(inzelnummer 15 Goldpfennige
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Heſſiſche Neueſte Nachrichten
Morgenzeitung der Landeshauptſtadt
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Nummer 7
Montag, den 2. Januar 1924.
187. Jahrgang
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Rellame=
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(1 Dollar — 4.20 Martl. — Im Falle höherer
Gewalt, wie Kries. Aufruhr Streil uſw., erliſcht
ſede Verpſichtuag auf Erfüllung der
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aufträge und Teiſſung ven Schadenerſatz. Bei
Konkurs oder gerichtiſcher Beltreibung, fällt ſeder
Rabatt weg. Dankionto: Deutſche Bank und
Darm=
ſtädter & Nationalbank.
Sozialdemokratiſcher Landes=
Parteitag in Sachſen.
Rücktritt Heldts gefordert. — Appell an den
Reichsparteitag.
* Dresden, 7. Jan. (Priv.=Tel.) Der ſozialdemokratiſche
Landesparteitag, der geſtern in bieſigen Landtagsgebäude tagte.
an dem 104 Teilnehmer, meiſt Radikale, teilnahmen, hatte
dar=
über zu beſchließen, ob die Sozialdemokratiſche Partei an der
großen Koalition teilnehmen ſolle. Der Parteitag verlief
außer=
ordentlich ſtürmiſch und es machte ſich ſogar zeitweilig eine
Unter=
brechung der Sitzung notwendig. Nach längerer Debatte, in der
namentlich die radikale Richtung den Standpunkt mit größter
Energie vertrat, daß die ſozialdemokratiſche Fraktion ſich an der
großen Koalition nicht beteiligen dürfe, wurde mit 77 gegen 16
Stimmen eine Entſchließung angenommen, in der der am
Frei=
tag gewählte Miniſterpräſident Heldt aufgefordert wird, von
ſei=
nem Amt ſofort zurückzutreten. Ferner wird die
ſozialdemokra=
tiſche Landtagsfraktion aufgefordert, für die Auflöſung des
Land=
tags zu ſtimmen oder doch das von der radikalen Richtung der
Fraktion eingebrachte Verlangen auf Volksbegehren zur
Auf=
löſung des Landtags zu unterſtützen. Namens der gemäßtigten
Fraktionsmehrheit gab der Fraktionsvorſitzende Wirth eine
Er=
klärung ab, daß ſie den ſoeben gefaßten Beſchluß nicht
anerken=
nen, ihn alſo auch nicht befolgen werde, daß dieſe dielmehr ſich
an den Reichsparteitag wenden wolle, der bekanntlich Ende
März ſtattfindet.
Auf Anregung von Lipinski=Leipzig wurde ein Antrag
an=
genommen auf Ausſchluß aller derjenigen Mitglieder, die die
Oppoſition von rechts bilden und die ein eigenes
Mitteilungs=
blatt gegen die Kataſtrophenpolitik von links (Zeigner und
Ge=
noſſen) herausgegeben haben. Nach der Erklärung Wirths
ver=
ließen die gemäßigten und die aus Berlin eingetroffenen
Mit=
glieder der Partei Hilferding, Wels und Dittmann demonſtratig
den Saal und beteiligten ſich an den ferneren Beratungen nicht
mehr, die bald darauf nach einer außerordentlich demagogiſchen
Rede des Landtagsabgeordneten Arzt geſchloſſen wurde. Nach
dem Verlauf des Parteitags und der Erklärung des
Fraktions=
vorſitenden darf mit dem endgültigen Zuſtandekommen und dem
Fortbeſtehen der großen Koalition in Sachſen gerechnet werden.
Staatspräſident Hieber über die Oenkſchrift Bayerns.
* Stuttgart, 7. Jan. (Priv.=Tel.) Die ſeit langer Zeit
hiſtoriſch gewordene Dreikönigsparade der ſchwäbiſchen
Demo=
kraten fand in Stuttgart ſtatt. Zu ihr waren Mitglieder und
Führer der Partei aus dem ganzen Lande und auch außerhalb
Württembergs eingetroffen. Staatspräſident Hieber ſtreifte in
ſeiner Rede auch die neueſte bayeriſche Denkſchrift. Wenn er
da=
zu auch nicht endgültig Stellung nehmen könne, ſo müſſe er doch
fagen, daß, wenn die einzelnen deutſchen Staaten und Länder
wieder die Rechte bekämen, die ſie vor 1870 hatten, dies über die
Grenzen eines einigermaßen berechtigten Föderalismus
hinaus=
gehe. Er möchte als Leitgedanken bei dem Problem „Reich und
Länder” das Wort des Freiherrn v. Stein aufſtellen: „Ich kenne
nur ein Vaterland, und das iſt Deutſchland.”
Nach dem Staatspräſidenten Hieber ſprach
Reichswehrmini=
ſter Geßler über die innere und auswärtige Politik des
Rei=
ches. In dem jetzt bekannt gewordenen Offenſivbündnis zwiſchen
der Tſchechoſlowakei und Frankreich ſieht der Redner die Brücke
zu einer engeren Verbindung Frankreichs mit Rußland; denn
das wiedererſtarkende Rußland wirke ſtärkend auf den
allſlawi=
ſchen Gedanken, der ja im Widerſpruch zu Englands Plänen
ſtehe. Das republikaniſche Frankreich habe ſich einſt mit dem
za=
riſtiſchen Rußland verbunden und es werde ſich auch jetzt mit
Sowjetrußland verbinden, in dem Gedanken, daß Deutſchland
dann zwiſchen zwei Feuern ſtehe. Für Deutſchland, das alles
im Ueberfluß habe, was Rußland brauche, und dem andererſeits
das fehle, was Rußland im Ueberſchuß habe, ergebe ſich die
Not=
wendigkeit, mit Nußland zu einem natürlichen Ausgleich zu
kom=
men. Die deutſche Politik werde auf lange Zeit vor allem
Wirt=
ſchaftspolitik treiben müſſen. Der Weg dazu gehe über den
Oſten. Der franzöſiſchen Antwort ſieht der Miniſter mit größter
Beſorgnis entgegen.
Programm der neuen Republikaniſchen Partei.
* Berlin, 7. Jan. (Priv.=Tel.) Geſtern tagte im „
Rhein=
gold” eine Konferenz des Ausſchuſſes der Republikaner aller
Parteien, die eine Bewegung zur Erneuerung des politiſchen
Lebens in der deutſchen Republik entfeſſeln wollte. Die aus allen
Teilen des Reiches überaus zahlreich beſchidte Kundgebung nahm
zu den Programmentwürfen des Ausſchuſſes Stellung. Die
leb=
hafte Diskuſſion ergab Einigkeit darüber, daß die Schaffung einer
neuen auf parteimäßige Grundlage geſtellten Organiſation zur
Sammlung aller Republikaner eine dringende Notwendigkeit ſei.
Die Grundlagen des Programms ſind folgendermaßen zu
kennzeichnen: Die neue Bewegung will kämpſen für die Stärlung
der republiſaniſchen Staatsautorität, für die Wahrung der
ſozia=
len Rechte aller wirtſchaftlich abhängigen Kreiſe des deutſchen
Volkes, die gründliche Erneuerung des politiſchen Führertums,
eine von ſtarker Hand geführte Innenpolitik und die Ablöſung
des deutſchen Söldnerheeres durch ein Volksheer. In den
Abend=
ſtunden trat die Konferenz zur Beratung der notwendigen
orga=
niſatoriſchen Fragen und zur endgültigen Feſtlegung eines
Manifeſtes an das deutſche Volk zuſammen.
Verhaftung fommuniſtiſcher Abgeordneter.
* Stuttgart, 6. Jan. (Priv.=Tel.) Am Samstag
nach=
mittag 4 Uhr wurden in den Anlagen Stuttgarts der
kommu=
niſtiſche Reichstagsabgeordnete Bartz und der
württembergi=
ſche Landtagsabgeordnete Karl Müller, nebſt weiteren vier
ehemaligen Mitgliedern der Kommuniſtiſchen Partei, von der
Kriminalpolizei verhaſtet und in das Schloß gebracht. Von den
Feſtgenommenen wurden alle, mit Ausnahme des Vartz, der im
Beſitz von belaſtendem Material geweſen ſein ſoll, wieder auf
freien Fuß geſetzt,
Vom Tage
Außenminiſter Dr. Streſemann iſt von Lugano wieder nach
Berlin zurückgekehrt.
Das Reichskabinett wird in ſeiner heutigen Sitzung vorausſichtlich
die Frage der Aufwertung der Hypotheken und der außeren Politik
behandeln.
Durch niedergegangene Lawinen ſind die Orte Schröcken und
Val=
derſchwang völlig von der Außenwelt abgeſchnitten. Auch die
Fern=
ſprechleitungen ſind zerſtört.
Die Interalliierte Rheinlandkommiſſion hat, nachdem zwiſchen der
Micum und dem Braunkohlenſyndikat ein definitives Abkommen
abge=
ſchloſſen wurde, ſämtliche Erlaſſe hinſichtlich der Kohlentransporte
in=
nerhalb des beſetzten Gebietes zurückgezogen.
Der Bankier Robinſon, einer der amerikaniſchen Sachverſtändigen
für die von der Reparationskommiſſion eingeleitete Unterſuchung, iſt
vorgeſtern auf der „Aquitania” von Neu=York abgefahren.
Durch den Intranſigeant verlautet, daß die Botſchafterkonferenz.
entſprechend dem geſtern ausgegebenen Kommunique, in ihrer letzten
Sitzung nicht über die interalliierte Militärkontrolle in Deutſchland
verhandelt, ſondern dieſe Frage nur nebenbei geſtreift hat.
Wie aus Sofia gemeldet wird, hat die Sobranje in dritter
Lefung das Geſetz zum Schutz der Sicherheit des Staates und in zweiter
Leſung die Amneſtie für die Teilnehmer an den kommuniſtiſchen
Un=
ruhen im Juni und September angenommen.
Nach einer Blättermeldung aus Belgrad hat bei den
albani=
ſchen Wahlen der Regierungsblock 67 und der Oppoſitionsblock
36 Sitze erlangt; fünf Unabhängige wurden gewählt. Der
Regierungs=
block ſetzt ſich zuſammen aus der Gruppe Achmed Bey und Schefket Bey
mit 33, die Gruppen Elbaſſany und Fracheri mit je 14 Sitzen.
Reuter meldet aus Tokio: Vor dem kaiſerlichen Palaſt
fand in Abweſenheit der kaiſerlichen Familie eine Kundgebung ſtatt, in
deren Verlauf ein Koreaner eine Bombe ſchleuderte, die jedoch nicht
explodierte. In ſeinem Beſitz ſollen drei weitere Bomben gefunden
worden ſein.
Der deutſch=franzöſiſche
Meinungsaustauſch.
Abfaſſung der belgiſchen Antwort.
Brüſſel, 6. Jan. (Wolff.) Independance Belge meldet:
Außenminiſter Jaſpar begann geſtern mit den zuſtändigen
Miniſterialabteilungen die endgültige Abfaſſung der belgiſchen
Antwort auf die deutſche Note vom 24. Dezember. Nach dem
Blatt wird die Note in den Hauptfmgen, die das eigentliche
Be=
ſetzungsregime betreffen, ſowie hinſichtlich der Ausfuhr, der
Ver=
ſandbewilligungen und Zollabſperrung eine ſehr feſte Haltung
einnehmen. Frankreich und Belgien beaufſichtigen die
gegen=
wärtige Lage energiſch aufrecht zu erhalten.
Auslaſſungen des Temps.
Paris, 6. Jan. (Wolff.) Der Temps beſpricht in ſeinem
Leitartikel die Frage des deutſchen Memorandums vom 24.
De=
zember. Gewiſſe Forderungen hätten bereits Befriedigung er=
Inngt, andere würden in Berückſichtigung gezogen werden.
Ver=
ciedene jedoch ſeien augenblicklich unannehmbar. Das Blatt
meint, ſo beſtätige ſich alles, was man leicht hätte vorausſagen
können, wenn man die Diskuſſion auf Verwaltungs=, Steuer=,
und Zollfragen beſchränke, könne ſie nicht vorangebracht werden.
