Darmstädter Tagblatt 1873


08. August 1873

[  ][ ]

Allergnaͤdigſt privilegirtes

Kbonnutmentepreis
1K. 48 kr. jährl. inck. Bringet=
lhn
. - Auswärtz werden von
allen Poſtämtern Beſtellungen
entgegengenomnen zu 50 kr. Pro
rnartal incl. Poſtaufſchlag und
Bellelgeblüher.

136. Jahrgang.

Juſerote
werden angenommen in Dapn.
Ladt von der Expedition. Rhein.
Lraße Nr. 23. in Beſſungen
von Friedrich Blbßer, Friedrich=
graße
Nr. 7. ſowie auswärts
von ellen ſoliden Annoneen
Exbediiionen.

Emtliches Organ
für die Bekanntmachungen des Großherzoglichen Kreisamtes Darmſtadt.

N2 153

Freitag den 8. Auguſt,

Bc.

Aus dem Reichs=Geſetzblatt Nr. 23
iſt 1) Geſetz, betreffend die Abänderung des Vereins=Zolltarifs. S. 241;
2) Bekanntmachung, betreffend die neue Redaction des Zollarifs. S. 244;
3) Belanntmachung, betreffend die Abinderung der Vorſcheiflen über die Verwendung der Wechſelſtenpelmarken. S. 295;
vorſchriftsmäßig zu publiciren.

reritaters

Verſteigerungen.
Pferde=Verſteigerung.
Montag den 11. d. Mts, Vormit.
tags 10 Uhr, ſollen im Großherzoglichen
Hofſtalle dahier (Mathildenplatz 17) vier
Hofſtall Wagenpferde öffentlich meiſtbietend
verſteigert werden.
Darmſtadt, den 1. Auguſt 1873.
Großherioaliches Oberſt Stallmeiſter=Amt.
6370) Frhr. van der Capellen.

Heſſiſche Ludwigsbahn=
Geſellſchaft.
Strecke: Mainz=Aſchaffenburg.
Die zur Erbauung zweier Wohngebäude
für Bedienſtete in der Station Biſchofsheim,
erforderlichen Arbeiten ſollen auf dem Sub=
miſſionswege
vergeben werden.
Die verſchiedenen Arbeiten ſind für je
ein Gebäude veranſchlagt wie folgt: fl. kr.
Erd= und Maurerarbeit
6512 47
Steinhauerarbeit
347 42
Zimmerarbeit.
5
2674
Dachdeckerarbeit
324 20

ſchloſſen und frankirt auf dem Secretariate
des Verwaltungsrathes der Heſſ. Ludwigs=
bahn
dahier abzugeben. Auf dem Umſchlage
iſt zu bemerken:
Submiſſion wegen Uebernahme von
Arbeiten bei Erbauung zweier
Wohngebäude in der Station Biſchofs=
heim
.
Mainz, den 5. Auguſt 1873.
Im Auftrage des Verwaltungsrathes:
Der Ober=Ingenieur:
6448)
Kramer.,

6286) Neuen Jucarnatklee=
ſamen
billigſt bei
Iud. Heyl Sohn,
Holzſtrage 17.

Feilgebotenes.
6371) Eine Epecereiladen= Gin=
richtung
zu verkaufen. Al xanderſtraße 7.

Spenglerarbeit
122
Tüucherarbeit
1116 6
Schreinerarbeit
1524 29
Glaſerarbeit,
387 41
Schloſſerarbeit
368 19
72
Zuſammen 13677 24
Die betreffenden Pläne, Koſtenanſchläge
und Bedingungen ſind auf dem Büreau des
Bezirks=Ingenieurs zu Darmſtadt zur Ein=
ſicht
der Uebernahmsluſtigen aufgelegt unl
ind die Submiſſionen längſtens bis zum
16. Auguſt l. J. Vormittags 10 Uhr ver=

1).
4- Epilepſie
(Fallſucht), Krämpfe heil=
bar
durch ein ſeit 12 Jahren be=
währtes
nicht medizin. Univerſalgeſund=
heitsmittel
. Proſpecte, Referenzeu gra=
tis
=franco von
Fr. H. Dunnte. Fabrikbeſitzer
zu Warendork in Westſalen.

Fleischextract.
goldene Medaille
Moskau 1872.
Vorzüglicher billigſter Fleiſchertract

6379) Ein dreiſtöckiges Wohnhaus
nebſt Werkſtätte und Stallung in der Alt
ſtadt iſt zu verkaufen.
Näheres bei der Exp. d. Bl.
Superkeines Hiazaer Olivenöl neu-
Reines Mohnöl
ſempfiehlt
Carl Watzinger,
6413)
Louiſenplatz 4.

