadt, die
fremdländiſchem Weſen ſtets am leichteſten zugänglich iſt, ſpielte
ruſſiſches Theater, tanzte ruſſiſches Ballett und ließ ruſſiſche
Kleinkunſt ihre eigenartigen Reize ſchillern. Im „Blauen Vogel”
erklangen allabendlich die ſchwermütigen Lieder der Wolga=
Schiffer, tanzten die Tſcherkeſſen ihre wilden Berg=Tänze. Das
Gaſtſpiel des Moskauer Künſtler=Theaters gab einen Einblick
in die Beſtrebungen Alexander Tairoffs, der das Theater um
des Theaters willen liebt, die Bühne von dem Drama loslöſen
möchte, und in der Pantomime, in der Improviſation des
Schau=
ſpielers, ſein theoretiſch höchſtes Ziel ſieht, in ſeinem
Speziali=
ſtentum auch ſtarke Wirkungen erreicht hat. Die Beſchäftigung
mit dem ruſſiſchen Theater der Gegenwart offenbart, daß es in
Rußland an ſtarken Dramatikern zurzeit fehlt, und daß das
fehlende neue Drama durch neue Beſtrebungen der
Schauſpiel=
kunſt und der Regie zu erſetzen verſucht wird. Will man zu
bedeutenden Dramatikern greifen, ſo muß man auf Tolſtoi und
ſeine Zeitgenoſſen zurückgehen.
Im Herbſt 1897 berichtete der Kreisrichter von Tula dem
Grafen Tolſtoi von einem außergewöhnlichen Rechtsfall: Um
ſeiner Frau die Ehe mit dem neuen Geliebten zu ermöglichen,
täuſcht der erſte Gatte einen Selbſtmord vor. Nach Jahren wird
die Täuſchung entdeckt, der Totgeglaubte erſcheint wieder, und
ein gerichtliches Verfahren wegen Doppelehe iſt die Folge. Der
Stoff reizte Tolſtoi zur dramatiſchen Geſtaltung, und er entwarf
einen Grundriß, der zunächſt als Komödie gedacht war, doch
dann zum Drama ſich entwickelte. Bezeichnend für Tolſtois
Sinnesart iſt es, daß ihn bei der Ausarbeitung Bedenken
befie=
len; am 21. Auguſt 1900 verzeichnete er in ſeinem Tagebuch:
„Habe ein Drama geſchrieben und bin ſehr unzufrieden damit.
Ich habe durchaus nicht das Gefühl, daß das ein von Gott
ge=
wolltes Werk iſt.‟ Doch ſpäter legten ſich ſeine Zweifel: „Ich
ging an einer Buchhandlung vorbei und ſah meine „
Kreutzer=
ſonate” und erinnerte mich, daß ich die „Kreutzerſonate”, die
„Macht der Finſternis” und ſogar „Auferſtehung” geſchrieben
be, ohne daran zu denken, daß ſie den Menſchen nützen können.
Sollte das nicht auch mit dem „Leichnam” der Fall ſein
können?”
Die Seele des ruſſiſchen Volkes, ihr Erbarmen und ihr
Mit=
leid ſprechen aus dem Drama. Fedia, der paſſive Held, opfert
ſich für das Glück der Gattin. Müde reſignierend flüchtet er
aus dem Leben. So geben die zwölf Szenen, in denen die
Handlung vorüberzieht, ein Bild ruſſiſchen Lebens und zugleich
einen Ausklang warmer Menſchlichkeit.
Die Darſtellung unter Peter Suhrkamps Leitung war
auf einen ſtillen, faſt müden Ton geſtimmt. Sie ließ die in dem
Konflikt Fedja—Liſa-Karenin ruhende Dramatik ſtark
zurück=
tieten und dehnte das Zeitmaß des ſchon an ſich nicht ſehr
leben=
digen Werkes. Einzelne Teile, ſo namentlich die Szene in dem
Zigeuner=Reſtaurant, hätten einer größeren Lebendigkeit, einer
ſtärkeren Phantaſtik bedurft, — bei aller Melancholie, die auch
über ihnen liegt. Stimmungsvoll wirkten die Chöre und die
begleitende Muſik.
Die Geſtalt des „Fedja” hat in Deutſchland durch Moiſſi
ihr Gepräge bekommen: müde, mit melodiſch ſingender Stimme,
zieht er durch das entſagungsreiche Leben dahin. Walter
Kuliſch fand ſich mit verſtändnisvollem Geſchick in die Rolle;
einzelne Szenen ſpielte er mit ergreifender Schlichtheit; der
ſchwärmeriſche Ausdruck des Kopfes paßte zu der Erſcheinung
der „geweſenen Menſchen” aus Gorkis „Nachtaſyl”. Zwiſchen
dem vergehenden „Fedia” und dem korrekt=edlen „Karenin”
ſteht „Liſa”, lebensvoll und doch erſchüttert von der Wucht des
auf ſie eindringenden Schickſals. Eliſabeth Stieler gab
die=
ſer ſchönſten Frauengeſtalt Tolſtoiſcher Dramatik die volle Kraft
ihrer ſtarken Menſchlichkeit, ließ Schmerz und Liebe in
wunder=
voller Eindringlichkeit durchleuchten, ergriff und erſchütterte
zu=
gleich. Walter Reymer blieb als Karenin in ſchwarzem Bart
und ſchwarzem Rock mehr korrekt als menſchlich warm.
Neben dieſen drei Trägern der Handlung ſind die anderen
Rollen nicht von erheblicher Bedeutung: Käthe Meißner als
Karenins Mutter voll Milde und Würde, Anne Kerſten als
„Maſcha” feſſelnd im Spiel, doch mehr Großſtadt=Mädchen als
Zigeunerin von dunkler Herkunft, H. Sparrer ſympathiſch
als Saſcha‟. Den „Fürſten Abreskoff” einen weiſen,
wehmüti=
gen Weltmann von ſechzig Jahren, hätte an Stelle von „Fritz
Valk mit ſeiner ſcharfen, unbeugſamen Art, Kurt
Weſter=
mann ſpielen ſollen. Ernſt Langheinz, Käthe Gothe
Hans Ausfelder gaben ſicher gefaßte Charakteriſtiken
kleine=
ren Formats.
* Schule der Weisheit.
VI.
Die fünfte Tagung der Schule der Weisheit der Geſellſchaft
für freie Philoſophie fand geſtern vormittag ihr Ende. In der
nächſten Woche finden die Exerzitien ſtatt.
Graf Hermann Keyſerling
gab in ſeinem Schlußvortrag ein Reſumé der geſamten Vorträge,
die eine große Reihe von Menſchheitstypen charakteriſierten.
Jeder einzelne Typ wurde ſcharf umriſſen dargeſtellt, und jeder
Redner ſtellte ſeinen Typ überzeugend dar, trotz teilweiſe
herr=
ſchender Schwierigkeiten formaler Art. (Der Mohammedaner las
ſeinen Vortrag, ohne ſelbſt die Sprache zu verſtehen!) Hinter
allen ſtand der ſtarke Glaube. Der eine oder andere der Zuhörer
konnte aus dieſer Ueberzeugungskraft den Schluß ziehen: es
kann ſo gehen und auch anders, eine gewiſſe Gleichmäßigkeit
verwiſcht die Unterſchiede. Was iſt nun richtig? Aus allen Reden
ſprach irgendwie letzte Tiefe. Fragt wan nun objektiv, wer recht
hat, ſo muß die Antwort lauten: Jeder hält ſich mit Recht für den
Beſten. Gott erſt wird letzten Endes entſcheiden, wer recht hat.
Probleme wurden aufgerollt, problematiſche und klare, einfach
eingeſtellte Menſchen gezeichwet, und wiederum ein
Charakteriſti=
kum gegeben der problematiſchſten Menſchen überhaupt, des
deut=
ſchen und des ruſſiſchen Menſchen. Jene Welt eine Weite, eine
Weltfremdheit, dieſe nur zu verſtehen in ihrem Verhältnis zur
Religion. Eine immer ſtärker werdende Spannung hat ſich im
Laufe der Vorträge geltend gemacht und ſchließlich ſich eine enge
Verbindung zwiſchen dem Einleitungsthema und den Vorträgen
hergeſtellt. Die Gleichheit bei aller Verſchiedenheit der
gezeich=
neten Typen erwies, daß der Menſch ein Teil des Kosmos iſt,
eine kosmiſche Situation. Aus dem Zuſammenklang erſt erſteht
der Kosmos, und der kosmiſche Zuſammenhang iſt ſo geſchaffen.
Für die kommende Menſchheit gilt es in erſter Linie, das
Prin=
zip der Charitas zu erweitern. Wir können noch fortſchreiten,
weil für uns Fortſchritt noch notwendig iſt. China, das alle
Er=
findungen gemacht hat, iſt nicht fortgeſchritten. Wenn wir den
Zuſammenklang aller Typen, die die Vorträge brachten, richtig
empfunden und auswirken laſſen, haben wir den ökumeniſchen
Zuſtand, den ökumeniſchen Menſchen, der die Welt, die
Menſch=
heit erneuern kann. In dieſer wird es vorerſt nur geben können
Soldaten (Arbeiter) und Führer. Wer Führer werden wird,
das muß die Zukunft zeigen. Etwas anderes als den öhumenf
ſchen Menſchen gibt es nicht für die Zukunft.
Rummer 263.
Darmſtädter Tagblatt, Sonntag, den 23. September 1923.
Seite 5.
St. Nieder=Ramſtadt, 20. Sept. Gemeinderatsbericht. Der
in der letzten Sitzung vertagte Punkt: Beſtattungskoſten und
Faſelvieh=
deckabgabe, wurde heute entſchieden. Es wurde beſchloſſen, eine
Deck=
abgabe zu erheben in der Höhe, daß die Koſten für Beſchaffung des
be=
nötigten Hafers, der Kleie, Dickwurz und Kartoffeln gedeckt werden
kön=
nen. Die durch die Kommiſſion noch näher feſtzuſetzenden Sätze ſind in
Naturalien zu liefern und zwar in Hafer oder aber, wer hierzu nicht
in der Lage iſt, einem Geldbetrag, der dem Tagespreis des
abzuliefern=
den Quantums Hafer entſpricht. — Die jetzt außerordentlich geſtiegenen
Beſtattungskoſten, die auch ſeitens der Gemeinde allein nicht mehr
aufzubringen ſind, veranlaßten den Gemeinderat zu dem Beſchluß, einen
Sterbekaſſeverein auf gemeinnütziger Grundlage zu gründen, dem die
Gemeinde ſelbſt als Mitglied beitritt. Die Leiſtungen der Gemeinde
dem Verein gegenüber beſtehen darin, daß jedem verſtorbenen
Vereins=
mitglied der Rohſarg geliefert wird, während die übrigen
Beſtattungs=
koſten der Sterbeverein trägt. Bis zum Inkrafttreten des neuen
Be=
ſchluſſes, vorausſichtlich am 1. Oktober I. Js., werden die bisherigen
Ge=
bühren für Fahren des Leichenwagens, Träger, Läuten uſw. um das
20fache erhöht. — Die Gebühren, wie ſie in der Gebührenordnung des
Friedhofs feſtgeſetzt ſind, werden mit ſofortiger Wirkung auf
wertbeſtän=
diger Grundlage geregelt dergeſtalt, daß das Briefporto für einen
ein=
fachen Fernbrief jeweils anzuſetzen iſt. — Die Dienſtbezüge der
unſtän=
digen Gemeindebedienſteten erfahren eine der Teuerung entſprechende
Erhöhung. — Die Pachtgelder für gemeindliche Grundſtücke werden in
Form eines Naturalpachtes feſtgeſetzt. Es ſind zu zahlen bei
Grund=
ſtüchen pro Morgen der Wert von 3 Zentner Roggen in Klaſſe 1,
ab=
geſtuft bis zu 1 Zentner in Klaſſe 4; bei Wieſen der Wert von 4 Zentner
Heu in Klaſſe 1, abgeſtuft bis zu 2 Zentner in Klaſſe 4. Die
Wert=
berechnung findet derart ſtatt, daß der Börſenpreis nach den
Notierun=
gen der Frankfurter Produktenbörſe in Anſatz zu bringen iſt und zwar
der jeweilige Durchſchnitt, wie er ſich in jeder Monatshälfte errechnet. —
Die ſtattgehabte Faſelmiſtverſteigerung wird ihres geringen Erlöſes
wegen nicht genehmigt; es ſoll ſpäter eine nochmalige Verſteigerung
ſtatt=
finden. — Verſchiedene Rechnungen finden die Genehmigung des
Ge=
meinderats. — Die Beſchaffung notwendiger Materialien für das
Ge=
meindewaſſerwerk erfordern die umgehende Aufbringung von Mitteln.
Es wird beſchloſſen, von jedem Konſumenten eine Abſchlagszahlung in
Höhe von 200 000 Mk. für jeden im erſten Halbjahr abgeleſenen
Kubik=
meter zu erheben. — Der Bürgermeiſter gab zum Schluß noch
Kennt=
nis von dem Ergebnis der Ausſprache zwiſchen der Gemeindeſchweſter
und der eingeſetzten Kommiſſion. Die Debatte zog ſich in dieſer
An=
gelegenheit ſtundenlang hin. Die Meinungen waren getrennt, zu einem
einheitlichen Beſchluß konnte man nicht gelangen. Mit 7 gegen 4
Stim=
men, bei 2 Enthaltungen, wurde der eingebrachte Kündigungsantrag
abgelehnt.
r. Pfungſtadt, 21. Sept. Stenographentag. Ende dieſes
Monats hält hier der „Gau Bergſtraße Gabelsbergerſcher Stenographen”
ſeinen diesjährigen Gautag ab. Mit der Tagung iſt ein Wettſchreiben
verbunden, an dem ſich die Vereine aus der Umgegend beteiligen werden.
0- König i. O., 21. Sept. Kartoffelverſorgung. In der
letzten Gemeinderatsſitzung wurde die Beſchaffung von Winterkartoffeln
durch die Gemeinde eingehend erörtert. Sobald man ſich über die
Auf=
bringung der hier notwendigen Mitteln im Klaven iſt, ſoll der Frage in
Kürze ſtattgegeben werden.
=o= Wald=Michelbach i. O., 21. Sept. Der
Wirtſchafts=
blan für 1923 iſt vom Gemeinderat genehmigt worden. Eine
außer=
ordentliche Holzfällung ſoll zur Erbauung des Schulhauſes dienen.
Eine vorläufige Umlage für 1923 ſoll das 5000 fache des Betrages für
1922 betragen; ſie ſoll in drei Zielen erhoben werden.
( Birkenau, 22. Sept. Abermalige Erhöhung der
Hundeſteuer. Trotzdem die Hundeſteuer erſt vor einigen Wochen
erhöht wurde, iſt die Zahl der Hundehalter immer noch geſtiegen. Der
Gemeinderat hielt es deshalb ſür geboten, eine abermalige Erhöhung
zu beſchließen. Der erſte Hund koſtet jetzt 10, der zweite 20 und der
dritte 30 Millionen Mark. Wir bezweifeln trotzdem ſehr, ob auch
dieſe Erhöhung ihren eigentlichen Zweck erfüllt.
( Aus dem Weſchnitztal, 21. Sept. Teure Moſtäpfel. Für
Kelterobſt wurden zurzeit pro Zentner 50 Millionen Mark
gefordert. Das gibt bei Gott teuren Apfelmoſt! Das Brech= oder
Kellerobſt iſt ſehr rar, da die meiſten Aepfel klein geblieben ſind.
(.) Heppenheim, 23. Sept. Der Brotpreis wurde abermals
erhöht. Ein Laib Brot von 1800 Gramm koſtet 6 200 000 Mk., 1 Pfund
Brotmehl 1 230 000 Mk.
() Aus dem Kreiſe Heppenheim, 22. Sept. Erneuter
Milch=
aufſchlag. Nachdem erſt vor wenigen Tagen die Milch pro Liter
auf 2 Millionen erhöht wurde, hat man den Preis ſchon wieder auf
4 Millionen vom 20. d. M. ab erhöht. Da ſteht man doch bald
ſprach=
los da. Da ſind doch alle Lohn= und Gehaltserhöhungen wirkungslos.
Auch das Fleiſch iſt von 7 Millionen heute auf 34 Millionen
hinauf=
geſchnellt.
r. Babenhauſen, 21. Sept. Ein Liter Milch wird hier für 4,5
Millionen Mark verkauft; der Stallpreis beträgt 4 Millionen. —
Das hieſige Elektrizitätswerk hat die Strompreiſe wie folgt feſtgeſetzt:
für Lichtſtrom 5 Mill. Mk., für Kraftſtrom 3,3 Mill. Mk. pro
Kilowatt=
ſtunde. Bei jeder Ableſung wird eine Abſchlagszahlung von 100 Proz.
erhoben. — Der Wanderklub „Bergauf” erhielt bei dem kürzlich
ſtattgefundenen Mandolinenkonzert=Wettſtreit in Klein=Auheim unter
etwa 20 Mitbewerbern den 5. Preis.
A Offenbach, 21. Sept. Die Stadtverordneten ſtimmten
geſtern der Uebernahme der Bürgſchaft für die Allgemeine
Ortskranken=
kaſſe zur Aufnahme eines Reichskredits von 15 Milliarden zu. Das
Schulgeld für die noch beſtehenden Klaſſen der Mittelſchulen wird auf
die Hälfte des Schulgeldes für die höheren Schulen feſtgeſetzt. Die
ein=
gehenden Mittel werden zur Ausſtattung der Klaſſen mit erweiterten
Lehrzielen verwendet. Die Ortsſatzung über die Erhebung einer
Wert=
zuwachsſteuer wurde aufgehoben und dafür ein Zuſchlag von 3 v. H.
zur Grunderwerbſteuer beſchloſſen. Es wurde ferner der Einführung
einer Getränkeſteuer zugeſtimmt. Bei der Erhöhung des
Gemeinde=
zuſchlags zur Wohnungsbauabgabe wurde von bürgerlicher Seite darauf
hingewieſen, daß auch die Erhöhung der Sätze auf das dreifache der
ſtaatlichen Abgabe keine nennenswerten Beträge bringe. Dieſe Abgabe
müſſe viel bedeutender erhöht werden, wenn die Gemeinden durch ſie in
die Möglichkeit verſetzt werden ſollten, der Wohnungsnot auch nur
einigermaßen zu ſteuern. Die Straßenbenennung im Siedlungsgebiet
des Werkes Oehler rief eine lebhafte Ausſprache zwiſchen rechts und
links hervor, da die Kommuniſten im Ausſchuß durchgeſetzt hatten, zwei
der neuen Straßen Roſa Luxemburg= und Karl Liebknecht=Straße zu
taufen. Da das Werk Oehler in den Straßennamen bahnbrechende
Che=
miker verewigt haben will, wurde auf Antrag von bürgerlicher Seite
beſchloſſen, den Gegenſtand nochmals in den Ausſchuß zu verweiſen.
Für die Gartenarbeitsverſuchsſchule wurde gegen die Stimmen der
Rech=
ten eine Milliarde bewilligt. Eine Beſchwerde eines Hausbeſitzers gegen
das Mieteinigungsamt gab der Rechten Veranlaſſung, ihre
Unzufrieden=
heit über die Letung der Verhandlungen durch den Vorſitzenden des
Ge=
richts, den Gerichtsaſſeſſor Reuter, zum Ausdruck zu bringen. Die Linke
vermutete dahinter einen Vorſtoß gegen einen politiſchen Gegner und
erwiderte ſehr gereizt. Für die Verſorgung der Erwerbsloſen und
Min=
derbemittelten hat die Stadt bei dem Miniſterium für Arbeit und
Wirt=
ſchaft einen Kredit zum Ankauf von Kartoffeln im Betrage von 200
Mil=
liarden angemeldet, für andere Lebensmittel werden rund 190
Milliar=
den benötigt. Brennſtoffe, die zur Verteilung kommen ſollen, erfordern
rund 100 Milliarden. Die Stadtverwaltung kann ſich nicht entſchließen,
zur Volksſpeiſung überzugehen. Die Lebensmittel dazu und die nötigen
Kücheneinrichtungen würden ganz gewaltige Summen in Anſpruch
neh=
men. Es lehrt außerdem die Erfahrung, daß der Beſuch ſolcher
Volks=
ſpeiſungen nach kurzer Zeit erheblich nachläßt, ſodaß die Speiſung
wie=
der eingeſtellt werden muß. Das hat ſich hier bei dem Verſuch einer
Speiſung der Erwerbsloſen gezeigt. Es ſagt eben nicht Jedem das
Einheitseſſen, wie es in ſolchen Anſtalten nur geliefert werden kann, zu.
Aus dieſen Erwägungen heraus haben die Städte den oft erörterten
Ge=
danken der Einführung von Volksſpeiſungen wieder fallen laſſen müſſen,
und auch unſere Stadt will ihn nicht wieder aufnehmen.
so= Rüſſelsheim (Main), 21. Sept. Diebſtahl. Hier wurden
einem Händler drei neue Herrenfahrräder geſtohlen.
ot. Koſtheim b. Mainz, 21. Sept. Eine
Einkaufsgeſell=
ſchaft für Kartoffeln und Brennſtoffe iſt hier ins Leben gerufen
worden. Unfall. Hier wurde ein 13 jähriger Knabe von einem
Auto überfahren. Der Junge erlitt eine Gehirnerſchütterung.
th. Lörzweiler (Rheinh.), 21. Sept. Bei der
Bürgermeiſter=
wahl wurde der ſeitherige Gemeindeeinnehmer Allendorf zum
Bürger=
meiſter gewählt.
Ein Mann, wie wir ihn brauchen.
Zur 75=Jahr=Feier des Zentralausſchufſes für
Innere Miſſion.
Die Erkenntnis in unſerem Volke wächſt mehr und mehr, daß uns
in unſerer furchtbaren Lage keine äußere Macht helfen kann und wird.
Wer ſich darüber keinen Täuſchungen hingibt, muß ſich notgedrungen
nach ſolchen Kräften umſehen, die den Schaden wirklich in der Wurzel
erfaſſen und von innen her heilen können. Als Johann Hinrich
Wichern am 23. September des Revolutionsjahres 1848 in der
Schloß=
kirche zu Wittenberg vor den Führern der deutſchen evangeliſchen
Chriſtenheit ſeine Feuerrede hielt, ging er von dieſer Erkenntnis aus
und zeigte gangbare Wege aus der deutſchen Not heraus.
„Die tiefſte Quelle des Unheils, das über den Staat hereingebrochen
iſt, liegt in der Entfremdung und dem Abfalle des Volkes von dem
Weſen und Leben derjenigen Sittlichkeit, die ihr Maß und ihre Regel,
wie ihren Grund und ihr Ziel allein im Evangelium hat. Wir ſprechen
von einer Entfremdung des Volkes von Gott und verſtehen unter
Voik nicht eine gewiſſe Schicht der Geſellſchaft, ſondern das Ganze
der=
ſelben, alle Stände, die unteren und oberen, alle Parteien, denn
jener Schaden, die Wurzel allen Unheils, wirkt in allen mit treibender
Kraft. Schämen und ſcheuen wir uns nicht, dieſe Wahrheit zu bekennen!
Dies Bekenntnis führt zur Freiheit, denn es ſtammt aus ihr.” — Wenn
man die Denkſchrift Wicherns von 1849, der dieſe Worte entnommen
ſind, heute lieſt, ſo weiß man nicht, was mehr überwiegen ſollte: die
Bewunderung vor der Größe und dem Weitblick dieſes Mannes mit
ſeinen leuchtendne klaren blauen Augen — oder die Scham, daß in
75 Jahren von ſeinem großzügigen, alle Gebiete des Volkslebens
durch=
leuchtenden Programm nicht mehr verwirklicht worden iſt.