Frantreich habe dann den Eindruck, man wolle ihm ſeine
Pſän=
der entwenden, ohne ihm eine Zahlungsſicherheit zu bieten, und
Deutſchland habe den Eindruck, man wolle es zwingen, eine
voll=
endete Tatſache anzuerkennen, ohne ihm die Perſpektive der
Be=
freiung zu eröffnen. Es wäre alſo beſſer, die Debatte zu
erwvei=
tern, oder ſie von einer anderen Seite anzufaſſen. Wer verbiete
es Frankreich oder Belgien, mit Deutſchland die mit der
Bezah=
lung der Reparationen in Zuſammenhang ſtehenden Fragen zu
erörtern? Habe Deutſchland darüber nicht mit England
geſpro=
chen? Wenn Frankreich über dieſe Fragen mit der deutſchen
Re=
gierung verhandelt, ſo würde es immer darauf bedacht ſein, die
Rechte der übrigen Mitglieder zu wahren, und es würde keine
Entſcheidung anders als in den vom Friedensvertrag
vorgeſehe=
nen Formen getroffen werden. Deutſchland könnte auch mit
Frankreich gewiſſe Fragen erörtern, die die beiden Länder
aus=
ſchließlich angingen, beiſpielsweiſe das Problem der
Handelsbe=
ziehungen. Schließlich müſſe man auch zu Verhandlungen über
einen franzöſiſch=deutſchen Handelsvertrag kommen. Das
fran=
zöſiſche Antwortmemorandum würde natürlich keine von all dieſen
ſo wünſchenswerten Betrachtungen ausſchließen. Es würde
fran=
zöſiſch=deutſche Verhandlungen nicht die Tür verſperren. Es
könnte vielleicht ſogar von mündlichen oder ſchriftlichen
Erklärun=
gen abgeleitet ſein, die die franzöſiſche Regierung gegen jeden
Vorwurf ſicherten und der deutſchen Regierung alle
Verhand=
lungsmöglichkeiten gewährten.
Reparationsplan des Temps.
* Paris, 6. Jan. (Priv.=Tel.) Der Temps kommt heute
bei einer eingehenden Prüfung der Finanzlage beider Länder
zu dem Schluß, daß Frankreich und Deutſchland nur durch eine
direkte Verſtändigung in der Frage der Reparationen geholfen
werden köne. Das ofſiziöſe Pariſer Organ ſchlägt dann
folgen=
den Neparationsplan vor:
Die innere Schuld, die Frankreich zum Wiederaufbau der
verwüſteten Gebiete aufnimmt, wird allmählich in eine Schuld
des deutſchen Staates umgewandelt, zunächſt in eine äußere und
dann in eine innere. Ein ſolches Syſtem werde, wenn es richtig
gehandhabt werde, in keiner Weiſe den deutſchen Wechſelkurs
be=
nachteiligen, ſondern dem Reich Kredit verſchaffen und es inſtand
ſetzen, die definitive Stützung ſeiner Valuta durchzuführen. Der
franzöſiſche Franken werde unter dieſen Umſtänden die Käufer
nicht mehr anlocken und daher ohne beſondere Anſtrengung
ſtabi=
liſiert werden. Dieſer Reparationsplan des Temps weiſt eine
auf=
fallende Aehnlichkeit mit einem Plan auf, den der diplomatiſche
Mitarbeiter des Daily Telegraph dem tſchechoſlowakiſchen
Außen=
miniſter Dr. Beneſch zuſchreibt, nur mit dem Unterſchied, daß
Beneſch eine Annullierung der interalliierten Schulden durch
England und Amerika hinzufügt.
Die amerikaniſche Meinung
und die Reparationen.
Von
Virgil Jordan, Neu=York.
Wenn infolge des unzureichenden Kontaktes mit den
ame=
rikaniſchen Anſchauungen in Europa und beſonders in
Frank=
reich eine in gefährlicher Weiſe ſalſche Vorſtellung von der
ame=
rikaniſchen Stellungnahme gegenüber den politiſchen Kämpfen
beſteht, die jetzt auf dem Kontinent vorherrſchen, ſo ſind ſicherlich
die Anſchauungen über die amerikaniſche Auffaſſung von den
Reparationen noch unzutreffender. Die anſcheinende
Gleichgul=
tigkeit des Präſidenten und der Negierung einer Frage gegenüber
wie der, ob der Kaiſer oder der Kronprinz nach Deutſchland oder
gar auf den Thron zurückkehren, darf nicht etwa dahin
ausge=
legt werden, als wenn nun die Vereinigten Staaten oder der
Durchſchnittsamerikaner den in Europa vor ſich gehenden
poli=
tiſchen Auseinanderſetzungen gleichgültig gegenüberſtehe oder
der Umordnung des europäiſchen Mächteverhältniſſes und dem
Aufkommen einer neuen Hegemonialmacht auf dem Kontinent
mit Gleichmut zuſehe. Amerika hat den ſchlechten Vertrag von
Verſailles nicht mitunterzeichnet und hat an den durch ihn
aus=
gelöſten Verantwortlichkeiten und Schwierigkeiten keinen Teil,
und die Sympathien der Amerikaner ſind auch nicht durch ihre
Teilnahme am Krieg, die für ſie bereits Vergangenheit iſt, für
oder gegen ein Land oder Volk feſtgelegt. Sie wollen, daß die
Toten ihre Toten begraben und daß den Lebenden
Lebensmög=
lichkeit gewährt ſei. Nationcler Haß und nationale Furcht
mögen zu ihrer Zeit gerechtfertigt ſein, aber ſie dürfen nicht zu
weit und zu lang getrieben werden.
Dieſer gleiche geſunde amerikaniſche Menſchenverſtand
be=
ſtimmt auch den Standpunkt, den der Durchſchnittsamerikaner
hinſichtlich der europäiſchen Wirtſchaftsſtörungen und ihrer
Kern=
angelegenheit, der Reparationsfrage, einnimmt. Die neuerlichen
Schritte von Hughes in der Frage der Feſtſtellung der deutſchen
Zahlungsfähigkeit wurden aus dieſem Grunde weitgehend
ge=
billigt. Beſonders der erſte, in Gemeinſchaft mit England
er=
folgte Schritt iſt hier allgemein als ein vernünftiger Weg zur
Beregelung erſchienen, und wenn ihm gefolgt worden wäre, ſo
hätten es die Amerikaner auch an materieller Hilfe in Geſtalt
einer Anleihe von privater Seite, die ſicher ihre Zeichnung und
Ueberzeichnung gefunden hätte, nicht fehlen laſſen.
Die ſcheinbare, amerikaniſche Indifferenz; angeſichts des
europäiſchen Wirtſchaftschaos und gegenüber der Forderung
nach Reparationen ſollte nicht ſo ausgelegt werden, als wenn
dieſes Chaos und die Notwendigkeit, Reparationen zu
verlan=
gen, nun überhaupt ignoriert würden; ſie bedeutet vielmehr
und vor allem, daß Amerika nicht mit der Art und Weiſe
ſym=
pathiſiert, wie Frankreich allem Anſchein nach das Problem zu
löſen geneigt ſcheint; denn dieſe Art und Weiſe iſt die europäiſche,
für Amerika allzu europäiſche Manier: der Weg der Gewalt, der
auch künftig die amerikaniſche Teilnahme ausſchließt. Tatſache iſt,
daß die Ver. Staaten in mehr oder weniger vollem Umſange
erkannt haben, auch wenn einzelne Kreiſe das noch nicht
ver=
raten wollen, daß ſie ein direktes, faſt egoiſtiſches Intereſſe an
der Wiederherſtellung der europäiſchen Wirtſchafts=
Ord=
nung haben. Dem Anſchein nach leiden ihre Induſtrien, die
Landwirtſchaft hierin eingeſchloſſen, nicht ſehr unter dem
Feh=
len der alten europäiſchen Exportmärkte, faktiſch aber leiden ſie
trotzdem und am bedenklichſten Farmer, Induſtrielle,
Expor=
teure und Schiffahrtsintereſſen. Aber auch dieſes Selbſtintereſſe
würde niemals vermocht haben, die Ueberzeugung und das
all=
gemeine Empfinden ins Wanken zu bringen, daß ohne die
An=
wendung von beſtem amerikaniſchen Geſchäftsſinn bei der
Re=
gelung der europäiſchen Angelegenheiten Amerika ſelbſt keine
Unterſtützung zu leihen in der Lage ſei. Amerika braucht den
Handel mit Europa und dieſes braucht amerikaniſches Geld,
aber ſie konnten noch nicht zuſammenkommen, da Europa
bis=
lang nicht die Art von Zuſammenarbeiten bewieſen hat, welche
die Amerikaner in Zeitläuften wie den gegenwärtigen von ihm
erwarten. Als Hughes ſeinen Schritt tat, bedeutete das ein
erſtes direktes Angebot ſolch einer Mitarbeit; als er damit nicht
durchzudringen vermochte, ſagte man ſich nochmals: Amerika
kann es ſich länger leiſten zu warten, als Europa das vermag.
Was die Neparationsfrage anbelangt, beſteht nicht
eigent=
lich ſehr viel Eigennutz auf Seiten der Vereinigten Staaten,
ohne daß deswegen ihr Intereſſe herabgemindert wäre. Sie
haben ſich gegen den Vorrang der am ſchwerſten getroffenen
Länder nicht verwahrt; ſie haben ihrerſeits, trotz der von ihnen
gebrachten Opfer an Leben und Beſitz, keine ſolchen Anſprüche
erhoben, nicht etwa, weil ſie überhaupt nicht an
Entſchädigun=
gen glaubten, ſondern weil ſie die größere Notwendigkeit
ſol=
cher für die anderen Völker anerkannten und früh genug
ein=
ſahen, daß die Belaſtung des deutſchen Volkes ohnedies
über=
ſchwer ſei. Auf einen angemeſſenen Reparationsbetrag haben
ſie ſtets hingedrängt „und hätte man auf ſie gehört, ſo wäre
längſt Friede zwiſchen den Völkern und geordnete Wirtſchaft
in Enropa wieder eingekehrt. Anſtatt daß die Alliierten ſich auf
eine angemeſſene, d. h. erträgliche Reparationsſumme einigten,
mußten die Amerikaner mit anſehen, wie die ganze
Repara=
tionsfrage mehr und mehr zu einem Weichſelzopf politiſchen
Intrigenpſiels wurde, ſodaß ſchließlich keine der Mächte, weder
England noch Frankreich, noch — was man wohl am leichteſten
verſteht — Deutſchland mehr gewillt iſt, frei und offen an die
Frage heranzutreten. Jedesmal, wenn Amerika von ſich aus
verſucht hat, die Reparationsfrage rein als ſolche der Löſung
näher zu bringen, mußte es erfahren, daß dem etwas im Wege
ſtand: eine Nuhrfrage oder Rheinrepublik, eine Kleine Entente,
eine Türkei oder ſonſt etwas, das, ſoweit Amerika es zu
über=
ſehen vermochte, mit der Reparationsfrage an ſich nichts zu tun
hatte.
Nack alledem hat ſich der amerikaniſchen Meinung die
An=
ſchauung aufgedrungen, daß Europa eine Stabiliſierung der
Reparationen überhaupt nicht wolle. Und den europäiſchen
Politikern die Kaſtanien aus den von ihnen in allen Ecken
ihres Erdteils unterhaltenen Feuern zu holen, das heißt, bei
einer unmöglichen und aufgezwungenen Feſtſetzung der
Re=
parationen mitzutun, dazu iſt Amerika ganz und gar nicht
ge=
willt. Für wahrhaſte Reparationen vermöchte es ſich
einzu=
ſetzen, nicht aber für europäiſche Vorbereitungen zu neuen
Kriegen,
Seite 2.
Darmſtädter Tagblatt, Montag, den 2. Januar 1924,
Rummer 2.
Franzöſiſche Währungsmaßnahmen.
Paris, 6. Jan. (Wolff.) Das Echo de Paris kündigt
eine Sonderſitzung des Kabinetts nach der Rückkehr Poincarés
aus dem Maas=Departement an, die ſich mit Maßnahmen zum
Schutz der franzöſiſchen Währung beſchäftigen wiro. Nach dem
Blatt befaßt ſich die vom Finanzminiſter eingeleitete
Unter=
ſuchung mit der Organiſation des Deviſenmarktes in Paris. Der
Matin zühlt eine Reihe von Maßnahmen auf, die nach der
An=
ſicht der ſachverſtändigen Perſönlichkeiten der franzöſiſchen
Fi=
nanz zurzeit am dringendſten ſind, und zwar:
1. Eine Verſchärfung der Kontrolle über die Regiſter der
Maklerfirmen;
2. die Sicherung regulärer Feſtſtellung der amtlichen
Durch=
ſchnittskurſe, welche durch Transaktionen in letzter Minute
häu=
fig gefälſcht werden;
3. Aufklärung der Handels= und Induſtriekreiſe, die ſich
nicht genügend des Debiſenterminmarktes bedienten, um ihren
normalen Bedarf zu decken, und
4. ein gemeinſames planmäßiges Vorgehen des
Finanz=
miniſteriums mit den Banken, unter Führung der Bank von
Fraukreich.
