Darmstädter Tagblatt 1880


17. Juni 1880

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143.
Jahrgang.

143.
Jahrgang.

Abomementspreis
vierterährlich 1 Mark 50 Pf. unck.
Bringerlohn. Auzwärn werden von
allen Poſtämtern Beſtellungen ent=
geyengenommen
zu 1 Marl 50 Pf.
vw Qnarial uc Poſtaufſchlag.

Srag= und Anzeigeblaft.)
Mit der Sonntags=Beilage:
ghauſdittep zeur-hulluugvothir.

Iuſerate
werden angenommen; in Darmſtadt
von der Expedition, Rheinſtr. Nr. 28.
in Beſſungen von Friedr. Böößer,
Holzſtraße Nr. 18. ſowie auzwärtz
von allen Annonten=Erpeditionen.

Amtliches Organ
fur die Bekanntmachungen des Großh. Kreisamts, des Großh. Polizeiamts und ſämmtlicher Behörden.

N 1I6.

Donn erstag den 17. Juni.

1880.

B e k a n n t m a ch u n g.
Die Beſtimmungen in 8 5 des Polizei=Reglements vom 10. September 1869, wonach in den Monaten Juli und Auguſt
das Ausleeren der Abtrittsgruben und das Wegfahren des Grubeninhalts nur in beſonderen Nothfällen und auch dann nur nach
vorheriger Desinfection und zuvor eingeholer polizelicher Erlaubniß geſtattet iſt, wird hiermit in Erinnerung gebracht.
Darmſtadt, den 15. Juni 1880.
Großherzogliches Polizeiamt Darmſtadt.
Haas.
B e k a n n t m a ch u n g.
Die Carlsſtraße wird von der Schul= bis Nieder=Ramſtädterſtraße für Fuhrwerke geſperrt.
Darmſtadt, den 13. Juni 1880.
Großherzogliches Polizeiamt Darmſtadt.
Haas.

Ueberſicht der Durchſchuittspreiſe
von folgenden Früchten vom 30. Ma bis H. Juni 1880.
Waizen per Sack 100 Kilo M. 25.50. - 26. Korn per
Sack 100 Kilo M. 20.50-22. Gerſte per Sack 100 Kilo
M. 19.50-22. Hafer per Sack 100 Kilo M. 14.50-16.50.
Darmſtadt, den 10. Juni 1880.
Großherzogliches Polizeiamt Darmſtadt.

Ueberſicht der Markipreiſe
von folgenden Gegenſländen vom 30. Mat bis H. Juni 1880.
Butter per ¹ Kilo M. 1.5., ditto in Parthieen 100 Kilo
95 Pfa. Eier per Stück 6 Pfg., ditto per 25 St. M. l. 12.
Kartoffeln per 100 Kilo M. 7.50, ditto per 25 Kilo M. 1.88.
Kornſtroh per 50 Kilo M. 3. Heu per 50 Kilo M. 3.50.
Darmſtadt, den 10. Juni 1880.
Großherzogliches Polizeiamt Darmſtadt.

Gläubiger=Aufforderung.
Forderungen und ſonſtige Anſprüche an
den entmündigten Valentin Ganßmann
von Darmſtadt ſind binnen 14 Tagen bei
unterzeichnetem Amtsgerichte anzumelden,
anſonſt ſie bei Regulirung der Vermögens=
Verhältniſſe nicht berückſichtigt werden.
Darmſtadt, den 10. Juni 1880.
Großherzogliches Amtsgericht Darmſtadt I.
Heß.
Kümmel.
5555)

b6

52

pe

Oeffentliche Aufforderung.
Die Wittwe des am 15. Mai l. J.
verſtorbenen Großherzoglichen Rechtsanwalts
Johannes Müller zu Darmſtadt hat
mit Rückſicht auf den Advokaturbetrieb ihres
verſtorbenen Mannes und die daraus mög=
licher
Weiſe ſich ergebenden Anſprüche
Dritter deſſen Nachlaß Namens ihrer ſelbſt
und ihrer ſämmtlichen noch minderjährigen

Kinder unter der Rechtswohlthat des In=
ventars
angetreten. Es werden daher Alle,
welche Anſprüche an den Nachlaß glauben
bilden zu können, aufgefordert, ſolche
binnen vier Wochen
vom erſten Erſcheinen dieſer Aufforderung
in den öffentlichen Blättern gerechnet, bei
uns anzumelden und zu begründen, als
fonſt Verzicht unterſtellt und ſolche des
Weiteren Berückſichtigung nicht finden würden.
Darmſtadt, den 10. Juni 1880.
Großherzogliches Amtsgericht Darmſtadt I.
Beisler.
5613)
Bartha.

