Darmstädter Tagblatt 1869


17. August 1869

[  ][ ]

Beilage
imd
Darmſtädter Frag= und Anzeige=Blatt.
Dienſtag den 17. Auguſt
1860.
N. 33.
Das Frag= und Anzeige=Blatt, die Beilage hierzu, ſowie das Verordnungs=Blatt für den Kreis Darmſtadt erſcheinen wöchentlich; Erſteres Samſtags, die Beilage
blenſtags unb Letzteres Dönnerſtags. Jahres=Abonnemient der drei Blätter zuſammen 2 fl. Auswärts kann man bei allen Poſtämtern abonniren Zu Darmſtadt
hel ver Ewedition, Rheinſtraße. Nr. 23 neu -

Verſteigerungen.
5075)
Bekanntmachung.
Submiſſion auf Steinkohlen.
Die Steinkohlenlieferung für die gemeinheit=
lichen
Anſtalten hieſiger Stadt für den Winter
186970 im Betrag von ca. 5200 Ctr. ſtück=
reichem
Ruhrer Fettſchrot ſoll auf dem Wege
der Submiſſion unter den auf unſerem Büreau
offenliegenden Bedingungen vergeben werden.
Bemerkt wird hierher, daß die Aulieferung in
ganzen Wagenladungen zu geſchehen hat. Zu
ſubmittiren iſt auf den Preis per Centner, franco
Bahnhof Darmſtadt, ohne Octroi. Die Sub=
miſſionen
ſind längſtens
Dienſtag den 24. ds. Mts.
verſchloſſen in den vor unſerm Bürean aufge=
hängten
Kaſten mit der Aufſchrift Kohlenliefe=
rung
betr. einzulegen, oder mit dieſer Bemer=
kung
auf der Adreſſe verſehen, an uns einzu=
ſenden
.
Darmſtadt, den 1. Auguſt 1869.
Großherzogliche Bürgermeiſterei Darmſtadt.
J. V. d. B.:
Appfel, Beigeordneter.

5241)
Bekanntmachung.
Nächſten Mittwoch den 18. dieſes Monats,
Vormittags 9 Uhr, werden im öſtlichen Theile
des Mainthors verſchiedene Möbeln, worunter
2 Oelgemälde und allerlei ſonſtiger Hausrath,
ſodann eine vollſtändige ſehr gut erhaltene Laden=
einrichtung
für eine Mehlhandlung nebſt Salz=
kaſten
zum Salzauswiegen gegen Baarzahlung
verſteigert.
Darmſtadt, den 13. Auguſt 1869.
Großherzogliches Ortsgericht Darmſtadt.
Der Vorſteher:
Berntheiſel.

5243) Mittwoch den 18. d. Mts., des Mor=
gens
9 Uhr, werden im Wachthauſe am Main=
thor
dahier 1 Kleiderſchrank und 1 Tiſch gegen
baare Zahlung verſteigt.
Darmſtadt, den 12. Auguſt 1869.
N aumann.

Lieferung von neuen Caſerne=
Utenſilien.
Montag den 23. d. Mts. Vormittags
10 Uhr ſoll die Lieferungneuer Caſerne=
Utenſilien (Schreiner=Arbeit) in den
Jahren 1869 bis 1871 auf dem Büreau der
Garniſon=Verwaltung durch Soumiſſion vergeben
werden. Muſter und Bedingungen liegen da=
ſelbſt
zur Einſicht bereit.
Darmſtadt, den 15. Auguſt 1869.
Großherzogliche Garniſon=Verwaltung.
Fauſt.
5353) Korwan.

Lieferung von Unterhoſen.
348 Paar Unterhoſen für Reiterei und 466
dergleichen für Fußtruppen ſollen Dienſtag den
24. d. Mts. Vormittags 10 Uhr durch Soumiſſion
in Lieferung vergeben werden. Als Lieferungs=
termin
iſt der 15. October d. J. feſtgeſetzt.
Die Bedingungen und Muſter lönnen an den
Werktagen in den Geſchäftsſtunden eingeſehen
werden.
Darmſtadt, den 14. Auguſit 1869.
Großherzogliches Montirungs=Depot.
In Erledigung der Stelle des Rendanten:
5354)
Kreſſel.

Feilgebotenes.
Liebigs Lleiſch-Ertract
zu den ueuen ermaßigten Preiſen empfiehlt
Lr. Getaeſer,
5103)
Ludwigsplatz 7.
5209) Arheilger Straße Nr. 35 zwei Ein=
legſchweine
zu verkaufen.

5355) Eine Parthie gebrauchte Weinflaſchen
ſind zu verkaufen. Rheinſtraße Nr. 46.

Fahrtenpläue des Jommerdienſtes 1860
(mit den neueſten Veränderungen)
der Main=Neckar=Bahn, Main=Rhein=Bahn,
Ried=Bahn, Main=Weſerbahn, -
Maximiliansbahn,
Offenbacher=Bahn, Frankfurt=Homburger=Bahn, - Hanauer=
Aſchaffenburger Bahn, Taunus=Bahn,
Bab. Bahn, Naſſauiſche Staatsbahn, -
Württemberg. Staatsbahn, Heſſiſchen u. Pfälziſchen Ludwigsbahn, Rhein=Nahe=Bahn,
der Paris=Straßburger=Bahn, Linksmainiſchen Bahn, Gießen=Deutzer=Bahn,
in Briefformat, zu 8 kr. das Stück ſind in der G. Jonghaus'ſchen Hofbuch=
handlung
, ſowie auf unſerem Comptoir zu haben.
Ludw. Carl Wittich'ſche Hofbuchdruckerei.