Paris, 6. Jan. (Wolff.) Der Abgeordnete Ancel teilte
dem Finanzminiſter mit, daß er in der Kammer über die gegen
die Spekulation in franzöſiſchen Franken beabſichtigten
Maß=
nahmen interpellieren werde.
Der pſpchologiſche Sturz des Franken.
Paris, 6. Jan. (Wolff.) Der franzöſiſche
Volkswirt=
ſchaſtler Charles Gide erklärte einem Vertreter der Humanité,
die Urſachen des Sturzes des franzöſiſchen Franken ſeien
pſy=
chologiſcher Natur. Das ſich ſtändig verſchärfende Sinken der
franzöſiſchen Deviſe habe am Anſang des letzten Jahres
be=
gonnen, als Frankreich ſich anläßlich der Ruhrbeſetzung mit
England überworfen habe. Man ſcheine zu vergeſſen, daß
Eng=
land und die Vereinigten Staaten Gläubiger Frankreichs ſeien,
und daß ihre Forderungen an Frankreich den franzöſiſchen
For=
derungen an Deutſchland gleichkommen. In Frankreich finde
man Geld, um Polen und der Tſchechoſlowakei Anleihen zu
geben, während man den franzöſiſchen Gläubigern erkläre, man
beſitze kein Geld. Namentich in den angelſächſiſchen Ländern
mache dies keinen glücklichen Eindruck. Wenn es demnächſt zu
einer inflatoriſchen Verſchärſung des Notenumlaufs komme,
würde den pſychologiſchen Gründen der Frankenbaiſſe ein neuer
Antrieb gegeben werden. Die letzte Lilanz der Bank von
Frank=
reich ſei trotz der offiziöſen Erklärung in dieſer Hinſicht nicht
ſehr beruhigend geweſen.
Gründe des Frankenſturzes.
* Paris, 7. Jan. (Priv.=Tel.) Ueber die Gründe des
franzöſiſchen Frankenſturzes heißt es in einem Brief
hin zu verſichern Gelegenheit hatte, ſpekulieren zahlreiche
Lands=
leute von uns ohne irgend eine kommerzielle Notwendigkeit in
Dollar und Pfunden. Wenn es ſich dabei auch nur um
gering=
fügige Beträge handelt, ſo ſummieren ſich dieſe ſchließlich auch
und ziehen das geſamte Volk in Mitleidenſchaft. Ein ſolches
Treiben iſt tiefbedauerlich und antipatriotiſch. An anderer Stelle
ſpricht der Briefverfaſſer offen den Verdacht aus, daß der Sturz
des Franken von gewiſſen franzöſiſchen Finanzkreiſen aus
inner=
politiſchen Gründen, zumal im Hinblick auf die Neuwahlen,
künſi=
lich verurſacht würde.
Ergebnis der franzöſiſchen Senatswahlen.
Paris, 7. Jan. (Wolff.) Bei den franzäſiſchen
Senats=
wahlen waren 116 Sitze zu vergeben. Die zur Wiederwahl
ſtehen=
den Senatoren verteilen ſich auf die einzelnen Parteien wie folgt:
Konſerbative und Liberale 19, Republikaner 15,
Linksrepubliia=
ner 24, Unabhingige und Radikale 8, Radikale und
Radikalſozia=
liſten 47, Sozialiſtiſche Republicaner 3. Im erſten Wahlgang
wurden 82 Senatoren gewählt. Ein Wahlergebnis ſteht noch aus
und für 33 Sitze hat ein zweiter Wahlgang ſtattzufinden. Die
gewählten Senatoren verteilen ſich auf die Part=ien wie folgt:
Konſervative und Liberale 17, Republikaner 12,
Lin’srepublika=
uer 15, 1nabhängige Republikaner 3, Radikale und
Nadikal=
ſozialiſten 31, Sozialiſtiſche Republikaner 4, Sozialdemokraten 1.
Unter den wiedergewählten Senatoren befindet ſich Poincaré. Die
ſozialiſtiſche Frattion, die nur zwei Senatoren umſaßt, die zur
Wiederwahl ſtehen, verzeichnet einen Gewinn von 1 Sitz. In
der Stichwahl ſtehen 5 Sozialiſten ſowie der bekannte Cachin.
In 33 Wahlkreiſen hat Stichwahl ſtattzufinden. Nach der Agence
Havas haben 11 davon zu einem Ergebnis geführt. Die Sitze
ver=
teilen ſich wie folgt: Konſervative und Liberale 0, Republikaner 0,
Linksrepubli aner 3, Unabhängige und Nadikale 1, Radikale und
Radikalſozialiſten 6, Nepublikaniſche Sozialiſten 0, Sozialiſten 1.
Im dritten Wahlgang, bei dem die relative Mehrheit entſcheidet,
haben 21 Stichwahlen ſtattzuſinden.
Das neue Kohlenſondikat.
TU. Berlin, 6. Jan. Die geſtern nach Eſſen einberufene
Zcchenbeſitzerverſammlung, deren Beratungen den ganzen
Vor=
mittag dauerten, beſchloß einſtimmig die Gründung der
„Verteilung=Verkaufsvereinigung” der
Ruhr=
kohle, welche für die Zeit vom 16. Januar bis 31. Dezember
1924 Geltung haben ſoll. Unter ganz beſonderen Umſtänden
iſt auch eine Kündigung unter beſonderen Kautelen vom 1. Mai
kis 1. Juli möglich. In der Kohlenpreisfrage war man ſich
darüber einig, daß eine weitere Herabſetzung der
Kohlen=
preiſe nicht beabſichtigt iſt, da man ſich ungefähr
auf den Weltmarktpreiſen hält. Eine Ausnahme iſt lediglich
bei den Brikettpreiſen getroffen, welche um etwa drei
Mark zurückgeſetzt werden ſollen.
Ein Interview Dr. Schachts.
TU. Berlin, 6. Jan. Reichsbanlpräſident Dr. Schacht
iſt geſtern morgen von ſeiner Reiſe nach London zurückgekehrt
und in Hoek van Holland angekommen, wo er mit einem
Ver=
treter des Amſterdamer Telegraaf eine Unterredung hatte. Seine
Reiſe nach London bezeichnete er als einen
ſelbſtverſtänd=
lichen Akt der Höflichkeit. Mit der Aufnahme, die
er in England gefunden, iſt er ſehr zufrieden. Auf
wei=
tere Fragen antwortete Dr. Schacht, es habe keinen Zweck,
An=
ſichten über die allgemeine Lage zu äußern, denn von
Meinun=
gen habe das Volk nichts. Es ſei beſſer, ausſchließlich auf die
Tatſachen acht zu geben. Ein Lichtblick ſei, daß die Verhältniſſe
im Monat Dezember vollkommen normal geblieben ſeien. Im
Augenblick ſei niemand bereit, dem deutſchen
Volke finanziell zuhelfen. Deutſchland ſei, um
aus der Not herauszukommen, auf ſich ſelbſt
an gewieſen. 1jeber die Rheiniſche
Goldnoten=
bank, deren Schickſal nach der Ablehnung, die aus Paris
ein=
getroffen iſt, wohl entſchieden ſein dürfte, äußerte ſich Dr. Schacht
ſehr peſſimiſtiſch.
Amerikaniſche Profeſſoren über die Not
in Deutſchland.
Waſhington, 6. Jan. (Wolff.) Profeſſor Emerſon von
der Univerſität Columbia, der zuſcurmen mit Profeſſor
Patter=
ſon von der Univerſität Pennſylvania von Geueral Allen nach
Deutſchland entſandt wurde, um feſtzuſtellen, in welchem Maße
tatſächlich Not herrſche, drahtete ſolgende Meldung nach Amerika:
Nach viertägigem Studium der Berliner Kränkenhäuſer,
Säug=
lingsheime, Kinderhorte, Waiſenhäuſer und Obdachlofenaſyle
finde ich die Berichte über die Ausdehnung und Zunahme der
Unterernährung durchaus beſtätigt. Die Milchverſorgung
Ber=
lins beträgt nur noch ein Zehntel der Vorkriegsmenge. Ein
Viertel der Bevölkerung Berlins iſt auf private und ſtaatliche
Unterſtützung angewieſen. Der Mangel an Nahrungsmitieln,
Kohlen und Licht und die Wohnungsnot im Verein mit dem
Schließen von Krankenhäuſern und der geringen
Inanſpruch=
des Vizepräſidenten der Finanzkommiſſion Ancel: Wie ich letzt= nahme ärztlicher Hilfe hat eine ſtarle Zunahme von Krankheiten
zur Folge. Viele Kinder leiden größten Mangel an Schuhen
und linterkleidung. Die deutſche Selbſthilfe ſowohl, wie die
Einzelunt rſtützung bilden einen wichtigen Faktor in dem
Hilfs=
werk. Für die Kinderernährung fehlt es hauptſächlich an Milch,
Butter, Fett und Lebertran.
Dänemarks Hilfeleiſtung.
Kopenhagen, 6. Jan. (Wolff.) Das ſeit mehreren
Jahren beſtehende „Däniſche Geſamtkomitee für Hilfeleiſtung an
vom Kriege heimgeſuchte Länder” erhielt vom Juſtizminiſter
die Genehmigung, am 5. Februar im ganzen Lande eine
Geld=
ſammlung zur Abhilfe der Not in Mitteleuropa, namentlich
in Deutſchland, zu veranſtalten. Zur Durchführung der
Samm=
lung hat ſich ein Sammelausſchuß gebildet, in dem die
beſtehen=
den philantrophiſchen Organiſationen, alle politiſchen Verbände,
das Rote Kreuz uſw. vertreten ſind. Beim Eimſammeln ſollen
20 000 Perſonen beſchäftigt werden, die von den däniſchen
Pfadfinderverbänden, Sport= und Jugendvereinen geſtellt
werden.
Der Plan wird von der Preſſe allgemein warm begrüßt.
Politiken” bemerkt dazu: Die Landesſammlung iſt Tatſache.
Wir ſchließen uns der gisantiſchen Hilfsarbeit an, die eingeleitet
und auch erforderlich iſt, um Millionen von Menſchen zu retten,
die hungern, frieren und bitterſte Not leiden. In einem Monat
wird die Arbeit abgeſchloſſen ſein. Sicher wird Dänemark der
Welt wieder einmal ſeinen wirklichen mildtätigen Sinn
bewei=
ſen und den in Not befindlichen Völkern ſeine helfende Hand
reichen.
Peniſelos Kammerpräſident.
Athen, 6. Januar. (Wolff.) Veniſelos wurde,
als er ſich zur Kammer begab und beim Eintritt in
die Kammer, begeiſtert begrüßt. Auch als er den
Abgeordne=
teneid ablegte, bereitete man ihm ſtürmiſche Huldigungen. Im
Anſchluß daran ſchritt die Kammer zur Präſidentenwahl. Der
Rebublikaner Papanaſiaſin erklärte, er und ſeine Partei ſeien
der Anſicht, niemand ſei geeigneter, die Geſchäfte des
Parla=
ments zu leiten, als Veniſelos. Nach weiterer Ausſprache
wurde Venifelos einſtimmig zum Präſidenten gewählt.
Das vergewaltigte Memelgebiet.