Brod=Lieferung.
Die Lieferung des Brods für die Ge=
fangenen
in dem Großherzoglichen Gefäng=
niſſe
dahier für das 2. Semeſter 1880 ſoll
im Wege der Submiſſion vergeben werden.
Diejenigen Bäckermeiſter, welche dieſe

Lieferung zu übernehmen wünſchen, werden
daher eingeladen, die Lieferungsbedingungen
auf dem Bureau der Großherzoglichen
Gefängnißverwaltung dahier einzuſehen, ihre
ſchriftlichen Submiſſionen, welche auf
Laibe zu 3 Pfund mit feſtem vom
Ladenpreiſe unabhängigem Preiſe zu
richten ſind, bis zum 22. d. Mts., ſpäte=
ſtens
um 11¼ Uhr Vormittags, verſiegelt
in den daſelbſt aufgeſtellten, von uns ver=
ſchloſſenen
Kaſten einzulegen, und
Dienstag den 22. l. Mts.,
Mittags 12 Uhr,
in dem genannten Bureau der Eröffnung
der eingelaufenen Submiſſionen beizuwohnen.
Darmſtadt, den 15. Juni 1880.
Großherzogliche Provinzial=Direction
Starkenburg.
In Vertr.:
5614) v. Zangen, Kreis=Aſſeſſor.
306

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2
Steinkohlen=Geſellſchaft Merkur=
Die verehrlichen Mitglieder werden hiermit benachrichtigt, daß die Ausfuhr der
Kohlen bereits begonnen hat, weßhalb der betr. Aufbewahrungsort gefl. in Bereitſchaft
gehalten werden wolle.
Diejenigen Mitglieder, welche die beſtellten Kohlen nicht vor Ende Juli zu
erhalten wünſchen, werden gebeten, dies dem Rechner gefl. ſofort anzuzeigen.
Anmeldungen neuer Mitglieder werden bei dem Rechner des Vereins, Herrn
Kr. Klippel, Schloßgartenſtraße Nr. 9, noch entgegengenommen.
Der Vorſtand.
Darmſtadt, den 15. Juni 1880.

Geſchäfts-Verlegung und Empfehlung.
Meinen werthen Kunden und Abnehmern zeige ergebenſt an, daß ich vom Heutigen
nicht mehr Eliſabethenſtraße 4, ſondern
6 Schu l ſt r a ß e 6
mein Schuhmacher geſchäft verlegt habe. Ich danke beſtens für das mir bis jetzt
geſchenkte Vertrauen und werde ſtets bemüht ſein, durch gute Waare und reelle billige
Achtungsvoll
Preiſe daſſelbe mir zu erhalten.
5631)
Georg Keilmann.

Mein Geſchäft
befindet ſich von heute an
Ernſt=Ludwigſtraße Nr. 15
im Hauſe des Herrn Hof=Bouquetlieferanten
Henkel.
E. Sohmidlt,
Damen=Confection.

Offene Lehrlingsſtelle.

Ich ſuche für mein Leinen= und Aus=
ſtattungs
=Geſchäft einen braven jungen
Mann in die Lehre.
Alexander Aehermann.

3994) 4300 Mark ſind gegen erſte
Hypothek vom 1. Juli ab auszuleihen.
Wo? ſagt die Expedition.

5608) Eine reinl. Frau ſucht Lanfdienſt.
Näheres Langegaſſe 4 im Laden.

Spracharz Gerdis, Bingen,
heilt
5395)
Stotternde.

Mädchen,

flink und geſetzt, werden in unſerer Choco=
ladenfabrik
als Arbeiterinnen angenommen.
Wehner & Fahr,
Holzhof=Allee.

5589) Lauteſchlügerſtraße 34 kann
Wüſche gebleicht werden.

Haupt=Agentur

einer eingefuhrten älteren Lebens=u. Feuer=
Verſich=Geſellſch. ſucht einen anſtänd. ſolid.
Vertreter. Offert. sub B 6 d. Exp. d. Bl.