5228)

Abreßbuch.

Der Druck des hieſigen Adreßbuches konnte heute erſt beginnen, da bisher auf die neue
Numerirung einiger Straßen gewartet werden mußte; Anſtände, Berichtigungen und
Nachträge können deßhalb jetzt noch berückſichtigt werden, und bittet die Unterzeichnete, ſolche
entweder auf hieſiger Polizei oder in ihrem Comptoir, Louiſenſtraße 18 (Briefkaſten rechts beim
Eintritt durch das Thor) anzeigen zu wollen.
Verlag des Adreßbuches für Darmſtadt und Beſſungen.
E. Bekker'ſche Hofbuchdruckerei.

489)

in anerkannt guter Facon ſind jetzt wieder in allen Rummern,
Corsotte voräthig.
S. Arnheiter.

4927)

Neue Pakenk,=Bampf-Waſchkeſſel,
eine der nützlichſten Erfindungen.
Dieſelben reinigen Wäſche jeder Art ohne Reibung, ohne Arbeit, nur mit Waſſer
und Seife, mit abſoluter Schonung der Wäſche. Preis 9-18 fl. Verliehen werden
Apparate gegen eine Vergütung von 1 fl. per Tag.
L. W. Moeſer, Marienplatz 7.

4eht Uhglsch PhfentReihigungrUvall
zum Waſchen von Leinwand, Shirting, Mouſſelin, gefärbtem Baumwollenzeng ꝛc
empfiehlt
Adolpb Hoeler,
5250)
q cerialwaaren=Handlun=

5356) En doppelt gedecktes Treibhaus 5357) GBeſſungen) Schulſtraße Nr. 164

ſteht Wohnungs=Veränderung halber billig zu
verkaufen. Wo ? ſagt die Exp. d. Bl.

ſiteht eine polirte Kinder=Bettlade mit zwei
Matratzen billig zu verkaufen.
33

[ ][  ][ ]

5358)
Volene Hrichgurne
ſind in allen Farbeu 8 Qualitäten bereits große Sendungen
ſindein allb euhſehlen olge woliget L.be As=Gſde der W8ey.
bedeutend ermößigten Preiſen.
Heinrich Damm,
Gebrüder Damm,
Kirchſtraße 9 neben der Kirche bei Herrn Hegendörfer.
im Rathhaus.

Vermiethungen.
4203) Nr. 3. dem Offiziers=Caſino gegen=
über
2 geräumige Zimmer, eine Stiege hoch,
alsbald zu beziehen.

P40))
Zu vermiethen
F ein großes möblirtes Zimmer, Alexander=
P ſtraße Nr. 5 Vorderhaus, im 1. Stock,
F beziehbar den 1. Auguſt l. J. mit oder
H ohne Koſt.

4808) Karlsſtraße Nr. 14 im Seitenbau eine
geräumige Werkſtätte mit Logis zu ver=
miethen
und alsbald zu beziehen.
4897) Carlsſtraße Nro. 51 iſt der untere
Stock mit oder ohne Garten zu vermiethen.
5133) 2 bis 3 Zimmer (auf Wunſch
möblirt), ſowie Stallung für 2 Pferde
ſind vom 1. October d. J. an zu vermiethen.
Näheres Riedeſelſtraße 63, dritter Stock.
5219) Schulſtraße 5 ein Logis zu vermiethen.
5222) Döngesborngaſſe 2 iſt ein Logis an
eine ſtille Familie zu vermiethen.
5306) Ein ſchoͤnes möblirtes Zimmer iſt zu
vermiethen Mauerſtraße Nr. 22.
5359) Beſſungen. Schulſtraße 132 neben
der Kirche eine Scheuer zu vermiethen.
5360) Hügelſtraße 65 iſt die Manjarde zu
vermiethen, bis zum 1. October beziehbar.

Vermiſchte Nachrichten.
3131) G)ie Knabenerziehungs=Anſtalt
2des Dr. Gaspey in Heidel=
berg
, von vielen Ausländern beſucht, nimmt
deutſche Zöglinge zu ſehr mäßigem Preiſe auf.
Eintritt zu jeder Zeit. Vorbereitung für den
einjährigen Militärdienſt.
Proſpecte auf
Verlangen.

Sr
1.

Volocipodlos-unterricht wird ertheilt.
Anmeldungen und nähere Auslunft bei
D. Kaiz.

1011) Ein Lehrling wird geſucht in der Leder=
und Eiſenhandlung von J. P. Wambold.
5037) Geſucht ein Mann zur Straßen Reinigung.
Rheinſtraße Nr. 35.
5197) Lehrlinge für Steindruckerei
gegen guten Loyn geſucht.
Frommann & Bünto.
5198) Beſſungen. Zwei tüchtige Schloſſer=
Geſellen können bei mir eintreten.
Hch. Jacoby, Schloſſermeiſter.