Unterſuchungscontrole:
Mlor-Ae. D.
Haupt=Depot: H. Andreae, Frankf. a. M.
Chr. Keller & Co. in Heidelberg.
Engros=Lager bei Apoth. Dr. Tenner
in Darmſtadt.
Verkaufsſtelle bei: Franz Schaeler,
Apoth. E. Calmberg, Darmſtadt, Apoth.
(4022
Hess, Michelſtadt.

6449) Eine faſt noch neue Kinderwiege
mit Bettzeug zu verkaufen. Wo? ſagt die Exp.
334

[ ][  ][ ]

1218

R153.

16454)
Die
Hoitungs Annoncen-Hrpodition

von

6450) Küfer=Arbeiten jeder Art
werden ſchnell, billig und prompt ausgeführt.
Fäſſer in allen gewöhnlichen Größen halte vorräthig J. Sohaeſer, Redaoteur
Gediegene Arbeit. Trockenes Holz.
Mainz,
Alle Reparaturen werden auf Beſtellung abgeholt und
empfiehlt ſich zur prompten und gewiſſen=
geſchickt
.
J. Gelfus, Küfermeiſter, haſten Beſorgung von Inſeraten jeder Art
in ſämmtliche Mainzer und auswärtige
große Ochſengaſſe 33. Langegaſſe 24.
Zeitungen zu den bei den verſchiedenen

6300) 6 alte Fenſter, noch in brauch=
barem
Zuſtande, 69u 37½, 2 deßgl.
54½ = 361 ſiehen zu verkauſen bei
Georg Brunner,
Hofglaſer.

Vermiethungen.
74802) Ein möblirtes Zimmer zu ver=
miethen
. Heidelbergerſtraße 21 im Seitenbau.
5503) Beſſ. Karlsſtraße Nr. 3 iſt par=
terre
ein freundlich möblirtes Zimmer zu ver=
miethen
.
5584) Ein ſchön möblirtes Zim=
mer
parterre gleich zu vermiethen. Zimmer=
ſtraße
Nr. 2.
5944) Rheinſtraße 30 iſt ein Pferdeſtall
mit 4 Ständen, große Remiſe und Kutſcher=
ſtube
bis zum 1. Auguſt zu vermiethen.
6193) Laden nebſt Comptoir zu ver=
miethen
. Schulſtraße 5.
6256) Ein gewölbter geräumiger Keller
zu vermiethen. Beſſ. Carlsſtraße 3.
6257) Magdalenenſtraße Nr. 3 iſt ein
Manſarden=Logis, beſtehend aus 2 Zimmern
und Cabinetten nebſt Küche, Mitgebrauch
der Waſchküche und Bleichplatz, an eine ſtille
Familie zu vermiethen u. ſofort zu beziehen.
6393) Roßdörferftraße ein freundliches
Logis zu vermiethen und gleich zu beziehen.
Näheres Hügelſtraße 16 Manſarde.
RARAAARAAAEAAAAEAAAANN
8 6385) Frankfurterſtraße 7 ein Logis F
A von 6 Piecen nebſt Zugehör zu ver= P
H miethen und zum 1. November d. J.;
E beziehbar. Auf Wunſch kann auch
H Stallung für 3 Pferde, Remiſe und
H Burſchenſtube dazu gegeben werden.
AAAAANAAANiNAAAunannni
6451) Kiesſtraße 32 zwei Treppen hoch
ein möblirtes Zimmer zu vermiethen.
6452) Heinrichſtraße Nro. 45 ſind zwei
kleine Wohnungen zu vermiethen n. ſogleich
zu beziehen.
6453) 2 ſchöne Zimmer nebſt Küche
und allen Bequemlichkeiten Eine Stiege hoch
zu vermiethen und ſogleich zu beziehen.
Schirngaſſe 2.

5655) Zwei Steinhauergeſellen ſucht
gegen guten Lohn und dauernde Arbeit.
J. W. Mersheimer, Hof=Maurermſtr.

5544) Zwei Schreiner können bei
mir dauernde Beſchäftigung finden
Ed. Kühnſt, Pianofortefabrik.

6261) Ein Heizer wird geſucht.
Rheinſtraße Nr. 53.

Expedittonen feſtſtehenden Preiſen. Bei grö=
ßeren
Aufträgen entſprechender Rabatt.

6455) Ein gebildetes Mädchen, das gute
Zeugniſſe hat, wünſcht ſich in einem Geſchäfte
zu placiren; auch würde daſſelbe, da es
ſehr bewandert im Nähen und Bügeln iſt,
ſeine Stelle als feineres Hausmädchen an=
nehmen
. Näheres in der Expedition.