5634) Laden mitkleinem Rebenzimmer,
gangbare Lage, ſogleich geſucht. Briefe mit
Preisangabe unter D. E. 5634 in der
Exped. d. Bl. zu hinterlegen.

g Lodes=Anzeige.
Statt beſonderer Anzeige theile Ver=
wandten
und Bekannten die traurige Nach=
richt
mit, daß meine theure Schweſter,
Katharina Mattern,
nach kurzem Leiden ſanft verſchieden iſt.
Margarethe Mattern.
Die Beerdigung findet Donnerstag,
Nachmittag um 3 Uhr vom Hoſpital aus
ſtatt.
Darmſtadt, den 16. Juni 1880.

3 Todes=Anzeige.
Statt jeder beſonderen Anzeige
machen wir Verwandten und Freun=
den
die traurige Mittheilung von dem
heute Morgen 3 Uhr im 88. Lebens=
jahre
erfolgten Tode unſeres geliebten
Vaters
Leonhard Germann.
Darmſtadt, den 16. Juni 1880.
Die trauernden Hinterbliebenen.
Die Beerdigung findet den 18. Juni,
Nachmittags 6 Uhr, ſtatt.

Jsraelitiſcher Gottesdienſt.
Haupt=Synagoge).
Samstag den 19. Junt: Vorabendgottesdienſt um 7½, Uhr. Morgengottesdienſt um 8 Uhr
Predigt um 84 Uhr.
Nachmittaggottesdienſt um 4 Uhr. Sabbathausgang um 9 Uhr 20 Min.

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5631)

R 16
Verſteigerungs=Anzeige.
Sainstag den 19. Juni 1880, Vormittags 10 Uhr, werden in dem Gaſt=
äauſe
zum weißen Schwanu dahier, im Saale links, die folgenden Pfänder gegen
Haazahlung öffentlich verſteigert, als: 2 Canapee's, 1 Spiegel, 1 Schreibpult, 1 Näh=
eſchine
, 1 Kaunitz, 2 Commode, 1 Zuſammenlegtiſch, 1 Seſſel, 1 Spiegel, 3 Oeldruck=
er
, 4 Bilder, 3 Kleiderſchränke, 6 Stühle, 2 Uhren u. 1 goldne Uhr mit goldner Kette.
Darmſtadt, den 17. Juni 1880.
Kaiſer, Großh. Gerichtsvollzieher.

5543) Wohnung geſucht!
per 1. Olktober, 5 Zimmer, in der Sand=,
Hügel= oder Steinſtraße.
Offerten unter C. G. Nr. 25 durch die
Expedition erbeten.

5366) Ein junger militärfreier Kaufmann,
welcher der dopp. u.einf. Buchführung, ſowie
Correſpondenz vollkommen müchtig iſt, ſucht
unterbeſcheid. Anſprüchen Placement. Offerten
erbeten unter L. 5 32 an die Exp. d. Bl.

Rhein=Salm, Seezungen,
Hechte, Lurholdse
Karpfen, Schleien,
Krebſe,
Aal,
lebend, friſch, billig.
Gebr. Hösiüger
5638)
Hof=Lieferanten.

1151
Neue Kartofieln
per ½ Kilo 16 Pfg.
Extrafeine Isländ. Matjes-
Häringe
per Stück 10 Pfg.
Schottische MatjesHäringe
per Stück 8 Pfg.
S EAIttefllos.

für ſümmtliche
a; LuonoGh exiſtirende
Zeitungen der Welt befördert zu den
günſtigſten Bedingungen die Central=
Annoncen=Exped. von G. L. Daube
&Em Co. in Darmſtadt, Grafenſtraße 30.

