Darmstädter Tagblatt 1910


14. Oktober 1910

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173. Jahrgang
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Das Amtsverkündigungsblatt des Großh. Kreisamts Darmſtadt wird Dienstags, Donnerstags und Samstags nach Bedarf beigefügt.

N 241.

Freitag, den 14. Oktober.

1910.

Die heutige Nummer hat 18 Seiten.

Der Eiſenbahnerſtreik in Frankreich.
** Bei der Einſtellung des Betriebes auf der Nord=
bahn
iſt es nicht geblieben, vielmehr wurde auf ſämtlichen
franzöſiſchen Bahnen der Generalſtreik proklamiert, der als=
bald
in Kraft geſetzt worden iſt, ſo daß der geſamte Ver=
kehr
in der Republik eine gewaltige Stockung erfährt, wo=
bei
natürlich auch das Ausland erheblich in Mitleidenſchaft
gezogen wird. Zwar hat die Pariſer Regierung die
Militär=Eiſenbahnerreſerven einbeordert, aber dieſe werden
kaum genügen, den Betrieb auch nur notdürftig aufrecht=
zuerhalten
, und dann fragt es ſich noch ſehr, ob viele der
Einberufung folgen werden. Jedenfalls wird im franzö=
ſiſchen
Verkehrsweſen der nächſten Tage eine heilloſe Ver=
wirrung
herrſchen, die ſich auf das geſamte Geſchäftsleben
übertragen und auch von dem einzelnen Individuum
ſchwer empfunden werden wird Daß die Beamten der
Staatsbahnen, welch letztere freilich nur ein Viertel des
ganzen Eiſenbahnnetzes ausmachen, ſich dem Streik ange=
ſchloſſen
haben, wirft ein eigentümliches Licht auf die fran=
zöſiſchen
Verhältniſſe, doch lehrte ja ſchon der Ausſtand der
Pariſer Poſtbeamten im Frühjahr 1909, wie es jenſeits
der Vogeſen mit der Beamtendiſziplin beſtellt iſt.
Die franzöſiſchen Eiſenbahner haben eine ſchwere Ver=
antwortung
auf ſich genommen, indem ſie um perſönlicher
Vorteile halber den Verkehr ihres Landes lahm legen.
Wir mißgönnen ihnen ſicherlich nicht jede Verbeſſerung
ihrer pekuniären und dienſtlichen Verhältniſſe, aber dieſen
Schritt, durch den ſie dem Lande einen unberechenbaren
Schaden zufügen, kann niemand billigen. Auch die Fran=
zoſen
verurteilen dieſen Streik und die feiernden Eiſen=
bahner
finden bei ihren Landsleuten keinerlei Sympathie,
wie ja die gleichen Vorgänge in Italien, Oeſterreich=
Ungarn uſw. im Publikum meiſt Entrüſtung hervorriefen,
denn jeder Einzelne fühlt ſich durch das Stillſtehen der
Räder mehr oder minder beläſtigt und in ſeinen freien
Entſchließungen behindert. Deshalb waren die Verkehrs=
beamtenſtreiks
auch ſelten von längerer Dauer, und es iſt
zu erwarten, daß auch die franzöſiſchen Eiſenbahner an der
fehlenden Sympathie ihrer Landsleute bald ſcheitern wer=
den
, zumal es ſehr fraglich ſein ſoll, ob unter den Strei=
kenden
die Einigkeit anhält und ſtärkere Belaſtungsproben
verträgt.
Es iſt immerhin intereſſant, daß die Genoſſen
Briand und Millerand militäriſche Hilfe gegen die Strei=
kenden
in Anſprüch nehmen. Für die Regierung war das
kein leichter Schritt, wenn er auch durch die Rückſicht auf
die Anfrechterhaltung des Verkehrs geboten war. Welche
Bedeutung man in leitenden Kreiſen der Republik den
Vorgängen beimißt, ergibt ſich daraus, daß Präſident
Falliéres vorzeitig nach Paris zurückkehrt. Es iſt übrigens
gar nicht unmöglich, daß der Streik von den Feinden der
Regierung gegen dieſe ausgenutzt wird; das Kabinett
Briand wäre nicht das erſte franzöſiſche Miniſterium, das
über ſozialen Kämpfen ins Stolpern gerät.

Briands Rede.
* Die Rede des franzöſiſchen Premiers bedeutet eine
Verteidigging gegen die Abſage der Sozialiſtiſch=Radikalen,
die ihm eine Schwenkung nach rechts vorwarfen. Seinen
Standpunkt dieſer Abſage gegenüber kennzeichnete der
Miniſterpräſident gleich einleitend mit den Worten dahin:
Die mich kennen, wiſſen, daß ich nicht hierher gekommen
bin, um Ihnen das klägliche Schauſpiel eines Mannes
zu bieten, der ſich in der Verleugnung ſeiner ſelbſt und in
dem Verzicht auf ſich erniedrigt. Dementſprechend hielt
der Miniſterpräſident ſein Ideal der republikani=
iſchen
Beruhigung und Verſöhnung aufrecht,
legte von neuem deren hiſtoriſche Notwendigkeit mit dem
Hinweis auf die abgetanen Kämpfe des letzten Jahrzehnts
dar, welche die Gegner zur Ohnmacht verurteilt hätten,
und beſtimmte abermals die Bedeutung dieſes Ideals
in dem Zuſammenwirken aller gutgeſinnten und überzeug=
ten
Republikaner für ein Regime der Gerechtigkeit, Frei=
heit
und Ordnung für alle und jeden. Nach dieſer Be=
kräftigung
, daß er an der grundſätzlichen Richtung ſeines
politiſchen Programms feſthalten werde, wandte ſich der
Miniſterpräſident gegen die Auslegung der Radikalen, als
ob dieſes Programm eine Abdankung vor den Gegnern
der Republik und vor den Klerikalen bedeute und den
Sinn haben ſolle, das Kabinett wolle auch mit Hilfe der

Klerikalen regieren Gegen dieſe Auslegung betonte der
Miniſterpräſident ganz beſonders ſeinen Willen, das Werk
der Verwirklichung der Republik aufrecht zu halten, indem
er erklärte, die Republik werde auf dieſem Gebiet uner=
ſchütterlich
bleiben. Sie werde nicht geſtatten, daß man,
nachdem dies Werk vollendet ſei, Hand daran lege, und
ſie werde keine Gelegenheit verſäumen, es zu verteidigen
und zu befeſtigen, wenn es bedroht ſei.
Dieſer zweite Teil der Rede Briands iſt eine Vertei=
digungsrede
, die in ihrem Ziel ſich an den rechten Flügel
der Radikalen wendet, der mit der Kriegserklärung der
radikalen Mehrheit auf dem Kongreß Briand vor die Lage
geſtellt hat, entweder mit dieſer Mehrheit in der demnächſt
wieder beginnenden parlamentariſchen Tagung gegen das
Kabinett oder mit dem Kabinett gegen ſie Stellung zu neh=
men
, d. h. die Spaltung in der Partei zu vollziehen. Es
iſt kaum anzunehmen, daß es der Rede Briands gelingen
wird, die Schilderhebung des radikalen Parteikongreſſes
wieder rückgängig zu machen und die Radikalen wieder zu
verſöhnen, die ihm den Krieg erklärten. Der Kongreß=
beſchluß
der Radikalen und die Rede Briands ſind das
Vorſpiel eines parlamentariſchen Kamp=
fes
, der nunmehr zwiſchen der radikalen Partei und dem
Kabinett Briand anhebt und bei dem auf der einen Seite
das Schickſal der radikalen Partei und ihre bisherige Vor=
machtſtellung
und Einheit, auf der andern Seite die Bil=
dung
der im geheimen von Briand ſchon lange erſtrebten
republikaniſchen Mittelpartei als einer neuen Grundlage
der republikaniſchen Zukunft in Frage ſteht.

Die neue Regierung in Portngal.
* Der neue portugieſiſche Finanzminiſter Relvas
hat ſich in einem Interview über die Anſchauungen
und Abſichten der neuen Regierung dahin
ausgeſprochen, daß die Politik Portugals ſich nach anti=
klerikalen
Grundſätzen richten müſſe, da dies das
einzige Mittel ſei, den Fortbeſtand der Republik dauernd
zu ſichern. Die beiden Hauptreformwerke der inneren Poli=
tik
würden die Einführung des obligatoriſchen Laienunter=
richtes
, ſowie die Trennung von Kirche und
Staat ſein Freie Schulen dürften weiterbeſtehen, aber
ihre Lehrer müßten vom Staate beſchäftigt werden. Die
nationale Schuld werde anerkannt werden, ebenſo
alle Verträge und Verbindlichkeiten. Die
Regierung werde ſich planmäßig bemühen, das budgetäre
Defizit durch eine Steuerreviſion zu mindern und
ſchließlich ganz zum Verſchwinden zu bringen Sie werde
ferner den Kolonien, deren Erhaltung für Portugal von
höchſtem Intereſſe ſei und deren Entwicklung ſie deshalb
möglichſt fördern werde, mit Ausnahme von Angola die
finanzielle Autonomie gewähren. Armee und Ma=
rine
würden verſtärkt werden, damit Portugal nötigen=
falls
ein Heer von hunderttauſend Mann aufbringen
könne. Das Bündnis mit England werde auf=
rechterhalten
und insbeſondere die Freundſchaft mit den
lateiniſchen Ländern gepflegt werden, wobei jedoch deren
verſchiedene Einrichtungen geachtet und jede Propaganda
vermieden werden ſolle.
Deutſches Reich.
Eine Klärung im Werftarbeiter=
ſtreik
? Der aufs neue ausgebrochene Streik auf den
deutſchen Seewerften ſcheint einer unvermuteten Löſung
nahe zu ſein. Bekanntlich dreht ſich der Kampf darum,
daß die Arbeiter behaupten, in den Einigungsbeſtimmun=
gen
ſei ihnen ein Anſpruch auf die vor dem Streik her=
rührenden
Akkordüberſchüſſe zugebilligt worden, während
f die Werftbeſitzer dies beſtreiten. Am Mittwoch trat in
Hamburg nochmals die Einigungskommiſſion zuſammen
und dabei ſtellte es ſich heraus, daß die Arbeiter tatſächlich
im Rechte ſind. Eigentümlicherweiſe wurde nämlich den
Werftbeſitzern das Verhandlungsprotokoll, auf das ſich die
Arbeiter ſtützen, von der Einigungskommiſſion, wohl durch
ein Verſehen, nicht zugeſtellt. Der Grund des Streiks ſtellt
ſich alſo als ein Mißverſtändnis heraus.
Die Hauptſtelle deutſcher Arbeit=
geberverbände
hält am 28. ds. Mts. eine Vorſtands=
und Ausſchußſitzung ab. Neben der Erledigung der regel=
mäßigen
geſchäftlichen Angelegenheiten ſoll ſich die Erörte=
rung
insbeſondere auf die umfangreichen Arbeiterbewe=
gungen
des laufenden Jahres und die daraus zu ziehen=
den
Folgerungen erſtrecken.
Die niederländiſche Regierung und
die Schiffahrtsabgaben. Die Nachricht, daß der=

holländiſche Miniſter des Aeußern van Swinderen ein
Nachgeben Hollands in der Frage der Schiffahrtsabgaben
als eine völlige Unmöglichkeit bezeichnet habe, iſt bereits
als unwahrſcheinlich bezeichnet worden. Jetzt meldet die
Rheiniſch=Weſtfäliſche Zeitung aus dem Haag, daß es ſich
dabei nur um den Uebereifer eines Berichterſtatters han=
deln
könne. Es ſei dem Miniſter gar nicht eingefallen,
ſich irgendwie über die Schiffahrtsabgaben zu äußern.
Die mecklenburgiſche Verfaſſungs=
frage
. Zum vierten Male wird die mecklenburgiſche
Regierung dem Landtag zu Mitte November die Vorlage
über die Verfaſſungsänderung unterbreiten. Ueber die
Schritte, die die Regierung für den Fall zu tun gedenkt,
daß der Landtag auch diesmal die Vorlage zum Scheitern
bringt, wird noch tiefes Geheimnis bewahrt.
Das Hamburgiſche Staatsbudget für
f 1911 (Voranſchlag) weiſt einen Fehlbetrag von 16 Millio=
nen
Mark auf.
Ein bemerkenswertes Bekenntnis
über die Verbeſſerung der wirtſchaftlichen
Lage der Arbeiter findet ſich in dem offiziellen
Organ des Zentralverbandes der Maurer, an deſſen Spitze
der Abgeordnete Bömelburg, der ſozialdemokratiſche Ab=
geordnete
von Dortmund=Hörde, ſteht. Es heißt da in ge=
rechter
und objektiver Beurteilung der Verhältniſſe u. a::
Seit einigen Jahrzehnten beobachten wir ein wenn auch
langſames, ſo doch unaufhörliches Emporſteigen der prole=
tariſchen
Maſſen. Die wirtſchaftliche Lage der Arbeiter
hebt ſich zuſehends und der moderne Proletarier iſt heute
in der Lage, mehr Anſprüche an das Leben zu ſtellen und
ſeine Bedürfniſſe beſſer und reichhaltiger zu befriedigen,
als dies jemals der Fall geweſen iſt; auch ſeine ſoziale
Wertung iſt geſtiegen.Na alſo!
Ausland.
Oeſterreich=Ungarn.
Die Thronrede, die der Kaiſer und Kömg bei
dem feierlichen Empfang der Delegationen in Erwiderung
der Anſprachen der Präſidenten der Delegationen gehalten
hat, lautet:
Die letzte Tagung der Delegationen fiel mit einem
wichtigen Ergebnis für die Monarchie zuſammen. Ich
verkündete damals die vollzogene Erſtreckung meiner Herr=
ſcherrechte
auf Bosnien und die Herzegowina Es gereicht
mir zu beſonderer Befriedigung, daß die diesfalls einge=
leitete
Aktion auf friedlichem Wege zu einem vollen Er=
folge
geführt hat Eine Zeit bedrohlich ſcheinender Span=
nung
der europäiſchen Lage machte einer erfreilichen Klä=
rung
Platz. Mit Beruhigung kann ich Ihnen mitteilen,
daß unſere Bündniſſe mit dem Deutſchen Reich und dem
Königreich Italien womöglich noch feſter und inniger ge=
worden
ſind. Sehr befriedigend ſind auch unſere Bezieh=
ungen
zu allen anderen Mächten. Die von mir gehegte Er=
wartung
einer günſtigen Entwicklung des Verhältniſſes
Oeſterreich=Ungarns zum Ottomaniſchen Reiche erfüllte ſich
infolge des im Frühjahr 1909 zuſtande gekommenen
Ententeprotokolls. Gleich den anderen Mächten verfolgen
auch wir mit unſeren beſten Wünſchen die auf eine Befe=
ſtigung
dieſes Staates gerichteten Beſtrebungen. Meine
Kriegsverwaltung wird nachträglich die verfaſſungsmäßige
Genehmigung der Delegationen für die außerordentlichen
Ausgaben einholen, die während der vorjährigen äußeren
Kriſe unvermeidlich waren. Dank der hierzu bewirkten
größeren Bereitſchaft von Heer und Flotte wurde meine
Regierung in die Lage verſetzt, den Boden der friedlichen
Politik nicht verlaſſen zu müſſen. In dieſer Erfahrung
liegt der Anſporn, der Verwaltung von Heer und Marine
die unumgänglich nötigen Mittel zur Erhaltung der
Schlagſertigkeit der Wehrkraſt zur Verfügung zu ſtellen und
hierdurch der Monarchie die Möglichkeit zu geben, neben
ihren Intereſſen auch die des europäiſchen Friedens wirk=
ſam
vertreten zu können. Auch ſoll dieſe Bereitwilligkeit
ſtets unter Bedachtnahme auf die finanzielle Leiſtungs:
fähigkeit der beiden Staaten der Monarchie in Anſpruch
genommen werden. In dieſem Sinne beſchränkte meine
Kriegsverwaltung die Mehranſprüche für 1910 aufs not=
wendigſte
. In den bezüglichen Anträgen wurde die Auf=
beſſerung
der materiellen Lage der in Lohnbezügen ſtehen=
den
Perſonen berückſichtigt. Die von mir vor zwei Jahren
angekündigte Einführung von verfaſſungsmäßigen Einrich=
tungen
in Vosnien und der Herzegowina zur Mitwirkung
der Bevölkerung in den Landesangelegenheiten iſt zur Tat=
ſache
geworden. Der erſte bosniſch=herzegowiniſche Land=
tag
tagte in dieſem Sommer. Ich will der Zuverſicht Aus=
druck
verleihen, daß die Wirkſamkeit dieſer jungen Inſti=
tution
im Einklang mit den Bemühungen meiner Regie=
rung
den kulturellen und materiellen Fortſchritt des Lan=
des
fördern wird. Indem ich die Ihnen zukommenden
Vorlagen Ihrem patriotiſchen Eifer und Ihrer bewährten
Einſicht empfehle, heiße ich Sie herzlich willkommen.
Frankreich.
Eiſenbahnerſtreik. Die radikalen Blätter ver=
urteilen
den Eiſenbahnerſtreik auf das ſchärfſte. Die Lan=
terne
ſchreibt:=Der=Ausſtand der Nordbahnbedienſteten iſt

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Nummer 241.

Seite 2e

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 14. Oktober 1910.

eine Ungehörigkeit; aber der Geſamtſtreik der Eiſenbahner
iſt reiner Wahnſinn. Die Action meint: Die Eiſenbahner
haben das Vaterland in eine große Gefahr geſtürzt; um
eine Erhöhung ihrer Löhne zu erlangen, haben ſie die
Nord= und Oſtgrenze der deutſchen Invaſion geöffnet.
Spanien.
Republikaniſche Umtriebe in Spanien.
Der Madrider Vertreter der Daily Mail drahtet ſeinem
Blatte, daß die republikaniſche Partei in Spanien eine
ganz außerordentliche Tätigkeit entfalte, beſonders in Bar=
celona
und Madrid. Abgeſehen von der portugieſiſchen
Revolution und dem Gedenktage der Hinrichtung Ferrers,
benutzen die Umſtürzler beſonders die Möglichkeit neuer
Kämpfe in Marokko, um die Volksmaſſen in zahlreichen
Verſammlungen aufzuhetzen. Die Regierung iſt ent=
ſchloſſen
, allen Umſturzverſuchen mit größter Energie und
Rückſichtsloſigkeit entgegenzutreten, und hält unausgeſetzt
in=Barcelona und Madrid Truppen zu ſofortigem Ein=
ſchreiten
bereit.
Rußland.
Der Reichshaushalt für 1911. Das Finanz=
miniſterium
hat die Aufſtellung des Staatshaushalts für
1911 beendet. Danach betragen die ordentlichen Einnah=
men
2669,6 Millionen, die ordentlichen Ausgaben 2545,9
Millionen Rubel, die außerordentlichen Einnahmen 12,4
Millionen Rubel und die außerordentlichen Ausgaben zur
Liquidation der Forderungen des ruſſiſch=japaniſchen Krie=
ges
2,3 Millionen Rubel. Die Bedürfniſſe des Kriegs=
miniſteriums
erfordern 48,6 Millionen Rubel, der Bau
einer Eiſenbahnlinie 95,1 Millionen Rubel, die Subſidien
an die Baku=Geſellſchaft 1,4 Millionen Rubel. Insgeſamt
ſind 147,4 Millionen Rubel angeſetzt. Dieſe ſind gedeckt
durch 123,7 Millionen Rubel Ueberſchuß aus den ordent=
lichen
Einnahmen, 12,4 Millionen außerordentlicher Ein=
nahmen
und 11,4 Millionen Rubel Barbeſtand der Staats=
rente
.
Stolypin Reichskanzler? Eine überraſchende
Nachricht kommt aus dem Auswärtigen Amt, die Ernen=
nung
Stolypins zum Reichskanzler ſoll in den nächſten
Tagen erfolgen. Es iſt dies das erſtemal ſeit den Tagen
Gortſchakows, daß Rußland wieder einen Reichs=
kanzler
hat.
Monako.
Verfaſſungsfragen. Zu der Meldung, daß
in Monako Volksdemonſtrationen gegen den Fürſten
Albert ſtattgefunden haben, ſei bemerkt, daß ſchon ſeit ge=
raumer
Zeit im Fürſtentum der Wunſch nach Einführung
einer Verfaſſung gehegt wird. Anfang März empfing der
Fürſt drei Bürger, welche als Abgeordnete von 700 Per=
ſonen
kamen, die am Fuße des Felſens, auf dem das
Schloß liegt, Aufſtellung genommen hatten. Der Fürſt
ſprach damals ſeine Befriedigung darüber aus, daß die
Bevölkerung ihm ihre Wünſche vertrauensvoll mitteilte,
denen er nähertreten wolle. Eine Kommiſſion von ſechs
Mitgliedern, deren drei vom Fürſten zu ernennen und
drei von der Bevölkerung zu wählen ſeien, ſollte ſich dar=
über
ſchlüſſig machen, welcher Einfluß einer Volksvertre=
tung
auf die öffentlichen Angelegenheiten Monakos ge=
währt
werden könnte. Anſcheinend iſt die Sache noch nicht
weit gediehen, und die getreuen Untertanen des Fürſten
befürchten, daß dieſem ſeine Zuſage wieder leid geworden
ſein könnte. Sollte etwa das böſe Beiſpiel der Portu=
gieſen
ſchon ſeine Wirkung auf die Monagaſſen ausgeübt
haben?
* Beleidigung fremder Landesherren.
Während der Zar in Friedberg mit der Kaiſerin von Ruß=

land Erholung ſucht, iſt er in der letzten Zeit mehrfach in
der Preſſe Beleidigungen ausgeſetzt geweſen Es erhebt
ſich die Frage, ob die Beleidigung fremder Landesherren
ſtrafbar iſt oder den Beleidigenden ſtraflos läßt. Land=
gerichtsdirektor
Dr. Lafrenz erörtert dieſe Frage in der
ſoeben erſchienenen Nummer der Deutſchen Juriſten=
zeitung
, dem Zentralorgan der deutſchen Juriſtenwelt
(Verlag von Otto Liebmann, Berlin). Er bemerkt am
Eingange, daß er ausſchließlich vom rechtlichen
Standpunkte aus zu dieſer Frage Stellung nehme, und
ſeine Ausführungen zeigen auch, daß er frei von irgend=
welcher
politiſcher tendenziöſer Stellungnahme iſt, denn er
bemerkt ganz allgemein, daß man in der Preſſe, und nicht
nur in ſozialdemokratiſchen Blättern, Beleidigungen frem=
der
Landesherren antreffe. Zum Beweiſe erinnert er an
die Zeit des Burenkrieges. Damals hätten viele nicht=
ſozialdemokratiſche
Organe das engliſche Staatsoberhaupt
mit perſönlichen Verunglimpfungen bedacht; ähnliches ſei
jetzt dem Zar widerfahren. Es iſt von hohem Intereſſe,
zu ſehen, zu welchem Reſultat auf Grund dieſer rein juri=
ſtiſchen
objektiven Betrachtungen der Verfaſſer kommt. Er
iſt der Anſicht, daß aus rechtspolitiſchen Erwägungen es
wünſchenswert ſei, daß man die Beleidigung fremder
Souveräne, welche in Deutſchland als Gäſte ſich aufhalten,
beſtrafe, auch wenn die Gegenſeitigkeit nicht verbürgt iſt.
Wie man auch zu der Frage ſtehen mag, ſo wird man doch
ſeinem Schlußſatze durchaus zuſtimmen, in dem er die
Frage aufwirft, ob nicht mindeſtens den gleichen Schutz
ein fremder Herrſcher genießen müßte wie ein in der
kleinſten Provinzialſtadt an dem Hauſe ſeines Konſuls an=
gebrachtes
Schild. Man wird geſpannt ſein dürfen, welche
Stellung im Reichstage zu dieſer grundſätzlich intereſſanten
Frage genommen wird.