Freilich, wir wollen nicht undankbar ſein. Fruchtlos ſind ſeine
An=
regungen nicht geblieben. Die wenigſten Menſchen, die mehr zufällig mit
Anſtalten der Inneren Miſſion in Berührung kommen, machen ſich klar,
was für eine gewaltige Summe von opferbereiter Liebe und chriſtlicher
Tatkraft in ſolchen Anſtalten ſich ſammeln. Als nach der Revolution
der unglückliche Verſuch gemacht wurde, auch die Wohlfahrtspflege zu
ſozialiſieren, merkten viele, auch viele Behörden, zum erſten Male, daß
man den Segen, der von freier Liebesgeſinnung täglich und ſtündlich),
Tag und Nacht auf unſer liebebedürftiges Volk ausſtrömt, nicht auf
Flaſchen ziehen und durch bezahlte 8=Stunden=Arbeit ſtädtiſcher
Ange=
ſtellter erſetzen kann. Viele Fragen hüben und drüben nach der
angeb=
lich nicht zu ſpürenden Wirkung der evangeliſc n Kirche würden
ver=
ſtummen, wenn die Frager etwas mehr Einblick in die ſtetige, ſtille
Liebesarbeit der Inneren Miſſion hätten. In ihr liegt ein nicht zu
unterſchätzender Tatbeweis der evangeliſchen
Chriſten=
heit.
Aber die Innere Miſſion im Sinne Wicherns iſt mehr „als ein
Werk der Wohltätigkeit, im chriſtlichen Sinne betrieben”. „Die
Wohl=
tätigkeit iſt nur ein Durchgangs unkt ihrer Tätigkeit. Wichern
ver=
ſchloß ſeine Augen nicht vor dem Tatb ſtand, daß die Kirche in Stadt
und Land nicht an alle ihre C ieder wirkſam herankommt. Darum
ſtellte er die Forderung auf, „daß zuletzt im Umkreis der evangeliſchen
Kirche kein Glied derſelben mehr ſei, das nicht das lautere Wort Gottes
in rechter, d. h. gerade ihm ſich eignender Weiſe hörte und die ihm ſich
darbietende Gelegenheit zu dieſem Hören fände, auch ohne ſie zu
ſuchen.” Wir faſſen dieſen Zweig der Inneren Miſſionsarbeit unter
dem Begriff „Volksmiſſion” zuſammen. Man ſage ja nicht, dieſe
Er=
weckungsarbeit gehe zu langſam und erfaſſe beſtenfalls einzelne Wenige.
War es denn vor 1813 anders? Geiſtige Erneuerungsarbeit iſt immer
organiſch ſich ausbreitende Erziehungsarbeit. Und hätten wir erſt
aller=
orten einen noch ſo kleinen, aber lebendigen Kern, dann brauchte uns
um die Zukunft unſeres ganzen Volkes nicht bange zu ſein.
Und doch, es geht der Inneren Miſſion nicht nur um die
Ge=
winnung einzelner Menſchen, ſondern um die Seele des ganzen
Volkes. So hat Wichern ſein großes bis auf ſchwache Anſätze leider
noch auf Verwirklichung harrendes ſoziales Programm
ver=
ſtanden. So ſcharf wie kaum ein anderer hat er die Wurzel des damals
aufkommenden Kommunismus erkannt. Tauſende von denen, die, ſelbſt
öffentlich, ſich als ſeine Widerſacher gebären, ſind, ohne es auch nur zu
ahnen, ſeine kräftigſten Förderer durch die Beförderung des Unglaubens
in ihrer Umgebung, durch die Frivolität ihrer Sitten, durch die
ent=
würdigende Art der Wahrung ihrer materiellen Intereſſen, durch die
übermütige oder doch herzloſe Behandlung der Geringen im Volke
geworden.” Wir ſehen, Wichern war ein rückſichtslos nach allen Seiten
die tiefſten Schäden aufdeckender Prophet. Das größte an ihm aber war,
daß er ſo rückſichtslos wahrhaftig aus Liebe war. Deshalb ſind die
Vorſchläge, die er ſeinerzeit zur Heilung der Schäden machte, nicht
wie die meiſten heutigen willkürlichen Experimente von Kurpfuſchern,
ſondern notwendige, die Not wendende Mittel eines echten Volksarztes.
Hätten wir ſie nur früher und durchgreifender angewandt! Leider iſt
das wenigſte heute ſchon überholt, ſo z. B. was er ſagt von einer
„chriſtlichen Aſſoziation der verſchiedenen Arbeits= und Beſitzſtände, einer
freien, neuen Einigung derer, die viel, aber doch mehr, und derer, die
wenig haben” uſw.
Manches iſt in 75 Jahren erreicht, was hier nicht aufgezählt werden
kann. Das meiſte und größte bleibt noch zu tun übrig. Wo ſind die
Männer und Frauen, die Wicherns Werk als die dringendſte Aufgabe
unſerer Zeit aufnehmen und in ſeinem Geiſte zur Geneſung unſeres
Volkes wirken? Es können nur ſolche ſein, die mit ihm darüber klar
ſind, daß „das chriſtliche Weſen nicht ein beſonderes Leben neben
dem übrigen Leben, nicht ein Außerordentliches neben dem
Ordent=
lichen, nicht ein Göttliches neben dem Menſchlichen, ſondern die
Gotteskraft iſt, die alle und alles Menſchliche, an die und das ſie
herantritt, durchdringen, retten, heiligen und erneuern will und kann.”
Stimmen aus dem Leſerkreiſe.
Gür die Veröffentlichungen unter dieſer (eberſchrift übernimmt die Redakilon kelnerlei
Ver=
antwortung; für ſie bleibt auf Grund des § 21 Abf. 2 des Preſſegeſetzes in vollem Umfange
der Einſender verantwortlſch.) — Einſendunge=, dir nicht verwendet werden, können nicht
zurückgeſandt, die Ablebnung 54 begrünket werden.
Kündigung der Schuldverſchreibung der
Heſſi=
ſchen Eiſenbahn=Aktiengeſellſchaft. Die H.E.G. hat
ihre Schuldverſchreibungen von 1919 und 1920 gekündigt. Wieder einer
der Fälle, wo auf Grund des Währungsverfalls offenſichtlich
Ungerech=
tigkeit ausgeübt werden ſoll. 1919 ſtand der Dollar zwiſchen 10 und 100
Mark, 1920 um 100 herum. Nehmen wir für die beiden
Schuldverſchrei=
bungen 100 Mark Dollarſtand an, ſo waren die 2X3 000000 Mark
Schuldverſchreibung — 60 000 Dollar. (In Wirklichkeit mehr.) Das
wären heute (Dollarkurs — 200 Millionen) 12000 000 000 000 Mark
(zwölf Nullen! 12 Billionen!) Zurückzahlen will die Geſellſchaft zum
100111 fachen Betrag des Nennwerts — 600 000 000 Mark — 3 Dollar.
60 000 Dollar zurückgezahlt mit 3 Dollar!
Nach § 3 der Bedingungen ſollte, die Schuldtilgung zum erſtenmal
am 31. März 1929 beginnen. Bis dahin hoffen wir (und fürchtet die
H.E.G. offenbar) eine andere Reichswährung als die jetzige. Eine andere
als im Plan vorgeſehene Tilgung (aber erſt vom März 1929 ab) hängt
nach § 3 von der Genehmigung der Heſſiſchen Regierung ab. Sollte die
Regierung es genehmigt haben, daß einer der z. B. 2000 Mark —
da=
mals 20 Dollar einzahlte, nun 200 000 Mark — ½ Waſſerweck — 0,001
2.
Dollar erhält?
Während die wöchentlichen September=Nachzahlungen an die aktiven
Beamten und Arbeiter regelrecht ausgezahlt werden, erhalten die für die
Penſionäre und Witwen fälligen Bezüge infolge einer Neuordnung
der Auszahlung auf dem Umwege Hauptſtaatskaſſe—Hypothekenbank
eine empfindliche Verzögerung, um deren Abſtellung man bittet. Für
den Geldempfänger haben rechtzeitige Geldleiſtungen heute
doppelten Wert, und dieſen Vorteil wird die Behörde den
Pen=
ſionären und Witwen doch gerne zuweiſen wollen und können.
Vertreter: Aures & Co., Darmſtadt, Rundeturmſtraße 12.
Reich und Ausland.
3 Milliarden Belohnung.
wb. Berlin. Drei leitende ſchwediſche Ingenieure einer größeren
Geſellſchaft in Stockholm haben dem Berliner Polizeipräſidenten
mit=
geteilt, daß ſie 100 ſchwediſche Kronen (etwa 3 Milliarden Mark) zur
Verfügung ſtellen zwecks Erhöhung der Belohnung für die Ergreifung
der Mörder des Direktors Kreyſig, der im Eiſenbahnzug Berlin—
Frankfurt a. M. ermordet wurde. Es ſollen in Schweden noch weitere
Be=
träge geſammelt werden, die der deutſchen Kriminalpolizei zur
Bekämp=
fung des Verbrechertums zur Verfügung geſtellt werden ſollen, da dies
auch im Intereſſe des Auslandes liege.
Freiſtudium reichsdeutſcher Studenten an Wiener Hochſchulen.
Der Kreis VIII (Deutſch=Oeſterreich) der Deutſchen Studentenſchaft
hat nach einer Beſprechung zwiſchen dem Kreisleiter und dem
Vor=
ſitzer der Deutſchen Studentenſchaft 50 reichsdeutſche Studenten für das
kommende Semeſter zum Studium an den Wiener Hochſchulen
ein=
geladen. Die reichsdeutſchen Studenten erhalten freie Fa rt von Paſſa n
bis Wien, wohnen während des ganzen Semeſters unentgeltlich in den
Studentenheimen, erhalten unentgeltlich während, des ganzen Semeſters
dort Frühſtück, Mittag= und Abendeſſen, Kolleggeldgebühren werden
vollſtändig erlaſſen; im Falle großer Mittelloſigkeit wird eventuell
auch Taſchengeld gegeben. Bevorzugt ſind Studierende, die aus den
beſetzten Gebieten ausgewieſen wurden. Anmeldungen und
Bewer=
bungen ſind umgehend zu richten an den Vorſtand der Deutſchen
Studentenſchaft, Charlottenburg, Berliner Str. 171.
Eine neue Brutalität der Italiener gegen das Deutſchtum.
D. A. I. Der Präfekt der Provinz Trient hat durch Dekret vom
3. September „aus Gründen nationalen Intereſſes und der
öffent=
lichen Ordnung” und weil es „opportun und konvenient iſt, zu gleicher
Zeit im Klub Alpino Italiano jede Kompetenz und jede Aktion
in der Angelegenheit zu konzentrieren”, alle alpinen touriſtiſchen
Ver=
eine, Klubs oder Sektionen in der Provinz, die nicht eine Sektion jenes
italieniſchen Klubs ſind, als aufgelöſt erklärt. Alles Eigentum der
aufgelöſten Organiſationen geht mit allen Rechten und Pflichten auf den
italieniſchen Klub über, der der Präfektur innerhalb von 4 Monaten
ge=
eignete Vorſchläge für die Neubildung der aufgelöſten Körperſchaften als
Oberetſcher Sektionen des Klub Alpino Italiano unterbreiten werde.
Die politiſchen und Bezirksbehörden hätten dem italieniſchen Klub ſeine
Aufgabe zu erleichtern. — Und wo bleibt da die berühmte italieniſche
Vereinsfreiheit?
Reiſegelegenheit nach Nordamerika=Weſtküſte auf deutſchen Schiffen.
Die Hamburg—Amerika=Linie, die ſeit einiger Zeit an dem von den
United American Lines (Harriman Line) unterhaltenen Dienſt nach der
Weſtküſte Nordamerikas teilnimmt, iſt neuerdings dazu übergegangen,
dieſe urſprünglich nur der Frachtbeförderung dienende Linie auch für
den Perſonenverkehr nutzbar zu machen. Die in die Route eingeſtellten
Schweſterſchiffe „Heſſen” und „Sachſen” von je 8100 Br.=R.=T. verfügen
über Paſſagiereinrichtungen für eine kleinere Anzahl Fahrgäſte, die in
hellen und behaglichen Räumen untergebracht werden. Für Paſſagiere
laufen die Dampfer die Häfen Criſtobal, Los Angeles, San Francisco
und Seattle an. Nach Criſtobal reiſende Fahrgäſte bedürfen zur Einreiſe
des Sichtvermekrs des nächſtwohnenden Konſuls der Republik Panama,
während für Los Angeles, San Francisco und Seattle der amerikaniſche
Sichtvermerk erforderlich iſt.
Sport, Spiel und Turnen.
Hocken.
Im Rahmen der ſportlichen Veranſtaltungen zur Einweihung des
neuen Sportplatzes des Sportklubs Frankfurt 1880 finden heute folgende
Spiele ſtatt: Vormittags: Harveſtehuder Tennis= und Hockeyklub
Ham=
burg 1. Damen und 1. Herren gegen Sp.=Kl. 1880. Nachmittags:
Darm=
ſtädter Hockeyklub 1./2. komb. gegen Sp.=Kl. 1880 1.b; Sp.=Kl.
Charlot=
tenburg gegen Sp.=Kl. 1880 Frankfurt (Rugby). — Der Einladung des
Sp.=Kl. 1880 Frankfurt a. M. folgend, wird der Darmſtädter Hockeyklub
mit dieſem Spiel ſeine diesjährige Wettſpielzeit beginnen. Trotzdem
die Spielſtärke der Mannſchaften durch Weggang einer Anzahl Spieler
etwas geringer als im Vorjahre ſein dürfte, haben wir die feſte
Zuver=
ſicht, daß der Klub auch in der kommenden Spielzeit ſeinen Anhängern
nur guten Sport bieten und in kurzer Zeit wieder auf der vollen Höhe
ſportlicher Leiſtungsfähigkeit ſein wird.
Flugſport.
Eine Werbeveranſtaltung für motorloſen Flug.
TU. Berlin. Kürzlich fand am Golkenberge, unweit Stölln—
Rhinow (Kreis Weſthavelland), wo im Jahre 1896 Lilienthal, der
Alt=
meiſter der Fliegerkunſt, mit ſeinem Gleiter tödlich verunglückte, eine
Werbeveranſtaltung der Berliner Arbeitsgemeinſchaft für motorloſen
Flug ſtatt. Diſe Arbeitsgemeinſchaft, der die wiſſenſchaftliche Geſellſchaft
für Luftſport, der Aeroklub von Deutſchland, der Berliner
Segelklub=
verein, die akademiſche Fliegergruppe der Techniſchen Hochſchule
Char=
lottenburg ſowie der Brandenburger Flugſportverein angehören, will.
den reinen Segelflug fördern. Bei leider höchſtens 5 bis 6
Meterſekun=
den ſtarken, zeitweiſe böigem Weſtwinde, wurden zahlreiche kleinere
wohl=
gelungene Flüge ausgeführt. Als Hauptbewerber für die ausgeſetzten,
teilweiſe wertbeſtändigen Preiſe, ſtanden ſich die Gruppen des Barons
von Frehberg und der Berliner Segelflugverein mit den bekannten
Segelflugführern Drude und Hohmuth gegenüber. Die Studenten der
Techniſchen Hochſchule konnten ihre Maſchinen den ſich zahlreich
einge=
fundenen Zuſchauern nicht vorführen, da ſie von der Röhn noch her
inſtand geſetzt werden müſſen. Während Baron von Freyberg mit ſeinen
Getreuen auf ſeinem Hängegleiter den erſten Preis für die längſte
Ge=
ſamtflugdauer einheimſte, erhielt der Segelflieger Hohmuth für den
ausgeführten längſten Einzelflug ſowie für die zweitlängſte
Geſamtflug=
dauer anerkennende Preiſe in Höhe von über 200 Millionen Mark. Die
Leiſtungen gerade des Berliner Segelflugvereins ſind umſo
bemerkens=
werter, da der alte, inzwiſchen wieder ausgebeſſerte Rhöneindecker
kei=
neswegs als hochwertiges Flugzeug anzuſprechen iſt, ſeine Führer ſich
abr mit großem Eifer immer wieder zielbewußt und reſtlos für die
gute Sache einſetzten.
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Seite 6.
Darmſtädter Tagblatt, Sonntag, den 23. September 1923.
Rummer 263.
Die Finanzen des Großherzogs.
42)
Roman von Frank Heller.
Copyright bei Georg Müller Verlag, München.
(Nachdruck verboten.)
Kapitän Dupont wies ſtumm auf die Wolken, um die
Auf=
merkſamkeit ſeiner Gäſte auf ihr Ausſehen zu lenken. Dann
lächelte er verbindlich und eilte die Rue des Olives hinunter.
Bei der nächſten Gaslaterne angelangt, blieb er mit einem
Lachen ſtehen und rief ſeine Beſucher an, die noch im Geſpräch
dor ſeinem Haustor ſtanden.
„Meſſieurs!”
„Kapitän?”
„„Ich möchte Sie etwas fragen. Sind Sie Journaliſten?”
„Jourualiſten?”
„Ja, denn dann dürfte der Profeſſor Sie nicht mitnehmen,
da er ſelber einer iſt.”
„Er iſt Journaliſt? Nein, wir nicht.”
„Alſo, au revojr.”
Kapitän Dupont verſchwand, eiligſt die Rue des Olives
hinunter, und ſeine beiden Beſucher gingen zur nächſten
Stra=
ßenecke, wo ſie eine Droſchke anriefen.
„Hotel d’Angleterre, ſo raſch Sie können.”
Es ging fort. Nach einer Viertelſtunde waren ſie vor dem
Hotel.
Iſt Mr. Pelotard zu ſprechen?”
„Monſieur ſchreibt augenblicklich Briefe im Schreibzimmer.
Wen darf ich anmelden, wenn er frei iſt?”
„Melden Sie den Grafen von Punta Hermoſa, und ſeien
Sie ſo gut, dem Profeſſor zu verſtehen zu geben, daß die
An=
gelegenheit wichtig und dringend iſt.”
„Parfaitement, Herr Graf. Bitte, nehmen Sie Platz.”
Der Graf Punta Hermoſa ließ ſich mit ſeinem Freunde in
der Halle nieder und nahm ſein Geſpräch mit ihm wieder auf.
„Was für ein Intereſſe kann dieſer Pelotard an Minorca
haben, Paqueno?”
„Hoheit haben doch gehört. Ein Journaliſt, ſagte der
Kapitän. Die Nachrichten von der Revolution auf unſerer
un=
glücklichen Inſel ſind ja über ganz Europa verbreitet. Ach, daß
Hoheit dieſen Bekker nicht ausweiſen ließen! Er ſteckt hinder
dem Ganzen, Hoheit, glauben Sie mir!“
„Aber daß ſich jemand für eine Revolution in Minorca
in=
tereſſieren kann!“
„Ach, Hoheit, wenn es ſich um Aufruhr und Umſturz
han=
delt, intereſſiert man ſich auch für uns.”
„Sie haben recht, Paqueno — eine Revolution iſt ſogar in
Montenegro intereſſant. Die Hauptſache für uns iſt, nicht den
Berufsneid dieſes Pelotard zu erregen. Die Intereſſen, die uns
nach Minorca ziehen, müſſen in ſeinen Augen unſchuldig ſein.
Was ſchlagen Sie vor?”
„Haben Hoheit nicht ſelbſt irgend einen Plan?”
„Laſſen Sie mich nachdenken! Was würden Sie ſagen,
tenn wir zwei Glücksritter wären, auf dem Wege, dem neuen
Präſidenten unſere Dienſte zu erbieten. Die Armee muß
reor=
ganiſiert werden, um den Tyrannen zu bekämpfen."
„Hm.”
„Sie finden meinen Plan nicht glücklich, Paqueno?”
„Ich dachte vorzuſchlagen, daß wir ganz einfach
Privat=
intereſſen in Minorca zu wahren haben, daß unſer Eigentum
in Gefahr ſteht. Ich glaube, das wäre ebenſogut, und iſt
außer=
dem die Wahrheit.”
„Sie haben recht, Paqueno, und ich weiß, daß Sie ſich immer
an die Wahrheit halten, obgleich Sie jetzt ſchon 34 Jahre unſer
Finanzminiſter ſind. Aber ſtill, wenn ich nicht irre, haben wir
hier den Profeſſor. Beim heiligen Urban, überſtudiert ſieht er
nicht aus!“
Sie ſtarrten beide Herrn Philipp Collin an, der, nachdem
er ein paar Worte mit dem Portier gewechſelt hatte, jetzt auf ſie
zukam.
„Meſſieurs, Sie wünſchen mich zu ſprechen? Mein Name
iſt Profeſſor Pelotard.”
Philipp verſtummte und lächelte abwartend. Der Herr, der
ſich Graf von Punta Hermoſa nannte, verbeugte ſich und ſagte:
„Es freut mich, Ihre Bekanntſchaft zu machen. Ich bin Graf
von Punta Hermoſa, und dies iſt mein alter Freund, Senjor
Eſteban. Wir haben uns die Freiheit genommen, Sie in einer
Angelegenheit aufzuſuchen, die für uns von größter Bedeutung
iſt. Sind Sie ſehr beſchäftigt, Herr Profeſſor?”
„Ich eſſe in einer Stunde zu Mittag. Bis dahin ſtehe ich
zu Ihrer Verfügung.”
„Ich danke. Wir brauchen wohl nicht ſo lange Zeit, um
unſer Anliegen vorzubringen. Vielleicht werfen Sie auch uns
gleich hinaus, wenn Sie es hören.”
„Aber Meſſieurs!”
Gerade zur Sache: Sie reiſen heute abend nach Minorca?”
Philipp betrachtete den angeblichen Grafen erſtaunt.
„Welchen Anlaß haben Sie, das zu glauben?”
„Sie dwerden es gleich verſtehen, wenn ich ſage, daß wir
von Kapitän Dupont kommen.”
„Ah, Sie kommen von Kapitän Dupont?”
„Ja, und die Urſache, weshalb wir ihn beſucht haben, iſt
dieſelbe, die Sie heute nachmittag zu ihm führte.”
„Nämlich, Sie wünſchen nach Minorca zu fahren?“
Ganz richtig. Wie Sie wiſſen, geht keines der
fahrplan=
mäßigen Schiffe nach der Inſel.”
„Infolge der Revolution, ja.”
„Und in ganz Marſeille ſcheint es nicht mehr als einen
Menſchen zu geben, der es wagt, zu der Mördergrube zu fahren.”
„Eben dieſe Erfahrung habe ich auch gemacht.”
„Und dieſer Menſch iſt Kapitän Dupont. Wir ſuchten ihn
auf und wollten ſeine Jacht mieten. Wir kamen genau zwei
Minuten nach Ihnen. Er ſagte nein. Die Jacht wäre an Sie
vermietet und der Preis vereinbart. Wir überboten.”
„Sie überboten!"
„Sie ſehen, ich bin aufrichtig. Wir überboten. Kapitän
Dupont weigerte ſich. Der gute Kapitän wurde ſogar böſe.”
„Der Kapitän iſt ein Gentleman. Das habe ich ihm gleich
angeſehen.”
„Sie mißbilligen unſer Vorgehen?”
„Nein, aber ich billige das ſeine. Er hatte keinen Kontrakt
mit mir unterzeichnet und nichts hinderte ihn alſo, Ihr
An=
erbieten anzunehmen.”
„Nur ſein Wort, Profeſſor. Sie haben recht. Nachdem er
ſich geweigert hatte, auf unſere Anerbietungen einzugehen,
machte uns der Kapitän einen Vorſchlag.”
„Nämlich ?"
„Daß wir Sie aufſuchen ſollten. Mein Freund und ich ſehen
uns aus verſchiedenen Gründen gezwungen, um jeden Preis
nach der Inſel zu fahren. Kapitän Duponts Jacht hat Platz für
vier Perſonen. Wenn Sie alſo nichts dagegen haben oder nicht
anderweitig verhindert ſind, wagen wir es als eine Gunſt von
Ihnen zu erbitten, daß Sie uns mitnehmen. Natürlich wollen
wir im Verhältnis bezahlen. Da Sie allein und wir zu zweien
ſind, bezahlen wir ſogleich zwei Drittel der Reiſekoſten.”
Philipp Collin betrachtete ſeine Beſucher nachdenklich. Die
offene Art, wie ſie von ihrem Beſuch bei Kapitän Dupont erzählt
hatten, gefiel ihm, wie überhaupt ihr ganzes Ausſehen.
Spar=
ſamkeit iſt eine Tugend, wenn man 50 000 Pfund verloren hat:
und Ungelegenheiten konnte es ihm nicht bereiten, wenn die
beiden Herren mitkamen. Eher konnte es ihm von Nutzen ſein,
da ſie ſich in Minorca auskannten.
Er verbeugte ſich.
„Ich habe es mir überlegt, meine Herren, und gehe mit
Ver=
gnügen auf Ihren Vorſchlag ein. Ich habe nur eine Bedingung.”