ſEingeſandt.) Die in dieſem Blatt am 10. Juni erſchienene, Erklärung von Unterzeichnern eines Wahlaufruſes bei Gelegenheit der letzten Wahlen zu
Kirchengemeindevertretung hat im Darmſtädter Täglichen Anzeigeru vom 15. Juni eine Entgegnung gefunden. Obwohl die Entgegnunz
in keinem Punkte jene Erklärung entkräftet hat, ſo lädt doch ihr ruhiger Ton (im vortheilhaften Gegenſaße gegen eine ſpätere Expectoration in dem
ſelben Blatte) zu einer weiteren Discuſſion der genannten Angelegenheit ein. Daß von der Entgegnung jene Erklärung; als ein Product de=
Verdruſſess der mit ihrem Wahlvorſchlag unterlegenen Erklärer hingeſtellt wird, gehört zu den kleinen Bosheiten der Zeitungspolemit die Nie=
mand
weh thun; daß durch einen lapsus logicus die Erklärer anſpielungsweiſe in den beängſtigenden Verdacht gebracht werden, ſich ſelbſt für;L
gehörige einer kleinen Partei zu halten, die ihrer Meinung nach gar nicht exiſtirt, auch nicht. So harmlos aber, wie dieſer Artikel die 6--
Luhig und friedlich gehaltene Wahlanſprache; des Proteſtantenvereins hinſtellt, war dieſelbe doch wirklich nicht. Sie würde damit auch gan,
ihre ausgeſprochene Abſicht verfehlt haben, die evangeliſchen Mitbürger Darmſtadts zum Eintreten für ihr uraltes, ernſtlich bedrohtes proteſtan=
tiſches
Recht: wach zu rufen. Vielmehr haben Aufruf und hinterher folgende Verſammlung mit den kunſtreich in Scene geſetzten Schreckgeſpenſtern der
heranziehenden Reaction. der Sprengung der Union und anderer Dinge, die von Heſſen und Darmſtadt gerade ſo weit entfernt ſind als St. Jacobi
in Berlin und Canoſſa in Italien, den Zweck verfolgt und erreicht, durch beliebte Schlagwörter die Sachlage zu verwirren. Und ein ganz
klein wenig Kulturkämpferei= gegen welche der Artikel unſere gute Stadt ſo energiſch verwahrt, iſt doch auch mit dabei geweſen: wöher
ſonſt die Inſinuation, daß ein großer Theil der Herren Geiſtlichen' ſich nicht für Diener der Gemeinde halte?
Doch wodurch haben wir nun die Union, den Proteſtantismus, die Freiſinnigkeit, ja die chriſtliche Religioſität in Darmſtadt gerettet?
1) Durch Reinigung der Kirchengemeindevertretung von ſo böſen Menſchen, die der Gemeindevertretung ſogar das Recht der Petition (- ein allge=
meines
Menſchenrecht - ob aber darum auch ein Corporationsrecht?) beſtritten haben. Seither war man der Anſicht, nicht derjenige ſe
das beſte Mitglied einer Körperſchaft, der ihr alle möglichen und unmöglichen Rechte vindicire, ſondern der die ihm als Mitglied ob=
liegenden
Pflichten am Gewiſſenhafteſten erfüllt. Daß dies im gegebenen Falle geſchehen, kann man wiſſen. 2) Durch Ausſchluß aller
Männer aus der Gemeindevertretung, die von ſtreng confeſſioneller Richtung==und notoriſcher Abneigung gegen die Union--Chhabens wil
alſo in dem unſchuldigen liberalen Varmſtadt eine Aufſichtöbehörde, die es genau weiß, wie confeſſionell Jemand iſt. Das wiſſen die Leute
ja ſelber oft nicht. Und dann haben wir eine proteſtantenvereinliche Orthodoxie die die allein richtige Auslegung der Unions.
urkunde beſitzt, der Unionsurkunde, welche bekanntlich die Confeſſionen beide zu Recht beſtehen läßt (Reſcript an den Süperintendenten fül
Rheinheſſen, 21 Oktober 1834- da durch die Vereinigung der beiden Confeſſionen in Rheinheſſen eine neue beſondere Confeſſion mi
einem beſonderen Glaubens=Symbole nicht geſtiſtet, vielmehr lediglich nur eine Vereiniguna beider nach wie vor proteſtantiſchet
Theile zu gleichem Kultus, zu gleicher Verwaltung und hinſichtlich der Lehre vom Abendmahle zum Gebrauch einer gleichen Lehrform bein
Unterricht bezweckt worden iſt ꝛc.
Kann, mit keinem Rechte der Welt, irgend einer noch den Boden des evangeliſchen Chriſtenthums einhaltenden religiöſen Ueberzeugung da=
Recht der Exiſtenz innerhalb der Unioͤn beſtritten werden, ſo auch nicht das Recht der Theilnahme an der Vertretung in der Gemeinde, dere.
ſteuerzahlende Mitglieder ſie ſind. (Beſtreitet man etwa den Communalſteuerzahlern wegen Abweichung von irgend einer politiſchen Schablone da
Recht der Vertretung im Gemeinderath?) Solche Rechte nicht anerkennen, vielmehr nür nach dem Willen der ſogenanntenMehrheit= fragen
das nennt man aber Majoriſirungs, zu deutſch Mehrheitsherrſchaft.
Wie viel freier wäre es doch gedacht, wenn man ohne Rückſichten auf dogmatiſche Differenzen brave, kirchliche Leute jeder Glaubensrichtun,
an der Löſung praktiſcher Aufgaben gemeinſam arbeiten ließe.
Aber einen Gewinn haben wir: Maͤncher, dem ſehr unverhofft das Ehrenamt des Kirchengemeindevertreters zugefallen, wird ſich durch da=
eidliche
Gelöbniß gewiſſenhafter Erfüllung ſeiner kirchlichen Pflichten gebunden halten, fortan öfker in die Kirche zu gehen, zu kirchliche
Zwecken Geld beizuſteuern u. ſ. w., und wird dann lernen, daß man als ehrlicher Gemeindevertreter eigentlich doch zu ganz andere
ingen da iſt, als die Einem bei Gelegenheit der Agitation erzählt worden ſind, nämlich zum Dienſt an der Gemeinde und fuͤr die Ge
m einde, der, recht betrieben, immer ein Gottes denſt iſt.