Memel, 2. Jan. Vor einigen Tagen wurde in Memel von
den Spitzen aller memelländiſchen Organiſationen unter Führung
des Oberbürgermeiſters Dr. Grabow die Bildung eines
Arbeits=
ausſchuſſes zur Verwirklichung der Autonomie des Memellandes
vollzogen. Noch bevor der Autonomieverband des Memelgebietes
mit einem genauen Programm an die Oeffentlichkeit treten
konnte, hat Landespräſident Gailius an die Memeler deutſchen
Blätter eine Zuſchrift „zur Feſtſtellung und Aufklärung” gerichtet,
in der er gegen die Bildung des Ausſchuſſes ſcharf Steuung
nimmt. Er ertlärt in ſeiner Zuſchrift, daz der Ausſchuß keinen
offiziellen Chara ter habe, weil er nicht von den Organiſationen
gewählt worden ſei und deshalb vom Landesdirektorium, wenn
überhaupt als beſtehend, ſo doch nur als privates
Unterneh=
men (!) einiger Perſonen betrachtet werden könnte. Weiter
ver=
ſucht die Zuſchrift, den Ausſchuß als „zweck= und gegenſtandslos”
hinzuſtellen, da das Landesdire torium ſelbſt auf dem Boden der
Autonomie ſtehe und dieſe in der Hauptſache auch durchgeführt
worden ſei. (2) Der Arbeitsauſchuß, ſo folgert der
Landes=
präſident, müſſe alſo logiſcher Weiſe andere Ziele verfolgen als
die Verfechtung der Autonomie.
Der Autonomieverband des Memelgebietes hat gegen dieſe
„Feſtſtellung und Aufflärung” des Landespruſidenten ſofort eine
energiſche Abwehrſtellung eingenommen. In ſeiner Erwiderung
betont er, daß die Entwiclung der Dinge ja zeisen werde, ob die
genannten Organiſationen und die überwältigende Mehrheit der
Bevöllerung hinter dem Autonomieverband ſtehe. Dann heißt es
weiter: „Wenn das LandesLire torium, wie der Herr Präſident
behauptet, auf dem Boden der Autonomie ſteht, darf die
Bevölke=
rung wohl auf allen Gekieten des öffentlichen Lebens eine ſtärkere
Aktivität erwarten, als bisher, nicht nur bei Kündigung erpro ter,
lange Jahre im Gebiet tätiger Beamten aus
Sparſamkeitsgrün=
den”. Ueberraſchen muß allerdings die Behauptung, daß die
Autonomig in der Kauptſache auch durchgeführt ſei. Cine
Volks=
beſragung dürſte dem Herrn Landespräſidenten ſehr ſchnell die
Augen darüber öffnen, daß ſich die geſamte Bevöl”erung unter
Durchführung der Autonomie etwas ganz anderes vorſtellt und
daß eine tiefgehende Unzuſriedenheit mit den jetzt herrſchenden
Zuſtänden in allen Schichten der Bevölterung beſteht” Zum
Schluß wird der Verſuch des Landespräſidenten, den
Autonomie=
verband in der Oefſentlichkeit durch Unterſchiebung anderer Ziele
zu diskreditieren, ſcharf zurückgenieſen und erneut feſtgeſtellt, daß
der Verband lediglich für die Autonomie kämpft und ſich durch
Ver=
öffentlichungen, hinter denen verſteelte Drohungen ſtehen, nicht
abhalten laſſen wird, ſeine Pflicht gegenüber der Bevölkerung des
Memelgebietes zum Wohle des ganzen litauiſchen Staates zu tun.
Im Anſchluſſe gibt der Verband ſein Programm bekannt. Es
iſt Verwirklichung der Autonomie, d. h. zunächſt: 1.
Verſamm=
lungs= und Preſſefreiheit; 2. ſofortiger Zuſammentritt des
vor=
läufigen Wirtſchaftsrates; 3. ohne Anhörung des
Wirtſchafts=
rates keinerlei Geſetzgehungs= oder Verwaltungsmaßnahmen des
Landesdire toriums, die eine Aenderung der wirtſchaftlichen oder
kulturellen Eigenart des Memelgebietes bedeuten; 4.
unverzüg=
liche Ausſchreibung von Wahlen für den vorläufigen Landtag.
Beamtenabbau und aktiver Widerſtand.
* Paris, 7. Jan. (Wolff.) Nach einer Havasmeldung aus
Koblenz hat die Rheinlandkommiſſion ſich mit der
Ver=
ordnung der Reichsregierung vom 27. Oktober 1923 über die
Ein=
ſchränkung der Beamten= und Angeſtelltenzahl befaßt und
be=
ſchloſſen, die Durchführung der Verordnung im
Sparſamkeits=
intereſſe zuzulaſſen, ſie jedoch zu kontrollieren. Es wird
behaup=
tet, daß gewiſſe deutſche Behörden ſich anſchickten, die
bevorſtehen=
den Entlaſſungen im politiſchen Sinne gegen die rheiniſchen
Be=
amten zugunſten der aus dem unbeſetzten Deutſchland
ſtammen=
den vorzunehmen. Die Rheinlandkommiſſion habe ihren
Dele=
gierten die nötigen Anweiſungen erteilt, um das zu verhindern,
insbeſondere um Repreſſalien gegen diejenigen Beamten
vorzu=
beugen, die während des paſſiven Widerſtandes ſich den alliierten
Behörden gegenüber korrekt (!) verhalten hätten.
Zurückziehung der engliſchen Truppen?
Paris, 6. Jan. (Wolff.) Der Temps meldet: Im
Foreign Office wurde den ausländiſchen Diplomaten erklärt,
das ſozialiſtiſche Kabinett werde ſich lediglich ſo verhalten, wie
das Kabinett Baldwin. Baldwin und Lord Curzon ſeien
ent=
ſchloſfen geweſen, die engliſchen Truppen aus Köln
zurückzu=
ziehen, keinen Delegierten mehr in der Rheinlandkommiſſion zu
belaſſen und keinen Vertreter mehr in die Botſchafterkonferenz
zu ſchicken. Ramſay Macdonald und ſeine Kollegen würden
zunächſt dieſes Progromm durchführen, nicht mehr und nicht
weniger.
Wir wiſſen nicht, fügt der Temps hinzu, ob dieſe
vertrau=
lichen Acußerungen der Wahrheit entſprechen, authentiſch ſind
ſie jedenfalls.
Heſſiſches Landestheater.
Großes Haus. — Sonntag, den 6. Januar.
Der Troubadour.
Oper von Cammerano, Muſik von G. Verdi.
In der wirkungsvoll aufgefriſchten Inſzenierung des
Vor=
jahres erſchien heute wieder dieſe eine Zeitlang bezeichnendſte
Oper Verdis, um ihre unverwüſtliche Durchſchlagskraft zu
be=
weiſen. Iſt uns Heutigen ſeine Theatralik auch oft zu grob, ſeine
Dramatik zu pathetiſch, die Perſonen blutleer und gleichgültig,
Rhythmik und Melodik vielfach flach und abgeleiert, ſo packt
immer wieder die Kraſt der muſitaliſchen Sprache, das
hin=
reißende Feuer der Leidenſchaft, die Friſche und
Urſprünglich=
keit der Erſindung.
Alle Rollen dieſer Oper ſind dankbar. Werden ſie von guten
Stimmen kunſtgerecht gefungen, iſt ihr Genuß ein Schwelgen im
Reich der Töne. Man hat ihn nur auf italieniſchen großen
Büh=
nen. Denn was einem Lohengrin, von italieniſcher Truppe
auf=
geführt, fehlt, mangelt einem Troubadour, wird er auf deutſcher
Bühne gegeben. Zu eng ſind ſolche Werke mit dem Idiom der
Sprachen, mit dem Nationalcharalter ihrer Schöpfer verwachſen.
Ein nur teilweiſes Ausſchöpfen des Werkes, ein nur teilweiſer
Genuß iſt unausbleibliche Folge..
Sieht man von dieſem Grundmangel, als einer gegebenen
Größe, ab, ſo konnte man heute wohl zufrieden ſein. Dem
roma=
niſchen Ideal kamen die Vertreter des Grafen Luna, des
Man=
rico und der Acuzena am nächſten. Theodor Heuſer beherrſcht
den Verdi Stil in hervorragender Weiſe; ſein Luna iſt eine große
Leiſtung und eine ſeiner beſten Rollen. Selten glänzte in der
Nolle des Manrico Herrn von Enehjelms Tenor ſo warm
und hell wie heute — die Stretta erntete ihm vielfache
Hervor=
rufe und eine Wiederholung. Für den, der die ſchnelle
Entwick=
lung der Eugenie Stefanowa verfolgt hat, war es keine
Ueberraſchung, daß ihr in ſolcher Stärre vorhandenes Material
mit ſeinen Kontra=Alttönen, kunſtvoll behandelt, der Acuzena=
Rolle beſonders gut anſtehen würde. Vermeidung der
Verwen=
dung naſaler Tongebung, deutliche Ausſprache, beſſere
Atem=
technik bleiben noch offene Wünſche, Temperament und Dämonie
blieben der Darſtellung noch verſagt. Aber ſchon heute ſtand man
vor einer ausgezeichneten, ſehr erfolgreichen Leiſtung. Auch
Pauline Jag trat mit der Leonore zum erſten Male hervor und
holte ſich einen neuen, wohlverdienten Erfolg. Vollendet konnte
die Leiſtung trotz erſtaunlicher Beherrſchung noch nicht ſein. Die
Rolle iſt beſonders anſpruchsvoll: große Höhe, Koloratur und
Dramatik verlangt ſie vereint. Der letzten Forderung genügte
ihrer Stinime Stärke noch nicht. Sehr fein gab ſie indes die
Auf=
faſſung und alle lyriſchen Partien. Die Darſtellung der kleinen
Rollen, in denen Paula Weißweiler, Heinrich Hölzlin,
Eugen Vogt und Julius Welcker auftraten, befriedigte
voll=
kommen. Auch den Chören, denen eine dankbare Aufgabe
zu=
fällt, zolle ich gern mein Lob. Die Herren Roſenſtock und
Schlembach waren die bewährten Leiter der wohlgelungenen
Vorſtellung.
v. H.
Kleines Haus. — Sonntag, den 6. Januar.
Was ihr wollt.
Luſtſpiel von Shakeſpeare.
Es war in der ſchöneren Zeit einer unbeſchränkten
Reiſe=
freiheit, als wir von dem Schloſſe des Grafen Warwick um
Mit=
tag nach dem nahen Stratford fuhren. Das Städtchen liegt
freundlich an dem baumumſäumten Ufer des Avon; als
Shake=
ſpeares Geburts= und Todesſtätte bildet es einen Mittelpunkt
ſeiner Verehrung. Die maleriſchen alten Holzfachwerkhäuſer ſind
in das Grün der Bäume gebettet. Eines von ihnen, jetzt von
dem engliſchen Staat als National=Eigentum gehütet, gilt als
Shakeſpeares Geburtshaus. In der kleinen, niedrigen Stube im
Erdgeſchoß ſtand ſeine Wiege; die anderen Räume vereinigen
Erinnerungen an den Dichter. Von hier ſpinnt ſich der Bogen
des Lebens zu der Dreiſaltigkeitslirche, in deren Chor
Shake=
ſpeare die letzte Ruheſtätte gefunden hat. Eine einfache
Sand=
ſteinplatte trägt den dem Dichter zugeſchriebenen Grabſpruch, der
von der Nachwelt Ruhe für die Gruft fordert. Im Scheine der
Abendſonne folgten wir dem Wege, den Shakeſpeare in ſeiner
Jugend über die grünen Felder ſo oft gewandert iſt; nach
Shottery zu Anne Hathaways Cottage. In einem von
Dorf=
blumen umgebenen Carten liegt unverändert das kleine
Häus=
chen, in dem die Geliebte und Gattin des Dichters wohnte. An
dem wärmenden Kamin mag er manchmal mit ihr geſeſſen
haben. Auf dem Geſims ſteht das alte Geſchirr, der Blaſebalg
hängt noch an der Wand. Das Häuschen wird von Nachkommen
der Familie Hathaway bewohnt, und die jüngſte Tochter der
Familie erzählte uns manche Einzelheit aus der
Familienüber=
lieferung.
Das Luſtſpiel „Was ihr wollt” iſt um 1600 entſtanden
und ſtammt aus Shaleſpeares Londoner Zeit. Es vereinigt in
glücklicher Weiſe die italieniſchen Quellen entnommene ernſtere
Handlung der Liebespaare mit den der engliſchen Bühnen
ent=
ſprechenden Falſtaff=Szenen. In früheren Jahren unter Georg
Heinrich Hackers feinſinniger Leitung im Großen Hauſe oft
gegeben, iſt es jetzt bei der Neuinſzenierung durch Joſeph
Gie=
len auf die Bühne des Kleinen Hauſes verlegt. Die geſtrige
Aufführung konnte nur langſam und mäßig erwärmen. Sie
wirkte mehr durch äußere Vuntheit als durch innere Fröhlichleit.