Stadt und Land.
Darmſtadt, 14. Oktober.
* Ordensverleihungen. Der Reichsanzeiger ver=
öffentlicht
folgende Ordensverleihungen: Den Roten
Adlerorden 2. Klaſſe mit Eichenlaub erhielt General=
major
Grumbkow, Kommandeur der 50. Inf.=Brig.
den Roten Adlerorden 3. Klaſſe mit Schleife Oberſt
v. Rohden Kommandeur des Inf.=Leib=Regt. Nr. 117,
Oberſt v. Ilſemann, Kommandeur des Leib=Drag.=
Regt. Nr. 24; den Roten Adlerorden 4. Klaſſe erhielten
Hauptmann Graf v. Buedingen im Leibgarde=Inf.=
Regt. Nr. 115, Hauptmann Schultz im Inf.=Leib.=Regt.
Nr. 117; den Kronenorden 1. Klaſſe erhielt der General=
leutnant
v. Strantz, Kommandeur der Heſſ. 25. Divi=
ſion
; den Kronenorden 2. Klaſſe Oberſt v. Ruville,
Kommandant von Mainz; den Kronenorden 3. Klaſſe
erhielt Oberſtleutnant Freiherr v. Langermann
und Erlencamp vom Stabe des Leibgarde=Inf.=
Regt. Nr. 115, Oberſtleutnant v. Wright vom Stabe
des Inf.=Leib.=Regt. Nr. 117; den Kronenorden 4. Klaſſe
erhielt der Oberleutnant Ernſt v. Pentz im Inf.=Regt.
Nr. 116.
Pfarrperſonalien. Se. Königl. Hoheit der Groß=
herzog
haben den evangeliſchen Pfarrer Kirchenrat
Wilhelm Zentgraf zu Eberſtadt, Dekanat Eberſtadt,
auf ſein Nachſuchen unter Anerkennung ſeiner lang=
jährigen
treu geleiſteten Dienſte und unter Verleihung der
Krone zum Ritterkreuz 1. Klaſſe des Verdienſtordens
Philipps des Großmütigen, mit Wirkung vom 19. Oktober
1910, in den Ruheſtand verſetzt, ſowie den evangeliſchen
Pfarrer zu Bedenkirchen Lic. theol. Gaul zum Ober=
lehrer
an dem Lehrerſeminar zu Bensheim ernannt.
Uebertragen wurde dem Lehrer Johann
Heinrich Schwarz zu Nieder=Modau, Kreis Dieburg,
eine Lehrerſtelle an der Gemeindeſchule zu Egelsbach,
Kreis Offenbach.
In den Ruheſtand verſetzt wurde der Weichen=
ſteller
in der Heſſiſch=Preußiſchen Eiſenbahngemeinſchaft
Jakob Axenmacher zu Gonſenheim mit Wirkung vom
1. Januar 1911 an.
* Militärdienſtnachricht. v. Tümpling, Oberlt.
im 2. Großh. Heſſ. Feldart.=Regt. Nr. 61, vom 19. d. Mts.
ab bis auf weiteres zur Dienſtleiſtung beim Reichs=
Kolonialamt kommandiert.
*X‟ Das Kriegsgericht der 25. Diviſion verur=
teilte
heute den Taglöhner Ferdinand Riether aus
Frieſenheim wegen unerlaubter Entfernung unter Ein=
beziehung
einer früheren, zur Zeit in Verbüßung be=
griffenen
viermonatigen Diebſtahlſtrafe, zu 4 Monaten

2 Wochen Gefängnis. Der im Herbſte v. J. als
Musketier eingeſtellte Angeklagte war bald darauf wegen
eines am Zivilgericht anhängigen Diebſtahlsverfahrens zur
Dispoſition der Erſatzbehörde entlaſſen worden, hat ſo=
dann
an verſchiedenen Orten gearbeitet und dabei ver=
ſäumt
, ſich in vorgeſchriebener Weiſe beim Bezirks=
kommando
zu melden.
* Todesfall. Herr Georg Engelhard, Mitglied
des Präſidiums der hieſigen Bezirksgruppe des Hanſa=
bundes
, iſt in voriger Nacht an einem Herzſchlag im beſten
Mannesalter verſchieden. Herr Engelhard hat ſich
ſowohl als Mitglied des Geſamt= und geſchäftsführenden
Ausſchuſſes wie auch ſeit dem 21. Juni ds. Js. als einer
der Vorſitzenden als ein äußerſt rühriges und pflichteifriges
Mitglied der Bezirksgruppe des Hanſabundes bewährt,
die ihm ein treues Andenken bewahren wird
Jubiläum. Am Samstag, den 15. Oktober, ſind
25 Jahre vergangen, ſeitdem Frl. Anna Schreiner
als Lehrerin für Klavierſpiel in die Prof. Ph. Schmittſche
Akademie für Tonkunſt eingetreten iſt. Der Jubilarin, die
es im Laufe ihrer Tätigkeit verſtanden hat, ſich die Liebe
und Anerkennung ihrer Kollegen und Schüler zu erwerben,
wird es an Beweiſen hierfür an ihrem Ehrentage gewiß
nicht fehlen.
* Die Verkehrs=Einnahmen aus dem Perſonen=
und Güterverkehr betragen nach vorläufiger Feſt=
ſtellung
: 1. für die Eiſenbahndirektionsbezirke Frank=
furt
a. M. und Mainz: a) im Monat Auguſt 1910
12684000 Mark oder gegen das Vorjahr mehr 418000a
Mark 3,41 Prozent, b) in der Zeit vom Beginn des
Rechnungsjahres 59116000 Mark oder gegen das Vor=
jahr
mehr 3038000 Mark 5,42 Prozent; 2. für die
Preußiſch=Heſſiſche Eiſenbahngemeinſchaft: a) im Monat
Auguſt 1910 177587000 Mark oder gegen das Vorjahr
mehr 15 235000 Mark 9,38 Prozent, b) in der Zeit=
vom
Beginn des Rechnungsjahres 850 483000 Mark
oder gegen das Vorjahr mehr 52920000 Mark 6,64
Prozent. (Darmſt. Ztg.)
Die kirchenmuſikaliſche Abendfeier, mit der am
Mittwoch der zweite Zyklus eröffnet wurde, hatte
wieder, wie die vorjährigen, eine große Gemeinde in
der Stadtkirche verſammelt. Dem urſprünglichen Ge=
danken
der neuen Einrichtung getreu, trug die Feier
auch diesmal den Charakter einer gottesdienſtlichen
Andachtsſtunde, die in der Sprache der Töne zu dem
Menſchenherzen redet. Die Mannigfaltigkeit der
Klänge, welche Orgel und Lied anſchlugen, fand ihre
Einheit in der eigenartigen Stimmungswelt, die jetzt,
beim Uebergang in die herbſtliche Jahreszeit, von dem=
religiöſen
Gemüte beſonders tief nachempfunden wird
Auf den vollen, mächtigen Lobpreis, der im Eingang
noch einmal die Herrlichkeit Gottes im Reiche der
Schöpfung verkündete, folgten dann weichere und
innerlichere Klänge, die aus der Außenwelt der Natur
in die Innenwelt der nach dem Ewigen ſuchenden
Menſchenſeele riefen und dem tiefen Sehnen nach
Ruhe, nach Erlöſung und Frieden in Gott ergreifen=
den
Ausdruck gaben. Dem ſeelenvollen Orgelſpiel des
Herrn Stadtorganiſten Borngäſſer und der voll=
tönenden
, die weiten Hallen der Kirche leicht durch=
dringenden
Baßſtimme des Herrn Jung gelang es
trefflich, die Empfindungen mit tiefem Verſtändnis
wiederzugeben und in die Seelen der dankbaren Zu=
hörer
hineinzütragen.
* Konzert für die Barmherzigen Schweſtern. Dank
der raſtloſen Mühe, welche die die Karten vertreiben=
den
Damen ſich gegeben, hat auch das diesjährige Wohl=
tätigkeitskonzert
für die Barmherzigen Schweſtern
einen anſehnlichen Reinertrag abgeworfen. Kein
Rückſchritt iſt ſchon ein Fortſchritt, ſo hätte man im
Hinblick auf die ſchlechten Zeitverhältniſſe ja füglich
ſagen können. Und doch iſt der Reinertrag, des
letzten Jahres, des Jubiläumsjahres der hieſigen
Niederlaſſung der Barmherzigen Schweſtern, nicht nur
erreicht, ſondern ſogar noch übertroffen worden.
Statt 1249 Mark, wie voriges Jahr, können heuer
1295 Mark an die Barmherzigen Schweſtern abge=
liefert
werden. Dazu kommen noch 200 Mark, welche
der Kaiſer und die Kaiſerin von Rußland=
auf
ein von dem Vorſitzenden des Komitees für die
Schweſternkonzerte, Herrn Rentner Litzendorff,
eingereichtes Geſuch geſpendet haben.
Grabmalkunſt. Man ſchreibt uns: Im Schau=
fenſter
der Firma Gebr. Wenz dahier, Rheinſtr. 24,

Von den Ehrenpromotionen der
Berliner Univerſität.
* Das Diplom, das den Kaiſer zum Ehren=
doktor
beider Rechte der Berliner Univerſität
ernennt, lautet in deutſcher Ueberſetzung: Glück und
Segen unter der Heil und Freude bringenden Führ=
ung
des erlauchten und mächtigen Fürſten Wilhelm II.,
deutſchen Kaiſers und Königs von Preußen, des =
nigs
unſeres weiſen, gerechten und gnädigen Herrn!
Zur Jubelfeier unſerer Friedrich Wilhelms= Univer=
ſität
unter dem Rektorgt von Erich Schmidt, Doktor
der Philoſophie und ordentlichem Profeſſor an unſerer
Univerſität, kreiere nach den Satzungen der Rechts=
fakultät
der Berliner Univerſität ich, Joſeph Kohler,
Doktor beider Rechte und Doktor der Univerſität Chi=
cago
, ordentlicher Profeſſor hieſiger Univerſität und
zeitiger Dekan als nach unſeren Privilegien dazu ord=
nungsmäßig
beauftragter Promotor den deutſchen
Kaiſer und König von Preußen Wilhelm II., welcher

ßens weiſe und gerecht gefördert hat, unter dem das
deutſche bürgerliche Geſetzbuch, das heiß erſehnte, nach
der Arbeit eines Jahrhunderts geſchaffen worden iſt,
zum Doktor beider Rechte, ſowohl des bürgerlichen wie
des kanoniſchen, verkünde ihn als kreiert und mache
dieſe Kreierung öffentlich bekannt.
Bei der Verkündigung der Ehrenpromotion
des künftigen Erben der bayeriſchen Krone, des Prin=
zen
Rupprecht von Bayern, zum Dr. juris
ſagte der Dekan: 20 Jahre ſeien es her, daß Prinz
Rupprecht als Studioſus juris an der Berliner Uni=
verſität
immatrikuliert war. Der erlauchte Kommi=
litone
habe der Univerſität die Ehre und Freude er=
wieſen
, bei ihrer Feier anweſend zu ſein und damit
bezeugt, daß er jener Zeit ſtets eingedenk blieb und daß
ſein Aufenthalt an der Berliner Alma mater ein
ſtändiges gemeinſames Band mit ihr geknüpft habe.
Die Ehrenpromotion ſei die Beurkundung der unlös=
lichen
Einheit von Süd und Nord im deutſchen Vater=
lande
und des gemeinſamen Geiſtes, der alle Stämme
durchdringt. Bei der Verkündigung der Ehrendoktoren
der philoſophiſchen Fakultät, deren Zahl 36 beträgt,
ſtellte der Dekan an die Spitze den Reichskanzler
Herrn v. Bethmann Hollweg, den man in der
Politik oftsſpöttiſch den Philoſophen nenne, den aber

die philoſophiſche Fakultät in hoher Verehrung und
in Würdigung ſeiner geiſtigen Kultur, ſeiner Ver=
dienſte
und ſeines Wiſſens mit beſonderer Freude und
gerechtem Stolze zu ihrem Ehrendoktor ernannt habe.
Ferner teilte er mit, daß die philoſophiſche Fakultät
auch den ehemaligen Staatsſekretär des Reichskolonial=
amtes
Bernhard Dernburg für ſeine Reorganiſa=
tion
der deutſchen Kolonialpolitik zum Ehrendoktor
ernennen wollte, aber eine andere auswärtige Fakul=
tät
ſei ihr darin zuvorgekommen. Frau Coſima
Wagner=Bayreuth wurde als die treue Be=
wahrerin
des Wagnerſchen Erbes, durch deren ver=
ſtändnisvolle
, im Sinne ihres Gatten ausgeübte Tätig=
keit
das große nationale Gut, das Richard Wagner ſei=
nem
Volke geſchenkt, der Nation rein erhalten und
würdig übermittelt worden iſt, zum Ehrendoktor der
philoſophiſchen Fakultät ernannt.
Die Ernennung mehrerer Künſtler und
Schriftſteller zu Ehrendoktoren der
mediziniſchen Fakultät mußte überraſchen,
und man glaubte anfangs, es handele ſich um einen
Irrtum. Sie wurde aber, wie jetzt bekannt wird, vom
Dekan in ſinniger Weiſe, wie folgt, begründet: Nichts
ſei ſo ſehr geeignet, das Gemüt des bedrückten, kranken
Menſchen zu erheben und aufzuheitern, als die wahre
Kunſt. Profeſſor Hans Thoma in Karlsruhe ſei
ein Künſtler, der, auf äußere Effekte verzichtend, der
Malerei ſeine ganze große Kunſt gewidmet und durch
Tiefe und Reinheit erhebend auf das Volk gewirkt
habe. Profeſſor Max Reger in Leipzig habe, auf
der Kunſt der alten Meiſter fußend, mit reicher Er=
findungsgabe
ſich der heiligen und profanen Muſik
gewidmet und ſie dem Volke zugänglich gemacht. Alt=
meiſter
Wilhelm Raabe endlich habe ſich durch
den göttlichen Humor ſeiner Schriften Recht auf An=
erkennung
und Ehrung erworben.

Die künftige Reſidenz des Königs
Manuel.
Wie aus London gemeldet wird, erhielt der
Herzog von Orleans eine Depeſche der Königin=
mutter
Amelia worin ſie mitteilt, ſie werde ſich
mit König Manuel auf der Königlichen Jacht
Viktoria and Albert gleich nach deren Ankunft in
Gibraltar einſchiffen und ſich ſofort nach England be=
geben
, wo ſie die Gaſtfreundſchaft des Herzogs in
Woodnorton annehmen würden. Schon werden,

ſo ſagt man, in Woodnorton die Vorbereitungen für
den Empfang getroffen. Der Herzög von Orleans iſt,
wie man weiß, ein Bruder der Königinmutter Amelia.
Als Urenkelin des Königs Ludwig Philipp der Fran=
zoſen
, den 1848 eine blutigere Revolution vom Thron
ſtieß, kam ſie in England zur Welt und verlebte in Eng=
land
ihre Kindheit. Der Sturz des zweiten Kaiſer=
reiches
eröffnete dem Hauſe Orleans die Rückkehr nach
der Heimat Frankreich, aber 1886 zwang das Präten=
dentengeſetz
es abermals zur Fahrt nach dem anderen
Ufer des Kanals. Es gibt in England eine ganze An=
zahl
von Schlöſſern und Landſitzen, die den Orléans
im Zeitraume des letzten halben Jahrhunderts zur
Wohnung gedient haben. Da iſt Claremont, wo König
Ludwig Philipp ſtarb und das gegenwärtig der Her=
zogin
von Albany, der Mutter des Herzogs von Ko=
burg
, gehört. Da iſt Twickenham, wo der Graf von
Paris von 1864 bis 1871 in der Verbannung lebte,
und da iſt, nicht weit davon, Orléans=Houſe, das der
Herzog von Aumale faſt zwanzig Jahre lang bewohnte
und das dann in einen Klub umgewandelt wurde.
Der Herzog von Orléans, einer der reich=
ſten
Fürſten Europas, beſitzt Yorke Houſe bei Richmond
und Woodnorton, das als offizielle Reſidenz des
Prätendenten gilt. Woodnorton liegt ungefähr zwei
Stunden von London, in der Nähe von Evesham,
einem freundlichen Landſtädtchen, deſſen Obſt= und
Gemüſegärten in gutem Rufe ſtehen. Geſchichtlich iſt
Evesham merkwürdig als der Schauplatz der Schlacht,
in der König Eduard I. von England als Prinz of=
Wales den Grafen Simon von Montfort, den Be=
gründer
der parlamentariſchen Verfaſſung Englands,
beſiegte und erſchlug. Woodnorton iſt ein ſtattlicher
Bau von der Art und in dem Stile vornehmer eng=
liſcher
Landhäuſer. Die Verbindung von rotem Ziegel
und weißem Stein gibt ihm ein helles, freundliches
Ausſehen. Im Innern enthält es viele Kunſtſchätze,
Sammlungen, die der Herzog von Orléans von ſeinen
verſchiedenen Expeditionen in ferne Länder und Meere
zurückgebracht hat, und mancherlei Andenken an ſeine
Vorfahren. Wohlgepflegte, breite Raſenflächen um=
geben
das Haus und leiten zu einem hübſchen, park=
ähnlichen
Garten über. Woodnorton iſt geräumig ge=
nug
, einem Könige, zumal einem Könige ohne Land,
angemeſſene Unterkunft zu gewähren. Es verbindet
den Vorzug der Nähe einer Weltſtadt mit allen Rei=
zen
ländlicher Abgeſchiedenheit.

[ ][  ][ ]

Nummer 24I.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 14. Oktober 1910.

