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Heſſiſche Neueſte Nachrichten
Morgenzeitung der Landeshauptſiadt
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186. Jahrgang
Montag, den 25. Juni 1923
Nummer 173
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von Schadenerſatz. Bei Konkurs oder gerichtlicher
Beitreibung fällt jeder Rabatt weg.
Umſturzbewegung in Albanien.
Paris, 24. Juni. (Wolff.) Havas meldet aus Rom,
aus Skutari verlaute, daß die Lage in Albanien nicht
ſo ernſt ſei, wie ſie in gewiſſen Nachrichten dargeſtellt werde. Es
ſcheine, daß die derzeitige Regierung einen chriſtlichen
aus=
ländiſchen Fürſten wünſche. Vom Fürſten Wied ſei
nicht mehr die Rede, vielmehr vom Fürſten Wilhelm v.
Urach aus dem Hauſe Württemberg, kommandierender General
a. D. In politiſchen Kreiſen habe der letzte Mord an dem
ehemaligen Führer der Eſſadpartei, Pahled Lechi, in der
Gegend von Dibra eine gewiſſe Erregung hervorgerufen.
Kommuniſiendemonſtration in Paris.
TU. Paris, 24. Juni. Auf Weiſung des Kriegsminiſters
und des Innenminiſters wurden die geſtrigen kommuniſtiſchen
Demonſtrationen verboten. Die Kommuniſten ließen ſich von
ihrem Vorgehen aber nicht abhalten, ſondern verſuchten auf
verſchiedenen Wegen zum Opernplatz vorzudringen. Polizeiliche
Verſtärkungen und ein ſtarkes Aufgebot der Gendarmerie und
der Kavallerie wurden kurz nach ſieben Uhr eingeſetzt. Die
Läden am Opernplatz räumten ihre Auslagen und ließen ihre
Läden herunter. Zahlreiche Vergnügungsſtätten wurden ſofort
geſchloſſen. Die Verſuche der nach Tauſenden zählenden
Kommuniſten, ſich auf dem Opernplatz zu
verſam=
meln wurden im Keime erſtickt. Es wurden zahlreiche
Verhaftungen vorgenommen.
Italieniſche Warnung an die kleine Entente.
Jugoſlawien dementiert.
Belgrad, 24. Juni. (Wolff.) Das Jugoſlawiſche
Preſſe=
bureau wendet ſich gegen die ausländiſche Preſſemeldung, wonach
in Italien eine Note veröffentlicht würde, die als Warnung
an die kleine Entente angeſehen werden könne, irgendwie
in bulgariſche Angelegenheiten einzugreifen. Ebenſowenig griff
auch die engliſche Regierung in Begrad ein, um ein
agreſ=
ſives Vorgehen gegen Bulgarien zu verhindern.
Paris, 24. Juni. (Wolff.) Im Laufe der geſtrigen
Bud=
getberatung im Senat kam der Haushalt des
Unterſtaatsſekre=
tärs für Luftfahrt zur Sprache. Der Berichterſtatter Senator
General Hirſchauer führte u. a. aus: Deutſchland mache
in der Luftfahrt große Anſtrengungen. Frankreich müſſe
ſeinen territorialen Beſitz und ſeine Gewäſſer durch Flugzeuge
ſchützen; das ſei Vorbedingung ſeiner Sicherheit. Senator de
Luberſac richtete an den Unterſtaatsſekretär eine Anfrage
über den Krieg der Zukunft. Unterſtaatsſekretär Laurence
Eynac antwortete, franzöſiſcherſeits verfolge man mit größter
Aufmerkſamkeit alle Verſuche auf dem Gebiete des Flugweſens.
General Hirſchauer habe auf die Notwendigkeit hingewieſen,
einen regelrechten Luftlinienverkehr ähnlich dem
Seeſchiffahrtsverkehr zu organiſieren. Die Regierung habe
die=
ſen Weg zielbewußt betreten. Sie habe eine Verkehrslinie
nach Prag, Warſchau, Wien, Budapeſt, Belgrad
und Bukareſt, eine zweite über Spanien nach Marokko
ein=
gerichtet. Praktiſch genommen werde die Verbindung
zwi=
ſchen Marokko und Frankreich durch Luftpoſt hergeſtellt.
Zwei weitere Linien, eine nach Tunis, eine nach Algier,
ſeien vorgeſehen.
Bombardements aus der Luft.
Paris, 24. Juni. (Wolff.) Havas meldet aus Waſhington:
Den an der Waſhingtoner Konferenz ſeinerzeit beteiligt
geweſe=
nen Mächten wurde ein von der Kommiſſion von
Rechtsſachver=
ſtändigen aufgeſtellter internationaler Geſetzentwurf über
das Verbot, Städte von Flugzeugen oder Luftſchiffen aus
bombardieren zu laſſen, mitgeteilt. Bombardements
aus der Luft ſollen gegen Truppen, militäriſche Depots,
Fa=
briken für Kriegsmaterial, militäriſchen Zwecken dienende
Eiſen=
bahnen oder andere Verkehrsmittel geſtattet ſein.
Verwendung der Funkentelegraphie im Luftkrieg.
Paris, 24. Juni. (Wolff.) Neu=York Herald meldet aus
Waſhington: Harding wird dem Senat bei ſeinem
Zuſammen=
tritt im November den geſtern in Waſhington veröffentlichten
Haager Fünfmächtevertrag über die
Verwen=
dung der Funkentelegraphie bei der Luftfahrt
im Kriege vorlegen.
Stückweiſer Meinungsaustauſch.
Verſchleppung der Verhandlungen bis zu den
franzöſiſchen Parlamentsferien.
Paris, 24. Juni. (Wolff.) Das Oeuvre ſchreibt zum
Stande des franzöſiſch=engliſchen
Meinungsaus=
tauſches in der Ruhr= und Reparationsfrage: In offiziellen
Kreiſen in Paris werde erklärt, daß die Antwort auf die
engliſche Note ſtückweiſeübermittelt werde. Dieſes
Syſtem iſt nach Anſicht des Oeuvre nicht ſchlecht. Man habe
ge=
nug ſcharfe Noten und verletzende Meinungsäußerungen
ausge=
tauſcht; man könne ſich freuen, daß die demnächſtigen
Beſprechun=
den, die zwiſchen Frankreich und England unausbleiblich ſeien,
recht ſorgfältig vorbereitet würden, denn nach franzöſiſchem
Standpunkt ſtehe es nur feſt, daß die Politik des Téte=
ä=
tete mit Deutſchland zu keinen Zahlungen führe, aber
da=
für recht teuer ſei. Das ſcheine noch mehr auf der Hand zu
liegen für Belgien, das ſchon 550 Millionen Goldmark auf
Grund ſeiner Priorität zu beanſpruchen habe. Was England
anlange, ſo wiſſe es genau, daß der Wirtſchaftsfriede ſich nicht
wiederherſtellen laſſe und die Güteraustauſch nicht wieder nor=
Vom Tage.
Die Annahmeſperre für Lebensmittel (nicht
Genuß=
mittel) und lebende Tiere aus allen Verſandbezirken nach, dem
be=
ſetzten Gebiet durch die Reichsbahndirektion iſt ſeit dem 21. Juni
aufgehoben worden. Die Annahme und Beförderung erfolgt
ſo=
mit ohne Behinderung. Die Güter für ſtillgelegte Bahnhöfe werden
den vorgeſehenen Hilfsſtationen unverzüglich zugeführt. Für
rechtzeitige Aviſierung und Entladebereitſtellung der Wagen ſind
weiteſt=
gehende Maßnahmen getroffen worden.
Die Verurteilung der Direktoren Roſenbaum und
Breue; von der Gelverkſchaft Zeche Nordſtern (Herzogenrath bei Aachen)
durch das belgiſche Kriegsgericht erfolgte, weil die Zeche auf
Ver=
langen der Belegſchaft Kohlen im Landabſatz verkaufte,
was von der Beſatzung verboten war.
In der Nacht zum Sonntag iſt die Druckerei der
ſozial=
demokratiſchen Zeitung „Volkswille”, in Münſter
durch eine Dynamitexploſion zerſtört worden.
Poincaré empfing geſtern den franzöſiſchen Oberkommiſſar im
Rheinland, Tirard, und den Marſchall Petain, der über ſeine Inſpektion
im Ruhrgebiet Bericht erſtattete.
Die Pariſer Zeitungen veröffentlichen eine Verordnung des Generals fein wird.
Degoutte vom Sonntag, wonach die geſamten Kohlen des Ruhrgebiets
zu Gunſten der Beſatzungsmächte beſchlagnahmt werden.
Der Jahresbericht der engliſchen Arbeiterpartei
gibt die Zahl ihrer Mitglieder auf 3 310 236 gegenüber 4 010 361 im
vorigen Jahre an. Der Vorſtand hat befchloſſen, die Anfrage der
kom=
muniſtiſchen Partei, betreffend Zuſammenſchluß, nicht in Erwägung zu
ziehen.
Aus Waſhington eingetroffene Meldungen beſagen, daß die
ameri=
kaniſche Regierung den Vorſchlag der Abtretung der
weſtindi=
ſchen Inſeln durch England an die Stelle der Zahlungen von
Kriegsſchulden ſehr günſtig aufnehme. Die Vereinigten Staaten wollen
auf dieſen Inſeln einen Flottenſtützpunkt ſchaffen.
Die Neu=Yorker Poſtverwaltung iſt die ganze
kom=
mende Woche außerſtande, kleine Pakete nach Europa
zu befördern. Es ſcheint, daß es der Verwaltung an Geld fehlt. Sie
müſſe die Anweiſung neuer Kredite am 1. Juli abwarten, da die
Kre=
dite des abgelaufenen Haushaltsjahres erſchöpft ſeien.
mal werden könne, ſo lange es nicht mit Frankreich über die
Reparationspolitik einig ſei. Franzöſiſch=engliſche Beſprechungen
ſeien unter dieſen Umſtänden nicht zu umgehen. Wenn ſie zu
einer gemeinſamen Antwort auf die deutſchen
Vorſchläge führten, werde Deutſchland zweifellos nachgeben.
Wenn Frankreich dieſe moraliſche Genugtuung erlangt habe,
werde nichts mehr hindern, daß man endlich an die
mate=
rielle Reparationsfrage herantrete, die einzige in
letz=
ter Linie, die wirklich von Wichtigkeit ſei. Es ſei nicht
ausge=
ſchloſſen, daß das zur Zeit befolgte Syſtem die
Verhand=
lungen bis zu den franzöſiſchen
Parlaments=
ferien hinziehe. Wenn derart ernſte Verhandlungen in
An=
weſenheit der Kammer und des nationalen Blocks ſtattfinden
ſollten, ſo hätten ſie zweifellos dadurch nur um ſo mehr Ausſicht
auf Erfolg.
Der Abwehrkampf an der Rubr.
Forderungen des Deutſchen
Gewerkſchafts=
bundes.
Bielefeld, 24. Juni. (Wolff.) Vertreter aller Verbände
des Deutſchen Gewerkſchaftsbundes aus dem
Einbruchs=
gebiet haben geſtern erneut Stellung genommen zu der durch
den Einbruch ins Ruhrgebiet und die damit in engſtem
Zu=
ſammenhang ſtehenden franzöſiſchen Vernichtungs= und
Er=
oberungspläne geſchaffene Lage. Sie erklären in voller
Ein=
mütigkeit:
1. Eine Aufgabe des paſſiven Widerſtandes,
der wirkſamſten moraliſchen Waffe unſerer ſchwer bedrängten
Volksgenoſſen, kann erſt dann in Frage kommen,
wenn der Druck der brutalen fremden Militärgewalt von uns
genommen und annehmbare, unſere Gleichberechtigung
anerken=
nende Verhandlungs= und Verſtändigungsgrundlage geſichert iſt.
2. Den von der fremden Willkür durch Verurteilungen,
Ausweiſungen und ſonſtige Schikanen betroffenen
Angehörigen weihen wir unſer herzlichſtes Mitgefühl und unſere
wärmſte Sympathie. Wir werden alles tun, um ihr Los nach
Kräften zu erleichtern. Vor allem werden wir den paſſiven
Widerſtand nicht eher aufgeben, als bis das von Franzoſen und
Belgiern verübte brutale Unrecht wieder rückgängig
ge=
macht.
3. Durch die Lahmlegung faſt des ganzen
Eiſenbahnweſens im inneren Induſtriegebiet
geſtaltet ſich die Ernährungslage für dieſes Gebiet
täg=
lich gefahrdrohender. Unter Aufbietung aller Kräfte iſt
der Zuſammenbruch der Ernährungswirtſchaft
bisherverhütet worden, dank der Bemühungen der für die
Ernährung verantwortlichen Stellen, vor allem der
Konſumge=
noſſenſchaften. So iſt die Ernährung für eine gewiſſe Zeit noch
geſichert; aber die Not iſt im ſchnellen Wachſen, und wir fragen:
Wo bleibt die Stimme des Weltgewiſſens
an=
geſichts der Tatſache daß die franzöſiſchen Gewaltpolitiker
Mil=
lionen von friedlichen Menſchen dem Hunger entgegentreiben
zur Erreichung ihrer verderblichen Pläne?
4. Eine Rheinlandfrage im Sinne einer Aenderung
des gegenwärtigen Verhältniſſes des Rheinlandes zum Reich und
zu Preußen exiſtiert für uns nicht. Mit unſeren
links=
rheiniſchen Brüdern werden wir jedem Verſuch einer
Umge=
ſtaltung der ſtaatsrechtlichen Formen, wie auch
der Unterſtellung der Eiſenbahnen unter fremde
Hoheit ſchärfſten und dauernden Widerſtand
entgegenſetzen.
Tſchechen und Deutſche.
Das Grundproblem der Tſchechoſlowakei.
(Von unſerem Sonderberichterſtatter.)
Prag, den 20. Juni.
Uinter den mittel= und oſteuropäiſchen Kleinſtaaten, die dem
Siege der Entente im großen Kriege ihre Exiſtenz oder
min=
deſtens eine außerordentliche Erweiterung ihres
Gebietsumfan=
ges verdanken, ſpielt die Tſchechoſlowakei nach
international=
politiſcher, militäriſcher und ſtaatsfinanzieller Richtung hin eine
führende Rolle. Trotzdem leidet auch die neugegründete
Moldau=
republik unter außerordentlichen Schwierigkeiten innerpolitiſcher
und wirtſchaftlicher Natur, ja, ſie hat vielleicht als einziger
unter den kleinen Siegerſtaaten, die grundlegende Vorausſetzung
ihrer Exiſtenz noch nicht geſichert. Die Tſchechoſlowakei wird
erſt dann ein wirklich fundierter europäiſcher Kulturſtaat ſein,
wenn ihre herrſchende Nation ihr Verhältnis zu den nationalen
Minoritäten der Republik geklärt haben, wenn vor allem das
Problem „Tſchechen und Deutſche” in der Republik gelöſt
Die deutſche Bevölkerung der Tſchechoſlowakei umfaßt
be=
kanntlich mit rund 3,5 Millionen Einwohnern mehr, als den
vierten Teil der geſamten Bevölkerung der Republik. Sie hat
von den 284 Mandaten des tſchechoſlowakiſchen Parlaments 72
inne. Alle deurſchen Parteien lehnen die geltende
ſtaatsrecht=
liche Ordnung, die Praxis der Regierung in der Behandlung der
deutſchen Minderheit und die vorläufig noch dominierende
ein=
ſeitig nationale Einſtellung der tſchechiſchen Parteien zum
Natio=
nalitätenproblem einmütig ab. Innerhalb der durch dieſe
For=
mulierung gegebenen Grenzen weichen allerdings Programm
und Taktik der einzelnen deutſchen Parteien untereinander ſehr
erheblich ab.
Den radikalſten Standpunkt vertritt die Deutſchnationale
Partei (11 Abgeordnete), die den tſchechoſlowakiſchen Staat von
vornherein rundweg negiert; ihr grundlegender Programmpunkt
iſt gekennzeichnet durch den Ausſpruch ihres Führers Dr. Lodg=: „Es iſt Pflicht jedes guten Deutſchen in dieſem Staate,
Hochverrat zu treiben”, ihr Ziel daher die Zerſtörung des
Staa=
tes und der Anſchluß aller Deutſchen in der Tſchechoſlowakei an
Deutſchland. Hieraus ergibt ſich als taktiſche
Selbſwerſtändlich=
keit die Ablehnung jeder Teilnahme an der Regierung der
Republik.
Dieſer abſolut irredentiſtiſchen Politik ſteht der Standpunkt
der ſogenannten „Deutſchen Autonomiſten” ſcharf gegenüber. Die
hierher gehörenden Parteien: Bund der Landwirte,
Chriſtlich=
ſoziale und Demokraten (zuſammen 24 Abgeordnete) — von
denen jede natürlich eine vollkommen ſelbſtändige
parlamen=
tariſche Fraktion bildet — ſind programmatiſch zur Anerkennung
der neuen Ordnung und auch zur Mitarbeit an der Leitung des
tſchechoſlowakiſchen Stagtes bereit, allerdings nur unter einer
grundlegenden Vorausſetzung: nur dann nämlich, wenn der
deutſchen Bevölkerung der Republik die volle Autonomie
gewähr=
leiſtzt wird.
Zwiſchen dieſen beiden ſchroff divergierenden Auffaſſungen
ſteht das Programm der deutſchen Nationalſozialiſten (5
Abge=
ordnete), die zwar, ebenſo wie ihre bayeriſchen und
öſterreichi=
ſchen Geſinnungsgenoſſen, das völkiſche Moment grundſätzlich
ſehr ſcharf betonen, in der Auffaſſung des tſchechiſch=deutſchen
Problems aber intereſſanterweiſe der autonomiſtiſchen
Auffaſ=
ſung zuneigen.
Abſeits von allen deutſchen bürgerlichen Parteien ſtehen die
deutſchen Sozialdemokraten (29 Abgeordnete), die aber ebenfalls
die Gewährung der Autonomie an die deutſche Minderheit zu
einem leitenden Programmpunkt gemacht haben.
Das kritiſche Urteil des vernünftigen Europäers und, in
engerer Begrenzung, auch jedes demokratiſchen Deutſchen wird
zweifellos mit der Auffaſſung der deutſchen Autonomiſten
ſym=
pathiſieren. Da nun einmal die Exiſtenz des tſchechoſlowakiſchen
Staates für Jahrzehnte eine machtpolitiſch geſicherte Tatſache iſt,
der Anſchluß der Sudetendeutſchen an das Deutſche Reich auf
ſehr lange Zeit hinaus ein utopiſches Ideal bleiben wird, ſtellt
das Programm der Autonomiſten gewiß die für das geſamte
Deutſcht im und Europa überhaupt günſtigſte Realpolitik dar.
Allerdings: zur Verwirklichung dieſes Programms gehören
zwei Teile: Deutſche und Tſchechen; — und vorläufig zeigt die
erdrückende Mehrheit des tſchechiſchen Volkes und ſeinen
parla=
mentariſchen Parteien wenig Neigung zu einer vernünftigen
Löſung des deutſchen Minderheitsproblems.
Der tſchechoſlowakiſche Staat wird ſeit Jahren von der
tſchechiſchen allnationalen Koalition regiert, die ſich aus
folgeg=
den Parteien zuſammenſetzt: Sozialdemokraten,
Nationalſozia=
liſten, Agrarpartei, Katholiſche Volkspartei und
Nationaldemo=
kraten. Die Einſtellung dieſer Koalition zum tſchechiſch=deutſchen
Problem läßt ſich kaum durch eine klare Formel kennzeichnen.
Alle fünf Parteien erkennen an, daß die deutſche Frage in der
Tſchechoſlowakei in abſehbarer Zeit „irgendwie gelöſt” werden
müſſe. Mit einer einzigen Ausnahme treten auch die einzelnen
Parteien der Koalition für eine friedlich=einvernehmliche Löſung
des Problems ein; die genannte Ausnahme bilden die
National=
demokraten unter Führung des bekannten Dr. Kramar, welche
die rückſichtsloſ= Diktatur der tſchechiſchen Mehrheit über alle
Minderheiten, die Aufrechterhaltung des tſchechiſchen
National=
ſtaates propagieren. Allein auch die anderen tſchechiſchen
Re=
gierungsparteien ſind vorläufig noch weit davon entfernt, die
Forderung des verſtändigungsbereiten Deutſchtums nach
Ge=
wührung der vollen Selbſtverwaltung anzuerkennen. Zu
beto=
nen iſt auch, daß alle bisherigen Regierungen der
Tſchechoſlowa=
kei in der Behandlung der deutſchen Minderheit eine ſchroff
nationale Politik praktiziert haben, die der Auffaſſung der
Nationaldemokraten zumndeſtens ſehr nahe ſtand, trotzdem dieſe
ziffernmäßig überraſchend ſchwach ſind (19 Abgeordnete). Dieſe
auffällige Erſcheinung erklärt ſich daraus, daß den
National=
demokraten qualitativ wertvolle Elemente der tſchechiſchen
Be=
völkerung, vor allem ein großer Teil der höheren Beamtenſchaft
und der hauptſtädtiſchen Intelligenz angehören.