Die Bühnenarchitektur von C. T. Pilartz ſteht offenſichtlich
unter dem Einfluß von Alexander Tairoffs Moskauer
Künſt=
leriſchem Theater, das im Sommer in Deutſchland gaſtierte:
Ein=
zelheiten wie die herabfallenden Taue erinnerten an Tairoffs
„Girofle=Girofla‟. Die Fülle der Treppen wirkte allzu
verwir=
rend. Manche Gruppierungen und Beleuchtungen gaben ſchöne
maleriſche Bilder.
In der Darſtellung traten die burlesken Szenen ſtark in den
Vordergrund. Franz Schneiders „Haushofmeiſter Malvolio”
beherrſchte die Situation; als werbender Liebhaber wie als
be=
ſeſſener Gefangener war er von gleich ſtarker Komik. Allerdings
hatte er hiermit ſeine frühere unübertreffliche Rolle des „
Jun=
kers von Bleichenwang” aufgeben müſſen und in Gerd Fricke
vom Frankfurter Neuen Theater einen Nachfolger gefunden, der
wohl über ein ſympathiſches Spiel und ein nettes Ausſehen,
nicht entfernt aber über Schneiders Komik verfügte. Den
Trunk=
genoſſen „Tobias von Nülp” gab Gerhard Ritter in breiten,
derben Strichen. Ernſt Langheinz als „Fabio” und Hans
Alwa als „Narr” ſchloſſen ſich ihnen an.
Das wundervolle Renaiſſance=Liebesſpiel kam in ſeiner
dis=
kreteren romantiſch=phantaſtiſchen Färbung gegenüber den
be=
tonten Rüpelſzenen leider nicht rechr auf. Eliſabeth Lennartz
gab die „Viola” ſicher, friſch, lebencig; aber ſie beſitzt doch nicht
oder vielleicht noch nicht die ſtarke menſchliche und ſchauſpieleriſche
Vaſis, aus der dieſe herrliche Shakeſpeareſche Frauengeſtalt in all
ihrer Liebenswürdigkeit, Schalkhaftigkeit, Ueberlegenheit und
romantiſcher Liebesglut herauswachſen muß. Den „Herzog
Or=
ſino” ſprach Walter Reymer warm im Ton, weltmänniſch in
der Haltung. Käthe Gothe war wie früher ein grotesk=luſtiges
Kammermädchen. Marthe Hein als „Gräfin Olivia”. G. von
Rappard als „Sebaſtian”, Hans Baumeiſter als „
An=
tonio” ſeien noch genannt.
Z.
Rummer 7.
S.tie;
2
Stadt und Land.
Darmſtadt, 7. Januar.
* Neue Wohnungs= und Siedlungspolitik.
Von Guſtav Langen,
Leiter des Deutſchen Archivs für Städtebau und Siedlungsweſen.
Der Reichsfinanzminiſter hat das Programm aufgeſtellt, die Mieten
auf den Friedensſtand zu bringen und 50 Prozent davon für
Haus=
rente, Reparatur und Verwaltung freizugeben, die anderen 50 Prozent
unter Verwaltung des Reiches für Neubauten und ſonſtige Ausgaben
des Reiches zu verwenden und damit ſowohl das Wohnungsweſen zu
ſanieren, wie auch die Reichsfinanzen zu beſſern. Das Programm hat
manches für ſich. Es tauchen aber zunächſt folgende Fragen auf:
1. Genügen 50 Prozent für die vorhandenen Wohnungen?
2. Wieviel von den übrigen 50 Prozent ſollen dem Wohnungsweſen
zugute kommen und wie?
3. Wird die Maßnahme ſozial, volks= und weltwirtſchaftlich
zweck=
mäßig ſein?
Die erſte Frage kann im allgemeinen bejaht werden, doch iſt die
Unterſuchung nötig. Es ſind noch Neparaturen nachzuholen, und durch
ſtärkere Belegung werden die Wohnungen auch ſtärker verwohnt und
damit ſteigen die Inſtandhaltungskoſten. Ferner iſt die Frage, ob die
Unterteilungskoſten zur Gewinnung kleiner Wohnungen aus größeren
aus dieſen 50 Prozent genommen werden ſollen als
Inſtandſetzungs=
koſten oder aus den anderen 50 Prozent als Neubaukoſten. Das letztere
wäre bedauerlich, da Neubaukoſten nur produktiv angelegt werden
ſollten.
Es entſteht ſomit die Frage, ob und zu welchem Grade die
Unter=
teilung zur Gewinnung neuer Wohnungen führt, und wenn dies auch
bei Zweitreppenwohnungen möglich iſt, ob die zwei abgeteilten
Klein=
wohnungen dieſelbe Miete wie die frühere Großwvohnung bringen.
Maßgebend iſt die Wirtſchaftskraft der
Geſamt=
zahl aller Mieter. Finanziell wäre es die geringſte Belaſtung,
ſich überhaupt mit den vorhandenen Wobnungen zu begnügen und
zu=
ſammenzurücken. Auch dabei ſind, beſonders bei
Großwohnun=
gen, Mietsrückgänge, vielleicht ſogar Leerſtehen, alſo „Mietausfälle
wahrſcheinlich. Dann werden die Wohnungen entweder verkommen
oder ſie müſſen für Geſchäftszwecke verwendet werden. Eine andere
Form der Heranzieyung der Geſchäftskapitalien für die
Wohnungs=
frage iſt das Errichten von Bürohäuſern (gegebenenfalls Hochhäuſern),
in welche die Geſchäfte hereinziehen, wodurch dann Wohnungen frei
werden (in erſter Linie ſolche, die unteilbar ſind). Das bedeutet im
Gegenſatz zur bisherigen, durch den kleinen Mann gepflogenen
Sied=
lungstätigkeit, die Löſung der Wohnungsfrage durch das Großkapital.
Der Weg leuchtet zunächſt ein, aber die Erfahrungen, die bisher
damit gemacht wurden, ermutigen nicht. Die Geſchäftsräume in
Hoch=
häuſern ſind von der heutigen Wirtſchaft nicht zu erſchwingen, und
ſelbſt das Freiwerden von Großwohnungen macht das Nachrücken von
Geſchäften in dieſe fraglich, zu einer Zeit, in welcher ſogar
Depoſiten=
kaſſen von Großbanken ſchließen, und überhaupt im allgemeinen
Ge=
ſchäftsrückgang zu beobachten iſt, nachdem der Ausverkauf Deutſchlands
ſich jetzt weniger lohnt.
Allen dieſen Erſcheinungen liegt die Tatſache zugrunde, daß wir auf
dem einen oder anderen Wege immer von der Subſtanz leben, trotz
ſcheinbar ausgeglichener Bilanz, die das Reichsfinanzminiſterium
an=
ſtrebt. Die erhöhte Miete wird zur Folge haben, daß das Volk
mehr=
belaſtet wird und vom Verkauf der Luxusgegenſtände immer mehr zum
Verkauf des Notwendigen übergeht; daß trotzdem Wohnraum entweder
leer ſteht, weil er zu teuer iſt oder unterwertet iſt, was ebenfalls
Sub=
ſtanzverluſt bedeutet. Die Annahme, daß das Bauen ſich wieder lohne,
wenn die Miete wieder auf Friedensſtand ſtehe, iſt ein Trugſchluß.
wenn das Volk aus Not zuſammenrückt. Dann hat auch das Geben
von Rcichshypotheken, die, wenn neue Wohnungen dem Volke zu teuer
ſind, durch Mieten auch nicht verzinſt werden können, keinen Zweck.
Selbſt bei ziusfreien Hypotheken, alſo in anderer Form wiederholter
Zuſchußwirtſchaft, würde ein Vorteil nicht erzielt, denn die
Niedrighal=
tung der Mieten in den ſo entſtandenen Neubauten würde auf den
Mietſtand aller Wohnungen zurückwirken, und die Mietseinnahmen
des Deutſchen Reiches würden ſo ſinken, daß das Hypothekengeben
da=
durch unmöglich würde.
Selbſt der Gedanke, daß durch eine künſtlich durch Belaſtung aller
Mieter geförderte Bautätigkeit, die Wirtſchaft in Gang komme und
da=
durch auch die Zahlung der erhöhten Mieten ermöglicht werde, iſt nicht
richtig. Durch beſſeres Wohnen iſt ein ſo geknebeltes Volk wie wir
Deutſche noch nicht produktiver.
Wie alle Finanzfragen in unſerer Lage, ſo kann auch die
Wohnungs=
frage nur ſoweit gelöſt werden, als ſie produktiv im volks= und
welt=
wirtſchaftlichem Sinne wirkt. Auf geſt igerte Produktionskraft hin iſt
das Reich jederzeit in der Lage, Kredite zu geben, Sparkapital vorweg
zu nehmen, und eine Neubautätigk=it zu finanzieren. Dann wird die
Erhöhung der Miete auf den Friedensſtand auch eine ſelbſtverſtändliche
Sanierung und eine durchführbare.
Die Produktivität iſt für uns nur zu erreichen durch
a) Verminderung der Einfuhr;
b) Vermehrung der Ausfuhr. 1. Steigerung des Bedarfs nach
deut=
ſchen Erzeugniſſen durch Verfeinerung der Qualitätsarbeit und
Erfin=
dung neuer vorteilhafter Methoden, ferner durch planmäßige
Kultur=
politik, Hervorhebung deutſcher Leiſtungen, beſonders auf dem
Städte=
bau= und Siedlungsgebiet (Ausfuhr geiſtiger Güter). Ferner Förderung
einer ſolchen deutſchen Auswanderung, die deutſche Waren nachzieht,
ver=
bunden mit entſprechender geſchloſſener deutſcher Auslandsſiedlung (
Kul=
tur=Kolonien ohne machtpolitiſche imperialiſtiſche Ziele mit vorſichtiger
Anpaſſung an die Eigenheiten des betreffenden Landes). Steigerung
des Auslandsvertrauens in deutſche Ordnung und ſoziale Bewährung
durch Siedlungsleiſtungen. 2. Niedrighaltung der Löhne und Aufzucht
geſunden Arbeiternachwuchſes durch Siedlung und Selbſtverſorgung,
durch Konkurrenzfähigkeit der Preispolitik. Entlaſtung der
Volkswirt=
ſchaft von den Erwerbsloſen durch Siedlung. 3, Konkurrenzfähigkeit der
Induſtrie durch planmäßige Siedlung der Induſtrie mit verbeſſerten
Verkehrsverhältniſſen und beſſerer Berückſichtigung des Arbeiisprozeſſes.
Planmäßigere wirtſchaftsorientierte Landesſiedlung und G=
oßſtadtausba=
unter beſonderer Berückſichtigung der Werbung für Volks= und Welt
wirtſchaft.
So iſt das Siedlungswveſen überall mit den großen Aufgaben
ver=
wachſen, die uns zur Rettung aus der furchtbaren Notlage übrig
ge=
blieben ſind.
2/
Alle Maßnahmen von finanztechniſcher und formaler Natur müſſen
ſcheitern, ſolange nicht mit Hilfe planmäßiger produktioer Siedlung die
wirtſchaftlichen, ſozialen, geſundheitlichen und geiſtigen Vorbedingungen
für einen Wiederaufſtieg gegeben ſind.
— Künſtlerabend des Gewerkſchaftsbundes der Angeſtellten. Die
Nachfrage nach den Karten iſt ſehr rege, da die Eintrittspreiſe trotz
den Verhältniſſen außerordentlich niedrig ſind und ſo weiten Kreiſen
die Möglichkeit gebrten iſt, ein gutes Konzert beſuchen zu können. Es
wird nochmals darauf aufmerkſam gemacht, daß die Karten ab heute
Montag bei den bekannten Stellen (Geſchäftsſtelle des G.D.A., Firma
Konzert=Arnold, Wilhelminenſtraße 9) in Empfang genommen werden
können.
—. Der Kirchengeſangverein der Stadtkirche, der in dieſem Jahre
auf eine 50jährige Tätigkeit zurückblicken darf, beabſichtigt der Gemeinde
demnächſt zwei weitere Kantaten von J. S. Bach darzubieten, die ſo
zeitgemäße ergreifende Kantate: „Brich dem Hungrigen dein Brot”, mit
ihrem geſaltigen Eingangschor, und die Kantate: „Du wahrer Gott
und Davidsſohn”, eine der bedeutendſten aus der erſten Leipziger Zeit.
Rettet die Kinder, Euere Zukunft!
Erbarmt Euch der Not der Alten!