Seite 3.

iſt ein Grabmal mit Einfaſſung in Kunſtſchmiedearbeit
aus Bronze und Meſſing ausgeſtellt. Dieſes Kunſt=
werk
zeigt den Erfolg der Beſtrebungen der jetzigen
Zeit, neben dem kalten Steinmaterial auch Metalle zu
Grabdenkmälern zu verwenden. Die Beſtrebungen,
auf Friedhöfen mit mehr Liebe und Kunſtſinn das An=
denken
an unſere Lieben für immer zu befeſtigen und
in ſteter Erinnerung zu behalten, gewinnen im Volke
immer mehr feſten Boden. Den Friedhöfen wird
durch dieſe Beſtrebungen das nüchterne Einerlei ge=
nommen
. Die Kunſtſchmiedearbeiten wurden von dem
Kunſtſchmied Ph. Jung in Worms, die gärtneriſche
Ausſchmückung von der Firma Gebrüder Wenz=
Darmſtadt nach dem Entwurfe des Architekten Georg
Kugel=Darmſtadt=Worms ausgeführt.
Wohltätigkeitskonzert. Zum Beſten des Frauen=
vereins
der Petrusgemeinde findet am Samstag, den
22. Oktober, in dem Gemeindeſaal, Hofgartenſtraße 8,
ein Konzert ſtatt, für das Frl. Thea Fey, Frl. Lili
Hickler, Frl. Luiſe Henkel und Herr Kammerſänger
Fahr ihre gütige Mitwirkung zugeſagt haben. (Näheres
wird noch durch Anzeigen bekannt gegeben.)
* Ortsgewerbeverein Darmſtadt. Der vom Orts=
gewerbeverein
Darmſtadt in der Zeit vom 31. Auguſt
bis 12. Oktober 1910 in der Handwerkerſchule zu Darm=
ſtadt
abgehaltene 7. Vorbereitungskurſus für die
theoretiſche Meiſterprüfung im Handwerk wurde am
Mittwoch nachmittag geſchloſſen. Als Lehrer für Ge=
werberecht
und ſoziale Geſetzgebung war Handwerks=
kammer
=Syndikus Engelbach, für Buch= und Rech=
nungsführung
uſw. W. Gerbig, Lehrer an der obli=
gatoriſchen
Fortbildungsſchule Darmſtadt, gewonnen.
Der Familienausflug am kommenden
Sonntag nach Weinheim, einem der ſchönſten Punkte
der Bergſtraße, verſpricht den Teilnehmern einige
genußreiche Stunden. Intereſſant wird die Beſichti=
gung
der zwiſchen dem idylliſchen Gorxheimer Tal und
dem wildromantiſchen Birkenauer Tal gelegenen
Wachenburg und der Ruine Windeck werden. Prächtige
Fernſicht nach allen Himmelsgegenden iſt zu genießen;
beſonders ſchön wirkt davon der Blick nach dem Oſten
ins Weſchnitztal und in den Odenwald. Die Burg
Windeck gewährt einen entzückenden Ausblick nach der
Rheinebene. Weinheim ſelbſt beſitzt noch bemerkens=
werte
Sehenswürdigkeiten, ſo daß alles in allem
ſich die Teilnahme reichlich lohnen dürfte, zumal auch
für den gemütlichen Teil Sorge getragen iſt.
Wi. Martinsgemeinde. In der erſten Hälfte des
November gedenkt die Martinsgemeinde ihr 25 jäh=
riges
Beſtehen, zugleich das Jubiläum der Ein=
weihung
ihrer Kirche vor 25 Jahren, feſtlich zu
begehen. Es ſoll dies geſchehen durch eine liturgiſche
Vorfeier am Abend des Reformationsfeſtes (6. No=
vember
), ſowie durch einen Feſtgottesdienſt am darauf=
folgenden
Sonntag, den 13. November, bei welchem der
erſte Geiſtliche der Gemeinde, Herr Prälat D.
Flöring, die Predigt halten wird, und durch eine
Feier mit Anſprachen und Geſängen im großen Saal
der Turngemeinde am Woogsplatz am Abend des be=
treffenden
Sonntags. Am Erntedankfeſt (23. Oktober)
wird die durch die rühmlichſt bekannte Firma Stein=
meyer
in Oettingen umgebaute Orgel, deren Regiſter=
zahl
von 13 auf 24 erhöht worden iſt, zum erſten Mal
im Gemeinde=Gottesdienſt geſpielt werden. Das Werk,
das am vergangenen Montag durch Herrn Kirchen=
muſikmeiſter
Profeſſor Mendelsſohn geprüft wor=
den
und deſſen volle Anerkennung gefunden hat, darf
als vorzüglich bezeichnet werden. Ende November oder
Anfang Dezember wird es auch in einem Kirchen=
konzert
ſich hören laſſen, deſſen Ertrag dazu be=
ſtimmt
iſt, die Koſten für ein großes Pedal=Harmonium
beſtreiten zu helfen, das bei den Gottesdienſten in dem
neuen Gemeindehaus dienen und zugleich bei den in
jedem Herbſt ſtattfindenden Orgelkurſen ſtatt der Orgel
zur Verfügung geſtellt werden ſoll.
Das Winterprogramm des Frauenvereins der Mar=
tinsgemeinde
wird ſeinen Mitgliedern wiederum drei
Vortragsabende bringen, welche einen Zyklus von Vor=
trägen
über Frauenbilder der letzten Jahrhunderte‟
umfaſſen. Der erſte dieſer Vortragsabende bei
welchem Herr Stadtpfarrer Velte, hier, ſprechen wird
über die Königin Luiſe‟ findet am Montag, den
17. Oktober, abends im Gemeindehauſe, Mollerſtraße 23,
ſtatt. An dieſen Vortrag, zu welchem auch Nichtmit=
glieder
eingeladen ſind, ſchließt ſich die Generalver=
ſammlung
des Frauenvereins an. (Siehe Anzeige.)
* Verein der Bildungsfreunde (Ortsgruppe des Rhein=
Mainiſchen Verbandes). Man ſchreibt uns: Der Verein
will, wie im vorigen Jahre, ſo auch im kommenden Win=
ter
, den werktätigen Kreiſen hieſiger Stadt den Beſuch der
Volksvorſtellungen im Großherzoglichen Hoftheater erleich=
tern
, den Zutritt zu beſſeren Konzerten und zu einigen
Vorträgen des Vortragsvereins ermöglichen. 34 Vereine
haben bisher Gebrauch gemacht von den durch den Verein
vermittelten Erleichterungen. Indes zeigen Neuanmel=
dungen
, daß nicht alle Vereine ſeither teilgenommen haben.
Es ergeht daher an alle noch außenſtehenden Ver=
einigungen
die freundliche Bitte, Anmeldungen zur
Teilnahme an obigen Vergünſtigungen an Geſchäftsführer
Heller, Grafenſtraße 27, Hinterhaus, oder Lehrer Preſſer,
Hoffmannſtraße 8, baldigſt gelangen zu laſſen. Ein neu=
traler
Ausſchuß, gebildet aus den Vertretern der verſchie=

denſten Vereine, wird dann die Intereſſen der angeſchlof=
ſenen
Vereine derart vertreten, daß er einerſeits die Ver=
teilung
der Karten, andererſeits die mit der Uebernahme
der Karten verbundenen Garantien übernimmt. Die
wöchentlichen Leſe= und Beſprechungsabende nehmen
Dienstag, den 18. Oktober, ihren Anfang mit einem ein=
leitenden
Vortrag über Ethik von Herrn Pfarrer Fuchs=
Rüſſelsheim. (Siehe Anzeige.)
Der Alldeutſche Verband und der Dentſche Oſt=
markenverein
veranſtalten nächſten Montag einen
Vortragsabend. Herr Prof. Dr. Hötzſch aus Poſen
wird über Deutſche Aufgaben in der Polenfrage‟
ſprechen. (S. Anz.)
Vortrag. Es ſei nochmals darauf hingewieſen,
daß auf Veranlaſſung der hieſigen Ortsgruppe des heſſ.
Landesvereins für Frauenſtimmrecht Frau Johanna
Wäſcher=Kaſſel am Freitag im weißen Saale der Stadt
Pfungſtadt über das Thema: Warum müſſen die
Frauen auf die Krankenkaſſen Einfluß gewinnen?
ſprechen wird. (Näheres ſiehe Anzeige.)
* Lichtſpiel=Vorträge über die Entwickelung und
Erhaltung der weiblichen Schönheit läßt die Geſellſchaft
für rationelle Körperpflege in den verſchiedenſten Städ=
ten
halten. Das Intereſſe der Damenwelt für dieſe
eigenartigen Veranſtaltungen iſt ſehr rege. Auch hier
findet am 19. Oktober im ſtädtiſchen Saalbau ein der=
artiger
Vortrag ſtatt. (Siehe Anzeige.)
* Das Konzert Poth=Spemann mußte wegen
Gaſtſpiels des Herrn Spemann verſchoben werden und
wird nun beſtimmt am Samstag, den 22. Oktober, in
Jugenheim, Hotel zur Krone, ſtattfinden. Im
übrigen ſei auf die in nächſter Woche erſcheinende
Annonce hingewieſen.
* Orpheum Bauerntheater. Heute Freitag, 14. Ok=
tober
, kommt das erfolgreiche vieraktige Volks=Schauſpiel
Aus der Art geſchlagen neu einſtudiert, zur=
Aufführung; die einzige Wiederholung dieſes Stückes iſt
für kommenden Sonntag feſtgeſetzt. (S. Inſ.)
C. Vom botaniſchen Garten. Ein Beſuch dieſer noch
viel zu wenig gewürdigten Bildungsſtätte gewährt trotz
der vorgerückten Jahreszeit noch reichlichen Genuß. Gleich
beim Eingang von der Roßdörfer Straße aus fällt der
Blick auf eine in prächtiger Herbſtfärbung erſcheinende
Scharlacheiche und etwas rechts davon auf die rotblätt=
rige
Weißeiche und den gelbblättrigen Zuckerahorn. Im
weiteren begegnen wir Beeten mit prächtigen, blau blühen=
den
Herbſtaſtern und roten Dahlien aus Mexiko. In der
in nördlicher Richtung nun folgenden Gruppe der Nadel=
hölzer
, die ſich infolge des naſſen Sommers überraſchend
entwickelt haben, fallen die prächtige blau=weiße Atlasceder
und die in vollem Herbſtſchmuck prangende japaniſche Gold=
lärche
mit ihrer goldgelben Benadelung auf. Unter der
Gräſergruppe, die eine Reihe Spezialitäten aufweiſt, nimmt
das wundervolle Pampasgras (Gynerium argenteum)
mit ſeinen maſſenhaften Blütenwedeln den erſten Platz ein.
Am Darmbache neben dem Alpinum leuchtet uns ſchon von
fern der rotblättrige Storaxbaum (Liquidambar stira-
ciklua
) entgegen, während wir in der Richtung der offi=
zinellen
Pflanzen zwei in voller Blüte ſtehende mächtige
Polygonum (Knöterich) gewahren, von denen der viel=
ährige
(polystachium) ganz in weiße duftige Blüten=
ſträuße
eingehüllt iſt und der ſtengelumfaſſende amplexi-
caule
) uns durch ſeine roten Blütenähren feſſelt. Nun
noch ein Blick in die Gewächshäuſer. Im Warmhauſe ſtehen
die tropiſchen Gewächſe in voller Entwickelung und die
Orchideen beginnen die wunderbare Pracht ihrer Blüten
zu entfalten. Während letztere bei dem Kakaobaum
(Theobroma Cacao) am Stamm und den Aeſten erſt zum
Vorſchein kommen, gewahren wir bereits blühende
Anthurium und eine Reihe von Pflanzen, denen prächtige
Blattzeichnungen eigentümlich ſind. Eine ſchöne Entwicke=
lung
weiſt das Zuckerrohr auf, und der Melonenbaum,
ſowie der Cocaſtrauch, deſſen Blätter das in der neueren
Medizin ſo wichtige Anäſthetikum Cocain liefern, ſtehen
in Blüte nebſt vielen anderen tropiſchen Heil= und Nutz=
pflanzen
. Im Kakteenhauſe erregen die prächtig ent=
wickelten
Kakteen und Euphorbien durch ihre mannigfal=
tige
Geſtalt und Beſtachelung unſere Bewunderung. In
dem benachbarten kleinen Warmhauſe feſſeln beſonders die
verſchiedenen Ameiſenpflanzen, welche dieſen Namen daher
tragen, weil zwiſchen ihnen und den Ameiſen ein ſymbio=
tiſches
Verhältnis beſteht, ſowie die eigenartigen Cypri=
pedien
und Tillandſien das Auge. Man verſäume alſo
nicht, ſich noch einige Stunden edelſten Naturgenuſſes zu
verſchaffen, wozu die für die vorgerückte Jahreszeit immer
noch milde Witterung einladet.
* Auf den morgen beginnenden Obſt=, Gemüſe= und
Kartoffelmarkt, der, wie mehrfach mitgeteilt, diesmal im
Schützenhof ſtattfindet, ſei hierdurch nochmals aufmerk=
ſam
gemacht.
Hamſterfang. Geſtern grub der Gärtnereibeſitzer
Gimbel neben ſeiner Gärtnerei auf einem Acker
einen Hamſter aus, der eine anſehnliche Größe hatte.
Unfall. Geſtern nachmittag 6 Uhr wurde ein Ar=
beiter
, der nach Hauſe fahren wollte, in der Heidelberger
Straße von einem Automobil angefahren und zur
Seite geſchleudert. Außer einigen Hautabſchürfungen er=
litt
er innere Verletzungen und mußte durch die Rettungs=
wache
mittels Kranken=Automobils nach dem Städtiſchen
Krankenhauſe verbracht werden.

§ M lchreviſionen. Während des Monats Sep=
tember
ſind durch die hieſige Polizei 2873 Milchreviſionen
vorgenommen worden. Hierbei wurden ſieben Proben
teils wegen zu geringem Fettgehalt und teils wegen
Waſſerzuſatz beanſtandet und dem chemiſchen Unter=
ſuchungsamt
zur Unterſuchung überwieſen. Die bean=
ſtandeten
Proben machten die Erhebung von neun
Liefer= und ſechs Stallproben erforderlich. Außer
den ſechs Stallproben, welche zur Aufklärung der
einzelnen Beanſtandungen notwendig waren, wurde
in einem Falle auf beſonderen Antrag des betreffenden
Milchproduzenten eine außergewöhnliche Stallprobe ge=
nommen
. Ferner war die Erhebung einer Stallprobe
Ziegenmilch erforderlich. 25 Liter gewäſſerte Milch ſind
dem Verkehr entzogen worden.
§ Feſtgenommen. Ein Bäckergehilfe wurde wegen
Sittlichkeitsverbrechen feſtgenommen und in Unter=
ſuchungshaft
gebracht.
Mainz, 12. Okt. In der heutigen Stadtver=
ordnetenſitzung
ſprach im Namen des Ausſchuſſes
Sanitätsrat Dr. Müller über die ſtädtiſche Finanz=
lage
. Ein wirklicher Ueberſchuß von 436 163 Mark der
ſtädtiſchen Rechnung beweiſt, daß die Finanzen der
Stadt äußerſt geſund ſind, was ſehr viele Städte in
dieſem Jahre nicht von ſich ſagen können. Stadtv.
Adelung regt an, die Vertreter der Preſſe mehr als
bisher über die ſtädtiſchen Abſichten zu unterrichten,
wenn es ſich auch um Dinge handele, die nicht in die
Oeffentlichkeit ſollen. Oberbürgermeiſter Dr. Göttel=
mann
ſagt dies zu. Für Wiederherſtellung des Kur=
fürſtlichen
Schloſſes wurden für die dritte Bauperiode
310000 Mark, und weiter 592 Mark bewilligt, um wel=
chen
Betrag der Voranſchlag für die zweite Bauperiode
überſchritten wurde.
Mainz, 13. Okt. Geſtern abend iſt es auch hier zu
wüſten Ausſchreitungen durch ausſtändige
Küfer gekommen, bei denen Schutzleute in empören=
der
Weiſe beläſtigt und mißhandelt worden ſind. Die
Schutzleute benahmen ſich ruhig und zurückhaltend;
trotzdem nahm eine raſch angewachſene Menge, unter
der ſich natürlich auch halbwüchſiges, verdorbenes Ge=
lichter
befand, gegen die Beamten Stellung, ſo daß
ſie in ernſte Gefahr gerieten. Bei der Firma
Falck auf der Kaiſerſtraße, die die 14tägige
Kündigung aufheben und ſofortige Kündigung ein=
führen
will, ſind die Küfer in den Ausſtand getreten,
ſo daß ihre Arbeit durch Arbeitswillige verſehen wer=
den
muß. Nachdem dieſe Leute ſchweren Beläſtigungen
ausgeſetzt waren, ſollten ſie geſtern abend vom Wacht=
meiſter
Löſch vom 4. Bezirk und den Schutzleuten
Nehring und Hahn heimbegleitet werden. Die Be=
amten
trugen Zivilkleider, um der Sache eip weniger
auffälliges Gepräge zu geben. Kaum waren ſie jedoch
mit den Arbeitswilligen auf der Straße, als ſich ihnen
eine ſchimpfende und gröhlende Menge anſchloß, aus
der ſich beſonders die Küfer Karl Enderle und Johann
Heilmann hervordrängten. Sie überſchütteten den
Kellermeiſter Joſeph König und den Küfer Bäder mit
wütenden Schimpfworten und machten Anſtalten, auf
ſie loszuſchlagen. Als die Schutzleute die Bedrängten
ſchützten, ſchlug Heilmann dem Schutzmann Nehring
mit der Fauſt ins Geſicht, ſo daß man zu ſeiner Feſt=
nahme
ſchritt. Nun aber ſchlug Enderle mit ſeinem
Kaffeekännchen auf die beiden Schutzleute und ver=
letzte
ſie mehrfach am Kopf und an der Hand, bis es
gelang, auch ihn feſtzunehmen. Während Wachtmeiſter
Löſch den beiden bedrängten Schutzleuten beiſprang,
ging die Menge gegen die Arbeitswilligen erneut vor,
ſo daß einer von ihnen mit ſeinem Revolver einen
Schreckſchuß in die Luft abgab. Erſt dann ließ man ſie
in Ruhe. (M. Tabl.)
Friedberg, 12. Okt. In der elektriſchen Anlage für
Kraft= und Lichterzeugung der Aktienzuckerfabrik fiel
der Riemen von dem 1,50 Meter hohen Schwungrad.
Hierbei wurde das etwa 12 Zentner ſchwere Rad voll=
ſtändig
zertrümmert. Bis zu einem halben Zent=
ner
ſchwere Teile durchſchlugen die Decke des Raumes:
Einzelne Stücke wurden bis auf den Bahndamm ge=
ſchleudert
. Die Fabrik war lange Zeit in Dunkelheit
gehüllt und mußte ſich mit Notlicht behelfen. Zum
Glück war niemand in dem Raume anweſend.
A Gonterskirchen (Kreis Schotten), 13. Okt. Unſer
Ort hat ſchon ſeit Jahren unter recht ſchlechten Waſſer=
verhältniſſen
zu leiden, und trotz mehrerer Typhus=
erkrankungen
wurde der Waſſerkalamität bis jetzt noch
nicht abgeholfen. Erſt nachdem in dieſem Sommer eine
neue Typhusepidemie ausgebrochen war und mehrere
Opfer gefordert hatte, beſchloß der hieſige Ortsvor=
ſtand
die Erbauung einer modernen Hochdruck=
waſſerleitung
. Die Quellen zu unſerer Waſſer=
leitung
befinden ſich in nächſter Nähe der Horloff=
quellen
am ſogenannten Jägerhaus an der Kreisſtraße
von Laubach nach Schotten und liegen ſo hoch, daß das
Waſſer mit natürlichem Gefälle dem Ortshochbehälter
zugeführt werden kann.
(*) Eberſtadt, 12. Okt. Daß die Faſanen einem
Jäger ins Haus fliegen, dürfte nicht alle Tage
vorkommen. Hier aber hat es ſich zugetragen. Bei
einem Landwirt und Jäger kehrte ein prächtiger
Faſanenhahn ein und ließ ſich auf dem Speicher nieder,
wo er gefangen wurde.