Die tſchechiſche allnationale Negierungskoalition bildet
übrigens an ſich einen draſtiſchen Beweis dafür, daß die
Tſchechoflowakei auf die Dauer ohne Mitwirkung der
deutſchen Minderheit nicht regiert werden kann. Da die
Vge
Unſere heutige Nummer enthält den Sport des Sonntags
Der Krieg der Bukunft.
Frankreich rüſtet. — Ausbau der franzöſiſchen Luftflotte. — Verboi der Abrüſtungskonferenz.
Geite 2.
Darmſtädter Tagblatt, Montag, den 25. Juni 1923.
Nummer 177.
deutſchen Parteien unter den jetzigen Verhältniſſen zu
einer Teilnahme an der Leitung des Staates nicht zu haben
ſind, müſſen eben alle tſchechiſchen Parteien einen
Regierungs=
block bilden, der aus den heterogenſten Gruppen beſteht und
da=
her realpolitiſch kaum aktionsfähig iſt. Es iſt klar, daß eine
Koa=
lition aus Sozialiſten, Bauern, nationaler Bourgeoiſie und
Kle=
rikalen bei jeder größeren innerpolitiſchen Frage vor faſt
un=
überwindlichen Schwierigkeiten ſteht. Die Unmöglichkeit einer
derartgen Regierungspolitik hat ſich in den letzten Jahren mit
derartiger Deutlichkeit erwieſen, daß die nächſten Wahlen für
das tſchechoſlowakiſche Parlament im Jahre 1926 zweifellos eine
ſchwere Niederlage für einzelne Koalitionsparteien und den
Zer=
fall der Regierungsmehrheit mit ſich bringen dürften Kenner
der Verhältniſſe erwarten vor allem große Verluſte der
tſchechi=
ſchen Sozialdemokaten, eine Stärkung der tſchechiſchen und
deut=
ſchen bürgerlichen und klerikalen Gruppen, vor allem aber einen
ſehr erheblichen Mandatszuwachs der Kommuniſten. In
ſpe=
zieller Beziehung auf das deutſche Problem in der
Tſchechoſlo=
wakei dürfte das Ergebnis der Wahlen jedenfalls eine
außer=
ordentliche Schwächung der allnationalen Koalition und damit
eine Neugruppierung der Regierungsmehrheit ſein. Ob
aller=
dings ſchon im Zuſammenhange hiermit die Löſung der deutſchen
Frage im Sinne der Autonomiſten und die Bildung einer
tſchechiſch=deutſchen Regierung erfolgen wird, läßt ſich heute ſchwer
vorausſagen. Gegenwärtig iſt die Volkspſyche auf beiden Seiten
für eine derartige Konſtellation zweifellos noch nicht
reif. Die Berufung eines Deutſchen in die
Re=
gierung der Tſchechoſlowakei würde bei der jetzigen
Mentalität beider Nationen nach den Worten eines führenden
deutſchen Parlamentariers zwei Revolutionen, eine tſchechiſche
und eine deutſche, zur Folge haben. Es bleibt nur zu hoffen,
daß der rein zeitliche Ablauf und die Entwickelung der ſchweren
Wirtſchaftskriſe in der Tſchechoſlowakei die beiden, nach geiſtiger
und ökonomiſcher Kultur, ſowie Volkszahl führenden Nationen
für eine einvernehmliche Klärung ihres Verhältniſſes
zueinan=
der reif werden läßt. Dadurch würde der tſchechoſlowakiſche
Staat endgültig konſolidiert und ein bedeutſames Faktum von
geſchichtlicher Tragweite für ganz Europa geſchaffen werden.
Unterdrückung der deutſchen Preſſe.
Verfolgung der verantwortlichen Redakteure.
Paris, 23. Juni. (Wolff.) Havas meldet aus Koblenz,
daß mehrere deutſche Blätter, in denen die Namen
der=
jenigen Perſonen veröffentlicht wurden, die die Züge der
fran=
zöſiſch=belgiſchen Eiſenbahnregie benutzten, nicht nur ſofort
berboten, ſondern aus dem beſetzten Gebiet
ausgeſchloſſen worden ſeien. Da die
Veröffentlich=
ung derartiger Liſten und die neben ihnen einhergehenden
Droh=
ungen eine unmittelbare Aufreizung zum Ungehorſam gegenüber
den Anordnungen der Interalliierten Rheinlandkommiſſion
dar=
ſtellten, haben auf Erſuchen des franzöſiſchen Oberkommiſſars
Tirard die Militärbehörden beſchloſſen, bei den Kriegsgerichten
der Beſatzungsmächte die Verfolgung der Direktoren
oder verantwortlichen Redaktenre derartiger
Blät=
ter in die Wege zu leiten.
Der Zwiſchenfall in Buer.
Paris, 23. Juni. (Wolff.) Havas meldet aus Düſſeldorf
über die Erſchießung der belgiſchen Patrouille auf der
Lippe=
brücke bei Buer, daß einer der Deutſchen, die aus dem
nicht=
beſetzten Gebiet gekommen ſeien, während der Kontrolle ihrer
Papiere mit einem automatiſchen Revolver auf die Soldaten
ge=
ſchoſſen habe. Sodann hätten ſie ihre Röcke ausgezogen und die
Lippe durchſchwommen, wobei ihnen der franzöſiſche
Unteroffi=
zier nachgefeuert und einen von ihnen getroffen habe. Nach
deutſchen Zeitungsberichten ſei die Leiche unterhalb der Brücke
aufgefunden worden. Aus den in ihren Kleidern vorgefundenen
Papieren habe ſich ergeben, daß es ſich um zwei aus Buer
ſtam=
mende Vagabunden handle, die vor drei Monaten die Stadt
verließen. Der Bürgermeiſter von Buer habe den
Beſatzungs=
behörden ein Telegramm des Regierungspräſidenten von
Mün=
ſter übergeben, wonach die deutſche Polizei und die
übri=
gen Behörden alles tun würden, um des oder der Mörder
habhaft zu werden.
Zwei Franzoſen erſchoſſen.
TU. Herne, 25. Juni. Am Bahnübergang bei der Station
Dörnig wurden in der Nacht zum Samstag ein
franzöſi=
ſcher Kapitän und ein Feldwebel von einem
fran=
zöſiſchen Poſten erſchoſſen. Der Offizier, der ſich in
Begleitung des Feldwebels und eines franzöſiſchen Ingenieurs
befand, hat auf Anruf des Poſtens keine Antwort gegeben. Der
Poſten gab darauf gemäß ſeiner Inſtruktion Feuer. Schon der
erſte Schuß traf den Offizier auf der Stelle tödlich. Der
Feld=
webel wurde ſchwer verletzt und iſt am Samstag ſeinen
Ver=
letzungen erlegen.
* Königsberg, 25. Juni, (Priv.=Tel.) In Anweſnheit
des Reichskanzlers Dr. Cuno, des Reichsernährungsminiſters
Dr. Luther, der Vertreter der preußiſchen Staatsregierung,
des Reichs= und Landtags, des Reichswirtſchaftsrats, der
Vertre=
ter der Sowjetregierung, der ukrainiſchen und der italieniſchen
Geſandtſchaft in Berlin, des lettländiſchen Konſulats in Berlin,
der Königsberger ausländiſchen Konſulate, der Vertreter der
deutſchen und ausländiſchen Preſſe, der Vertreter des
Land=
wirtſchaftsrates, der Vertreter von Induſtrie, Handel und
Ge=
werbe fand am Sonntag vormittag die Eröffnung der
land=
wirtſchaftlichen Ausſtellung der Deutſchen
Oſt=
meſſe Königsberg, der größten derartigen Veranſtaltung
Deutſchlands, in dieſm Jahre ſtatt.
Eine Nede des Reichsernährungsminiſters.
* Königsberg, 25. Juni. (Priv.=Tel.) Bei der
Eröff=
nung der Deutſchen Oſtmeſſe in Königsberg begrüßte zunächſt
Oberbürgermeiſter Dr. Lohmeyer=Königsberg die Gäſte und
wies auf die Bedeutung der Ausſtellung hin, die eine Brücke
zwiſchen den öſtlichen Staaten bilde und dazu
bei=
tragen wolle, das gegenſeitige Kennenlernen von
Stadt und Land zu ermöglichen, um zwiſchen beiden die
notwendige Arbeitsgemeinſchaft herzuſtellen. Nachdem die
Ver=
treter der übrigen Körperſchaften ihre Glückwünſche der
Ver=
ſammlung dargebracht hatten, ergeriff Reichsernährungsminiſter
Dr. Luther das Wort und führte aus:
Mit bewegten Worten haben die Redner aus Oſtpreußen
zum Ausdruck gebracht, wie Oſtpreußen in Erfüllung ſeiner
Auf=
gaben die Treue und den innigſten Zuſammenhang mit dem
deutſchen Volke bewahrt und beweiſt. Ich bin überzeugt, daß
die Ausſtellung zu den Worten die Taten folgen laſſen und allen
Beſuchern zeigen wird, was Oftpreußen als Teil des deutſchen
Vaterlandes leiſtet. Meine Aufgabe als Vertreter der
Reichs=
regierung iſt es, zu betonen, daß kein Landesteil Deutſchlands
weſentlicher und wichtiger für uns ſein kann als Oſtpreußen.
Der Beſuch des Herrn Reichskanzlers in Oſtpreußen am heutigen
Tage zeigt Ihnen, wie bedeutungsvoll das Band von der
Reichs=
regierung eingeſchätzt wird, das Oſtpreußen mit dem Reiche
ver=
bindet. Gerade weil die räumliche Trennung durch eine
un=
glückliche Geſtaltung des Schickſals eingetreten iſt, legt die
Reichs=
regierung beſonderes Gewicht darauf, zu zeigen, daß Oſtpreußen
vom Reiche nicht vergeſſen iſt und wird. Wir Deutſchen müſſen
heute unſere Gedanken und unſere Tätigkeit in erſter Linie auf
den furchtbaren Abwehrkampf an der Ruhr richten. Wir müſſen
beſtrebt ſein, wieder voll und wirkſam in das gemeinſame
Wirt=
ſchaftsleben der Welt einzutreten. Gerade die Tatſache einer
landwirtſchaftlichen Ausſtellung ſoll uns klar machen, wie ſehr wir
in Deutſchland aufeinander angewieſen ſind, und daß wir alles
tun müſſen, daß unſer deutſches Volk aus der heimatlichen Scholle
leben lann. Für unſer politiſches Leben gibt es
nichts Wichtigeres als die Arbeitsgemeinſchaft
von Stadt und Land. Die einmütige Annahme des
Ge=
ſetzes über die Brotverſorgung im Reichstage iſt ein Beweis
da=
für, daß wir mit gemeinſamen Mitteln dem gemeinſamen Ziele
zuſtreben müſſen. Wir müſſen auf der einen Seite alles tun,
um die landwirtſchaftliche Produktion zu ſteigern, und dazu
müſſen wir in der Brotgetreidewirtſchaft die freie Wirtſchaft
haben. Wir müſſen auf der anderen Seite dafür ſorgen, daß
den Bedürftigen der Brotkauf auch künftig möglich iſt, und das
muß geſchaffen werden aus den Mitteln der Beſitzenden. Ich
bin überzeugt, daß ſolche Ausſtellungen wie hier in Königsberg
dazu beitragen können, die Einheitsfront wieder auszubauen
und zu vertiefen. Darum ſind ſolche Ausſtellungen von wahrem
vaterländiſchen Wert. Ich bin überzeugt, daß ſie dazu beitragen
wird, unſerem deutſchen Volke durch alle Nebel und Stürme
hin=
durch doch den Sieg zu einem neuen glücklicheren Morgen zu
bringen. Glück auf!
Die Grüße der ruſſiſchen Vertretung in Berlin überbrachte
Kozylow. Er wies darauf hin, daß die wirtſchaftlichen
Beziehungen zwiſchen Deutſchland und
Ruß=
land immer feſter werden. Die ruſſiſche Landwirtſchaft könne
nicht nur das eigene Land, ſondern auch andere europäiſche
Län=
der ernähren, aber nur dann, wenn ſie die notwendigen
indu=
ſtriellen Hilfsmittel erhalte, die ihr die deutſche Induſtrie geben
könne. Der Redner überbrachte die Einladung zum Beſuch der
Auguſt und September ſtattfinden ſoll. Wir glauben, ſo ſchloß
er, daß die Zuſammenkunft der führenden Männer Deutſchlands
und Rußlands auf dem Gebiete der Induſtrie und
Landwirt=
ſchaft mit dazu beitragen wird, das Ziel des gemeinſamen Wie=
deraufbaues zu verwirklichen.
Der Eröffnung ſchloß ſich ein Rundgang durch die
Ausſtel=
lung an, die bereits am Vormittag einen regen Beſuch zu
ver=
zeichnen hatte.
Reichskanzlerrede in Königsberg.
C. Königsberg, 24. Juni. Anläßlich der
landwirt=
ſchaftlichen Ausſtellung der Deutſchen Oſtmeſſe in Königsberg,
zu deren heutigen Eröffnung mehrere Mitglieder des
Reichs=
kabinetts anweſend waren, nahm Reichskanzler Dr. Cuno in
der Hindenburg=Oberrealſchule vor geladenen Gäſten, als die
faſt vollſtändig die Vertreter der Behörden und der
Wirtſchafts=
organiſationen erſchienen waren, Gelegenheit zu einer
Aus=
ſprache. Er betonte zunächſt, daß er keine politiſche Rede halten
wolle, daß ihm im gegenwärtigen Augenlick viel mehr eine
per=
ſönliche Fühlungnahme von Menſch zu Menſch ohne Unterſchied
des Standes und der Partei viel bedeutſamer erſcheine.
Oſtpreu=
ßen iſt in ſeiner Wirtſchaft vollkommen unabhängig und ganz
auf ſich ſelbſt geſtellt. Gerade darum iſt es aber im Hinblick auf
die Lage Deurſchlands um ſo enger an das Vaterland geknüpft.
Die in dieſer Ausſtellung gezeigten wirtſchaftlichen Leiſtungen
ſind ein Beiſpiel für das, was in Deutſchland geleiſtet wird. Es
iſt meine tiefſte Ueberzeugung, daß Rhein und Ruhr feſt an
Deutſchland geketiet ſind, und daß auch Oſtpreußen nicht gergeſſen
wird. Die Regierung wird Oſtpreußen niemals vergeſſen. In
der gegenwärtigen Lage taucht auch die Frage auf, was die
Zukunft im Hinblick auf die Beſetzungsfrage bringen wird. Die
deutſche Meinung hält feſt und wird feſthalten, wie am erſten
Tage, jetzt vielleicht noch feſter, trotz aller Opfer an Freiheit, an
Gut und an Blut. Jene Männer verſichern, daß ſie nicht laſſen
vom Reich. Wir müſſen aber auch darauf bedacht ſein, die
Lei=
den dieſer Männer zu verkürzen. Die Reichsregierung hat nicht
gleichgültig und nicht leichten Herzens in der Ruhrfrage
ge=
handelt. Sie hat aber keinen anderen Weg eingeſchlagen, als
der Kriegswut Poincarés angeſichts dieſer ruchloſen Beſetzung
von deutſchem Boden ein Nein entgegenzurufen. Doch nur
ſo=
lange als dieſes Nein hilft, als es im Intereſſe einer freien
wirt=
ſchaftlichen Entwicklung und im Intereſſe der Unabhängigkeit
und Souveränität Deutſchlands erforderlich iſt. Hieraus erklärt
ſich der Verſuch, eine Löſung der Frage zu finden. Es hat
kei=
nen Zweck, politiſche Ideen zu betreiben mit Kräften, die zu
ſchwach ſind, dieſe zu verwirklichen. Wir brauchen eine Politik
der praktiſchen Erwägung und Zweckmäßigkeit, eine Politik, die
auf dem Boden der Tatſachen und des praktiſch Erreichbaren
ſteht. Zur jetzigen Lage führte der Reichskanzler aus, daß die
Aufgabe und das Ziel der Reichsregierung geweſen ſei und noch
ſei, die Welt, die am Friedensvertrag intereſſiert iſt, zu
befrie=
digen, damit unſer Vaterland frei werde von den Hinderniſſen
ſeiner wirtſchaftlichen Entwicklung. Nur auf dieſem Wege kann
der Frieden zu erreichen ſein. Dieſes Ziel hat auch die
Regie=
rung mit ihrem Memorandum erreicht. Die Welt iſt nicht mehr
ſtumm wie bisher, nicht mehr ſteht die engliſche und italieniſche
Regierung den Ereigniſſen im Ruhrgebiet teilnahmslos
gegen=
über, nicht mehr folgen ſie bedingungslos den Forderungen
Frankreichs. Freilich, Poincaré iſt nicht verhandlungswillig,
ebenſowenig jetzt wie bisher. Er verlangt als erſtes die
Auſ=
gabe des paſſiven Widerſtandes, aber keine Regierung kann den
paſſiven Widerſtand, der geboren iſt vom Willen der
Bevölke=
rung an Rhein und Ruhr, aufheben, weil er jenen deutſchen
Männern mit unerſchütterlicher Entſchloſſenheit aus dem Herzen
gekommen iſt, und den ſie auch nicht aufgeben können. Weil das
jene Männer ſind, die ihr Leben für ihr Vaterland hergegeben
haben, und die im Gefängnis leiden. Poincaré iſt nicht
ver=
handlungswillig. Nur dann aber können wir ſiegen, wenn das
deutſche Volk ſich eins fühlt in allen ſeinen Gliedern, wenn es
durchhält und aushält im unbeſetzten Gebiet. Wenn man aus
dem beſetzten Gebiet kommt, ſo kommt man erfriſcht zurück und
geſtärkt durch die Geſinnung eines Volkes, daß trotz vier Jahren
Krieg und vier Jahren Friedloſigkeit treu zum Reiche ſteht. Auch
die wir in der Heimat ſtehen, gleichſam in der Front, ſollen von
ihnen lernen und nicht fragen: Was verdiene ich? Wir müſſen
fragen: Was dient dem Vaterland? Die Reichsregierung wird
mit aller Rückſichtsloſigkeit gegen diejenigen Kreiſe, die ſich
die=
ſer Pflicht entziehen, vorgehen. Gerade aus dieſer Tatſache
er=
klärt ſich die Notwendigkeit für jede noch ſo wirtſchaftlich
einge=
ſtellte Regierung, mit drakoniſchen Mitteln vorzugehen.
Die belgiſche Kabinettskriſe.
* Paris, 25. Juni. (Prib.=Tel.) Aus Brüſſel wird
gemel=
det: Es beſtätigt ſich, daß Theunis ſich dem Parlament noch
allrufſiſchen landwirtſchaftlichen Ausſtellung in Moskau, die im im Laufe dieſer Woche mit allen ſeinen früheren Mitarbeitern
vorſtellen wird, es ſei denn, daß der eine oder andere dieſer
Mit=
arbeiter ſich aus perſönlichen Gründen noch zurückziehen ſollte.
Dem Parteicharakter nach wird ſich das neue Miniſterium unter
keinen Umſtänden von dem früheren unterſcheiden. Dem Temps
wird zu derſelben Frage gemeldet, daß in der Außenpolitik
Belgiens während der ganzen Zeit nicht die geringſte
Er=
ſchütterung eingetreten ſei.
* Muſik=Feſt.
V. Konzert. Kammermuſik.
F.N. Der Sonntag Vormittag galt moderner Kammermuſik.
