Darmstädter Tagblatt 1903

Abonnemenkspreis
monatlich 50 Pfg, vierteljährlich 150 Mk.,
halbjährlich 3 Mk. einſchl. Bringerlohn.
Auswärts werden von allen Poſtämtern
Beſtellungen entgegengenommen zu 1.80 Mk.
vierteljährlich.

GöG
Inſerate
für das wöchentlich 6mal erſcheinende Tag=
blatt werden angenommen in Darmſtadt
von der Expedition Rheinſtraße Nr. 23. in
Beſſungen von Blößer, Beſſungerſtraße
Nr. 48 und Schießhausſtr. Nr. 14, ſowie aus=
wärts von allen Annoncen=Expeditionen.

166. Jahrgang.
Verbunden mit„Wohnungs=Anzeiger= und der Sonntags=Beilage:
Aluftrierkes Ankerhalkungsbſatk.

Amtliches Organ für die Bekanntmachungen des Großh. Kreisamts, des Großh. Polizeiamts und der andern Behörden.

N125.

Mittwoch, den 29. Juli.

1903.

Gefunden: 1 Granatarmband mit daranhängendem Herzchen und dem Mono=
gramm G. B. 1 Handtuch mit roten Streifen. ge3. P. G. 1 Quittungskarte, auf den
Namen Chriſtine Brunner lautend.-7 grünledernes= Vortemonnaie mit Inhalt.
1 Zwicker. 1 rotbraunledernes Portemionnaie mit Inhalt. 1 Fächer. 1 ſchwargledernes
Portemonnaie, enth. 3 Pfg. 1 Militärpaß, auf den Nanien Georg Hopp lautend.
1 weißer Kinder=Strohhut mit weißem Band. 1 Schächtelchen, enth. 1 Kinderbroſche
lein Blatt darſtellendſ.1 Gummiball. 8 weißleinene Umlegekragen und 2 Gummi=
kragen. 2 mittelgroße Schlüſſel. 1 Fenſterladen. 1 Leiter und 1 Sturmlaterne im
Palaisgarten liegendſ. 1 roſä Umhängetuch. 1 Milchkanne. 1 goldener Uhranhänger
mit einem Fraueſkopf.
In den Wagen der elektriſchen Straſzeubahn gefunden und in Verwahr der
diesſeitigen Fundſtsle. 1 mittelgroßer Schlüſel. 1 gelbes Armband Uunechth. 8 Paar
Handſchühe. 1 ſchwarze Wachstichtaſche. 1 Gipsfigur. 1Viſitkartentäſchchen. 3 Schirme.
1 Kinderſtöckchen.1 Wecker.-1 Zwicker. 1 kleines Bild ſeine Dame darſtellend.
1 Kinderſpieluhr. 1 Wurzelbürſte. 1 Tragring.
Verloren: 1 rotſeidenes Tuch. 1 kleines goldenes Herzchen mit 1 weißen Perle
beſetzt. 1 goldenes Bröſchchen mit 1 Opal beſetzt. 1 Brief, enth. 1 Zeichnung und
1 Voranſchlag. 1 ſilbernes Halskettchen. 1 rote Bade=Gummimütze (Kindermütze).
Entflogen:1 Paar weiße Schlagtauben.
Zugeflogen:1 helb und ſchwarzer Kanarienvogel.
Darmiſtadt, den Lo. Juli 1903.
Fundbureau Großherzoglichen Polizeiamts,
geöffnet von 8-12 Uhr vormittags und 2-6 Uhr nachmittags.

Bauarbeiten.
Die Herſtellung von Plattenfuſ=
böden einſchl. Plattenlieferung (zirka
1600 am) für den Schulhaus=Neubau,
in der Hermannſtraße ſoll vergeben
werden.
Arbeitsbeſchreibungen u. Bedingungen
liegen bei dem unterzeichneten Amte-
Grafenſtraße Nr. 30, Zimmer Nr. 9 der Dienſtſtunden offen, wo=
ſelbſt auch die Angebotsſcheine abgegeben
werden.
Angebote ſind bis
Samstag, den 8. Auguft 1903,
vormittags 10 Uhr,
bei unterzeichneter Stelle einzureichen.
Darmſtadt, am 27. Juli 1903.
Stadtbauamt.
(13204im
Frenah.