Gedenkt der Vielen im Elend!
Echützt ſie vor Hunger!
Bringt ihnen Licht und Wärme!
„Nolgemeinſhat” und „Volksopfer” ſind ein
Denk=
mal deutſcher Opferwilligkeit. Sie haben gezeigt, daß Her;
und Sinn ſich über eigne Sorgen nicht zu verſchließen
brauchen vor des Nächſten Not. Erneut haben jetzt die
Reichsregierung und die Regierungen der Läyder zur
deutſchen Nothilfe aufgerufen. Sie ſprechen aus, was alle
Deutſchen im Innerſten bewegt. Einzelne Städte und
Gemeinden haben bereits eine örtliche Hilfstätigkeit
ein=
geleitet. Iſt auch ſchon viel getan, es muß noch mehr
geſchehen.
Du haſt noch nicht genug gegeben!
Gib ſchnell und reichlich!
Heſſiſche Nothilfe 1923/24.
Geſamtminiſterium. Landeskirchenamt. Biſchöfliches Ordinariat.
Heſſiſche Handelskammiern. Handwerkskammer.
Landwirtſchafts=
kammer. Landeskommiſſion der freien Geweriſchaften.
Landes=
kommiſſion der freien Angeſtellten=Geweriſchaften. Chriſtliche
Gewerkſchaften in Heſſen. Deutſcher Gewerkſchaftsbund.
Evan=
geliſches Arbeiterſekretariat. Heſſiſcher Beamtenbund.
Landes=
verband für Innere Miſſion. Caritasverband. Jsraelitiſche
Wohlfahrt in Heſſen. Heſſiſches Rotes Kreuz (Landesverein und
Alice=Frauenverein). Landesausſchuß für Arbei erwohlfahrt.
Landesverein Heſſiſcher Zeitungsredakteure.
Landesgeſchäftsſtelle iſt das Miniſterium des Innern,
Darm=
ſtadt, Luiſenplatz 2, Fernſprecher Nr. 29, Poſtſcheckkonto
Frank=
furt a. M. 69 000, Konten bei der Heſſiſchen Girozentrale, der
Kommunalen Landesbank und der Landeshypothekenbank.
Um dieſen Kantaten zu einer recht eindrucksvollen und würdigen
Auf=
führung zu verhelfen, ergeht an die muſikaliſch begabten
Gemeinde=
glieder die herzliche Einladung zum Beitritt in den Verein. Die
Pro=
ben finden Dienstags, um 8 Uhr, im Gemeindehaus, Kiesſtraße 17
Saal 2), ſtatt unter Leitung des Herrn Stadtorganiſten Borngäſſer.
Die erſte Probe im neuen Jahre iſt am 15. Januar. Auch ſolche
Muſikliebende, die gaſtweiſe die Bachſchen Kantaten mitſingen wollen,
ſind willkommen. Anmeldungen werden angenommen an den
Probe=
abenden ſowie von Fräulein Waitz, Eliſabethenſtraße 16, und Pfarrer
Vogel, Stiftsſtraße 5.
— Orphcum Operettenſpiele. Heute, Montag, 7. Januar, und
folgende Tage, Erſtaufführungen: „Inkognito”, Operette in 3. Akten,
Muſik von Rudolf Nelſon; nach dem Luſtſpiel „Frauenkampf” von
Seribe, bearbeitet von Kurt Kraatz und Richard Keßler. — Das
gra=
ziöſe Werk hatte bei ſeiner Uraufführung an den Berliner
Kammer=
ſpielen großen Erfolg und iſt ſeitdem über zahlreiche Bühnen gegangen.
(Siehe Anzeige.)
— Kein Stillſtand der Reichsſchulgeſetzgebung! Gegen die Verſuche
die Reichsſchulgeſetzgebung zum Stillſtand zu bringen hat der über 2
Millionen Mitglieder in 4370 Ortsgruppen umfaſſende Evang.
Reichs=
elternbund in einem Schreiben an den Reichskanzler Dr. Marx
euer=
giſchen Einſpruch erhoben. Es wird darin beſonders Bezug genommen
auf die immer unerträglicher werdenden Zuſtände in den mitteldeutſchen
Staaten, wo es angeſichts der Schulmaßnahmen der Landesregierungen
nur mit Mühe gelingt, die Elternſchaft vor ernſten Schritten
zurückzu=
halten. Die Eingabe verlangt daher, ſobald die Verhältniſſe es irgend
zulaſſen, die Fortſetzung der Beratungen über das Reichsſchulgeſetz.
Sparmaßnahmen, ſo unabweislich ſie ſind, müſſen ihre Grenzen haben
an dem Gewiſſensrecht chriſtlicher Eltern.
*Beſchſeunigung des Zivilprozeßverfahrens.
Am 10. Januar 1924 treten eine Reihe von wichtigen Vorſchriften
in Kraft. Wir heben nur die für die Leſer weſentlichſten hervor, die
in die beſtekenden Beſtimmungen über die Entlaſtung der Gerichte
ein=
gegliedert ſind:
Bei Rechtsſtreitigkeiten, über deren Gegenſtand die Parteien einen
Vergleich zu ſchließen berechtigt ſind, iſt, ſo beſtimmt § 27a, durch das
zu=
ſtändige Gericht eiſter oder zweiter Inſtanz auf
übereinſtim=
menden Antrag beider Parteien durch Schiedsurteil
zu entſch iden, (alſo z. B. nicht in Eheſachen). Der Antrag, der ſchon
mit der Klageſchrift oder Berufungsſchrift geſtellt werden kann, kann
noch bis zum Schluſſe der mündlichen Verhandlungen angebracht
wer=
den. Das Gericht beſtimmt in dieſem Falle ſein Verfahren nach freiem
Ermeſſen. Das Schiedsurteil hat die Wirkung eines
rechtskräftigen Endurteils. Im Parteieinverſtändnis kann
von ſchriftlicher Begründung Abſtand genommen werden.
Nichtigkeits=
klage findet — außer in den Fällen § 579 ZPO. — auch ſtatt, wenn der
Pattei in dem Verfahren das rechtliche Gehör verſagt oder das
Schieds=
urteil — abgeſehen vom eben erwähnten Falle — nicht mit Gründen
verſehen iſt.
Verlangen beide Parteien im bezüglichen Antrage ein dreiglie
d=
riges Schiedsgericht, ſo iſt dasſelbe mit 1 Richter (Vorſit) und
2 nicht richterlichen volljährigen Beiſitzern zu beſetzen. Im Verfahren
vor den Amtsgerichten tritt diesfalls der Amtsrichter, im Verfahren vor
den Kollegialgerichten der Vorſitzende der Kammer oder des Senats
der ein ven ihm zu beſtimmendes Mitglied ein. (Ein Handelsrichter
darf nicht beſtimmt werden!) Beide Parteien können
übereinſtim=
mend den Vorſitzenden oder ein beſtimmtes Mitglied mit deſſen
Zu=
timmung benennen, dann ſoll tunlichſt dieſer als Richter eintreten. Von
den Beiſitzern benennt jede Partei einen; Streitgenoſſen können nur
ge=
meinſchaftlich einen Beiſitzer benennen.
Die Parteien haben bei Stellung des Antrages die Beiſitzer zu
benennen und ihre ſchriftliche Erklärung der Amtsübernahme
beizu=
ſchließen. Wird die Benennung unterlaſſen, ſo ſetzt ihr das Gericht eine
Friſt zur Nachholung, nach deren fruchtloſem Ablauf es den Antrag
ab=
weiſt. (Das ſchließt Anbringung eines neuen beſſer fundierten Antrages
nicht aus.)
Die Beiſitzer ſind auf Grund ihrer Bereitſchaftserklärung zur
Füh=
rung ihres Amtes verpflichtet; ſie haben Anſpruch auf Vergütung aus
der Staatskaſſe nach den Beſtimmungen über Entſchädigung der
Sach=
verſtändigen (zurzeit 1,50 Goldmark und bei beſonders ſchwierigen
Sachen 3 Goldmark für jede angefangene Stunde). Parteien haben einen
zur Dckung der Vergütung ausreichenden Vorſchuß an die Staatskaſſe
zu zahlen, wenn ſie nicht vorziehen, unt reinander mit den Beiſitzern zu
vereinbaren, deren Vergütung ſelbſt zu übernehmen. (Schluß folgt.)
— Der Verein ebang. Organiſten und Chordirigenten in Heſſen
hielt ſeine Jahresverſammlung am Mittwoch, den 2. Januar, im
Predigerſeminar zu Friedberg ab. Nach der Erſtattung des Jahres=
und Rechenſchaftsberichtes referierte der Vorſitzende, Muſikdiektor
Mül=
ler, über die Verhandlungen im letzten Landeskilchentag, durch welche
neue Richtlinien für die Berechnung der Mind ſtgehalte für Organiſten
und Chordirigenten unter Anlehnung an die Leherermindeſtgehalte
feſt=
gelegt worden ſind. Da dieſe Sätze noch nicht bekannt gegeben ſind,
ſoll das Landeskirchenamt erſucht werden, ſie im Verordnungsblatt zur
Kenntnis der Kirchenvorſtände zu bringen. — Die Leitſätze zu dem
vor=
jährigen Referat „Kirchenmuſikaliſche Zeitfragen” haben die Zuſtimmung
des Landeskirchenamtes gefunden und ſollen in gemeinſamen
Konferen=
zen von Pfarrer und Kirchenmuſikern behandelt werden. — Die Anfrage
eines Pfarrers, ob der Verein von ſeinen Mitgliedern einen Befüh gun
s=
nachweis verlange, ſoll dahin beantwortet werden, daß dies nicht vom
Ver in, wohl aber von der Kirchenbehörde geſchehen könne. — Ueber die
kirchenmuſikaliſchen Verhältniſſe im ſüdlichen und beſetzten Heſſen
wer=
den die von dort eingeſandten Berichte b=kannt gegeben. — Die
Mit=
glieder werden erſucht, für die Erhaltung der Chorſchulen in den
Städ=
ten und die Bildung kirchlicher Schülerchöre auf dem Lande zu wirken.
Auch für die Pflege und Erhaltung der Orgelwerke werden Anregungen
gegeben. — An Stelle des ſeitherigen durch Arbeit überlaſteten
Rich=
ners tritt Lehrer Schäfer zu Reichelsheim i. d. W. — Der
Bei=
trag für das neue Vereinsjahr wird auf 2 Mk., für das verfloſſene (ſoweit
rückſtändig) auf 1 Mk. feſtgeſetzt. — Mit Dankesworten an den
anweſen=
den Direktor des Predigerſ minas, Herrn Prof. D. Velte, für die Ueb
u=
laſſung des Feſtſaals, ſchloß der Vorſitzende die anregend verlaufene
Ver=
ſammlung.
n. Strafkamwer. Auf ſtaatsanwaltliche Berufung wurde gegen den
ſchöffengerichtlich wegen Hehlerei zu zwei Monaten Gefängnis
ver=
urteilten hieſigen Althändler Philipp Becker, ſowie eine
mitange=
klagte Frau von hier verhandelt. Wie ſich nachträglich ergeben hat,
befindet ſich B. im Rückfall und war daher höher zu beſtrafen. Er hatte
etwa 38 Kilo Eiſen angekauft, das von einem Jungen aus einer Fabrik
geſtohlen und von deſſen jugendlicher Schweſter zu B. gebracht worden
war. Die fetzt mitbeſchuldigte Mutter des Mädchens hatte letzteres
da=
mals bis zu B.s Wohnung begleitet und beim Transport unterſtützt.
Daß dies zum eigenen Vorteil geſchah, erſchien nicht ausreichend
er=
wieſen, weshalb die Angeklagte nicht als Hehlerin, ſondern nur wegen
Begünſtigung zu 70 Goldmark Geldſtrafe verurteilt wurde. B., der
zwar gutgläubigen Erwerb vorſchützt, ſich aber beim Erkenntnis erſter
Inſtanz beruhigt hatte, erbielt nunmehr unter Einbeziehung einer
an=
deren Strafe 6 Monate Gefängnis wegen Rückfallhehlerei. — Die
nicht=
öffentliche Verbanblung gegen den 52jährigen Zigarrenarbeiter Chriſtian
Koch 5. von Pfungſtadt wegen Verbrechens nach 8 173 St. G.B. endigte,
da die ihn früher belaſtenden Angehörigen (Frau und Töchter) vom
Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machten, mangels Beweiſes mit
Freiſpruch und Aufhebung der bisherigen Unterſuchungshaft.