6446) Am Dienſtag Morgen wurde vom
Ballonplatz durch die Alexanderſtraße ein
goldnes Medaillon mit Photographie ver=
loren
und wird der redliche Finder gebeten,
ſolches gegen eine gute Belohnung Kranich=
ſteinerſtraße
8 abzugeben.

Dampfkraft geſucht.
Zum Betrieb kleinerer Maſchinen wird
die Mitbenutzung einer Dampfkraft baldigſt
zu miethen geſucht. Offerten beſorgt die
Expedition d. Bl unter Nr. 6456. (6456
6443) Ein junger Mann mit guter
Handſchrift geſucht. Näheres in der Exp.

oa6d e Pi ao a oo no n n n d une
120 490200
aaoa404204
RhbönAeaoosanannaAananön sunn
R3
D
Beſſunger älterer Geſangverein.
8S
F
Samſtag den 9. Auauſt d. J.
I4
4
Sommer-Casino auf dem Chauſſeehaus.
G
4
Anfang 8 Uhr Abends.
2cH
58 Geſuche um Gaſtkarten ſind bei dem Vereins=Sekretär, Herrn Behaghel, 88
48 Carlſtraße Nr. 50, einzureichen.

Beſſungen, den 1. Auguſt 1873.
Der Vorſtand.
D
a e2 el=
1½14
9oa doal aoase
o
2
RuUnUtnnnu un duzzr r nn ann n u nnn

6457)

Vermiſchte Nachrichten
5048) Ein braver Junge kann in die
Lehre treten bei
Heinr. Martin, Steinhauermeiſter.

Kunſtgenoſſenſchaft zu Darmſtadt.
Samſtag den 9. Auguſt.
Die Reſtauration der Catharinenkirche zu Oppenheim.
Der Vorſtand.

Nr. 16 10080 in Gold der Slade Barſolla.
5 Liehungen jährlich.
Wüchste Eiehuny am 20. Auyusk.
mit Prämien von 2 Millionen, 1 Million, 500,000, 400,000,
200,000, 100,000; 50,000, 30,000, 25,000, 20,000, ete.
mnd 125455 Främien Fres. 50, sämmtlich in efſectivem
Gold.
Das Warhetta-Loos iſt das billigſte, ſolideſte und vortheilhafteſte.
Jedes Loos nimmt an ſämmtlichen 225 Ziehungen Theil, kann ſomit außer der
Rückzahlung Fr. 100 mehrere Prämien gewinnen. - Von je 3 Looſen mnß
je eines mit eiuer Prämie herauskommen, ein Vortheil, den keine andere
Lotterie bietet.
6358)
Eu haben bei ablen Wechslern.

6235)

Volks=Bibliothek.
Einladung zum Abonnement für's ganze Jahr 1 fl., für's halbe Jahr 36 kr.
Bibliothik bei F. Rittershofer, Heſſiſches Haus, Wilhelminenſtraße 3.
Der Vorſtand.

[ ][  ][ ]

K153.