„Und die wäre?"
Der Ton des Grafen von Punta Hermoſa klang unruhig.
„Daß Sie zu Mittag meine Gäſte ſind.”
Der Graf und ſein alter Freund lachten.
„Sie ſind zu liebenswürdig, Profeſſor. Wir werden uns
in Minorca revanchieren, obgleich es unter den gegenwärtigen
Verhältniſſen ſchwer ſein dürfte. Der Hotelbeſitzer des Ortes
iſt der Vater des künftigen Präſidenten. Aber wir haben noch
unſer Gepäck ..
„Meine Herren, viel Gepäck können wir wohl nicht
mitneh=
men. Die Jacht iſt klein, und das Mindeſtmögliche iſt am beſten.
Wohnen Sie weit von hier?”
„Im Hotel des Princes, zwei Schritte von hier.”
„Um ſo beſſer, dann haben Sie Zeit genug, alles vor dem
Diner in Ordnung zu bringen. Wenn Sie die Sachen
herbrin=
gen laſſen, können wir ja gleich nach dem Mittageſſen zuſammen
aufbrechen."
Die beiden Beſucher verbeugten ſich. Im ſelben Augenblick
kam ein Kellner auf Philipp zugeſtürzt.
„Pardon, Herr Profeſſor!”
„Was gibt es?”
„Madame möchte mit Ihnen ſprechen, Monſieur.”
„Sagen Sie ihr, daß ich ſofort komme. Meine Herren, ich
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Darmſtädter Tagblatt
23. September 1923 Nr. 263
Handelsbla
Die Lage im Baumwollbau und der
Baumwollinduſtrie in den Vereinigten
Staaten.
Ein ſcheinbar kataſtrophaler Mangel an Arbeitskräften in
ben Südſtaaten der Union fällt bei einer Betrachtung der Lage
von Baumwollbau und =Induſtrie zunächſt ins Auge, und man
hat mit Sorge abzuwarten, wie er ſich auf dem Baumwollmarkt
bemerkbar machen wird. Nach dem Handelsbericht der Neu=
Yorker Guaranty Truſt Co. ſind die Beſtände zu Beginn
des neuen Baumwolljahres (1. Auguſt) ungewöhnlich gering;
dabei geht einſtweilen die Tätigkeit der Baumwollſpinnereien in
unvermindertem Umfang weiter.
Die Baumwolle iſt die wichtigſte Frucht, die die Vereinigten
Staaten auf den Weltwarkt bringen; mit Einſchluß der
Baum=
wollſaat ſteht ihr Wert nur hinter dem der Maisernte zurück.
Amerika iſt außerdem auch der ſtärkſte Bauwollverbraucher der
Welt. Trotz der vergrößerten Anbauflächen iſt infolge der
un=
günſtigen Wetterverhältniſſe in der Pflanzzeit, der Schäden, die
der Baumwollrüſſelkäfer angerichtet hat, und des
Arbeiterman=
gels — vielfach verurſacht durch den Abzug farbiger Arbeiter
nach den Nordſtaaten — für dieſes Jahr mit keiner ſehr großen
Ernte zu rechnen. Seit 1918 ſind die Verheerungen, die der
Baumwollrüſſelkäfer angerichtet hat, immer ärger geworden und
haben ſich auf immer größere Gebiete erſtreckt, ſo daß nunmehr
faſt das ganze Baumwollgebiet in Mitleidenſchaft gezogen iſt.
Den Baumwollbau in neue Gegenden der Union verpflanzen zu
können, beſteht geringe Ausſicht. So wird der Umfang der
künf=
tigen Ernten von nichts ſo ſehr abhängen wie vom Ausgang des
Kampfes gegen den Baumwollrüſſelkäfer, der die größten
Schä=
den ſtets in den Gebieten anrichtet, wo er neu auftritt. Die
Pflanzer lernen erſt allmählich, ſeiner Herr zu werden und ſeine
Verluſte herabzumindern, und zwar teils durch die Anwendung
von Giften (beſonders Arſenat) und durch den Anbau frühreifer
Sorten.
Die Einbuße, die auf dieſe Weiſe die amerikaniſche
Baum=
wollernte erfahren hat und die durch ſie bedingte Preisſteigerung
für Rohbaumwolle haben neuerdings Anlaß gegeben zu
Anbau=
verſuchen mit Baumwolle außerhalb der Vereinigten Staaten.
Wenn auch die Berichte über den faktiſch ſtattgehabten Anbau
ſeitens nichtamerikaniſcher Länder in den letzten Jahren keinen
rechten Maßſtab für die Anbaumöglichkeiten abgeben, ſo wird
man doch gewiß ſein dürfen, daß eine irgendwie beträchtliche
Vergrößerung der Anbauflächen außerhalb der Vereinigten
Staa=
ten nur dann ſtattfinden wird, wenn die Preiſe noch auf Jahre
hinaus hoch bleiben. Die durch die Zuſtände in den europäiſchen
Ländern bedingte ſtarke Auswanderung wird, ſich mehr und
mehr auch wenig erſchloſſenen Gegenden zuwenden, und es iſt
möglich, daß durch dieſe Auswanderung auch der
Baumwoll=
anbau einen neuen Anreiz erhält, der aber nur dort nachhaltige
Wirkung zeitigen wird, wo neben günſtigen örtlichen
Verhält=
niſſen Arbeitskräfte billig und in reichem Maße zur Verfügung
ſtehen.
Nach dieſer Lage der Dinge ſteht nicht zu gewärtigen, daß
der Süden der Union ſo bald ſeine überragende Stellung als
Hauptbaumwollpvoduzent einbüßen wird, die ſich, auch wenn
an=
derswo neue Anbaugebiete erſchloſſen würden, ſofort wieder
ver=
ſtärken würde, wenn die Wiedergeſundung der Weltwirtſchaft
eine neue ſtarke Nachfrage mit ſich bringt, wie ſie die teilweiſe
immer noch mehr ſich entwickelnde baumwollverarbeitende
In=
duſtrie des Südens ſelbſt garantiert. Die Verarbeitung von
Baumwolle, einſchließlich Färben und Bleichen, hat dort raſchen
Aufſchwung angenommen, wobei die zur Verfügung ſtehenden
Waſſerkräfte ſich als ſehr vorteilhaft erwieſen. Im
Konkurrenz=
kampf mit den Neuengland=Staaten kommen dem Süden die
durchweg niedrigeren Löhne und längeren Arbeitszeiten zuſtacten.
Das hat man in den Nordſtaaten ſehr wohl erkannt und ſich
da=
her ſehr ſtark an dem in den Spinnereien des Südens
inveſtier=
ten Kapital beteiligt; vielfach beſitzen auch Konzerne
Unterneh=
mungen in beiden Teilen der Union.
Handel und Wandel in Heſſen.
h. Helios Spezialmaſchinenbau= und
Elektrizi=
täts=A.=G. in Offenbach. Die Hauptverſammlung beſchloß die
Erhöhung des Aktienkapitals um 66 auf 132 Mill. Mk. Die neuen
Aktien gehen vorläufig zu 25 000 Prozent an ein Konſortium. Die
Kapitalserhöhung dient für die Anſchaffung neuer Maſchinen ſowie
zum Erwerb eines bebauten Grundſtücks in Wöchtersbach, ferner zur
Verwertung neu erworbener Patente,
h. Maſchinenfabrik Hartmann A.=G. Offenbach
am Main. Das Unternehmen konnte im Geſchäftsjahr 1922=23,
ſeinem 25 jährigen, einen Reingewinn von 431 Mill. Mk. erzielen,
woraus 40 000 Mk. Dividende pro Aktie in Vorſchlag gebracht werden.
Der neu errichteten Hartmannſchen Jubiläums=Stiftung werden 200
Millionen Mark überwieſen. Die Gewinn= und Verluſtrechnung zeigt
einen Bruttogewinn von 720 Mill. Mk. Für Abſchreibungen werden
22,6, für Unkoſten 266,8 Mill. Mk. verwandt. In der Bilanz ſind
Kreditoren einſchl. Anzahlungen mit 1,7 Milliarden Mk., Kaſſe und
Schecks mit 37,8 Mill. Mk., Debitoren einſchl. Bankguthaben und
An=
zahlungen mit 1,8 Milliarden Mk., Vorräte mit 219,8 Mill. Mk.
be=
wertet. Der Anſchluß des Autogenwerks Heilbronn G. m. b. H. hat
ſich für das Unternehmen als nützlich erwieſen.
Wirtſchaftliche Rundſchau.
h. Schäfer u. Montanus, Frankfurt a M. Die Ver=
Baltung fordert die alten Aktionäre zum Bezuge von 48 Mill. Mk.
neuen Aktien auf. In der Zeit bis zum 2. Oktober kann auf eine
Ste eine junge Aktie zum Kurſe von 500 000 Prozent zuzüglich 200 000
Mark Unkoſtenpauſchale und 300 000 Mk. Steuerpauſchale bezogen
wer=
ßen. Nach dem dritten Bezugsrechtstag ändert ſich der Kurs ent=
Brechend dem Dollar.
h. Maſchinenfabrik Frankonia A.=G. Frankfurt
Gm Main. Die ordentliche Generalverſammlung beſchloß, aus 50,933
Mill. Mk. Reingewinn 200 Prozent auf 17 Mill. Mk. Stammaktien
und 55 Prozent auf 1 Mill. Mk. Vorzugsaktien zu verteilen. In der
Bilanz ſtehen Vorräte mit 305,9, Bankguthaben mit 305,3, Debitoren
mit 58,8, Kreditoren mit 344,6, ordentlicher Reſervefonds mit 18,0,
außerordentlicher Reſervefonds mit 270,0 Mill. Mk. Sämtliche
An=
lagen u. Einrichtungen ſind auf 1 M. abgeſchrieben. Dem Geſchäftsbericht
zufolge ſtand das verfloſſene Geſchäftsjahr unter dem Zeichen des
wei=
teren inneren Ausbaues der Werksanlagen. In der Abteilung
Neu=
waggonbau wurde die Serienfabrikation aufgenommen. Die
Geſell=
ſchaft iſt in das neue Geſchäftsjahr mit einem erheblichen Beſtand an
langfriſtigen Aufträgen eingetreten.
h. Dr. Paul Meher A.=G., Frankfurt a. M. Der
Auf=
ſichtsrat ſchlägt der Hauptverſammlung die Erhöhung des
Aktienkapi=
tals um 100 Mill. Mk. für das Jahr 1923 voll dividendenberechtigter
Aktien vor. Es iſt beabſichtigt, hiervon 25 Mill. Mk. den bisherigen
Aktionären im Verhältnis von 8:1 zu einem noch feſtzuſetzenden Kurſe
zum Bezuge anzubieten, während der Reſt der Aktien im Intereſſe der
Geſellſchaft verwertet werden ſoll.
h. Elektrotechniſche Fabrik A.=G., Mannheim. Der
auf den 16. Oktober einbeufenen außerordentlichen Generalverſammlung
wird vorgeſchlagen, die Aktiven und Paſſiven der Firma Biſchoff u.
Henſel, G. m. b. H., Mannheim, unter Abänderung der Firma in
Biſchoff u. Henſel, Elektrotechniſche Fabrik A.=G., zu übernehmen.
Fer=
ner wird die Generalverſammlung über eine Kapitalserhöhung um
nom 25 auf nom 50 Millionen Mark zu beſchließen haben.
h. Seyd u. Saurter A.=G., Fabrik für
Innendeko=
ration, Frankfurt a. M. Die Hauptverſammlung beſchloß die
Kapitalserhöhung um 12 Mill. Mk. nom. auf 31 Mill. Mk. Die
hier=
durch der Geſellſchaft zufließenden Mittel ſollen zum Ausbau und zur
Vergrößerung der Ausſtellungsräume ſowie zur Angliederung einer
Abteilung für Altkunſt dienen. Dem Aufſichtsrat wurden neu
zuge=
wählt die Herren Jacob Dreyfus, Frankfurt a. M., und Dr. A.
Er=
langer, Frankfurt a. M.
* Maſchinenfabrik Badenia vorm. V. Platz
Söhne, A.=G., Weinheim. Die Geſellſchaft beantragte weitere
Kapitalserhöhung um 75 Mill. Mk. Stammaktien und 2 Mill. Mk.
Vor=
zugsaktien auf insgeſamt 152 Mill. Mk., unter gleichzeitiger
Umwand=
lung von 1 Mill. Mk. alter Vorzugsaktien in Stammaktien. Dieſe ſollen
im Intereſſe der Geſellſchaft verwertet werden. Somit iſt bei dieſer
Transaktion ein Vermögensvorteil für die Aktionäre nicht möglich.
Fer=
ner beabſichtigt die Geſellſchaft der am 12. Okt. ſtattfindenden G.=V. die
Ausgabe einer Anleihe und den Rückkauf der im Umlauf befindlichen
Obligationen vorzuſchlagen.
h. Schnellpreſſenfabrik A.=G., Heidelberg. Die
ordentliche Generalverſammlung genehmigte die Jahresſchlußrechnung
und ſetzte die Dividende auf 5000 Prozent feſt. Neu in den Aufſichtsrat
gewählt wurde F. Bruck=Berlin. Unter Vorbehalt erwartet man auch
für das laufende Geſchäftsjahr eine günſtige Entwicklung. Die
Einfüh=
rung der Aktien im Berliner Freiverkehr iſt in Vorbereitung.
* Uhrenfabrik, vorm. L. Furth=Waengler Söhne,
A.=G., Furthwangen (Baden). Die Verwaltung beantragt
Kapi=
talserhöhung um einen ungenannten Betrag. Ao. G.=V. am 13. Oktober.
wb. Vorläufige Einſtellung der Zinszahlungen
für Staats= und Neichsſchulden. Wie wir von zuſtändiger
Seite erfahren, ſieht ſich die Hauptverwaltung der Staatsſchulden und
die Reichsſchuldenverwaltung im Hinblick auf die Geldentwertung und
die außerordentlich geſteigerten Koſten der Ueberſendung der
Zins=
beträge ſowie ihrer Buchung bei den Banken, Sparkaſſen uſw., und zwar
auch im eigenen Intereſſe der Schuldbuchgläubiger und in der Annahme
ihres Einverſtändniſſes, veranlaßt, vorläufig von weiteren
Zinszahlun=
gen für die im Reichsſchuldbuch und früheren preußiſchen
Staatsſchuld=
buch eingetragenen Forderungen abzuſehen, unbeſchadet des Rechtes der
Gläubiger auf den Bezug der Zinfen und vorbehaltlich einer ſpäteren
endgültigen Regelung.
* Deutſch=Amerikan. Schmirgelwerke=A.=G., Ber=
Lin. Die Verwaltung beantragt Kapitalserhöhung um einen noch nicht
genannten Betrag. In der letzten Aufſichtsratsſitzung wurde beſchloſſen,
den alten Aktionären ein Bezugsrecht zum Preiſe von 30 Goldpfennigen
für je nominal 1000 Mk. junge Aktien einzuräumen.
* Berliner Maſchinenbau=A.=G. vorm. L.
Schwarz=
kopf Berlin. Das Unternehmen, für deſſen Aktien ſich in letzter
Zeit ſehr große Nachfrage bemerkbar machte, ſoll in dem am 30. Juni
abgelaufenen Geſchäftsjahr den wirtſchaftlichen Verhältniſſen entſprechend
gut abgeſchloſſen haben, ſo daß für die Aktionäre eine befriedigende
Di=
vidende in Ausſicht ſtehen dürfte. Auch im neuen Jahr ſoll ſich der
Geſchäftsgang günſtig angelaſſen haben, zumal die Geſellſchaft lohnende
Aufträge aus dem Ausland erhalten hat. Bekanntlich nehmen in dieſem
Jahr auch ſchon die neu errichteten Anlagen in Wildau an dem
Produk=
tionsprozeß teil.
* Elektro=Osmoſe Leder=A.=G., Berlin. Die ao.
G.=V. beſchloß zwecks Stärkung der Betriebsmittel die Erhöhung des
Aktienkapitals um 86,8 Mill. Mk. auf 100 Mill. Mk. Die neuen, ab
1. Jan. 1923 dividendenberechtigten Stammaktien werden von einem
Konſortium unter Führung der Bankfirma Samuel Gielenzieger,
Ber=
lin, zu 50 000 Proz. mit der Verpflichtung übernommen, den alten
Aktionären ein Bezugsrecht im Verhältnis 1:1 zu ebenfalls 50 000 Proz.,
zuzüglich Steuerpauſchale, einzuräumen. Der Umwandlung ſämtlicher
1200 Stück Vorzugsaktien wurde zugeſtimmt.
* Amperwerke Elektrizitäts=A.=G., München. Die
Verwaltung beantragt Kapitalserhöhung um 20 Mill. Mk. auf 122 Mill.
Mk. Ao. G.=V. am 10. Okt.
* Sächſiſche Glasfabrik in Nadeberg. Die Geſellſchaft
Plant Kapitalserhöhung um 34 Mill. Mk. Stammaktien, die ab 1. Juli
dieſes Jahres dividendenberechtigt ſein werden.
* Deutſche Reichsfinanzen. — Zunahme der
ſchwe=
benden Schuld um 1184 4 Mill. auf 2380 7 Bill. M.
Die ſchwebende Schuld des Reiches hat in der 1. Sept.=Dekade beinahe
eine Verdoppelung erfahren. Davon ſind 2 380 559 963 847 000
Schatzan=
weiſungen mit dreimonatl. Laufzeit und 167 810 430 000 mit längerer
Laufzeit.
* Oſt=Oberſchleſiſche Steinkohlenförderung. Die
Oſt=Oberſcleſiſche Steinkohlenförderung belief ſich laut „Induſtrie=
Kurier” in der Zeit vom 3. bis 9. Sept. bei einer fördertägigen Leiſtung
von 81 631 Tonnen auf insgeſamt 489 788 Tonnen gegen 493 820 Tonnen
in der Vorſoche. Davon verblieb innerhalb Poln.=Oberſchleſien 152 833
Tonnen, nach dem übrigen Polen gelangten 113 020 Tonnen, nach
Deutſch=Oberſchleſien 34 066, nach dem übrigen Deutſchland 103 652
Ton=
nen. nach Deutſch=Oeſterreich 52 137 Tonnen, nach der Tſchechoſlowakei
35 000 Tonnen, nach Ungarn 5 528 Tonnen, nach Danzig 1 716 Tonnen,
nach Memel 200 Tonnen, nach der Schweiz 1 230 Tonnen, nach
Rumä=
nien 1 376 Tonnen, nach Jugoſlavien 200 Tonnen, nach Litauen 46
Ton=
nen. Der Kohlenbeſtand betrug am letzten Tag der Berichtswoche 235 008
Tonnen. Es wurden alle angeforderten (43 010) Wagen geſtellt.
* Deutſche Gußſtahlkugel= und Maſchinenfabrir
A.=G., Schweinfurth. Zulaſſungsantrag über 55 Mill. Mk. neuer
Stammaktien wurde an der Berliner Börſe geſtellt. Im Proſpekt zur
Zulaſſung werden die Ausſichten der Geſellſchaft für das laufende
Ge=
ſchäftsjahr günſtig beurteilt, ſo daß unter dem üblichen Vorbehalt mit
einem zufriedenſtellenden Ergebnis, gerechnet werden kann. Nach einer
Zwiſchenbilanz per 31. Juli 1923 hat ſich das Bankguthaben von 259
Mill. Mk. auf 10 Milliarden Mark erhöht, die Debitoren von 2,6
Mil=
liarden auf 34,7 Milliarden Mark, während andererſeits Kreditoren nur
verhältnismäßig geringe Zunahmen von 1,8 auf 4,6 Milliarden Mark zu
verzeichnen hatten. Die Warenbeſtände werden als unverändert
bezeich=
net. Der Umſatz des letzten Geſchäftsjahres wird mit 5,7 Milliarden Mk.
angegeben.
h. Maſchinenfabrik Breuer=Buderus. Die
außer=
ordentliche Generalverſammlung der Maſchinen= und Armaturfabrik
vorm. H. Breuer u. Co. in Höchſt a. M. genehmigte die Aufhebung
der Unveräußerlichkeit der Vorzugsaktien, die Beſchränkung des 20fachen
Stimmrechts in Verfolg des Fuſionsvertrages mit Buderus Wetzlar.
Dem Aufſichtsrat wurden neu hinzugewählt die Herren Bergbaurat
Dr. Gröbler, Gießen, Hüttendirektor Humperdink, Direktor Köhler
und Direktor Jean Leiß, ſämtlich in Wetzlar.
* Gebr. Goedhart A.=G., Düſſeldorf. Ein Teilbetrag
der neuen für das Geſchäftsjahr 1923 dividendenberechtigten
Stamm=
aktien wird den Aktionären zum Bezug angeboten. Auf nominal 2000
Mk. alte Stammaktien kann eine neue zu nominal 1000 Mk. zum
Gegen=
wert von 6 Dollar zuzüglich Bezugsrechts= und Börſenumſatzſteuer
be=
zogen werden. Das Bezugsrecht iſt bis zum 16. Oktober einſchließlich
auszuüben.
Die Lage des amerikaniſchen Eiſen= und
Stahlmarktes. Das amerikaniſche Fachblatt „Iren Trade
Re=
view” Cleveland, Ohio, kabelt über die Lage des amerikaniſchen Eiſen=
und Stahlmarktes: Das Vertrauen in die Marktlage iſt geringer
ge=
worden, da die erwartete Herbſtbeſſerung nur langſam eintritt. Die
Erzeugung der Walzwerke überſteigt den Auftragseingang. Die
er=
leichterte Lieferungsmöglichkeit veranlaßte die Pennſylvaniſchen
Eiſen=
bahnen und andere Käufer, mit Beſtellungen zurückzuhalten. Jedoch
iſt die Grundlage des Marktes gut und die Ausſichten günſtig. Die
Preiſe ſind feſt, der Auftragseingang in Baueiſen gut. Die Lage auf
dem Röhren= und Weißblechmarkt iſt befriedigend; die Hütten arbeiten
mit 80 bis 85 Prozent ihrer Leiſtungsfähigkeit. Von einer führenden
Gießerei wurden 25000 Tonnen Alabama=Roheiſen abgeſchloſſen.
Japan kaufte 35 000 Fäßchen Drahtſtifte, 20 000 Tonnen Weißblech und
anderes Material. Man erwartet weitere große Aufträge. Der
Ferromanganmarkt iſt unverändert ruhig, während der
Spiegeleiſen=
markt bei einem Preiſe von 44 bis 45 Dollar frei Hochofen lebhafter
iſt. Der Verbrauch in Stahl iſt noch ſehr hoch. Die Drahtwalzwerke
haben ihre Erzeugung geſteigert. Die großen Grobblechwalzwerke ſind
gut beſchäftigt, teilweiſe bis zum Februar.
Banken.
* Oſtbank für Handel und Gewerbe Königsberg.
Die Geſellſchaft bietet einen Teilbetrag von 75 Mill. Mk. der neu zur
Ausgabe gelangenden 125 Mill. Mk. ab 1. Jan. 1923
dividendenberechtig=
ten Stammaktien zum Bezug an. Auf je nominal 1000 Mk. alte Aktien
kann eine neue zu nominal 1000 Mk. zu 3000 Proz., zuzüglich
Bezugs=
rechtsſteuerpauſchale und Schlußſcheinſtempel bezogen werden. Das
Be=
zugsrecht iſt bis zum 9. Oktober einſchließlich auszuüben.
Neugründungen.
h. Alberk Schneider A.=G., Kunſtſpeiſefettfabrik,
Karlsruhe. Unter dieſer Firma wurde mit 170 Mill. Mk. eine neue
Aitiengeſellſchaft gegründet, die die Fabrikation und den Handel mit
Kunſtſpeiſefett, Margarine und verwandten Artikeln, ſowie den Handel
mit Fetten und Oelen, Futtermitteln, Getreide Obſt und verwandten
Artikeln zum Gegenſtand hat. Die Gründer haben ſämtliche Aktien zu
100 Prozent übernommen. Zum Vorſtand wurden Fabrikant Albert
Schneider=Karlsruhe und Kaufmann Ferdinand Kahn=Karlsruhe beſtellt.
Den erſten Aufſichtsrat bilden: Fabrikant Bernhard Kramer=Heidelberg,
Kaufmann Adolf Loew=München und Kaufmann Franz Herfel=
Karls=
ruhe.