Vergebung
von Fußſteigarbeiten.
Die Herſtellung von Zementplatten=
fußſteigen in der Heinheimer=, Weſtſeite
zwiſchen Liebfrauen= und Ringſtraße,
ſowie in der Lagerhausſtraße, vor dem
Gymnaſium und der Volksſchule, ſoll
verdungen werden.
Arbeitsbeſchreibungen und Bedingungen
liegen bei dem Tiefbauamt, Waldſtraße,
Zimmer Nr. 1. während der Dienſt=
ſtunden zur Einſicht offen. Auch werden
dort die Angebotsſcheine abgegeben.
Angebote ſind bis
Samstag, den 1. Auguſi l. J.
vormittags 10 Uhr,
bei unterzeichneter Stelle einzureichen.
Darmſtadt, den 28. Juli 1903.
Städtiſches Tiefbauamt.
Keller.
(3218md

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Mittwoch, den 26. Auguſt l. J.
vormittags 9 Uhr,
ſollen die dem Jakob Lorenz dahier zu=
ſtehenden Immobilien:
Flur Nr. ⬜ Mtr.
28 307¹⁄₁₀ 300 Hofreite Innere
Ringſtraße,
28 307„ 348 Hofreite daſ.,
ſowie die dem Genannten an den Par=

ſelbſt'
zuſtehende ideelle Eigentumshälfte in
Unſerem Bureau zwangsweiſe verſteigert
werden.
Darmſtadt, 12. Juli 1903.
Großherzogl. Ortsgericht Darmſtadt I
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Müller.

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ſondern
Donnerstag, den 30. Juli d. Js., vormittags 9 Uhr,
werden „Graſenstragge 24, 1 Tr.éé folgende zum Nachlaß des Herrn
Pfarrer i. P. Carl Uhrig gehörigen Gegenſtände, als:
1 polierte Schreibkommode, 1 Kommode, 1 Seſſel mit Lederbezug, ein
Nachttiſch, einige Bücherregale, 1 Kuckucksuhr, 1 Aneroidbarometer,
12 ſilberne Kaffeelöffel, 1 Zuckerzange, 1 großes Oeldruckbild in Gold=
rahmen (ſegnender Chriſtus), verſch. Bilder, feines Glas und Porzellan,
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ſöffentlich gegen bare Zahlung verſteigert.
H. Scharmamm,
Amtsgerichts=Taxator.
1311981)

Wie der Heilige Laurentius.
Von Joſs Nogaſes.
Aus dem Spaniſchen von Mathilde Beck.
Es gab keine Menſchenſeele, die es nicht wußte,
und mehr als das, die es dem Unglücklichen nicht ab
und zu ins Geſicht ſchleuderte. So ſehr es mich auch
betrübt, muß ich mit allen übereinſtimmen, daß der
Ruf eines Trnnkenbolds, Lumps und Taugenichts,
deſſen ſich Hilario erfreute, gerechtfertigt und wohl=
verdient war.
Na nus Schulde ich vielleicht dem Wirt etwas?
pflegte Hilario mit einer Art eyniſchen Stolzes zu
jagen. Und ob er etwas ſchuldetel Nicht dem Wirt,
ſondern allen Wirten der Gemarkung. Dies waren
unwiderruflich ſeine Worte zu jedem, bei dem er eine
feindliche Geſinnung witterte. Wahrſcheinlich fiel ihm
nichts Beſſeres ein, und er machte es wie jener andere,
der nur eine falſche Peſeta ſein eigen nannte und ſie
bei jeder Gelegenheit,ſo ganz durch Zufall= hervorzog.
Hilario gehörte zu dem Geſchlecht der Einſiedler=
grillen. Mit der Welt ſtand er nur durch einige
phyſiſche Bedürfniſſe in Verbindung und mit der
Geſellſchaft durch ein paar entfernte, gleichgültige
Verwandte, die es mit ihren verwandtſchaftlichen
Pflichten wenig genau nahmen. Er kleidete ſich mit
dem, was man ihm gab — gewöhnlich waren es
Dinge von wohlhabenden Verſtorbenen - er aß, was
ihm in den Weg kam, er lud auf ſeine Schultern,
was man ihm jagte, und er betrank ſich von dem,
was ihm ſein eigener Genins oder die Großmut
anderer zukommen ließ. Zum Schlafen hatte er ſich
eine Ziegelhütte erwählt, deren nächtlicher Beſchützer
er wurde.
Der Ziegelbrennerei gegenilber leuchteten des Nachts
in geſpenſtiſchem Weiß die Tapiamanern des Friedhofs.
Niemand wollte ſich dazu hergeben, hier Wache zu