A)
47
Heſſiſche Ludwigs=Eiſenbahn=Geſellſchaft.
4.
Für den Verkehr unſerer Stationen Bingen, Mainz und Darmſtadt
u1³⁄
M4Ay einer= und Stationen der Ober=Italieniſchen Bahnen, der Italieniſchen
³⁄⁄₈
Aiöl
Ex-Güdbahnen, der Römiſchen Bahnen und Trieſt, Station der
Oeſterreichiſchen Südbahn, anderſeits, treten mit dem 15. d. Mts. directe Frachten via
Aſchaffenburg=Kuſſtein=Brenner in Kraft.
Der für dieſen Verkehr gültige Tarif iſt bei unſeren vorgenannten Stationen und unſerer
Druckſachen=Verwaltung zum Preiſe von 21 kr. käuflich zu erhalten.
Von der Druckſachen=Verwaltung werden auch die zu dieſem Verkehre nöthigen Frachtbriefe
käuflich verabfolgt.
Wir machen noch darauf aufmerkſam, daß die Frachtbriefe für Sendungen nach Genua die
Vorſchrift enthalten müſſen, ob dieſelben nach Genova (Genua) Piazza Principe oder
nach Genova GGenua) Piazza Curicamento abzufertigen ſind. Nach letzterer Station
in Genua kann jedoch Gilgut nicht abgefertigt werden.
Ebenſo muß für Sendungen nach Neapel vorgeſchrieben ſein, ob dieſelben über Foggia
oder via Piſa, für Sendungen nach Trieſt, ob ſie über die neue Route via Brenner oder
über Wien nach den ſeitherigen Beſtimmungen dirigirt werden ſollen.
Mainz, den 12. Auguſt 1869.
5361)
Der Verwaltungsrath.

5226) Ordentliche junge Mädchen
geſucht
Frommann & Bünte.

5180) Eine einzelne Dame ſucht für den ſo=
fortigen
Eintritt ein älteres Dienſtmädchen, das
kochen, waſchen und bügeln kann. Näheres Grafen=
ſtraße
29 eine Stiege hoch.
B Ein Mädchen, welches im Landkartenmalen
S geübt iſt, kann in ähnlicher Weiſe
E3
lohnende Beſchäftigung finden.
Wo? ſagt die Expedition d. Bl.


G ſFin junger Menſch, welchem die beſten
2 E Zeugniſſe zur Seite ſtehen, ſucht eine
Stelle als Auslaufer oder Diener. Zu erfragen
Pankratiusſtraße Nr. 13.

G 5Xine auswärtige Familie, beſtehend aus
8 C.5 Perſonen, ſucht für Anfang October

[3. ein ſchönes Haus mit entſprechen=
dem
Garten dahier zu miethen. Dieſelbe
wird je nach den Verhältniſſen einen Miethpreis
bis zu 900 fl. bewilligen.
Nähere Auskunft bei Hofg.=Adv. Siegfrieden.
5237) Ein kröftiger und ge=
6
wandter Burſche von 16 bis
18 Jahren geſucht.
Irommann ae; Bünte.
5325)
Erzieherin
geſucht für eine angeſehene Familie. Verlangt
wird deutſch, franzöſiſch (wo möglich Engliſch)
und Muſik. Gehalt 500-600 fl., freie Reiſe.
Schriftliche Anträge ſogleich abzugeben in der
Expedition d. Bl.
5362)
Ein Heizer,
wo möglich aus Eberſtadt oder Nieder=Ramſtadt,
findet bei gutem Lohn dauernde Stellung in der
Illig'ſchen Papierfabrik.
5363) Mauerſtraße Nr. 15 wird ein ordent=
liches
Dienſtmädchen zum baldigen Eintritt geſucht.

5365) 2 Mädchen können bei mir das
Putzgeſchäft erlernen.
Eliſe Kling, Ludwigsplatz.
5366) Ein geſittetes Mädchen aus guter
Familie, das ſchön nähen kann und in feineren Ar=
beiten
erfahren iſt und das Kleidermachen perfect
verſteht, ſucht eine Stelle als Jungfer oder zur
Stütze der Hausfrau, oder als Ladenmädchen.
Näheres im Frankfurter=Hof in der Frankf. Straße.
5367) Am letzten Samſtag iſt ein rundes,
goldenes Medaillon verloren worden, mit
goldnen Kreuz auf ſchwarzer Emaille, enthaltend
eine Photographie und Haare. Der redliche Finder
wird gebetenz, daſſelbe gegen Belohnung Wald=
ſtraße
Nr. 44 abzugeben.
5368) Freitag den 18. d. Mts. Abends
zwiſchen 6 und 7 Uhr wurde zwiſchen dem Rhein=
thor
und dem Baſſin in der Tanne ein weißes
mit Lilaſtreifen ver=
Kinderjadchen loren. Der redliche
Finder wird gebeten, daſſelbe in der Friedrich=
ſtraße
in dem neuen Hauſe des Herrn Sonn=
thal
im dritten Stock gegen eine Belohnung
abzugeben.
Im Großherzoglichen Holzmagazin
wird gegen Vorauszahlung abgegeben:
Buchen=Scheidholz zu 10 fl. 20 kr. per Stecken
Kiefern=
6fl. 24 kr.
Beſtellzeit: Dienſtags, Freitags und
Gamſtags von 8-11 Uhr Vormittags.
Großherzogliches Rentamt Darmſtadt.