Anleihen.
wb. Begebung einer 5prozentigen
Goldmark=
anleihe der Stadtgemeinde Danzig. Durch Vermittlung
eines unter Führung der Preußiſchen Staatsbank (Seehandlung)
ſtehen=
den Bankenkonfortiums wird in der Zeit vom 24. September bis
1. Oktober eine 5prozentige Goldmarkanleihe der Stadtgemeinde
Danzig zu 98 Prozent unter Zugrundelegung des Dollarkurſes zur
öffentlichen Zeichnung aufgelegt werden. Der Erlös der Anleihe iſt
für den Ausbau der im Gebiet des Freiſtaates Danzig belegenen
Waſſerkräfte, die der Elektrizitätserzeugung nutzbar gemacht werden,
beſtimmt. Die erforderlichen Bauten ſind ausſchließlich von in
Deutſch=
land anſäſſigen Firmen auszuführen, ſo daß der Anleiheerlös der
deutſchen Induſtrie zug te kommt. Die Einzelheiten der
Anleihe=
begebung werden noch bekannt gemacht.
Warenmärkte.
h. Mannheimer Wochenberichte. Getreide. Die
Verhältniſſe auf den Waren= und Produktenmärkten haben ſich noch
weiter verſchlechtert. Durch die auch in der abgelaufenen Woche
fort=
geſetzte Markentwertung wurden die Preiſe für die Produkte dieſer
an=
gepaßt, aber das Vertrauen der Produzenten zu der Mark fehlt, und
deswegen wollen ſie nichts abgeben, ohne zu bedenken, daß dadurch die
Ernährungs= und Teuerungsſchwierigkeiten nur noch vermehrt, die
Ver=
breiterung der Unruhen im Reiche bewirkt werden. Aber ſelbſt wenn
genügend Angebot vorhanden wäre, ſo iſt doch der Handel nicht mehr
in genügendem Maße aufnahmefähig, da ihm die Geldmittel zum
Ein=
kauf fehlen, die heute notwendig ſind. Eine Aenderung der Währung,
Unterſtützung durch Reich und Länder, wie es Bayern bereits in
Aus=
ſicht genommen hat, und weitere ſtarke Heranziehung der Landwirtſchaft
zu den Steuern, welch letzteres wieder zu größerem Angebot führen
dürfte, können dem Markt zu neuem Leben verhelfen. Durch den hohen
jrdiſchen Feiertag am Donnerstag fiel die zweite offizielle Börſe aus,
und die beiden offiziellen Börſennotierungen zeigen folgende Differenz:
Weizen 283—300 zu 420—450, Roggen 200 zu 350—400, alte Gerſte 200
bis 235 zu 340—375, neue Gerſte 250—260 zu 380—425, alter Hafer 200
zu 275—300, neuer Hafer 220—240 zu 300—350, alles in Millionen
Mark pro 100 Kilo bahnfrei Mannheim. Die Steigerung beträgt alſo
zwiſchen dieſen beiden Zahlen 25—50 Prozent.
Mehl. Auf dem Mehlmarkt war die Lage gleich. Geringes
An=
gebot. Aber auch kleine Nachfrage. Nicht nur der Konſum, ſondern
auch der Kleinhandel iſt zum Einkauf geringer Mengen genötigt. Dazu
kommt noch daß die Landwirtſchaft wieder aus eigenen Beſtänden
ſchöpft, nachdem ſie ihr Ernteerträgnis ausgemahlen hat. Während
die großen Manheimer Handelsmühlen durch die Beſetzung immer noch
ſtilliegen, ſind die kleineren Kundenmühlen auf dem Lande ſtark
über=
laſtet. Der Richtpreis der ſüddeutſchen Mühlen wurde von 640 auf
950 Millionen Mark pro Doppelzentner für Weizenmehl Spezial Null
erhöht, die zweite Hand ſchraubte ihre Forderungen von 550—600 auf
750—950 Millionen Mark, bei Roggenmehl von 420 auf 600—700
Mil=
lionen Mark hinauf. Der Umſatz blieb ſehr klein, da er ſich abermals
nur auf den dringendſten Bedarf beſchränkte.
Futtermittel. Der Markt bewegte ſich in ſehr engen Bahnen.
Der Konſum hat ſich gegenwärtig nur auf die zwei Artikel Kleie und
Biertreber oder Malzkeime eingerichtet und verfüttert dieſe faſt
aus=
ſchließlich. Weizenkleie koſtet 210 gegen 130—140, Biertreber 200—220,
Rohmelaſſe 150—180 Millionen Mark pro 100 Kilo ab Mühlen= bzw.
Fabrikſtation. Kleie, die bisher mit Biertreber und Malzkeimen auf
ziemlich gleicher Preisbaſis ſtand, wurde nun von letzteren beiden
Ar=
tikeln im Preiſe überholt. Von Rauhfuttermiteln iſt der Markt
wiederum nur von Stroh beſchickt geweſen. Die Forderungen lauten
für Preßſtroh auf 36—40 gegen 33—36, für Bundſtroh auf 32—38 gegen
28—30 Millionen Mark pro Doppelzentner waggonfrei Mannheim.
Die Preiſe haben bei Stroh demnach nicht im gleichen Verhältnis wie
bei den anderen Artikeln angezogen, was wohl auf größeres
Angebot=
bei den fortſchreitenden Druſcharbeiten zurückzuführen iſt.
Kolonialwaren. Der Großhandel wie der Kleinhandel hat
ſeine Berechnung nun ganz auf Goldmarkbaſis eingeſtellt. Die
Stim=
mung iſt ſehr feſt, der Abſatz umfaßt nur den reinen, dringenden
Be=
darf. Gefordert wurden für Kaffee Santos roh 2,8—3,1, gewaſchen
2,28—3.46, Tee mittel 7,5—8,4, gur 8,4—9,4, fein 9,4—10,4, inländiſchen
Kakao 2,6—2,0, holländiſchen Kakao 2,8—3,2 Burma=Reis 0,42, Grieß=
Weizen 0,45, Hartweizen 0,48 Goldmark auf Dollarbaſis pro Kilo ab
Mannheim.
Tabak. Der zu Ende der Woche eingetretene anhaltende Regen
hat der Heimbringung der Ernte vorerſt ein Ende gemacht. Die bis
dahin beſtandene günſtige Witterung hatte es aber doch ermöglicht,
einen großen Teil der neuen Ernte unter Dach zu bringen. Wenn ſich
bis jetzt auch noch kein Urteil über die Qualität des diesjährigen Tabaks
bilden läßt, ſo kann doch von dem bis jetzt eingebrachten Tabak geſag:
werden, daß er brauchbares Material für die Zigarrenfabrikation
lie=
fern wird. Der Einkauf in Grumpen und Sandblättern ruhte auch
dieſe Woche noch, da die Pflanzer noch nichts feilhalten und, wie
be=
reits ſchon mehrmals berichtet, dieſes Jahr nicht zu früh verkaufen
wollen. Alle im Vorjahre Hereingefallenen ſind heute noch verärgert
und keiner will abliefern. Nur eine Beſſerung der Mark kann hier
eine Aenderung bringen. Für vorjährige Tabake wird holländiſche=
Währung verlangt, die Fabrikanten kaufen da aber lieber überſeeiſche
Tabake für ihre Debiſen. Der Mangel an Rohmaterial läßt die
Fabri=
kation von Woche zu Woche zurückgehen, um den Vorrat ſoweit wie
möglich zu ſtrecken. Auch der Handel hält mit dem Verkauf ſtark zurück.
Rippen ſind geſucht, aber nur gegen holländiſches Geld erhältlich.
Obſt. Die Zufuhren ſind immer noch ſtark, entſprechen aber nicht
der Nachfrage, da der Konſum jetzt ſucht, ſeinen Winterbedarf
einzu=
decken. Auf dem Freinsheimer Obſtgroßmarkt koſteten Zwetſchen 500 000
bis 800 000 Mk., Birnen 400 000—1 200 000 Mk., Aepfel 200——700 000
Mark, Mirabellen 300—500 000 Mk., Trauben 2—3,5 Mill. Mk.,
Pfir=
ſiche 600 000—2 000 000 Mk., Gurken 120 000 Mk. das Stück.
Hopfen. Die Pflücke der Hopfen iſt in der Pfalz im Gange. Das
Ergebnis iſt ſehr verſchieden und ſchwankt zwiſchen gänzlichem
Aus=
fall und einem halben Zentner pro Anlage. Die Stangenanlagen
ver=
ſagen faſt ganz. Trockene Ware iſt ſchon vorhanden, aber es kam noch
nicht zu Verkäufen. Vereinzelt wurden geboten 600—800 Millionen
Mark pro Zentner, doch rechnet man mit einer Milliarde Mindeſtpreis;
anders wollen die Pflanzer nicht abgeben.
Wein. Die ſommerlichen Tage zu Anfang des September ſcheinen
vorbei zu ſein. Die Traubenreife wurde durch ſie noch ſtark gefördert;
der nun aber eingetretene anhaltende Regen mit kühler Witterung hält
nun die letzte Ausreifung auf und fördert die Ausbreitung von
Unge=
ziefer. Die Ernteausſichten werden auch weiter ſehr verſchieden
beur=
teilt. Der Handel war ziemlich ruhig, nachdem die Preiſe in die
Mil=
liarden gehen. Dem Handel fehlen die Geldmittel und dem Winzer das
Vertrauen zu der dafür angebotenen Papiermark.
wb. Berliner Produktenmarkt. Mit dem Steigen des
Dollars erhöhten ſich auch am Produktenmarkt die Preiſe wieder. Das
Angebot vom Inlande war nur mäßig und es gab ſich allenthalben
vermehrte Kaufneigung kund. Von Roggen wurde für die
Reichs=
getreideſtelle Ware gekauft und man nimmt an, daß ſich dies in nächſter
Zeit fortſetzen wird. Die Geldknappheit hinderte aber größere
Um=
fätze. Weizen, Gerſte und Hafer mußte gleichfalls erheblich keurer
bezahlt werden. Ebenſo ſtiegen Mehl und Futterſtoffe im Preiſe
be=
trächtlich.
Börſen.
wb. Berliner Debiſenmarkt. In Debiſen war das
An=
gebot heute vormittag wieder ſehr klein, die Preiſe zogen daher im
Freiverkehr bei geringen Umſätzen fortdauernd an. Der Dollar erreichte
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Abſtinenz iſt Irrlehre!
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denn die Gerſte, die in Form von Malz zur Bierbereitung verwendet wird,
iſt kein Brotgetreide! Zur Brotbereitung wird Gerſtenmehl überhaupt nicht
verwendet.
überden Nährwertdes Bieresbeſtehtbeider Wiſſenſchaftkein Zweifelmehr.
Bier iſt alſo Nahrungsmittel und gleichzeitig
das harmloſeſte Genußmittel der breiten Bevölkerungsſchichten!
Der Kampf der Abſtinenten gegen das Bier
mit dem Endzweck des Verbotes auf Grund ſolcher Probeabſtimmungen, die
tendenziös, unſachlich, nicht kontrollierbar und fanatiſch aufgezogen ſind,
kommt Volksbetrug gleich!
Und wenn die Abſtinenten auf Amerika hinweiſen, das die Prohibition
durch Geſetz eingeführt hat, ſo höre man, was der verſtorbene Präſident
Harding in einer Aeußerung prophezeit, die am 9. Dezember 1922 in der
„Waſhington Poſt” zu leſen war:
„Das Trinkverbot iſt durch die amerikaniſche Nation als zur Verfaſſung
des Landes gehörig angenommen worden. Es iſtdas oberſte Geſetz des Landes,
Doch hat die Durchführung Zuſtände gezeitigt, die einem die ganze Nation
umfaſſenden Skandal nahekommen. Es iſt der am meiſten entſittlichend
wirkende Faktor im öffentlichen Leben.” Mit dieſer Aeußerung hat der
ver=
ſtorbene Präſident Harding ſeinen früheren Standpunkt revidiert, den er
an=
fänglich zur Prohibition eingenommen hat und den die Abſtinenten einſeitig
nur veröffentlichen.
Wie der verſtorbene Präſident Harding zuletzt dachte, ſo urteilt heute
nahezu das geſamte amerikaniſche Volk. Dieſe für ſie bittere Wahrheit
ver=
ſchweigen die Abſtinenzler wohlweislich,
In Amerika muß und wird deshalb das Prohibitionsgeſetz wieder fallen.
Millionen amerik. Bürger und ganze Körperſchaften fordern alsbald wieder die
(*25426
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Nummer 38
MMMMütt di
Darmſtädter Tagblatt
Deutſche Gegenwartsſchriftſtellerinnen.
Von Dr. Ella Menſch.
XI.
Sofie Hoechſtetter.
Eine ſehr reiche Natur, die bei blühendem phantaſtiſchen
Schwung doch ein ſtarkes Gefühl für die Wirklichkeit beſitzt. Die
Landſchaft, die ſie mit Vorliebe zum Hintergrund ihrer Geſtalten
wählt, iſt ihr heimatliches Franken. Es ſind vornehmlich
die verſchlafenen Rokokoſchlöſſer, denen ſie gar feine,
ſtimmungs=
volle Schönheiten abzugewinnen weiß. Auch Rätſel und
Ge=
heimnis lockt ſie: So hat ſie es verſtanden, mit wenigen Strichen
das verſchollene Leid und Schickſal jener preußiſchen Prinzeſſin
Friederike aus dem Schutt der Vergangenheit wieder
herzuſtellen und dem Leſer das bemitleidenswerte Daſein einer
Frau nahezubringen, von der weit weniger die Rede iſt als von
den anderen Schweſtern des großen Preußenkönigs. Friederike,
die an den Markgrafen von Ansbach verheiratet war, hatte ein
noch dunkleres Los gezogen als ihre Schweſter Wilhelmine von
Bahreuth.
Der Titel eines Hoechſtetterſchen Buchs: „Sehnſucht
Schönheit — Dämmerung” deutet gleichſam ihre ſeeliſche
Innenwelt an. In ihren letzten Büchern „Heimat” und
„Scheinwerfer”, iſt ſie nicht etwa nur den brennenden
Tagesfragen nähergetreten, ſondern leuchtet auch hinein in die
letzten Beziehungen zwiſchen den Menſchen und den Völkern.
So ergibt es ſich, daß eine Ideenverbindung ſchließlich in einer
Sentenz ausklingt. Der heiße Sommerflimmer der Julitage
liegt über den Menſchen und Vorgängen der „Heimat” In
dem Herzen des deutſchen Leſers, der nach einem Buch greift,
um den ſchweren ſeeliſchen Druck los zu werden, iſt noch alles
Spannung und Erwartung. Er kann es nicht faſſen, „daß die
Völker der ziviliſierten Welt auf der Seite eines kleinen rohen
Volkes ſtehen, deſſen Regierung den abſcheulichen Mord
mit=
wiſſend hatte geſchehen laſſen” Und weiter ſagt er ſich: „Die
Sache der Menſchheit wird nicht im Bürgerlichen, im
Traditions=
loſen entſchieden. Die Sache der Menſchheit trägt immer nur
das Genie zu ihren Himmeln”. Aber: „es iſt eines der
Gebre=
chen des Deutſchen von Kultur, daß er die Politik zu ſehr
außer Acht läßt in ſeinem Wirkungsprogramm.‟ Deshalb macht
er die Erfahrung, daß das Traditionsloſe von jeder
Augen=
blickswahrheit faſziniert werden kann. Und damit ſtehen wir
auf dem Boden des Romans „Scheinwerfer” der während
der Stimmung der Novemberrevolution entſtand. Es lag der
Autorin fern, die Umwälzung etwa nach dem Kauſalitätsgeſetz
zu unterſuchen. Nur Momentbilder wollte ſie herausgreifen,
denn das weiß ſie: „Wir alle können den Scheinwerfer unſeres
Herzens und unſerer Einſicht nie auf eine Totalität werfen,
weil ſie nicht exiſtiert”. Wenn ſich bei Sofie Hoechſtetter irgend
eine zielbewußte Tendenz ausſpricht, ſo iſt es ihr Vorſtoß gegen
alles, was Philiſter und Philiſterium heißt. Wenn ſie ſchreibt
(angeſichts der großen Proletarierbewegung): „Der Bürger in
Deutſchland hat alles verlacht, was über ſeinen Horizont ging,
nichts von einer Erneuerung gewußt, nur von einem öden
Fort=
ſchritt. Nun kommt die Rache!” ſo vergißt ſie, daß es in
anderen Ländern genau ſo ausſah, nur mit dem Unterſchied,
daß ſelbſt im deutſchen Spießbürger ein ungleich größerer Zug
zu ungemünzten Werten beſteht als anderswo. Schließlich: „Er
braucht die roten Fahnen nicht zu ſehen wie einen Schrecken. Er
kann an die Mohnblumen in den Feldern denken. Sie haben
eine kleine Zeit ihr Recht. Dann verweht ſie der Wind und das
Kornfeld wächſt doch zu ſeiner Ernte. Die alte Erde des
Vater=
landes bleibt, und was gut und wahr und eine Kraft iſt, kann
nicht untergehen.”
Auf das unklare und unverantwortliche Gerede, daß es am
Ende ja nicht ſo viel ausmache, daß das Deutſche Reich an allen
Ecken und Enden beſchnitten und verſtümmelt werde, daß
des=
wegen und trotzdem eine reiche innere Kultur aufblühen könne,
hat das Buch die treffende Antwort: „Der Mann braucht das
Gefühl zum Vaterland, um wirken zu können. Ein Vaterland
aber beſteht aus Erde, aus Grund und Boden, aus Städten,
einem Exiſtenzprinzip für die Maſſe, die wir Volk nennen. Für
Ausnahmenaturen gibt es Inſeln und Einſiedeleien. Geſetze
und Maximen für das Ganze können nicht in den
Lebensbedin=
gungen des Ausnahmemenſchen beſtehen.” — Der Roman
„Scheinwerfer” bei Engelhorn=Stuttgart erſchienen, iſt im
Handlungsgewebe nicht ſo feſt und klar geſponnen wie andere
Man frage nicht, ob man durchaus übereinſtimmt, ſondern
ob man in einem Sinne verfährt.
Goethe.
Bücher der Autorin. Reflexion überwuchert das Stoffliche. Hie
und da — das liebt die Hoechſtetter — wird auch ein Abſtecher
ins Okkulte unternommen, wie z. B. der Satz andeutet: „Was
der Menſch vielleicht für Träume hält, ſind die
Vorausſpiege=
lungen der Geſtalten und Geſchehniſſe, die ihn erwarten, 1 eil
ſie ſich mit ihm verbinden wollen.”
Eliſabeth von Heyking.
Wenn mein Auge auf die großen eleganten Schriftzüge
fällt, mit denen die Verfaſſerin von „Briefe die ihn nicht
erreichten” das mir beſtimmte Widmungsexemplar der
Er=
zählungen „Der Tag Anderer” gezeichnet hat, ſteht gleich
die ganze Perſönlichkeit vor mir: Weltdame vom Scheitel bis
zur Sohle; durch die diplomatiſche Schulung der Höfe gegangen,
aber doch nicht gebannt in die Schranken dieſer Welt. Die
Ab=
kömmlingin der Bettina von Arnim trägt jenen ſtarken Drang
nach Freiheit in ſich, der die konventionellen Bande mißachtet,
wofern ſie ſich nicht im höheren Sinne rechtfertigen können.
Als ich Eliſabeth v. Heyking kurz vor ihrer Abreiſe nach
Belgrad, im Berliner Tiergartenviertel, kennen lernte, entnahm
ich unſerer Unterhaltung, die ſich um ernſte Gegenſtände
be=
wegte, einen nachhaltigen, ſympathiſchen Eindruck, den mir jede
weitere Veröffentlichung ihrer Erlebniſſe nur verſtärken konnte.
Baronin v. Heyking hat nicht viel geſchrieben; mit kleinem
literariſchen Gepäck wird ſie ſich auf die Nachwelt bringen.
Viel=
leicht erwuchs ihr ein Vorzug aus dem Umſtand, daß nie äußerer
Zwang, nur innere Nötigung ihr die Feder in die Hand drückte.
Als ich ſie ſprach, ſtand ſie im Zenith ihres Frauentums und
ihrer Schöpferkraft. Und doch fühlte ſie, daß „Der Tag Anderer”
kommt und daß man gut tut, ſich bei Zeiten zu beſcheiden, mit
jener ſtillen Reſignation, die immer die Würde wahrt. Nach
dem Tode des geliebten Gatten iſt es recht ſtill um ſie herum
geworden. Aus ihrer Zurückgezogenheit auf ihrem Schloß bei
Croſſen a. d. Elſter verfolgt ſie jedoch das bunte Spiel des
Lebens mit philoſophiſchem Blick. Verblaßt ſind die hellen und
dunklen Töne, die einſt aus ihrem Diplomaten=Roman „IIle
mihi. . ." in die Welt hineinklangen, halb Anklage, halb
Rechtfertigung, daß der Staatsdienſt Opfer fordert und nicht
immer mit Dank lohnt, hatte ſie durch die Laufbahn des Gatten
erfahren können. Mittlerweile iſt die Autorin zu den
Erkennt=
niſſen vorgedrungen, die ſie in der feinſinnigen Erzählung
„Das vollkommene Glück” ablagert: „Das wahre Sein
liegt jenſeits aller irdiſchen Gebundenheit” und: „Wenn wir
verirrt ſein ſollten, herausgeſchleudert aus der urſprünglichen
Heimat, und es des Lebens Aufgabe iſt, den Weg dorthin
zu=
rückzufinden, ſo glaube ich doch nimmer, daß er in Abſtumpfung
beſtehen kann. Nicht Minderung, nein, Steigerung unſeres Ichs,
denn es liegt in jeder Fähigkeit zu außergewöhnlicher
Gefühls=
ſtärke allemal eine Begnadigung.”
Eliſabeth v. Hehking war, wie ſie ſelbſt von ihrem Urbild
im „Tag Anderer” erzählt, beftimmt, eine von den träumeriſch
nachdenklichen Frauen zu werden, die des Lebens Rätſel
an=
ziehen, die, Ausſprache und Verſtändnis erhoffend, eine große
Sehnſucht nach dem Ideal im Herzen tragen und, geborene
Schönheitsſucherinnen, prädeſtinierte Liebende ſind. In dem
deröffentlichten Novellenkranz „Weberin Schuld” führt ſie
uns zu ſüdlichen Meeren, zu ſonderbaren Ständen, wo ſich
fra=
gendes Zweifeln an allem Beſtehenden wie ein Mittagsgeſpenſt
hervorwagt, wo die alten Worte Schuld und Sühne plötzlich
einen anderen Sinn erhalten.