Großherzogliches Hoftheater.
Mittwoch, 12. Oktober.
Jugend‟
Wi-. Max Halbes Liebes= und Verführungstragödie
Jugend ging hier vor 8 Jahren zum erſten Male
in Szene und ſeitdem nicht wieder. An dieſe Aufführ=
ung
knüpfen ſich noch einige Reminiſzenzen. Es wird
erzählt, daß Prinz Heinrich von Preußen, der dieſer
Aufführung mit den Großherzoglichen Herrſchaften
beiwohnte, beim Verlaſſen des Theaters zu einer dem
letzteren naheſtehenden Perſönlichkeit geſagt habe:
Muß man denn ſo etwas aufführen? Jener Auf=
führung
wohnte auch der damalige Direktor des
Deutſchen Theaters in Berlin, Paul Lindau, bei, der
die in dem Stücke beſchäftigten Künſtler, Frl. Paula
Müller, die jetzt vielgefeierte Naive des Deutſchen
Volkstheaters in Wien, und Herrn Friedrich ſofort
für ſein Theater engagierte.
Wenn etwas über den peinlichen Eindruck des
ſonſt unleugbar ſehr bühnenwirkſamen und ſtim=
mungsvollen
Stückes hinweghelfen konnte, ſo war es
das ausgezeichnete Zuſammenſpiel und vor allem die
meiſterhafte Darſtellung der Rolle des Aennchen durch
Frl. Gothe, die wohl die beſte Leiſtung war, die wir
hier von ihr geſehen haben und die die Wieder=
einſtudierung
des Stückes rechtfertigte und das ſtarke
Intereſſe begreiflich machte, das es bei ſeiner Wieder=
aufführung
erweckte. Auch Herr Schneider, der
den Mulus, für den eine jugendliche Erſcheinung

Erfordernis iſt, auch äußerlich glaubwürdig ver=
körperte
, war mit der Darſtellung dieſer Rolle, bei der
er geſchickt und verſtändnisvoll alles unangebrachte
Tragiſch=Pathetiſche vermied, ſehr glücklich. So konnte
das Zuſammenſpiel beider als muſtergültig bezeichnet
werden.
Der Kaplan des Herrn Weſtermann wirkte
dadurch milder und verſöhnender, daß er ihn als einen
überzeugungstreuen Glaubensfanatiker und nicht als
Heuchler darſtellte. Die künſtleriſche Durchführung
der Rolle verdient warmes Lob. Der im Gegenſatz zu
dieſem jugendlichen Eiferer ſtehende duldſame und
gemütvolle alte Pfarrer Hoppe fand in Herrn Heinz
einen ſehr ſympathiſchen Vertreter. Die fürchterliche
Rolle des Idioten Amandus geſtaltete Herr Sem=
ler
ſo charakteriſtiſch aus, daß man glauben konnte,
er hätte Spezialſtudien in einer Irrenanſtalt gemacht.
Das Publikum nahm die Vorſtellung ſehr beifällig auf.
Hübſche und ſtimmungsvolle Beleuchtungseffekte
wurden, namentlich im 1. Akt, durch das ſeitlich herein=
fallende
Sonnenlicht erzielt.
Aus Kunſt, Wiſſenſchaft und Leben.
* Ein Reichsſchulmuſeum. Die Brüſſeler
Ausſtellung geht ihrem Ende entgegen. Einen wert=
vollen
Teil davon, die deutſche Unterrichtsausſtellung,
vor Auflöſung zu bewahren, iſt der lebhafteſte Wunſch
aller derer, die ein Intereſſe für die Schule haben. Im
Kultusminiſterium hat man deshalb den Gedanken,
der als Richtlinie bei allen Vorarbeiten für dieſe

Ausſtellung gedient hat, feſtgehalten, die Unterrichts=
ausſtellung
möglichſt als Ganzes für ein zukünftiges
Reichsſchulmuſeum ſo zu erhalten, wie es in Brüſſel
ſich darſtellt und wie es dort allgemein Anerkennung
und allgemeines Intereſſe gefunden hat. Der Ber=
liner
Gymnaſiallehrerverein hat dieſer Tage einen
Ausſchuß gewählt, welcher dafür tätig ſein ſoll, daß die
deutſche Unterrichtsausſtellung, ſo wie ſie iſt, nach
Berlin überführt werde. Es iſt lebhaft zu wünſchen,
daß die Arbeit dieſes Ausſchuſſes von gutem Erfolg
begleitet ſein möge. Es wäre ſehr zu bedauern, wenn
die wertvollen Ausſtellungsgegenſtände zerſtückelt und
zerſtreut würden. Es darf nicht wieder ſo gehen, wie
nach den Ausſtellungen von Chicago und St. Louis,
daß die Arbeit vieler tüchtiger Männer und reichlich
aufgewandte Mittel ſpurlos verloren gehen. Erhält
man die Brüſſeler Unterrichtsausſtellung, ſo iſt damit
ein Grundſtock geſichert, der zu einem Reichsſchul=
muſeum
anwachſen kann.
* Einen überaus intereſſanten ge=
ſchichtlichen
Fund hat man in Wittenberg
bei der Eröffnung der dem großen Turmknopf ent=
nommenen
Behältniſſe gemacht. U. a. fand man ein
eigenhändiges Schreiben Luthers vom Jahre 1530
und eins von Philipp Melanchthon vom Jahre
1556. Das Handſchreiben Luthers umfaßt drei Seiten;
auf der vierten wird die Echtheit des Lutherſchen
Originals beſtätigt. Das von Melanchthon herrührende
Schriftſtück hat ein Format von etwa 33X58 Zenti=
meter
und zeigt auf vollen vier Seiten ſeine charakte=
riſtiſche
Handſchrift.

[ ][  ][ ]

Seite 4.

Nummer 241.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 14. Oktober 1910.

Reich und Ausland.
Ans der Reichshauptſtadt, 12. Okt. Der frühere
Direktor des Berliner Lortzingtheaters, Max Ger=
ſon
, genannt Garriſon, wurde heute wegen Verleitung
eines Zeugen zum Meineid im Prozeß Ball, der vor
einiger Zeit wegen Selbſtmordes des Angeklagten Ball
abgebrochen werden mußte, zu einem Jahr Zucht=
haus
und drei Jahren Ehrverluſt verurteilt. Eine
Belohnung von 1000 Mark iſt auf die Er=
mittelung
einer Erpreſſerbande ausgeſetzt worden, die
ſeit drei Monaten den Hofmaler Fiſcher, Unter den
Linden, und deſſen Familie in der ſchamloſeſten Weiſe
beläſtigt und bedroht. Die Bande beleidigte zunächſt
durch den Fernſprecher den Maler auf das gröbſte und
ſtellte ihm alles mögliche in Ausſicht, wenn er nicht an
einem beſtimmten Orte eine verlangte Summe nieder=
lege
. Dann ging die Erpreſſerbande zu Briefen über.
Dieſe ſtellte ſie aus Buchſtaben und Worten zuſammen,
die ſie aus Zeitungen herausſchnitt und auf gewöhn=
liches
Einwickelpapier aufklebte. In dieſen Briefen
drohten ſie dem Maler mit Blenden, auch mit dem
Tode oder mit Rache an ſeiner Familie. In der erſten
Zeit ſteckten unbekannte Boten die Briefe in den Kaſten
des Ateliers, ſpäter kamen ſie durch die Poſt. Hiermit
noch nicht genug, ſandten die Erpreſſer in der letzten
Zeit auch noch Pakete mit unflätigem Inhalt nach dem
Atelier. Den Dieben iſt nichts heilig. Jetzt iſt
Kitty, eine kluge Polizeihündin, von Dieben entführt
worden. Das Tier ſollte verkauft werden und war ſeit
mehreren Tagen in der Laubenkolonie Donauthal in
Pflege gegeben worden. In der letzten Nachk iſt es nun
von unbekannten Einbrechern geſtohlen worden.
Kitty iſt eine Schäferhündin.
Wiesbaden, 13. Okt. Das Wiesb. Tagblatt ſchreibt:
Ein Gerücht, das lebhaft hier zirkuliert, will wiſſen,
das von Kreizners Erben im Zwangsverſteigerungs=
weg
erworbene Beſitztum Maurers Gartenanlagen
ſei bereits wieder an die Jeſuitenkongregation
verkauft worden, die hier eing Ordensniederlaſſung
begründen wolle. Die Familie Kreizner iſt eine ſtreng
katholiſche, und daher erſchien es auf den erſten Blick
glaublich, daß es mit dieſem Beſitzwechſel ſeine Rich=
tigkeit
habe. Wir haben uns aber bemüht, Genaueres
zu erfahren, und können daraufhin mitteilen, daß da=
von
an Stellen, welche es wiſſen müßten, nichts be=
kannt
iſt. Ueberdies müßten die Jeſuiten auch erſt die
ſtaatliche Genehmigung zu einer etwaigen Nieder=
laſſung
in Preußen haben. Offenbar hängt die Ent=
ſtehung
des Gerüchtes auch mit der Ausweiſung der
Jeſuiten aus Portugal zuſammen, die natürlich irgend=
wohin
ihre Zuflucht nehmen müſſen. Daß dabei auch
an Wiesbaden gedacht worden iſt, mag nicht ganz un=
wahrſcheinlich
ſein.
Hachenburg (Ober=Weſterwald), 13. Okt. Ein
ſchweres, durch Leichtſinn herbeigeführtes Auto=
mobilunglück
ereignete ſich heute nacht auf dem
Wege nach Ober=Hattert. Der frühere Rennfahrer
Henney von hier, der Sohn des Lederfabrikanten
Thewald, ſowie ein Angeſtellter der Fabrik trugen
eine Wette aus, wonach die Fahrt nach Ober=Hattert
und zurück in einem Zeitraum von wenigen Minuten
zurückgelegt werden ſollte. (!) Der Wagen ſtürzte bei
voller Geſchwindigkeit in einen Graben und wurde
vollſtändig zertrümmert. Thewald und der Angeſtellte
der Fabrik waren ſofort tot. Henney erlitt ſo
ſchwere Verletzungen, daß er kaum mit dem
Leben davonkommen dürfte.
Koblenz, 12. Okt. Das Schwurgericht verur=
teilte
nach einer Meldung der Koblenzer Zeitung den
zwanzigjährigen Peter Fänges aus Grenderich wegen
Ermordung ſeiner Stiefmutter zum Tode und wegen
vorſätzlichen Tötungsverſuches an ſeinem Vater zu
drei Jahren Zuchthaus.
Hannover, 12. Okt. Die in der fiskaliſchen Grube
bei Barſinghauſen verſchütteten 23 Bergleute
ſind heute nachmittag ſämtlich unverletzt zu=
tage
gefördert worden. Nach der Befrei=
ung
der Bergleute war der Jubel unbeſchreiblich.

Rührende Szenen ſpielten ſich vor dem Schachte
Hunderte begleiteten die Geretteten nach den Wohnun=
gen
in den nahegelegenen Dörfern.
Leipzig, 13. Okt. Der Mörder des Schutzmannes
Hentſchel, der ruſſiſche Revolutionär Oſolewski, hat
einen ganz anderen Namen, ſtammt aus Oeſterreichiſch=
Schleſien, und ſteht den anarchiſtiſchen Beſtrebungen
fern. Er iſt im Juni dieſes Jahres aus einer ſchleſi=
ſchen
Irrenanſtalt entflohen, in der er als gemeinge=
fährlicher
Geiſteskranker ſeit zwei Jahren unterge=
bracht
war.
Zittan, 13. Okt. Ein ſchweres Automobil=
unglück
hat ſich heute in der Nähe von Zittau er=
eignet
. Das Automobil des Fabrikbeſitzers Zücke aus
Zittau rannte gegen ein Fuhrwerk. Von den fünf
Inſaſſen wurde der Expedient Hoffmann getötet,
zwei andere leicht verletzt. Der Chauffeur wurde
verhaftet.
Köpenick, 12. Okt. Aus Anlaß einer regelmäßigen
Reviſion der Drogengeſchäfte ſpielte ſich hier eine auf=
regende
Revolver=Affäre ab. Als der medi=
ziniſche
Sachverſtändige in Begleitung eines Kriminal=
beamten
den Ladenraum eines Drögiſten revidiert
hatte und nach dem Lagerraum ſich begeben wollte, ver=
weigerte
der Drogiſt ihm den Zutritt. Als der Beamte
den Drogiſten daraufhin zur Seite ſchob, ließ dieſer
einen großen Hund auf den Beamten los, ſodaß letz=
terer
ſich gezwungen ſah, den Hund zu erſchießen.
Darauf ging der Drogiſt mit einem geladenen Revol=
ver
auf den Beamten los, und es gelang dem letzteren
mit Hilfe des Kriminalbeamten nur ſchwer, den Dro=
giſten
in Haft zu nehmen. Die Durchſuchung der
Lagerräume ſoll eine große Menge verbotener Sachen
zutage gefördert haben.
Beuthen (Oberſchleſien), 13. Okt. Amtlich. Geſtern
abend 8 Uhr 57 Minuten erfolgte in Kilometer 81,150
der Strecke Beuthen=(Oberſchleſien)=Chorzow unweit
der Blockſtelle Roßberg unter der Lokomotive des
Eilzuges 32 rechtsſeitig der äußeren Schiene mit
weit vernehmbarem, heftigem Knall eine Explo=
ſion
. Die Fenſterſcheiben des Führerſtandes der
Lolomotive, ſowie der folgende Packwagen an der
rechten Seite wurden durch heranfliegenden Stein=
ſchlag
und die Gleisbettung gleichzeitig zertrümmert.
Der Lokomotivführer wurde durch Glasſplitter am
Kopfe unerheblich verletzt, ſonſtige Verletzungen der
Reiſenden und des Zugperſonals, ſowie Beſchädigun=
gen
am Zuge ſind nicht entſtanden. Da das Gleis noch
betriebsfähig befunden wurde, fuhr der Eilzug, der
vom Führer ſofort zum Halten gebracht wor=
den
war, nach etwa zwei Minuten weiter. Die auf
die Meldung des Blockwärters der Blockſtelle Roßberg,
ſowie des Lokomotivführers vom Eilzuge ſeitens der
Eiſenbahn ſofort angeſtellte weitere Unterſuchung er=
gab
unzweifelhaft, daß ein Attentat auf den Eilzug
mit einer Dynamitpatrone beabſichtigt war.
Kuxhaven, 13. Okt. Der Kuxhavener Fiſcher=
dampfer
Senator Holthuſen iſt 150 See=
meilen
unterhalb Helgoland mit der ſchwediſchen Bark
Vaddes, mit Tonerde an Bord von Fowey nach
Stockholm, zuſammengeſtoßen. Die Bark wurde ſchwer
beſchädigt und ſank ſofort. Sieben Mann der Be=
ſatzung
, darunter der Kapitän und der Steuermann,
ſind ertrunken. Zwei Mann wurden gerettet und
nach Kuxhaven gebracht. Der Fiſcherdampfer befindet
ſich in Kuxhaven in Reparatur.
Hamburg, 13. Okt. Auf der Terraſſe des geſtern
hier eröffneten Cafés Marklof, das nach den Ent=
würfen
von Bruno Paul gebaut iſt, wird das Heine=
Denkmal aus Korfn in einer den Straßenpaſſanten
ſichtbaren Weiſe aufgeſtellt werden.
Hamburg, 13. Okt. Hier neckten mehrere Kinder
einen angetrunkenen Arbeiter, der einen Revolver
zog und auf die Kinder ſchoß; ein 15jähriger Junge,
Sohn eines Weichenſtellers, dem eine Kugel durch den
Kopf ging, wurde ſofort getötet.

.
Kunſtnotizen.
Aeber Werke, Künſtler und künſtleriſche Veranſtaltungen ꝛc., deren im Nach
ßeheuden Erwähnung geſchieht, behält ſich die Redaktion ihr Urteil vor.
Joan de Manén aus Barcelona, der Sara=
ſate
redivivus, der bei ſeinem erſten Darmſtädter Auf=
treten
in einem Hofmuſikkonzerte des vorigen Jahres
hier einen ſo ſenſationellen Erfolg hatte, wird am näch=
ſten
Donnerstag auf Einladung des Richard
Wagner=Vereins zum zweiten Male nach Darm=
ſtadt
kommen, um hier u. a. ſeine Glanznummer, Felix
Mendelsſohns Violinkonzert, zu ſpielen. Bei dem
außerordentlichen Andrange zu dieſem Konzertabend iſt
rechtzeitige Kartenbeſchaffung für alle Intereſſenten
dringend zu empfehlen.
Frl. Rita Sacchetto, die von ihrer nord=
amerikaniſchen
Tournee, die ſie durch alle bedeutenden
Städte Nordamerikas geführt, und in denen ſie Erfolge
erzielte, wie ſie wohl ſelten einer Künſtlerin zuteil
wurden, iſt bereits am 26. Mai wieder nach Europa.
znrückgekehrt, wo ſie zwei Tage ſpäter in Paris mit
einer Serie von Abenden ihre europäiſche Tätigkeit
einſetzte. Frl. Sacchettos diesjährige Tournee erſtreckr
ſich über ganz Europa, Rußland, Balkan, Aegypten,
Skandinavien. Während ihrer deutſchen Tourneee, die
ſich von Oktober bis Dezember erſtreckt, wird ſie auch
in Darmſtadt in einem Konzert im ſtädtiſchen Saal=
bau
am Freitag, den 21. Oktober, auftreten.
Das Programm iſt dasſelbe, welches in verſchiedener
Ländern das größte Aufſehen erregte, insbeſondere in
Portugal und Spanien, in Anweſenheit des Königs
und des geſamten königlichen Hofes.

Parlamentariſches.
* Der Zweiten Kammer iſt folgende Regie=
rungsvorlage
, betreffend Verkauf des dem
Familieneigentum des Großh. Hauſes
gehörigen Hofgutes Boxheimer Hof in
der Gemarkung Bürſtadt, zugegangen. Für
das Hofgut Boxheimer Hof in der Gemarkung Bür=
ſtadt
war in dieſem Jahre ein Kaufliebhaber aufge=
treten
, deſſen Vorfahren auf dieſem Gute anſäſſig=
waren
und der, wie er betonte, aus Familienſinn den
Wiedererwerb beabſichtigte. Da der rauhe Ertrag des
rund 124 Hektar großen Gutes zurzeit nur 6717,22 Mark
beträgt, auch für die mit dem 16. Nov. 1913 beginnnende
neue Pachtzeit auf Eingang einer höheren Pacht
als 8500 bis 9000 Mark nicht gerechnet werden konnte,
ſo erſchien es angezeigt, die Gelegenheit zum Verkauf
des Gutes zu dem von dem Kaufliebhaber gebotenen
Preis von 330000 Mark nicht unbenutzt zu laſſen. Als
der Pächter des Gutes von dem beabſichtigten Verkauf=
Kenntnis erhielt, entſchloß er ſich, ein um 30000 Mark
höheres Gebot einzulegen. Der erſte Kaufliebhaber
lehnte es hierauf ab, ſein Gebot zu erhöhen, ſo daß nur
der Verkauf an den Pächter zum Preiſe von 360000
Mark in Frage kommen kann. Dieſer Verkauf iſt
finanziell vorteilhaft, denn der Zinſenertrag der Kauf=
ſumme
iſt erheblich größer als die nach Abzug der von
dem Verpächter zu tragenden Gutslaſten an Steuern,
Bauunterhaltung uſw. verbleibende reine Gutsrente
betragen würde. Da zudem für die Erhaltung des
Gutes in fiskaliſchem Beſitz keinerlei volkswirtſchaft=
liche
Gründe vorliegen, wurde vorbehaltlich der Ge=
nehmigung
Kaufvertrag mit dem Pächter Schudt abge=
ſchloſſen
. Der Eigentumsübergang und die Uebergabe
des Gutes ſoll nach Ablauf der Pachtzeit am 16. No=
vember
1913 ſtattfinden. Mit Ermächtigung Sr. König=
lichen
Hoheit des Großherzogs richtet daher das Mini=
ſterium
der Finanzen an die Stände des Großherzog=
tums
das Anſinnen, zu dem Verkauf des Hofgutes
Boxheimer Hof um den Preis von 360000 Mark die
verfaſſungsmäßige Zuſtimmung zu erteilen.

Luftſchiffahrt.
sr. Der vierte Tag der nationalen Ber=
liner
Flugwoche war trotz der ungünſtigen
Vorausſagen doch wiederum recht vom Wetter begün=

Kleines Feuilleton.