Linge=
5 39

[ ][  ][ ]

3.
gartenbauverein in Darmſtadt.

Die Juli=Verſammlung bot nichts von allgemeinem Intereſſe, nur iſt zu erwähnen,
daß von Herrn Obergärtner Schmidt ſehr ſchöne Nelken und Dahlien, von Herrn
Hofgärtner R. Noack empfehlenswerthes Frühobſt und von Herrn Rentner Diehl ſechs
Sorten Kopfſalat von ungewöhnlicher Größe ausgeſtellt waren.
Am 4. Auguſt wurde von 22 Mitgliedern und einigen Damen dem Garten der
Freifrau von Verna zu Rüſſelsheim ein Beſuch abgeſtattet. Macht dieſes 24 Morgen
enthaltende, zum größten Theil landſchaftlich angelegte Beſitzthum mit ſeinen herrlichen
Baumgruppen, den weitläufigen, durch bunte Blumenbeete unterbrochenen Raſenflächen,
mit ſeinen ſchattigen Laubgängen und traulichen Ruheplätzen, mit dem reichlich vor=
handenen
und auf mannigfache Weiſe verwendeten Waſſer, mit ſeiner Kapelle und
dem hohen Wartthurm, der den Blicken eine weite Rundſicht bietet, in allen ſeinen
Theilen den wohlthuendſten Eindruck, ſo bleibt doch der Eingang und die der Südſeite
des Schlößchens gegenüber liegende reizend arrangirte Partie der Glanzpunkt des Ganzen
und gibt ſowohl von dem hohen Kunſtſinn der Eigenthümerin, als von der Intelligenz
und dem Geſchmack des Obergärtners, Herrn Weinrich, ein ehrendes Zeugniß. Nicht
zu vergeſſen ſind auch die an wohl gepflegten tropiſchen und Blattpflanzen reichen
Gewächshäuſer.
Für Sonntag den 22. Auguſt iſt ein Ausflug nach Geiſenheim zur Beſichtigung
der berühmten Obſtbaum= und Rebenpflanzungen des Herrn Generalconſuls Lade be=
ſchloſſen
, der nicht minder genußreich zu werden verſpricht.
h.

Aus der Prayis.
Von einem ſchleſiſchen Juſtizbeamten.

(Fortſetzung)
Nur der Aſſeſſor wollte darin nichts weiter als eine tiefe Trauer
des verſchmitzten Burſchen finden daß er trotz aller aufgewandtenz Schlau=
heit
und Verſtellungslunſt in die Schlinge gerathen Heut, als er ihm
noch einmal Satz für Satz des Protocolis wiederholte und hinzufügte:
Du ſiehſt, dein Bruder iſt weniger verſtockt wie du Er hat gerade
dich als Mörder bezeichnethu da verlor der junge Menſch die Faſſung.
Er blickte wie verzweifelnd zur Decke und rang die Hände, dann rief er,
wie vom liefſten Schmerz überwältigt, klagend aus: O, das iſt hart!
Plötzlich ſchien ein Gedauke durch ſein Hirn zu zucken. Ein unheimliches
Lächeln ſpielte um ſeine Lippen; er wollte den Mund zum Sprechen öff=
nen
, vielleicht ſeinerſeits den Bruder anklagen; aber der finſtere Gedanke
flog ebenſo raſch vorüber als er gekommen war; er flüſterte nur vor ſich
hin: Es iſt ja mein Bruder und ich muß ſchweigen! Von jetzt ab
ſchien die Kraſt des armen Menſchen gebrochen, er vertheidigte ſich nicht
mehr und verharrte in einem dumpfen, hinbrütenden Schweigen. Er fühlte,
daß ſich ein dichtes Netz, unaufhaltſam=verhängnißvoll, über ſeinem Haupte
zuſammenzog und daß er umſonſt dagegen ankämpfte. Nur zu einer ſei=
nen
Bruder bloßſtellenden Ausſage war er nicht zu bringen. Er beſtätigte
zwar das von demſelben angegebene Geſpräch, ſetzte aber hinzu: Er iſt
nicht böſe, kann keinem Kind etwas thun - weiß nicht, wie alles gekom=
men
! O, ſind wir unglücklich, ſehr elend!
So ſtaunden die Bachen, als eines Vormittags zum Aſſeſſor der Doc=
tor
in die Stube trat und ihm freudig entgegenrief: Licht! Licht! Ich
bringe neue Votſchaft
Der Aſſeſſor wußte ſchon, wovon die Rede ſein ſollte, wandte ſich
im Schreibjeſiel und ſprach ein halb intereſſirtes, halb ſchon wieder zwei=
felndes
3un?

II.
Doctor Schmidt war von einem Krankenbeſuche auf dem Lande eben
zurückgekehrt und hatte ſich nicht einmal Zeit zum Umkleiden genommen-
Mein Freund! Eine wichtige Nachricht! wiederholte er und nahm
Platz
Sie machen ihn lebendig ?u unterbrach ihn der Aſſeſſor und ritt
auf ſeinem Arbeitsſtuhle und ſteckte die Feder hinter's Ohr.
Rein! Davon ſprech ich nicht! Davon hoff ich auch nichts! Der
Aermſie ſchwelt zwiſchen Tod und Leben! Aber der arme Burſche iſt
unſchuldig! Ich bringe Ihnen die Veweiſe!