C. K. Die Geheimſchrift mit der Schreibmaſchine. Die
Ge=
heimfsriften haben in letzter Zeit immer mehr Bedeutung
er=
langt, nicht nur durch den Krieg, wo ſie ſich als wichtiges
Hand=
werkszeug der Diplomatie erwieſen, ſondern auch im
wirtſchaft=
lichen Leben, wo ſich der Kaufmann nicht mit den üblichen
Tele=
graphen=Codes begnügen kann, wvenn er die Geheimhaltung
wich=
tiger Mitteilungen geivahrt wiſſen will. Bei den zahlloſen
Syſte=
men für Geheimſchriften war es aber bisher doch immerhin nicht
unmöglich, den Schlüſſel zu finden und die Entchiffrierung
vorzu=
nehmen. Man hat damit bei dem Nachrichtendiebſtahl des
Welt=
krieges trübe Erfahrungen gemacht. Nunmehr iſt es gelungen,
die Entchiffrierung durch Unbefugte unmöglich zu machen durch
die Erfindung einer Chiffriermaſchine, über die Fritz Hanſen
in der Frankfurter Wochenſchrift „Die Umſchau” berichtet. Die
Maſchine, die das Chiffrieren und Entchiffrieren in ein
wiſſen=
ſchaftlich=techniſches Syſtem bringt, hat die Form einer
Schreib=
maſchine und iſt ſo konſtruiert, daß ſie durch ſinnreiche
Kombina=
tionen von Zahnrädern und elektriſchen Kontakten es ermöglicht,
aus einer einfachen Schrift über Tauſchalphebete hinweg Perioden
von Buchſtabenänderungen vorzunehmen, ſo daß eine unbefugte
Dechiffrierung unmöglich iſt. Es können nämlich nicht weniger
als 22,2 Milliarden Schlüſſel eingeſtellt werden. Iſt ein ſolcher
Schlüſſel eingeſtellt und der Antriebsmotor eingeſchaltet, ſo kann
man auf der Maſchine wie auf einer Schreibmaſchine ſchreiben,
und die niedergeſchriebenen Buchſtaben werden ſelbſttätig ſo
ge=
ändert, daß ein Buchſtabe jedesmal einem Chiffrierbuchſtaben
entſpricht. Eine ſolche chiffrierte Mitteilung bildet eine völlig
ſinnloſe Buchſtabenfolge von 5 Buchſtaben, wobei niemand weiß,
wo ein Wort anfängt oder aufhört; die Dechiffrierung aber iſt
ganz einfach. Es wird nur der zwiſchen den beiden
Korreſponden=
ten vereinbarte Schlüſſel eingeſtellt, und dann tippt die
Schreib=
maſchiniſtin, die ſinnloſe Buchſtabenreihe infach hintereinander
ab, wvorauf der richtige Wortlaut mit allen Zwiſchenräumen,
Zeichen, einzelnen Worten, Zahlen uſw. erſcheint. Dieſe neue
Chiffriermaſchine, ein Meiſterwerk deutſcher Technik, iſt nicht nur
für den diplomatiſchen Verkehr, ſondern auch für Banken,
Schiff=
fahrtsgeſellſchaften uſw. von aller größter Wichtigkeit, und auch
die Anforderungen im Poſtbetriebe werden dadurch in vollem
Umfange erfüllt.
nk. Die Waſſerkraft der Welt. Nach einer amtlichen
Unter=
ſuchung kann, leſen wir in der Zeitſchrift „Die Waſſerkraft”, die
Geſamtwaſſenkraft der ganzen Ende auf mindeſtens 439
Millio=
nen PS. geſchätzt werden. Ausgebaut ſind freilich davon heute
erſt 5,4 Prozent.
Die Pflegerin.
Novelle von Anna Kappſtein.
nk. Eine Paradiesvogelinſel. Die zu den kleinen Antillen
gehörige Inſel Klein=Tobago befindet ſich nach den „
Mitteilun=
gen über die Vogelwelt” im Privatbeſitz eines Engländers, Sir
William Ingram. Sie iſt ornithologiſch dadurch bekannt
gewor=
den, daß der Beſitzer hier mit Erfolg Paradiesvögel eingebürgert
hat. Vor 12 Jahren ſetzte er einige Paare aus, die in dem
tropi=
ſchen Klima vortrefflich gediehen und ſich angeblich ſchon auf
einige hundert Stück vermehrt haben ſollen. Dies wurde
nament=
lich auch dadurch ermöglicht, daß Störungen durch Federnjäger
ausgeſchloſſen waren; denn größere Schiffe können an dem
ſteilen Felsgeſtade der Inſel nicht landen und auch für kleine
Fahrzeuge iſt das wegen der furchtbaren Brandung ſehr ſchwer
und nur unter ortskundiger Führung möglich. Die genannten
Umſtände machen aber den Aufenthalt auf der Inſel zu einem
ſehr beſchwerlichen, und deshalb hat der Beſitzer das Eiland jetzt
für 2000 engliſche Pfund zum Verkaufe ausgeſchrieben. Die
zoo=
logiſche Geſellſchaft von New=York wird die Inſel wohl erwerben.
nk. Ein künſtlich angelegter Naturſchutzpark. Zwiſchen
Auſſig und Schönprieſen hat der Auſſiger Großkaufmann
Hein=
rich Lumpe einen Naturſchutzpark geſchaffen, der, in einem
Ausmaße von 5 Hektar angelegt, vornehmlich dem Vogelſchutze
dient. 300 Niſtkäſten und zahlreiche andere natüliche und
künſt=
liche Niſtgelegenheiten, die Aufſtellung über 14 in dem Park
ver=
teilter Futterſtellen, haben, erzählt Prof. Dr. Baſtian Schmidt
in der von ihm herausgegebenen Zeitſchrift „Natur”, die
Vogel=
welt ſehr nach dem Park gezogen. Was dem Lumpepark aber
ein beſonderes Merkmal verleiht, iſt die Tatſache, daß der Park
vollkommen künſtlich angelegt iſt: ſelbſt das Waſſer wurde
künſt=
lich herbeigeleitet. Erwähnenswert ſind auch die mancherlei
Naturraritäten, die ſich in dem Park finden und ihn zu einer
Sehenswürdigkeit machen: verſteinerte Baumſtrünke,
Bafalt=
blöcke u. v. a. — im Ganzen 11 vollgefüllte Eiſenbahnwaggons
— wurden in den Park geſchafft und bilden heute ſeine Zierde.
Kein Wunder, daß dem Park heute ſchon eine große Zahl
Be=
ſucher zuſtrömen.
Kb. Die Pflegerin war eingetroffen, ſehnlich erwartet. Man
konnte den blinden Vater nicht länger ohne Wartung laſſen.
Sohn und Schwiegertochter waren ſeit langem darin einig. Auch
ſie waren nicht mehr die jüngſten, überbürdet mit Berufs= und
Hausarbeit. Wo ſollte Zeit und Nervenkraft herkommen, ſich
dem alten Herrn bei ſeinen vielfältigen Anſprüchen zu widmen?
Die Pflegerin, geſchult und geübt, übernahm die Aufgabe,
ohne von der inneren Teilnahme erſchüttert zu werden, an der
Angehörige eines Leidenden ſich verzehren. Sie arbeitete
ſach=
lich und verſtändig. Das, was Frau Renate ſich unter einer
barmherzigen Schweſter vorgeſtellt hatte, war ſie nicht. Keine
Haube verbarg ihr üppiges ſchwarzblaues Haar; nur über den
Flechtenknoten fiel ein kurzes, zierlich geſchlungenes dunkles
Seidentuch, von weißem Linnen eingerüſcht. Der weiße
Hals=
kragen über dem blaugeſtreiften Arbeitsanzug ſtand kleidſam
und ein wenig kokett durch die Art, wie die ſilberne Nadel ihn
hielt, zu der bräunlichen Geſichtsfarbe. Sehr rote Lippen und
ſehr lebendige, doch kühle Augen verhinderten jedweden
nonnen=
haften Anflug.
„Welchen Grund, ein klöſterliches Weſen zu erwarten, hatten
wir übrigens?” ſagte Doktor Reinhard Schweder zu ſeiner Frau,
als ſie abends unter ſich über die neue Hausgenoſſin ſprachen.
„Wir haben uns nicht um eine Diakoniſſe, ſondern um eine freie
Schweſter bemüht. Krankenpflege iſt ein Beruf wie andere auch.”
Renate gab ſich das von ſelbſt zu. Dennoch war ſie
über=
zeugt, daß ſie Schweſter Cäcilie nicht ins Haus gezogen haben
würde, wenn ſie ſie vorher gekannt hätte. Aber ſie ſprach es
nicht aus.
Mit der großen Güte, die der Arzt allen fremden Menſchen
entgegenbrachte, hieß er die Schweſter im Hauſe und am Tiſch
willkommen. Sie hatte im Augenblick erfaßt, daß ſie bei dem
Manne auf eine unbefangene Sympathie, bei der Frau auf eine
unter künſtlicher Herzlichkeit verborgene Zurückhaltung ſtieß, und
richtete ſich mit dieſer Beobachtung ein.
Auf alle Fälle war es unterhaltender, den Mann für ſich zu
haben, als die Frau. Selten iſt der Frau an Frauengunſt
ge=
legen. Männliches Wohlwollen, auch wenn es nur algemeiner
Menſchenfreundlichkeit entſtammt, ſelbſt wenn es väterlich
ge=
färbt iſt, hat einen Unterton von Ritterlichkeit, die eine Frau ſich
gerne vor den Wagen ſpannt. Sei es ein Nutz= oder
Sieges=
wagen. Aber die echte Eva weiß raſch auch den Nutz= in einen
Siegeswagen zu verwandeln. Auch wenn kein Vorteil dabei
herausſchaut. Es iſt gewiſſen Frauen Selbſtzweck, Männer zu
beeindrucken. Der Spott wirkt prickelnd, ſobald die Männer
an=
deren Frauen gehören.
Renate kannte ihr Geſchlecht. Sie ſah der Schweſter zu und
litt. Leidend wurde ſie zag, unfrei und linkiſch.
Das Mädchen ſpähte ihre Schwäche aus und wiegte ſich im
Wohlgefühl der eigenen Lebensſicherheit.
Ihre Witterung ſagte ihr, daß der Mann verglich.
Vielleicht war ihr Spürſinn der Tatſache um eine kleine
Weile voraus. Noch ſtellte er nicht Unterſchiede feſt. Noch
über=
ließ er ſich kritiklos dem Behagen, von quicker Jugend angeſtrahlt
zu werden.
Aber die Frau erkannte die Unterſchiede. Zum erſten Mal
wurde ſie gewahr, daß ihre Zeit um war. Vielleicht ſchon lange!
Sie hatte nie den Spiegel mit Eifer befragt. Genug, daß
ihre Seele ſich wie in unwandelbarer Blüte gefühlt und daß
an=
dere an dieſer Stelle ſich erfriſcht hatten wie an einem ſpäten
Duft des Frühlings. Nicht zuletzt ihr Mann, dem ſie Gefährtin
ſeines Geiſtes und ſeiner Mußeſtunden in Muſeen und Galerien
geweſen. Sogar Führerin im Bereich der Kunſt.
Es hatte ſich daran auch kaum etwas geändert, wenn ſie zu
zweien waren. Doch was zu beglücken vermocht hätte, war für
Renate wertlos geworden, ſeit jenem Augenblick, da die Dritte in
die Gemeinſamkeit eintrat, es auslöſchen konnte.
Ihr Herz zog ſich in Froſt und Trauer zuſammen. Sie
wurde ſchweigſam, weil Heiſerkeit ihr die Stimme verſchlug,
wenn die Schweſter am Tiſch ſaß.
Das war töricht. Sie verzichtete damit freiwillig auf das
Recht der Hausfrau, den Ton des Hauſes anzugeben.
Beklemmende Geſprächspauſen traten ein.
Der Mann richtete Worte und Blicke bald nur noch an
Schweſter Cäcilie wie an einen geehrten Gaſt.
Die Frau verſuchte, ſich ein mütterliches Lächeln um die
Lip=
pen zu zwingen, das ausdrücken ſollte: es iſt mir recht ſo. Ich
freue mich, daß der Grauhaarige von töchterlich ergebener Jugend
aufgemuntert wird. Sie lächelte aus wehem Stolz. Nur dem
Eindringling nicht die Genugtuung gönnen, daß ſie, die Frau,
Eiferſuchtsflämmchen in ſich ſchwelen ließ!
Aber die Schweſter ſtärkte ſich an Renates heimlichem Kampf.
Sie folgerte: dieſe Frau, die meine Herrin iſt, wird nicht wagen,
ungenügende Leiſtung oder Uebergriffe meiner Befugniſſe zu
tadeln; denn ſie würde ſich damit in offenkundigen Widerſpruch
zu ihrem Gatten ſetzen, der von vornherein auf meiner Seite ſteht.
Cäcilie folgerte richtig. Wenn der Hausherr am eigenen
Tiſch vergißt, der Frau das Brot, den Zucker zu reichen und nur
mich bedient, wenn er den blinden alten Vater mit rauher Rede
anfährt, der durch einen Wunſch meine Tiſchruhe ſtört, wenn er
nicht einmal zum Schein den Seinen mindeſtens das
geſellſchaft=
liche Uebergewicht wahrt: ſo iſt mir meine Stellung geſichert,
der Frau zum Trotz.
Renate dachte gar nicht daran, der Schweſter zu kündigen.
Sie hätte damit ihr wundes Herz ja preisgegeben. Jeder
Schein=
grund für eine Entlaſſung wäre durchſchaut worden.
Aber ſie grübelte einem ſtichhaltigen Grunde nach. Sie
verſank in wirre und ſchlimme Gedanken. Sie verlor ſich
ſelbſt dabei.
Der Arzt, den die Männer als einen hervorragenden
Diag=
noſtiker prieſen und der vor Frauenſeelen Zeit ſeines Lebens
ein großes Kind geblieben, begriff nichts von den
Zuſammen=
hängen.
Er vermißte die frohe Aufgeſchloſſenheit der Frau, die mitz
Geiſt und Seele ſonſt um ihn geweſen.
Weder Geiſt noch Seele hatte die Schweſter aufzubieten.
Nichts als ihre Jugend. Das war viel. Für Viertelſtunden.
Ein Spielzeug.
Für den ernſten Grundton des Lebens verlangte der Doktor
den Gleichklang der in Jahrzehnten bewährten und gereiften Ehe.
Das hätte Renate beruhigen können. Doch ihre Seele war von
Mißklängen zerriſſen.
Von außen ſah ihr Zuſtand übler Laune zum Verwechſeln
ähnlich.
Sie wurde fahrig und vergeßlich. Reinhold, trotzig, weil ſie
ſich entzog, rügte ihre Verſehen. War ſo unzart, ſie vor der
Fremden zu rügen. Ließ ſich gereizt zu neuer Unwirſchheit gegen
den Greis hinreißen. Nur die Läſſigkeiten der Schweſter überſah
er. Nur der Schweſter begegnete er mit himmliſcher Geduld
weil er meinte, durch Milde gutmachen zu müſſen, was die Hau
frau durch knappes Wort und ſtrenge Miene an dem Mädck
Seite 2.
Darmſtädter Tagblatt, Montag, den 24. September 1923.
Nummer 264,
anzunehmen ſcheint. Frankreich hat meines Erachtens eine ſolche
Eile nicht. Es unterſtützt nur die eifrigen Separatiſten, die alle
möglichen Dienſte in der Ausnutzung der Regie, bei der
Spio=
nage unter der Bevölkerung uſw. leiſten, aber nur leiſe, ohne je
Härte die Bevölkerung mürbe zu machen in der Hoffnung, daß
endlich doch auch einmal beſſere Menſchen von einem
unabhängi=
gen Rheinland zu ſprechen beginnen, als die heutigen
Separa=
tiſten.
Der Kölner Führer des Separatismus, Smeets, iſt, nach
dem Urteil der anderen, ſeit dem Anſchlag auf ihn geiſtig
er=
ledigt. In einer Unterredung zwiſchen Dorten und dem neuen
Separatiſtenführer aus Düſſeldorf, Matthes, einem Erzfeind
von Smeets, wurde beſchloſſen, daß man die Dortenpartei (
Rhei=
niſche Volksvereinigung) und die Matthespartei (Rheiniſche
Un=
abhängigkeitspartei „Frei Rheinland”) zu einem rheiniſchen
Un=
abhängigkeitsverband mit Anſchließung von Smeets vereinige.
Um die Führerſchaft in der künftigen Rheinrepublik ſtreiten
nun der „Chefredakteur” J. F. Matthes aus Düſſeldorf und
Dr. H. A. Dorten. Der „Chefredakteur” Matthes hat bereits
eine ſehr bedenkliche Laufbahn hinter ſich. Zu der Zeit, zu der
er unter die Waffen kommen ſollte, ſaß er in der Schweiz.
Wäh=
rend des Krieges war er Chauviniſt und Redakteur der Paſſauer
Zeitung, nach der Revolution wurde er Sozialdemokrat und
redigierte die ſozialdemokvatiſche Volkszeitung in Aſchaffenburg.
Wegen Beleidigung des dortigen Bürgermeiſters wurde er zu
ſechs Monaten Gefängnisſtrafe verurteilt. Das Reichsgericht
verwarf ſeine Berufung, worauf Matthes nach Wiesbaden zog
und in franzöſiſche Dienſte trat. Bereits in Aſchaffenbura hatte
die ſozialdemokratiſche Partei ihn ausgeſtoßen, aber ſpäter
wie=
der aufgenommen. Im gegebenen Augenblick tauchte er wieder
in Deutſchland auf, bis ſeine drohende Verhaftung ihn zwang,
wieder nach dem beſetzten Gebiet zu flüchten. Hier wandte er ſich
an die Franzoſen um Schutz, nachdem er von der Düſſeldorfer
Geheimpolizei verhaftet worden war. Auf Befehl der
Beſatzungs=
behörden mußte er dann wieder freigelaſſen werden. Von
Düſ=
ſeldorf begab ſich Matthes nach ſeiner Freilaſſung nach Bonn.
So ſehen die Perſönlichkeiten aus, die ſich einbilden, daß
das fleißige Volk der Rheinlande ihnen in ihre ſeparatiſtiſchen
Abenteuer folgen ſoll.
In einer Unterredung mit dem großen neuen Führer und
verſchiedenen Dortenleuten verwunderte ich mich über die
Naivi=
tät dieſer Herren! Die ſprechen mit unerſchütterlicher Ruhe über
die Emiſſion neuen Geldes, aber es zeigt ſich, daß ſie nicht
ein=
mal wiſſen, wie das geſchehen ſoll, wer das tun ſoll, oder wer
oder was das garantieren ſoll. Sie debattieren über die
Gren=
zen des neuen Rheinlandes, als ob alle Weſtfalen nur danach
ſchmachteten, möglichſt bald unter die grün=weiß=rote Fahne des
Herrn Matthes und Dr. Dorten zu kommen. Das ganze Ruhr= Leſtens 6 Monaten keinen einzigen Soldaten noch Iſtrien
ge=
gebiet bis einſchließlich Dortmund wird rheiniſch! Frankfurt
auch noch . . . Und ſie machten einander weiß, daß das ganze
rheiniſche Volk, daß alle Ruhrarbeiter, die Frankfurter, die
Be=
wohner der bayeriſchen Rheinpfalz ungeduldig auf das Ausrufen
der rheiniſchen Republik und die Ausgabe des rheiniſchen Geldes
warteten . . . „Warten hat keinen Zweck mehr, die Sache iſt
überreif!” Sollte aus ſolch einem Dilettantismus von
Aben=
teuern wohl je ein Staat geboren worden ſein?
Erweiterung der Beſetzung in Mannheim.
IU. Mannheim, 22. Sept. Die Franzoſen haben das
Schloß als beſetztes Gebiet erklärt. Am Schloß wurde
folgen=
der Anſchlag angebracht: Die beſetzte Zone iſt wie folgt erweitert
worden: Rheinbrücke Ludwigshafen=Mannheim, Straße, welche
zum rechten Flügel des Schloſſes führt, Bismarckſtraße öſtlich
vom Friedrichspark, Ludwigsſtraße entlang des Friedrichsparks
bis zum Luiſenring, Straße und Bürgerſteig mit einbegriffen.
Die Räume im Innern des Schloſſes werden ſobald wie
mög=
lich ihrer Beſtimmung zurückgegeben.
25 Milliarden Geldſtrafe.
Berlin, 23. Sept. Das Marktgericht des Potsdamer
Landgerichts verurteilte geſtern die Verwalter der
Genoſſen=
twas Poſitives zu verſprechen. Man fährt fort, mit furchtbarer ſchaftsmolkereien in Lehnin und Beelitz an Ort und Stelle zu je
25 Milliarden Mark Geldſtrafe unter Einziehung des
Ueberprei=
ſes, weil die Molkereien in der vorigen Woche für ihre Produkte
höhere Preiſe nahmen, als ihnen nach der amtlichen Notierung
erlaubt war.
König Alfons von Spanien kaltgeſitellt.
TU. Paris, 22. Sept. Der Sonderberichterſtater des
Matin in Spanien macht ſenſationelle Angaben über die
nähe=
den Umſtände des von Primo de Rivera ins Werk geſetzten
Ge=
waltſtreiches. Der König, der den Generalhauptmann am Tage
nach der Revolution zu ſich berufen hatte, erklärte, er wünſche,
daß Primo de Rivera unter Einbeziehung von Ziviliſten zur
Bildung eines Miniſteriums ſchreite. Seine Bitte ſcheiterte aber
an der Feſüigkeit des Diktators, der ſich entſchieden weigerte,
auch nur um ein Haar breit von ſeinem Programm abzuweichen.
Alfons XIII. beſiand ſo nachdrücklich auf ſeiner Bitte, daß
Primo de Rivera ihm kurz mit folgender Erklärung das Wort
abſchnitt: „Ich habe in meiner Proklamation verkündet, daß wir
entſchloſſen ſind, ages zu tun, um das Vaterland und den König
zu retten. Es bleikt nur ein Ausweg übrig, nämlich einen von
dieſen beiden Ausdrüsen zu ſtreichen.‟ Der König gab
hier=
auf nach.
Direkte Verhandlungen zwiſchen Rom und Belgrad.
TU. Rom, 22. Sept. Der jugoſlawiſche Geſandte
Antono=
witſch hat geſtern dem Miniſterpräſidenten Muſſolini einen
Brief des jugoſlawiſchen Miniſterpräſidenten Paſitſch überreicht
als. Antwort auf einen Brief, den Muſſolini an Paſitſch
perſön=
lich gerichtet hatte. In dem Brief drückt der jugoſlawiſche
Mi=
niſterpräſident den Wunſch aus, daß die Verhandlungen
zwi=
ſchen den beiden Regierungen hinſichtlich des Fiumeproblems
von nun an direkt und unmittelbar geführt werden ohne das
Zwiſchenglied einer paritätiſchen Kommiſſion. Paſitſch iſt
über=
zeugt, daß es auf dieſem Wege leichter ſein wird, ein
endgülti=
tiges, zufriedenſtellendes Phkomtmen zwiſchen den beiden
Läin=
dern abzuſchließen, mit dem Ziele, die guten Beziehungen
zwi=
ſchen den beiden Nationen zu feſtigen und die wirtſchaftliche
Zu=
kunft Fiumes ſieherzuſtellen. Hiermit treten die Verhandlungen
in der Fiumefrage in eine ganz neue Phaſe ein. Gerüchte,
wonach an der Fiumer Grenze italieniſche Truppenbeſtände
zu=
ſammengezogen worden ſeien, werden uyn de General Giar=
Lino offiziell dementiert. Es ird erklärt, daß Italien ſeit
min=
rufer hütte.
Die bzlgariſche Aufruhrbewegung unterdrückt.
TU Sofig, 23. Sept. Nach Mitteilungen der Regierung
iſt die kommuniſtiſche Bewegung unterdrückt.
Sie hat mehrere hundert Todesopfer gefordert. Es
Alle Aufſtändiſchen werden vor das Kriegsgericht
geſtellt. Unter den Verhafteten befindet ſich auch der
kommu=
niſtiſche General Wankoff, deſſen Sohn in den Kämpfen
ge=
fallen iſt. Die kommuniſtiſchen Abgeordneten
wur=
den verhaftet. Das Parlament wurde aufgelöſt und
Miniſterpräſident Zankoff überreichte die
Geſamtdemiſ=
ſion der Regierung. Zar Boris iſt in Sofia eingetroffen
und wird Zankoff mit der Bildung der neuen Regierung beauf= um von hier aus ihren Unterkunftsorten zugeleitet zu werden.
tragen, aus der nur der nationalliberale Miniſter Smilof
aus=
ſcheiden wird.
Schluß der Völkerbundstagung.
Die vertriebenen Eiſenbahner.
Köln, 22. Sept. (Wolff.) Nach einer Ueberſicht über die
Maßnahmen der Beſatzung gegen die Eiſenbahner bis 8.
Sep=
tember wurden aus ihren Wohnungen vertrieben: 27819
Be=
dienſtete nebſt 68821 Familienangehörigen, hiervon aus dem
altbeſetzten Gebiet 23 144 Bedienſtete mit 57289
Familienange=
hörigen, ausgewieſen wurden 22606 Eiſenbahnbedienſtete mit
57 584 Familienangehörigen, hiervon aus dem altbeſetzten Gebiet
18 393 Eiſenbahnbedienſtete und 47 439 Familienangehörige,
ver=
haftet wurden 2327 Bedienſtete und 628 Familienangehörige,
ver=
urteilt ſind 305 Eiſenbahnbedienſtete und 191
Familienange=
hörige, getötet 7 Eiſenbahnbedienſtete und 4 Familienangehörige.
Geldſtrafen wurden in Höhe von 6 474 333000 Mark und 194
Millionen Franken verhängt; hiervon entfallen auf das
alt=
beſetzte Gebiet 6 249 299 000 Mark. An Freiheitsſtrafen wurden
ausgeſprochen: 20 Jahre Zuchthaus, 334 Jahre 7 Monate
Ge=
fängnis, hiervon entfallen auf das altbeſetzte Gebiet 20. Jahre
Zuchthaus, 257 Jahre 8 Monate Gefängnis.