1219

Die Erben.
Novelle von Max Ring.
Fortſetzung.
Die Schweſtern lebten aber ſo fort in dem alten Hauſe,
einen Tag wie den andern, ohne ſich um die Außenwelt zu be=
kümmern
. Es wurde Krieg und Friede und wieder Krieg und
wieder Friede, Könige ſtarben, Völker ſtanden auf, die Revolution
tobte in den Straßen der Stadt, Bürger kämpften gegen Bürger
und ſie allein erfuhren nichts davon. Sie wohnten in ihrem
Hinterzimmer mit der Ausſicht auf den Hof, auf die hohe Brand=
mauer
des Nachbars und auf eine alte Linde, welche ſie ſchon
mehr als fünfzig Mal im Frühling grünen und im Herbſt ver=
welken
ſahen. Den ganzen Tag ſaßen ſie am Stickrahmen, oder
waren mit weiblichen Arbeiten beſchäftigt; nur ſelten verließen
ſie das Haus, mit dem ſie ſo verwachſen waren, wie die Schnecke
mit dem ihrigen. Es ging ihnen dann wie den Eulen und an=
dern
Nachtvögeln; ſobald ſie ſich zeigten, wurden ſie von dem
Schwarm der löblichen Gaſſenjugend, wie von einer Schaar Dohlen
und Raben verfolgt und wegen ihres wunderlichen Ausſehens
verſpottet. Ihre Erſcheinung war auch in der That auffallend
genug; ſie kleideten ſich, wie man ſich damals kleidete, als ſie
noch jünger waren. Solche Ungeheuer von Hüten und Hauben
wurden ſonſt nirgends in der Reſidenz geſehen; ein vorweltlicher
Kopfputz bedeckte ihre grauen Scheitel und ihre Mäntel ſchienen
aus einem vergangenen Jahrhunderte zu ſtammen. Sie küm=
merten
ſich nicht um die Mode; dabei wählten ſie immer die
feinſten und theuerſten Stoffe, die ſie auf Jahre im Voraus ein=
kauften
und ſo lange liegen ließen, bis ſie dieſelben brauchten.
In ſo abenteuerlichem Aufzuge ſah man ſie durch die Straßen
neben einander wandern, in den Händen einen großen, verſchoſſe=
neu
Beutel, worin ſie allerhand Kleinigkeiten bewahrten und auf
den Armen einen häßlichen Hund, den ſie mit beſonderer Liebe
pflegten. Wo ſie ſich aber zeigten, hieß es da kommen die
Todtenfräulein! Die Generation, welcher ſie angehörten, war
geſtorben und eine neue unterdeß und noch eine dazu herange=
wachſen
; ſie hatten keine Bekannten, keine Freunde, keine Anver=
wandten
; und doch war der Name ihnen geblieben und hatte
ſich von Geſchlecht zu Geſchlecht fortgeerbt. Mitten in der großen
Stadt lebten ſie einer kaum denkbaren Abgeſchiedenheit, wie zwei
Einſiedler im tiefſten Urwalde; kein Menſch verkehrte mit ihnen,
ihr Hausthür blieb verſchloſſen, und die Läden der Vorderzimmer,
in welchen einſt der Vater gelebt hatte, waren ſeit ſeinem Tode
noch nicht geöffnet, die Stuben nicht gelüftet worden. Eines
Tages aber bemerkte die Nachbarſchaft, zu ihrer nicht geringen
Verwunderung, eine merkwürdige Veränderung. Vor dem alten
Hauſe hielt ein Leichenwagen und eine große Menge von Trauer=
kutſchen
, wie dies ſonſt nur bei einem reichen und vornehmen Be=
gräbniſſe
der Fall iſt. Eine große Menge von Leichenbittern
ſtanden auf dem Flur und vor der Thür; ein Sarg wurde
herabgetragen, gefolgt von der einen Schweſter, welche wie ge=
brochen
der Leiche der andern nachſchwankte. Die Lebende ſetzte
ſich in tiefſter Trauer allein in den ſchwarzen Wagen, die übri=
gen
Equipagen blieden leer; kein Menſch folgte der Todten und
es war ein ganz eigenes Schauſpiel, wie ſich der Zug in Be=
wegung
ſetzte und Niemand außer der Schweſter der Geſtorbenen
das letzte Geleit gab. Draußen auf dem Kirchhöf nahm der
Prediger die Leiche in Empfang; er hielt eine lange Rede, welche
nur die Schweſter mit anhörte, weil Keiner ſonſt zugegen war.
Darauf wurde die Leiche in dem Erbbegräbniß der Familie Ar=
nold
beigeſetzt und die einzige Leidtragende kehrte allein wieder
in das noch mehr vereinſamte Haus zurück. Seitdem ſah mau
nur das eine Todtenfräulein, ſie lebte wie früher in der ſtreng=
ſten
Abgeſchiedenheit und verließ nur noch ihre Wohnung, um
auf den Kirchhof zu gehen. Dort ließ ſie ſich die Gruft von
dem Todtengräber aufſchließen und verweilte oft den ganzen Tag
bei der abgeſchiedenen Schweſter, mit der ſie lange Geſpräche
führte, als lebte dieſe noch und könnte ſie vollkommen hören.
Selbſt der Todtengräber, der doch an die Schrecken des Grabes