Ein Alibi! Ein Alibi! Sonſt hilft nichts!
Eben das bringe ich i1 entgegnete der Doctor. 3ch wurde heute
früh nach Röhrsdorf gerufen. Sie wiſſen, es iſt das Nachbardorf von
Volzin, in deſſen Nähe der Mord vorgefallen. Die Tochter des daſigen
Bauers Brödner war von einer Leiter geſtürzt und hatte das Bein ge=
brochen
. Ein prächtiges Mädchen! Kohlſchwarze Haare und Augen wie
Karfunckel! Sie ſtreckte mir ſchon beim Eintritt die Arme entgegen und
rief jammernd: O, es iſt nur meine Straſe, Herr Doctorl Ich hab's
verdient! Warum hab' ich ſo lange geſchwiegen! Mein liebes Kind.
das iſt ein unglücklicher Zufall, keine Strafe! erwiderte ich. Uebrigens
hat es damit keine Gefahr. Ein Beinbruch iſt nicht das Schlimmſte!
Ich wollte das verletzte Bein in Augenſchein nehmen - Es iſt meine
Strafe'' behauptete das Mädchen - Strafe? Wofürzu fragte ich
Taß ich nicht angezeigt, was ich weiß! Denn dann durft er nicht

125
33.
länger ſitzen, der arme Menſchl -Welcher arme Menſchzu fragte ich,
immer aufmerkſamer geworden. Ich bin ihm ja unterwegs begegnet, den
ſie auf Mord unterſuchen es war am Anfang des Waldes; die Uhr
im Dorfe ſchlug gerade zwei - er frug mich, ob ich nicht einen Wagen
mit zwei Herren getroffen; ich ſagte Jal Nun ging er raſch weiter,
aber um ½3 Uhr ſchon hat der Bauernſohn Pfenning die Schüſſe gehört
und bis zur Mordſtelle hat er mindeſtens, wenn er läuft, eine halbe
Stunde nöthig. Er kann's nicht geweſen ſein! Das= Mädchen wußte
mir das alles ſo ſcharf und präcis auseinanderzuſetzen, daß ich davon völ=
lig
überzeugt bin
Hmlu ſagte der Aſſeſſor nachdenlich. Warum ſchwätzt das Mad=
chen
jetzt erſt davon Zu
Sie müſſen ja unſere Landleute kennen ! bemerkte der Arzt. Sie
fürchten ſich vor dem Gericht! Es iſt ihnen ſtets ein harter Gang, und
vollends ein Zeugniß ablegen, ſchwören müſſen - das iſt ihnen entſetz=
lichl
Das Unglück des Mädchens hat ihr Gewiſſen erſchüttert; ſie wird
jetzt ohne Rückhalt ihr Zeugniß ablegen und Sie werden daraus wie ich
die Ueberzeugung gewinnen, daß der junge Jablonſky unſchulbig iſt!
Ich werde ſie vernehmen und morgen ſchon. Vielleicht komm ich
aber zu ganz andern Reſultaten
Am andern Tage fuhr der Aſſeſſor nach Röhrsdorf. Er fand das
Mädchen mit geſchientem Bein im Bett liegen. Sie war bei vollem Be=
wußtſein
und konnte zur Vernehmung gebracht werden. Sie wiederholte
noch einmal ihre gegen den Doctor gemachte Ausſage.
Als ſie geendet, ſagte der Aſſeſſor:
Führt aber uicht ein kürzerer Weg durch den Walb, der wieder auf
die Straße ausmündet, und kann der Burſche nicht dieſen benutzt habenzu
Das iſt nicht möglich! ſagte das Mädchen. Ein Weg führt aus
dem Hofe des Scholzen üher die Wieſen in den Wald, da hat man's
reilich näher, weil die Fahrſtraße einen großen Bogen macht. Dann
giht es noch einen Weg, aber der fängt ſchon vor dem Walde an, im
Kahnicht, und er hätte wieder zurückgehen müſſen, wenn er dieſen hätte
benutzen wollen. Ich ſah ihn aber in ſcharfen Schritten die Straße wei=