TU. Genf, 23. Sept. Die Völkerbundsverſammlung ſchloß
geſtern die Debatte über die Entgegennahme des Berichtes des
Rates, nachdem Profeſſor Maurray, ein engliſcher Maharadſchah
und ein chineſiſcher Delegierter geſprochen hatten. Die
Ver=
ſammlung nahm ferner den Bericht der Kommiſſion des
Völker=
bundes für Verkehrs= und Tranſitfragen entgegen und
beſchäf=
tigte ſich dann mit der Einberufung der zweiten internationalen
Verkehrskonferenz nach Genf, die für den 15. November
vorge=
ſehen wurde. Auf der erſten Konferenz in Barcelona war
be=
kanntlich auch Deutſhland zugegen, und es dürfte zu erwarten
ſein, daß es auch an der zweiten Zuſammenkunft teilnehmen
wird. Die Kommiſſion für geiſtige Sammelarbeit iſt geſtern
nachmittag zuſammengetreten und beſchloß, der Verſammlung
eine Vergrößerung ihrer Mitgliederzahl durch Aufnahme von
Vertreter derſchiedenſter Kulturen vorzuſchlagen. An Stelle
des ausgeſchiedenen Dr. Einſtein iſt ein Wiener Profeſſor als
Vertreter der deutſchen Kultur aufgenommen worden. Das
Oberkommiſſariat für die ruſſiſchen Flüchtlinge ſoll auch für das
Jahr 1924 beſtehen bleiben.
Heſſiſches Landestheater.
Kleines Haus. — Sonntag, den 23. September:
Figaros Hochzeit.
Komiſche Oper von W. A. Mozart.
* Die Aufführung dieſes unvergleichlichen Meiſterwerks iſt
i der Hartungſchen Einrichtung fürs Kleine Haus ſeit vorigem
Jahre vorbildlich und beſtätigte heute ihren weit über Darmſtadt
hinausreichenden Ruf. Der Eindruck, den das geiſt= und
humor=
ſprühende Stück mit ſeiner göttlichen Muſik in unverwüſtlicher
Friſche immer aufs neue auslöſt, iſt in ſo vortrefflicher
Darbie=
tung ſchlechthin ein Hochgenuß.
Im Mittelpunkt der Teilnahme ſtanden die neu beſetzten
Rollen, die jedoch bereits ſo feſt eingefügt erſchienen, daß am
Geſamtſtil keinerlei Veränderung merkbar war. Paula Kapper
hat ſich als Suſanne ſchon im Vorjahre vorgeſtellt. Sie beſitzt
alle beſten Eigenſchaften für dieſe Rolle: Klugheit, behende
Zier=
lichkeit des Spiels, ausdrucksvolle Mimik und muſikaliſche
Be=
herrſchung. Sie hat eine kleine, jedoch feingeſchliffene Stimme,
die in den Enſembles gut trägt, in den Rezitativen nachgibt, in
den Arien warm klingt; und die ſie ſachgemäß zu behandeln
ver=
ſteht. Man hatte den Eindruck einer im Kunſtgeſang weit
vor=
geſchrittenen, ſehr ſicheren Künſtlerperſönlichkeit. Ihre heutige
Leiſtung war ein voller Erfolg.
Gertrud Gercke ſang die Gräfin. Ich bewunderte, wie
ih mer, ihre wundervolle Stimme, die für dieſe Rolle freilich
etwas beweglicher ſein dürfte, bedauerte nur aufs neue, daß es
dieſer ernſten Künſtlerin nicht gegeben iſt, über das
Vorſchrifts=
mäßige der Darſtellung hinaus Perſönliches zu geben.
Der Cherubin iſt Margerete Albrechts glücklichſte Nolle.
Wie ſie das Knabenhaft=Schelmiſche, Freche, Verliebte gibt und
mit ihrer ſüßen Stimme ausſtattet, iſt entzückend.
Was wir an Herrn Hölzlin als Figaro künſtleriſch
be=
ſitzen, erübrigt ſich, zu wiederholen. Auch heute bewährte er ſich
als ſchlechtweg meiſterlicher Darſteller dieſer prachtvollen Rolle.
Herr Heuſer, der eine anfängliche Indispoſition ſchnell
über=
wand, iſt ein in Auftreten, Spiel und Geſang vortrefflicher Graf
Almaviva. Die Chargenrollen der Marzelline und des Bartolo
ſind bekannte Glanzleiſtungen von Anna Jacobs und Herrn
Kuhn, denen ſich Herr Vogt als Baſilio gleichwertig
zuge=
ſellte. Herr Vogt iſt ein vielſeitiges Talent. Mit ſeiner ſcharfen
Auffaſſungsgabe, ſchöner, wohlgeſchulter Stimme, viel Humor
und Friſche wird er ſchnell größte Beachtung finden. Auch die
Vertreter des Richtens (Herr Möbus), des Gärtners (Herr
Welcker) und nicht zuletzt Hilde Baß als ſchmuckes Bärbchen
lobe ich gern und aufrichtig.
Joſeph Roſenſtock war der Meiſteroper ein feinſinniger
und begeiſternder Leiter. Er nahm mir nur viele Zeitmaße
etwas zu raſch.
v. H.
Von der Million zur Centeſillion.
(Etwas von Rieſenzahlen.)
* Ein trauriges Geſchick zwingt alle Kreiſe unſeres Volkes,
heute mit zehn=, zwölf= und mehritelligen Zahlen zu „jonglieren”,
denn wir ſind ja nun leider auch bei jenen ſonſt dem
gewöhn=
lichen Sterblichen unbekannten „aſtronomiſchen” Zahlen
ange=
langt, von denen Tſchitſcherin ſeinerzeit bei einer Darlegung
des ruſſiſchen Budgets ſprach. Wird doch ſogar berichtet, daß
ſchon einige ältere Frauen dem „Zahlenwahnſinn” verfallen ſind
und ins Irrenhaus gebracht werden mußten, weil ihnen dieſe
Nieſenziffern „zu Kopf geſtiegen” waren. Es gibt nur ein Volk
der Weltgeſchichte, das augenſcheinlich ein Vergnügen an großen
Zahlen gehabt hat. Das ſind die Inder, deren Zahlenbegabung
ſich auch darin äußerte, daß ſie die heutige Ziffernſchrift erfunden
haben. In Indien gab es bereits zu Buddhas Zeiten
Zahl=
wörter für alle Zahlen bis zu hunderttauſend Millionen, und
Buddha ſoll die Zahlwortbildung bis zur Monillion fortgeſetzt
haben. Der nächſte Schritt wäre dann die Centeſillion geweſen,
die durch eine Eins mit ſechshundert Nullen dargeſtellt wird.
Die Zahlenliebe der Inder offenbart ſich in ihrer Dichtung, wenn
von einem König erzählt wird, der 1000 Billionen Diamanten
beſaß, von einer Schlacht die Rede iſt, in der 10 000 Sextillionen
Affen kämpften, uns von Buddha berichtet wird, er habe
600 000 Millionen Söhne gehabt. Von dieſer Ausnahme
abge=
ſehen, kann man eine allmähliche Entwicklung des
Zah=
lenſinns in der Kultur feſtſtellen, die langſam bis zur
Mil=
lion anſteigt und ſich erſt in der Ausbildung der exakten
Wiſſen=
ſchaften zu Zahlenungeheuern, wie der Centeſillion, ausbildet.
Intereſſante Einzelheiten über dieſe Entfaltung der
Zahlen=
begriffe teilt G. Bergmann in einem Aufſatz der Leipziger
Illu=
ſtrierten Zeitung” mit. Es gibt primitive Völker, die tatſächlich
nicht „bis drei zählen können”, ſo z. B. die Botokui, die ſchon
für zwei und drei ein und dasſelbe Wort haben und nur zwiſchen
eins und viel unterſcheiden. Die Baccaſiri, die am Eingu, einem
Nebenfluß des Amazonenſtroms wohnen, können nur bis ſechs
zählen und faſſen ſich, wenn ſie größere Zahlen nennen wollen,
in die Haare, um damit etwas Unzählbares auszudrücken. In
allen indogermaniſchen Sprachen zeigen die Zahlwörter für
1—100 große Verwandtſchaft, während bei den Zahlwörtern für
1000 bereits ſtarke Verſchiedenheiten auftreten. Man hat daraus
Zur innerpolitiſchen Lage.
Miniſterbeſprechung in Berlin. — Poincarés
Reden.
Beim Reichskanzler fand geſtern nachmittag eine
Miniſter=
beſprechung ſtatt, die bis in die ſpäten Abendſtunden hinein
dauerte. Ein Teil der Miniſter war infolge Abweſenheit von
Berlin bei dieſer Beſprechung nicht zugegegen. Es verlautet,
daß irgendwelche entſcheidende Beſchlüfſe bezüglich
der heute und morgen in Berlin ſtattfindenden Verhandlungen
der Reichsregierung mit den Vertretern der beſetzten Gebiete
bzw. den Miniſterpräſidenten der Länder nicht gefaßt
wor=
den ſeien. Die Vertreter derbeſetzten Gebiete haben
bis zur Stunde, entgegen allen diesbezüglichen Gerüchten, noch
keine Verhandlungen mit irgendwelchen Berliner
Stellen aufgenommen.
Die üblichen Sonntagsreden Poincarés haben
in Berlin eigentlich nicht überraſcht. Von zwei dieſer
Reden des geſtrigen Sonntags lohnt es ſich überhaupt nicht,
Notiz zu nehmen, und in der dritten, die er im Prieſterwalde
hielt, ſagte er das, was er bereits unzählige Mal an den
ver=
ſchiedenen Sonntagen der letzten Zeit wiederholt hat: Die
Ver=
bündeten ſind die Sieger, Deutſchland iſt beſiegt, Bedingungen
nehmen wir keine an. Das iſt kurz der Inhalt dieſer neueſten
Poincarérede.
Demgegenüber iſt immer und immer zu betonen, daß die
Reichsregierung an den aufgeſtellten Vorbedingungen für eine
eventuelle Aufgabe des paſſiven Widerſtandes feſthält und nie
und nimmer in eine bedingungsloſe
Kapitula=
tion einwilligen wird.
Streſemann über die Lage.
TU. Kopenhagen, 22. Sept. Reichskanzler Dr.
Streſe=
mann hat ſich einem Vertreter der National Tidende in Berlin
gegenüber über Deutſchlands jetzige und zukünftige
Lage geäußert. Der Kanzler erklärte, daß er für eine
Verſtän=
digung zwiſchen Deutſchland und Frankreich ſei, daß er für dieſe
Verſtändigung arbeiten wolle. Das endgültige Ziel ſei,
Deutſch=
land zur Freiheit zurückzuführen. Nach Deutſchlands nächſter
Zukunft befragt, erblärte der Kanzler, ſie hänge von den
Deut=
ſchen ſelbſt ab. Wir ſind ein zerrüttetes Volk, ein bedrücktes
Volk, aber kein zuſammengebrochenes Volk. Ungebeugt erwarten 1 Oſechfi
wir die Zukunft.
im
be
Por den Berliner Beſprechungen.
Reichsbahnkonferenz in Gießen.
Berlin, 23. Sept. (Wolff.) Der Reichsverkehrsminiſter
Oeſer hatte geſtern die Vertreter der Reichsbahn des
be=
ſetzten und Einbruchsgebietes zu einer Beſprechung nach
Gie=
ßen eingeladen, wie dies früher ſchon in Elberfeld und
Heidel=
berg geſchah. Die Beratungen betrafen unter anderem dem
Stand des Abwehrkampfes, ſowie die Fürſorge für
wurde der Belagerungszuſtand über das ganze Land verhängt, die Ausgewieſenen. Die Konferenz war von dem Präſidenten
der betroffenen Direktionen, den Führern der Gewerkſchaften,
den Vertretern der im Abwehrkampf ſtehenden Perſonalgruppen
beſucht. Der Miniſter war von leitenden Beamten des
Reichs=
verkehrsminiſteriums begleitet. Im Anſchluß an den Empfang
der Beamten und Perſonalvertreter der in Gießen
untergebrach=
die Regierung wird Ausſchreibungen für die Neuwahl erlaſſen, ten Reichsbahndirektion Trier begrüßte der Miniſter die
grö=
ßere Zahl neu ausgewieſener Eiſenbahner, die
meiſt mit Familien eben aus Trier und Umgebung eintrafen,
Die Berliner Sozialdemokraten gegen die
Koalition.
Berlin, 24. Sept. (Wolff.) Geſtern fand hier
Bezirks=
parteitag der Berliner Sozialdemokraten ſtatt. Vor zwei Wochen
war beſchloſſen worden, den ſächſiſchen Miniſterpräſidenten
Zeigner nach Berlin zu berufen, um vor den Verliner
Funk=
tionären über die ſozialdemokratiſche Politik in Sachſen zu
ſprechen. Die Berliner Funktionäre haben ſich geſtern inihrer
Mehrheit hinter Zeigner geſtellt. Eine Reihe von
Anträgen, deren Tendenz ſich gegen die große Koalition im
Reichstag ausſpricht, wurde angenommen. Anträge über die
Abſetzung der Vorwärts=Redakteure gelangten nicht mehr zur
Erledigung und ſollen am nächſten Sonntag auf die
Tagesord=
nung geſetzt werden.
Der Parteiausſchuß der Sozialdemokratiſchen Partei hielt
geſtern gemeinſam mit der Demokratiſchen Partei
Beſprechun=
gen über die politiſche Lage ab. Zu den Putſchabſichten der
Kommuniſten erklärte Reichswehrminiſter Geßler, daß ſeine
Befehle im Falle von Putſchverſuchen an Klarheit und
Deut=
lichkeit nichts zu wünſchen übrig laſſen werden. Dasſelbe wäre
der Fall mit den Befehlen der Offiziere und Unteroffiziere.
mit Recht geſchloſſen, daß erſt in einer Kulturperiode, in der die
indogermaniſchen Völker ſich bereits getrennt hatten, das
Be=
dürfnis entſtand, eine ſo große Zahl wie 1000 ſprachlich
auszu=
drücken. Adam Rieſe, der berühmte deutſche Rechenmeiſter,
kennt um die Mitte des 16. Jahrhunderts das Wort „Million”
noch nicht, ſonderen umſchreibt es durch 1000X1000. Erſt im
18. Jahrhundert trat die Menſchheit eigentlich in das „Zeitalter
der Millionen” ein, und die Wörter „Milliarde” und „Billionen”
ſind noch viel ſpäter entſtanden. Bis in unſere Tage hatte man im
praktiſchen Leben ſelten mit mehr als 8ſtelligen Zahlen zu tun.
Erſt die Wiſſenſchaften, namentlich die Aſtronomie, erweiterten
unſere Zahlenbegriffe bis ins Ungeheuere, und ſo entſtanden die
Wortbildungen „Trillion” für eine 1 mit 18 angehängten Nullen,
„Quadrillion” für eine 1 mit 24 Nullen, „Quinquillion” „
Se=
quillion, bis „Centeſillion”, wobei die letztere, mathematiſch
ge=
ſprochen, die 600. Potenz von 10 oder die 100. Potenz von einer
Million darſtellt, da eine Million die 6. Potenz von 10 iſt. Bei
wiſſenſchaftlichen Berechnungen finden dieſe Rieſenzahlen ihre
Anwendung. So beträgt z. B. das Gewicht der Erde 5
Quadril=
lionen 980 000 Trillionen Kilogr, oder 5960 Trillionen Tonnen.
Ein anſchaulicherer Begriff für dieſe geheimnisvollen Worte, die
ungeheuere Mengen von Einzelwerten darſtellen, läßt ſich aus
einigen Beiſpielen gewinnen. So durchläuft der Sekundenzeiger
der Uhr in einer Stunde 3600, in einem Tage 86400 und in einem
Jahre, zu 365 Tagen gerechnet, 31 536 000 Sekunden. 1 Million
Sekunden ergeben umgeformt demnach nur 11 Tage, 13 Stunden,
46 Minuten und 40 Sekunden, während für die Zurücklegung
von 1 Milliarde Sekunden bereits 31 Jahre, 159 Tage, 1 Stunde,
46 Minuten und 40 Sekunden erforderlich ſind. Eine Zeit von
1 Billion Sekunden hat das Menſchengeſchlecht in hiſtoriſchen
Zeiten überhaupt noch nicht erlebt, denn die Zahl entſpricht
einem Zeitraum von 31 709 Jahren, 289 Tagen, 1 Stunde, 46
Minuten und 40 Sekunden. Daß die Aſtronomie mit ſolchen
Zahlen operiert, iſt ja bekannt; zu ähnlichen Rieſenziffern führt
aber auch die Kombinationslehre. Das Skatſpiel, bei dem
be=
kanntlich 32 Karten ſo unter drei Perſonen verteilt werden, daß
jede 10 erhält und zwei Karten als Skat gelegt werden, führt zu
der Frage, auf wievielfache Weiſe ſich die Karten verteilen laſſen,
und die Kombinationslehre gibt die Anzahl mit 2753 Billionen
264 408 Millionen 504 640 an. Um eine Vorſtellung von der
Größe dieſer Zahl zu geben, wird angeführt: Spielte die ganze
lebende Menſchheit von rund 1,5 Milliarden Seelen ohne
Unter=
brechung Tag und Nacht Skat, und zwar burchſchnittlich ein Spiel
in fünf Minuten, dann müßten zunächſt einmal alle Menſchen
52 Jahre, 139 Tage, 21 Stunden und 20 Minuten ſpielen, und
in den letzten 5 Minuten könnten 247 486 080 Menſchen als
„Kiebitze” zuſchauen, bis ſämtliche Kombinationen geſpielt wären,
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Rummer 264.
Darmſtädter Tagblatt, Montag, den 24. September 1923.
Seite 3.
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Maßnahmen gegen etwaige Umſturzverſuche.
Berlin, 23. Sept. (Wolff.) In der Oeffentlichkeit ſind
in der letzten Zeit wiederholt Gerüchte aufgetaucht über
Bewe=
gungen, die ſich gegen die Statsgewalt richteten und einen
Um=
ſturz vorbereiteten. Von verſchiedenen Seiten ſind nach dieſer
Richtung öffentlich auch Drohungen ausgeſprochen worden. An
der Stellung der Reichsregierung gegenüber etwaigen derartigen
Verſuchen kann ein Zweifel nicht beſtehen. Unter dem Vorſitz
des Reichspräſidenten hat geſtern eine Beratung ſtattgefunden,
an der der Reichskanzler, der Reichsminiſter des Innern, der
Reichswehrmimiſter und der Chef der Heeresleitung, General
von Seeckt, teilgenommen haben. Dieſe Beratungen hatten den
Zweck, alle Maßnahmen vorzubereiten, die notwendig werden
könnten, um derartige Beſtrebungen unſchädlich zu machen. Es
beſteht unter den verantwortlichen Faktoren der Reichsregierung
volle Uebereinſtimmung darüber, daß gegenüber jedem Verſuch,
die Staatsgewalt zu erſchüttern, von welcher Seite er auch
kom=
men mag, die ſofort erforderlichen Maßnahmen ergriffen und
die der Reichsregierung genügend zur Verfügung ſtehenden
Machtmittel des Staates eingeſetzt werden.
Die Thüringer Regierungskriſe.
Weimar, 22. Sept. Die ſozialdemokratiſche
Landtags=
fraktion beſchloß folgende Mitteilung durch ihre
Verhandlungs=
kommiſſion den Kommuniſten zugehen zu laſſen:
Die thüringiſche Landtagsfraktion und die Vertreter des
Be=
zirksvorſtandes des V. S. P. D. nehmen Kenntnis von dem Gang
der Verhandlungen ihrer Verhandlungskommiſſion mit der
K. P. D. Die Verhandlungskommiſſion wird beauftragt, die
K. P. D. daran zu erinnern, daß die erſten Verhandlungen auf
Wunſch der K. P. D. ausgeſetzt wurden, um ihr Zeit zu geben,
zu dem von der V. S. P. D. unterbreiteten Programm Stellung
zu nehmen. In der zugeſtellten Erklärung fehlt eine ſolche
Stel=
lungnahme. Es wird eine klare Antwort gewünſcht, ob die K.
P. D. bereit iſt, auf Grund dieſes Programms mit in die
Regie=
rung einzutreten oder eine Minderheitsregierung, die von der
V. S. P. D. zu ſtellen wäre, zu ſtützen.
Zur Beantwortung dieſer Mitteilung iſt den Kommuniſten
eine Friſt bis. Dienstag, den 25. September, geſtellt. Zugleich
wurde beſchloſſen, nächſten Mittwoch in Weimar eine Konferenz
der Landtagsfraktion und der Parteifunktionäre einzuberufen.
Die chriſtlichen Gewerkſchaften Bagerns gegen
Putſchgerüchte.
München, 23. Sept. (Wolff.) Der Landesausſchuß der
Chriſtlichen Gewerkſchaften Bayerns faßte in
ſei=
ner vorgeſtrigen Sitzung eine Entſchließung, die ſich gegen
Putſchgerüchte wendet. Es wird weiter darin zum
Aus=
druck gebracht, daß die Chriſtlichen Gewerkſchaften ihre
Regie=
rungen nachdrücklichſt unterſtützen werden, wenn es gilt,
eine Gewaltanwendung gegen den Staat und die Geſellſchaft zu
vereiteln, insbeſondere werden die ſtarken Gruppen der
Mit=
gliedſchaften in den ſtaatlichen
Verkehrsanſtal=
ten jeden gewaltſamen, rechtswidrigen Eingriff in die Betriebe
zu vereiteln wiſſen. Die Chriſtlichen Gewerkſchaften wollen
nuich in den Zeiten größter Not zum Vaterlande ſtehen und alle
reichszerſtörenden Einflüſſe zurückweiſen. Von der bayeriſchen
Regierung wird erwartet, daß ſie die angekündigten Maßnahmen
zur Erleichterung der Lebensmittelverſorgung rückſichtslos
durchführt.
Unruhen in Gleiwitz.
TU. Gleiwitz, 23. Sept. Der geſtrige Tag war für
Glei=
witz ein Kriſentag. Schon in den Vormittagsſtunden verließen
die Arbeiter der in Hindenburg gelegenen Gruben ihre
Arbeits=
ſtellen und ſchloſſen ſich zu einem Demonſtrationszug zuſammen,
der aber von der Schutzpolizei zerſtreut werden konnte. Große
Arbeiterwaſſen bewegten ſich darauf nach Gleiwitz, um mit den
hier arbeitenden Kollegen gemeinſam zu demonſtrieren. Ein Zug
von etwa 12—15000 Mann bewegte ſich am Nachmittag durch
die Hauptſtraßen von Gleiwitz. Es kam zu einem
Zuſammen=
ſtoß mit der Polizei, wobei es einige Verwundete gab. Grund
zu den Unruhen ſollen die am Samstag den Arbeitern
ausge=
zahlten Vorſchüſſe von 70 bis 100 Millionen Mark pro Mann
gegeben haben. Sollten am Montaa nicht größere Vorſchüſſe
ge=
zahlt werden, ſo iſt mit weiteren Unruhen zu rechnen.
Links= und Rechtsradikale in Baden.
U. Karlsruhe 23. Sept. Aus Oberbaden wird
uns von zuverläſſiger Seite mitgeteilt: Die Bereitſchaftspolizei,
die in Lörrach eingeſetzt worden war, unterzog ſich, nachdem
ſie von Lörrach abgerückt war, verſchiedener polizeilicher
Under=
nehmungen in der Gegend des Wieſen= und Oberrheintals. Es
wurden dabei mehrere Kommuniſteneſter ausgehoben, Waffen
und Munition beſchlagnahmt und deren Beſitzer verhaftet.