Tageskalender.
Landestheater, Großes Haus: Keine Vorſtellung. — Kleines
Haus, Anfang 7 Uhr, Ende 10 Uhr (Sondermiete 168): „König Nicolo”.
Orpheum, 73 Uhr abends: „Inkognito” — Union=, Reſidenz=,
Zentral=Theater, Palaſt=Lichtſpiele: Kinovorſtellungen.
Weiterbericht der Gießener Wetterwarte.
Wettervorherſage für den 8. Januar:
Allmählich zunehmende Milderung der ſtrengen Froſtwitterung und
Einſetzung neuer Niederſchläge.
Hans Peter Kromm der Lebendige.
Eine Geſchichte von Ufer zu Ufer
von Johanna Wolff.
(Nachdruck verboten.)
12)
Frau Schack erſchien und ließ etwas zur Tür
hereinglei=
ten, was die Nöte des Lebens auf den verhärmten Wangen
der jungen Frau noch vertiefte: Eine kleine Korbwiege war’s,
gefüllt mit einer ganz wunderſchönen Kindlings=Ausſtattung.
„Von meinem eigenen Hind.” jagte die Güti e ein ach,
„ich habe es leider verloren. Nehmen Sie das kleine
Men=
ſchenlager an als Gabe einer Mutter an die andre. Wir ſind
ja beide voll Schmerzen.”
Dann ſetzten aber doch wieder Ausbrüche der
Verzweif=
lung ein, denen jedesmal ein Zuſtano voukommner
Gleich=
gültigkeit ſolgte. Merete wurde in die Anſtalt des Doktor
Braun gebracht, um dort unter Schutz und Pflege reif zu
werden für ihre Mutterſtunde.
So ſaß ſie dann mit den erloſchenen Augen — gleichſam
lauſchend — ob nicht ein Ton, ein Zeichen hervordringe hinter
dem regloſen Vorhang, hinter dem ihr Glück verſchwunden,
dann durchbrach ein kleines Stoßen unter ihrem Herzen die
große Bewegungsloſigkeit. Nein, er war nicht tot, der geliebte
Menſch, er lebte in ihrem Kinde! Sie wäre verloren geweſen,
hätte ſich der kleine Hans Peter Kromm nicht alſo bemerklich
gemacht, er ſorgte dafür, daß ſeine Mutter nicht im Herzeleid
verſinken konnte. „Ich bin da! Ich bin da!” mahnte das
liebe Pochen und Stoßen. „Lebe, Mütterlein! Lebe für mich!“
So wurde die arme Merete immer wieder gewiß, daß ſie nicht
verlaſſen ſei, daß da von Ufer zu Ufer etwas auf dem Wege
ſei, ihre Einſamkeit zu teilen. Als dann ihre Stunde
gekommen, als das neue Menſchlein nur den Kopf ins Leben
geſtreckt hatte und ſofort kräftig losſchrie, merkte die Mutter
erſt ganz, daß noch Glocken der Seligkeit läuten konnten in
dieſem Tal des Weinens. Und als ſie ihr Jüngelchen dann
in den Armen hielt, war ihr Angeſicht verklärt von einer
gro=
ßen und ganz unbeſchreiblichen Luſt: Er war da, der kleine
Hans Peter Kromm Hatte er’s nicht recht gemacht?
„Aus dem Ungeformten herauszukommen, um etwas für
ſich zu ſein, gegliedert und mit Organen ausgeſtattet, um die
Lebenoigkeit einer Seele umherzutragen in blutwarmem Leibe
— das war etwas!”
Das Menſchlein ſchrie gewaltig und ſtieß weiter mit
Händ=
lein und Beinen, als wolle es ſchleunigſt losrudern, ſein Glück
zu erproben.
„Ob der ſich die Sache hier anders vorgeſtellt hat?” meinte
gutmütig der Doltor Braun. Der Arzt hatte gefürchtet, es
würde da ſo ein winziges Leidensgeſchöpf mit altem Geſichtlein
ans liebe Tageslicht geboren werden. Nun war,s ein ſchlankes
aber ſehr lebfriſches Büble, das mächtig Laut gab und auf der
Mutterbruſt umhernuſchelte, als wiſſe es mit den menſchlichen
Eincichtungen vollkommen Beſcheid.
„Gott, lieber großer Herrgott!” betete Merete, „du biſt
gnädig und barmherzig und von großer Güte und Treue!" Ich
danke dir! Ich danke dir!“
Das Kinderköpfchen zeigte einen dicken blonden Haarſchopf,
und der gute Arzt hatte ihr das Jungchen recht hübſch geſcheitelt
überreicht. „Wird wohl ein Künſtler” ſcherzte er. Die Mutter
aber zuckte auf: „Er wird ſeinem Vater ähnlich!” rief ſie und
rüate den Kleinen ans Licht, und die Tränen, die ihm aufs
Geſichtlein fielen, waren blanke Freudentränen. Jetzt verſtand
ſie alles und ſich ſelbſt am beſten. Das Kind, das hatte ſie ſich
nehmen müſſen, damit er weiter da ſei, der geliebte Mann.
Wenn das ein Raub am Leben geweſen, ſie wollte dafür
ein=
ſtehen, tot und lebendig wollte ſie Gott und den Menſchen
Rechenſchaft ablegen.
lind der Sohn ſollte ihm nacharten, dem Toten, der ſo fern
begraben lag.
Ein Hügel auf freier Bergeshöh, auf der Erbſtätte der
Familie Schack der andere: „Zwei Gräber und eine Korbwiege.”
Zwei Mütter, die eine Heimat finden.
„Ich glaube an das Diesſeits, das ſichtbar iſt,
und an das Jenſeits, unſichtbar — Eines ſind ſie.”
Wieder war es Anfang April, und wieder ſtrebte Merete
einer Heimſtätte zu. Sie trug ihr Kind auf dem Arm, und
neben ihr ging die Verwandte der Frau Schack, eine ſchlichte
Bürgersfrau, die gekommen war, die ihr Anempfohlene vom
Bahnhof abzuholen.
Frau Tenrath beſaß ein Haus im Mittelpunkt Berlins. Sie
ſelbſt hatte eine hübſche Wohnung im erſten Stock inne, die
bei=
den Läyen unten waren vermietet.
Merete war hierher gekommen, um ſich ihr Leben in allen
Ruhe zurechtlegen zu können, vielleicht ließ ſich auch grade hier
ettras finden, das ihr ein Fortkommen ermöglichte — mit den
Kinde. Frau Schack hatte ſie zum Wiederkommen au gefordert,
allein das wollte Merete nicht; ſich irgendwie ſelbſtändig machen
und das Kind behalten — das allein wollte ſie.
Nun ſaß ſie am Fenſter und ſah zu, wie ſich unten die
Spreekähne ſtießen, die Menſchen darauf warfen ſich Berliner
Witze an den Kopf, drohten ſich mit den Stangen und alitten
dann weiter. In dem einen Laden unten, der das große
Schau=
fenſter nach der Straße zu hatte, betrieb eine bejahrte
Gemüſe=
händlerin ein gut gehendes Geſchäft, das ſeinen Bezug gleich
aus den Kähnen deckte, im andern, der in der Kellertiefe gelegen
war, verſah die dicke Frau Kreipel eine Bierwirtſchaft für kleine
Leute; von da herauf vernahm Merete öfter das Weinen eines
kleinen Kindes.
So gut die junge Frau ſich hier mit ihrem Bübchen
auf=
gehoben ſah, ſie fühlte ſich nur zufrieden, wenn ſie das Kind
ſtillte — nach Arbeit ging ihr Verlangen und nach einem eignen
Heim.
Grauheim u. Dürr hatten ihren großen Einſluß geltend
ge=
macht, um die Namensreglung im Sinne des Hingeſchiedenen
geſetzlich zu ordnen, und obwohl keine Verpflichtung dazu
vor=
lag, hatten ſie Merete eine anſehnliche Summe zur freien
Ver=
fügung geſtellt: nicht, daß man hätte davon leben können, doch
war ſie vor der erſten Not geſchützt. Aber ſie wollte dies Kapital
nicht müßig verzehren, Grundſtock ſollte es ſein, darauf ſie ihr
Lebei aufbaun wollte. Sie wußte nur nicht, was und wo ſie
beginnen ſollte, denn das Kind — das Kind mußte jedenfalls
bei ihr bleiben!
Eine Woche verging und die andre. Faſt wollte der alte
Gram Meretens Eeele wieder überfallen; denn immer wieder
dachte ſie, wie es hätte ſein können, wenn er mit ihr geweſen,
der liebſte Menſch, und nur der Anblick des Kindes gab ihr
Troſt in dem Gedenken, wieviel einſamer ſie geworden — ohne
das Bübchen, dieſen Nachlaß ſeiner lebendigen Kraſt.
„Hans Peter Kromm,” ſagte ſie ſtill vor ſich hin, wenn
er in ſeiner Korbwiege ſchlief, und „kleiner Hans Peter
Kromm” ſagte ſie, wenn er auf ihrem Schoß zappelte; wenn
aber der Knabe mit großen Augen reglos ins Licht ſchaute,
daun blickte auch ſie in die Helle hinein, Eis die Umwelt
ver=
ſchwamm und ſie eine Geſtalt zu ſchauen meinte: das Haupt
ein wenig geneigt, die Hände wie zum Griff gebreitet: dann
konnte ſie wohl ſehnſuchtsvoll aufſtürzen und ruſen: „Du! Du!”
Sie meinte noch ein Glänzen wahrzunehmen, auch das Kind
ſihien ihr zu leuchten und doch ſtand ſie dann allein, die
Arme breitend — „Von Uſer zu Uſer
(Fortſetzung folgt.)
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Der Ueberfal
der Sioux
Buffalo Bill V.
Seite X.
Tarmſtädter Tagblatt, Montag, den 2. Januar 1924.
Nummer 7.
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Schroth, Erich Kaiser Tikz, H. Vallentin, Max
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Reich und Ausland.
Der vermeintliche Spion.
Neuſtadt a. d. H. Dieſer Tage erregte auf dem Neuſtadter
Fahnhof ein Herr im Pelz die Aufmerkſamkeit der Paſſanten. Der
Herr trug namlich einen Pelzmantel nach Art des ruſſiſchen
National=
koſtüms und ebenſolche Pelzmütze. Er ſah aus wie ein ruſſiſcher
Groß=
fürſt. Tatſache iſt, daß ihn viele Leute für einen ruſſiſchen Offizier
hiel=
ten. Manche vermuteten in ihm einen ruſſiſchen Spion, und ſo kam es
auch, daß der Schutzmann, welcher am Bahnhof Dienſt hatte, auf dieſen
„verdäcktigen Menſchen” aufmerkſam gemacht wurde mit dem Anſinnen,
ihn kurzerhand zu verhaften. Der Schutzmann lehnte mit einem
meik=
würdigen Lächeln ab. Als dann aber der vermeintliche Ruſſe in der
Bahnhofshalle gar ſein Notizbuch herausnahm und ſich Aufzeichnungen
machte — er notierte ſich die Abfahrt der Züge — da war es unter
der Menge ausgemachte Sache, daß der Herr im Schafspelz nur ein
ruſſiſcher Spion ſein könne. Wiederum trat einer an den Schutzmann
heran: „Sie, Herr Schutzmann, ſehen Sie dort den Mann im Pelz, das
iſt ein Spion der Sowjetregierung, der treibt ſich ſchon ſeit einigen
Tagen hier heraum, den müſſen Sie unbedingt verhaften.” — „Lieber
Mann” erwiderte der Poliziſt, „dazu habe ich keinen Auftrag; im
übri=
gen dürften Sie ſich doch irren. Schauen Sie den ruſſiſchen Offizier
etwas näher im Geſicht an, dann werden Sie finden, daß es der
Kauf=
mann A. S. aus Neuſtadt a. d. H. (Rote Kreuz=Gaſſe) iſt. Tableau!
Ein eigenartiger Standesbeamter.