halten aus Angſt vor der Furcht, das iſt der mit ſich
ſelbſt multiplizierten Furcht, und ſo durfte Hilario
unentgeltlich Nachtwächter ſein, indem er ſchnarchte
wie ein Gebenedeiter des Herrn, im Winter neben
dem Ofen, wo Backſteine und Ziegel gebrannt, im
Sommer neben dem Brunnen im Hofe, wo ſie ge=
formt wurden. Mehr als einmal kam es ihm vor,
daß er ſein Geſicht in den naſſen Lehm legte, um
dort Kühlung zu ſuchen, und am nächſten Tage ging
er umher mit den getrockneten Schmuzklümpchen in
den krauſen Haaren, die ihm wie kleine Schellchen um
den Kopf herumhingen. Nur einmal in ſeinem Leben
ſoll er ſich gründlich gewaſchen haben, und dies geſchah
unfreiwillig. Ein reißendes Gewäſſer hatte ihn erfaßt,
und er wäre ſicher ertrunken, hätte er ſich nicht an
einen Oleanderſtrauch geklammert und mit deſſen Hülfe
ans Land gerettet.
Die Wihbolde des Ortes hatten Hilario der
Klaſſe der unnützen Tiere zugeteilt, und wenn ſich die
Jugend beiderlei Geſchlechts in den kurgen Feierſtunden
vergnügte und ihren Geiſt in Pfänder= und Rätſel=
ſpielen ſchärfte, da wurde auch oft die weisheitsvolle
Frage aufgeworfen:„ Zu was iſt Hilario wohl geboren ? wie man ctwa fragen würde: „Warum gibt es
Mücken?- oder „Weshalb machte Gott Heuhüpfer?
Hilario ſeinerſeits hatte auch ein dunkles Gefühl,
als ob er zu irgend etwas geboren wäre .. nur
war ihm nicht Llar, ob ſich noch keine Gelegenheit
geboten hätte, dies kund zu tun oder ob der Zweck
ſeines Daſeins darin beſtände, zu trinken, was ihm
mter die Hände kam, und in der Ziegelhütte zu
ſchlaſen, ſolange es ihm beliebte. Im übrigen war
es nicht ſeine Art, ſich den Kopf über etwas zu
gerbrechen. Selbſt die unmittelbare Nähe der Toten
brachte ihn nicht aus ſeinem Gleichmut und erweckte
in ſeiner Seele keinen Schatten von Unruhe.

Da ſchuften ſie und ſchuften ſie, ſagte er manch=
mai, indem er hinüberſchaute zu dem leuchtenden
Weiß der Friedhofmauern, und dann kommen ſie
dorthin. .. Weshalb ſagen ſie nicht, ob es hier
oder dort
Seine Philoſophie reichte nicht weiter. Die Leute
von hier, das heißt im Leben, ſchufteten nach ſeiner
Anſicht und wurden zu Beſtien voll Stolz, Chrgeiz
und Rückſichtsloſigkeit. Dann kamen ſie dorthin, auf
den Kirchhof, und in der Ruhe der Sternennächte
wußten ſie nichts zu ſagen - weder von hier, noch
von dort. Sie waren nichts als Erde, aus
denen man Ziegel und Backſteine brennen konnte.
Und er hatte das dunkle Bewußtſein, als läge
in dieſer Weltordnung der unerbittlichen Gleichmachung
eine göttliche Gerechtigkeit, der er ſeinen Beifall zollte.
— Wenn doch alles auf dasſelbe hinausläuft, braucht
man ſich nicht aufzuregen.
Dem menſchlichen Geſchlecht bewahrte er eine
unwandelbare Zuneigung, die ſich in ruhiger Gleich=
gültigkeit offenbarte. Er war von der feſten Ueber=
zeugung beſeelt, daß die Menſchen gut oder wenigſtens
beſſer wären, wenn ſie ſich nicht um ihre gegenſeitigen
Angelegenheiten kümmerten. Er ſelbſt war bekannt
dafür, daß er ſeinen Mitmenſchen nie etwas Schlimmes
nachſagte, und es nicht wagte, ihre Handlungen gut
oder ſchlecht zu nennen.
Des Abends blieb er im Wirtshaus am Markt=
platz ſitzen, bis ihn ein paar tüchtige Fäuſte hinaus
unter die Pappeln beförderten. Er betrachtete dieſen
Gewaltakt als eine notwendige Formel, und wenn er
dann in ſeinem trunkenen Duſel - denn es gab immer
mitleidige Seelen, die ihm ein Gläschen ſpendeten— paar leichte Schläge von der kleinen Hand des
Wirtstöchterleins fühlte, ein Roſenknöſpchen von etwa
ſieben Jahren, und hörte wie ſic ihm mit ihrem feinen
Flötenſtimmchen nachrief: Häßlicher Hilariol Be