An=
dererſeits wurden von derſelben Polizeibereitſchaft Spuren
auf=
gedeckt, die auch bereits verfolgt wurden. Sie führten dazu, daß
bei einer Reihe von Leuten, die als Rechtsradikale bekannt ſind,
unerlaubter Waffenbeſitz feſtgeſtellt wurde. Die
Bereitſchafts=
polizei entdeckte verſchiedne Maſchinengewehre und Munition
und beſchlagnahmte dieſe und verhaftete ihre Beſitzer. Ueber
dieſes Vorgehen in Ruft und in Eppenheim erfahren wir
weiter aus Ruft: Aus der Umgebung erſchien am letzten
Don=
nerstag ein Demonſtrationszug, meiſt aus Landwirten und
Klein=
pächtern beſtehend, um Forderungen wegen der Regelung des
Pachtverhältniſſes vorzubringen und um gegen die Landabgabe
zu proteſtieren. Der Oberamtmann verhandelte mit einer
Ab=
ordnung der Demonſtranten. Bei der Demonſtration wurde ein
Gendarm von der Menge niedergeriſſen und ſeiner Waffen und
Munition beraubt, die ſpäter dem Amtmann übergeben wurden.
Um die Täter zu verhaften, wurden mehrere Gendarmen tags
darauf nach Ruft entſandt, die jedoch von der Menge überwältigt
und im Rathaus feſtgeſetzt wurden. Der Amtmann begab ſich
dar=
auf mit einem Gendarmieaufgebot nach Ruft. Es gelang, die im
Rathaus feſtgehaltenen Gendarmen freizubekommen, ohne daß
die Bereitſchaftspolizei eingreifen mußte. Die Bereitſchaftspolizei
blieb jedoch in Ruft, da ſie am nächſten Nachmittag verſchiedene
Verhaftungen vornehmen mußte.
Wiedereinführung der Ztsangsbewirtſchaftung
für Geſchäftsräume.
Berlin, 22. Sept. (Wolff.) Der amtliche Preußiſche
Preſſe=
dienſt teilt eine Anordnung des Wohlfahrtsminiſteriums mit,
worin es heißt: Bei der Neufaſſung der
Ausführungsbeſtimmun=
gen zum Reichsmietengeſetz Anfang Juni dieſes Jahres machte
der preußiſche Miniſter für Volkswohlfahrt den Verſuch, die
Zwangsbewirtſchaftung im Wohnungsweſen auf einem
Teil=
gebiet aufzuheben, beſonders bei gewerblichen Räumen in reinen
Geſchäfts= und Induſtriehäuſern. Die Spitzenorganiſationen der
Vermieter ſagten überdies zu, ſich dafür einſetzen zu wollen, daß
dieſe Belaſtung einen gewiſſen Prozentſatz der Friedensmiete
nicht überſchreiten würde. Seit dem Inkrafttreten des Geſetzes
ſind unerwartet tiefgreifende Veränderungen der wirtſchaftlichen
Verhältniſſe eingetreten, welche zeigten, daß die Vorausſetzungen
für eine teilweiſe Aufhebung der Zwangswirtſchaft noch nicht
gegeben ſind. Es kommt hinzu, daß die Spitzenorganiſationen
der Vermieterverbände nicht ſtark genug waren, ihren Einfluß
auf alle Vermieter dahin geltend zu machen, die eingegangenen
Verpflichtungen bezüglich der beſtimmten Höchſtgrenze für die
Miete zu halten. Nach wiederholter Anhörung der beteiligten
Intereſſentenkreiſe entſchloß ſich der Miniſter für Volkswohlfahrt
nunmehr, die Beſtimmungen zum nächſtmöglichen Termin wieder
aufzuheben und auch die Räume in reinen Geſchäfts= und
In=
duſtriehäuſern inſofern der Zwangswirtſchaft zu unterwerfen,
als die Feſtſetzung der Mieten der ſtaatlichen Aufſicht
unter=
ſtellt wird.
Die Liebestätigkeit des deutſchen Zentral=
Ausſchuſſes für Auslandshilfe.
Berlin 23. Sept. (Wolff.) In allen den
Kinderſpei=
ſungswerken des Deutſchen Zentralausſchuſſes für
Auslands=
hilfe angegliederten Schulen und Anſtalten Deutſchlands fanden
einfache Feiern ſtatt, die den Kindern ein Bild der
Liebes=
tätigkeit vermitteln wollten, die vom Deutſchen Reiche und
von ausländiſchen Freunden zu ihren Gunſten geübt wird. Der
Mittelpunkt der großen Berliner Feier bildete eine vom Bezirk
Prenzlauer=Berg veranſtaltete Feſtlichkeit in der Brauerei
König=
ſtadt, wo 70 Schulen mit etwa 3500 Kindern vereint waren. Als
Vertreter des Reichsernährungsminiſters Dr. Luther erſchien
Miniſterialrat Dr. Boſe. Die Vereinigten Staaten entſandten
den Botſchaftsrat Robbins als Vertreter. Auch die Reichs=
und Landesminiſterien, ſo das Reichsminiſterium des Innern,
das Reichsgeſundheitsamt, das Reichsarbeitsminiſterium, das
preußiſche Miniſterium für Volkswohlfahrt waren vertreten. Auch
führende Perſönlichkeiten von amerikaniſchen und engliſchen
Quäkern wohnten bei. Sämtliche Kinder wurden mit Kakao und
Gebäck bewirtet.
Der Kampfder deutſchen Minderbeiten in Polen
Kattowitz, 23. Sept. (Wolff.) In einer in der deutſchen
Preſſe Polniſch=Oberſchleſiens veröffentlichten Erklärung des
Deutſchen Volksbundes für Polniſch=Oberſchleſien wird darauf
hingewieſen, daß durch das Genfer Abkommen Polen verpflichtet
ſei, bis zum 1. September Volksſchulen wie auch Gymnaſien
und Lyzeen für die deutſchen Minderheiten einzurichten.
Bis=
her ſei aber, heißt es in der Erklärung, im polniſchen Teile
Oberſchleſiens nicht eine einzige Volksſchule im Sinne des
Gen=
fer Abkommens eingerichtet worden, obwohl entſprechende
An=
träge friſtgemäß eingereicht wurden. Dieſe Anträge ſeien von
der oberſten Schulbehörde nicht einmal geprüft worden,
ebenſo=
wenig gebe es heute, fünfzehn Monate nach dem Uebergang der
Staatshoheit an Polen, in Polniſch=Oberſchleſien eine einzige
höhere Schule für die deutſche Minderheit.
Die Lage im amerikaniſchen Baugewerbe.
Von
Francis H. Siſſon, Newyork.
(F.E.S.) Die bedrohliche Lage im Baugewerbe der
Vereinig=
ten Staaten als Folge einer Forderung nach Bauarbeiten, der
mit den zur Verſütgung ſtehenden Materialien und Arbeitskräften
nicht entſprochen werden konnte, liefert ein ſehr gutes Beiſpiel
für die Unſicherheit, die ſich für einen Induſtrie= und
Gewerbe=
zweig ergibt, wenn die Koften eine prohibitive Höhe erreichen
oder zu erreichen drohen. Die Abhilfe für einen ſolchen Zuſtand
bann entweder allmählich oder durch eine draſtiſche Einengung
der Tätigkeit und ſcharfe Neuregelung der Preiſe erreicht werden.
Daß die für das Baugewrbe ſo beſonders bedrohlichen
Verhält=
niſſe ſo allſeitig anerkannt worden ſind, gibt Anlaß zur
Genug=
tuung. Vereinte Anſtrengungen ſeitens der Vertreter
verſchie=
dener Intereſſengruppen ſind im Gange, um einen gewiſſen
Grad der Stabiliſierung herbeizuführen. Einige Wirkung haben
dieſe Bemühungen gezeitigt in der Hinausſchiebung von Bauten
oder auch dem Verzicht auf ſolche, über die noch kein Vertrag
abgeſchloſſen war; in manchen Fällen ſind ſogar die bereits
be=
gonnenen Arbeiten eingeſtellt worden. Mit einem ſofortigen
merklichen Rückgang der Koſten für Material und der Löhne
konnte für jetzt noch nicht gerechnet werden. Sofern jedoch das
erſte Ziel derjenigen Kreiſe, die um die Verhütung eines
Zu=
ſammenbruches im Baugewerbe bemüht waren, die
Stabiliſie=
rung war mit ihrer Auswirkung auf die allgemeine
Wirtſchafts=
lage, liegt die Befeſtigung der Preiſe für die wichtigſten
Bau=
materialien, wie ſie während der letzten Wochen zu beobachten
war, auf der angeſtrebten Linie. Das Baugewerbe iſt eine
„Schlüſſelinduſtrie” und von ſeiner Beſchäftigung hängt in
ſtar=
kem Maße eine lebhafte Geſchäftstätigkeit überhaupt ab. Die
Erzeutgniſſe der Wälder, der Ziegeleien, Bergwerke und
Stein=
brüche und deren Weiterverarbeitung und Transport, die
Imen=
einrichtung, Bemalung, der Anſtrich uſw. der fertigen Bautem
— ſie alle zuſammen berühren mehr oder weniger direkt jeden
Zweig des Wirtſchaftslebens.
Die Bereitwilligkeit der Vertreter der verſchiedenen
unmittel=
bar beteiligten Intereſſen — der Produzenten von Baumaterial,
des Baumaterialhandels, der Bauunternehmer, Beſitzer,
Kredit=
inſtictte und Arbeiter — an einem Stabiliſierungsplan
mitzu=
tun, iſt ſehr beachtenswert, nicht nur wegen ihres direkten
heil=
ſamen Einfluſſes auf die Wirtſchaft, ſondern auch als
Möglich=
keit, durch ein lamgfriſtiges Bauprogram jene wirtſchaftliche
Kriſe zu vermeiden, die in Amerika als Rückſchlag nach den
Hochkonjunkturzeiten gemeinhin einzutreten pflegt. Hier iſt im
Großen ein Beiſpiel dafür gegeben, wie heutzutage die
unheil=
vollen Folgen der zu weit getriebenen Konjunktur vermieden
oder doch vermindert werden können. Die jetzt unternommenen
organiſierten Bemüthungen, um einem drohenden Rückſchlag im
Baugewrbe vorzubeugen, ſind auch ein Symptom, wie ſehr
plan=
mäßige Maßnahmen allgemein not tun, die einen ſolchen
aus=
gleichenden Einfluß auszuüben angetan ſind. Eine gleichmäßige
Verteilung der Arheiten über das ganze Jahr iſt für das
Bau=
gewerbe ganz beſonders wünſchenswert. Die Löhne im
Bau=
gewerbe werden durch den in der ungünſtigeren Jahreszeit faſt
vollſtändigen Mangel an Beſchäftigung bedingt. Die Ulimatiſchen
Bedingungen ſchließen natürlich eine vollkommen gleichmäßige
Beſchäftigung aus: aber die ſtärkſten Schwankungen könnten doch
vernieden und allerhand Innenarbeit ſehr wohl im Winter
er=
ledigt werden. In den großen Srädten wirken auch die
Umzugs=
temine ſtark dahin mit, daß etwa auf die Quartalsanfänge zu
die Beſchäftigung beſonders ſtark wird. Als nachteilig haben ſich
endlich die ſehr rigoroſen Bedingungen erwieſen, die die
Ge=
werkſchaften hinſichtlich der Lehrzeit und Vorbildung der
Bau=
handwerker ſtellen und die wohl zum Nutzen Einzelner, nie aber
zum Wohle des Allgemeinintereſſes dienen.
Der größte Segen, der von einer einigermaßen
weitgehen=
den Stabiliſierung im Baugewerbe zu gewärtigen iſt, würde in
dem Beweis liegen, daß es möglich iſt, durch eine freiwillige
planmäßige Aktion einen nach den früheren Erfahrungen
unbe=
dingt drohenden Zuſammenbruch und eine mehr oder weniger
lange Depreſſionszeit zu vermeiden.
25jähriges Jubiläum der inneren Miſſion.
EU. Berlin, 23. Sept. Unter ſtarker Beteiligung aus dem
evangeliſchen In= und Auslande iſt der Zentralausſchuß für die
Innere Miſſion der evangeliſchen Kirche unter dem Vorſitz ſeines
Präſidenten zur Feier ſeines 75jährigen Beſtehens in
Witten=
berg zuſammengetreten. Man bemerkte unter den Gäſten den
Reichsminiſter Dr. Oeſer und andere Regierungsvertreter.
Reichsminiſter Dr. Oeſer ſprach im Namen der
Reichsregie=
rung und der preußiſchen Landesregierung der Inneren Miſſion
den Dank aus für ihre außerordentlichen Leiſtungen. Der
Mini=
ſter bezeichnete die Innere Miſſion der evangeliſchen Kirche als
Schrittmacher und unentbehrlichen Mithelfer in der öffentlichen
Wohlfahrtspflege.
* Münchener Kunſtbrief.
Die mit „Salowe” und „Ariadne” begonnene Richard
Strauß=Woche der Feſtſpiele wurde mit „Elektra” und dem
„Roſenkavalier” fortgeſetzt. Robert Heger dirigierte die düſtere
Tantaliden=Tragödie, in der Strauß eine ethiſche Höhe erreicht,
wie in keinem ſeiner übrigen Werke. Anna Bahr=
Milden=
burg ſang die Klytämneſtra und Bender den Oreſt. Das ſagt
genug. Beide ſind in keiner Weiſe zu übertreffen, ſowohl im
muſikaliſchen Ausdruck, als in der dramatiſchen Darſtellung und
der meiſterhaſten Geſangskunſt. Leider mußte unſere unerreichte
Elektra Zdenka Faßbender abſagen und ſo hörten wir
Jo=
hanna Heſſe, die im letzten Augenblick eingeſprungen war, als
Elektra. Wenn man bedenkt, daß ihre Leiſtung noch nicht mit
dem Stil der Münchener Aufführung vertraut ſein konnte, muß
man ihr doch höchſte Achtung zollen. Die Chryſothemis Nelly
Menzens und Depſers Aegiſth vervollſtändigten die
Auf=
führung zu einer ergreifend großartigen.
Im „Roſenkavalier” hörten wir Lola Artöt de
Pa=
dilla als Oktavian und Elſe Gentner=Fiſcher als
Mar=
ſchallin. Die erſtere bot eine ebenſo entzückende Verkörperung des
verliebten Knaben, als letztere eine menſchlich vorvehme
Auffaſ=
ſung ihrer ſchwierigen Rolle, beide ergänzten ſich zu künſtleriſcher
Vollendung. Wie Paul Bender den weinſeligen, im ſinnlich
derbſten Lebensgenuß verkommenen Ochs von Lerchenau
geſtal=
tet, iſt einfach unübertrefflich. Trotz aller Derbheit läßt er dem
adeligen Lüdrian doch noch den Schimmer ſeiner ariſtokratiſchen
Herkunft. Seine Leiſtung bedeutet, noch von ſeiner herrlichen
Geſangskunſt getragen, die Vollkommenheit.
Es iſt bewunderungswürdig, wie vielſeitig Hans
Knap=
pertsbuſch iſt. Mag er Beethoven, Mozart, Reger oder
Strauß dirigieren, ſtets vermag er ſich reſtlos in den Geiſt des
Tondichters zu verſetzen, deſſen Werk er nachzuſchaffen berufen
iſt. So war es auch hier. Seine Leiſtung bewies eine techniſche
Meiſterſchaft, die ſich mit der Lebendigkeit dramatiſcher
Emp=
findung, rhythmiſcher Beſchwingtheit und Grazie zu vollendeter
Harmonie vereinte.
Auch die zweite „Ring”=Aufführung hat Hans
Knapperts=
buſch geleitet, und es war gewiß kein Leichtes, nachdem Dr. Karl
Muck die erſte dirigiert hatte. Seine rhythmiſche Energie, ſeine
männliche Empfindungskraft und der aus dem Großen
geſchaf=
fene architektoniſche Aufbau des ganzen Werkes gaben uns die
Zuverſicht, daß das Erbe Wagners an der Münchener
Staats=
oper in guten Händen liegt. In Maria Müller, die aus
Prag zu uns gekommene jugendlich=dramatiſche Sängerin,
lern=
ten wir als Sieglinde eine Kraft kennen, die ſich durch ihre
warm leuchtende Stimme und die ſchöne Abgeglichenheit ihres
Geſanges als ein erfreulicher Geſinn für unſere Oper
heraus=
ſtellte. Dasſelbe gilt von Johanna Heſſe deren Brünnhilde
in großer Anlage das Beſte für die Zukunft hoffen läßt.
Die zweite Feſtaufführung des „Paleſtrina” wurde von Dr.
Hans Pfitzner perſönlich dirigiert und man konnte von
An=
fang an die viel ſtraffere, beſtimmtere Rhythmik, die von
männ=
licher Kraft gehaltene geſteigerte Energie feſtſtellen. Es war ein
überaus erhabener Genuß, dieſes die höchſte Vergeiſtigung
dar=
ſtellende Werk aus des Meiſters eigenen Händen zu empfangen.
Die darſtellenden Künſtler waren dieſelben wie bei der erſten
Feſtvorſtellung.
Kammerſänger Fritz Feinhals konnte in dieſen Tagen
ſeiner 25jährigen Zugehörigkeit zu unſerer Oper gedenken, eine
Feier, zu der ſich ebenſo der Künſtler als unſer Staatstheater
beglückwünſchen durften, denn wie Feinhals ein Podium erſten
Ranges für die Entwichlung ſeiner Kunſt hatte, ſo darf unſere
Oper ſtolz darauf ſein, an ihm einen der größten Baritons für
die Wagnerſchen Geſtalten wie Holländer, Wotan, Telramund,
Wolfram, Sachs, Kurwenal und Amfortas zu beſitzen. Sein
Wirken erſtreckt ſich aber viel weiter. Sein Don Giovanni,
Fal=
ſtaff, Hans Heiling, Rigoletto, Tonio, Borromeo ſind
unüber=
treffliche Leiſtungen. Die „Meiſterſinger”=Feſtaufführung gab
ihm Gelegenheit, als Hans Sachs ſeine unverbrauchten Mittel
zu entfalten, als ein wahrer Meiſterſinger.
Ein hervorragendes künſtleriſches Ereignis bedeutete die
Ur=
aufführung der neueſten Kompoſitionen Opus 32 Hans
Pfitz=
ners: vier Lieder nach Gedichten von Konrad Ferdinand
Meyer. Paul Bender ſang ſie mit ſeiner ganzen Meiſterſchaft,
begleitet vom Komponiſten. Das erſte, „Huſſens Kerker” mit
weltmüder Ergebung beginnend, entwickelt ſich zu feierlicher,
ſtimmungsſtarker Erhebung. Zu dieſem in überirdiſcher
Verklärt=
heit gehaltenen Liede ſteht der Säerſpruch mit ſeiner friſchen,
enengiſchen Rhythmiſierung in geradem Gegenſatz. Das
ſchwie=
rigſt erfaßbare der Vierheit iſt „Eingelegte Ruder” freilich das
tiefſte von allen. Es erreicht eine wundervolle träumeriſche
Schönheit. „Laß ſcharren deiner Roſſe Huf” iſt ein ſtürmiſches
Lied von befeuerndem Schwung. Sowohl der Schöpfer dieſer
Lieder, wie auch der Sänger wurden mit begeiſtertem Beifall
ausgezeichnet.
Von ſeinen treuen Verehrern mit Jubel empfangen, bot uns
unſer ehemaliger Generalmſikdirektor Bruno Walter den
ſel=
tenen Genuß, wieder einmal ſeine reife Kunſt am Klavier zu
bewundern. Ein Beethoven=Sonatenabend, den er mit dem
Wiener Geigenmeiſter Prof. Arnold Roſé veranſtaltete, gab
hierzu Gelegenheit. Die ſublimen Feinheiten des Klavierſpiels
Bruno Walters ſind eigentlich über jedes Lob erhaben, doch
drängt es uns beſonders, dieſes Abends zu gedenken, der in der
Vereinigung mit Roſés abgeklärtem, wahrhaft klaſſiſchem
Kön=
nen beſonders in der Kreutzerſonate das Höchſte bot.
Ebenfalls im Rahmen der Feſtkonzerte gab Sigrid
One=
gin einen Liederabend, an dem dieſe gottbegnadete Sängerin
ihre wunderbare Geſangskunſt und die ganze Majeſtät ihrer
herrlichen Stimme entfaltete. Unſer heimiſcher Liebling, Michael
Raucheiſen, der die Kunſt der Liedbegleitung auf die Höhe
unübertrefflicher Meiſterſchaft gehoben hat und eben von einer
Konzertreiſe nach Japan und China zurückgekehrt war, wurde
mit Sigrid Onegin begeiſtert gefeiert.
Die Konzertgeſellſchaft für Chorgeſang
be=
reitet unter ihrem neuen Dirigenten Dr. Hans Rohr Großes
für den Winter vor. Im Wechſel von Chor= und Orcheſterwerken
von Bach, Händel, Cornelius, Haydn, Hugo Wolf u. a. gedenkt
ſie under Mitwirkung erſter Soliſten zehn Konzerte und ein
großes Kirchenkorzert zu geben. Der künſtleriſche Mut der
Kon=
zerdgeſellſchaft, mit ſo umfaſſenden Plänen vor das Publikum zu
treten, verdient die größte Anerkennung und Förderung.
Das Staatstheater brachte im Künſtlertheater Shakeſpeares
Schauſpiel „Maß für Maß” zur Aufführung. Erwin Faber hat
darin in der Rolle des Angelos die deutſche Bühne um eine
be=
deutende dramatiſche Geſtalt bereichert. Lützenkirchen als
Herzog, Albert Fiſchel als Claudio und Annemarie Holtz
trugen zur Vollendung dieſer von Schönheit getragenen
ſchwung=
vollen Darſtellung ihr Beſtes bei.
Das Schauſpielhaus hatte zwei Erſtaufführungen: Heinrich
Ilgenſteins Luſtſpiel „Kammermuſik” und „
Klariſ=
ſas halbes Herz” von Max Brod. Das erſtere eine
ſchwankartige Hofgeſchichte voll luſtigſter Situationen und
drama=
tiſcher Spannung unterhielt das Publikum ausgezeichnet. Felix
Norfolk ſpielte die männliche Hauptrolle, Margarethe Frey
die verliebte Herzogin. Rudolf Hoch, dieſer vortreffliche
Regiſ=
ſeur, hatte die Aufführung glänzend inſzeniert. „Klariſſas
hal=
bes Herz” iſt ein geiſtvolles Plauderſtück aus dem Leben einer
Theaterdiva, voll Temperament und Leben. Leontine Sagan
aus Frankfurt a. M. bot als Klariſſa eine blendende Leiſtung
und eroberte ſich im Flug die Gunſt des Münchener Publikums.
In den Kammerſpielen gaſtierte Albert Steinrück
in Strindbergs „Todentanz” und „Frau Warvens Gewerbe” von
Bernard Shaw. In beiden Vorſtellungen waren die
Kammer=
ſpiele wieder auf ihrer alten Höhe. Steinrück bringt alle Mittel
wie kein zweiter für die Rolle des Edgar im „Totentanz” mit,
er hat ſie, ſeit wir ihn nicht geſehen, nur noch vertieft und
plaſti=
ſcher herausgearbeitet, ein Meiſter der ſtummen Geſte und des
wortloſen Spiels,
Elara Ebert.
Nummer 38
Unterhaltungsblatt und Frauenzeitung
Jahrgang 1923
Die Sprache der Verliebten.
C.K. Die Liebe ſpielt im Leben des Menſchen eine ſo große
Rolle, daß ſie natürlich auch in der Sprache ihren reichen
Aus=
druck gefunden hat. Beſonders die Umgangsſprache hat ſich
einen beziehungsreichen Jargon auf dieſem Gebiet geſchaffen.