gewöhnt war, empfand ein Grauen, wenn er zufällig vorüber=
zing
und die wunderlichen Reden hörte; es war ihm immer, als
wäre die Klagende nicht allein, als antworte ihr eine fremde
Stimme. - Auch im Hauſe ſprach die Ueberlebende viel mit
der Todten, dann lauſchte ſie, als warte ſie auf eine Antwort:
beim Eſſen lagen immer zwei Gedecke wie früher auf dem Tiſch
und die Lieblingsſpeiſen der Verſtorbenen wurden gerade ſo zu=
bereitet
auf den Tiſch getragen, wie bei ihrem Leben. Sonſt
war das alte Fräulein in allen andern Dingen ganz vernünftig;
ſie beſorgte ihre Angelegenheiten mit großer Umſicht und beſuchte
alle halbe Jahre ihren Rechtsanwalt, der ihr Vermögen ſchon
lange Zeit verwaltete und ließ ſich auf Heller und Pfennig Rechen=
ſchaft
ablegen, wobei ſie einen ſeltenen Scharfſinn entwickelte und
weit mehr Geſchäftskenntniſſe zeigte, als man ihr bei dem ein=
amen
Leben zutrauen konnte. Schon öfters hatte ſie der Advocat
iu ſchonender Weiſe auf die Nothwendigkeit aufmerkſam gemacht,
ihren letzten Willen aufzuſetzen und über das große und immer
mehr anwachſende Vermögen zu verfügen, aber davon wollte ſie
nichts wiſſen und ſie verbat ſich ein= für allemal, den Gegenſtand
wieder in ihrer Gegenwart zu erwähnen. Vergebens fragte er
ſie nach näheren oder entfernteren Anverwandten, ſie wußte ihm
keine ſolchen zu nennen, oder wollte vielleicht nur nichts von ihnen
wiſſen, indem ſie auch hierin dem Beiſpiele ihres Vaters folgte,
der allen Verwandten den Zutritt zu ſeinem Hauſe verſchloß.
So wurde das Fräulein alt und immer älter und zuletzt ſo
ſchwach, daß ſie nicht mehr ihre gewohnten Spaziergänge nach
dem Kirchhofe fortſetzen konnte. Eines Tages fand ſie ihr Rechts=
anwalt
, der einzige Menſch, der ſie, wenn auch ſelten, ſah, in
einem Zuſtande, der ihm gerechte Beſorgniſſe einflößte; ſie ver=
mochte
ſich kaum mehr von dem alten Lehnſtuhle zu erheben, auf
dem ſie gewöhnlich ſaß, aber mit zitternder Hand ſtickte ſie noch
immer an einer Arbeit, welche ſie mit der verſtorbenen Schweſter
begonnen und die ſie, wie Penelope immer wieder auftrennte, um
ſie immer von Neuem wieder anzufangen. Nur auf die wieder=
holte
und dringende Mahnung des Advocaten entſchloß ſie ſich
endlich einen Arzt und eine Wärterin zur Pflege anzunehmen;
ſie war ſo ſehr des Umganges mit Menſchen entwöhnt, daß ſie
dieſe ihr aufgedrungenen Perſonen nur duldete, ohne mit ihnen
in irgend eine nähere Berührung zu treten. Der Arzt kam und
ging wieder, wenn er ſeine Recepte verſchrieben hatte, indem er
im Stillen das Honorar berechnete; die Wärterin ſaß an ihrem
Bette und pflegte ſich weit mehr noch, als die Kranke, welche ſie
als eine Art Blödſinnige anſah, auf die man keine beſondere
Rückſicht zu nehmen brauchte. Kein Freund, kein Verwandter
erſchien an dem Bette des armen Fräuleins; ſie lag einſam,
verlaſſen; keine liebevolle Hand reichte ihr den erfriſchenden Trunk
und ſchuf ihr die kleinen Erleichterungen, welche ſelbſt das größte
Leid minder drückend empfinden laſſen. Es gibt wohl nichts
Traurigeres auf der ganzen Welt, als ein ſolches Krankenlager,
das nur von fremden und theilnahmloſen Perſonen umſtanden
wird. Welche bange Tage und ſchauerliche Nächte verlebt ein
derartiger Patient. Sein Auge fällt nur auf gleichgültige oder
widerliche Züge; nur der Eigennutz bezahlter Diener tritt ihm
in widerwärtiger Geſtalt entgegen. Nach und nach wurde die
Kranke immer ſchwächer, ihre Gedanken verwirrten ſich, Stunden
lang ſprach ſie mit der todten Schweſter; die einzige Geſellſchaft,
welche ihr übrig blieb, war ein Phantom.
Ich kommeln rief ſie der Abgeſchiedenen zu und mit einem
Lächeln in dem verwitterten Geſicht war ſie geſtorben. Die
Wärterin drückte ihr die offen ſtehenden, gläſernen Augen zu
und kreuzte die ſtarren Arme der Todten auf der Bruſt. Der
Rechtsanwalt, welcher ſogleich von dem Abſcheiden des alten
Fräuleins benachrichtigt worden war, machte die nöthige Anzeige
beim Gericht. Am andern Morgen erſchienen die dazu beauf=
tragten
Perſonen und verſiegelten alle Schänke und Schubfächer
in der Wohnung. Die Leiche wurde in einen koſtbaren Sarg
gelegt und in Begleitung der Wärterin und des Doctors auf
dem Kirchhof in derſelben Gruft beigeſetzt, wo bereits die voran=
gegangene
Schweſter ruhte. Keine Thräne floß bei der Beſtat=