Zwei umfangreiche Streichquartette umrahmten Lieder mit
Kam=
mermuſikbegleitung. Mit größter Sorgfalt und Umſicht
vorbe=
reitet, war die Ausführung aller Werke ſo, daß man fühlte, die
Abſicht der Komponiſten wurde getroffen, ihre Gedanken kamen
klanglich und inhaltlich zu getreuer Wiedergabe. Es iſt ein
be=
deutendes Verdienſt des Drumm=Quartetts, daß es
un=
abläſſig beſtrebt iſt, ſich in ſolche Werke einzuarbeiten und ſie zur
Diskuſſion zu ſtellen, die den Muſikfreund beim Hören
einſt=
weilen mehr befremden als anziehen. Herr Drumm lebt ſich
wirklich in die Werke ein und ſchafft in ſeinem Enſemble ein
prächtiges Zuſammenſpiel, bei dem die gleichen Intentionen alle
beherrſchen und zugleich vortreffliche Rückſichtnahme auf die
je=
weiligen Hauptſpieler waltet. So wird auch da wo das Ohr
noch nicht willens iſt, alles aufzunehmen, der Empfindungsgehalt
verdeutlicht, auch da, wvo beim erſtmaligen Hören Einzelheiten
unverſtanden bleiben, die Form als Ganzes, die Wellenlinien
der Folgen von Spannung und Entſpannung klar. In den
Lie=
dern ſpielte Joſeph Noſenſtock die Klavierbegleitung und
hüllte ſie in den Farbenreiz ſchönſter Anſchlagsnüaneen, Herr
Winkler zeigte ſich als Meiſter auf der Klarinette, der er
reichſten Ausdruck entlockte. Wundervoll ſang Fanny Cleve
und erſchöpfte beide Lieder völlig in ihrem Gehalt.
Ernſt Krenek kam zuerſt zu Gehör in ſeinem
Streich=
quartett in einem Satz Opus 6, in der Melodieführung und
Satztechnik ganz modern, kontrapunktiſch, atonal, im Aufbau aber
faſt völlig von der klaſſiſchen vierſätzigen Form abhängig, die
überall hervorlugt. Für den, der nicht völlig an ſolche Kunſt
ge=
wöhnt iſt, dürfte es unmöglich ſein, zu beurteilen, wie weit
quel=
lende Erfindung, wie weit abſichtliche Konſtruktion vorhanden
iſt, denn das kann der Zeitgenoſſe bei vorwärtsſtrebender
Ent=
wicklung eigentlich nie entſcheiden. Der ſchöne, melodiſche
An=
fang, die Selbſtändigkeit der Stimmführung, die Steigerung
zum Allegro verfehlten ihre Wirkung nicht, während die wilden
Leidenſchaftsausbrüche vor dem lyriſchen Gegenſatz klanglich ſehr
problematiſch blieben. Die gedämpfte, geheimnisvolle Stelle
wirkte wie ein zweiter Satz, nach dem ſich anſchließenden heftigen
Drängen die humorvollen, faſt frechen Gedanken mit ihren
eigen=
willigen Rhythmen wie ein Scherzo, auf das frei fantaſierend
elegiſche Partien folgten. Im ſtark kontrapunktiſch verlaufenden
Allegro, das großen, faſt derben Schwung aufwies, ſpielte ein
Motiv, das an die vielbenutzte Tonfolge B—4—C—H erinnerte,
eine große Rolle. Wie in der Erinnerung an den Anfang, in
langſamem Tempo abrundend, ſchloß das Werk völlig atonal.
Wilhelm Peterſen wirkte mit dem aus dem
Manu=
ſkript geſpielten G=Dur=Quartett weit weniger problematiſch.
Hier blieben tonartliche Beziehungen überall erkennbar, und
er=
leichtern dadurch Auffaſſung und Ueberſicht. Indeſſen iſt der
frei poetiſche Gedankengang für den Aufbau ſo maßgebend, daß
auch hier man ſich hüten muß, „nach Regeln zu meſſen, was nicht
nach der Regeln Lauf‟. Der erſte Satz geht aus ruhiger,
ſehn=
fuchtsvoller Weichheit in einen großen Aufſchwung über, der
bald einem lieblichen Naturbild Platz macht. Frohe Rhythmen,
plötzliche Erregungsausbrüche traten mehrfach auf, aber helle
Farben überwiegen. Edle Melodie der Viola, im Fugato von
den Violinen entgegnet, leitet den zweiten Satz ein, beherrſchend
ſind verklärte, ätheriſche Partien, aber auch an ſcharfen, ſich
mäch=
tig ſteigernden Höhepunkten fehlt es nicht. Charaktervoll,
rhyth=
miſch ſcharf ausgeprägt, draufgängeriſch beginnt der Schlußſatz,
der in ſolchen Stimmungen ſich vorwiegend ergeht und in der
ruhigen Elegie bald nach der erſten Steigerung und der
Beſchau=
lichkeit kurz vor dem letzten Sichaufraffen am Schluß wirkſame
Gegenſätze findet.
Felix Petyrek wandelt dagegen in ſeinen
Kammer=
muſikliedern Bahnen, die uns aus der Lyrik eines Richard
Strauß und ähnlich Gearteter nicht unbekannt ſind. Beide
Lie=
der ſind geſanglich geſchrieben, zeigen klangvollen harmoniſchen
Stil und erſchöpfen in ihrer Art die Stimmung der Dichtungen
vorzüglich. Ein Klangſtück von feſſelndem Reiz iſt das weiche,
von Klavier und Violine zart begleitete „Spät” origineller in
ſeiner Art, virtuos in der tonmaleriſchen Ausprägung des
Win=
des an den Fenſterſcheiben durch chromatiſche Gänge in der
Klarinette und anderen Einzelheiten wirkt „Der Wind”. Beide
werden ſtets ihrer Wirkung ſicher ſein, wenn ſie auch harmoniſch
manche Erinnerung wachrufen, und wenn auch der poetiſch
ver=
klingende Schluß des zweiten in ſeinen Klavierklängen manches
der „Roſenkadalier”=Celeſta verdankt. Die Hörer fühlten ſich
den beiden Streichquartetten gegenüber einigermaßen unſicher,
ſichtlich aber war das Werk von Peterſen im Eindruck ſtärker
und fand guten Beifall. für den der Komponiſt danken konnte.
Die leicht faßbaren Lieder wurden mit großer Wärme
auf=
genommen,
* Moskauer Kammertheater.
Als ich vor kurzem in Berlin weilte, lebte ich einige Tage
ruſſiſch, ſpeiſte ruſſiſch von Kulinar bis Moniko, trank meinen
Tſchai mit Wodka und ſaß abends im „Blauen Vogel” oder im
ruſſiſchen Theater. Bei der ungeheueren öſtlichen Einwanderung
wird es im Weſten Berlins bald ſchwer ſein, anders zu leben.
Als ſtärkſte Leiſtung ruſfiſcher Kunſt werden die Gaſtſpiele des
Moskauer Kammer=Theaters gerühmt, das unter der
künſtleriſchen Leitung von Alexander Tairoff jetzt über Berlin
und Dresden nach Frankfurt gekommen iſt und im Neuen
Operettentheater mit „Giroflé=Girofla” ſeine
Aufführun=
gen begonnen hat. Von der alten Lecocgſchen Operette iſt wenig
übrig geblieben. Tairoff, der begabte Regiſſeur, hat einen
Exzentrik=Schwank aus ihr gemacht. Das Theater macht ſich
über ſich ſelbſt luſtig. Durch einige Klappen, Treppen, Stangen,
verſtellbare Möbel iſt derſelbe Raum bald Schiff, bald Palaſt,
bald Hochzeitsſaal. Die Gewänder ſind in den bunteſten Farben
gehalten und — von jeder Wirklichkeit entfernt — grotesk
über=
trieben. Die Arien ſind geſtrichen und durch Couplets erſetzt.
Und die Mitwirkenden: ſind es Schauſpieler, Sänger oder
Tän=
zer? Das letztere wohl zumeiſt: ſie ſingen ohne Stimme; ſie
ſpielen, in dem ſie ſich ſelbſt ironiſieren; aber das Ganze iſt auf
den Rhythmus der Muſik aufgebaut, der alle Geſänge und alle
Mimik durchzieht, der jedes Couplet, faſt jedes Geſpräch in
Tanzſchritt verſetzt. So kommt ein ſehr luſtiges, ſehr groteskes
Stück Theater zuſtande, doch — zum mindeſten mit „Giroflé=
Girofla” — beileibe keine Offenbarung neuer Kunſt, wie
über=
triebene Anbetung des Ausländertums glauben machen will;
ganz abgeſehen davon, daß es letztlich ein Unding iſt, daß man
von den Worten, die zum Verſtehen geſprochen werden, während
des ganzen Abends wegen der ruſſiſchen Sprache kein Wort
ver=
ſteht. Unter den Darſtellern ſtanden Nikolai Zeretelli und
Wladimir Sokoloff durch die Bewegtheit des Spiels und der
Komik an erſter Stelle.
nn.
H. „Louis Ferdinand.” In dem Aufſatz zu Unruhs
„Louis Ferdinand” in der Samstag=Nummer befindet ſich ein
ſinnentſtellender Druckfehler: ſtatt „ekſtatiſche Beſchaulichkeit”
(Seite 3, mittlere Spalte, unten) muß es natürlich heißen „
ekſta=
tiſche Berauſchtheit”, was hiermit berichtigt wird.
Nummer 123.
Seite 3.
Darmſtädter Tagblatt, Montag, deu 25. Juni 1923.
Franzöſiſche Ritterlichkeit.
Von
Georg Karo.
Die Franzoſen haben den Leichnam des von ihnen
gemor=
deten vaterländiſchen Vorkämpfers Schlageter frei gegeben,
und er iſt mit den Ehren, die ihm zukamen, bis in ſeine Heimat
zurückgebracht worden. Es wird gewiß bei uns unverbeſſerliche
Franzoſenſchwärmer geben, die hier eine ritterliche Geſte
er=
kennen und preiſen. Sicher mit Unrecht. Die große Nation hat
bekanntlich von jeher Edelmut und Ritterlichkeit mit Beſchlag
belegt und hat darum keinen Grund, dafür noch neue Beweiſe
zu liefern. Zudem ſtänden ſolche Beweiſe in einem
unerträg=
lichen ſtiliſtiſchen Widerſpruch zu dem geſamten Benehmen
un=
ſerer Fginde im Ruhrgebiet und ſonſt, und die Franzoſen
haben immer auf Stilgefühl gehalten, haben es auch neuerdings
wieder bewieſen, indem ſie den von ihnen Gemordeten mit
Schimpf und Verleumdung überſchütteten. Man muß alſo nach
einem anderen Grunde ſuchen. Er iſt nicht zu finden. Ein
deutſcher Steckbrief hat zur Entdeckung Schlageters geführt.
„Deutſche” haben ihn verraten. Und „deutſche” Zeitungen haben
es fertig gebracht, den Mann mit franzöſiſchem Schmutz zu
be=
werfen, der aufrechten Hauptes für ſein Vaterland in den Tod
gegangen war. Andererſeits hat dieſer Opfertod zu erhebenden
Kundgebungen geführt, und der Leichenzug iſt auf ſeinem
gan=
zen Wege als ein Symbol wieder erſtandenen und erſtarkten
Nationalgefühls begrüßt worden. Neben den ſchönen
Huldigun=
gen der Hochſchulen von Darmſtadt und Frankfurt darf man die
Kundgebung der Bevölkerung auf den vielen kleinen
ungenann=
ten Stationen nicht vergeſſen. Sie bilden einen Beſtandteil des
heldenhaften Kampfes an Rhein und Ruhr, der in ſeiner vollen
Größe erſt von ſpäteren Geſchlechetrn gewürdigt werden mag.
All das wiſſen die Franzoſen und haben es vorausgeſehen.
Sie ſind ſowohl über die vaterländiſchen Kreiſe, wie über die
vaterlandsfeindlichen bei uns unterrichtet, wenn ſie ſie auch
an=
ders benennen mögen als wir, und ſie haben in der Freigabe
von Schlageters Leichnam eine willkommene Gelegenheit erblickt,
die Spaltung im deutſchen Volke wieder einmal klar
hervor=
treten zu laſſen. Sie mögen ſich auch mit der Hoffnung
getra=
gen haben, daß auf dem langen Wege von Elberfeld nach
Schönau dieſe Spaltung ihren ſichtbaren Ausdruck in Zänkereien
oder gar in Tätlichkeiten finden würde, welche die Feierlichkeit
des Leichenzuges beflecken und neuen Haß und neue Zwietracht
ſäen könnten. Darin haben ſie ſich nun zum Glück getäuſcht.
Die Erlebniſſe Hindenburgs in Nordhauſen und Lettow=
Vor=
becks in Greiz ſind dem toten Helden erſpart worden. Und
wenn man alles überſchaut, tritt die Beſchämung über einzelne
gemeine Stimmen gänzlich zurück vor dem Stolz über den
ein=
mütigen Chor der Trauer und der Dankbarkeit, dem Schlageters
Waffengenoſſe, Freiherr von Medem, ſo ergrefenden Ausdruck
verliehen hat.
Wir wollen aber über dem allen unſere Freunde, die
Fran=
zoſen, nicht vergeſſen. An der Bahre Schlageters hat Paſtor
Frick in Elberfeld daran erinnert, daß Schlageter in Oberſchleſien,
als er den Anngberg ſtürmte, unter Einſetzung ſeines eigenen
Lebens eine franzöſiſche Patrouille gerettet habe und nun von
franzöſiſchen Kugeln dahingeſtreckt worden ſei. Da mußte ich an
einen anderen Fall denken, der eine gewiſſe Verwandtſchaft zeigt.
Es war im Dezember 1918. Die Entente hatte Truppen in
Südrußland gelandet, die ſich gegen die Bolſchewiſten ſchwer
behaupten zu können meinten. Auf die Bitten ihrer Führer
er=
klärte ſich der deutſche Oberkommandierende bereit, die noch in
dieſer Gegend verbliebenen deutſchen Streitkräfte zum Schutze
„der Feinde zurückzulaſſen unter der Bedingung, daß ihnen freier
Abzug durch das Mittelmeer mit allen Ehren gewährt würde.
Der deutſche Admiral verſtand unter „Waffenſtillſtand” etwas
weſentlich anderes als die Entente, und er glaubte an das Wort
ſelbſt eines franzöſiſchen Generals. Als unſere Truppen ihre
Aufgabe beendet hatten und nun auf Transportſchiffen den
Bos=
porus paſſieren wollten, ließ ſie der damalige
Oberkommandie=
rende der alliierten Streitkräfte, General Franchet d’Eſperey,
anhalten, weigerte ſich, das Wort ſeines Kameraden in
Südruß=
land irgendwie anzuerkennen und ſchickte die Beſchützer der
Entente gegenüber den Bolſchewiſten kurzerhand in ein
Gefan=
genenlager nach Saloniki, wo ſie monatelang unter den
ſcheuß=
lichſten Bedingungem auf ihre Befreiung warten mußten. Der
engliſche Komandierende in Konſtantinopel ſprach ſein
lebhaf=
teſtes Bedauern darüber aus, daß er gegen den Willen ſeines
franzöſiſchen Vorgeſetzten nichts machen könne. Wir haben ja
ſolche britiſchen Töne ſchon oft genug gehört. Stichwort:
We let the French de the dirty werk (Wir überlaſſen den
Franzoſen die dreckige Arbeit!).
In all den entſetzlichen Ereigniſſen des Winters 1918/19 iſt
dieſer lehrreiche Fall von deutſcher und franzöſiſcher Ritterlichkeit
bei uns vollkommen unbeachtet geblieben, ganz abgeſehen
natür=
lich von den Nächſtbeteiligten, die aber auch kein Aufhebens
da=
von machten. Die Franzoſen ihrerſeits belohnten den tapferen
General Franchet d’Eſperey mit dem Marſchallſtab, und ich leſe
im „Matin” unter dem 5. Juni, daß er in Dinant den
franzöſi=
ſchen Kriegerfriedhof eingeweiht und in ſeiner Feſtrede den
fran=
zöſiſchen und belgiſchen Veteranen unter anderem geſagt hat:
„Wir haben den großen Krieg gewonnen. Aber gegenüber
Leu=
ten, die ihre Unterſchrift mißachten, kann es nur die Energie
ſchaffen.” — Franzöſiſche Ritterlichkeit!
Das franzöſiſch=ruſſiſche Handelsabkommen.
Paris, 24. Juni. (Wolff.) Das Handelsminiſterium
über=
mittelte der Preſſe durch Havas eine Mitteilung über den
In=
halt des franzöſiſch=öſterreichiſchen
Handelsab=
kommens. In einer Konvention werden Bedingungen
feſt=
gelegt, unter denen nach Ablauf der im Vertrage von St.
Ger=
main vorgeſehenen Vergünſtigungsfriſt Frankreich Vorteile des
Vertrages erhalten bleiben ſollen. Oeſterreich werde dafür
prak=
tiſche Gegenſeitigkeit gewährt. Eine erhebliche Anzahl
ſeiner Waren werden entweder zum franzöſiſchen Minimaltarif
verzollt, oder durch Nachläſſe vom allgemeinen Tarif begünſtigt.
Soweit derzeitige Verhältniſſe es erlaubten, ſtelle alſo das
Ab=
kommen die Wiederaufnahme der vor dem Kriege beſtehenden
Beziehungen auf wirtſchaftlichem Gebiete dar. Von franzöſiſchen
Waren würden öſterreichiſcherſeits hauptſächlich gewöhnliche und
Schaumweine, landwirtſchaftliche Erzeugniſſe, Seidenwaren,
Wollſtoffe, Seifen und dergl. begünſtigt. Das Abkommen regele
auch die Bedingungen für die Niederlaſſung öſterreichiſcher,
na=
türlicher und juriſtiſcher Perſonen in Frankreich unter
Vorbe=
halt der vom Friedensvertrage für die in Oeſterreich anſäſſigen
Franzoſen gegebenen Sicherheiten. Die Konvention iſt für ein
Jahr abgeſchloſſen und kann jeweilig um drei Monate
ver=
längert werden.”
Reichstagspräfident Löbe überVolksnot und Völkerrecht
* Gleiwitz, 25. Juni. (Priv.=Tel.) Am Sonntag vormittag
ſprach im Volkshaus in Gleiwitz Reichstagspräſident Löbe vor
einer großen Zuhörerſchaft über das Thema „Volksnot und
Völ=
kerrecht‟. Der Redner ſchilderte eingangs die ernſte Situation,
in der wir uns jetzt beſinden, die durch die neuerdings
einge=
tretene Teuerungswelle noch erhöht wird. Der Redner kam dann
auf die Ruhrbeſetzung zu ſprechen, die eine Zerrüttung unſerer
Finanzen und eine Erſchütterung unſeres geſamten
Wirtſchafts=
lebens herbeigeführt habe, die aber noch dadurch verſchärft werde,
daß die beſitzenden Klaſſen nicht ihren Anteil an der Steuer
tru=
gen, der ihnen eigentlich zufalle. An Hand ſtatiſtiſchen Materials
wies er nach, daß vom Oktober bis März 75 bis 97 Prozent der
Steuereinnahmen von den Lohn= bezw. Gehaltsempfängern auf=
ſteuer und durch Erfaſſung der Sachwerte das Gleichgewicht im
Staats= und Reichshaushalt wieder herzuſtellen. Der Redner
forderte auf, einen Block der Beſitzloſen zu bilden, damit es
möglich werde, die entſchuldete Induſtrie und Großlandwirtſchaft
zu ihren ſtaatlichen Pflichten heranzuziehen, und ſchlug vor, zur
beſchleunigten Durchführung eine Vorlage im Reichstage
einzu=
bringen, die Einkommenſteuer um das Fünfunddreißigfache zu
erhöhen. Die Ausführungen des Richstagspräſidenten wurden
mit lebhafter Zuſtimmung und ſtarkem Beifall aufgenommen.
Eine Rathenau=Gedächtnisfeier.
Frankfurt a. M., 24. Juni. (Wolff.) Eine ſchlichte
Ge=
dächtnisfeier zu Ehren Walter Rathenaus
ver=
anſtaltete der Demokratiſche Verein heute vormittag im großen
Saale des Saalbaues. Dieſe Trauerftunde, umrahmt von
weihe=
vollen Orgelakkorden und verſchönt durch Darbietungen von
Mei=
ſtern des Geſanges, gipfelte in einem Vortrag des
Reichstags=
abgeordneten Pfarrer Korell. In ſcharf umriſſenen
Bil=
dern zeigte er den Verſammelten die Vielbewegtheit des geiſtigen
und politiſchen Lebens unſeres Deutſchlands und betonte deſſen
Willen zum Wiederaufbau und zur nationalen Freiheit.