Der bekannte Sprachhiſtoriker Prof. Ostar Weiſe behandelt in
ſeinem ſoeben bei der Frommannſchen Buchhandlung in Jena
erſchienenen Buch „Die Deutſche Sprache als Spiegel deutſcher
Kultur” auch Verlobung und Hochzeit, wie er überhaupt mit
Hilfe der Sprache tiefe Blicke in unſer geſchichtliches und
alltäg=
liches Leben tut. Wenn ſich jemand „verplempert”, d. h.
eigent=
lich die Plempe, den Degen zieht, alſo ſich auf gefährliche Händel
einläßt, wenn er ſich in ein Mädchen „verſchießt” oder „verguckt”
ſo „ſpinnt ſich etwas an‟. Es entſteht dann ein „Techtelmechtel”,
eine lautmalende Sprachbildung, die wohl auf das italieniſche
„Teco meco”, d. h. „ich mit dir, du mit mir”, zurückgeht und
ein geheimes Einverſtändnis bedeutet. Der Verliebte macht
Fenſterpromenaden oder „fenſtert” gar, indem er durchs Fenſter
ins Zimmer der Auserkorenen ſteigt. Iſt er dann der Sache
ſicher, ſo „wirbt” er, d. h. eigentlich: er dreht ſich um ſie, es dreht
ſich bei ihm alles um ſie, und auch da kann es ihm noch paſſieren,
daß er „einen Korb bekommt”. Im Mittelalter, wo freundliche
Frauen die Liebhaber manchmal in Körben zu ſich heraufzogen,
war es ein ebenſo derber wie beliebter Spaß, dem in Ungnade
gefallenen Freier einen Korb mit ſo ſchwachem Boden
herab=
zulaſſen, daß er beim Hinaufziehen durchfallen mußte. Dieſer
Korb wurde dann ſpäter Symbol für eine Ablehnung und dem
Liebhaber ins Haus geſchickt. Heute iſt er nur noch in der
Redensart erhalten, und auch die Bezeichnung, daß man bei
einer Werbung „durchfällt”, geht noch auf dieſen Spaß
mittel=
alterlicher Damen zurück. Macht der Verehrer bei den Eltern
ſeinen Antrag, ſo darf er „Brautſchau” halten; in Weſtfalen
braucht man dafür den Ausdruck „auf den Sterkehandel gehn”
tobei Sterke eine junge Kuh iſt. Das kommt daher, daß junge
Leute früher, wenn ſie ſich auf einem Bauernhof die Zukünftige
ausſuchen wollten, als Vorwand angaben, ſie wollten eine Kuh
kaufen. Iſt man verlobt, dann „gehen” die jungen Leute
mit=
einander und werden dabei von einem Elefanten” begleitet, ſo
nennt man die Anſtandsperſon, die urſprünglich die
Aufmerk=
ſamkeit von dem Brautpaar auf ſich ablenken ſollte, wie es das
große Rüſſeltier im Zoo tut.
Dann naht die Zeit der „Hochzeit”, der „hohen Zeit”, die
zu=
nächſt nur ein ſchönes Feſt bedeutete. Vorher iſt der „
Polter=
abend”, an dem von der Jugend zahlreiche Töpfe vor die Tür
der Braut geworfen werden, um durch den Lärm die böſen
Geiſter zu bannen; bisweilen ſagt man auch „Hühnerhochzeit”
weil bei dieſem Vorfeſt die Braut die Flügel als Geſchenk
er=
hielt. Die Heirat bedeutet eigentlich Hausverſorgung. Die
Mit=
gift oder Morgengabe iſt urſprünglich das Geſchenk, das die
junge Frau am Morgen nach der Hochzeit von ihrem Mann
er=
hielt, ſpäter aber dann gerade das geworden, was die Braut
mitbekommt. Das äußere Zeichen der Heirat war, daß die
Frau, die das Haar bis dahin offen getragen hatte, es nunmehr
unter einer Haube verbarg; ſie war alſo tatſächlich „unter die
Haube gekommen”. Nun beginnen die „Flitterwochen” die nach
dem mittelhochdeutſchen „viltern”, d. h. flüſtern, kichern ſo
ge=
nannt werden. Der Mann muß ſich davor hüten, daß er nicht
„unter den Pantoffel kommt” wobei der Pantoffel als Sinnbild
für den Fuß ſteht. Deshalb trat bei der altgermaniſchen
Ver=
mählung der Bräutigam der Braut auf den Fuß, um damit auch
rechtlich anzudeuten, daß er nunmehr die Vormundſchaft, die
bis=
her der Vater über das Mädchen ausübte, angetreten habe.
Zeigt er nicht von Anfang an, daß er der Herr im Hauſe iſt,
dann muß er ſich endloſe „Gardinenpredigten” gefallen laſſen,
die die Frau hinter dem früher üblichen Bettvorhang hielt. Ja
es kann vorkommen, daß ſelbſt die Nachbarn dem Schwächling,
der ſich von ſeiner Frau alles gefallen läßt, „aufs Dach ſteigen”
d. h. einen Teil des Daches abdecken, ſo daß es ihm auf den Kopf
regnet.
Die Mode von heute.
Das einfache Herbſtkoſtüm. Bei oberflächlicher
Schätzung unterſcheidet es ſich nur wenig vom eleganten Genre.
Selbſtredend iſt die geſamte Ausſtattung bedeutend einfacher
ge=
halten. Vielfach geſellt ſich zu dieſer noch Bortenbeſatz,
ornament=
artige Treſſenverzierung und vereinzelt nur mäßig und diskret
angebrachte Stickerei von ſchwarzen Miniaturperlen. An ihm
wird, dem Zuge der Mode folgend, viel Pelz verwendet. Zumeiſt
iſt es Kanin in verſchiedenſter Veredlung und Farbe. Oft ſcheint
man mit allzu reichlichem Pelzbeſatz die mindere Güte des
Stof=
fes und ſeiner Verarbeitung verdecken zu wollen. Recht
anſpre=
chend wirken unter dieſen neuen Modellen mäßig bluſig gehaltene
kurze Gürteljacken, mit breiten, vorn aufgeſetzten tiefen
Pelz=
taſchen als Mufferſatz, hohen Pelzaufſchlägen an bluſig
gehal=
tenen Aermeln und breiten Pelzbeſätzen an einem angearbeiteten
Stoffteil, der entweder fichuartig den vorderen Ausſchnitt
um=
rahmt, einmal vorn verſchlungen als Krawatte getragen werden,
verſtieß. Die Hausfrau, die ihrerſeits ſich durchaus in
Abhängig=
keit von dem ſelbſtherrlichen Schalten ihrer Angeſtellten fühlte. . .
Dennoch hätte es jahrelang ſo weitergehen können. Mit
ver=
haltenen Empfindungen auf allen Seiten, ohne Ausbruch, ohne
Szenen, ſelbſt ohne tiefere Verwicklungen.
Wenn die Frau die Nerven danach gehabt hätte Cäcilie
erfüllte im Großen und Ganzen ihre Pflicht, verſorgte den
Hilf=
loſen; das Ehepaar war entlaſtet.
Aber Renate hörte nicht auf, nach einem ſtichhaltigen Grunde
für eine Trennung zu grübeln. Sie konnte den Blick nicht
län=
ger ertragen, mit dem Reinhold voll und warm an des Mädchens
jungen Bewegungen hing. Dieſen Blick, der die Frau
ent=
rechtete.
Es gab nur einen Grund zur Trennung ohne Ausſprachen;
daß der Krankenſchweſter Leiſtung überflüſſig wurde.
Die zarte Frau, die keinen Fiſch ſchlachten und nicht einen
Käfer zertreten konnte, verſchaffte ſich aus ihres Mannes
Gift=
ſchrank ſoviel Schlafmitteldoſen, daß der entkräftete Greis nach
kurzem Siechtum einging.
Er bedurfte keiner Pflegerin mehr.
Eine unendliche Befreiung überkam Renate. Alle anderen
Gefühle und Gedanken blieben wie in ſchwerer Ohnmacht
ge=
bunden.
Erſt nach Jahresfriſt, als der Mordprozeß, von dem alle
Welt ſprach, ſein Ende gefunden und die Frau des angeſehenen
Arztes, die ſtets eine liebevolle Schwiegertochter geweſen, in der
Zuchthauszelle verſchwand, wich jene Betäubung von ihr
Und ſie begriff, was geſchehen war, und begriff es, je tiefer
ſie in ſich hineinbohrte, doch wieder nicht
Die Parabel von der Erhabenheit.
Von Safed dem Weiſen.
Ich ſaß in einem Gaſthauſe, und einer der Söhne Hams
bediente den Tiſch. Und da ſaß neben mir ein ſehr
unvernünf=
tiger Mann, der ſich über die Bedienung beklagte und über die
Speiſen und über die Preiſe. Und er behandelte den
Aethio=
pier verächtlich und grob.
Und als der Mann weggegangen war, lobte ich den
Aethio=
pier. Und ich ſagte zu ihm: „Jener Mann hat ſich gegen dich
höchſt unziemlich benommen — du aber haſt eine ſeltene Geduld
an den Tag gelegt!“
oder bei rauhem Wetter ſeitlich zur Schleife geſchlungen oder
vorn gekreuzt rechts und links über die Schulter geſchlagen
wer=
den kann. Ein äußerſt praktiſches Modell, das nicht nur ſtändig
und nach Belieben ſein Ausſehen verändert, ſondern auch
ver=
ſchiedenen Zwecken dient. Eine Weſte aus türkiſch gemuſtertem
Samt oder Duvetine darunter getragen, mit feuerrotem oder
lebhaft grünem ſchmalen Leder= oder Ripsgürtel und kleiner,
blitzender Stahl= oder Bronceſchnalle zuſammengehalten, mit
duftigen Voile= oder Chiffonärmeln, mäßig bluſig gehalten, und
an der handhohen Manſchette entweder oben oder über der Hand
nur daumenbreit mir Pelz eingerollt, vervollſtändigt neben dem
ſchlichten und ziemlich engen Rock dieſes ausnehmend hübſche
und ſehr kleidſame jugendliche Modell. Recht apart wirkt auch
ein breitſtreifig gehaltenes Koſtüm mit angeſchnittenen Aermeln,
die bei ziemlich großer oberer Weite nach dem Handgelenk zu
ſich verengen und hier mit Pelz beſetzt ſind, einem breiten
Steh=
umlegkragen und handbreitem Pelzbeſatz am unteren Rande der
Jacke. Der Rücken fällt an ihr bluſig über den durch ſaubere
Bieſen genau nach den Streifen abgenähten eingeengten Schoß.
Der links ſeitliche Schluß wird durch einen blind aufgeſetzten
großen Knopf markiert, unter dem zwei Kohinoors das weit
übereinander liegende Vorderteil rechts und links übereinander
feſthalten. Das Innenfutter iſt vielfach nur bis zur Taillenlinie
im Innern angebracht und weiſt praktiſcherweiſe rechts und links
in den Vorderteilen zwei Innentaſchen auf, die unter den
glocken=
gehaltenen Schößen oder dem an einem Modell aus Gabardine
oder feinem Tuch gefertigten, ſcharf eingeplätteten Pliſſeefalten=
E. M.
ſchoß nach außen nicht in Erſcheinung treten.
Der zeitgemäße Haushalt.
Das Einlegen von Wildfrüchten auf
Winter=
vorrat. Die Wildfrüchte, Hagebutten, Maulbeeren, von
letz=
teren namentlich die ſchwarzfrüchtigen Sorten, weiter
Ber=
beritzen, Ebereſchen und Schlehen, die allerdings erſt, wenn ſie
Froſt bekommen haben, der ihren ſonſt ſtrengen Geſchmack
mil=
dert, bieten eine äußerſt pikante Zukoſt zu den verſchiedenſten
Speiſen. Die Hagebutten müſſen von Stiel und Blüten befreit,
halbiert und die Samenkörner und Haare mit ſchmalem
Feder=
meſſer oder umgekehrter Schreibfeder herausgekratzt werden,
die anderen Wildfrüchte, von den Stielen befreit, die Berberitzen
jedoch als Trauben in die Gläſer gefüllt werden. Nun wird eine
ſchwache Zucker= oder Süßſtofflöſung auf die feſt eingedrückten
Früchte gefüllt und die möglichſt gleich großen Gläſer im
Appa=
rat von Weck, enge Gläſer 20 Minuten, weitere Gläſer 25
Minu=
ten, bei 80 Grad erhitzt. Natürlich können dieſe Früchte auch
ohne Zucker eingekocht werden, nur überzeuge man ſich in den
erſten Tagen, daß die Deckel feſt aufliegen. Im allgemeinen
halten ſich dieſe Früchte, in guten Gläſern von Weck eingelegt,
tadellos jahrelang unverändert im Geſchmack und Ausſehen und
ſollten viel mehr, als es bis jetzt geſchieht, geerntet und ver=
L.
tvendet werden.
Vereinfachtes Wäſcheeinſprengen. Man
ent=
ferne von einer ſogenannten Patentflaſche den Gummiring des
Verſchluſſes, fülle ſie mit Waſſer und ſprenge nun mit der
eicht und gleichmäßig ſpritzenden Flaſche die Wäſche ein, ſie
wird nur wenig naß, iſt aber, einige Stunden feſt
zuſammen=
gerollt, gerade feucht genug, um beim Plätten ſchön glatt zu
H.
werden, ohne viel Hitze im Eiſen zu benötigen.
Schildpatt=Haarſchmuck blank zu erhalten.
Dieſer leidet zumeiſt durch die Berührung mit der warmen Hand.
Selbſt bei größter Sauberkeit ſondern dieſe bekanntlich etwas
Hautfett ab, das dem Schildpatt ſchädlich iſt. Deshalb ſollte ſich
jede Beſitzerin von Schildpatt daran gewöhnen, Haarnadeln,
Kämme oder Spangen entweder vor jedesmaligem Gebrauch mit
einem dazu bereitgelegten Stückchen Flanell zu überreiben, bis
das Stück warm wird. Bei dieſer Behandlung behält Schildpatt
ſtets ſeinen ſchönen feinen Hochglanz.
M.
Einfacher mürber Obſtkuchen. Dieſen kann man
noch verhältnismäßig billig herſtellen und dabei am ſo teuren
Zucker ſparen, ohne daß man den Mangel desſelben am Geſchmack
verſpürt, wenn man 1 Eßlöffel Zucker, 2 Eßlöffeln Süßſtofflöſung,
1 Eßlöffel Trockenei, 1 Eßlöffel Fett oder Oel, 2 Eßlöffeln Milch
oder Milchwaſſer, Gewürz nach Geſchmack, 1 halbem Pfund Mehl
und 1 Teelöffel Bullrich Salz zu einem weichen Teig anrührt,
einen Eßlöffel Eſſig beifügt und in vorbereiteter Springform
bäckt. Nach dem Erkalten gibt man abgetropftes, geſchmortes
Obſt darauf und überſtreut mit geriebenem Zwieback. L.
Serviettenkloß mit Musſoße. 150 Gram
alt=
backene Semmel werden in Milch eingeweicht, dann mit einem
Eßlöffel zerlaſſenem Fett, einem Teelöffel Salz, einem Ei, etwas
Muskatnuß, einem Teelöffel guter Suppenwürze, einem halben
Päckchen Backpulver und ſo viel Mehl verrührt, daß ein nicht
zu feſter Teig entſteht, dieſer in einer in kaltem Waſſer
ausge=
wundener Serviette locker eingebunden und über Quirlſtiel
ge=
hängt in Salzwaſſer eine Stunde langſam gekocht. Musſoße, wie
geſchmorte Pflaumen ſchmecken ganz vorzüglich dazu.
Speiſezettel.
Sonntag: Reis mit Leberli. — Montag: Serviettenkloß mit
Pflaumen. — Dienstag: Sauerkraut mit Erbſen. — Mittwoch:
Birnenkartoffeln.
Und er ſagte: „Ja, Herr, da waren ſtarke Worte in der
Sprache, die er geſprochen hat!“
Und ich ſagte: „Es iſt eine ſeltene und ſchöne Eigenſchaft,
ſich unter ſolchen Umſtänden beherrſchen zu können!“
Nun, als ich das geſagt hatte, wurde der äthiopiſche Kellner
zutraulich. Und er ſagte:
„Herr, wenn ein Mann eine ſo überlegene Stellung inne
hat wie ich, kann er ſich erlauben, erhaben zu ſein!“
Und ich wurde neugierig, zu erfahren, was er denn als
ſeine „überlegene Stellung” erachtete. Und ich ſagte:
„Jeder Menſch, der ruhig Blut behalten kann, hat eine
über=
legene Stellung inne.”
Und er ſagte: „Ja, Herr! Aber ich habe den
außerordent=
lichen Vorteil für mich — und kann’s mir leiſten, die Worte zu
überhören, die der Mann geſprochen hat!“
Nun war ich aber wirklich geſpannt. Und ich bat ihn, mir
doch von ſeiner überlegenen Stellung zu erzählen, die ihn
be=
fähigte, ſeine gute Laune zu bewahren und ſich durchaus erhaben
zu geben.
Und er wollte anfangs nicht. Aber als ich ihn dringlicher
bat, erzählte er mir, auf welche Art er ſeine Ueberlegenheit
beweiſe.
Und er ſagte mir ganz im Vertrauen:
„Ich hab’ ihm Abwaſchwaſſer in den Kaffee gegoſſen!“
Nun, als ich dieſe Worte gehört hatte, erwog ich viele Dinge.
Denn ich erbannte, daß der Aethiopier wirklich eine
über=
legene Stellung innehabe und ſich vieler Hilfsmittel bedienen
könne, die ihm bei ſeiner Uebung ſtrenger Selbſtbeherrſchung
zugute kämen. Und ich beſchloß, die Gefühle äthiopiſcher Kellner
fortan beſonders zu ſchonen, denn ich bin kein Freund von
Ab=
waſchwaſſer, und ich hatte bereits zu viel Kaffee getrunken, der
ganz überlegen danach ſchmeckte.
Und ich ſann der Sache weiter nach, und ich ſagte: „Wie
dieſer geringe Sohn Hams in ſeiner Seele — ob nun mit oder
ohne Abwaſchwaſſer — eine hinreichende Verſicherung ſeiner
Ueberlegenheit beſitzt, die ihn ſogar befähigt, bis zur
Erhaben=
heit aufzuſteigen, ſo vermag dies jeder Menſch. Und es könnte
ſein, daß erſt diejenige die wahre Erhabenheit wäre, die das
Abwaſchwaſſer unnötig macht.
Deſſenungeachtet lächelte ich in mich hinein, als ich daran
dachte, wie der Mann, der den Aethiopier ſo verächtlich und
grob behandelte, empfangen hatte, was er verdiente, wenngleich
ihn auch die größte Menge Abwaſchwaſſer nicht erhaben machen
würde,
(Uebertragen von Max Hayek.)
Nummer 19
Aufgabe 37
W. Roeſe in Hamburg
(Urdruck),
Weiß zieht und ſetzt in drei Zügen matt,
Prüfſtellung: Weiß: Kc8 Lb5 Sd8 (3);
Schwarz: Ka8 Sb4 Ba7 (3); 3 +.
Eine Kleinigkeit, die zu bewältigen auch ungeübten Löſern nicht
ſchwer fallen wird.
Aufgabe 38
A. M. Sparke in Lincoln.
(Good Companion 1918).
Weiß: Kh8 Df6 Tg2 La5 h3 Bf3 (6);
Schwarz: Kf1 La1 Sc3 Bh2 (4).
Matt in zwei Zügen.
Löſungen der Aufgaben 23—28:
23. b. Holzhauſen, D. W. 1905 (Kc1 Da8 Tf2 Ld1 Ba2 b7; Kal
Tb8: 3 +) 1 Tf1—f71 Ta8: 2. ba S. L. 1. . . . T anders 2. D X T.—
er ſchwarze I muß durch Schlagen beſeitigt und Schwarz zu 2...
Ka2: gezwungen werden. 1. Tf2 —18 geht nicht wegen 1. Tb8X
a8, 1. Tf2—74,—15. —f6 nicht wegen 1. ... Tb8—g8 und wenn
Weiß jetzt 2. Dg8: ſpielt, iſt Schwarz patt. Es muß der Verteidigung
1. . . . Tg8 wegen die Schräge a2 —g8 geſperrt werden — ein
geiſt=
reicher Gedanke!
24. Loyd, 3. Pr. Par. Turn. 1878 (Kal Dc7 Tb3 b5 Lc1 Sc5 f2;
Kc2 Dh3 Ta7 g3 Lh1 Sel h8 Ba2 b715; 2+) 1. Tb3—f3. Ein
altes Beiſpiel für das „weiße Springerrad‟
25. Karſtedt, Fränk. Vbl. 1912 (Kg7 Df8 Ta6d4 La3 b5 Sa4 d2
Bd3 f2 g4: Ke5 Tb4 c7 Sb6 Bd5 e6e7 g5: 2+) 1. Df8—b8
Zugzwang. 4 Feſſelungen bei 1. . . . Kd6 2. Sc4 X).
26. O. Dehler, Quelle 1922 (Kg7 Dd2 Sc5; Kc8 Lg8 Ba6 c7;
3 +). 1 Dd2—h6 dr. 2. Dc6 1. . . . Kb8 2. Da6: 1. . . . Kd8 2. Df6+
1. a5, Lh7, C6 2. Dc6 (-F:). 1... . L— anders 2. Dh8 +. Eine
„Miniature” — Aufgabe mit nicht mehr als 7 Steinen.
27. Roeſe Urdruck (Ke8 Te7 Le5 Set h2; Kg1 Lh1 Sa8 Bg2
h3; 3+) 1. Le5—b8 Sa8—c7 F 2. Te7kc7 3. Tc1 +. Die Idee
des „indiſchen Problems” von Loveday: weißer Schnittpunkt. Mit 1,
Lb8, dem „kritiſchen Zug” überſchreitet der L das „kritiſche Feld” c7.
2. Tc7 iſt dann der Sperrzug” der die Wirkungslinie des I
unter=
bricht. Schwarz gerät durch Zugzwang in ein tödliches Abzugsſchach;
während es ohne den kritiſchen Zug nach 1. .. . Sc7 + 2. Tc7i patt
wäre.— 1. . . . Sb6 2. Tb7 3. Tb1X.
28. J. C. J. Wainwright, Tours de force 1906 (Ka8 De3 Ta5 18
Ld8 e2 Sb8 g4; Kd6 Td1 g6 Lh2 Sb7 c8; 2+). 1. Le2—c4.
„Häufung‟.: Die weiße D ſetzt auf 12 verſchiedenen Feldern matt. —
Eine Aufgabe ohne Bauern,
Löſerliſte: J. Balß in Gadernheim, Hans Becker, H. F.; Prof,
Dr. Reutzel, R. Sprenger (alle); Rolf Schmidthoff (23).
Anfragen, Beiträge, Löſungen u. dgl. nur an die Schriftleitung
des Darmſtädter Tagblatts mit der Aufſchrift „Schach”.
Röſſelſprung=Königszug.
mei ſchuf die kunſt ei= ein= gel ſpie= kei= dul= des ſters ſteh mal nen nen det der ſpie= von ſpricht das nur roſt ſtein gel und klein= Man ei= blu= vd. ne wig bech= ein froſt me die gibt blu= einz” ruf klein= das der es me ein knickt lud= ger gu= te od iſt Man beginne mit einem Röſſelſprung und ſetze abwechſelnd
mit einem Königszug und Röſſelſprung fort.
Carl Deubel.
Darmſtädter Silbenrätſel.
ad, al, as, bach, bat, ber, ci, da, dan, de, e, e, fe, gar, i, lat, ler,
li, mau, rell, ri, ri, ſa, ſar, ſtab, tal, tau, te, te, ti, um, us, us, ve.
Aus vorſtehenden Silben ſind 13 Wörter von folgender Bedeutung
zu bilden: 1. Berühmter italienifcher Dichter. 2. Fluß in Bayern.
3. Stadt in Baden. 4. Andere Bezeichnung für Meinungsaustauſch.
5. Raubvogel. 6. Namhafter deutſcher Schriftſteller und
Theater=
dichter. 7. Britiſche Inſel im Indiſchen Ozean. 8. Speiſe aus
Pflanzenteilen. 9. Metalliſches Element. 10. Portugieſiſche Provinz.
11. Prophet des Alten Teſtaments. 12. Berühmter Perſerkönig im
Altertum. 13. Religiöſe Handlung.
Die Anfangs= und Endbuchſtaben ergeben, beide von oben nach
unten geleſen, ein in Kürze bevorſtehendes Ereignis in Darmſtadt,
auf das ſich die Jugend beſonders freut.
Auflöſungen.
Figurenrätſelz
1. Lohengrin, 2. Untersberg, 3. Freiligrath, 4. Trauermantel,
5. Luſt und Liebe, 6. Iſergebirge, 7. Nachmittag, 8. Ichneumon,
9. Erle. — „Luftlinie”.
Silbenrätſel:
1. Danton, 2. Eminenz, 3. Regierung, 4. Gaeta, 5. Revolution,
6. Ebernburg. — „Der Grenzgang”,
Buchſtaben=Scharade.
1. Bier — Biber; 2. Wechſel — Weichſel; 3. Reiſe — Reisz
4. Bad — Band; 5. Lid — Leid. — „Viene‟
Verantwortlich: Max Streeie