Aus dem Leben der verſtorbenen Kaiſerin von Rußland.
SSchluß.)
Am 7. Auguſt traf die ruſſiſche Kaiſerin in Tarmſtadt ein, zwei
age ſpäter reiſte Prinzeſſin Marie mit ihr nach Rußland ab. In ihrem
zefolge befanden ſich ihre Erzieherin, Fräulein v. Grancy, welche der
rinzeſſin ſchon von deren 6. Jahre an beigegeben war die Oberhof=
eiſterin
Freifrau v. Riedeſel, der Hofcavalier Herr v. Türkheim, nebſt
drei männlichen und drei weiblichen Dienerſchaften. Die Reiſe ginz über
Fulda, Weimar ſwo Beſuch der Großherzogin Marie Paulowna, Schweſter
des Kaiſers Nikolaus), Dresden, Görlitz, Schloß Fiſchbach - wo vier=
zehntägiger
Aufenthalt - dann über Breslau durch Schleſien an die
ruſſiſche Grenze nach Kaliſch. Hier kehrten Frau v. Riedeſel und Herr
v. Türkheim nach Darmſtadt zuruͤck, nicht weil ſie zurückgeſchickt wurden,
ſondern weil ſie die Prinzeſſin programmmäßig nur bis zur Grenze
begleiten ſollten. Außerdem aber gingen Fräulein v. Graney und die
ſechs Dienerſchaften mit nach Petersbürg und von letzteren blieben einige

viele Jahre daſelbſt. Unrichtig iſt es, eine ruſſiſche Kaiſerin dürfe kei
Stück Kleidung oder Ausſtattung vom Auslande mit binüber bringer
Die hocheleganteſten Damentoiletten der ruſſiſchen Großfürſtinnen un
Kaiſerinnen werden bis auf den heutigen Tag vielfach in Paris gemacht
Sapienti sat! Es exiſtirt auch kein altes Geſetz und keine Verfügun
des Kaiſers Nikolaus 1. in dieſer Beziehung. Die Prinzeſſin muß=
ebenſowenig
ihre Toilette an der Grenze wechſeln und die Ausſtattun
war durchaus nicht vergeblich geweſen. Sie wurde vielmehr in Peters.
burg ausgeſtellt und allgemein wegen des feinen, ſorgfältigen Geſchmacke
bewundert.
In Kaliſch begannen die Empfangsfeierlichkeiten: Kanonendonne=
Geläute der Glocken, Illumination; ſie ſteigerten ſich von Stadt zu Stad=
der
Zug glich einem Triumphzuge. In Warſchau erſchien Kaiſer Niko
laus wieder. Von der letzten Station vor Warſchau, wo übernacht=
wurde
, bis Warſchau ſtand das Militär Spalier, aſiatiſche Trupper
Tſcherkeſſen u. ſ. w. übernahmen die Escorte. So verlockend es nu.
307