ſämtlicher

(3079msms
Gommer-Aazügo, Faletots,
Lüster, Loden-Joppen,
Piaué-Westem, Hosem etC.
Anaben-Maschblusen und Hosen.
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die 7underwood' alle Dorzuge einer guten Schrelbmaſchlne
hat. Voliſtändig ſichtbare Schrift, daher keine Schrelbfehler,
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ſchöne Schrift, großie Schreibſchnelligkeln, mlnimales Gerduſch.
glebt es nur einen weg vorwärts zu kommen,
Zeit und 6eld zu ſparen, durch ſchöne Briefe Der-
OLUO nen z ewecken. mit einem Dort. - unſer
veraltetes Bureau zu moderniſieren.
wird die Roſchaffung einer Schrelbmaſchine und
zwar die Underwoodeshreſömaſchine mit ſicht=
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barer Scheift und Tabulator beſtens empfohlen.
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Durmſtädter Taghlatt, Mittwoch, den 29. Jak 1903.

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trunkener Hilariol da war es ihm wie eine
himmliſche Erfriſchung, und liebliche, geheimnisvolle
Dinge ſchwebten ihm vor, die es in dieſer Welt geben
müſſe und die er nicht kannte Er dünkte ſich
dann der Menſchheit näher und lauſchte den Puls=
ſchlägen einer neuen, großen Seele, die ſein ganzes
Innere erfüllte.

Es kam ein Tag, an dem ſich die Witzbolde und
Waiſen im Dorſe jagen mußten, daß Hilario doch zu
etwas geboren war.
Es war Nachmittag, und er ſaß im Wirtshaus
mit der Kanne zwiſchen den Beinen und einem
großen Glaſe in der Hand. Er war reich und ſetzte
ſein ganzes Vermögen von vier Peſetas, das er ſich
gewiſſenhaft durch Reinigung und Füllung eines
Kornbodens erworben hatte, in Flüſſigkeit um. Er
trank ruckweiſe mit jener ſtillen Feierlichkeit des
berufsmäßigen Bacchusbruders. Die Pappeln auf
dem Marktplatz flüſterten ſich in dem leichten Abend=
winde etwas Geheimnisvolles zu. Die letzten Sonnen=
ſſtrahlen ſchimmerten goldig auf den laubreichen Kronen.
Von dem plätſchernden Brunnen ſtieg es auf wie
friſcher Rebel und rhythmiſches Gemurmel von reinen,
Elingenden Harmonieen. Zu dieſen friedlichen Lauten
geſellte ſich bald das Geſchwirr von kindlichen Stimmen.
Es waren die Kleinen aus der Schule, die ſingend,
lachend und ſchreiend einherſprangen wie Vögel, die
ihrem Käfige entflohen waren.
Da plötzlich tönten aus den holperigen Gaſſen,
die auf den Marktplatz mündeten, ſeltſame Laute von
geängſteten Menſchen. Schreiend und geſtikulierend,
als ob ſie eine nahende Gefahr verkünden wollten,
ſtürgten Männer und Weiber herbei. Ein Schuß
Frachte, dann ein zweiter, und unter dem Schreckens=
geheul der Menge pflanzte ſich ein großer, ſchwarzer
Hund, verwundet und blutig, auf den Marktplatz unter
Hie Pappeln. Seine Haare auf dem Rücken hatten
ſich geſtellt, und aus den Lefzen hing der Geifer der
Tollwut in langen, klebrigen Fäden herunter. In