Rathe=
nau bezeichnete der Redner als einen der überzeugteſten
Vor=
kämpfer für das neue Deutſchland; die Hinmordung dieſes
Po=
litikers ſei deshalb ſinnlos geweſen, weil ſich dadurch politiſch
nichts änderte, ja nichts ändern konnte. Der Abgeordnete legte
ein aufrichtiges Bekenntnis zur Demokratie ab und glaubte ganz
im Sinne Rathenaus zu handeln, wenn er das deutſche Volk
aufforderte, über den egoiſtiiſchen Parteizielen das nationale
Wohl der Geſamtheit nicht aus den Augen zu verlieren. Der
nationale Wille und die Hoffnung auf eine glücklichere Zukunft
dürfe ſelbſt dann nicht erlahmen, wenn der Staat nicht nur
ſchützend und fördernd, ſondern auch fordernd an die Einzelnen
herantrete. Das ſei das Vermächtnis, das Rathenau unter
Ein=
ſatz ſeiner Perſon dem deutſchen Volke und ſeiner Wirtſchaft
hinterlaſſen habe. Trotz aller Trübſal will ich dennoch bei Dir
bleiben, mein Deutſchland! Dem Redner wurde von den
ver=
ſammelten Parteifreunden großer Beifall bekundet.
Die neuen Kohlenpreiſe.
Berlin, 24. Juni. (Wolff.) Im Anſchluß an die neuen
Lohnerhöhungen, die ſich im Ausmaße bis zu 57 Prozent
be=
wegen, und infolge der Materialpreisſteigerung wurde die
Feſt=
ſetzung neuer Kohlenpreisſätze notwendig. Die Preiserhöhungen
halten ſich für die weſtdeutſchen Reviere an das Ausmaß der
Lohnſteigerungen. Für Oberſchleſien und Niederſchleſien ſowie
Sachſen und die mitteldeutſchen Braunkohlenreviere bleiben ſie
hinter der Lohnerhöhung um 10 und mehr Prozent zurück. Netto
betragen die Preiserhöhungen im einzelnen für:
Ruhrfettförder=
kohle durchſchnittlich 136 780 Mk., Aachen=Eſchweiler 159 734 Mk.,
desgl. Nordſtein 181 787 Mk., Oberſchleſien 98061 Mk.,
Nieder=
ſchleſien 118 820 Mk., Sachſen 145 931 Mk., Niederſachſen=
Barſing=
hauſen 132 611 Mk., desgl. Obbenbüren 122930 Mk., Rheiniſche
Braunkohle (Rohkohle) 24 525, desgl. Briketts 84839 Mk., alles
durchſchnittlich. Hinzukommen die üblichen Steuern zc.,
eben=
ſo eine weitere Steigerung der Bergmannsſtättenbeiträge um
1500 Mk. pro Tonne. Für Ruhrfettförderkohle erhöht ſich durch
die obigen Beſchlüſſe der Preis von bisher 336200 Mk. auf
528 000 Mk. je Tonne. Für die mitteldeutſchen
Braunkohlen=
reviere ſteigern ſich die Preiſe für Rohkohle um 45 Prozent und
füer Briketts um 50 Prozent. Die neuen Preiſe treten wie die
Lohnerhöhungen am 25. Juni in Kraft.
Stadt und Land.
eſſante Charakteriſtiken. Genannt ſeien nur: ein Opfertanz, ein
ägyp=
tiſcher Tanz, ein Dolchtanz, ein ſiameſiſcher Tanz, Lotusland, Lazzaroni
Darmſtadt, 25. Juni.
— Letztes Konzert des Muſikfeſtes. Heute findet im Großen Haus
das Schlußkonzert des Muſikfeſtes Darmſtadt 1923 ſtatt. Im Programm
ſtehen die drei ſchärfſt ausgeprägteſten Muſiker der Gegenwart
neben=
einander: Arnold Schönberg, Paul Hindemith und Franz Schreker (die
Tanzſuite Hindemiths wird uraufgeführt); inſofern iſt dieſer Abſchluß
des Muſikfeſtes programatiſch bedeutſam. Die Leitung dieſes Konzerts
hat Joſeph Roſenſtock.
— Tanzgaſtſpiel Irail Godeskov: Das Programm des ruſſiſchen
Tänzers Jrail Godeskov für Dienstag abend 7½ Uhr verſpricht inter=
und Braziliano.
— Rasmuſſens letzte Nordpolexpedition im Film: Für Dienstag
und Mittwoch nachmittag um 4 Uhr ſind von dieſem Film, der nicht nur
gute Landſchaftsbilder aus Grönland bringt, ſondern außerdem den
Grönländer in der Arbeit und im Spiel zeigt, geſchleſſene
Schülervor=
ſtellungen geplant. Den erläuternden Vortrag hält auch bei dieſen
Vor=
führungen Aſſeſſor Maurer. Der Film läuft im übrigen täglich um 6
und 8 Uhr.
Altersinvalidität. Auf Grund des Geſetzes vom 10. November
1922 gilt als invalid im Sinne des § 1255 R.V.O, auch derjenige, der
das 65. Lebensjahr vollendet hat. Er hat ſonach, wenn er die
vorge=
ſchriebene Wartezeit erfüllt und die Anwartſchaft aufrecht erhalten hat,
Anſpruch auf Invalidenrente, ohne daß es des Nachweiſes
tatſächlicher Invalidität durch Vorlage eines ärztlichen
Zeug=
niſſes bedürfte. Trotzdem liegen den auf Grund obiger Vorſchrift
bei der Landesverſicherungsanſtalt eingereichten Anträgen vielfach
ärzt=
liche Atteſte bei. Neben der hierdurch bedingten Verzögerung des
Ver=
fahrens entſtehen für deren Einholung erhebliche Koſten, die geſpart
werden ſollten. Die Beteiligten, insbeſondere die Bürgermeiſtereien,
ſeien deshalb nochmals darauf hingewieſen, daß bei
Invalidenrenten=
anträgen, die auf die Zurücklegung des 65. Lebensjahres geſtützt
wer=
den, eine ärztlihe Begutachtung zu unterbleiben hat."
* Der Hypothekengläubiger=Schutzverband hielt am vergangenen
Samstag abend im „Feierabendſaale” eine ſehr gut beſuchte
Ver=
ſammlung ab. Aus dem Tätigkeitsbericht war zu entnehmen, daß neben
dem Hauptverbande Berlin bisher nur in Heſſen eine Landesgruppe
beſteht; die ſich aber ſehr gut entwickelt und bereits Mitglieder aller
heſſiſchen Provinzen beſitzt. Es iſt beabſichtigt, nach Erledigung der
dringendſten Arbeiten der Landesgruppe nun zum weiteren Ausbau,
zur Bildung von Ortsgruppen, zu ſchreiten. Beſonders intereſſant war
zu hören, daß die Rechtsauskunftsſtellen der Landesgruppe bereits ſehr
gute Reſultate gezeitigt haben. Allenthalben gehen die Schuldner dazu
über, den Gläubigern entſprechende Aufwertung bei der Rückzahlung
von Hypotheken zu gewähren. In den bisher von den
Rechtsauskunft=
ſtellen bearbeiteten Angelegenheiten wurden ſtets für die
Hypothekar=
gläubiger annehmbare Reſultate erzielt. Die Idee, welche in der
Frank=
furter Zeitung angeregt wurde, zur Bildung von
Hypothekenausgleichs=
ämtern fand ſehr lebhaften Anklang und ſoll auch für die Folge im
Auge behalten werden. — Die von den Kommiſſionen bearbeiteten
Satzungen des Landesverbandes fanden mit geringen Aenderungen
An=
nahme. — Nach Entlaſtung des Vorſtandes wurde zur Neuwahl
ge=
ſchritten. Der ſeitherige erſte Vorſitzende Ober=Ing. Quiel, der ſich um
die Sache beſonders verdient gemacht hatte, konnte das Amt wegen
Arbeitsüberhäufung in ſeinem Betriebe nicht weiter verwalten, der erſte
Schriftführer, Herr Dipl.=Ing. Ludwig, wurde beruflich nach Fulda
ver=
ſetzt. Gewählt wurden: 1. Vorſitzender, Herr Dr. Schnörr, 2.
Vor=
ſitzender, Herr Juſtizinſpektor Melior, 1. Schriftführer, Herr
Rechts=
anwalt Dr. Hoffmann. Die Beiräte werden von dem Vorſtande nach
den Vorſchlägen aus der Verſammlung ernannt, die einzelnen
Kommiſ=
ſionen zur Bearbeitung der verſchiedenſten Gebiete, die in Frage kommen,
ſollen vom Geſamtvorſtande ernannt werden. — In der Ausſprache ergab
ſich, daß das Oberlandesgericht in Kiel ein dem Darmſtädter Urteil
ähnliches Urteil gefällt hat, ferner, daß in Kürze eine weitere
Entſcheid=
ung in einer anhängigen Klage bei dem Oberlandesgericht zu erwarten
iſt und daß auf der Anwaltstagung in Berlin ſich etwa ½ der
anweſen=
den Rechtsanwälte für das Darmſtädter Urteil erklärt haben.
Die Tagesordnung der Stadtverordnetenverſammlung am
Donnerstag, den 28. Juni 1923, nachmittags 5 Uhr,
umfaßt folgende Punkte: 1. Vereinigung der Rettungswache mit der
Feuerwache. 2. Neufeſtſetzung der Bäder=pp.=Preiſe für den Woog.
3. Aenderung der Grundſätze für die Feſtſetzung der Gas= und
Waſſer=
preiſe 4. Ankauf eines kleinen Laſtkraftwagens für die ſtädtiſchen
Be=
triebe. 5. Aenderung der Grundſätze für die Einlegung von Gas= und
Waſſerverſorgungsleitungen in Straßen außerhalb des
Bebauungs=
planes pp. 6. Antrag auf Verſoraung der Gemeinde Arheilgen mit
elektriſchem Strom. 7. Geſuch der Bauhütte um finanzielle Beteiligung
der Stadt. 8. Errichtung eines Wohngebäudes nächſt dem
Oberwald=
haus. 9. Unterhaltung der Hintergebäude des Stadthaufes. 10.
Um=
bau des Hauſes Nieder=Ramſtädter=Straße 100. 11. Herſtellung von
zwei Wohnräumen im erſten Obergeſchoß des Hauſes. Waldſtraße 21.
12. Herſtellung eines Gleiderlagers für das Wohlfahrtsamt. 13. Er=
höhung des Beitrages zum Allgemeinen Verein gegen Verarmung und
Bettelei. 14. Leſeholzgewinnung in den ſtädtiſchen Waldungen. 15.
Erlaß einer Verordnung, betr. Umzugskontrolle beim
Wohnungs=
wechſel. 16. Anträge des Stadtverordneten Schlitt, betr. Kontrolle und
Mitbeſtimmungsrecht der Intereſſentengruppe der Wohnungsſuchenden
bei dem Wohnungsamt und in Verbindung damit: Antrag des
Stadt=
verordneten Götz und Konſorten, betr. Ergänzung des Wohnungsamtes
durch Zuwahl von Stadtverordneten. 17. Zuſchuß zu den Koſten der
Kleinkinderſchulen und Krippen. 18. Zuſchuß zu den Koſten der
Privat=
ſchulen. 19. Mitteilungen.
Sommer=Sonderzüge.
Die Reichsaahn beabſichtigt, wie im vorigen Jahre, auch in
dieſem Jahre während der Monate Juli bis Auguſt „Sommer=
Sonderzüge zu ermäßigten Preiſen zu fahren. Die Züge führen
nur die 3. Wagenklaſſe. Es werden Rückfahrkarten 3. Klaſſe mit
zwei=
monatiger Gültigkeit ausgegeben, die bei der Rückfahrt zur Benutzung
aller fahrplanmäßigen, ſowie geeignetn Sommer=Sonderzüge
berechti=
gen. Für Schnellzüge iſt der tarifmäßige Zuſchlag zu zahlen.
Die Ermäßigung beträgt für Hin= und Rückfahrt je 25 v.H. des
gewöhnlichen Fahrpreiſes.
Für den Bezirk der Reichsbahndivektiommm Fvankfurt und Mainz
kommen nackſtehende Sonderzüge in Betracht:
1. Von Frankfurt a. M. nach Freiburg (Breisgau) am 7. Juli.
Abfahrt in Frankfurt Hauptbahnhof 8.00 Uhr vorm., Ankunft in
Frei=
burg 7.36 Uhr nachm. Einſteigeſtationen ſind Frankfurt, Darmſtadt
und Bensheim. Es werden Fahrkarten ausgegeben nach Freudenſtadt,
Hauſach, Freiburg (Breisgau), Donaueſchingen, Triberg, Müllheim
(Baden), Wehr, Zell (Wieſenthal), Ueberlingen und Konſtanz.
2. Von Frankfurt a. M. nach Norddeich (Nordſeebäder) am 7. Juli.
Abfahrt in Frankfurt Hauptbahnhof 6.13 Uhr vorm., Ankunft in
Nord=
deich 6.37 Uhr nachm. Einſteigeſtationen ſind Frankfurt, Friedberg,
Gießen, Marburg und Kaſſel. Es werden Karten ausgegeben nach
Emdm (Außenhafen), Norddeich, Boxkum, Juiſt, Norderney und nach
Langeoog.
3. Von Frankfurt a. M. nach München am 6. und 7. Juli, und
4. Auguſt. Abfahrt in Foankfurt Hauptbahnhof am 6. Juli und
4. Auguſt um 9.18 abends, am 7. Juli 8.25 Uhr vorm. Ankunft in
München am 7. Juli und 5. Auguſt 6.30 Uhr vorm., am 7. Juli um
5.25 Uhr nachm. Einſteigeſtationen ſind Frankfurt, Offenbach und
Hanau und bei dem Sonderzug am 7. Juli auch Darmſtadt. Es
wer=
den Karten ausgegeben nach Augsburg, München, Berchtesgaden Hbf.,
Garmiſch=Parvenkirchen und Obeyſtdorf.
4. Von Freiburg (Br.) über Frankfurk a. M. nach Berlin am
13. Juli. Abfahrt in Frankfurt Hbf. 6.53 Uhr nachm., Ankunft in
Berlin Anh. Bhf. 6. 13 Uhr vorm. Es werden Karten von Frankfurt,
Offenbach und Hanau=Oſt nach Berlin verausgabt.
5. Von Frankfurt a. M. nach Hamburg bzw. Bremen um 6. Juli.
Abfahrk in Frgnkfurt Hbf. 6.53 Uhr nachm. Ankunft in Hamburg Hbf.
6.05 Uhr vorm., in Bremem 6.58 Uhr vorm. In Frankfurt, Offenbach
und Hanau=Oſt werden Karden nach Hamburg und Bramen verabfolgt.
Gegen Vorzeigung der Sonderzugkarten ſind in Hamburg und Bvemen
Anſchlußkarten zu ermäßigten Preiſen nach den Seebädern ephältlich.
Der Vorverkauf der Harten erfolgt an den Fahrkartenſchaltern der
Einſteigebahnhöfe 18 Tage vor Abfahrt des Sonderzuges und dauert im
allgemeinen 14 Tage, wenn die Karten zu den einzelnen Sonderzügen
micht ſchon vorher verkauft ſind. Alles Nähere iſt aus den auf den
Bahnöfen angebrachten Aushängen erſichtlich. Die Fahrpläne, die
Fahrpreiſe, ſowie die ſonſtigen Vorſchriften für dia Benutzung dieſer
Sonderzüge ſind von der Reichsbahndirektion in Heftform
zuſammen=
geſtellt. Ein derartiges Heftchen kann von jeder Fahrkartenausgabs
der Einſteigeſtationen zum Preiſe von 100 Mk. bezogen werden.
Beerfelden i. O., 24. Juni. Der bekannte große Beerfelder Pferde=,
Fohlen= und Zuchtviehmarkt, verbunden mit Prämiierung, findet in
dieſem Jahre vom 8. bis 10. Juli ſtatt.
Neu=Iſenburg, 24. Juni. Eine Spende von 50 Dollars
wurde der hieſigen Gemeinde zum Ankauf von Lebensmitteln für
be=
dürftige Familien überwieſen.
so= Rüffelsheim a. M., 23. Juni. Diebſtahl bei Opel. In den
Opelwerken iſt man einem größeren Diebſtahl auf die Spur gekommen.
Offenbar zur Nachtzeit ſind mehrere Scheinwerfer, Schaltkaſten uſw.
entwendet worden. Für die Ergreifung der Täter hat die Firma eine
hohe Belohnung ausgeſetzt.
th. Mainz, 23. Juni. Juwelendiebſtahl. In einem hieſigen
Hotel wurden einem dort logierenden Ehepaar Juwelen im Werte von
60 Millionen Mark geſtohlen. Die Edelſteine waren nur einige
Augen=
blicke unbewacht in einem Zimmer liegen geblieben. Ihr Verſchwinden
iſt deshalb um ſo rätſelhafter.
ro. Flomborn (Rheinheſſen), 23. Juni. Altbürgermeiſter Fitting
iſt hochbetagt geſtorben. Er hat 24 Jahre lang an der Spitze der
Gemeinde geſtanden.
et. Bad Nauheim, 23. Juni. Eine bezeichnende
Ruhr=
ſpende. Ein hier zur Kur weilender engliſcher Offizier hat fünf
Millionen Mark für die Ruhrhilfe geſpendet. — Die Stadt Bad=
Nau=
heim hat ihren Beitritt zum Heſſiſchen Waldbeſitzerverein beſchloſſen.
R. Oberhefſen, 23. Juni. Schotten. Die Selbſtverſorgung des
Kommunalverbandes Schotten 1922/23 iſt nunmehr beendet. Der Bedarf
iſt 9700 Doppelzentner, das Umlageſoll 4500 Doppelzentner. —
Weiterrode. Die Frau des hieſigen Einwohners Holſtein ſtürzte
in die Jauchegrube. Bis man darauf aufmerkſam wurde, war ſie
be=
reits darin umgekommen. — Ober=Schmitten. Ein ehemaliger
Ortsbürger, der jetzt in Amerika weilt, hat ſeiner Heimatgemeinde 25
Dollar für die Herſtellung der Kirche überwieſen. — Vockenrod
(Kr. Alsfeld). Ein hieſiger Einwohner ſchnitt ſich beim Holzmachen
einen Finger ab. An die Wunde kam Starrkrampf, an deſſen Folgen
der Unglückliche ſtarb.
R. Schlitz (Oberh.), 23. Juni. Schadenfeuer. In Langenſchwarz
brach nachts in dem Wohnhaus des Müllers Gebhard ein verheerendes
Feuer aus. Die Tochter und die Magd des Mühlenbeſitzers konnten
ſich nur mit knapper Not aus dem brennenden Hauſe retten. Viel
Mobiliar verbrannte. Auch zirka 30 Zentner Mehl ſind verbrannt.
Das Haus iſt bis auf den erſten Stock niedergebrannt.
sei= Lauterbach (Oberheſſen), 23. Juni. Der neue
Kreisdirek=
tor Dr. Michel hat ſein Amt angetreten. Der bisherige
Kreisdirek=
tor v. Werner iſt bekanntlich nach Erbach i. O. verſetzt worden.
Reich und Ausſand.
Eine Rathenau=Stiftung.
Berlin. Am Samstag mittag fuhren de: Reichspräſident, der
Reichskanzler und der Reichsminiſter des Innern von Oeſer, ſowie der
Reichsminiſter des Aeußern v. Roſenberg, begleitet von den
Miniſterial=
direktoren Meißner und Brecht, vor der Villa Walther Rathenaus in
der Königsallee 65 vor, wo ſie von der Mutter Rathenaus mit Tochter
und Schwiegerſohn, Bankdirektor Andrege mit Frau, empfangen wurden.
Frau Rathenau übergab das Haus als einen Teil der Walter Rathenau=
Stiftung den Vertretern des Reiches. Wenn der Geiſt der Menſchenliebe,
für den der Verſtorbene wirkte, ſich über das ganze Vaterland und die
ganze Welt verbreite, ſo werde dies die Erfüllung des Daſeins ſein. —
Der Reichspräſident dankte in einer herzlichen Anſprache und ſchloß mit
den Worten, daß der Geiſt des Hauſes noch in Jahrhunderten von der
einzigartigen Perſönlichkeit Rathenaus und ſeinem hohen Wirken für
das Reich Zeugnis geben und daß die Menſchenliebe von ihm ausſtrahlen
möge.
Ein Beſtechungsprozeß.