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1152

R 16

auch iſt, Ihnen eine Schilderung dieſer impoſanten Feierlichkeiten
zu liefern, ſo reicht leider der mir bewilligte Raum nicht dazu hin.
Nach dreitägigem Aufenthalte in Warſchau ging die Reiſe weiter
über Praga, Dünaburg und Oſtrow nach Zarskoe=Selo. Hier wurde
acht Tage geraſtet, dann fand der feierliche Einzug in Petersburg ſtatt.
Von dem dort entwickelten Pompe hat man hier zu Lande kaum einen
Begriff. Bei dem Einzuge in Petersburg erſchien die Prinzeſſin zum
erſten Male in ruſſiſchem Koſtüme. Die Großwürdenträger des Reiches,
die hohe Geiſtlichkeit und der Adel, natürlich auch Alles in ruſſiſchem
Koſtüme, waren zugegen; Kanonendonner, Glockengeläute, Muſik, Fahnen,
Illumination waren ſelbſtverſtändlich.
Schon im September 1840 begann der Unterricht der Prinzeſſin uz
der griechiſch=katholiſchen Religion und der ruſſiſchen Sprache, was bis
Anfang April des Jahres 1841 fortgeſetzt wurde; um dieſe Zeit fand die
Verlobung des hohen Brautpaares und etliche Tage darauf die Salbung
mit dem heiligen Oele ſtatt, wobei die hohe Braut das griechiſch= katholi=
ſche
Glaubensbekenntniß in reinſtem ruſſiſchem Accente vor der kaiſer=
lichen
Familie, der höchſten Geiſtlichkeit, dem Adel ꝛc. ablegte, wie es
denn überhaupt in Rußland Sitte iſt, derartige Feſtlichkeiten ſtets mit
größtem Pompe zu begehen. Bei dieſer Gelegenheit muß auf einen in
Nr. 160 der Frankf. 3tg. vom 8. Juni l. J. erſchienenen Artikel Be=
zug
genommen werden, der mittheilt, die Kaiſerin Mutter ſei der Thron=
folgerin
abgeneigt geweſen. Letztere ſei immer mehr in den Hintergrund
gedrängt worden, habe, um ſich dagegen zu ſchützen, einen originellen
Entſchluß gefaßt, nämlich: eines ſchonen Abends in Gegenwart der kaiſer=
lichen
Familie im Salon knieend das ruſſiſche Glaubensbekenntniß in
reinſtemruſſiſchem Accente hergeſagt und wäre von da an auf den ihr
gebührenden Platz vom Kaiſer Nicolaus geſtellt worden ꝛc. Die Sache
ieſt ſich ganz. hübſch, ſie hat jedoch nur den kleinen Fehler, daß nicht
Eae Silbe davon wahr iſt.Die Gründe für dieſe Behauptung mögen
kurz hler fölgenz Kaiſer, Nicolaus L. war, wenn auch ein Autokrat, da=
bei
doch ein Cavalier von dem Scheitel bis zur Sohle. Er beobachtete
die Formen aufs Genaueſte;'ſelbſt Damen von niedrigerem Range ließ
er den Vortritt,wwenn er ihnen auf einem engen Corridor ꝛc. begegnete.
Rückſichtslöſigkeiten gegen ſeine Schwiegertochter beging er nie und
duldete ſie auch nicht. Die Kaiſerin=Mutter hatte ihre Schwiegertochter
ſehr gern: ſie ließ es nie an Obſorge für ſie ſehlen, erkundigte ſich fort=
während
nach ihren Wünſchen und Bedürfniſſen und fügte ihr ſicher
keine Hränkung 22.-- Die Thronfolgerin ſelbſt war aber ein ſo feiner,
tactve der, ja ſcheuer Cöxrakier, daß ſie um keinen Preis der Welt eine
Scenz auf=ührt haben gürde, wie ſie in der =Frandf. Pic' gshhildert
wurd:. Enolich Der: ez fragen: Wozu das Glaubensb.kerniſ; noch
einme. gerjagen, nuddem es vor dem ganzen officielle. Wflayz abge=

legt zworden wars Ter Zinweis darauf, die Thronfolgerin j. ½2. nicht
fertig geuug in der ruiſſiſchen Spriche. fälli in ſich zuſammen, da
am ruſiſchen Hofe ebenſo viel Deulſch unb Franzöſiſch wie Ruſſich ge=
ſprochen
wird.
Am 17129. April 1841 (dem Geburtstag des Thronfolgers) fand
die Vermählung ſtatt. Nun erhielt die Thronfolgerin noch einmal eine
Ausſtattung von Seiten des Kaiſers, die die heſſiſche natürlich an Glanz
und Pracht weit überſtieg. Brillanten, Pelze, Spitzen ꝛc. hatten allein
den Werth eines Fürſtenthums. Laſſen Sie mich hiermit abbrechen.
Man ſieht aus Vorſtehendem wieder, welche Geſtalt eine Nachricht an=
zunehmen
pflegt, wenn iſie durch einige Hände gelaufen. Dem leſebe=
dürftigen
Publicum werden häufig Sachen vorgetragen, an denen wenig
Wahres iſt. Nun, wenn es ſich dabei nur gut unterhält und die Nach=
richten
kein Unheil anſtiften, dann iſts gut.