[ ][  ]

1220

R13.

tung, nur die dicke Wärterin bemühte ſich, gerührt auszuſehn.
So waren nun beide Todtenfräulein geſtorben und auch bald
vergeſſen, nur der wunderliche Name lebte fort in dem Gedächt=
niſſe
der Nachbarſchaft. Sie hatten indeß ein bedeutendes Ver=
mögen
hinterlaſſen; die Volksſtimme ſprach von meh eren Millionen
und übertrieb, wie dies immer bei ſolchen Gelegenheiten zu ge=
ſchehen
pflegt; aber viele hunderttauſend Thaler waren wenigſteus
zurückgeblieben. Das Gericht nahm vorläufig Beſitz davon und
forderte von Zeit zu Zeit in den Zeilungen und öffentlichen
Blättern die unbekannten Erben auf, ſich zu melden und ihre
Anſprüche, durch Beweiſe ihrer Verwandtſchaft mit der Ver=
blichenen
, geltend zu machen. Man kann ſich wohl denken, daß
es nicht an Bewerbern fehlte, denn wer erbt nicht gern eine halbe
oder gar eine ganze Million. Pötzlich fanden ſich Verwandte
ohne Zahl aus allen Gegenden Deutſchlands, aus dem tieſſten
Süden und dem höchſten Norden; Gliedgeſchwiſterkinder von =
terlicher
und mütterlicher Seite, Blutsfreunde im dritten, vierten,
ſelbſt im fünften Grade, aber ihre Anſprüche mußten doch nicht
ſlichhaltig geweſen ſein, denn ſie wurden insgeſammt abgewieſen.
Meiſt waren es Abenteurer oder Schwindler, welche die Gelegen=
heit
benutzen wollten, auf dieſe Weiſe plötzlich reich zu werden,
ſie konnten jedoch ihre Verwandtſchaft mit der Familie Arnold
entweder gar nicht oder in ſo mangelhafter Art nachweiſen, daß
das Gericht ſie als rechtmüßige Erben nicht anerk nnte und ihnen
Schweigen auferlegte. Es wurde eine neue Aufforderung von
dieſem erlaſſen und ein friſcher Termin beſtellt. Derſelbe war
faſt verſtrichen, ohne daß ein ſtichhaltiger Prätendent ſich gemeldet
hätte. Auch diesmal kamen zwar die Bewerber aus allen Welt=
gegenden
und brachten ihre Stammkäume mit, aber bei näherer
Prüfung wurden dieſelben als falſch beſunden und die hoffnungs=
vollen
Erbſchleicher mußten beſchämt wieder abziehen. Die ver=
ſchiedenen
Verhandlungen über dieſen Gegenſtand, erlangten eine
immer größere Oeffintlichkeit; die Zeitungen und beſonders die
Gerichtsblätter beſchäftigten ſich vielſach mit der Arnold'ſchen
Erbſchaftsangelegenheit, welche dadurch eine gewiſſe Popularität
erlangte.
Man ſprach darüber an allen Orten, in den Bierſtuben
und in den Familien, man fing an ſich immer mehr dafür zu
intereſſiren und bald wurde die Arnold'ſche Sachen eine ſtehende
Rubrik unter den Unterhaltungen des Tages. Heute wollte man
wiſſen, daß ſich endlich der wahre Erbe gefunden, morgen hieß
es wieder, daß die Nach icht falſch ſei; bald war der Glückliche
ein ormer Handwerker, der ſich bisher kümmerlich mit ſeiner
Familie ernährte; bald ein junges Mädchen, eine Waiſe, die
plötzlich dadurch zur reichſten Partie und die Sehnſucht aller
jungen, noch unverheiratheten Männer wurde. Auch die ſoge=
nannten
Spaßrögel bemöchtigten ſich mit der Zeit dieſes ollge=
mein
anſprechenden Stoffes und vermehrten durch Ausſtreuung
von allerlei ſcherzhaften und uuwahren Gerüchten de Verwirrung
aber auch das Intereſſe daran. Meit einer Art von fieberhaſter
Spannung verfolgte die ganze Hauptſtadt den ferneren Gang der
größte Ansſicht auf die Erbſchaf, da dieſe ihm nach Verlauf
eines beſtimmten Zeitraumes zufallen mußte, wenn ſich bis dahin
kein wirklicher An=erwandter finden ſollte, der zur Familie Ar=
nold
gehörte und darüder den unumſößlichſten Veweis zu führen
vermochte. Wie gewöhnlich ärgelte man ſich, daß der Staat
das ganze ſchöne Vermögen erben ſollte und gönnte es jedem
Andern noch weit mehr. Deshalb erregte die Nachricht ein faſt
freudiges Aufſehn, daß ſich neuerdings zwei Bewerber auf ein
Mal eingefunden hätten, deren A. ſprüche mindeſtens ſo weit be= geſtern Nachmita um 2 Uhr bei einer wahrhalt tropiſchen Hitze eine Ver=
gründet
waren, daß das Gericht ſich diesmal veranlaßt ſah, ge=
nauer
darauf einzugehen und vorläufig ſich mit Prüſung derſelben
ernſthaft beſchäftigte. Es wu de zu dieſem Behufe eine nene
angeſtellt und in den Zeitungen ein vollſtändiges Geſchlechtsregi= 21861-400 21601-700 61201- 300 66301-400 e8501-600 161146 der Arnold'ſchen Familie von männlicher und weiblicher
diejenigen Deſcendenten, welche einem dieſer öffentlich angegebenen 200 478911-962515101-200 562501-600. - 5. Emiſſion. Nr. 570901-
Zweige angehörten, ſollten, um jedem ferneren Anſpruch im
Voraus zu begegnen, zur Bewerbung um die Erſchaft zugelaſſen
Rebaction und Verlag: L.