C Das erſte Radrennen in Darmſtadt.
In der Notiz über das Inbiläum des Herrn M.
Anſpach iſt daran erinnert worden, daß er das erſte
Radrennen in Darmſtadt arrangiert hat. Man teilt
uns hierzu noch folgendes mit: Von Zement=, Holz=
oder
geteerten runden Bahnen mit Kurvenerhöhungen,
Tribünen und dergleichen kannte man natürlich da=
mals
noch nichts, ebenſo wenig, wie man Bahnrenn=
räder
16 Pfund ſchwer, mit Holzfelgen, tiefgebogener
Lenkſtange, 90120 Ueberſetzung, oder wie man
gar Schrittmachermotore kannte. Das alles, was die
heutigen Rennfahrer als ſelbſtverſtändlich hinnehmen
und für unentbehrlich halten, gabs damals noch nicht.
Gerannt wurde auf Hochrädern mit Vollgummi
und die Rennbahn war der Marienplatz, den man
dadurch vergrößerte und verbeſſerte, daß man die Ver=
tiefungen
und Regengoſſen mit Sand ausfüllen und
feſtſtampfen ließ. Was es aber auch damals ſchon gab,
das waren die Zaungäſte. Die Heinerbuben und
ſonſtige Leute, die gerne ein hübſches Schauſpiel ſehen,
ohne dafür Eintrittsgeld zu zahlen. Darum mußte
der Platz Unberufenen den Einblick erſchweren oder
unmöglich machen. Das geſchah durch eine gewaltig
große Segelleinwand, die man um den ganzen Platz
ſpannte; und es ſpricht für das große Intereſſe, das
der Hof den ſportlichen Veranſtaltungen der Reſi=
denz
entgegenbrachte, daß dieſe Segelleinwand aus
dem Jagdſchloß Kranichſtein durch das Hof=
marſchallamt
ſelbſtlos zur Verfügung geſtellt
wurde. Die Heinerbuben aber waren auch damals
ſchon ſo brav, wie ſie heute ſind. Um ihren Obolus
zu ſparen und doch das Rennen zu ſehen, griffen ſie
zu einem ebenſo einfachen, wie draſtiſchen Ausweg:
ſie ſchnitten ſich Löcher in das Segeltuch. Das hatte

natürlich als dieſe Löcher ſich ſichtbar mehrten
zur Folge, daß das Hofmarſchallamt bedauerte, die
teure Leinwand nicht mehr herleihen zu können. Man
mußte auf andere Mittel ſinnen und nach und nach
kamen dann die Rennbahnen. Das iſt erſt wenig
mehr als zwei Jahrzehnte her. Welch gewaltiger Um=
ſchwung
ſich in dieſer kurzen Zeit im Radrennſport
vollzogen und welch koloſſale Ausdehnung er genom=
men
, iſt bekannt. Die erſten Darmſtädter Rennfahrer
waren die Herren Rudolf Lyncker und Albert
Schmitt. Erſterer iſt bekanntlich noch heute eifriger
Anhänger des Radrennſports, er leitet die meiſten
Rennen auf der Rennbahn. Neben anderen nahm
auch Herr Kleyer aus Frankfurt a. M., der heutige
Direktor der Adlerwerke, am erſten Rennen in Darm=
ſtadt
teil. Uebrigens hatten dieſe erſten Rennen den
heutigen auch etwas voraus: man erzielte
Ueberſchüſſe. Das war 1886. Es iſt lange her!

Der Luxus im Bade. Einer der wichtig=
ſten
Programmpunkte in der langen Kette von mehr
oder minder geheimnisvollen Hantierungen und
Pflichten, die die moderne Dame unter dem Begriff=
Toilette machen zuſammenfaßt, iſt das tägliche Mor=
genbad
, in dem die Schöne nach dem Schlummer ihre
Glieder erfriſcht. Während ſich die Engländerin aber
mit dem einfachen Waſſerbade begnügt und die Fran=
zöſin
es gern bei einer aromatiſchen Abwaſchung be=
wenden
läßt, haben die reichen Amerikanerinnen das
tägliche Bad zu einer geheimnisvollen Handlung er=
hoben
, in der Geſchmack, Raffinement, Luxus und
nicht zum mindeſten auch der überlaſtete Geldbeutel
ſich ausleben dürfen. Als kürzlich bekannt wurde, daß
der greiſe Rockefeller in Whiskybädern Stärkung ſeines
altersgeſchwächten Leibes ſuche, brachten amerikaniſche
Blätter ausführliche Beſchreibungen dieſes Bades und
ergingen ſich in phantaſtiſchen Betrachtungen über die
Rieſenſummen, die der reichſte Mann der Welt fortan
in Whisky verbaden werde. Dabei handelt es ſich
natürlich nur um Bäder, denen ein beſchränktes Quan=
tum
Whisky zugeſetzt wird und bei denen die Einreib=
ung
mit dem alkoholiſchen Stoffe die Hauptrolle ſpielt.
In Wirklichkeit iſt dieſer Luxus des alten Rocke=
feller
ärmlich und dürftig gegenüber den Unſummen,
die bekannte amerikaniſche Schönheiten für ihre Mor=
genbäder
verwenden. Eine in New=York bekannte
Schauſpielerin nimmt den ganzen Sommer über
Bäder, die ein kleines Vermögen verſchlingen, denn
ſie beſtehen aus Seewaſſer, Milch und koſtbarer Roſen=
eſſenz
. Sie ſelbſt führt die Aufſicht, wenn das Bad in
der prachtvoll geſchnitzten Eichenwanne bereitet wird,
und Gnade der Zofe, die bei der Miſchung einen hal=
ben
Liter Milch zu viel oder einen Tropfen Roſen=
eſſenz
zu wenig in die Wanne laufen läßt. Roſen=
waſſerbäder
ſind in den vornehmen amerikaniſchen
Geſellſchaftskreiſen an der Tagesordnung. Aber die
Zahl derer, die ſich ſolchen Luxus leiſten können, iſt
nicht allzu groß, denn dieſe Bäder verſchlingen bei
täglichem Gebrauch ein Vermögen, von dem eine ganze
Reihe von Familien jahrelang leben könnte. Eine
berühmte amerikaniſche Schönheit, ſo weiß eine eng=
liſche
Wochenſchrift zu berichten, erklärt nicht ohne
naiven Stolz, daß ſie jährlich 100000 Mark für ihre
Bäder aufwende, und die Rechnungen des Eſſenz=
lieferanten
beſtätigen dieſe Behauptung durchaus.
Aber die ſelbſtbewußte Amerikanerin wird doch von
einer Dame der hohen europäiſchen Ariſtokratie über=
boten
; dieſe Anhängerin des aromatiſchen Bades läßt
das Waſſer durch koſtbare Parmaveilcheneſſenz ver=
edeln
. Doch ſie begnügt ſich dabei nicht mit einigen
Tropfen, das Bad wird ſo ſtark parfümiert, daß die
Dame auf den weiteren Gebrauch von Parfüm über=
haupt
verzichten kann. Die Eſſenz wird an der Ri=

viera beſonders hergeſtellt und kommt in verſiegelten
Krügen; die Jahresrechnung beträgt mehr als 140000
Mark. Daneben erſcheint Sarah Bernhardt beſcheiden,
denn die große Tragödin hat eine beſondere Vorliebe
für eine Kombination von Seewaſſer und Eau de Co=
logne
, die ihrer Anſicht nach ſo erfriſchend und ver=
jüngend
wirkt, wie keine andere Zuſammenſtellung.
In New=York iſt zurzeit eine Badeanſtalt im Bau,
die auch weiteren Kreiſen Gelegenheit bieten ſoll, ſich
den luxuriöſen Badebedürfniſſen der Weltdamen an=
zuſchließen
. Hier ſegelt der Luxus freilich unter der
Flagge der Heilkunde, denn die Bäder ſollen als
Mittel gegen nervöſe Leiden verabreicht werden. Die
nervöſe Schöne mag dann ihre übermüdeten Glieder
in ein Bad tauchen, das aus Waſſer beſteht, in dem, je
nach der Krankheit der Patientin, große Mengen
von Roſen, Lilien, Veilchen oder anderen duftenden
Blumen regelrecht gekocht ſind. Vorausſetzung wird
freilich ſein, daß man vorher an der Kaſſe ein kleines
Goldſtück deponiert. Aber dieſe Bäder ſind immerhin
noch billig im Vergleich mit dem Newport Beauty
Bath das bei den Millionärsgattinnen der Neuen
Welt beſonders modern iſt. Hier wird nicht weniger
als eine halbe Flaſche, faſt ein halber Liter, feinſter
Lilieneſſenz dem Waſſer zugeſetzt.
* Die Stadt des Telephons ſo könnte
man New=York mit vollem Rechte nennen, denn es
wird wohl in keiner anderen Stadt der Welt mehr
telephoniert als in dieſer Rieſenkarawanſerei. Aus
den jüngſten Veröffentlichungen des Verbandes New=
Yorker Telephonabonnenten erfährt man, daß vor
dreißig Jahren das Telephonadreßbuch der Stadt nur
252 Namen aufwies; heute ſetzt es ſich aus 800 eng be=
druckten
Seiten zuſammen. Vor dreißig Jahren be=
ſaß
die Stadt nur ein einziges Teléphonamt; heute
hat ſie deren 85, in welchen 5000 Telephoniſtinnen ar=
beiten
. Das größte dieſer Aemter hat mehr Telephon=
abonnenten
als Griechenland und Bulgarien zu=
ſammen
. Ruhepauſen kennt das ungeheure Telephon=
netz
von New=York überhaupt nicht; die wenigſte Ar=
beit
hat es zwiſchen 3 und 4 Uhr morgens in dieſem
Zeitraum werden in der Minute nur zehn Verbind=
ungen
verlangt. Zwiſchen 5 und 6 Uhr morgens be=
nutzen
ſchon 2000 New=Yorker das Telephon. Eine
halbe Stunde ſpäter hat ſich die Zahl der Verbind=
ungen
ſchon verdoppelt. Zwiſchen 7 und 8 Uhr ſtören
25000 Perſonen das erſte Frühſtück 25000 anderer Per=
ſonen
. Um 8 Uhr 30 Minuten überſteigen die ver=
langten
Verbindungen die Zahl 150000. Der größte
Telephonverkehr herrſcht zwiſchen 11 und 12 Uhr vor=
mittags
; in dieſer Zeit werden 180000 Verbindungen
verlangt und hergeſtellt.

[ ][  ][ ]

Nummer 241.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 14. Oktober 1910

Seite 5.

ſtigt, ſo daß es ſpannende Kämpfe für die Zuſchauer,
die ſich zahlreich eingefunden hatten, zu ſehen gab.
Lindpaintner (Sommer), Wieneziers ( Blé=
riot
) und Jeannin (Aviatik) ſtarteten als erſte im
Wettbewerb um den Großen Preis des Kriegsminiſte=
riums
, den täglichen Dauerpreis und Höhenpreis.
Dann trat eine kleine Pauſe ein, bis ſich Dorner
(Dorner) für den Dauerpreis und den Paſſagierpreis
einſchreiben ließ. Kurz vor ½4 Uhr ſtartete noch
Brunhuber (Albatros) mit einem Paſſagier an
Bord, ſpäter traten noch Mente (Wright), Otto
(Aviatik), Grade (Grade) und einige andere Aviatikex=
in
Aktion. Den beſten Dauerpreis des Tages erzielte
Brunhuber mit 1 Std. 46 Min., und da der Flug mit
einem Paſſagier ausgeführt worden war, gewann er
auch den Zuſatzpreis der Motorluftſchiff=Studien= Ge=
ſellſchaft
. Der zweite Dauerpreis fiel an Lindpaintner
mit 1 Std. 37 Min. Wiencziers flog 1:06 und ſpäter
noch einmal kürzere Zeit mit einem Hanriot=Eindecker.
Jeannin brachte es nur auf 1:01, da er außerhalb des
Flugplatzes landen mußte, weil die Oelzufuhr ſeines
Motors verſehentlich abgeſtellt worden war. Er ſtieg
jedoch ſpäter an der Landungsſtelle wieder auf und er=
reichte
glücklich den Flugplatz. Jeannin hatte dagegen
die beſte Höhenflugleiſtung des Tages mit 770 Metern
zu verzeichnen, während Lindpaintner es auf 415 Meter
brachte. In dem Wettbewerb um den kürzeſten Anlauf
erzielte Mente (Wright) die beſte Leiſtung mit 37,05
Meter Anlauf.
Kurz nach 4 Uhr traf, wie ſchon gemeldet, der
Parſevalballon P Vl von ſeiner Fahrt von
Bitterfeld auf dem Flugplatze ein. Er war dort um
12 Uhr aufgeſtiegen und eigentlich ſchon um 3 Uhr er=
wartet
worden. Da der Ballon aber kurz hinter
Wittenberg Propellerbruch erlitt und die Strecke von
dort aus nur mit einem Propeller unter ſchwierigen
Verhältniſſen zurücklegen konnte, verzögerte ſich ſein
Eintreffen. Hauptmann von Kehler überreichte dem
bewährten Führer des Ballons, Oberleutnant Stelling,
einen großen Lorbeerkranz. Mit dem Ballon ſollen
bekanntlich einige Paſſagierfahrten unternommen
werden, wie ſie ſchon ähnlich in München ausgeführt
wurden.

Vom Hoflager in Friedberg.
* Nachdem der Zar und der Großherzog von
Heſſen am Mittwoch im Engliſchen Hof zu Frank=
furt
apart den Lunch eingenommen hatten, begaben ſie
ſich um 2 Uhr zu Fuß in die Stadt, um verſchiedene
Einkäufe zu machen. Sie weilten längere Zeit bei der
Firma Hofjuwelier Robert Koch, Kaiſerſtraße, gingen
dann nach dem Frankfurter Hof, wohin die Autos be=
fohlen
worden waren und fuhren dann nach der Firma
Bing jun. u. Co. Nach Aſtündigem Aufenthalt be=
ſtiegen
die Herrſchaften wieder die Autos, um nach dem
Engliſchen Hof zurückzukehren. Die Rückfahrt nach
Friedberg erfolgte kurz nach 4 Uhr. Nach 5 Uhr trafen
die Herrſchaften wieder in Friedberg ein.
Der Frankf. Generalanzeiger berichtet über öden
Aufenthalt des Zaren und des Großherzogs in Frank=
furt
noch: Es war 2 Uhr, als die vier Herren das Hotel
durch die Küche verließen! Die Veranlaſſung,
dieſen ungewöhnlichen Weg zu nehmen, lag wohl
darin, daß die Herren befürchteten, beim Verlaſſen des
Hotels durch das Hauptportal erkannt und begleitet
zu werden. Die Abſicht, möglichſt allein zu bleiben,
gelang ihnen allerdings nur für wenige Minuten,
denn kaum hatten ſie den Engliſchen Hof durch einen
Seitenausgang in der Kaiſerſtraße verlaſſen, als der
hier ſo populäre Großherzog erkannt wurde. Der nahe=
liegende
Schluß, daß ſich der Zar in dieſem Falle nicht
weit davon befinden würde, hatte zur Folge, daß ſich
vor dem Juwelengeſchäft von Robert Koch in der Kai=
ſerſtraße
wo die Herren zunächſt abſtiegen raſch
eine große Menge Neugieriger ſammelte. Gegen ¾3
Uhr beſtieg man wieder das Auto des Großherzogs,
und nun begann eine größere Spazierfahrt, die wohl
lediglich den Zweck hatte, den dichten Schwarm der
Mitläufer los zu werden. Sie endete in der Gallus=
gaſſe
vor der Paſſage. Die vier Herren paſſierten die=
ſen
Durchgang zu Fuß mit dem Großherzog an der
Spitze, bogen in die Kaiſerſtraße ein und betraten raſch
und vollſtändig vom Publikum ungeſehen das Porzel=
lanſpezialgeſchäft
von Bing jun. u. Co. Den Herren
ſchien es recht gut zu gefallen in dem geſchmackvoll
arrangierten Allerlei von Kunſt=, Zier= und Gebrauchs=
gegenſtänden
, denn ſie brauchten eine gute Stunde, bis
ſie Alles gemuſtert, geprüft und gewählt hatten. In
dem weiten Ausſtellungsraum gab es faſt kein be=
merkenswerteres
Stück, das man nicht eingehend be=
trachtete
und bald von dieſem, bald von jenem Tiſche
wurde ein Gegenſtand als gekauft zurückgeſtellt. Das
Hauptintereſſe wandte man den Glasſachen zu, von
denen eine anſehnliche Zahl erworben wurde; beſon=
ders
bevorzugt wurden die franzöſchen aparten Fabri=
kate
von Despret, Kunſtgläſer und elektriſche Tiſch=
lampen
von Daume und Glaskompoſitionen von Gallé;
daneben Kopenhagener Figuren und Teller aus der
Königlichen Manufaktur und von Bing, ſowie einige
Meißener und Berliner beſonders ſchöne Exemplare.
Einige kleinere Sachen, die für die jungen ruſſiſchen
Großfürſtinnen beſtimmt waren, nahmen die Herren
ſofort mit. Der Großherzog kaufte für ſeine Gemah=
lin
eine prächtige Daumeſche Chryſanthemen=Vaſe.
Der Geſchäftsinhaber, Herr Buſeck, der die hohen Kun=
den
ſelbſt bediente, hatte während des Aufenthalts der
fürſtlichen Käufer im Geſchäft einen jungen Mann vor
die Ladentüre poſtiert, um andere Käufer mit einem
Worte der Entſchuldigung fern zu halten. Doch wurde
dieſer Poſten auf Wunſch der Herren zurückgezogen,
und in der Tat beſuchten während dieſer Stunde eine
ganze Reihe von Damen und Herren das Geſchäft,
ohne eine Ahnung zu haben, neben wem ſie ſtanden.
Gegen 4 Uhr forderte der Großherzog mit einem viel=
ſagenden
Blick auf das allmählich aufmerkſam gewordene
Publikum mit den Worten: Aber jetzt fort! zum Wei=
tergehen
auf. Das Auto hatte man nicht vor dem Ge=
ſchäftshauſe
, ſondern an der Ecke der Kirchnerſtraße
halten laſſen, bis wohin die Herren zu Fuß gingen.
Von da aus fuhren ſie ins Hotel Engliſcher Hof zu=
rück
, riefen telephoniſch das zweite, in einer Garage
untergebrachte ruſſiſche Auto herbei und fuhren nach
einem Aufenthalt von wenigen Minuten nach Fried=
berg
zurück. Ein Beſuch des Palmengartens, der ur=
ſprünglich
geplant war, fiel aus.
Im Schloſſe Friedberg haben, der Darmſt. Ztg. zu=
folge
, Wohnung genommen: Madame Wiruboff aus
Rußland, ſowie die Ehrendame Freiin von Bellers=
heim
. Prinz Heinrich von Preußen traf
Mittwoch abend 6 Uhr im Auto aus Bremen ein. Am
Donnerstag reiſten die Prinzeſſin Ludwig von
Battenberg, Prinzeſſin Luiſe und die Hofdame Miß
Kerr nach Heiligenberg ab. Dort wird, wie bereits
gemeldet, die Großfürſtin Sergius zum Beſuch er=
wartet
.