Aus Stadt und Land.
Darmſtadt, 17. Juni.
Se. Königl. Hoheit der Großherzog haben dem Major Cas=
phari
im 3. Heſſ. Inf.=Reg. Nr. 117 das Ritterkreuz 1. Claſſe des
Philippsordens verliehen.
Das geſtern erſchienene Regierungsblatt enthält: Geſetz=
Maßregeln gegen die Reblaus betr.
- Generalmajor von Sannow wurde, in Genehmigung ſeines
Abſchiedsgeſuchs, mit Penſion zur Dispoſition geſtellt.
Nachdem Seine Königliche Hoheit der Großherzog zu beſchließen
geruht haben, bezüglich des gegen Philipp Pfaff aus Nieder=Ramſtadt
wegen Mordes ergangenen, durch Verwerſung des eingelegten Rechts=
mittels
der Reviſion rechtskräftig gewordenen Todesurtheils von dem Be=
gnadigungsrechte
keinen Gebrauch machen zu wollen, und die Allerhöchſte
Reſolution dem Verurtheilten am Heutigen eröffnet worden iſt, ſteht
die Vollſtreckung dieſes Urtheils nunmehr unverzüglich zu erwarten.
Die Vollſtreckung findet der geſetzlichen Vorſchrift entſprechend nur bei
beſchränkter Oeffentlichkeit ſtatt.
D. 3tg.
Dem Vernehmen nach hat der Verurtheilte, welchem geſtern früh
die Verwerfung ſeines Gnadengeſuchs verkündigt wurde, dabei vollſte
Kaltblütigkeit bewahrt. Aus der bisher innegehabten Zelle wurde nun=
mehr
der Delinquent in eine ſolche im Erdgeſchoß verbracht und ſtand