terlaufen
; um halb drei aber hat Pfenning's Johann ſchon die Schüſſe
gehört; wie könnt er nun
Schon gut, ſchon gut!u unterbrach ſie der Aſſeſſor. Zeugen haben
nur Thatſachen zu berichten, niemals Urtheile abzugeben! Sind Sie jetzt
bereit, Ihre Ausſage zu beſchwören ?
8ain entgegnete das Mädchen mit Feſtigkeit. Der Geiſtliche des
Orts wurde gerufen, mit ihm der Küſter, der aus der Kirche Grueifi=
und Leuchter zu beſorgen hatte, unb die Kranke leiſtete jetzt ohne Furcht
und Zagen den Eid.
Der Aſſeſſor fuhr, in Nachdenken verſunken, zurück. Gewiß war dies
Zeugniß für den jungen Jablonſih ein günſtiges und es ſchien die Kette
von zuſammentreffenden Umſtänden zerreißen zu wollen, die ſeine Ver=
brecherſchaft
conſtatiren. Der Aſſeſſor begann ſich zu prüfen, ob er nur
ſeinem Vorurtheil folge, wenn er dennoch bei ſeiner Meinung beharre,
oder den aus der eingeleiteten Unterſuchung gewonnenen Anſchauungen
gerecht werde. Ihm verblieb die Phantaſie bei der Beſtürzung beim Fin=
den
der Doſe, beim Verleugnen mit dem Bruder Allerdings hatte ein
guter Fußgänger vom Anfang des Waldes bis zur Stelle des ſtattgefun=
denen
Mords eine halbe Stunde zu laufen und der Burſche mußte doch
den Wagen überholt und eher an der verhängnißvollen Kiefer angekom=
men
ſein: aber konnte er nicht das Mädchen abſichtlich getäuſcht und den=
noch
den Waldweg eingeſchlagen haben? Ja, war denn überhaupt auf
die Uhr des Johann Pfenning ein Verlaß? Er wollte zwar einige Mi=
nuten
nach l3 Uhr die Schüſſe gehört haben. Einige Minuten? Bei
den Bauersleuten wird es damit nicht ſo genau genommen und differiren
nicht oft die verſchiedenen Dorfuhren um halbe Stunden? Selbſt dieſe
Ausſage konnte der eingeleiteten Unterſuchung keine andere Wendung geben
für den Aſſeſſor. Jedenfalls blieb der ältere Jablonſty der Anſtifter des
Mords. Von Nache und Raubſucht getrieben, hatte er ſeinen Bruder zu
dem Verbrechen verleitet, deſſen Schießgewandtheit unentbehrlich war. Der
jüngere Jablonſty hatte die Doppelflinte ſo geſtellt, daß ſie ſeinen Herren
nicht in die Augen fiel und ſie dieſelben zurückließen. Nun iſt er dennoch
auf jenem Waldwege dem Wagen zuvorgekommen und hat den Doppelmord
begangen. Der ältere Jablonſky muß gleich den Weg von der Scholtiſei
aus genommen und den Bruder erwartet haben; er hat dann die Erſchoſ=
ſenen
beraubt und iſt mit dem Gelde entflohen, während der jüngere in=
zwiſchen
ſeine Doppelflinte ſorgfältig gereinigt und ſich dann für ſeine
Heuchlerrolle geſchickt gemacht hat. So conſtruirte der Aſſeſſor und er
mußte ſich geſtehen, daß die beiden Raubmörder dabei mit äußerſter Klug=
heit
zu Werke gegangen, daß ohne das Finden der Doſe und ohne die
Ausſage der Scholzenfrau ſchwerlich ein Verdacht auf ſie gefallen wäre.
Bei den fortgeſetzten Verhören wirkte die Eröffnung, die der Aſſeſſor
über die mögliche Herſtellung des Zweiten der Opfer machte, regelmäßig
auf den jungen Stanislaus erſchreckend. Er fürchtete ſeinen Bruder.