Der Ausſtand der franzöſiſchen Eiſenbahn=
Bedienſteten.
* Metz, 13. Okt. Bis heute früh 8 Uhr hatte ſich
der Verkehr mit Frankreich in normaler
Weiſe abgewickelt. Sämtliche Züge ſind fahrplan=
mäßig
eingetroffen.
* Köln, 12. Okt. Infolge der Arbeitseinſtellung
bei der franzöſiſchen Nordbahn iſt der Perſonen=
verkehr
über deren Linien vorläufig geſperrt.
Auf den belgiſchen Linien verkehren die Perſonenzüge
bis und von der Grenzſtation Erquelinnes.
* Paris, 12. Okt. Miniſterpräſident Briand
kam mit dem Verkehrsminiſter und dem Kriegsmini=
ſter
überein, daß durch die Ausdehnung der Ausſtands=
bewegung
noch eine Reihe weiterer Maß=
nahmen
erforderlich geworden iſt. Ferner hatte
der Miniſterpräſident mit dem Juſtizminiſter, dem
Oberſtaatsanwalt, dem Staatsanwalt und dem Chef
der Kriminalpolizei eine Beſprechung, um vom allge=
meinen
Geſichtspunkte aus die Frage der Verantwort=
lichkeiten
für den Ausſtand zu prüfen. Die Maß=
regeln
, die ſich aus dieſer Prüfung ergeben haben, ſind
getroffen worden.
Die Direktion der Oſtbahn erklärt in einer
öffentlichen Bekanntmachung unter anderem: Das
Publikum wird nicht begreifen, warum es das Opfer
der üblen Laune der Eiſenbahner geworden iſt. Es
wird noch viel ſtrenger jede Ausſtandsbewegung auf
dem Oſtbahnnetz verurteilen, das das Grenznetz iſt,
auf deſſen Bedienſteten die größte Verantwortung
dem Lande gegenüber laſtet. Zum Schluß wird er=
klärt
, daß alle Eiſenbahner, die den Dienſt ver=
weigern
ſollten, unverzüglich entlaſſen wer=
den
ſollen.
Es beſtätigt ſich, daß infolge der Zwiſchenfälle bei
dem Ausſtande der Eiſenbahnangeſtellten eine gewiſſe
Zahl von Haftbefehlen erlaſſen worden iſt,
welche morgen vormittag zur Ausführung gelangen
ſollen. Die von der Verhaftung bebrohten
Streikführer begaben ſich um 2 Uhr nachts in
Begleitung von zwanzig Eiſenbahnern, ſozialiſtiſchen
Deputierten und Advokaten nach dem Redaktions=
bureau
der Humanité. Der Streikausſchuß
gibt dies in einem Aufruf bekannt. Der Polizeipräfekt
Lepine mit dem Sicherheitschef Hamard, zwei Kom=
miſſaren
, ſowie einigen Sicherheitsbeamten erſchienen
darauf am Donnerstag vormittag im Redaktionslokal
der Humanité und verhafteten 5 Streikführer,
die ſich dorthin geflüchtet hatten. Die Deputierten
Jaurés und Vaillant proteſtierten lebhaft gegen die
Verhaftung der 5 Herren. Der Polizeipräfekt er=
widerte
ihnen aber: Wir kennen dieſe Redensarten
ſeit langem, laſſen Sie uns unſere Pflicht erfüllen.
Ein großes Polizejaufgebot hatte die enge
Straße, in der die Redaktionslokale liegen, abgeſperrt.
Die Verhafteten wurden in einem Automobil
nach der Präfektur gebracht. Man erwartet
infolge der Verhaſtung für heute abend große Kund=
gebungen
. Jaurés rechnet in der heutigen Humanité
ſehr ſcharf mit ſeinem ehemaligen Geſinnungsgenoſſen,
dem jetzigen Miniſterpräſidenten Briand, ab.
Privatunternehmer haben einen Automobil=
verkehr
nach den Großſtädten Oſt= und Weſt=
frankreichs
eingerichtet, doch wird derſelbe wegen
der übermäßigen Preiſe nur wenig in Anſpruch ge=
nommen
. Ein Amerikaner zahlte einem Automobil=
chauffeur
für die Fahrt von Boulogne=ſur=Mer 3000
Francs. Eine der Fragen, welche die Regierung
gegenwärtig am meiſten beſchäftigt, iſt die der Ver=
proviantierung
von Paris. Es heißt, daß
hierzu vor allem die Waſſerwege benutzt werden ſollen,
und daß die Schiffahrtsbehörden mit dem Kriegs=
miniſterium
zu dieſem Behufe bereits einen detaillier=
ten
Plan ausgearbeitet haben. Einzelne Lebensmittel,
namentlich Eier, Milch und Butter, haben weiter eine
Preisſteigerung von etwa 20 Prozent erfahren.
In der Bevölkerung gibt ſich auch in dieſer Hinſicht leb=
hafte
Beunruhigung kund und die großen Geſchäfte ſind
mit Kunden überfüllt, welche ſich für längere Zeit mit
Nahrungsmitteln verſorgen wollen.
* Paris, 12. Okt. Das Amtsblatt wird morgen
einen Erlaß veröffentlichen, durch den vom 14. Oktober
an die Beamten aller Bahnen, ausgenommen
der Südbahn, ſoweit ſie wehrpflichtig ſind, auf 21 Tage
zum Militär einberufen werden. Der
Streikausſchuß ließ heute nacht einen Aufruf
anſchlagen, in dem es heißt: Die Mobiliſierungs=
order
ſei nicht nur eine ungeſetzliche, ſondern auch
eine vergebliche Maßnahme, da die Einberufenen in
Friedenszeiten eine vierzehntägige Friſt hätten, um
dem Mbiliſierungsbefehl zu entſprechen. Kein Eiſen=
bahner
werde dem Befehl nachkommen. Eine ſtark be=
ſuchte
Verſammlung der Eiſenbahner in der Arbeits=
börſe
faßte eine Proteſtreſolution gegen die mili=
täriſche
Einberufung der Eiſenbahner und be=
ſchloß
, dieſem Befehl nicht zu gehorchen. Einen
gleichen Beſchluß faßte eine von 4000 Eiſenbahnern be=
ſuchte
Verſammlung in Lille.
* Paris, 12. Okt. Heute nachmittag 1½ Uhr ver=
ließen
alle Heizer den Invalidenbahnhof. Der
Zugverkehr iſt infolgedeſſen eingeſtellt, der Bahn=
hof
geſchloſſen. Auch auf dem Bahnhof St. Lazare iſt der
Zugverkehr eingeſtellt. Die Telegraphen= und Telephon=
linien
ſind durchſchnitten. Der Invalidenbahnhof und der
Bahnhof St. Lazare gehören zum Netze der ſtaatlichen
Weſtbahn. Die Nordbahngeſellſchaft hat ungefähr 30 Be=
amte
entlaſſen.
* Paris, 13. Okt. Die Compagnie Trans=
atlantique
hat Maßnahmen getroffen, um die Reiſen=
den
, die ſich übermorgen in Havre nach New=York ein=
ſchiffen
wollen, auf dem Flußweg befördern zu laſſen.
* Paris, 13. Okt. Das Syndikat der ſtädti=
ſchen
Untergrundbahn=Bedienſteten und
=Arbeiter erklärte in einer heute nacht abgehaltenen
Verſammlung, daß zur Verwirklichung ſeiner Forderungen
nur der Geſamtausſtand übrig bleibe. Die Führer
des Syndikates wurden beauftragt, zur Erteilung des
Streikbefehles die ihnen geeignet erſcheinende Stunde zu
beſtimmen.
* Paris, 13. Okt. Die Maurer beſchloſſen heute
nacht, die Antwort der Unternehmer auf ihre Forderungen
nicht mehr abzuwarten, ſondern ſofort in den Aus=
ſtand
zu treten.
H. B. Brüſſel, 13. Okt. Die Rückwir=
k
ung des fran zöſiſchen Eiſenbah=
ner
ausſtan des auf die belgiſchen
Bahnen macht ſich heute bereits ſtärker fühlbar. Die
franzöſiſche Nordbahn hat die Kohlenbeſtellung, welche ſie
bei den belgiſchen Gruben machte, eingeſtellt. Andererſeits
konnten die franzöſiſchen Hochöfen in Hautmont, Louvroil
und Souslebois, welche ihr Heizmaterial aus Belgien be=
ziehen
, ihren Betrieb nicht aufrecht erhalten Die fran=
zöſiſche
Nordbahn hat den belgiſchen Staatsbahnen ihr ge=
lamtes
rollendes Material zur Verkügung=geſtellt. Die bel=

giſchen Staatsbahnen brauchen augenblicklich eine große
Menge Wagen. Die Kohlenausfuhr nach Frankreich wurde
größtenteils eingeſtellt. Viele mit Kohlen beladene Wagen
können die Grenze nicht paſſieren und ſtauen ſich infolge=
deſſen
an den Grenzbahnhöfen an. Automobile, die Per=
ſonen
befördern, treffen andauernd aus PParis in Charleroi
und Mons ein. In Maubeuge wurden auf einen belgiſchen
Lokomotivführer Schüſſe abgefeuert, der einen Zug von
Charleroi nach Frankreich führte. Die noch nach Frankreich
abgehenden Züge werden von Gendarmen begleitet.
* Paris, 13. Okt. Auf der Oſtbahn wickelt
ſich der Verkehr in ganz normaler Weiſe ab.
Viele Bahnbedienſteten tragen weiße Armbinden als
Zeichen der Mobiliſierung. Im ganzen ſind bei der
Oſtbahn nur 120 Eiſenbahner in den Ausſtand getre=
ten
. Der Oſtbahnhof wird militäriſch überwacht, da
man Gewalttätigkeiten ſeitens der Streikenden der an=
deren
Bahnen befürchtet. Es heißt, der Miniſter der
öffentlichen Arbeiten habe im Einvernehmen mit dem
Miniſterpräſidenten die arbeitswilligen Lokomotivfüh=
rer
und Heizer ermächtigt, ſich zu bewaffnen, damit
ſie ſich gegen etwaige Angriffe ſeitens der Ausſtändi=
gen
ſchützen können.
* Paris, 13. Okt. Die Situation war um 9½
Uhr folgende: Auf der Orleans=Bahn verlief der Dienſt
normal; nur ganz wenige Angeſtellte traten den Dienſt
nicht an. Auf dem Orſay=Bahnhof der Paris-Lyon-
Mittelmeer=Bahn wickelte ſich der Verkehr abends und
während der Nachtſtunden in normaler Weiſe ab; einige
Maſchiniſten fehlten. Alle Schnellzüge wurden abgelaſſen;
drei Vorortszüge fielen aus. Auf dem Bahnhof St. Lazare
ſind ſeit 11 Uhr abends 9 Züge eingetroffen.

Die Revolution in Portugal.
* Liſſabon, 13. Okt. Der portugieſiſche
Geſandte beim Quirinal hat demiſſioniert.
Die Regierung beſchloß, die Geſandtſchaft beim Vatikan
aufzuheben. Die Regierung hat geſtern eine Note der
braſilianiſchen Regierung erhalten, worin dieſe die
neue Republik anerkennt. Dieſe Note wurde ſofort
veröffentlicht.
* Paris, 13. Okt. Der Sonderberichterſtatter
des Matin hatte eine Unterredung mit dem nach
Liſſabon zurückgekehrten Kapitän der Jacht Ame=
lia
auf der ſich die portugieſiſche Königsfamilie nach
Gibraltar geflüchtet hatte. Der Kapitän erzählte
unter anderem: Das Schiff nahm zunächſt eine nord=
weſtliche
=Richtung. Der König hatte nämlich erklärt,
daß er nach Oporto gehen werde, wo er Anhänger und
treue Truppen finden werde, mit denen er hoffe, nach
Liſſabon marſchieren zu können. Die beiden Köni=
ginnen
hätten ſich aber dieſem Vorhaben widerſetzt
und darauf ſei beſchloſſen worden, nach Gibraltar zu=
ſegeln
.
H.B. Rom, 13. Okt. Der Stampa zufolge hat der
König beſchloſſen, der portugieſiſchen =,
nigsfamilie eine jährliche Apanage von 250000
Lire aus ſeiner Privatſchatulle zu bewilligen. (2)

Letzte Nachrichten.
(Wolffs telegr. Korreſp.=Bureau.)
* Berlin, 13. Okt. Von den wegen den Ausſchrei=
tungen
in Moabit der Staatsanwaltſchaft vorgeführ=
ten
77 Perſonen gehören 40 den ſozialdemokrati=
ſchen
Gewerkſchaften und von dieſen wieder 20 ſo=
zialdemokratiſchen
Wahlvereinen an; 8 Ver=
haftete
gehören zu den Streikenden der Firma Kupfer u. Co.
und auch die Verletzten ſind zum großen Teil politiſch und
gewerkſchaftlich organiſiert.
* Berlin, 13. Okt. Die Reichstagskommiſſion
für die Reichsverſicherungsordnung nahm
nach längerer Diskuſſion unter Ablehnung geſtellter Anträge
mit 18 Stimmen die Beſtimmung der Regierungsvorlage
an, nach der die Verſicherungsanſtalten mindeſtens ein Viertel
des Vermögens in Anleihen des Reiches oder der Bun=
desſtaaten
anlegen müſſen. Die gleiche Beſtimmung wurde
für die Sonderanſtalten eingefügt.
* Braunſchweig, 13. Okt. Der König von Sach=
ſen
iſt heute nachmittag hier eingetroffen und am Bahn=
hof
vom Herzog=Regenten und den Spitzen der Behörden
empfangen worden.
* Wien, 13. Okt. Beim Empfang der öſterrei=
chiſchen
Delegation durch den Kaiſer hielt der
Präſident Glombinski eine Anſprache, in der er
erklärte, wenn die Monarchie aus der letzten bedroh=
lichen
Kriſe würdig und nach außen und innen geſtärkt
hervorgegangen ſei, ſo ſei dies vor allem der Weisheit
und anerkannten Friedensliebe des Kaiſers zu ver=
danken
. Die ſchweren Wolken hätten ſich verzogen,
dank dem Patriotismus ſämtlicher Völker der
Monarchie und der zielbewußten Führung der aus=
wärtigen
Politik; ferner hat hierzu beigetragen die
Bereitſchaft der Armee und die loyiale Haltung der
Verbündeten. In Anbetracht der Bedeutung einer
ſtarken, ſchlagfertigen Armee für die Sicherung des
Friedens werde die Delegation die gemeinſamen Vor=
lagen
unter ſorgfältiger Bedachtnahme auf die Leiſt=
ungsfähigkeit
der Bevölkerung verabſchieden.
Bei dem Empfange der ungariſchen Dele=
gation
hielt Präſident Lang an den König eine
Anſprache, hervorhebend, die Erfahrungen der jüngſten
Zeit hätten den glänzenden Beweis dafür geliefert,
daß der Dreibund das wichtigſte Unterpfand des euro=
päiſchen
Friedens bilde und daß dieſe Bündnisrichtung
bei unverſehrter Wahrung des Anſehens und der
Großmachtſtellung der Monarchie auch für Oeſterreich=
Ungarn die Segnungen des Friedens am meiſten ge=
währleiſte
. Der Redner betonte die große Bedeutung
der Wehrmacht und gedachte des 80. Geburtstages des
Königs, bei welchem Anlaß die Völker und gekrönten
Häupter der ganzen ziviliſierten Welt den großen
menſchlichen und Herrſchertugenden des Monarchen
gehuldigt haben. Er erinnerte an die Tage der jüng=
ſten
Kriſis, wobei ſich die Zuſammengehörigkeit zwi=
ſchen
Volk und Armee in ſeltener Innigkeit gezeigt
habe. Der Weisheit und Liebe des Monarchen, welche
Wunder vollbracht habe, ſei es zu danken, daß man
einen ſo glänzenden, unblutigen Sieg erfochten habe.
Der Redner ſchloß mit einem begeiſtert aufgenom=
menen
Hoch auf den König von Ungarn.
* Wien, 13. Okt. Der Neuen Freien Preſſe zufolge
hatte der ungariſche Finanzminiſter heute vor=
mittag
mit dem öſterreichiſchen Finanzminiſter
eine Beſprechung, in der die Verhandlungen vorbe=
reitet
wurden, die in der Bank= und Währungsfrage im
Laufe des morgigen Tages zwiſchen den beiden Finanz=
miniſtern
ſtattfinden werden. In den maßgebenden unga=
riſchen
Regierungskreiſen werden jedoch die Ausſichten auf.
eine Einigung in der Barzahlungsfrage peſſimiſtiſch beur=
teilt
; man hält es nicht für ausgeſchloſſen, daß in dieſer
Frage in abſehbarer Zeit eine kritiſche Wendung eintritt,
die auch von weittragenden politiſchen Konſequenzen be=
gleitet
ſein könnte.

[ ][  ][ ]

Seite 6.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 14. Oktober 1910.

Nummer 241.

2 Dnens Aires, 19. Dt. Der neue Präüſdent der
Republik, Saenz Pena, und der Vizepräſident de La
Plata nahmen heute in feierlicher Weiſe von ihren
Aemtern Beſitz und leiſteten in der gemeinſamen Sitz=
ung
der Kammer und des Senats den Eid. Der Prä=
ſident
verlas alsdann eine Botſchaft, in der er
erklärte, die internationale Politik der neuen Regier=
ung
würde eine Politik der Freundſchaft für Europa
und der Brüderlichkeit für Amerika ſein. Er habe die
Präſidentſchaft unter den günſtigſten Auſpizien über=
nommen
; das Land erfreue ſich des Friedens, der größ=
ten
Wohltat, den er dauernd zu geſtalten ſich bemühen
werde. Der Präſident kündigte hierauf mehrere Geſetz=
entwürfe
an.
Lauterbach (Oberheſſen), 13. Okt. Heute nacht
drangen mehrere Männer in das Schlafzimmer des
77jährigen Oekonomierats Beckhaus und ſeiner
Ehefrau und mißhandelten die alten Leute. Beckhaus
wurde lebensgefährlichverletzt, während ſeine
Frau weniger ſchwere Verletzungen davontrug. Mit
Hilfe eines Polizeihundes wurde einer der Täter
ermittelt. Die Staatsanwaltſchaft hat ſofort eine ein=
gehende
Unterſuchung eingeleitet und von Eiſenach und
Gießen Polizeihunde requiriert.
Berlin, 13. Okt. Der wegen des Juwelen=
diebſtahls
in der Villa des Direktors Muthner ver=
haftete
Diener Berndt verſuchte im Unterſuchungs=
gefängnis
Selbſtmord, indem er ſich die Pulsadern
aufſchnitt; es war jedoch ſofort ärztliche Hilfe zur
Stelle,
Oſtheim (Rhön), 13. Okt. Der Stadtkämmerer
und Kaufmann Winzer flüchtete mit ſeiner Frau
unter Mitnahme von 45000 Mark ſtädtiſcher Gelder.
H. B. Wien, 13. Okt. In dem Bureau des hieſigen
flugtechniſchen Vereins in der Magdalenenſtraße wurde
nachts von unbekannten Tätern ein Einbruch ver=
übt
. Die Diebe entwendeten die dort aufbewahrten
Gewinne der Fluglotterie im Werte von mehreren
tauſend Kronen.
H. B. Petersburg, 13. Okt. Große Diebſtähle
ſind auf der Warenſtation des Petersburger Nikolai=
Bahnhofes entdeckt worden. Der Hauptſchuldige, ein
Kontorbeamter Bragin, wurde verhaftet. Er hatte ge=
meinſam
mit anderen Angeſtellten ganze Waggonlad=
ungen
beiſeite geſchafft und dafür gefälſchte Empfangs=
Quittungen ausgeſtellt. Durch die vorläufige Unter=
ſuchung
iſt der Wert des geraubten Gutes bereits auf
130000 Mark feſtgeſtellt. Bei einer bei Bragin vorge=
nommenen
Hausſuchung fand man ferner acht ge=
fälſchte
Quittungen über den Inhalt von ſolchen Wag=
gonladungen
, die noch erwartet wurden.
H.B. Athen, 13. Okt. Auf eine Anfrage antwortete
Venizelos, er werde die Kabinettsbildung
nur annehmen, wenn ihm der König die erbetene Er=
mächtigung
zur Auflöſung der Nationalverſammlung
erteile.
Briefkaſten.
A. B., hier. Dun=Präparate werden in den
Darmſtädter Apotheken infolge gemeinſchaftlichen Be=
ſchluſſes
bezw. Uebereinkunft des Apotheker= und
Aerztevereins im Einverſtändnis mit der Medizinal=
Abteilung des Miniſteriums des Innern nicht geführt
und nicht verkauft.

Ganz glücklich über den Erfolg!
Zeugnis. Ihre vorzügliche St. Georgsquelle Bis=
kirchen
a. d. Lahn hat mir ſehr gute Dienſte geleiſtet.
Wenn ich ſo begütert wäre wie nicht, ſo würde ich
das Waſſer ſtändig trinken, mein Arzt und ich ſind
ganz glücklich über den Erfolg, da, wie ſie wiſſen, ich
ſeit 13 Jahren an Gicht gelitten habe, bin ich nächſt
Ihnen meinem Hausarzte großen Dank ſchuldig, daß
er mir dieſe Quelle empfohlen hat. G. St., Königl.
(17682f
Lokomotivführer in B.
Preis für 25 Flaſchen Mk. 9.
50
17.
inkl. Verpackung ab Station Stockhauſen a. d. Lahn.
Die Pflege der Stimme
erweist sich immer mehr als ebenso notwendig wie
diejenige etwa der Hände und der Zähne. Unter
allen Mitteln, die eine klare freie Stimme schaffen,
wohltuend auf Rachen und Hals wirken, üblen Ge-
ruch
aus dem Munde nehmen, hat sich keines nur
annähernd so verbreitet und behauptet, als die in
ihrer Wirkung unvergleichlichen Wybert-Tabletten.
Sie gehören zum eisernen Bestande jedes Haushaltes,
wie Seife und Zahnpulver. Die lange ausreichende
Schachtel kostet in allen Apotheken 1 Mark. Nieder-
lagen
in Darmstadt: in sämtl. Apotheken; Germania-
Drogerie, Mühlstr. 78; Minerva-Drogerie, Ecke Karl-
u
. Hügelstr.; Medizinal-Drogerie von Fr. Beckenhaub,
Ecke Schul- und Kirchstr., und Drogerie von C.
Watzinger, Wilhelminenst. 11.
(19933M

Todes-Anzeige.
(Statt besonderer Anzeige.)
Der unerbittliche Tod entriss uns heute Nacht 12½ Uhr plötzlich und
unerwartet infolge eines Herzschlages meinen heissgeliebten, teuren Mann, unsren
geliebten Bruder, Schwager, Neffen und Onkel, den
Kaufmann Georg Engelhard

im 44. Lebensjahre.

In tiefer Trauer
im Namen der Hinterbliebenen:
Frau Hedwig Engelhard,

(19952

Darmstadt, 13. Oktober 1910.
Bismarckstr. 70.

geb. Walter-

Die Beerdigung findet am Samstag, den 15. Oktober, vormittags 11¼ Uhr, vom Trauerhause aus,
die Einsegnung eine Viertelstunde zuvor statt.

Todes-Anzeige.
Heute nachmittag 5½ Uhr entſchlief nach
ſchwerem Leiden unſere liebe Mutter
Frau Marie HeilWwe.
im Alter von 66 Jahren.
(19906
Im=Namen der Hinterbliebenen:
Dr. med. Karl Heil.
Darmſtadt, 12. Oktober 1910.
Friedrichſtr. 21.
Die Trauerfeier findet am Samstag, 15. d. M.,
nachmittags 3½ Uhr, in der Friedhofskapelle
ſtatt; die Beiſetzung im Anſchluß daran.
Kondolenzbeſuche dankend verbeten.

Gestern abend ist unsre liebe

Schwester

(19939

Marie Back
in Arosa nach kurzem Leiden
entschlafen.
Iin Namen der Geschwister:
Dr. Friedrich Back.
Darmstadt, den 12. Okt. 1910.
Die Beisetzung findet Freitag, den 14. Ok-
tober
, nachm. 5¼ Uhr, auf dem Darm-
städter
Friedhof statt.