Berlin. Ein Beſtechungsprozeß beſchäftigte die zweite
Strafkammer des Landgerichts 1 Berlin gegen den ſtellvertretenden
Ge=
ſchäftsführer der Brandenburgiſchen Landwirtſchaftskammer Dr.
Ge=
orgs und den Gutsbeſitzer Hennecke. Die Beſtechung erblickt die
Anklage darin, daß Georgs von dem Mitangekklagten Hennecke, dem
durch Vertrag mit der Landwirtſchaftskammer die Beſchaffung von
Pfer=
den für die Entente übergeben war, ſich eine Beteiligung am
Reinge=
winn hatte verſprechen laſſen. Das Gericht verurteilte Georgs wegen
Beſtechung zu drei Monaten Gefänis, und erkannte auf
Ein=
ziehung des Beſtechungsbetrages von 1,2 Millionen Mk., gegen
Hen=
necke konnte kein Urteil gefällt werden, da er am dritten
Verhand=
lungstage ſchwer erkrankte.
Tageskalender.
Landestheater, Großes Haus, Muſikfeſt 1923: 6. Konzert nachm.
½ Uhr. Kleines Haus, nachm. 6 und 8 Uhr Film mit erl. Vortrag:
Rasmuſſens letzte Nordpolexpedition. — Orpheum, Abends 77
Uhr: „Schäm Dich, Lotte‟, — Union=, Reſidenz=, Zentral=Theater und
Palaſt=Lichtſpiele: Kinovorſtellungen.
Verſteigerungskalender — Dienstag, 26. Juni.
Heugrasverſteigerung vorm. 9 Uhr im Teichhauſe bei
Rein=
heim.
Druck und Verlag: L. C. Wittich. Verantwortlich für Politik,
Wirtſchaft und Fenilleton: Rudolf Mauve; für „Stadt und Land”
„Reich und Ausland”: i. V.: Andreas Bauer; für den
Inſeraten=
teil: i. V.: Ad. Fleiſchmann, — ſämtlich in Darmſtadt.
hentige Rnmmer hat 6 Geiten.
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Z5. Juni1923 Nr. 173
Dnderodr
Wirtſchaftliche Rundſchau.
* Mainkraftwerke A.=G., Höchſt a. M. Der Bilanz der
Geſellſchaft, die für das abgelaufene Geſchäftsjahr 50 Proz. Dividende
verteilte, entnehmen wir folgende Zahlen: Bei einem Aktienkapital von
150 Mill. Mk. Stamm= u. 14 Mill. Mk. Vorzugsaktien betrugen die
ge=
ſetzlichen Rücklagen 32095 864 Mk. Kraftwerk Höchſt a. M.,
Friedrichs=
ſegen Limburg a. d. L. und Umformeranlage Oberurſel ſind mit
29 648 013 Mk. ausgewieſen. Fernleitungen und Ortsnetze, die einen
Zugang von 50 613 795 Mk. aufweiſen, ſtehen mit 81 921 789 Mk. zu
Buch. Zähler, die in der Bilanz vom 31. 12. 21 mit 3 550 835 Mk. zu
Buche ſtanden, weiſen einen Zugang in Höhe von 35 697 345 Mk. auf;
nach Abſchreibung in Höhe von 9500000 Mk. ſtehen ſie in der Bilanz
vom 31. 12. 22 in Höhe von 29 748 180 Mk. zu Buch. Mietsanlagen,
Kraft= und Fuhrwerke, allgemeine Einrichtungs= und
Ausrüſtungsgegen=
ſtände, Werkzeug und Werkzeugeinrichtungen, Kleider, ſind alle auf den
Mindeſtwert abgeſchrieben. Wertpapiere erſcheinen in Höhe von
1 614 547 Mk., Warenbeſtände mit 2 201 216 Mk., Neuanlagen in
Aus=
führungen 41 006 970 Mk., Betriebs= und Reſervematerialien 12908 910
Mk., Warenvorräte und halbfertige Anlagen 137 855 324 Mk., Debitoren
ſind folgendermaßen ausgewieſen: Aus Stromlieferung für Dezember
342 413 821 Mk., Bank= und Poſtſcheckguthaben 103 122 904 Mk.,
Vor=
ſchüſſe an naheſtehende Geſellſchaften 8 374831 M., Vorauszahlung an
Lieferanten 37 704 454 Mk., Vorauszahlungen für in Ausführung
begrif=
fene Werkerweiterung 110 332440 Mk., verſchiedene Außenſtände
72 692 316 Mk., insgeſamt 674 640 768 Mk. Dieſen Aktippoſten ſtehen
andererſeits Kreditoren in Höhe von 425 004 553 Mk. gegenüber.
Schuld=
verſchreibungen (5 und 4½ Proz.) ſind mit 69 842500 Mk. ausgewieſen.
Die geſetzliche Rücklage beziffert ſich, wie ſchon erwähnt, auf 32095 864
Mk., Anlagekapital, Tilgungs= und Erneuerungsrücklage weiſt einen
Zugang von 248 599310 Mk. auf und erſcheint in der Bilanz vom
31. 12. 22 in Höhe von 259 524 479 Mk. An Zuſchüſſen ſeitens der
Ge=
meinden und Abnehmer werden 36 761 584 Mk. ausgewieſen. Der
Rein=
gewinn iſt mit 23 576 347 Mk. ausgewieſen.
* A.=G. für Federſtahl, vormals A. Hirſch u. Co. Die
Geſellſchaft war laut Bericht im abgelaufenen Geſchäftsjahr faſt
an=
dauernd reichlich beſchäftigt. Auch große Auslandsaufträge gelangten
zur Ausführung. Dieſem Umſtande ſei es auch in erſter Linie mit zu
verdanken, daß die Verkaufspreiſe ſich den dauernd ſtark ſteigenden
Her=
ſtellungskoſten, wenn auch nicht immer mit der gleichen Schnelligkeit, ſo
doch im allgemeinen anpaſſen konnten. Im neuen Jahre habe ſich das
Gefchäft befriedigend entwickelt, jedoch ſei es unter den heutigen
Ver=
hältniſſen über die weitere Geſtaltung und das Ergebnis des neuen
Ge=
ſchäftsjahres nicht möglich, eine Vorherſage zu machen. Der Rohgewinn
ſtellt ſich im abgelaufenen Geſchäftsjahr nach Abzug der Unkoſten auf
47 145 0000 Mk., Abſchreibungen erforderten 3 538000 Mk., einer neu
gebildeten Rückſtellung für Außenſtände ſollen 5 Millionen Mk.
über=
wieſen werden. Es verbleibt ein Reingewinn von 38 844000 Mk.
ein=
ſchließlich des Vortrages von 0,237 Millionen Mk. Es gelangt eine
Dividende in Höhe von 200 Prozent — 12,36 Millionen Mk. auf Stamm=
und 6 Proz. auf Vorzugsaktien — zur Verteilung. Dem
Werkerhal=
tungskonto ſollen 5 Millioen Mk., für Tantiemen bezw. Vergütungen und
Arbeiter=Gewinnbeteiligungen 5,609 Millionen Mk. verwandt werden,
und auf neue Rechnung 1,199 Millionen Mk. vorgetragen werden. In
der Bilanz erſcheint Grund und Boden unverändert mit 0,171 Millionen
Mk., während Fabrikgebäude mit 1,233 Millionen Mk., Häuſer mit
0,1 Million Mk. erſcheinen. Die übrigen Anlagen ſtehen mit dem
Min=
deſtwert zu Buch. Kaſſe iſt mit 3,957 Millionen Mk., Wertpapiere 2,662
Millionen Mk., Außenſtände 94,936 Millionen Mk., Bankguthaben 7,683
Millionen Mk., Warenbeſtand 75,036 Millionen Mk. ausgewieſen.
Stär=
ker erhöhte ſich das Konto Zweigfabrik Aſchaffenburg, nämlich von 0,895
Millionen Mk. auf 27,2 Millionen Mk. und Zweigfabrik Wieſenſteig
von 1,024 auf 16,917 Millionen Mk., ohne daß die Urſache der Zunahme
beſonders erkenntlich wird oder erläutert würde. Die ordentlichen
Re=
ſerven wurden durch das Agio aus der Kapitalserhöhung von 0,315 Mil=
lionen Mk. auf 6,165 Millionen Mk. geſteigert. Das
Werkerhaltungs=
konto erſcheint unverändert mit 1 Million Mk. Kreditoren ſind von
5,687 Millionen Mk. im Vorjahr auf 111,961 Millionen Mk. Ende 1922
geſtiegen, Akzepte ſind mit 63,886 Millionen Mk. ausgewieſen. Dieſe
Verſchlechterung des finanziellen Status gibt der Verwaltung Anlaß, bei
der a. o. G.=V. eine Kapitalserhöhung um 15 Millionen Mk. Stamm=
und 1,5 Millionen Mk. Vorzugsaktien zu beantragen. Eine bereits im
Januar vorgeſchlagene Kapitalserhöhung um 6 Millionen Mk. Stamm=
und 1,2 Millionen Mk. Vorzugsaktien wurde nicht durchgeführt.
Der Ankauf von Gold für das Reich durch die Reichsbank
und Poſt erfolgt vom 25. Juni ab bis auf weiteres zum Preiſe von
450 000 Mk. für ein Zwanzigmarkſtück, W5000 Mark, für
ein Zehnmarkſtück. Für ausländiſche Goldmünzen werden entſprechende
Preiſe gezahlt. Der Ankauf von Reichsſilbermünzen durch die
Reichs=
bank und Poſt erfolgt bis auf weiteres zum 9000fachen Betrage des
Nennwertes.
*.d- Kein Terminhandel für die
Dollarſchatzan=
weiſungen. (Priv.=Tel.) Der Vorſtand der Berliner Fondsbörſe
hat einſtimmig den Beſchluß gefaßt, den Antrag auf Zulaſſung auf
Ter=
mingeſchäfte und Terminnotierungen für Dollarſchatzanweiſungen
abzu=
lehnen. Zweifellos hat das Termingeſchäft in Dollarſchatzanweiſungen
die mit der Anleihe beabſichtigte Herausziehung von Deviſen und die
Senkung der Deviſenkurſe ins Gegenteil verkehrt und zur
Valutaver=
ſchlechterung beigetragen, denn man konnte in der letzten Zeit vielfach
die Beobachtung machen, daß ſich der Kurs des Dollars am freien Markt
nach den hohen Preiſen der Terminſchatzanweiſungen richtete.
h. Intereſſengemeinſchaft württembergiſcher
Brauereien. Der Intereſſengemeinſchaftsvertrag der
Württember=
giſch=Hohenzollernſchen Brauereigeſellſchaft mit der Brauereigeſellſchaft
Rettenmeher=Tivoli iſt in Wirkſamkeit getreten, ſo daß der
Brauerei=
betrieb aus dem Engliſchen Garten in den Beſitz der Brauerei
Retten=
meher=Tivoli verlegt worden iſt. Die Generalverſammlung der
Würt=
temberg=Hohenzollernſchen Brauereigeſellſchaft erklärte ſich mit der
Ver=
legung des Brauereibetriebs einverſtanden und ermächtigte den
Auf=
ſichtsrat, die Anlagen der Engliſchen Garten=Brauerei nach eigenem
Er=
meſſen im Intereſſe der Geſellſchaft zu verwerten. Die Württemberg.=
Hohenzollernſche Brauereigeſellſchaft iſt mit der im Mai d. J. in eine
A. G. umgewandelte Brauerei Dinkelacker Stuttgart eine nähere
Inter=
eſſengemeinſchaft eingegangen, nach der die Gewinne gemeinſam verteilt
und Aufſichtsratsſtellen gegenſeitig ausgetauſcht werden. Aus Anlaß
dieſer Intereſſengemeinſchaft wird das Kapital der Württemberg.=
Hohen=
zollern um 2,5 auf 14,5 Millionen Mk. durch Ausgabe von 2500 Inhaber=
Stammaktien zu 1000 Mk., ab 1. Oktober 1922 gewinnberechtigt, erhöht.
Die neuen Aktien werden von der Württembergiſchen Vereinsbank im
Nennwert übernommen mit der Verpflichtung, ſie nach Vorſchrift des
Aufſichtsrats und Vorſtandes zu verwenden. Durch Aenderung des § 2
der Satzungen kann ſich die Geſellſchaft nach Maßgabe der
wirtſchaft=
lichen Verhältniſſe in weiteſtgehendem Maße neue Beteiligungsfelder
ſuchen. Um durch den Eintritt von Aufſichtsratsmitgliedern der Brauerei
Dinkelacker den Aufſichtsrat nicht zu umfangreich werden zu laſſen, haben
Baurat Bihl, Oberfinanzrat a. D. Klett, Notar Kohler und Kaufmann
Nick ihre Aufſichtsratsmandate niedergelgt. Neu in den Aufſichtsrat
treten ein Kommerzienrat Karl Dinkelacker, Karl Dinkelacker jun., Karl
v. Oſtertag=Siegle. Die Generalverſammlung gab dann noch die
Zu=
ſtimmung zum Abſchluß von Verſicherungen unter dem vollen
Wieder=
beſchaffungspreis.
Fr 25 Jahre Verein der Märkiſchen
Kleineiſen=
induſtrie. Nach einer Mitteilung des Eiſen= und Stahlwaren=
In=
duſtriebundes gab in der Mitgliederverſammlung des Vereins der
Mär=
kiſchen Kleineiſeninduſtrie am Mittwoch, den 20. Juni, der Vorſitzende
Herr Fabrikant Paul Ferd. Peddinghaus=Gevelsberg bekannt, daß in
dieſem Jahre der Verein auf ein Bjähriges Beſtehen zurückblicken kann.
Er gab einen kurzen Ueberblick über die ſegensreiche Tätigkeit des
Ver=
eins und gedachte der Gründer und vor allem des Herrn Ingen. Max
Gerſtein=Hagen, der bor kurzem nach 25jähriger Tätigkeit als
Geſchäfts=
führer des Vereins ſein Amt niedergelegt hat. Der Ausſchußf des
Ver=
eins hat Herrn Gerſtein in Anbetracht ſeiner hohen WVerdienſte um die
Kleineiſeninduſtrie und den Verein zum Ehrenmitglied ernannt. Herr
Gerſtein wird auch weiterhin aus dem Born ſeiner reichen Kenntniſſe
und vielſeitigen Erfahrungen dem Verein mit Rat und Tat zur Seite
ſtehen.
*r. Amerikaniſches Welthandels=Nachſchlagebuch.
Von den Konſulaten der Vereinigten Staaten von Nordamerika wird
an deutſche Firmen ein Rundſchreiben mit Fragebogen geſandt, um
deſſen genaue Ausfüllung gebeten wird. Das eingegangene Material
ſoll, wie angegeben, zur Ergänzung des im Staatsdepartement in
Wa=
ſhington in Form einer loſen Blätterke rtothek beſtehenden Welthandels=
Nachſchlagebuches dienen. Die Fragen ſind ſehr eingehend und betreffen
unter anderem die Bezugsquellen im In= und Auslande, die Anzahl der
Reiſevertreter und ihrer Bezirke, das Betriebskapital, den Jahresumſatz,
die Angeſtellten= und Arbeiterzahl, die Verſicherungshöhe für Vorräte
und Gebäude. Vor Beantwortung empfiehlt es ſich, mit dem Eiſen=
und Stahlwaren=Induſtriebund in Elberfeld (Poſtfach 365) in Verbindung
zu treten.
Banken.
Ed. Kommerzialbank A.=G., München. (Prib.=Tel.) Die
Fürſtlich Hohenzollernſche, die Fürſtlich Reußiſche Verwaltung, die
Süd=
deutſche Holzinduſtrie A.=G., die Lokalbahn A.=G. und einige dieſen
naheſtehenden Gruppen haben ihre Intereſſen in der vor wenigen Tagen
in München mit einem nominalen Kapital von 600 Millionen Mk.
ge=
gründeten Aktiengeſellſchaft unter der Firma Kommerzialbank A.=G.,
München, zuſammengefaßt.
Warenmärkte.
h. Häuteauktion in Mannheim. Bei der Häuteauktion in
Mannheim am 20. Juni wurden erzielt: für Kuhhäute bis 29 und von
30—49 Pfund je 19900 Mk., 50—59 Pfund 20 000—22 290 Mk., 60—79
Pfund 22 800—24 000 Mk., 80 und mehr Pfund 22 400 Mk., mit Kopf
19 020 Mk.; für Rinderhäute bis 29 Pfund 25 300 Mk., 30—49 Pfund
24 500—25 500 Mk., 50—59 Pfund 25 800—26 110 Mk.; Kalbfelle 36 750
bis 39 240 Mk., norddeutſche Kalbfelle 25 550 Mk., Schuß 18200 Mk.
alles je Pfund.
Dividendenvorſchläge.
h. Deutſch=Südamerikaniſche Export= und
Im=
port=A.=G. (Induſtrie=Konzern), Mannheim. Der
Aufſichtsrat ſchlägt der auf den 25. Juni einberufenen
Generalverſamm=
lung die Verteilung von 70 Goldpfennigen — 5000 Mk. pro Aktie 3 1000
Mk. nom. vor.
h. Eiſenwerk Kaiſerslautern. Der Aufſichtsrak ſchlägt
nach namhaften Abſchreibungen und Rückſtellungen eine Dividande von
150 % (25) auf die Stamm= und 7 % auf die Vorzugsaktien vor. Dem
Werkerhaltungskontoo ſollen 28 Millionen Mk. zugeführt werden.
Ed- Continentalgeſellſchaft für elektriſche
Un=
ternehmungen. (Priv.=Tel.) Der Aufſichtsrat der
Continental=
geſellſchaft für elektriſche Unternehmungen in Nürnberg hat in ſeiner
letzten Sitzung beſchloſſen, der auf den 12. Juli einzuberufenden
Gene=
ralverſammlung die Verteilung einer Dividende von 162,2 Proz. auf die
Vorzugsaktien vom Jahre 1907, 149 Proz. auf die Stammaktien und
0,95 Proz. auf die im Jahre 1922 ausgegebenen und mit 25 Proz.
ein=
gezahlten Vorzugsaktien vorzuſchlagen. Der Reingewinn beträgt
59 869 000 (2858000) Mk. Davon entfallen auf die Dotierung der
ge=
ſetzlichen Rücklage 2 244 000 (138 000) Mk., auf die ſatzungsmäßige
Tan=
tieme des Aufſichtsrats 5 623 000 (134 000) Mk. und 51,9 (2,4) Mill. Mk.
auf die Dividende. Auf neue Rechnung werden 100 000 (95 000) Mk.
vorgetragen.
Familiennachr
**
Todes=Anzeige.
Gott dem Allmächtigen hat es
gefallen, meinen innigſt geliebten
Gatten, unſeren treuen
Schwieger=
ſohn, Bruder, Schwager, Onkel
und Neffen
Rechnungsrat
nach langem Leiden zu ſich in die
Ewigkeit abzurufen.
Namens der trauernden Hinterbliebenen:
Kätchen Bogt, geb. Kilian.
Darmſtadt, 24, Juni 1923.
Taunusſtr. 5.
Beerdigung Dienstag nachmittag
2½ Uhr, vom Portale des alten
Friedhofs.
Von Beileidsbeſuchen bittet man
abzuſehen. (5265
Freunden und Bekannten
die traurige Mitteilung, daß
mein lieber Bräutigam
Herr Otto Loefſler
Kaufmann
am 21. Juni nach längerem
Leiden ſanft entſchlafen iſt.
Die Beerdigung findet am
Montag, 25. Juni, nachmittags
13 Uhr, vom Friedhofe an der
Nieder=Ramſtädterſtraße aus
(5266
ſtatt.
Emma Roſt.
Familie R. Roſt.
Dankſagung.
Für die wohltuenden Beweiſe
der Teilnahme bei dem Heimgang
unſrer lieben Entſchlafenen ſagt
(5264
innigen Dank
Im Namen der Hinterbliebenen:
Philipp Streb, Saushofmſtr. i. R.
Streichfertige Farben
Eſchollbr. Str. 3
Palast-Lichtspiele
Cyklone 2. Teil
Der Ueberfall auf die Postkutsche
Amerikan. Abenteurerfilm in 6Akten
mit Mary Walkamp.
Lebewelt 6162ts80
Drama in 5 Akten mit Haid Pellerini.
Bohnerwachs
v. 3500 ℳ an. E. Krauth,
Eſchollbrücker Str. 3.
AAAA
Sportverein Darmſtadt 1898
Zum Abſchluß der Jubiläums=
Sportwoche
Montag, den 25. JuniP
auf dem Stadion
abends 8 Uhr: Sss f
(Konzert.