werden. - So weit war die Sache gediehen, als dieſelbe mit
einem Male eine überraſchende Wendung nahm; ſämmtliche bis=
bisherige
Prätendenten wurden wiederum vom Gerichte zurück=
gewieſen
, indem ſich der wirkliche und allein berechtigte Erbe
endlich gefunden zu haben ſchien.
(Fortſetzung folgt.)
Mittheilungen aus Stadt und Land.
Darmſtadt, 8. Auguſt. Ihre Majeſtät die Königin=Mutter von
Bayern wird dahier bei J. K. H. der Prinzeſſin Karl, die eben auf der
Roſenhöhe wohnt, zu mehrwöchigem Beſuche eintreffen. In vorderen Jahren
pflegten die hohen Geſchwiſter einige Zeit bei ihrem vor kurzem verſtorbenen
Bruder, dem Prinzen Adalbert von Preußen, auf deſſen Gut Fiſchbach in
Schleſien zuzubringen.
Geheimerath Frey iſt geſtern zu Bad Neuenahr nach kurzer Prank=
heit
geſtorben. Derſelbe war als Beamter wie als Menſch hochzeſchatzt und
hinterlaͤßt in dem oberſten Gerichtshof, dem er ca. 18 Jahre angehörte,
eine große Lücke.
L Das neueſte Militar=Wochenblatt; enthält folgende Perſonalver=
änderungen
in der Geößh. Heſſ. Diviſion: Lörr, Unterarzt vom 3. Gr. Heſſ.
Inf.=Reg. Ceib=Reg.) Nr. 117. zum Aiſiſienzarzt zweiter Klaſſe. Schmidt,
Stabs= und Bat=Arzt vom 2. Bat. 3. Gr. Heſſ. Inf.=(Leib=) Reg. 117. zum
2. Bat. Gr. Heſſ. Inf=(eib=Garde) Reg. 115; Dieſterweg Stabsarzt
vom mediz chirürg. Friedrich=Wilhelms=Inſiſtut als Bat=Arzt zum 2. Bat.
3. Gr. Heſſ. Inf=Reg. (Leib=Reg.) Nr. 117.
Die Schwurgerichtsſitzungen des letzten Quartals beginnen am
1. October unter dem Vorſitze des Holgerichlsrath Franck, als deſſen Stell=
vertreter
Hoſgerichtsrath v. Nicou bezeichnet iſt.
Goſt=Perſonalnachrichten) Angenommen wurden: DerGeorg
Wilhelm Klöppinger von Hahn als Poſtgehülfe, der Realſchulabiturient
Ockel von Gießen als Poſtgehülfe, der Realſchulabiturient Haubach von
Gießen als Poſtgehülfe, der Eiſenbahn=Stationsverwalter Pettmann in
Kelſterbach als Poſtagent, der Philipp Schmitt VIII. in Rimbach als Land=
briefträger
; der Poſtamtsaſſiſtent Lang in Darmſtadt wurde angeſtellt. Ver=
ſetzt
ſind: Der Poſtſecretär Cronenberg von Friedberg nach Worms,
der Poſtſecretär Nispel von Weißenburg i. E. nach Friedberg, der Poſtſecretär
Frauendienſt von Berlin nach Darmſtadt, der Poſtpracticaht Röder
von Offenbach nach Saarlouis, der Poſtpracticant Säckel von Mainz nach
Hamburg, der Poſtpracticant Klindt von Mainz nach Hamburg, der Poſt=
amtsaſſiſtent
Koſters von Trier nach Mainz. Aus dem Poſitdienſt ſind
geſchieden: Der Poſtanwärter Cullmann in Mainz, der Pöſtagent Winter
in Kelſterbach, der Landbriefträger Knapp in Rimbach. Geſtorben ſind: Der
Poſtmeiſter Schröder in Heppenheim, der Poſtexpediteur Mörſchel in Alten=
ſtadt
, der Landbriefträger Büttner in Arheilgen.
- Herr Proſeſſor Kohlrauſch, Lehrer der Phyſik am hieſigen Poly=