Der Chaſalla=Normalſtiefel wurde auf der Welt=
ausſtellung
in Brüſſel 1910 mit der Goldenen
Medaille preisgekrönt.
(L19945,29

Kirchliche Nachrichten.
Paulusgemeinde. Die Aufnahme der Kon=
firmanden
findet heute, Freitag, den 14. Oktober, im
Gemeindeſaal ſtatt, für Mädchen um 4 Uhr, für Knaben
um 4½ Uhr.

Wetter.
Ausſichten in Heſſen für Freitag, den 14. Okt.:
Zeitweiſe heiter, friſcher Nordweſt, kühl, nachts kalt bis
zu Froſt, trocken.
Tageskalender.
Hoftheater, Anfang 7 Uhr (Außer Abonnement):
Das Nachtlager in Granada.
Gaſtſpiel des Oberbayr. Bauerntheaters um 8¼ Uhr
im Orpheum (Aus der Art geſchlagen).
Vortrag von Dr. Heine um 8¼ Uhr im Kaiſerſaal
(Volksbildungsverein).

Vortrag von Frau Wäſcher um 8¼ Uhr in der Stadt
Pfungſtadt‟ (Heſſ. Landesverein für Frauenſtimmrecht).
Oktoberfeſt um 5 Uhr im Kölniſchen Hof.
Konzert um ½8 Uhr im Bürgerkeller.
Konzert um 8 Uhr im Hotel Heß.
Konzert um 8 Uhr im Perkeo.
Verſteigerungskalender.
Samstag, 15. Oktober.
Winterſchafweide=Verpachtung um 10 Uhr auf
der ſtädtiſchen Pallaswieſe.

Druck und Verlag: L. C. Wiltich’ſche Hofbuchdruckerei.
Verantwortlich für den politiſchen Teil, für Feuilleton,
Reich und Ausland: Dr. Otto Waldaeſtel; für den übrigen
redaktionellen Teil und Letzte Nachrichten: Max Streeſe;
für den Inſeratenteil: J. Kroſt, ſämtlich in Darmſtadt.
Für den redaktionellen Teil beſtimmte Mitteilungen ſind
an die Redaktion des Tagblatts zu adreſſieren. Etwaige
Honorarforderungen ſind beizufügen; nachträgliche werden
nicht berückſichtigt. Unverlangte Manuſkripte werden nicht
zurückgeſandt.

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Nummer 241.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 14. Oktober 1910.

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[ ][  ][ ]

Seite 8e

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 14. Oktober 1910.

Nummer 241.

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Darmſtädter Tagblatt.

N5 241.

Freitag, 14. Oktober.

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Hans Haſſingen ſaß ihr gegenüber und fühlte den
Reiz ihrer Nähe und des völligen Alleinſeins mit ihr wie
einen leichten Rauſch.
Ich muß Ihnen noch danken, gnädige Frau! ſagte er
in dieſem Gefühl. Es war zu nett, wie Sie geſtern für
unſern Roſenmontag kämpften vielleicht entgehen wir
doch ein Weilchen dem ſcharfen Exzellenzenblick, und wenn
nicht dieſe Fahrt wenigſtens gehört uns allein.
Seine Stimme klang warm, aber noch fehlte ihr jedes
leidenſchaftliche Vibrieren.
Sie vermißte das wohl kaum, weil ſie es nicht ſuchte.
Ja, geſtern war ich wieder mal rebelliſch! lachte ſie
unbefangen. Haben Sie’s gemerkt? Dieſe dunkeläugige
Exzellenz iſt die letzte, deren Urteil mir die nächtliche Ruhe
raubte, die erſte, gegen deren Bevormundung ich mich auf=
lehne
. Die Frau haßt mich. Warum? Das weiß ich
nicht. Vielleicht nur, weil ſie auf dem abſteigenden Aſte
iſt, ich noch auf dem emporſteigenden, manchen Frauen
genügt das zum Haß. Sie müſſen wiſſen, daß ich noch
ſehr jung bin jünger, als ich oft ausſehe und mich oft
gebe erſt 22 Jahre nicht wahr, Sie ſind erſtaunt?
Nicht Ihrer Jugend wegen, gnädige Frau, Sie ſagen
ganz richtig, Sie geben ſich oft älter, aber Sie geben ſich
auch oft ſo=jung, daß man Sie für achtzehnjährig halten

muß wenn ich erſtaunt ſchien, ſo war’s, weil ich dachte,
wie unglaublich jung Sie geweſen ſein müſſen, als Sie
heirateten.
Ihr ſchlanker Körper dehnte ſich ein wenig, ſie bog
den Kopf nach hinten gegen das bräunlich=grque Polſter.
Siebzehn! meinte ſie gleichmütig.
Ihre Gleichmütigkeit gab ihm den Mut zu einer in=
diskreten
Frage.
Haben Sie Ihren Mann ſehr geliebt, gnädige Frau?
Sie blickte ihn ohne jede Verlegenheit an. Es war
die Dame der vornehmen Welt, die ſich durch den Mangel
an Empfindlichkeit ſo angenehm von der Spießbürgerin
unterſcheidet.
Auf eine offene Frage hab’ ich noch immer offen ge=
antwortet
, Herr von Haſſingen, bei Ihnen tue ich’s mit
beſonderem Vertrauen, denn Sie ſind keiner von den
leichtfertigen jungen Leutnants, denen jede Damen=
bekanntſchaft
ein allerliebſtes, pikantes Abenteuer ſein
muß, ſoll ſie ihnen von Wert ſein Sie brauchen nicht
zu erröten, obgleich Ihnen das Rotwerden ſteht alſo,
ich habe meinen Mann ſo gern gehabt, wie ein Mädchen
meiner Art ihn gern haben mußte, um ihn überhaupt
heiraten zu können geliebt habe ich ihn nie, obgleich
ich mir das in der Zeit, als ich mein Kind erwartete, ein=
bildete
wäre er arm geweſen, ich hätte ſeine Werbung
ausgeſchlagen, auch das geſtehe ich ganz offen zu ich
hatte zu ſchwer unter der Armut gelitten. Solange mein
Vater, der durch eigenen Leichtſinn als Offizier ſein Ver=
mögen
vergeudet hatte, als eine Art Schloßverwalter in

einem einſamen Rivieraſchloſſe von der Gnade ſeiner Ver=
wandten
mit mir lebte, ging es noch, obgleich ſchon da
mein Blut ſich gegen abgelegte Kleider meiner gräflichen
Couſinen gewaltig empörte, aber ſpäter in Berlin gedul=
dete
arme Nichte und Aſchenbrödel ſpielen, das ertrug ich
nicht, ich gab den Gräfinnenrang hin und heiratete den
eben erſt geadelten Herrn von Rieding und ſeine Millio=
nen
. Sie werden es vielleicht häßlich finden, daß ich mit
ſiebzehn Jahren ſchon ſo vernünftig rechnen konnte jetzt
könnte ich es vielleicht nicht mehr. Siebzehnjährige kennen
weder die Ehe noch die Liebe ſie haben nur Ideale,
und die richten ſich ganz ſicher nach den Eindrücken ihrer
Jugend. Mein Ideal war reich zu ſein, ſo reich, daß
ich meinen Verwandten die Demütigungen heimzahlen
konnte, die ich durch ſie erlitten. Meine Toiletten waren
immer koſtbarer als die meiner Couſinen, mein Reitpferd
von edlerem Blut als das ihre, kurz, ich war ihnen
immer einen Schritt voraus. Das iſt rachſüchtig, nicht
wahr? Rache iſt häßlich, aber Sie kennen meine Couſinen
nicht laſſen wir dieſe Abſchweifung! Wie finden Sie
mich jetzt, mein Freund? Bin ich ein Scheuſal geworden
in Ihren Augen?
Hans von Haſſingen war ſonſt nicht der Mann des
leichtflüſſigen Wortes, aber wie ſie ſo vor ihm ſaß, jetzt
die Hände um das übergeſchlagene Knie gefaltet, mit den
wehenden goldbraunen Haaren um das gerötete, ſchmale
Geſicht mit dem halb ſchelmiſchen, halb ſcheuen Ausdruck
des Schelte fürchtenden Kindes im großen, goldflimmern=
den
Auge, dem roten, lächelnden Lippenpaar über dem

[ ][  ][ ]

Seite 10.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 14. Oktober 1910.

Nummer 241.

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energiſchen und doch weichgerundeten Kinn, erſchien ſie
ihm ſo entzückend, daß er ernſthaft und ohne Ueberlegen
ſagte:
Sie ſind für mich noch immer die reizendſte Frau, die
ich kenne.
Es gefiel ihm, daß ſie ſein ehrliches Wort nicht als
fade Schmeichelei abwehrte.
Sie war nur noch ein wenig tiefer gerötet und hatte
raſch die breiten Lider geſenkt. Die Unterhaltung ruhte
ein Weilchen. Draußen begleitete ſie jetzt der Rhein, in
trägem Dahinfließen. Das ſonnenüberſtrahlte Waſſer blen=
dete
, goldene Funken blitzten, um den Bug eines kleinen
Schleppdampfers hüpften weiße Schaumſpritzer, ruhig,
plump, wie große, dunkle Särge glitten die vier Laſtkähne
hinter ihm her.
Auf dem Deck des einen ſtand eine Frau mit einem
Kinde auf dem Arm und winkte.
Lena von Rieding zog ihr ſpitzenbeſetztes Taſchentuch
zum Gegengruß. Für einen Moment ſprang ein weher
Zug um ihren lächelnden Mund. Es war wohl das Kind,
das ihn geweckt. Aber dann kam Mainz und der Kar=
nevalsübermut
.
Zwei ausgelaſſenen Kindern gleich zogen ſie durch
die Straßen. Bei dem erſten fliegenden Händler ward die
Pritſche aus Pappe erſtanden, die ſo luſtig auf dem Rücken
anderer klatſchte und auf dem eigenen ſo weh tat. Lena
bekam ſie ſchmeichelhaft oft zu koſten.
Sie duckte ſich lachend und wehrte ſich tapfer. Noch
war das Leben in den Straßen nicht auf dem Höhepunkt
angelangt, die maskierten Geſtalten noch vereinzelt. Aber
als ſie ſich dem großen Platze neben dem ſtattlichen Bau

der Stadthalle näherten, umtoſte ſie der Trubel der Kar=
nevalsmaſſe
. Ein Schreien, Pfeifen, Tuten, Quieken,
grelles Gebimmel, das Surren der Glücksräder, ein
Quodlibet von Muſikklängen und gellenden Ausrufer=
ſtimmen
.
Nun mußte die junge Frau Haſſingens gebotenen
Arm nehmen, ſo drängten ſie ſich durch die Menge, mit
ſtoßend und ſchiebend, ſich von Zeit zu Zeit lachend an=
ſehend
.
Ein Schlittenkaruſſell weckte halb vergeſſene Kinder=
wünſche
.
Wollen wir?
Im nächſten Moment ſaßen ſie ſchon in den roten
Plüſchpolſtern und glitten auf wellenförmiger Bahn im
Kreiſe auf und nieder.
Sie kicherten und bogen ſich nach den ſchwankenden
Bewegungen, Arm in Arm ſitzend, ſich gegenſeitig ſtützend.
Ihre Augen leuchteten, ihr Haar unter dem großen,
ſchwarzen Chiffonhut wehte. Auch ſein junges Geſicht
lachte in harmloſem Uebermut.
Sie wankte ein wenig, als ſie wieder auf feſtem
Boden ſtanden, und lehnte ſich feſter auf ſeinen Arm.
Dann mußte ſie durchaus ein Faſtnachtsgebäck kaufen,
das ein ſchneeweiß gekleideter Konditor vor aller Augen
miſchte und in ſpritzendem Fett ausbuk.
Sie es mit ſpitzen Fingern vom gelblichen Papp=
teller
inmitten des Menſchengewühls mit einer köſtlichen
Unverfrorenheit, um die der blonde Offizier ſie geradezu
beneidete.
Zu dieſem gänzlichen Aufgehen in einer Idee, wie
dieſe Karnevalslaune, war er nicht fähig, dazu rollte ſein
Blut zu ſchwerfällig in ſeinen Adern. Weil der Impuls

fehlte, der die Natürlichkeit ſchafft, hätte er ſicher nur eine
lächerliche Rolle geſpielt bei eiwas, was weder ihrer Vor=
nehmheit
noch ihrer Würde Abbruch tat.
Nur als ſie die Handſchuhe über die mit dem Spitzen=
tuch
abgewiſchten Finger zog, wurde ſie ein bißchen ver=
legen
.
Ich bin kindiſch, ich bin ganz ſicher kindiſch
Sie ſind reizend, Lena!
Der Name glitt ihm unwillkürlich von der Zunge, es
war Karnevalsfreiheit. Sie griff es neckiſch auf.
Vielleicht bin ich nur reizend, wenn ich kindiſch bin,
Hans.
Jedenfalls ſteht es Ihnen tauſendmal beſſer als das
Ernſthafte, Lena, wenn Sie nur ein bißchen eitel ſind,
dann rate ich Ihnen zum Kinderübermut.
Sie hing ſich wieder in ſeinen Arm,
Männer wollen immer gern lachende Frauen, aber
lacht man mal über ſie, ſo nehmen ſie’s furchtbar übel und
erklären, man könne bedauerlicherweiſe nie ernſthaft ſein.
Den Mann neben ihr durchzuckte ein peinliches Emp=
finden
.
Ich glaube gern, daß Ihr Lachen auch ſehr weh tun
kann, Lena.
Sie ſagte nichts darauf, aber in ihren Augen blitzten
die Goldfunken intenſiver, wie triumphierend.
Ein wenig ſpäter ſtießen ſie vor der amerikaniſchen
Rieſenſchaukel auf Leutnant Keßler und Tantchen
Dieſe Begegnung nahm ihnen noch nicht die Stim=
mung
, ſie fanden ja gleichgeſinnte Seelen.
Der Karnevalston wurde beibehalten.
(Fortſetzung folgt.)

[ ][  ][ ]

Nummer 241.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 14. Oktober 1910.

Seite 11.

Amtliche Nachrichten des Großherzoglichen Polizeiamts Darmſtadt.
Polizeilich eingefangene und zugelaufene Hunde.
In polizeilicher Verwahrung und Pflege in der Hofreite Beſſungerſtr. Nr. 56 be=
finden
ſich: 1 Pinſcher.
Die Hunde können von den Eigentümern bei dem 5. Polizei=Revier ausgelöſt
werden. Die Verſteigerung der nicht ausgelöſten Hunde findet dortſelbſt jeden Werk=
tag
, vormittags um 10 Uhr, ſtatt.

Straßenſperre.
Wegen Vornahme von Straßenbauarbeiten wird die Soderſtraße längs des
Kapellplatzes vom 14. bis 25. Okt. ds. Js. für den Fuhrwerksverkehr geſperrt. (19923
Vertilgung der Feldmauſe.
Auf Beſchluß der Stadtverordneten=Verſammlung vom 29. September und mit
Genehmigung Großherzoglichen Kreisamts vom 1. Oktober d. Js. ſollen die in der
Gemarkung in dieſem Jahre maſſenhaft auftretenden Feldmäuſe auf Koſten der Stadt
durch Legen von Gift vertilgt werden. Mit der Ausführung der Maßregel, ſoweit ſie
ſich auf die Feldgemarkung erſtreckt, iſt die ſtädtiſche Güterverwaltung mit Zuhilfe=
nahme
der Feldſchützen und einer Anzahl ſtädtiſcher Arbeiter beauftragt. An die Grund=
ſtücksbeſitzer
, namentlich an die Beſitzer der eingefriedigten Grundſtücke, richten wir das
Erſuchen, die Beauftragten bei der Ausführung unterſtützen zu wollen.
(19390dof
Darmſtadt, den 3. Oktober 1910.
Großherzogliche Bürgermeiſterei Darmſtadt.
J. V.: Ekert.
Hauswirtſchaftliche Fortbildungsſchule.
Abendkurſe.
In den nächſten Tagen wollen wir wieder beſondere Abendkurſe eröffnen laſſen.
In denſelben ſollen Mädchen und Frauen, welchen es durch anderweitige Beſchäftigung
tagsüber nicht möglich iſt, ſich mit den Hausarbeiten vertraut zu machen, im Kochen
und Backen, ſowie im Nähen, Flicken und Stopfen unterwieſen werden.
Die Herſtellung von Weihnachtsgebäck findet in dieſen Kurſen beſondere Be=
rückſichtigung
.
Die Zahl der Unterrichtsabende iſt auf 60 feſtgeſetzt. Die Verteilung derſelben
auf die einzelnen Wochen und Tage und die Feſtlegung der Unterrichtszeit erfolgen
im Einverſtändnis mit den Kurſusteilnehmerinnen.
Das Schulgeld für den ganzen Kurſus beträgt:
a) für hieſige Schülerinnen zwei Mark,
b) auswärtige
vier
und iſt bei der Anmeldung zu entrichten.
Anmeldungen von Teilnehmerinnen aus dem Stadtbezirk Darmſtadt werden
Montag, den 17. Oktober, von 78 Uhr abends, in der Schulküche Rundeturm=
ſtraße
11, und von ſolchen aus dem ehemaligen Beſſunger Bezirk Dienstag, den
18. Oktober, von 78 Uhr abends, in den Fortbildungsſchulräumen, Hermann=
ſtraße
21, von dem Leiter der Schule entgegengenommen.
(19917fs
Darmſtadt, den 11. Oktober 1910.
Der Vorſtand.
Dr. Gläſſing, Oberbürgermeiſter.
Bekanntmachung.
Die Veranſtaltung von Chriſtbeſcherungen für Arme, beſonders für arme
Kinder betreffend.
Wie in verfloſſenen Jahren, richten wir auch in dieſem Jahre, um eine möglichſt
gleichmäßige Berückſichtigung aller Bedürftigen herbeizuführen, an die Vorſtände der
Vereine, Schulen und Korporationen, ſowie an alle Privatperſonen, welche im laufen=
den
Jahre eine Weihnachtsbeſcherung für Arme, beſonders für arme Kinder, zu ver=
anſtalten
gedenken, das ergebenſte Erſuchen, die Liſten der von ihnen Vorgemerkten
mit möglichſt genauer Angabe der Wohnungen derſelben bei uns möglichſt frühzeitig
einreichen zu wollen.
Wir werden dann die Liſten mit einer Auskunft darüber verſehen laſſen, welche
der darin vorgeſehenen Perſonen noch anderweit zur Weihnachtsbeſcherung in Ausſicht
genommen ſind.
Den die Weihnachtsbeſcherung veranſtaltenden Vereinen, Privaten uſw. bleibt
es dann überlaſſen, hinſichtlich der mehrfach zur Berückſichtigung bei der Beſcherung
in Ausſicht Genommenen mit den anderen in Betracht kommenden Veranſtaltungen ins
Benehmen zu treten und je nach Befund die ſich empfehlenden Abſtriche vorzunehmen.
Darmſtadt, den 11. Oktober 1910.
Städtiſches Pflegeamt.
Krapp.
(19908fff
Lieferungsvergebung.
Die Küchenverwaltung des Garde=Füſilier=Bataillons Leibgarde=Infanterie= Regi=
ments
Nr. 115 11. und 12. Komp. in Darmſtadt, ſowie der 9., 10. und M. G. Komp.
auf dem Uebungsplatz Darmſtadt beabſichtigt, die Lieferung von Gemüſe, Markt=
und Kaufmannswaren für die Zeit vom 1. November 1910 bis 31. Oktober 1911 zu
vergeben.
Nähere Auskunft erteilt der Küchenbuchführer des Bataillons (Vizefeldw. Stracke,
Küche G. F. 115 in Darmſtadt). Bei dieſem können auch die Bedingungen für die
Lieferungen eingeſehen werden.
Angebote ſind verſiegelt, für die Standorte Darmſtadt und Uebungsplatz getrennt
und mit entſprechender Aufſchrift, wie es die Bedingungen vorſchreiben, bis zum 20.
ds. Mts. der Küchenverwaltung einzureichen.
Der Zuſchlag wird vom Bataillon ſchriftlich erteilt.
Darmſtadt, den 13. Oktober 1910.
(19912
gez. Graf von Büdingen,
mann und Vorſtand.
Verſteigerungs-Anzeige.
Freitag, den 14. Oktober ds. Js., vormittags 10 Uhr,
werden auf freiwilligen Antrag des Adam Knieß III. in Eberſtadt in deſſen Be=
hauſung
, Heidelbergerſtr. 7, wegen Aufgabe des Fuhrwerks folgende Gegenſtände
verſteigert:
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Holzleitern, 1 Paar Kaſtenleitern, ca. 30 Kiefern=Bord, ca. 20 m Buchen=
Scheitholz und mehrere Gegenſtände.