ANach Eintritt der Dunkelheit
Großes Mrilanfenerwerke
Autobesttzerl
Was bietet die
Automobil-Verkaufsgesellsch.
„Zeil” m. b. H.
1) Freie Einstellung von Kraftfahrzeugen
in ihren Ausstellungsräumen;
2) Kostenlose Insertion in hiesigen und
auswärtigen Zeitungen;
3) Kostenloser Verkauf, freihändig, wie
auch bei den wöchentlich
stattfinden-
den Versteigerungen;
4) Kostenlose Abholung der Kraftfahr-
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zeuge.
Aohten Sie gell. au. die Adresse der
Automobil-Verkaufsges. „Zeil‟
m. b. H., Frankfurt am Main,
Zeil 49, Telefon Hansa 4017.
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Beſtellſcheine müſſen mir per Eilboten eingeſandt werden.
Die Beſtellſcheine dürfen nur mit der Literzahl und
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ſchrift verſehen ſein, da der Sprit auf Eigenlager geht und
mit dem Spitzenpreis bezahlt wird. Die Auszahlung der
Entſchädigung erfolgt ſofort, wenn die Monopolverwaltung
den Auftrag angenommen hat.
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Das deutſche Derby.
Augias Sieger im Deutfchen Derby.
* (Eigener Bericht.) Zum deutſchen Derby, das geſtern in
Ham=
burg=Horn zum Austrag kam, waren neun Pferde geſaktelt. Als
erſtes Pferd ging der Favorit Augigs, aus dem Stalle des Herrn
v. Weinberg, durchs Ziek, der das in ihn geſetzte Vertrauen
voll=
kommen rechtfertigte. 2. Pferd Ganelon (Weinberg), 3. und 4. Ilbert
und Anſchlag, 5. Rotdorn, 6. Thomas, 7. Manlius, 8. Rubel, 9. Verark.
Totalifator 11:10.
Das Deutſche Derbh, der Kampf um das blaue Band, wurbe geſtern
zum 55. Male gelaufen. Der mit 100 Millionen Mk. ausgeſtatteten
wert=
vollſten Zuchtprüfung ſtellte ſich zum 2400 Meter=Stark das beſte
in=
ländiſche Material; eine iternationale Beteiligung fand nicht ſtatt.
Der Abſchſuß der Jubiläumsſportwoche.
Schüler Sportverein Darmſtadt—Schüler Verein für Rafenſpiele 7:0.
Wenninger verbeffert den deutſchen Nekord im Kugelſtoßen um 3,5 em.
Ensgraber=Mannſchaft Sportverein 98—Verein für Raſenſpiele 3 :2.
Kickers=Offenbach — Liga Sportverein 5:4.
Ee Die Veranſtaltungen am geſtrigen Sonntag hatten ſich eines
außerordentlichen Zufpruches zu erfreuen. Tauſende wählten bei
ſchönſter Witterung als Ziel die Darmſtädter Sportplatzanlagen am
Böllenfalltor. Der gebotene Sport war ein guter und entbehrte in
vielen Abſchnitten keineswegs des Reizes. Hoch gingen die Wogen der
Begeiſterung, als es der Ligamannſchaft des
Sportver=
eins zu gelingen ſchien, einen der ſtärkſten Vexeine im Verband
Süd=
deutſcher Fußballvereine niederringen zu können. Es war ein felten
höner Kampf zweier tüchtiger Gegner, dem ſelbſt ein kleiner
Zwiſchen=
fall wenig Abbruch tun konnte. Das Programm des Nachmittags wurde
flott durchgeführt und hielt die Zuſchauer recht anregend bis zum Schluß
auf dem Platze. Das Schülerſpiel der beiden erſten
Schülermann=
ſchaften des Sportvereins Darmſtadt und des
Ver=
eins für Rafenſpiele Darmſtadt gewannen die Kleinen des
Sportvereins mit 7 :0. — Dann verſuchte der anläßlich der Darmſtädter
Sportwoche nach hier gekommene Herr Wenninger aus Pirmaſens, den
deutſchen Rekord im Kugelſtoßen zu verbeſſern. Eine 7,5 Kilo ſchſvere
Kugel brachte er gleichmäßig bei jedem Verſuch über 13 Meter. Sein
beſter Wurf gelang ihm mit 13.505 Meter, während er bei ſeinen
Ver=
ſuchen am Vormittag den von Herrn Söllinger (Akademiſcher Sportklub
Darmſtadt) gehaltenen deutſchen Rekord mit 13,47 Meter nicht ganz
er=
reichen konnte. Wenn die Leiſtung des Herrn Wenninger von der
Deutſchen Sportbehörde ihre Beſtätigung erhält, hat das Darmſtädter
Stadion ſeine Weihe als Ort einer deutſchen Höchſtleiſtung erhalten.
— Im nachfolgenden Fußballſpiel ſchlug die Ensgraber=
Mannſchaft des Sportvereins die erſte Mannſchaft des
Vereins fürRafenſpiele Darmſtadt mit 3: 2. Das meiſte
Intereſſe beanſpruchte das nachfolgende Spiel des Südmain=
Kreis=
meiſters, des Fußballklubs Offenbacher Kickers, gegen die
Ligamannſchaft des Sportvereins Darmſtadt. Die
Offenbacher, die bei ihren letzten Spielen von Sieg zu Sieg eilten, und
nur im Süddeutſchen Fußballmeiſter, der Spielvereinigung Fürth, ihren
Bezwinger gefunden hatten, ſtießen unverhofft bei den Darmſtädtern
auf einen hartnäckigen Gegner. Die Einheimiſchen, die bei ihren letzten
Spielen ebenfalls anſprechende Ergebniſſe erzielt hatten, rechtfertigten
das in ſie geſetzte Vertrauen und hielten tapfer ſtand. Mehr als
ein=
mal ſtand im Spiel das Zünglein für Darmſtadt auf der Wage und
Offenbach hätte die Waffen ſtrecken müſſen. Mit 5:4 unterlagen die
Einheimiſchen, an deren knapper Niederlage der Hintermannſchaft, dem
Torhüter, die Schuld nicht abzuſprechen iſt. Trotz alledem verdient das
erzielte Reſultat hohe Anerkennung, das ſicher in ſüddeutſchen
Fuß=
hallerkreiſen mit Intereſſe gehört werden wird. — Mit dieſem Spiele
ſchloſſen die ſportlichen Veranſtaltungen der Jubiläumswoche, die nut
leider vom Wetter nicht allzu begünſtigt waren. Alles in allem aber
gebührt dem rührigen Sportverein Darmſtadt Dank für die gute Ver
anſtaltung, die er zu Wege gebracht hat.
* Die unter der Aegide des Heſſiſchen Automobil=Klubs
von dieſem in Verbindung mit dem W. A..=K., F.A. C. und A. D.A. C.
veranſtalteten Flach= und Bergrennen nahmen ihren Auftakt
mit einem ſtimmungsvollen
Begrüßungsabend
im Gartenſaal der Vereinigten Geſellſchaft. Im Verlaufe desſelben
hieß der Präſident des H.A.C., Herr Fabrikdirektor E. Zimmer,
die zahlreich erſchienenen Fahrer herzlich willkommen. Er konſtatierte
freudig das erſte hoffnungsvolle Zuſammengehen der vier Sportklubs
zu gemeinſamer Tätigkeit, das ein ſo glänzendes Nennreſultat gezeitigt
habe. Er betonte dann, daß dies Rennen das erſte Straßenrennen ſei,
das die heſſiſche Regierung genehmigte; er ermahnte die Konkurrenten
deshalb zu genauer Einhaltung der gegebenen Vorſchriften und wünſchte
allen Konkurrenten beſſeres Wetter und guten Sport. Den Abend
ver=
ſchönten muſikaliſche Vorträge einzelner Mitglieder des H.A.C. und
des Herrn Opernſängers Wolters. Zeitig brach man auf, um in der
Frühe des Sonntags rechtzeitig am Start zu ſein.
Das Rennen
ſelbſt brachte in erſter Linie die Fahrer, dann aber auch viele Tauſende
ſportbegeiſterter Zuſchauer mit dem erſten Dämmerſchein des troſtlos
genug anmutenden Sonntags auf die Beine. Wie die ganze lange Reihe
von Tagen regnete es auch am Sonntag früh, wenn auch erfreulich dünn,
ſo doch immerhin für die Rennteilnehmer gleichwie für die Zuſchauer
unangenehm empfindlich. Daß trotzdem die vielen Tauſende zu Fuß,
zu Nad und zu Wagen zur Rennſtrecke pilgerten, lange ehe der Beginn
der Rennen angeſetzt war, zeugte in gleicher Weiſe für die
Sportbegei=
ſterung des Publikums wie wohl auch für die beſondere Beliebtheit,
deren ſich die Veranſtaltungen des H.A. C. zu erfreuen haben. Die größte
und ſchönſte Ueberraſchung des Tages aber bereitete doch das Wetter.
Was niemand ahnen konnte und kaum der größte Optimiſt erwartet
hatte, trat ein: die Sonne brach durch und fetzte ſich ſo ſieghaft durch,
daß bald die Rennſtrecke getrocknet war und der ſchönſte und wärmſte
Sommertag anbrach. Im Laufe des frühen Nachmittags wurde die
Sonne beinahe zu warm. So waren denn wiederum alle
Vorbedingun=
gen für ein gutes Gelingen der Veranſtaltung gegeben.
Infolge einiger Zwiſchenfälle, die allein die Tücke des Schickſals
ver=
ſchuldete, wurde der Start um einiges verzögert, was jedoch ſchließlich
durchaus im Intereſſe der Fahrer lag, denn die Bahn wurde trocken. Es
war eine recht ſtattliche Anzahl von Rennfahrern, die ſich zur
Wagen=
abnahme einfand, und ſchließlich ſtellten ſich 180 Fahrer dem Starter.
Sämtliche bekannten deutſchen Automobil= und Motorradmarken waren
vertreten, beſonders erfreulich auch wieder die heimiſche Induſtrie. Die
„Fafag” ſowohl wie die „Hag” (Fahrzeugfabrik A. G. und Heſſiſche
Auto=
mobilgeſellſchaft) ſtellten mehrere Wagen ins Rennen und hielten ſich
gegen ſtärkſte Konkurrenz außerordentlich tapfer. Aufſehen erregte der
neue Fafag=Rennwagen, der nur 83 Zentimeter hoch war, der niedrigſte
Rennwagen, der auf deutſchen Rennbahnen läuft. Trotz der Ungunſt
der Wege und des Wetters hatten ſich auch die beiden Damen Frau.
W. Merck=Darmſtadt und Frau Folville=Frankfurt nicht abhalten
laſſen, die eingegangene Rennverpflichtung zu erfüllen. Von bekannten
Fahrern waren u. a. die Herren Glöckler, Ludwig, Irion, Roth, Kleyer,
Strauß, Köllner, Schultze Stepreth, Göbel (Gießen), Kleemann, Cleer,
Kroth, Rau und der neue „Stern” der Autorennbahn Stumpf=Lekiſch
vertreten.
Das Rennen beſtand in einem Flachrennen über 6 Kilometer und
einem einſchließenden Bergrennen über äußerſt ſchwierige Strecke, die
zuſammen bewertet wurden, eine ebenſo intereſſante wie wertvolle
Prü=
fung von Fahrer und Fahrzeug darſtellte und durch die landſchaftlich
wundervolle Gegend von Eberſtadt bis Bickenbach bzw. Seeheim bis Ober=
Beerbach führte. Die ganze Rennſtrecke war durch eine halbe
Hundert=
ſchaft der Schupo=Darmſtadt unter dem Kommando des Herrn
Oberſt=
leutnant Schroeder abgeſperrt und tadellos geſichert. 60 Mann des
V. C. D. hatten ſich wiederum als Winker und Ordner zur Verfügung
geſtellt. Den Sanitätsdienſt verſah die Sanitätskolonne Eberſtadt, die
jedoch nicht praktiſch in Tätigkeit zu treten brauchte, da die Rennen
ſämt=
lich ohne nennenswerten Unfall verliefen. Es wurde im allgemeinen
trotz der ſchwierigen Bergſtrecke ausgezeichnete Zeit gefahren. Die beſte
Zeit des Tages mit 5:21,02 fuhr Herr Cleer=Frankfurt auf 10 PS=
Stoewer, der befannte Krehbergmeiſter. Kie Firma Strauß, Ewald u.
Cleer in Frankfurt ſtellte auch ihren neuen 6 Zylinder=Stoewerwagen
während des ganzen Tages der Oberleitung und Preſſe zur Verfügung,
den Herr Dipl.=Ing. Auguſt Erker=München ſteuert, der als geborener
Darmſtädter dem H.A. C. beſonders naheſteht.
Die Reſultate:
Mokorräder (Privatfahrer):
bis 150 ccm: 1. Otto Meiſter, N. S.1.. 8:05,6.
bis 350 ccm: 1. Frhr. König=Fachfenfeld, A. J. S. 6:52,2
bis 500 ccm: 1. Hans Bach=Frankfurt, Sarolea 6:41,8.
2. Hans Schwarz=Weilhach, N.S.H.
3. Fritz Bohrer=Frankfurt, N. S.H.
4. Ernſt Katz. Wanderer.
beliebig: 1. Hans Gerth, N.S.1. 7:38,4.
2. Hch. Göhrig, Indian.
3. Gg. Stephan, Mars.
Motorräder (induſtrielles Intereſſe):
bis 150 cem: 1. Wilhelm Wagner, N. S.U. 9:05,2.
2. Phil. Schaffner, D.K.W.
3. Michel Link. D.K.W.
bis 350 ccm: 1. Herbert Stein, Dolf 8:24.
2. Rich. Krug, N. S. H.
3. E. Glöckler, N.S.H.
4. Karl Braun, Cockerell.
bis 500 cem: 1. Hans Hausler, Krieger=Grädig 6:39.
2. Karl Lindner, Krieger=Grädig.
3. Rich. Andreas, Megpla.
beliebig: 1. Otto Glöckler, N. S.J. 5:50.8.
2. Karl Weigelt, Mabeco.
3. Kalinowsky, Viktoria.
Wagen (Pribakfahrer):
bis 5 PS: 1. Guntrum, Hag 6:42.6.
2. Guſt. Schauermann, Hag.
3. Paul Ehrhardt, Hag.
bis 6 PS: 1. Auguſt Momberger, Mercedes 5:54.
2. Dr. K. Tiegler, Benz.
bis 8 PS; 1. Hans Ludwig, Opel 6:34.
2. Jefim Leybtſchnick. Dürkopp.
bis 10 PS: 1. Ewald Kroth, Adler 5:38.8.
2. Fr. Mayer, Aöler.
bis 14 PS: 1. Adolf Schwengers, Steiger 6:19.8.
über 14 PS: 1. Gunther, Auſtro=Daimler 7:20.2.
Wagen (Induſtriefahrer):
bis 4 PS: 1. Julius Buckler, Ego 9:40,6.
bis 5 PS: 1. Albert Wruck, N. S.U. 7:06.4.
2. Guſtav Stroh, Hag.
bis 6 PS: 1. Frau Folville, Fiat 6:49,8.
2. Jakob Brendel, Adler.
bis 8 PS: 1. Otto Kleher, Adler 6:05.4.
2. Ludwig Bertrand, Dürkopp.
3. Ludwig Strauß, Stöwer.
bis 10 PS: 1. Jrion, Adler 5:26.,6.
2. Alfred Köllner, Steiger.
3. Schulze=Steprath, Steiger.
4. Goebel=Gießen, Adler.
bis 14 P8: 1. W. Wölke, Steiger 6:02.2.
über 14 PS: 1. Fr. Kleemann, Adler 5:24.,6.
Rennwagen:
bis 4 PS: 1. H. Stumpf, Fafag 6:33.
bis, 5 PS: 1. Franz Rau, Hag 5:52.4.
2. Ernſt Gräb, Hag.
bis 6 PS: 1. Maurice Folville, Fiat 6:04.8.
bis 10 PS: 1. Willy Cleer, Stoewer, 5:21.4.
2. Alfred Köllner, Steiger.
Den Abſchluß des Tages bildete
die Preisverreilung,
die in feſtlichem Rahmen im großen Saal der Vereinigten Geſellſchaft
ſtattfand. Faſt ſämtliche Rennteilnehmer waren erſchienen; als
Ehren=
gäſte wohnten, der Feier S. K. H. der Großherzog, Prinz Schaumburg=
Lippe und Gemahlin, ferner die Vorſtände des A. D.A. C., des F. A. C.
und W.A.C. bei. Zu Beginn des Abends begrüßte der Präſident des
H.A. C., Herr Fabrikdirektor E. Zimmer, die Gäſte. Er wies
beſon=
ders darauf hin, daß es durch die Neubeſetzung leider nicht möglich war,
wie in früheren Jahren, die Rennen auf der ſchönen Opelbahn zum
Austrag zu bringen. Daß es der H.A.C. aber trotzdem für ſeine
mora=
liſche Pflicht gehalten habe, gerade hier an der Grenze des beſetzten
Gebietes ſeine gewohnte ſportliche Tätigkeit nicht einzuſtellen, die ja
ſo=
wohl für die Induſtrie wie für die in ihr tätige Arbeiterſchaft und
da=
mit für das geſamte deutſche Wirtſchaftsleben, von größter Bedeutung
iſt. Redner ſprach den Behörden und allen, die die Veranſtaltung
för=
dern halfen, für ihre tatkräftige Mitwirkung herzlichſten Dank aus,
und ſchloß mit einem begeiſtert aufgenommenen Hoch auf das deutſche
Vaterland.
Namens des Wiesbadener Automobilklubs brachte Herr Konful
Riedel herzliche Grüße mit der Verſicherung treuer Kameradſchaft,
wo immer es ſich um ſportliche Zuſammenarbeit handele.
Frau E. Aßmuß verſchönte das Feſt durch ausgezeichnete
Pro=
ben ihrer reifen und ſchönen Geſangskunſt.
Im Laufe des Abends wurde dann die Preisverteilung durch
Präſi=
dent Zimmer vorgenommen.
Die harmoniſch verlaufenen Rennen und deren ausgezeichnete
Organiſation bedeuten wiederum einen Markſtein in der Geſchichte des
Heſſiſchen Automobilklubs.
M. St.
Radfahren.
Fahrt des Weſtdeutſchen Induſtrieverbandes.
* 1. Etappe 135 Klm.: Am Start 133 Fahrer aus ganz
Deutſchland. 1. Stollenwerck=Aachen 4:52 St. 5. der gutfahrende
Gu=
gau=Frankfurt 5:06.
Fußball.
Freie Turngemeinde Darmſtadt I.—Mannheim=Walbhof I. 3: 1 (1:0)
Eckenverhältnis 6 :2 für Waldhof.
Nach Anpfiff lebhaftes Feldſpiel, doch einen Erfolg kann vorläufig
keine Mannſchaft erringen. In der zehnten Minute erzwingt Waldhof
ſeinen erſten Eckball, der jedoch nichts einbringt; dann ſitzt ein Eckball
für Darmſtadt. Waldhof darf ebenfalls 2 treten, dann wieder
Darm=
ſtadt, aber zu einem Tor reicht es nie, bis in der 35. Minute der
Darm=
ſtädter Mittelſtürmer auf eine Flanke von rechts das erſte Tor für ſeine
Farben ſchließt. Vor Schluß der erſten Halbzeit noch einmal eine heikle
Situation vor dem Darmſtädter Tor. Nach Wiederbeginn iſt zuerſt
Waldhof im Vorteil, was drei weitere Eckbälle dokumentieren.
Schließ=
lich ſind ſeine Bemühungen von Erfolg; es ſteht 1:1. Da rafft ſich
Darmſtadt wieder zuſammen. Der Mittelläufer gibt Vorlage auf
Vor=
lage an den Sturm und nun bekommt der Waldhofer Torhüter alle
Hände voll zu tun. Die Einſchnürung Waldhofs wird immer
drücken=
der, ihr Sturm kommt zu keinen einheitlichen Aktionen mehr, während
der der Darmſtädter zu immer größerer Form aufläuſt. Zwei weitere
Tore ſind die Ausbeute, wofür der Halblinke und der Mittelläufer
zeichneten. Für den ausgebliebenen Schiedsrichter fungierte ein
Sports=
genoſſe von „Fidelio”=Trgiſa, wofür ihm auch an dieſer Stelle nochmals
herzlichſt gedankt ſei.