dem fahlen Dämmerſchein leuchteten die Augen des
Hundes wie zwei bläuliche, Unheil verkündende Lichter.
Von den Angſt erfüllten Eltern gerufen, liefen die
aus der Schule heimkehrenden Kinder, ſo ſchnell ſie
ihre kleinen Beine trugen, nach den Häuſern und
ſuchten dort Zuflucht. Nur die Kleine des Wirtes,
die von einem anderen Kinde einen Stoß erhalten
hatte, kam zu Fall und blieb zappelnd und ſchreiend
auf der Erde liegen.
Der tolle Hund lief mit ſieberhafter Eile in der
entgegengeſetzten Richtung von dem weinenden Bündel,
das ſich auf der Erde wälzte. Doch als er an den
Brunnen kam, brachten ihn die glitzernden Tropfen,
die Feuchtigkeit und das Plätſchern des Waſſers zum
Stehen, und ein krampfartiges Zittern überlief ſeinen
Körper. Mit hämmernden Weichen zog er ſich zu=
ſammen wie ein Tiger, ſchleuderte ſeinen Geifer in
einem Anfall tödlicher Angſt auf die Pflaſterſteine
und wich ſcheu zurück von dem qualvollen Anblick
des fließenden Waſſers. Geängſtet, entſetzt, mit ge=
ſträubten Haaren machte er kehrt und floh, wie von
Furien gepeiſcht, von allen Schrecken des Todes gehetzt.
Da erblickte er eine kleine Strecke vor ſich die
laufende Kleine, die ſich wieder vom Boden erhoben
hatte. Seine tolle Wut verdoppelte ſich und gierig
ſtürzte er dem Kinde nach .. Wie aus dem Boden
gewachſen ſtand plötzlich ein Mann zwiſchen ihm und
ſeinem Opfer, ein Beil in der Hand, ruhig, kühn
und mit einer kaltblütigen Ueberlegenheit, als ob er
den Willen des Schickſals verkörperte.
Der Kampf war kurz. Der Hund biß den Mann,
daß die Fleiſchfetzen an ihm herunterhingen. Der
Mann verſetzte dem Hund einen Hieb. Im letzten
Todeskampfe zuckend, blutüberſtrömt und mit giftigem
Geifer bedeckt, lag er zu ſeinen Füßen.. Und die
ihn ſahen, ſagten, daß der heldenmütige Retter Hilario,
wie er ſo unter den rauſchenden Pappeln ſtand, mit
gerbiſſenem Fleiſch, den Fuß auf der verendenden
Beſtie, eine großartige, ihnen ganz unbekannte Er=
ſcheinung war.
Als er zum Wirtshaus zurückehrte, um das
Beil wieder abzugeben, luden ihn alle ein. Tauſende

von Hausmitteln wurden ihm anempfohlen gegen den
Biß, aber er hielt ſich an den Wein. Als die Nacht
ſchon lange hereingeſunken war, und er, überdrüſſig,
noch länger der Held des Tages zu ſein, mit un=
ſicherem Schritt aus dem Wirtshaus wankte, da
wurde ihm das unerwartete, unſägliche Glück zu teil,
daß ihm das Wirtstöchterlein von ihrem Fenſterchen
aus zurief:„Leb wohl, häßlicher Hilariol Betrunkener
Hilariol-
Und dem Säufer wurde es weich ums Herz.
Er kam gerade noch recht in ſeiner Ziegelhütte an,
ehe ein heftiges Gewitter losbrach. Blitze, Donner,
Waſſerſtröme und Hagel. Wie die Ziegel und Back=
ſteine da draußen unter dem freien Himmel ihre
Schönheit verloren und ſich zu formloſen Klumpen
ballten! Und da Hilario vor Froſt am ganzen Körper
zitterte und eine tödliche Kälte in den Adern fühlte,
kroch er in den großen Ofen, der am Tag vorher
leer geweſen, aber jetzt geheizt war, daß er das
widerſpenſtigſte Stück Fleiſch zum Röſten gebracht
hätte.
Dort legte er ſich nieder und wurde zu Tode
gebraten dicht neben den dampfenden Backſteinen, in
ſeligem Unbewußtſein, ein menſchlicher Klumpen,
getränkt von Alkohol und hydrophobiſchem Gifte.
Als ihn am nächſten Tage die beſtürgten Arbeiter
umdrehten und von der heißen Platte losriſſen, ſahen
ſie, daß er auf der anderen Seite ganz geröſtet war.
Armer Kerll meinten die Frauen. Alſo des=
halb wurde er geboren, um wie der Heilige Laurentius
zu ſterben - wenn er auch im Leben ein Wein=
ſchlauch war.
Daß er wie der Heilige Laurentius ſtarb ver=
lieh ihm einen gewiſſen Nimbus... Armer Teufel!
Seine Beerdigung war eine Frage von wenigen
Schritten. Da liegt er nun begraben hinter der
weißen Tapiamauern und weiß nichts zu ſagen, weder
von hier noch von dort... Und aus ſeinem Staub=
werden Ziegel und Backſteine gebranntl

Ar 115

Darmſtäbker Tagblatt, Mittiooch, den 20. Juli 1903.

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