Eberſtadt, am 10. Oktober 1910.
Großherzogliches Ortsgericht Eberſtadt.
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Submiſſionswege verkauft werden. Angebote ſind bis
Dienstag, den 18. Oktober 1910, vormittags 11 Uhr,
bei der Bürgermeiſterei daſelbſt einzureichen, wo auch die Bedingungen vorher eingeholt
werden können.
Hahn bei Pfungſtadt, den 12. Oktober 1810.
(19911
Großherzogliche Bürgermeiſterei Hahn.
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werden.
(K52/10
Falls andere rechtliche Hinderniſſe nicht
entgegenſtehen, kann Genehmigung der Ver=
ſteigerung
auch dann erfolgen, wenn das
eingelegte Meiſtgebot die Schätzung nicht
erreicht.
Darmſtadt, den 23. September 1910.
Großherzogliches Ortsgericht Darmſtadt I.
Müller. (D18873,7

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in unſerem Bureau zwangsweiſe verſteigert
werden.
(K132/10
Darmſtadt, den 26. September 1910.
Großh. Ortsgericht Darmſtadt I.
Müller.
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Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 14. Oktober 1910.

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Nummer 241

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 14. Oktober 1910,

Seite 13.

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Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 14. Oktober 1910.

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Schluss

der Kollektiv-Ausstellung des Malers Hans Unger zu Losch-
witz
und des Verbands zeichnender Künstler zu München
in der Kunsthalle dahier, am 15. Oktober 1910.

Frauenverein der Martinsgemeinde
I. Vortragsabend
am Montag, den 17. Oktober, abends 8 Uhr im Gemeindehaus, Mollerſtr. 23
Vortrag von Herrn Velte, I. Stadtpfarrer, hier
über die Königin Luiſe, darauf Generalverſammlung:

1. Jahresbericht des Vorſitzenden,
2. Rechnungsablage,
3. Wahl des Vorſtandes,
4. Ausloſung von Anteilſcheinen,
5. Anträge.
Eintritt für Mitglieder frei, für Nichtmitglieder 30 Pfg.

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Verein für Verbreitung von Volshldlung Darmstall.
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in franzöſiſcher Sprache: Montag u. Donnerstag, abends 8½ Uhre
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Lokal: Karlſtraße 16, I. Koſten für einen Sprachkurſus 56 Mk. den Monat,
für Buchführung Geſamtkoſten 5 Mk. Beginn Mitte Oktober. An den Lehrkurſen kann
jedermann teilnehmen, Mitglieder und Nichtmitglieder, Herren und Damen. Gefl. An=
meldungen
möglichſt bald im Verkehrsbüro.
(19918
Heute, Freitag abend, Vortrag von Herrn Dr. Heine:
Wie sollen wir Theatervorstellungen geniessen?

Musik-Verein.
Protektor: Seine Königliche Hoheit der Grossherzog.
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Erstes Konzert:
im Winter 1910/11.
(Neunundſiebzigſtes Vereinsjahr)
unter=Leitung des Herrn Hofkapellmeiſters Hofrat W. de Haan
undsunter Mitwirkung
der Konzertſängerinnen Frau Anna Stronck-Kappel aus Barmen
und Frau Ilona K. Durigo aus Budapeſt; der Konzertſängern Herren
Franz Müller aus Darmſtadt und Hermann Weissenborn aus Berlin,
ſowie der Grossherzoglichen Hofkapelle.
Montag, den 24. Oktober 1910
im Saalbau.
Anfang halb 8 Uhr. Ende nach halb 10 Uhr.

Veroii del Dlldungstreunde.
Dienstag, 18. Oktober, abends 9 Uhr, beginnen im Vorzimmer
zum Fürſtenſaale unſere wöchentlichen, allgemein verſtändlichen
Eese und Bespreehungsabendee
Einleitender Vortrag über:
Weltanschauungsfragen
von Herrn Pfarrer Fuchs-Rüſſelsheim.
Suchende aller Stände sind herzlich willkommen!
Eintritt für jedermann frei.
(19937

geſſiſcher Landesverein für Frauenſtimmrecht
Ortsgruppe Darmstadt.
Freitag, den 14. Oktober 1910, abends 8¼ Uhr
im weißen Saale der Stadt Pfungstadt‟:
Oeffentlicher Vortrag
der Frau Johanna Wäscher=Kaſſel
über: Warum müssen die Frauen Einfluss auf die Krankenkassen gewinnen?
Eintritt 20 Pfg.
Freie=Ausſprache.
Mitglieder der Gewerkſchaften 10 Pfg.
Der Vorstand.

19940)

Ortsgruppe Darmſtadt des Vereins für Frauenſtimmrecht.
Kaufmänniſcher Verein für weibliche Angeſtellte.

Alldentſcher Verband u. Deutſcher Oſtmarkenverein
Montag, den 17. Oktober, abends ½9 Uhr,
im Fürſtenſaale‟
Vortrag des Herrn Profeſſors Dr. Hötzsch aus Poſen
über: Deutſche und Polen in den Oſtmarken und die neueſten
Ereigniſſe in der Polenfrage.
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Eintritt 20 Pfg. Zu zahlreichem Beſuche laden ein
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Dus Farddies unddie Fert
für Soloſtimmen, Chorsund Orcheſter.
komponiert von Robert Schumann.
Zur Nachfeier des 100jährigen Geburtstags des Komponiſten.
8. Juni 1810.

Preise der Eintruttsharfen von a. Bergstraeser, Rhein=

Die verehrlichen Damen werden dringend erſucht, vor Betreten des
Konzertſaales die Hüte abzunehmen.
Sonntag, den 23. Oktober, vormittags 10 Uhr, im Saalbau
Haupfpfohe: Der Zutritt iſt nur gegen die Hauptprobekarten geſtattet.
(für Nichtmitglieder vom 17. Oktober
an erhältlich in der Hofbuchhandlung
ſtraße 6, ſowie abends an der Kaſſe).
Numerierte Plätze in den vier Balkonlogen .
Mk. 6.00
Numerierte Plätze auf dem Balkon (Galerien) 1. Reihe .
Mk. 4.50
Numerierte Plätze auf dem Balkon (Galerien) 2. Reihe
Mk. 2.50
Nichtnumerierte Plätze auf dem Balkon (Galerien) 3. Reihe . Mk. 1.50
Plätze in dem Vorſaal
. . . Mk. 1.50
Texte 20 Pfennig.
Die hier nicht genannten Plätze ſind nur den Mitgliedern vorbehalten.
Fremde (d. h. außerhalb Darmſtadts Wohnende, welche ſich vorübergehend hier
ufhalten) können Karten für Saal und Eſtraden zu Mk. 4.50 erhalten. Geſuche ſind
an den Platzordner des Vereins, Herrn Architekten J. Harres, Saalbauſtraße 79, zu
richten.
(19915
Der Vorstand.

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[ ][  ]

Seite 18.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 14. Oktober 1910.

Nammer2Alg

Woraus man alles Papier macht.
Plauderei von Heinrich Mahre.
hdruck verboten.)
E. Wie ſieben Städte ſich um die Ehre ſtritten, der
Geburtsort Homers zu ſein, ſo ſind es vier Nationen,
die ſich rühmen, die Kunſt des Papiermachens erfunden
zu haben. Während die erſtere Frage aber ewig ein
ungelöſtes Rätſel bleiben wird, weil es keine Doku=
mente
gibt, die uns erzählen, wo die Wiege des blinden
Sängers der Odyſſee ſtand, liegen die Uuſtände, die zur
Beantwortung der letzteren dienen, klar vor aller
Augen. Trotzdem aber dürfte es ſchwer ſein, zu beſtim=
men
, welche von den vier Nationen mit ihrer Behaupt=
ung
recht hat und das zwar, weil man dann erſt ent=
ſcheiden
müßte, was man unter Papier reſpektive Pa=
piermachen
verſteht. Die Definition des vorgenannten
Wortes iſt nämlich keineswegs ſo leicht, als ſie auf den
erſten Blick hin erſcheint. Papier iſt ein dünnblätteri=
ges
Material, auf dem man ſchreibt, aber es kann ſehr
verſchiedenartig zuſammengeſetzt ſein aus welchen
Stoffen alſo muß es beſtehen, um ſeinen Namen zu ver=
dienen
?
Wie hinlänglich bekannt ſein dürfte, ſtammt es von
den Papyrus her, welche die alten Aegypter mit ihrer
Hieroglyphenſchrift bedeckten. Schon um’s Jahr 1500
v. Chr. ſtellten ſie aus dem Schaft einer dort heimiſchen
Waſſerpflanze Blätter zum Schreiben her, indem ſie
das Mark vom Baſt befreiten, es in ſehr feine, möglichſt
breite Längsſtreifen ſpalteten, dieſe mit Nilwaſſer an=
feuchteten
und ſie auf Brettern ſchichtweiſe, abwechſelnd
der Länge und Quere nach, übereinander legten, um ſie
darauf mit Muſcheln oder Tierzähnen zu glätten. Als=
dann
wurden ſie mit Pflanzenleim durchtränkt, ge=
preßt
oder mit Hämmern geſchlagen und in der Sonne
getrocknet. Nachdem man ſie zum Schluß noch zu Rol=
len
zuſammengeklebt hatte, waren ſie zum Gebrauch
fertig. Obgleich man dieſe Papyrus fabriksmäßig in
großen Mengen anfertigte, müſſen ſie doch ſehr teuer
geweſen ſein, da man, wo es ſich irgend tun ließ, aller=
hand
andere wertloſe Dinge benutzte, um darauf zu
ſchreiben. Beiſpielsweiſe ſtellten die niederen Staats=
beamten
Steuerquittungen und dergleichen mehr, für
was ſie das Material aus eigenen Mitteln anſchaffen
mußten, der Erſparnis wegen auf Scherben aus. Daß
dieſen deſſen ungeachtet niemand die Bezeichnung Pa=
pier
beilegen wird, verſteht ſich von ſelbſt, ebenſo be=
greiflich
aber erſcheint es, daß die Aegypter im Hin=
blick
auf ihre Papyrus als Erfinder des Papiers gelten
wollten.
Das zweite Volk, welches dieſes Vorrecht für ſich
in Anſpruch nahm, waren die Perſer, die auf höchſt
primitive Weiſe Schreibblätter herſtellten, indem ſie
Leinenſtücke und die vom Chlorophyll befreiten Blät=
ter
großer Bäume in eine kreide= oder kalkartige Flüſ=
ſigkeit
tauchten und nach dem Trocknen mit dünnem
Leim überzogen. Dieſes Papier, welches jedoch faſt
ausſchließlich für Staatsdepeſchen verwendet wurde,
die man per Poſt beförderte wie man weiß, haben
die Perſer das älteſte, vollſtändig organiſierte Poſt=
weſen
gehabt , muß furchtbar dick und dabei ſehr un=
dauerhaft
geweſen ſein; im übrigen aber hat man nur
ſehr ungenaue Kenntnis davon.
Bedeutend vollkommener war das Papier der Chi=
neſen
, die unſere heutigen Fachgelehrten denn auch als
ſeine eigentlichen Erfinder nennen. Man nimmt gegen=
wärtig
faſt durchgängig an, daß es der Ackerbaumini=
ſter
Tſai=Lünn geweſen iſt, der 123 vor Chriſtus auf
den Gedanken kam, aus den Faſern des Papiermaul=
beerbaumes
(Broussonettia papyrifera Kodzu) und des
Graſes Boehmeria, ſowie des Bambusrohres Papier
anzufertigen. Die Methode, deren er ſich dabei be=
diente
, war die nämliche, wie ſie noch heute in China,

im Pandſchab, in Vorderindien, Bengalen, Siam, Ja=
pan
, Korea und auf der Hochebene des Himalaya üblich
und im Verlaufe der Zeiten dann auch zu uns gekom=
men
iſt. Sie beſteht im weſentlichen darin, daß man
das Rohmaterial einer Art Fäulnisprozeß unterwarf,
zerkleinerte, mit einem Bindemittel vermiſchte und
zwiſchen warmen Gipsplatten preßte und formte. Dies
chineſiſche Papier wurde durch einen Prieſter, den der
König von Korea nach China ſchickte, um ſeine Fabri=
kation
zu erlernen, in Korea und Japan eingeführt.
Durch Kriegsgefangene, die ſich darauf verſtanden, kam
die Kunſt ſeiner Erzeugung 751 nach Chriſtus nach Sa=
markand
, wo man aber bald anſtatt von Pflanzenſtoff
alte Leinenfetzen für den Zweck verwendete. Es ent=
ſtand
dazumal eine große Papierfabrik in Samarkand,
und bald darauf eine zweite in Bagdad, und etwas
ſpäter eine hochberühmte in Damaskus. Von dort aus
verbreitete ſich die Kunſt über die nordafrikaniſche
Küſte nach Arabien, bis zu den Mauren und durch dieſe
in der Iberiſchen Halbinſel.
Am vollkommenſten aber bildeten ſie die Araber
aus, die ſich deswegen auch als vierte Nation der Er=
findung
der Papierfabrikation rühmten. Tatſächlich
gebührte ihnen, wie wir geſehen haben, dieſe Ehre nicht,
aber andererſeits läßt es ſich doch nicht leugnen, daß
das von ihnen angewandte Verfahren die meiſte Aehn=
lichkeit
mit dem heutigen hat; der von ihnen erhobene
Anſpruch läßt ſich denn auch nur dahin deuten, daß ſie
meinten, die erſten geweſen zu ſein, denen es gelang,
die Papier=Erzeugung aus ihrem Kindheitsſtadium auf
eine ungleich höhere Stufe zu erheben. Was ſie aber
wirklich erfunden haben, das war das Velinpapier,
und zwar das gerippte. Sie verwendeten für dieſes,
wie für alles andere Hadern und preßten ihm vermöge
von Drahtformen die Rippen auf. Gewöhnlich kleb=
ten
ſie zwei Blätter mit den rauhen Flächen zuſammen.
Nachdem das Rohmaterial der Lumpen am liebſten
nahmen ſie leinene ſortiert und nach chineſiſcher
Methode verfault war, reinigten ſie ſie durch Kochen
und zerkleinerten ſie auf durch Waſſerkraft getriebenen
Stampfwerken, die ähnlich wie unſere Papiermühlen
konſtruiert waren. Dann wurde die Maſſe mit Leim
und anderen Bindemitteln vermengt, zuerſt zwiſchen
heiße Gipsplatten und ſchließlich, immer noch nicht
ganz trocken, in die erwähnten Drahtformen gebracht.
In der Regel fabrizierte man weißes Papier aus ſorg=
fältig
gebleichten, mit roher Stärke vermiſchten Ha=
dern
, doch wurde auch farbiges für beſtimmte Zwecke
angefertigt ; blaues, um der Trauer Ausdruck zu
leihen, rotes zur Verkündigung froher Ereigniſſe, gel=
bes
für den Gebrauch der Vornehmen und Reichen uſw.
Sogar bunt dekoriertes Papier machte man.
In Deutſchland fand die Papiermacherkunſt erſt zu
Ende des 12. Jahrhunderts Eingang; in Frankreich,
England und Italien noch ſpäter. Lange bediente man
ſich in dieſen Ländern nur der Hadern für den Zweck,
und erſt, als mit der wachſenden Ziviliſation
dieſes Material nicht mehr genügte, um das
Schreibbedürfnis des Publikums zu erfüllen und die
Nachfrage ſeitens der Druckereien zu befriedigen, ſah
man ſich nach Surrogaten um. Gegenwärtig haben
dieſe die Lumpen zwar nicht verdrängt, aber immerhin
wird aus dieſen allein verhältnismäßig wenig Papier
erzeugt.
Unter den Surrogaten der Hadern für die Papier=
fabrikation
dürften die wichtigſten ſein: Holz und Holz=
faſern
, Stroh und allerhand Grasſorten, vorzüglich das
Eſpartogras, das beſonders in England in ungeheu=
ren
Maſſen verarbeitet wird, ſowie Jute, Hanf und
Baſt. Zigarettenpapier bereitet man zum Beiſpiel aus
ſehr feſten Holzfaſern; ſogenanntes Filtrierpapier, das
heißt die feinſte Sorte des ungeleimten Löſchpapiers,
aus weicheren Holzfaſern, Strohpapier aus Getreide=
ſtroh
, Zuckerpapier aus Jute, Hanf und Holzſtoff, Baſt=

papier aus Jute, Hanf und Nadelholzſtoff, Wollen=
papier
aus Wolle, Baumwolle und Leinen und Perga=
mentpapier
, wie ferner andere hervorragend feſte und
widerſtandsfähige Papierſorten aus Holzſulfitſtoff.
Für Banknoten dienen dagegen meiſt feſte Hanffaſern.
Das Papier, aus denen man ſie macht, führt den Na=
men
Wilioxpapier oder Pflanzenfaſerpapier. Die letz=
tere
Bezeichnung hat es nicht wegen des dazu benutzten
Grundmaterials erhalten, ſondern weil man es, bevor!
es ganz trocken geworden, mit verſchiedenartig gefärb=
ten
Pflanzenfaſern beſtreut. Das hierbei angewandte
Verfahren iſt jedoch äußerſt kompliziert und wird
ſtreng geheim gehalten, woher es denn auch noch nie
geſchehen iſt, daß man Banknoten mit Hilfe von vor=
ſchriftsmäßig
fabriziertem Wilioxpapier gefälſcht hat.
Gerade an der Manier, wie die bunten Faſern dem
Papier einverleibt werden, iſt meiſt die Unechtheit der
Kaſſenſcheine erkannt worden. Was nun das Luxus=
papier
anbetrifft, ſo kommt jede Art von Material, aus
der überhaupt Papier gemacht wird, dafür in Betracht,
um der Ware Abwechſelung zu verleihen und ſie mitt
beſonderen Effekten auszuſtatten.
Als Kurioſum möge erzählt werden, daß vor etwa
einem Dezennium ein Amerikaner Luxuspapier aus
Kuhmilch hergeſtellt hat. Er verfuhr dabei in der
Weiſe, daß er dieſelbe einen Gerinnungsprozeß durch=
machen
ließ, bei dem ſich der Käſeſtoff von den Molken
ſchied. Das erſtere Produkt wurde nun mit verſchie=
denen
Säuren behandelt, durch die es eine zähe, gum=
miartige
Beſchaffenheit und eine, altem Elfenbein
ähnliche Färbung annahm. Zwiſchen Platten gepreßt,
die mit ſcharf ausgeprägten, vertieften Muſtern ver=
ſehen
waren, erhielt das Papier das Ausſehen von
hauchdünnen Elfenbeinplatten mit reliefartig ausge=
ſchnitzten
Verzierungen. Es ſoll unvergleichlich ſchön
ſein, aber ſo teuer, daß gewöhnliche Sterbliche ſich nicht=
den
Luxus geſtatten dürften, darauf zu ſchreiben. Nur
die Milliardärsdamen New=Yorks und andere nicht
minder mit irdiſchen Glücksgütern Begabte benützen es
für ihre Korreſpondenz. Um ein Kilogramm dieſes
koſtbaren Papieres zu fabrizieren, benötigt man 60
Liter Milch. Doch, woraus hat man nicht ſchon ver=
ſucht
, Papier zu machen! Es gibt vielleicht wenige
Stoffe, die nicht, wenn auch nur vorübergehend, für den
Zweck in Anſpruch genommen ſind. Von dem orienta=
liſchen
Roſenpapier, das aus zerſtampften, mit einer=
Kittmaſſe zuſammengekneteten Roſenblättern bereitet
wird, und zwar nicht ſonderlich ſchön ausſieht, aber
wunderbar duftet, gar nicht zu reden, will ich nur das
wie aus Kriſtallen kombinierte Kohlenpapier des Eng=
länders
Roſeberg, das aus einem Rückſtand des ge=
reinigten
Petroleums gewonnene Packpapier, das,
wenn ich nicht irre, in Sizilien gefertigte Muſchel=
papier
ſo genannt, weil man dafür den zähen Schleim
gewiſſer Schalentiere verwendet , das Inſekten= oder
Fliegenpapier nennen, welches ein ingeniöſer Hollän=
der
aus einer hinterindiſchen Fliegenart, welche dort
ein Schrecken des Landes iſt, herzuſtellen unternahm.
Alle die erwähnten Papiere haben indeſſen nie Ver=
breitung
gefunden; ihre Fabrikation waren Experi=
mente
, die keinen Erfolg hatten und daher gar nicht
oder doch nur ſelten wiederholt wurden.
Der Vollſtändigkeit wegen nenne ich zum Schluß
noch das javaniſche Reispapier, das man wegen ſeiner
Verwendbarkeit für allerhand Luxus= und Gebrauchs=
artikel
, wie Fächer, künſtliche Blumen, Täſchchen uſw.
hoch ſchätzt. Reizend ſehen auch darauf ausgeführte
Aquarellmalereien aus. Es quillt, wenn es angefeuch=
tet
wird, auf und macht, mit der Farbe benetzt, den
Eindruck von Sammet. In Wahrheit iſt es nichts, als
ein fein geſchältes, dünn geſpaltenes Blatt der ſchnee=
weißen
Wurzel einer Papilionetenart, der Aeschyno-
mene
paludosa, oder des Markes der Aralia papyri-
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