[ ][  ]

126

R3s.

Der Biehhändler Hubert war aber ſelbſt nach Wochen noch nicht
aus ſeinem lethargiſchen Zuſtande erlöſt. Bis jetzt hatte der Unglückliche,
ohne einen Laut von ſich zu geben, dagelegen; nur ſeine Augen hatten
noch gelebt und zuweilen blickte er traurig auf ſeine Frau, die in uner=
müdlicher
Sorgfalt um ihn beſchäftigt blieb. Stundenlang ſaß ſie am
Bett des Armen und bewachte jeden Athemzug. Das kräftige Weib wurde
über der anſtrengenden Pflege zum Schatten. Oft, wenn ſie an der Seite
ihres Mannes ſaß, verlor ſie ſich in düſteres Hinbrüten. Finſtere Ge=
danken
zuckten dann durch ihr Hirn. Sie glaubte nicht den Verſicherungen
des Doctors,daß ihr Mann wieder geſunden würde, und um ſo tiefer
grub ſich in ihrem Innern der Schmerz um ſeinen Verluſt ein, aber auch
der Haß gegen denjenigen, der ihn gemordet und der ſie jetzt zur Wittwe
machte. In finſterer, ſtiller Nacht kauerte ſie oft an dem Lager des
Kranken, beugte ſich tief über denſelben und fragte in ſieberhafter Haſt:
Sage mir, wer war der Mörder? Haſt du ihn geſehen? Kennſt du
ihn 22 Sie horchte in athemloſer Spannung auf Antwort, aber ſo tief
ſie ſich auch herabbog, ſo ſehr ſie auch ihren Athem anhielt, um kein Ge=
räuſch
zu macheu, der Verwundete bewegte nicht einmal die Lippen; nur
in ſeinen Augen zuckte es leiſe auf. Du weißt es nichtzu ſagte ſie kla=
gend
und ſank auf ihren Sitz zurück
Dann verſuchte die von Haß und Nache und der Räthſelhaftigkeit
des Mords gequälte Frau einen andern Weg. Sie nannte dem Kranken
Namen und wieder Namen, ſoweit ihr Gedächtniß und ihre Bekanntſchaft
reichte, und fragte bei jedem: Iſt es derzu Aber kein Schließen der
Wimpern gab ihr zuſtimmende Antwort; nur wenn ſie den Namen Stanis=
laus
Jablonſkh nannte, zuckten die Augen des Kranken wie verneinend.
Der Doctor mußte die arme Frau zwingen, wenigſtens während der
Nacht einer fremden Pflegerin Platz zu machen; ſie fügte ſich endlich; nur
wenn ihr der Doctor Hoffnung machte, daß ihr Mann dennoch wieder
geſund werden würde, lächelte ſie bitter und entgegnete, nur von dem Ge=
danken
gequält: Er wird ſterben, ohne den Mörder zu nennen 1 Nein,
das wird er nicht!u erwiderte der Doctor entſchieden, und wirklich, nach
einigen Tagen zeigte er dem Aſſeſſor an, daß der Verwundete wenigſtens
ſo weit hergeſtellt ſei, um bei der nöthigen Schonung vernommen werden
zu können
Wohl lag der arme Mann noch matt und regungslos, aber er ver=
mochte
heute in der That ſeine Lippen zu bewegen und leiſe, wenn auch
kaum hörbare Worte herausflüſtern. Es war ein eigenthümliches, alle
daran Betheiligte tief erſchütterndes Verhör.
Der Aſſeſſor mußte das Ohr dicht an den Mund des Kranken legen
und mehr aus ſeinen Augen die Antwort leſen, als von ſeinen Lippen
abhorchen.
Aber wie wenig entſprach die Ausſage des Kranken den darauf ge=
ſtellten
Erwartungen! Ja, ſie mußte die Sache, ſtatt aufhellen, noch
mehr verwirren!
Was der Aſſeſſor in langen Pauſen von dem Verwundeten erfuhr,
war etwa Folgendes:
Sie waren in der Mittagsſtunde, vielleicht auch ſpäter, aus der
Scholtiſei weggefahren und beide im Beſitz von etwa 1300 Thalern.
Unterwegs hatten ſie das Vergeſſen der Flinte bemerkt und in der Er=
wartung
, daß ſie ihr Treiber Jablonſkh nachbringen würde waren ſie
bald langſam gefahren, bald hatten ſie wohl gar etwas gehalter, um ihn
herankommen zu laſſen und, wenn er die Flinte nicht brachte, zurückzu=
ſchicken
. Plötzlich fällt ein Schuß, er ſpringt erſchrocken auf und ſchon
fällt der zweite und er ſinkt bewußtlos in den Wagen zurück
Und Sie haben keinen Verdacht? Niemand geſehen?
Riemandl lispelte der Kranke
Und blieben Sie bewußtlos, als Ihnen der Mörder den Gurt
abſchnallte ?
Nein! Ich ſchlug noch einmal die Augen auf - aber ich ſah nur
eine Hand!
Eine Hand?! Das iſt traurig! Sahen Sie nichts weiter? Nicht
den Nock? Nicht das mindeſte Erkennungszeichen ?
Nein! Nur die Hand ſchimmerte mir vor den Augen, aber es war
eine verſtümmelte Hand - es fehlten - ihr - zwei Finger.
Zwei Finger fehlten? Sahen Sie das deutlich?
Wie im Nebel
Welche Finger fehlten zu
Ich glaube, der Mittel= und Goldſinger, aber dann
ich
war todt
Mehr wiſſen Sie nicht 2u
Nein!
Dann ſetzte der Kranke von ſelbſt hinzu: Aber unſer Treiber iſt
den armen Jungen-
es
nicht! Laſſen Sie ihn frei, Herr Richter:
Der ſchwache Mann ſchloß erſchöpft ſeine Lippen und vermochte kein
Wort mehr hervorzuflüſtern
Das Verhör war damit geſchloſſen - zwei Tage darauf athmete