technikum
, hat einen ehrenvollen Ruf an die Univerſitct Roſtock erhaͤten.
Dieſer Tage traf bei der hieſigen Hauptſtdatskaſſe wiederum eine
ſehr bedeutende Rate franzöſiſcher Kriegsentſchädigungsgelder, über eine Million
Gulden, ein.
- Am 5. dieſes trat der Synodalausſchuß wieder zuſammen, um
den Bericht der Ausſchußmajorilät, erſtattet von Prof Dr. Köhler in Fried=
berg
entg genzunehmen. Es iſt dies das vierte Mal, daß der Ausſchuß
zujammenkommt. Nachdem ſich nämlich die Mitglieder zunächſt über gewiſſe
Principien in einer Vorbeſprechung verſtaͤndigt hatten, wurden zünächſt
zwei Lejungen des Entwurſs vorgenommen, worauf dann dem Berichter=
ſtatter
die Ferligſtellung des Berichts überlaſſen blieb. Zu dieſem Bericht
der Majorilät treten bezüglich einzelner Theile des Entwurfs Berichte der
beiden Minoriläten, beſtehend aus Diefenbach und Rieger einerſeits, Ohly
und Schlich andererſeils, Schon aus dieſen kurzen Andeutungen ergibt
ſich, daß die Durchberathung des Entwurſs im Plenum demnächſt keine
ganz einjache und die Leilung der Verhandlungen nicht ohne Schwierigteit
ſein wird. Wann übtigens das Plenum der Synode wieder zuſammentritt,
darüber verlautet bis jetzt nichts Näheres.
Oſſenbach, 6. Auguſt. Es verdient öffentlich anerkannt. zu werden.
Berhandlungen. Bis jetzt hatte noch immer der Fiskus die daß unſere Polizei geſtern auch einmal das zum Verkauf auf den Markt
gebrachte Obſt einer Viſitation unterwarf und die unreiſen Früchte ver=
ſchiedener
Höckerinen (5 Mahnen voll) dem Gr. Kreisarzt zur ärztlichen
Prüſung vorlegen ließ. Dieſelben wurden für ungenießbar erklaͤrt, worauf
die Confiscalion eintrat, welcher noch die geſetzliche Strafe nachfolgen wird.
- Wenn man bedenkt, daß das Obſt meiſt von Kindern gegeſſen wird,
die durch den Genuß jolch unreifen Zeuges leicht krank werden, ſo kann
man wohl ſich einen Begriff machen, welches Unheil durch dieſe Maßregel
verhütet worden iſt. Die Polizei kann gegen ſolche gewiſſenloſe Haͤndler
gar nicht ſtreng genug ſein.
Erbach, 2. Auguſt. Der hieſige Stadtdiener Vollrath, welcher vor=
ſieiger
ung ausſchellte, wobei es ihm wiederholt ſchlecht wurde, ſtürzte beim
Nachhauſegehen plötzlich auf der Straße todt nieder.
- Oeſterr. Staats=Eiſenbahn=Obligationen. (Altes
Netz.) Ziehung am 1. Auauſt. 1. Emiſſion. Nr. 4001-10) 19501 -600
200 258201-300 202001-100 295001-100. - 2. Emiſſion. Nr. 340201-
300 344377-400 345801-900 - 3. Emiſſion. Nr. 369601-700
Seite aufgeſtellt, ſoweit daſſelbe bis jetzt ermittelt war. Nur 374001-700 420901- 421000 422249- 300. 4. Emiſſion. Nr. 467101-
1000 576960-7000. - 6. Emiſſion. Nr. 616201-300 631631-695
66470- 800. - 7. Emiſſion. Nr. 691121-187720701-800744801-900.
- 8. Emiſſion. Nr. 758201-300 759421-500.
C. Wittich'ſche Hofbuchdruckerei.