Auswärtige Ergebniſſe:
München 1860—Sportverein Frankfurt 1: 1.
Bayern=München—1. F.K. Nürnberg 2: 3.
Turnverein Augsburg—1. F.K. Nürnberg 0: 4.
In Fürth beſiegte die Spielvereinigung Fürth die Städtemanufchaft
Leipzig 7: 1.
Eintracht=Frankfurt—Hanau 93 3: 1.
* Hanau, 24. Juni. (Eigene Meldung.) 30jähriges
Ju=
biläumsturnier des 1. F.C. 93 in Hanau. Anläßlich
ſei=
nes 30jährig. Jubiläums veranſtaltete der F. C. 93 ein Jubiläums=Pokaſ=
Turnier, an dem ſich folgende Gegner beteiligten: F. C. Hanau 93,
Ein=
tracht=Frankfurt, Würzburger Fullballverein, Gießen 1900. Durch Los
ſpielten am erſten Tag Hanau 93 gegen Gießen 6:0. Die
Jubiläums=
mannſchaft war ihrem Gegner in jeder Beziehung über und gewann.
verdient mit obigem Refultgt. Anſchließend betraten Eintracht=Frank=
furk und Würzburger Fußballverein das Feld. Trotz techniſcher
Vor=
teile der Eintracht hielt Würzburg als zäher Gegner das Spiel
voll=
ſtändig offen und zwang die Frankfurter, alles aus ſich herauszugeben.
Bei der Pauſe ſtand der Kampf 1:0. In der zweiten Hälfte rang jedoch
Eintracht ihren Gegner nieder und konnte das Ergebnis auf 4:0 ſtellen.
Am zweiten Tage ſpielten zunächſt Würzburg und Gießen um den 3.
bzw. 4. Platz. Würzburg gewann knapp, aber verdient, mit 2:0.
Hier=
auf ſpielte die Alte Herren=Mannſchaft vom Karlsruher Fußballverein
gegen die gleiche von 93. Beide Gegner lieferten ſich trotz ihres Alters
einen ſchönen, feſſelnden Kampf; ſchließlich Karlsruhe infolge des
beſſe=
ren Stehvermögens mit 5:3 Sieger bleibt. Lebhaft begrüßt betraten
ſodann die Sieger vom Vortage den Platz. Bereits nach einer
Viertel=
ſtunde ſah man, daß Eintracht=Frankfurt ihrem Gegner ſtark überlegen
war, jedoch die Hanauer wehrten ſich mit eiſerner Energie. Der Kampf,
der manchmal ſcharf, aber fair ausgetragen wurde, endete mit 3:1 für
Eintracht. — Endergebnis: 1. Sieger Eintracht=Frankfurt, 2.
Hanau 93, 3. Fußballverein Würzburg. 4. Sportklub Gießen 1900.
Union=Niederrad—Helvetig=Frankfurt 8: 2.
Helvetig=Frankfurt-Boruſſia=Frankfurt 6:2.
Sportklub Bürgel—V. f. R. Frankfurt 3: 0.
Handball.
Tv. Nieberrab I.—Tgde. Darmſtadt I. 2: 1 (2:0).
Tv. Seckbach-—Gauauswahlmannſchaft des Main=Rheingaues 0: 5.
* Das geſtern ſtattgefundene Spiel der Gauauswahlmannſchaft des
Main=Rheingaus gegen den Tv. Seckbach ſtand unter einem ungünſtigen
Stern. Durch Verkehrsbehinderung war es nicht möglich, die
vorge=
ſehene Mannſchaft aufzuſtellen. In letzter Stunde mußte noch Erſatz
eingeſtellt werden, worunter natürlich die Spielſtärke der Mannſchaft
fehr leiden mußte. Auch war es weniger gut, daß die dier Spieler, die
die Turngemeinde Darmſtadt ſtellte, vorher ſchon ein Spiel für ihren
Verein mit ausgetragen hatten. Das Spiel ſelbſt war ſehr intereſſant.
Be=
ſonders die Verteidigung der Gaumannſchaft mußte bei dem ſchnellen
und durchſchlagkräftigen Sturm der Gäſte ſchwere Arbeit leiſten. In
der erſten Halbzeit zeigte ſich fchon die Ueberlegenheit der Gäſte, die
aber nicht in Toren zum Ausdruck kam. Halbzeit 0:0. Wohl machte
ſich bei der Gaumannſchaft eine Beſſerung im Zuſammenſpiel
bemerk=
bar, aber immer überlegener ſpielten die Gäſte. In der letzten Zeik
machte ſich die Uebermüdung der Hintermannſchaft bemerkbar, die ja
auch bei einer ſolchen Tätigkeit, wie ſie von ihr im ganzen Spiel gezeigt
wurde, nicht ausbleiben konnte. In raſcher Folge fielen dadurch die
Tore der Gäſte. Mit 5:0 mußte ſich die Gaumannſchaft als Beſiegter
erklären.
Es war ein Spiel, das den Zuſchauern die Bedeutung des
Handball=
ſpieles zeigen konnte, und wir hoffen, daß es ſeinen werbenden Zweck
nicht verfehlt hat.
Frankfurter Regatta.
* Frankfurt gehört neben der deutſchen Meiſterſchaftsregatta
und Grünau unbedingt zu den Großkampftagen des deutſchen
Ruderſports, was allein ſchon daraus erhellt, daß, abgeſehen von
Berlin, faſt aus ganz Deutſchland die bedeutendſten Ruderplätze
mit ihren großen Kanonen vertreten waren. Die Frankfurter
Re=
gatta iſt denn auch unftreitig als die größte ruderſportliche
Ver=
anſtaltung dieſes Jahres anzuſprechen. Hamburg, Köln, Leipzig,
Deſſau, Stuttgart, Heilbronn, Karlsruhe, Trier, Mainz,
Lud=
wigshafen, Eſſen, Bonn, Koblenz, um nur die größeren zu
nen=
nen, hatten ihre beſten Mannſchaften entſandt.
. . . zigtauſende werden es wohl geweſen fein, die die
Renn=
ſtrecke von der Gerbermühle bis zur Deutſchherrnbrücke
umſäum=
ten. Aber bei einer Menſchenmaſſe von vielleicht 50 000 wird die
Schätzung unſicher (Millionen waren es ſicher nicht, wenn auch
ein „Frankforter” meinte: „Was is heut e Million?”).
An den Startnachen liegen in einer Linie die vier Boote,
dahinter das Motorboot mit Startern und Schiedsrichtern. Kurz
ertönt das Kommando: „Klarmachen! Alles klar. Meine Herren,
ſind Sie fertig? — Los!” Ein Ruck, drei kurze Schläge, dann in
die Stirnbretter geſtemmt, zehn Lange, das Boot ſpringt davon.
Schmal, geduckt, die Steuerleine feſt in den Händen, das
Sprach=
rohr vor den Mund gebunden, ſo hängt der Steuermann hinter
ſeiner Mannſchaft. Er iſt die Seele vom Boot, ſein Zuruf regelt
den Takt der ſchnellen Riemen. Eins, zwei, drei, vier . . . Weit
vor gleiten die geſchmeidigen Körper in Auslage, ein kurzes
Drehen der Riemen, hochauf richtet ſich der Körper, mit Kraft
fällt das Ruder durchs Waſſer und treibt das Boot vor. Auf
den Bruchteil einer Sekunde kommt es an, jahrelangen
Trai=
nings bedarf es, bis der Ruderer reif iſt fürs Rennboot, nur
wochenlanges Zuſammenfahren einer Mannſchaft bringt
Aus=
ſicht auf Sieg. Nur Enthaltſamkeit und Selbſtzucht ſchaffen den
guten Ruderer, nur wenn ein guter Geiſt in der Mannſchaft
herrſcht, kann es gelingen. Und darum wirft auch die prachtvolle
Entwicklung unſeres Ruderſportes einen Lichtblick in die Zeit,
die eines guten Geiſtes ſo dringend bedarf.
Die Rennen nahmen einen ſchönen Verlauf und brachten viele
ſpannende Momente. Beſonders ſcharfe Kämpfe waren das 2. Rennen
um den Preis von der Kaiſerlay, indem die Wormſer Rudergeſellſchaft
nur ganz knapp gegen Heilbronner „Schwaben” gewinnen kann. Im
Doppel=Zweier ohne Steuermann mußten Beiſac und Hoffmann vom
Mainzer Ruderverein etwa zweidrittel Länge hinter Schmidt und Bock
vom Rheinklub Alemannia=Karlsruhe zurückbleiben. Das erſte Rennen
um den Preis vom Roten Hahn beſtritt elegant Flinſch vom
Frank=
furter Ruderverein. Im 2. Rennen konnte Bilz vom Frankfurter
Ruderklub trotz mächtigem Endſpurt nicht mehr an Schnabel (
Offen=
bacher Ruderverein) herankommen.
Einige Verzögerungen, ließen ſich im Verlaufe des Rennens leider
nicht vermeiden, da verſchiedene auswärtige Vereine, vor allem die aus
dem beſetzten Gebiet, wegen der Transportſchwierigkeiten in geliehenen
Booten fahren mußten. Neben den ſtartenden Frankfurter Vereinen
hatten auch die des Süddeutſchen Ruderverbandes ihr Bootsmaterial
bereitwilligſt zur Verfügung geſtellt. Die Hauptrennen am Sonntag
zeitigten folgende Ergebniſſe:
Taunus=Preis (Doppel=Zweier ohne Steuermann): 1.
Rhein=
klub. Alemannia=Karlsruhe 7:25.4; 2. Mainzer Ruderverein 7:26.2.
Karlsruhe liegt zurück, holt in elegantem Endſpurt auf und ſchlägt in
hartem Kampf Mainz mit etwa zweidrittel Längen.
Kaiſer=Preis (Vierer. Wanderpreis. Geſtiftet im Jahre
1899 von Kaiſer Wilhelm II.): 1. Offenbacher Radergeſellſchaft Undine
7:05.2; 2. Kaſteley Rudergeſellſchaft 7:14.8; 3. Rudergeſellſchaft
Wi=
king=Leipzig 7:19.2; 4. Mannheimer Rnderverein Amicitia 7:21,
Un=
dine führt vor Amicitia, die Schmeißwaſſer bekommt. Undine, welche
meiſterhaft rudert, kann von den Gegnern nicht erreicht werden. Das
Rennen bedeutet den 100. Trainer=Sieg des Trainers der Offenbacher
Rudergeſellſchaft Höfle.
Preis von der Gerbermühle (Achilles Wild Gedächtnis=
Einer. Wanderpreis): 1. Jean Borck, Frankfurter Rudergeſellſchaft,
7:43.2; 2. T K. Schneider, Ruderiege des Eſſener Turn= und Fechtkl.
7:43.4; 3. E. Kruck, Frankfurter Ruderklub, 7:48; 4. E. Hofmann,
Undine=Offenbach (aufgegeben). Schönes geſchloſſenes Rennen der drei
erſten Boote. Schärfſter Endkampf.
Preis von Sachſenhauſen (Vierer): 1. Limburger
Ruder=
klub 7:14,2; 2. Würzburger Ruderklub Bahern 7:18.2: 3. Frankfurter
Ruderklub 7:28. Zweites Rennen: 1. Ruderverein Rüſſelsheim 7:06.6;
2. Rudergeſellſchaft Worms 7:11; 3. Limburger Ruderverein 7:15.8.
4. Sachſenhauſen (aufgegeben). Rüſſelsheim ſicher gewonnen. Drittes
Rennen: 1. Ruderſportverein Teutonia=Frankfurt 7:13.6; 2. Ruderklub
Griesheim 7:14.2.
Germania=Achter: 1. Der Hamburger Ruderklub; 2.
Ru=
derklub Germania=Köln. Germania führt von Anfang an eine Länge.
Der Grand=Prix in Paris.
FU Paris, 24. Juni. Der Grand=Prix in Paris wurde
heute in Anweſenheit des Präſidenten der Republik un) einer zum Teil
offiziellen Beſucherzahl aus England, darunter Lord Derby und
Mar=
ſhal Frenon und anderer ausgetragen. Sieger wurde der Außenſeiter
Filibett=de=Savch.
Darmftädter Tagblatt, Moutag, den 25. Jani 2343.
Rummer 123
Geite .
Landwirtſchaft, Gartenbau, Kleintierzucht und Siedlungsweſen
Der Obſigarten.
kl. Sommerpflege der Erdbeeren.
Erdbeeren=
pflanzungen müſſen nicht nur alle drei Jahre erneuert werden,
wenn ſie gute Ernten bringen ſollen, ſie brauchen auch
beſon=
dere Pflege im Sommer. Lückenhafte Erdbeerbeete ſind häufig
darauf zurückzuführen, daß in dieſem Punkte nicht genug getan
wurde. Wenn man die Erdbeerpflanzen länger lebensfähig
er=
halten will, gibt es von Frühjahr an folgendes zu beachten:
Die Erdbeerbeete dürfen nicht mehr gegraben werden, wenn
der Blütenanſatz begonnen hat. Die Pflanzen bilden ſchon ſehr
früh neue Wurzeln. Wird nun zu ſpät umgegraben, ſo werden
junge Wurzeln abgeſtochen, und die Pflanze muß einige Zeit
den Trieb einſtellen, um die Verletzungen zu überwinden. Das
iſt natürlich von Nachteil für die Früchte. Sie bleiben klein und
verkrüppelt, wenn der Trieb während der Blütenentwicklung
ſtockt. Wer recht viele und große Erdbeeren ernten will, der muß
die Erdbeerpflanzungen während der Blüte tüchtig durchgießen.
Es ſchadte nicht einmal, wenn man die Pflanzen mit dem
Schlauch beſpritzt. Auch wenn ſo ſtark geſpritzt wird, daß
Blät=
ter und Blütenſtengel hernach auf dem Boden liegen, ſo ſtehen
ſie doch am anderen Morgen wieder ſchön auf. Bald bilden die
Pflanzen viele und große Blätter, ſo daß dieſe den Boden
rings=
um bedecken; dann kann er nicht mehr austrocknen. Wer die
Erdbeeren nicht vermehren will, kann bald nach der Blüte die
Ausläufer entfernen. Man ſoll ſie aber nicht mit der Hand
ab=
reißen, ſondern mit einem ſcharfen Meſſer abſchneiden, damit
die Pflanzen nicht beſchädigt werden. Bei dem Entfernen der
Ranken jätet man zugleich auch das Unkraut.
Wer neue Erdbeerpflanzungen beabſichtigt oder junge
Erd=
beerpflanzen zum Verkauf heranziehen will, darf die Ausläufer
erſt nach der Ernte beſeitigen. Um nur von beſten Pflanzen
Material zur Vermehrung zu gewinnen, muß man kurz vor der
Ernte ſeine Pflanzungen durchgehen und diejenigen Stöcke, die
beſonders ſchöne und gute Früchte in großer Menge tragen, und
die man daher vermehren will, mit einem Stäbchen bezeichnen.
Findet man bei der Staudenauswahl Pflanzen, die kränklich ſind
oder die einen ſchlechten Behang haben, ſo muß man dieſe
ent=
fernen und die Lücken mit einem Ausläufer ausfüllen.
Die Vermehrung der Erdbeerpflanzen erfolgt entweder in
der Nähe der Mutterpflanzen, auf beſonderen Beeten oder in
einem Miſtbeetkaſten. Wenn man in der Nähe von
Mutter=
pflanzen vermehren will, dann drückt man die Roſette, die ſich
an den Ausläufern befindet, feſt in den Boden und ſtreut noch
etwas Erde darauf. Dann bilden ſich ſchon nach einigen Tagen
Wurzeln. Wenn ſich über der erſten Roſette, die man in den
Boden gedrückt hat, wieder Ranken bilden, ſo kneift man dieſe
ab. Soll auf Beete vermehrt werden, ſo werden, die jungen
Pflänzchen abgeſchnitten. Man nimmt aber nur ſolche, die ſchon
einige Wurzeln gebildet haben. Die Beete macht man 120
Me=
ter breit und überfährt ſie entweder mit Kompoſterde oder mit
verrottetem Stalldünger und gräbt 30 Zentimeter tief um. Die
jungen Pflänzchen ſetzt man auf 10 Zentimeter Entfernung, gießt
gut an und beſchattet ſo lange, bis die Pflanzen angewachſen
ſind. Wenn trockene Tage kommen, muß begoſſen werden. Das
Gießen erübrigt ſich aber, wenn man die Beete nach dem
Pi=
kieren mit Miſt belegt, denn der Dünger hält die Feuchtigkeit im
Boden und bezweckt auch, daß die verſetzten Pflänzchen beſſer
und mehr Wurzeln bilden. In Miſtbeetkäſten pikiert man nur
ſolche Pflanzen, die man zur Treiberei verwenden will.
Durch die Ernte wird natürlich der Boden, beſonders bei
naſſem Wetter, feſtgetreten, weil man mehrmals durch die Reihen
gehen muß. Auch kommt es häufig vor, daß die Erde von den
Pflanzen abgetreten wird, ſo daß nach der Ernte die oberen
Wurzeln an der Oberfläche liegen. Um dieſe nun wieder zu
bedecken, zieht man die Erde beim Lockern an die Pflanzen
heran. Zum Nachteil für die Pflanzen unterläßt man nach der
Ernte häufig das Lockern der Erdbeerpflanzen aus Mangel an
Zeit. Die Pflanzen bilden dann keine Blätter mehr, weil die
Wurzeln, nicht genug Nahrung aufnehmen können, und die
Folge davon iſt, daß lie Erdbeerernte im nächſten Jahre ſchlecht
ausfällt. Vor dem Lockern werden alle Ausläufer beſeitigt,
natürlich auch diejenigen, die zwiſchen den Pflanzen ſtehen.
Da die Erdberen nur bis drei Jahre nach der Pflanzung
reich tragen, muß man alljährlich für neue Pflanzungen ſorgen.
Die Erdbeerpflanzen wachſen beſſer an, und man erntet ein
Jahr früher, wenn man die Pflanzung im Herbſt ausführt ſtatt
im Frühjahr. Die günſtigſte Zeit iſt der Monat Auguſt,
ſpäte=
teſtens aber der September. Wenn die Erdbeeren um dieſe Zeit
gepflanzt und nach der Pflanzung gut gepflegt werden, dann
bringen ſie ſchon im nächſten Jahre eine reiche Ernte.
Selbſt=
verſtändlich muß das Land gut gedüngt und gut umgegraben
werden, denn die Erdbeeren verlangen viel Nahrung.
Landwirtſchaftlicher Ratgeber.
—n. Der Kampf gegen die Maulwurfsgrille.
Anfang Juni tritt in manchen Gegenden ein heimtückiſcher
Schädling auf, der durch ſeine Wühl= und Freßtätigkeit in
Garten und Feld die Pflanzen reihenweiſe zum Abſterben
bringt. Es iſt die Maulwurfsgrille, auch Werre, Erdkrebs,
Reut=
wurm, Erdwolf genannt, ein weitverbreitetes Inſekt, das ſich
von pflanzlicher und tieriſcher Koſt nährt, durch das Abfreſſen
der Wurzeln der Kulturpflanzen aber dem Gärtner viel mehr
Schaden zufügt, als es Nutzen durch das Vertilgen ſchädlicher
Inſekten und Kriechtiere ſtiſtet. Unerbittlicher Kampf gegen
die=
ſen Schädling iſt deshalb geboten.
Wo ſich die Maulwurfsgrille einmal eingeniſtet hat, iſt ſie
wegen ihrer verborgenen Lebensweiſe ſchwer wieder
auszu=
rotten. Meiſt tritt ſie an einer beſtimmten Stelle des Gartens
auf und vernichtet dort die jungen Anpflanzungen vollſtändig.
Salatpflanzungen ſind in ein bis zwei Tagen gänzlich zerſtört,
Kohlrabi haben weniger zu leiden, am eheſten ſind Zwiebeln
an ſolchen Stellen durchzubringen. Die Lücken immer wieder
auszufüllen, iſt nicht ratſam. Iſt etwa die Hälfte der Pflanzen
verwelkt, dann hebt man den unverwelkten Reſt ſorgſam heraus,
gießt das Beet tüchtig und gräbt es nach einer Stunde um.
Das Aufſuchen der Grillen überläßt man dann am beſten den
Hühnern, die man durch ein leichtes Gitter von dem übrigen
Garten abſperrt. Das Umgraben wird alle drei bis vier Wochen
wiederholt und auch im Frühjahr nochmals den Hühnern
Ge=
legenheit gegeben, die Erde tüchtig durchzuſuchen.