der ame Verwundete ſeine Seele aus. Seine Frau wanderte wie ge=
brochen
hinter ſeinem Sarge her. Er war geſtorben ohne den Mörder
nennen zu können und dieſer Gedanke ſchmerzte ſie faſt ebenſo wie der
Verluſt ihres Mannes. So kehrte ſie arm und elend in ihre Heimat
zurück.
Zwei Finger 1u ſagte Doctor Schmidt. Die müſſen jetzt auf irgend=
eine
Spur des Mörders führen!
Der Aſſeſſor blickte ihn ſtatt aller Antwort verwundert und forſchend
an. Ich hätte mir nicht träumen laſſen, daß Sie eine ſolche Behaup=
tung
ausſprechen würden! Was iſt dieſe Aeußerung anders als die Hallun=
ciation
eines Sterbenden? Was ſieht nicht ein Kranker! Ein Furcht=
und Schreckerregter! Nein, Beſter, damit kommen wir nicht zum Ziel!
Der Doctor ſagte halb ſcherzend, halb ſchmerzlich:
Hab' ich mir darum die Mühe gegeben, dem Manne ein paar Wo=
chen
das Leben zu erhalten ?
Auch der Aſſeſſor verſiel in eine förmliche Schwermuth. Man hält
das Leben eines Juriſten für dürr und unſruchtbar. Das iſt aber nur
bei dem der Subalternen der Fall, die über die Wichtigkeit des Regiſtri=
rens
und Inrotulirens meiſt pedantiſch und unerträglich werden. Acten=
ſtaubſchlucker
, Copirmaſchinen find das - aber dem Richter ſelbſt eröffnet
ſich doch eine reiche Welt. Er kann ſich erwärmen für ſeine Anſicht. Ein
Proceß mit ſeinem wunderbar verſchlungenen Recht macht das Herz oft
höher ſchlagen. Und vollends eine Criminalunterſuchung! Sie zeigt nicht
nur das Bild der menſchlichen Seele in allen ihren Untiefen, ſie zeigt
unermüdlich forſchende Richter die mit unbeugſamer Beharrlichkeit und
allem Aufwand menſchlichen Scharfſinns nach dem Ariadnefaden ſuchen,
der in dem Labhrinth der Verbrechen zur wahren Schuld führt. Auch
den Aſſeſſor begann dieſe ſchwierige Unterſuchung völlig in Anſpruch zu
nehmen.
Hatte der Händler wirklich an der Hand des Raubmörders das Feh=
len
zweier Finger bemerkt, dann mußten beide Angeſchuldigte unſchuldig
ſein. Sie hatten beide unverletzte Hände. Aber war dies in der That
eine Ausſage, auf die irgend Gewicht gelegt werden konnte? Der um=
florte
Blick eines Sterbenden konnte leicht eine verſtümmelte Hand be=
merken
, ohne daß er ſie wirklich ſah Der junge Criminalrichter
legte den von ſolch wirren, ſich widerſprechenden Gedanken gequälten Kopf
in die Hände, las dann wieder Acten bis tief in die Nacht hinein und
alle Zweifel zerſtreuten ſich es fügte ſich doch wieder alles ver=
hängnißvoll
aneinander zur Darlegung der Schuld - der beiden Brüder.
Einer allein konnte die That nicht vollbracht haben. Dazu war die
Zeit, in welcher der Raubmord ſtattgefunden, doch zu kurz. Der ältere
Jablonſky konnte nicht geſchoſſen haben, da er, wie die ſorgfältigſte Er=
mittelung
herausgeſtellt, kein Schütze war. Daß er aber bei dem Raub=
mord
betheiligt war, dafür ſprach ſeine aufgefundene Doſe. Wen aber
anders durfte er zu ſeinem Gehülfen und Werkzeug auserſehen haben als
ſeinen Bruder, mit dem er heimlich verkehrte und der ſo viele verdächtige
Zeichen ſeiner Mitſchuld von ſich gegeben? - Aber ein Geſtändniß
fehlte! Auch die Confrontation ſchlug fehl. Der ältere Bruder beſchul=
digte
den jüngeren geradezu des Mords. Er ſagte ihm ins Geſicht, daß
er ſeine übereilte Mittheilung nur benutzt hätte, um die That zu voll=
führen
und dann auf ihn zu wälzen. Er behauptete, daß ihm Stas die
Doſe geſtohlen und dort verloren haben müſſe, um ihn vollends zu ver=
derben
. Stanislaus ſeinerſeits blieb auf all dieſe Beſchuldigungen ruhig
und gelaſſen. Er klagte nicht den Bruder als Moörder an; er ſagte nur
mit ſeiner weichen, klagenden Stimme: Das hab' ich nicht um dich ver=
dient
, Stephan! Gott mag richten! Und ſo hart der junge Jablonskh
auch von ſeinem ältern Bruder angegriffen und als der allein Schuldige
dargeſtellt worden, als beide abgeführt wurden, warf er ihm doch einen
Blick voll Liebe und Zärtlichkeit zu, als wollte er ſagen: Sieh, du haſt
mir bitter wehe gethan und ich ſchweige dochl . . . Aber gerade dies
ruhige, gegen ſeinen Bruder ſo ſchonende Auftreten des jungen Burſchen
ſowie ſein ganzes Benehmen während der Unterſuchung mußte gegen einen
von beiden ſprechen. Und wenn nun der ältere Bruder den Raubmord
allein vollführt, allein geſchoſſen hatte, trotz ſeiner Unfertigkeit im Schießen?
War denn die Entfernung ſo weit? Trifft nicht oft ſelbſt ein ſchlechter
Schütze das Ziel? Nachdem er den Raub verborgen - grübelte der
Aſſeſſor weiter - und ſich im Lande herumgetrieben, mag er erſt von
der Verhaftung ſeines Bruders gehört haben, dann mag in ihm der Ge=
danke
aufgeſtiegen ſein, dieſem, der an ſeiner Verhaftung, wenn auch wi=
der
Willen, ſchuld, den Raubmord zuzuwälzen
Es blieb kein anderes Mittel, als die Liſt zu Hülfe zu nehmen. Die
Tortur iſt abgeſchafft, aber einen Gefangenen ſicher machen, durch einen
Mitgefangenen aushorchen laſſen, das iſt erlaubt; die allgemeine Sicher=
heit
geht allen Rückſichten voran. So entſchloß ſich der Aſſeſſor, ſchein=
bar
die Sache bis auf weiteres zu vertagen, bei erſter Gelegenheit aber
einem der Brüder einen Mitgefangenen zu geben, der ſie ausholen ſollte.
(Fortſetzung folgt.)
Dieſe Gelegenheit fand ſich.

Redaction und Verlag: L. C. Wittich'ſche Hofbuchdruckerei.