Redaction und Verlag: L. C. Wittich'ſche Hofbuchdruckerei

von da an in ununterbrochener Ueberwachung zweier Gensdarmen. F.-
Die Hinrichtung fand heute früh 6 Uhr im Gefängnißhofe, unter An=
weſenheit
der geſetzlich beſtimmten Zeugen, ſtatt. Herr Stadtpfarrer Sell
geleitete den Verbrecher auf ſeinem letzten ſchweren Gange.
Eingeſandt. Die gerichtlichen Verſteigerungen werden zum
Zwecke der Bekanntmachung in die öffentlichen Blätter inſerirt, um et=
waige
Kaufliebhaber oder Spekulanten darauf aufmerkſam zu machen
und ſie quasi dazu einzuladen. Soll dieſer Zweck erfüllt werden, ſo muß
auch nothwendig der Verkaufs=Gegenſtand ſo bezeichnet ſein, daß jeder
ihn ſofort erkennen kann, um zu wiſſen, ob er für ihn paſſend iſt.
Handelt es ſich alſo um ein Haus in Darmſtadt oder Beſſungen, ſo
muß daſſelbe nach der Straßenbezeichnung und Hausnummer bald
zu finden ſein. In den hieſigen Bekanntmachungen iſt aber durchgängig
nur der Name des Eigenthümers, die Kataſtral=Flur und=Rummer und die
Straße angegeben; wer daher nicht alle Hauseigenthümer perſönlich kennt,
iſt nicht im Stande, das fragliche Haus herauszufinden, es ſei denn, daß
er an alle Häuſer der ꝛc. Straße anklopft und fragt; wird dieſes Haus
verſteigertLu was doch auch wohl von manchem Hauseigenthümer miß=
lich
aufgenommen werden möchte. Einſender iſt daher der unmaßgeblichen
Anſicht, daß bei der Beſchreibung der zu verſteigernden Häuſer nicht
allein die Straße, ſondern auch die Hausnummer bezeichnet wer=
den
muß.
4* Am alten Beſſunger Thor wird eben bei der Canaliſation
die alte Stadtmauer durchgebrochen. Der poröſe Melaphyr, der zu die=
ſer
verwandt wurde, beweiſt, daß die Steinbrüche am Glasberg ſchon
vor 500 Jahren ausgenutzt wurden. Oberhalb des Thores findet man
moorige Erde, Reſte vom alten Stadtgraben, dann auch Knochen von
Ochſen ꝛc. Zeichen alter Ablagerung, die wohl auch hinter der Stadt=
mauer
ihren Platz fand. Die letzteren ſind verſteinert, alſo Beweis, daß
zur Verſteinerung von Knochen kein großer Zeitraum nöthig iſt.
- Recht drollige Scenen verurſachte vorgeſtern Nachmittag der
Transport eines jungen Bären von der Eiſenbahn nach dem Blumen=
thalviertel
. Das etwa halb ausgewachſene Thier war nämlich von einer
Zigeunerbande in Frankfurt für 100 Mk. gekauft und per Bahn hierher
gebracht worden. Der junge Meiſter Petz, welcher an einer ſtarken Kette
geführt wurde, ſuchte nun ſeinen neuen Herren fortwährend durchzu=
gehen
und entwickelte dabei eine Kraft, daß die zwei ſtarken Männer,
welche denſelben führten, öfters zu Fall kamen und das Thier faſt ſeinen
Zweck erreicht hätte. Nur mit größter Mühe gelang es den Zigeunern,
den Bär zu ihrem im Blumenthalviertel ſtehenden Wagen zu bringen.
Wie uns einer der Männer mittheilte, wollen ſie den Bären für Schau=,
ſtellungen abrichten.
(N. H. V.)
Im Bodenſee wurde dieſer Tage eine Lachsforelle gefangen
welche 89 Pfund wog - ein rarer Fang!
Polizei=Bericht vom 17. Juni.
Einem Metzgerburſchen entwendete ein Schulknabe gelegentlich des Badens
im großen Woog ein Portemonnaie mit ca. 10 M. Inhalt.
Vermiſchtes.
Der Seemannsglaubehat Recht behalten. Die Panzer
fregatte Freiherr von Stein iſt bei ihrer erſten Fahrt von Stettin nach
Kiel auf ein Riff gerathen. Und woher kommt das Unglückk Die Sectflaſche
iſt bei der Taufe des Schiffes nicht am Bug zerſchellt. Bekanntlich vollzog
der Kaiſer perſönlich die Taufe des Schiffes bei ſeiner Anweſenheit zu Stet=
tin
im Herbſte v. J. Damit die Sectflaſche ja genau am Bug zerſchelle,
hatten die Techniker eine Führung für dieſelbe erſonnen, wobei der Kaiſer
nur an einer Art Klingelzug zu ziehen brauchte. Sämmtliche Proben waren
gut ausgefallen, aber als der Kaiſer im entſcheidenden Moment zog, ſpazierte
die Flaſche langſam an der Führung hinab und ... blieb gemüthlich dicht
vor dem Bug hängen. Erſt ein Blouſ nmann, der mit einer Leiter herbei=
eilte
, brachte die Flaſche zum Zerſchellen. Die anweſenden Seeleute ſchüttel=
ten
Uber dieſe Uble Vorbedeutung bedenklich den Kopf: dem Schiffe werde
ein Malheur paſſiren. Und ſiehe da, der Seemannsglaube hat Recht behal=
ten
. Jetzt aber ſind die Götter verſöhnt und der Stein' iſt, wie die See=
leute
jetzt froh behaupten, von ſeinem Verhängniß erlöſt.
(Das weiche und das harte B.) Ein Herr in einem kleinen Thüringer
Badeorte hat einen prachtvollen Garten und faſt ebenſo ſchöne Perlhuhner.
Dieſer Tage kommt ein Fremder zu ihm und fragt aufgeregt: Mein Herr,
warum haben Sie die Berlliner in den Bann gethan: Ste geſtatten Frem=
den
den Beſuch Ihres Gartens, nur mich hat Ihr Gärtner ſchroff zurückgewieſen,
weil ich ein Berliner bin; er beruft ſich auf Ihren Befehl. Der Garten=
beſitzer
ſtutzt einen Augenblick und bricht dann in ein herzliches Lachen aus.
Pardon, mein Herr," ſagt er, nicht die Berliner, ſondern meine Perlhühner
in den Garten zu laſſen, habe ich meinem Gärtner verboten. So erzühlt
wenigſtens die in Hildburghauſen erſcheinende Dorfzeitung,.
Gold=Courſe.
Ruſſiſche Imperiales 16 M. 68-72 Pf. Engl. Sovereigns 20 M. 38-42 Pf.
20 Frankenſtücke 16 M. 16-20 Pf. Dollars in Gold 4 M. 18-21 Pf.