Vielfach ſtellt man den Maulwurfsgrillen Fallen, indem
man glattwandige Töpfe, Blumentöpfe mit einer oberen Weite
von 8 bis 12 Zentimetern und einer Tiefe von 7 bis 12
Zenti=
metern, ſo tief eingräbt, daß der Rand des Topfes etwas
nie=
driger liegt als die Sohle des von den Grillen gegrabenen
Erd=
ganges. Man drückt auch wohl ſchmale Latten in die Erde, die
ſtrahlenförmig auf den Topf ſtoßen. An ihnen laufen die Grillen
entlang und fallen dann in den eingegrabenen Topf, aus dem
ſie morgens und abends entfernt werden. Allein mit dieſem
Mittel rottet man das ſchädliche Inſekt jedoch nicht aus. Am
ſicherſten geht man, wenn man die Neſter aufſucht und ausgräbt,
wenn ſie noch die Eier oder die friſchgeſchlüpften Larven
ent=
halten. Man verfolgt die friſchaufgeworfenen Gänge mit dem
Finger. In der Nähe des Neſtes krümmt ſich der Gang und
führt in Kurven zu dem Neſt hinab, einem etwa fauſtgroßen
Erdballen. Das Aufſuchen geſchieht am beſten, wnachdem es
ge=
regnet oder am Morgen ſtark getaut hat. Eier und Brut müſſen
erſäuft werden, beſſer noch verbrennt man ſie. Im Herbſt kann
man beim umgraben aus Moos, Stroh und dergleichen eine
Fanggrube herſtellen, doch darf man danm nicht verſäumen, ſchon
im Januar oder Februar nachzuſehen, denn die Maulwurfsgrille
regt ſich ſchon beim erſten warmen Sonnenſtrahl.
s Kompoſt beſſer als Hünger. Unter Kompoſt
verſteht man den verrotteten, auf Haufen geſchichteten, mit Kalk
und Jauche verarbeiteten Abfall aus Haus und Garten. Er
be=
ſitzt, wenn er reich und nahrhaft zuſammengeſetzt iſt, die für
jeden Boden und zugleich für alle Gartenpflanzungen zur
Dün=
gung geeigneten Stoffe. Junge Keimlinge wachſen ſchneller und
üppiger, wenn ſie ihre zarten Würzelchen in nahrhafte
Komppſt=
erde entſenden können. Miſtbeetpflanzen, denen man beim
Aus=
ſetzen in das freie Gartenland eine aus verrotteten Beſtandteilen
zujammengeſetzte, nährſtoffreiche Erde in die Pflanzgrube
mit=
gibt, fühlen weniger den Uebergang in die neue rohere Erde;
ſie ſtocken daher nicht in ihrem Wachstum und liefern ſchöne und
frühzeitig reifende Erträge.
Bei Neupflanzung von Dauerkulturen, wie Rhabarber,
Spargel, Erdbeeren, wird das Land gewöhnlich tief
umgear=
beitet. Hier iſt es nicht zu empfehlen, große Mengen von
unver=
rottetem Dünger in die Tiefe zu bringen, da dieſer, von der Luft
abgeſchloſſen, leicht vertorft und darum den Gewächſen nicht in
vollem Maße zugute kommt. In dieſem Falle iſt Kompoſt das
beſte Düngungsmittel; er enthält fertige Nahrung, verfilzt nicht
und iſt darum auch wirkſam, wenn er tief untergebracht wird.
Bei Gemüſen, die Düngung mit friſchem Stallmiſt nicht
ver=
tragen, z. B. bei. Gurken, Bohnen, Erbſen, iſt Kompoſterde
eine unerläßliche Zutat zu einem guten Gedeihen.
Handelt es ſich darum, rohen, unkultivierten Boden ſchnell
in gutes Gartenland umzuwandeln, ſo iſt ein Ueberziehen des
Landes mit Kompoſterde ein unvergleichliches Mittel, dieſen
Zweck ſchnell zu erreichen. Im Spätfrühjahr und Sommer ſollte
bei trockener Witterung ausſchließlich Kompoſtdünger verwandt
werden, da Stallmiſt ſich ohne Feuchtigkeit nicht zerſetzen kann
und nur eine trockene Schicht bilden würde, ohne ſich mit dem
Erdreich gründlich zu verbinden, und den Pflanzen faſt
vollſtän=
dig verloren ginge. Schweren bindigen Tonboden, der den
wenigſten Gemüſepflanzen zuſagt, kann man mit Kompoſt, dem
man Steinkohlen= und Braunkohlenaſche zuſetzt, weſentlich
ver=
beſſern.
Der Kompoſt iſt ferner ein unerſetzliches Düngemittel für
den Ziergarten. Auch alle empfindlichen Schmuckgewächſe ſind
für Gaben von Korapoſt ſehr dankbar, während ſie nicht alle
Stallmiſtdüngung vertragen. Wenn man ſeinen Zierraſen
all=
jährlich mit gut verrotteten Abfällen aus Haus und Garten
überzieht, ſo erzielt man eine dichte, üppige Grasfläche.
fr. Die Verfütterung von neuem Heu ſoll immer
ſo vorſichtig wie möglich geſchehen, damit nicht beim Vieh
ge=
ſundheitlich ſtörende Wirkungen in die Erſcheinung gerufen
wer=
den. In der Praris hat es ſich immer und immer wieder
ge=
zeigt, daß neues, unvergorenes Heu den damit gefütterten
Tie=
ren, namentlich den Pferden, nicht bekömmlich iſt und in den
miſten Fällen ſchädlich wirkt.
Neues Heu hat bekanntlich einen ziemlich ſtarken, im
übri=
gen recht angenehmen Geruch, zumal dann, wenn es unberegnet
eingebracht werdem konnte. Der Geruch rührt von beſonderen
Riechſtoffen her, welche in verſchiedenen Pflanzen enthalten
ſind. Mitunter iſt der Geruch ſo ſtark, daß er nicht nur bei
Menſchen, ſondern auch bei Pferden und anderen Tieren, wenn
dieſe in der Nähe von Heuſcheunen oder Heuböden in enge
Räume eingeſtellt ſind, eine gewiſſe Benommenheit des Kopfes
hervorruft. Beſonders für Pferde, die zum Dummkoller neigen,
iſt der friſche Heugeruch mehr oder minder gefährlich, und bei
ihnen wird nicht ſelten eine Verſchlimmerung des Uebels
her=
beigeführt. Unvergorenes und ungeſchwitztes Heu wirkt alſo
ſowohl bei Pferden als auch bei Rindern unter Umſtänden
überhaupt ſehr nachteilig. In leichten Fällen geraten die Tiere
auffallend raſch und mitunter auch recht heftig in Schweiß,
ent=
leeren weſentlich öfter als ſonſt tiefer gefärbten Harn, aus dem
ſich ein flockiger Bodenſatz abſcheidet. Außerdem ſetzen die Tiere
weichen ſchleimigen Kot ab und ſind in ihrem Temperament ſehr
matt und gedrückt. Macht man bei der Fütterung den Fehler,
daß man unvermittelt viel neues Heu gibt, ſo treten in der
Regel ernſtliche Verdauungsſtörungen auf, die ſich als ein mit
Fieber raſch verlaufender Magenkatarrh mit mangelhafter
Freß=
luſt, vermehrtem Durſt und geröteter, mit ſchleimigem Schaum
belegter Maulſchleimhaut äußern. Auch Koliken. Blähungen,
Schwellungen der Gliedmaßen und der Bauchwandungen treten
in die Erſcheinung.
Neues Heu freſſen die Tiere mit Vorliebe und nehmen auch
viel davon auf, wenn ihnen Gelegenheit hierzu gegeben iſt. Ob
ſeine ſchädlichen Wirkungen von der aufgenommenen Menge
oder von der Gier und Haſt herrühren, mit welcher die Tiere
es aufnehmen, läßt ſich nicht ohne weiteres ſaogen. Ueberaus
gefährlich iſt das neue Heu, wenn es einige Tage im Banſen
gelegen und eine zähe, halbwarme Beſchaffenheit angenommen
hat. Iſt man genötigt, neues Heu zu reichen, ſo gebe man nur
ſehr wenig davon; ſo lange altes Heu zur Verfügung ſteht,
miſche man dieſes mit dem neuen. Iſt altes Heu nicht mehr
vorhanden; ſo reiche man das neue Heu nur mit Stroh gehäckſelt
und in kleinen Mengen.
Bis neues Heu vollkommen durchgeſchwitzt iſt, vergehen meiſt
6 bis 8 Wochen, und man wird gut tun, die Einteilung des
alten Futters frühzeitig genug ſo zu treffen, daß man mit ihm
hinüber reicht, bis das neue Futter ohne Gefahr gegeben
wer=
den kann, wenigſtens aber ſo, daß man altes Futter zum
Ver=
miſchen mit neuem hinreichend zur Hand hat.
Ein einfaches Mittel gegen die Kohlfliege.
In Holland trat ſeit einigen Jahren ſtreckenweiſe die Kohlfliege
ſo ſtark auf, daß es überhaupt nicht mehr möglich war, Kohl
an=
zubauen, da der Schädling die Kulturen vollſtändig vernichtete.
Die Not hat hier zur Entdechung eines einfachen
Bekämpfungs=
mittels geführt. Es wird eine kreisrunde oder viereckige
Aſphalt=
pappenſcheibe hergeſtellt. Dieſe Scheibe wird bis zur Mitte mit
einem Einſchnitt berſehen und gleich um den jung angepflanzten
Kohl gelegt, um ihn vor der Eiablage der Kohlfliege zu ſchützen.
Man muß darauf achten, daß die Scheibe dicht am Boden
auf=
liegt, und ſie darf nicht mit Erde bedeckt werden. Dieſe „
Kohl=
kragen” kann man ſich leicht ſelbſt herſtellen und ſich auf dieſe
einfache Weiſe vor der in vielen Gegenden vorkommenden
Kohl=
fliege leicht ſchützen.
Der junge Tod.
Roman von Fritz Demuth.
(Der Abdruck erfolgt mit Genehmigung des Herrn Verfaſſers und
der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung Nachf. in Stuttgart u. Berlin.)
(Nachdruck verboten.)
Die Roſen blühten in Rom, gelbe, rote und weiße Noſen,
zarte und üppige. Ueberall waren ſie, an den Hecken, von denen
Gärten und Straße getrennt werden, an den Wänden der
Ruinen, auf den Plätzen. Im Garten unſeres Hotels, der
an=
ſteigend empor zum Pincio ſtrebte, blühten ſie, draußen in Villa
dEſte bei Tivoli rankten ſie ſich um die Stämme der
tauſend=
jährigen Zypreſſen, ſchlangen ſie Kränze um die verwitterten
rechteckigen Baſſius mit dem grünſchillernden unbewegten
Waſſer und den ſteil aufſteigenden Springquellen. In der Villg
des Hadrian war all das alte verfallene Mauerwerk in Traum
verſenkt von tauſend und aber taufend blühenden Roſen.
Wir beſuchten die Sammlung Rondini. „Hier oben im
zueiten Stock wohnte Deine Mutter, als ich ſie kennen lernte;
die alte Prineipeſſa hatte ihrem Vater die Räume überlaſſen,
ſie hatte Deine Mutter ſehr gern.”
Da ſtanden wir in dem Hauſe, das für mein Leben ſo
wich=
tig geweſen war, ich hatte den Beſuch immer wieder
hinausge=
ſchoben, hatte die Straße gemieden und mit Marie Louiſe nicht
von Nina geſprochen während dieſer Wochen.
Im erſten Saale der Sammlung war wenig Seheuswertes.
Bährend wir umhergingen, ſagte ich: „Wir hätten die
Prinei=
peſſa beſuchen ſollen. Sie war auch zu mir gut. Als junge Frau
war ſie mit ihrem Mann eine Zeitlang in Berlin, da hat mein
Vater ihr wohl als Arzt einen Dienſt erwieſen. Uebrigens iſt
ſie ein Original, einflußreich, geſcheit, ſehr heftig und
herrſch=
ſüichtig.”
Im nächſten Saale hing das Porträt des Papſtes aus der
Familie Nondini, um deſſentwillen die Sammlung vorzugsweiſe
beſucht wurde, das zeigte ich jetzt Marie Louiſe.
Ein Diener trat auf uns zu, eine jener hohen ſtolzen
Ge=
ſtalten älterer Männer, wie man ſie unter dem römiſchen Volke
häufig ſieht. Er war glattraſiert, bunt gekleidet, mit ſandgelbem
Nock, roter Weſte mit Silberborten, ſchwarzſeidenen Escarpins,
weißen Strümpfen — ich mußte lächeln: ganz der grandioſe
Geſchmack der Fürſtin. In der weißbehandſchuhten Rechten hielt
er einen Zylinderhut, der mit Silbertreſſen beſetzt war.
Er verbeugte ſich höflich, gemeſſen, er bitte um Verzeihung,
ſeine Herrin habe uns beim Betreten des Hauſes geſehen, ſie
laſſe fragen, ob die junge Dame — er ſprach franzöſiſch, wie ſich
das einem Fremden gegenüber gebührt — une flle 7
Made-
moiselle Salemska ſei.
Das war echt die alte Principeſſa: eine Tochter von
Fräu=
lein Salewska, willkürlich und doch warmherzig. Mich ignorierte
ſie, obwohl ſie doch genau wußte, daß Ning meine Frau geweſen.
Ich verübelte es ihr nicht, aber ich erſah daraus auch ihre
ge=
reizte Stimmung gegen mich, ſie war böſe, daß ich ſie nicht
be=
ſucht hatte, vielleicht auch wegen der Scheidung.
Die Frage des Dieners bejahte ich. Der Diener erklärte
be=
ſcheiden, aber unentrinnbar beſtimmt, er habe Befehl, uns zur
Prineipeſſa zu führen.
Ich wußte, dagegen war ſchwer etwas zu machen, und wenn
ich auch eine Unterhaltung vorausſah, die mich bedenklich ſtimmte,
ſo ging es doch, abgeſehen von anderem, ſchlechterdings nicht an,
hier geradenwegs zu fliehen; wir folgten dem Diener, der führte
uns die Marmortreppe hinauf durch mehrere Zimmer, die
ſchloßartig mit wenig Möbeln in barockem Stil eingerichtet und
mit alten Seidentapeten, Gobelins und Bildern — hier
über=
nogen die Familienvorträts — geſchmückt waren. Ich ſagte
Marie Louiſe, die Prinzipeſſa ſei unberechenbar, man könne
nicht wiſſen, zu welchen Ausbrüchen ſie ſich hinreißen laſſe, man
müſſe ſich auf etwas gefaßt machen.
In dem großen Salon, der mit Sofas und Seſſeln, Teppichen,
Porzellanſchränken ziemlich bunt angefüllt war, empfing uns die
Prineipeſſa. Sie hielt ſich genau ſo erſtaunlich aufrecht wie vor
zwanzig Jahren, trotz ihrer nun wohl bald achtzig Jahre. Dieſe
ganz gerade Haltung, ohne daß der Körper irgend eine Stütze
ſuchte, war wirklich königlich und ließ die mittelgroße Frau
bei=
nahe ſchön erſcheinen. Bewegungslos ſtand ſie mitten in dem
Zimmer, den Kopf mit dem ſtarken welligen weißen Haar, das
wie eine Krone in breiter Flechte um das Hinterhaupt gelegt war,
gerade auf uns gerichtet, die ſchwarzen großen Augen, die das
hagere, edel aber ſcharf geſchnittene Geſicht beherrſchten, prüfend
uns zugewandt.
Der Diener meldete uns und entfernte ſich.
„Alſo doch,” ſagte die Principeſſa in italieniſcher Sprache.
Sie war durchaus ungnädig und ablehnend, ſchickte ſich weder
an, uns die Hand zu geben, noch uns einen Stuhl anzubieten,
ſie ſtand ſtarr aufgerichtet und betrachtete uns.
Und mit einem Male brach ſie los. „Ah, da biſt Du ja auch,
mein Lieber.‟ Es war eine ihrer Gewohnheiten, die Leute zu
duzen wenn ſie beſondere Beachtung oder beſondere Mißachtung
zum Ausdruck bringen wollte. „Da biſt Du ja. Nun, ich habe
mich oft gewundert, daß Du ſo anders biſt wie Dein Vater. O.
ich habe Nina gewarnt.‟ Das traf nicht zu. „Aber ſie wollte nicht
hören. Was haſt Du mit ihr angefangen? Nun, ſo ſage es doch!
Aber laß nur, was wirſt Du ſchon ſagen können, und es geht ihr
ja tauſendfach beſſer ohne Dich, hunderttauſendfach. Und nun
biſt Du in Rom, und ich muß Dir nachſtellen laſſen, um Deiner
habhaft zu werden.
Bis jetzt hatte die Principeſſa feſtgewurzelt am gleichen Platze
geſtanden, etwa drei Meter entfernt von Marie Louiſe und mir.
Marie Louiſe war völlig eingeſchüchtert, ich meinerſeits war auf
die Einladung, ähnlich wie ſie nun erfolgte, vorbereitet geweſen
und deshalb nicht überraſcht.
Bm m mmmmngengnnn nmnm mmmmmm
ſie nahebei, ich ſah, Marie Louiſe war zumute, wie wenn ſie
einem höchſt bedenklichen Raubtiere gegenüberſtände.
Die Principeſſa faßte Marie Louiſe am Handgelenk, ſie packte
kräftig zu. „Poverina”, ſagte ſie, narmes Ding.”
Das war Marie Louiſe zuviel, ſie ſagte tapfer und beſtimmt:
„Ich habe es ſehr gut.”
Ohne Marie Louiſe loszulaſſen, ſah die Greiſin ſie an,
ſchüt=
telte den Kopf und fagte: „Armes Ding, verharrte einen
Augen=
blick in Betrachtung, dann wandte ſie ſich ab und machte ſich
offenbar jetzt erſt Marie Louiſes Worte klar. „So jung,” ſagte
ſie, „ſo hübſch, Nina ſo ähnlich und doch offenbar verdorben.
Nun ſetzt Euch.”
Sie nahm auf einem Sofa Platz und wies uns zwei Seſſel
an, die rechtwinklig dazu ſtanden, dann fragte ſie uns ruhig und
vernünftig, wie lange wir in Rom ſeien, wie lange wir zu
blei=
ben gedächten.
Ein Diener ſervierte Orangenſaft, Gefrorenes und kleine
Kuchen. Als er das Zimmer verließ, befahl ihm die Prineipeſſa,
Francesco zu rufen.
„Ich habe Ihre Schriften geleſen,” ſagte die Prineipeſſa zu
mir, „Sie hätten ſie mir ſenden können. Ich verſtehe nichts
da=
von und fand ſie, nun ſo, wie ihr Deutſchen eben ſeid. Es wird
viel mit Ihnen hergemacht, nicht wahr?”
Francesco, der Hausmeiſter, trat ein.
„Wo wohnt Ihr?” fragte die Prineipeſſa, und als ich
geant=
wortet hatte, befahl ſie ihm, unſer Gepäck zu holen, und zu uns
gewandt, ſagte ſie: „Ihr werdet jetzt bei mir wohnen.”
Francesco verließ das Zimmer. Marie Louiſe ſah mich
ent=
ſetzt und hilflos an. „Aber das geht doch nicht,” ſagte ſie.
Die Principeſſa fiel ihr ins Wort. „Warum ſoll das nicht
gehen, Raum iſt genug da, und Ihr, meine ich, könnt ſehr
dank=
bar ſein, daß ich Euch einlade.
genommen, das ſich hier in dieſen Näumen abgeſbielt hatte, ich
dachte ſo ſtark daran, daß das andere in den Hintergrund trat,
und ich konnte nicht recht die Energie aufbringen, mich mit der
Gegenwart zu beſchäftigen.
„Nein, das geht nicht,” ſagte auch ich.
Die Principeſſa ſah uns an, heftig und dann ernſt, faſt
trau=
rig. Ihr könntet einer alten Frau wirklich einen Wunſch
erfül=
len,” ſagte ſie, und ihre großen ſchwarzen Augen ſchauten wie die
eines Kindes, das eine ſtarke Hoffnung hegt und fürchtet, man
werde ihm die Erfüllung verſagen.
Wir ſchwiegen.
Die Principeſſa begann von neuem: „Was für ein Paar war
das, dieſe beiden jungen Menſchen voll Leben, voll Leidenſchaft=
und Hoffnung.”
(Fortſetzung folgt.)