Stuttgart. Ein unglaublicher Vorfall ereignete ſich dieſer Tage
auf dem Standesamt in Ludwigsburg. Dort wollte ein
Lud=
wigsburger Bürger die Geburt ſeiner Tochter anzeigen und gab die
Namen Margr: Gertrud zur Eintragung an. Der Standesbeamte
weigerte ſich aber, den Namen Margot einzuſchreiben, da dieſer Name
ranzöſiſch kliuge. Auf die wiederholte Weigerung des Standesbeamten
beſchwerte ſich der Familienvater beim Amtsgericht, wo ihm aber
kurzer=
hand eröffnet wurde, daß er wohl klagen könne, aber beſtimmt
abge=
wieſen werde. Der entrüſtete Vater mußte ſich gefallen laſſen, daß auf
dem Geburtsſchein ſeiner Tochter die Bemerkung eingetragen wurde:
„Das Kind hat keinen Vornamen erhalten.” Auf die ſpätere energiſche
Aufforderung des Standesbeamten, dem Kinde doch einen anderen
Namen zu geben, weigerte ſich der Vater, eine Namensänderung
vor=
zunehmen mit dem Hinweis, daß ſchon in der Bibel ſtehe, daß die Väter
ihren Kindern die Namen geben und nicht die Ratsſchreiber. Dieſe
Ve=
merkung erboſte den Beamten derart, daß er mit Handgreiflichkeiten
drohte. Die Angelegenheit beſchäftigt jetzt den Lndwigsburger
Ge=
meinderat.
Tödliche Unfälle.
Ludwigshafen. Am Sonntag ſtürzte ein hieſiger
Kohlen=
händler infolge Elatteiſes von einer Leiter aus zwei Meter Höhe ab
und erlitt eine ſchwere Verletzung am Hinterkopf, an deren Folgen er
geſtern, ohne das Bewußtſein wieder erlangt zu haben, geſtorben iſt.
Eiſenberg. Beim Holzholen im Kerzenheimer Gemeindewald
lpurde am Mittnoch der Händler Blüm von hier bei einem
Zuſaumen=
ſtoß mit dem Gemeindewaldhüter von Kerzenheim durch einen Schuß
ſchwer verletzt. Trotz ärztlicher Hilfe erlag er ſeiner Wunde an dem
gleichen Tage.
Großzügige Verſorgung mit Gefrierfleiſch.
An argentiniſchem Gefrierfleiſch werden im Großhandel Berlins
täglich etwa 1200—1500 Zentner abgeſetzt. Das Städtiſche
Ernährungs=
amt hat eine großzügige Verſorgung in die Wege geleitet. In allen
Markthallen ſind von der Stadt Verkaufsſtellen eingerichtet worden.
Man bezahlt bei dieſen 56 Pf. für das Pfund. Die Ladenſchlächter
neh=
men etwa 60—70 Pf. Der ſtarke Konſum an Gefrierfleiſch dürfte eine
Senkung der Preiſe des Inlandfleiſches veranlaſſen.
Bahern und die Hypothekenaufwertung.
Die M. N. N. ſind ermächtigt, zu erklären, daß die baheriſche
Regie=
rung in voller Uebereinſtimmung mit der überwältigenden Mehrheit
des ganzen bayeriſchen Volkes nach wie vor auf dem Standpunkt ſtehe,
daß es aus rechtlichen, ſittlichen, wirtſchaftlichen und hochpolitiſchen
Gründen nicht zu derantworten wäre, wenn die
Reichszegie=
rung, auf das Ermächtigungsgeſetz geſtützt, das vom Reichsgericht
an=
erkanute Prinzip der Aufwertung negieren und die durch die Verfaſſung
geſchützten Reiht= der Pfandbriefgläubiger und Hypothekengläubiger
konfiszieren mollte.
Zugzuſammenſtoß.
Oggezsheim. Auf der Rhein—Haardt=Bahn ereignete ſich am
Mittwoch morgen kurz vor Oggersheim ein Zuſammenſtoß mit einem
Wagen der Linie 11 der Städtiſchen Straßenbahn. Es gab mehrere
Leichtverletzte. Ein vorbeifahrendes Auto nahm die Verletzten auf.
Bedrohliche Lage der Schiffahrt in der Nordſee.
Die Lage der Schiffahrt hat ſich infolge Bedrohung durch Eis
gang geſtern entſchieden verſchlimmert. Der Große Sund iſt mit
Feſteis belegt, an der ſeeländiſchen Seite iſt der Dampferverkehr nur
mit Hilfe von Eisbrechern möglich. Die Fährverbindung nach
Schwe=
den wird noch durchgeführt, und zwar teilweife mit der Eisbrecherfähre;
bei Masnedoe ſind die Verhältniſſe beſſer. Im Großen und Kleinen
Belt werden noch alle Fahrten durchgeführt. Der deutſche Dampfer
„Odertal”, der vorgeſtern infolge des Eisganges bei der Hafeneinfahrt
aufgrund lief, iſt geſtern wieder flott gemacht worden. Eine Anzah
kleinerer Schiffe paſſierte den Sund mit Kilfe von Eisbrechern.
Verproviantierung eines geſtrandeten Schiffes durch ein Flugzeug.
Infolge des ſtarken Eisganges war das Mitte November auf des
Tertiusſande unweit von Büſum geſtrandete Hamburger Moter
ſchiff „Sonderburg” ſeit Weihnachten völlig vom Feſtlande
abge=
ſchnitten. Auf Erſuchen der Reederei beſchloß die Geſellſchaft für
Luft=
verkehrsunternehmungen, ein Flugzeug zur Verproviantierungen des
auf dem geſtrandeten „Senderburg” zurückgelaſſenen, bereits
empfind=
lichen Mangel leidenden Wachtmanns auszuſenden. Dieſe Aufgabe iſt
trotz der ſchwierigen Landungsverhältniſſe von dem Flugzeug „
Hum=
mel” erfolgreich ausgeführt worden.
Die Oeffnung des Grabes Tutanthamens.
Geſtern traf der erſte ausführliche Bericht über die Oeffnung der
inneren Kammer im Grabe Tutankhamens ein, welche ſeit über 3000
Jahre unbe=ührt iſt und hiſteriſche Schätze von unermeßlichem Werte
enthält. Inmitten von vier ineinander geſtellten goldenen Schreinen,
deren ſchwer goldene Türen reich verziert, mit Reliefs verſehen und
durch Ebenholz=Querriegel geſchloſſen ſind, erhebt ſich der Sarkodhag
aus roſa Marmor, überaus koſtbar und reich geſchnitzt. Die
unver=
ſehrten Siegel werden geöffnet und nach den wiſſenſchaftlichen
Feſtſtel=
lungen die Mumie im Sarkophag gelaſſen werden.
Jedem Amerikaner ein Auto.
Neu=York. Es verlautet, daß der bekannte amerikaniſche
Auto=
mobilfabrikant Henry Ford ſich mit der Abſicht trage, dieſes Jahr 150
Millionen Dollars für den weiteren Ausbau ſeiner Werke zu
verwen=
den. Ford wolle, daß jeder Amerikaner ſein eigenes Auto beſitze.
Handel und Verkehr.
Handel und Wandel in Heſſen.
* Frankfurter Schleifmittel=Werk Eichler u. Co.
A. G. in Neu=Iſenburg. Das neue Unternehmen iſt aus der
Firma gleichen Namens hervorgegangen. Das Grundkapital beträgt
15 Mill. Mk. Die Gründer haben ſämtliche Aktien übernommen. Für
die Einbringung der alten Firma werden Aktien im Nennbetrage von
12824 000 Mk. gewährt. Gegenſtand des Unternehmens iſt die
Her=
ſtellung, Verarbeitung und Vertrieb von Schleifmitteln und
Schleif=
maſchinen aller Art. Vorſtand: Dip.=Ing. Fritz Schepple zu
Frank=
furt a. M.
b. Chemiſche Fabrik A. G., Offenbach a. M. Die
Aktio=
näre der Geſellſchaft werden zur Ausübung des Bezugsrechts
aufgefor=
dert. Die Ausübung des Bezugsrechts kann bis zum 17. Januar
ein=
ſchließlich erfolgen. Auf je 1000 Mk. alte Stammaktien kann eine neue
zu 1000 Mk. mit Gewinnbeteiligung vom 1. Juli 1923 ab zu 0,42
Gold=
mark pro Aktie zuzüglich eines noch bekannt zu gebenden
Pauſchalbetra=
ges zur Abgeltung der Bezugsrechtsſteuer, ſowie Schlußnotenſtempel,
Bezugsproviſion und Speſen bezogen werden.
Wirtſchaftliche Rundſchau.
Zur Aufwertungsfrage. Die dritte
Steuernotverord=
nung der Regierung, in der die Frage der Aufwertung von
Schuld=
verſchreibungen eine geſetzliche Regelung erfahren ſoll, iſt bis zur
Stunde noch) nicht erſchienen, weil ſich namentlich bei den ſüddeutſchen
Regierungen heftiger Widerſtand gegen die geplanten Beſtimmungen
erhoben hat. Inzwiſchen gehen die Gerichte unter Zugrundelegung
der ſeinerzeit in dem bekannten Reichsgerichtsurteil entwickelten
Richt=
linien bei der Beurteilung von Streitfällen, die aus
Schuldverhält=
niſſen entſtanden ſind, unverändert die bisherigen Wege. So liegt
neuerdings wieder ein Urteil des Landgerichts I Berlin in einem
Pro=
zeß gegen die Bank elektriſcher Werte vor. Dem Kläger, der auf volle
Goldmarkzahlung klagte, für die im Mai 1914 erworbene Obligation
der Bank elektriſcher Werte, wurde das Recht auf ” ſeiner Forderung
zuerkannt. In der Begründung wird betont, daß die beklagte
Geſell=
ſchaft ihre Vermögensſubſtanz trotz der wirtſchaftlichen Lage ſo
hoch=
wvertig erhalten habe, daß ſie einen weſentlichen Teil des Goldwertes
ihres Kapitals ſich gerettet habe. Das gehe auch aus der Bewertung
der Aktien der Geſellſchaft hervor. Allerdings müſſe man nach Treu
und Glauben auch dem Kläger einen Teil der allgemeinen Verarmung
aufbürden. Es wirkt befremdlich, daß die Regierung trotz dieſer
wieder=
holten Gerichtsurteile eine völlig andere Regelung der
Aufwertungs=
frage beabſichtigt, bzw. daß die Gerichte derartige Urteile noch weiter
fällen, obwohl eine geſetzliche Regelung angekündigt iſt. Jedenfalls
wird dadurch die Sachlage nur noch verworrener.
* Zur Lage der Schuhfabriken. Wie wir von
gutunter=
richteten Seite hören, hat das Geſchäft in Schuhwaren eine weſentliche
Belebung erfahren. Nicht allein daß der Abruf aus dem Inland ſich
nicht unerheblich gebeſſert hat, laufen andauernd umfangreiche
aus=
ländiſche Aufträge ein, ſodaß die Fabriken meiſt wieder in der Lage
ſind, den zeitweiſe eingeſchränkten Betrieb allmählich wieder auf die
volle Höhe zu bringen.
Erwerbsgeſellſchaften.
Adlerwerke vorm. Heinrich Kleyer in
Frank=
furt. In der Generalverſammlung wurde die Erhöhung
des Aktienkapitals um 214 Mill. Mark Stamm= und 6 Mill. Mark den
bisher beſtehenden gleichberechtigten Vorzugsaktien beide
Aktiengattun=
gen mit Dividendenanſpruch ab 1. Nov. 23, beſchloſſen. Die neuen
Stammaktien gehen zumindeſtens pari an eine Bankengruppe unter
Führung der Darmſtädter und Nationalbank zur freihändigen
Ver=
wertung, die neuen Vorzugsaktien an das alte Konſortium zu 300
Milliarden Prozent. Die Erhöhung erfolgt lediglich im Intereſſe der
Geſellſchaft, und der Erlös der neuen Aktien dient zur Vermehrung der
Betriebsmittel.
* Die Gelſenkirchener Bergwerks=A.=G.,
Gel=
ſenkirchen, erklärt ſich bereit, den Inhabern der bereits
gekundig=
ten Teilſchuldverſchreibungen, nämlich der 4proz. Anleihe von 1895,
1898, 1899 und 1903 der A.=G. Schalker Gruben= und Hütten=Verein,
der 4proz. Schuldverſchreibungen der Gelſenkirchener Bergwerks=A.=G.
von 1905 und 1911, ſoweit die Schuldverſchreibungen bis zum
31. Auguſr 1923 nicht zur Rückzahlung gelangt ſind, deren Umtauſch
in Teilſchuldverſchreibungen einer von der Geſellſchaft neu
heraus=
zugebenden Dollarwertanleihe in der Weiſe anzubieten, daß gegen je
1000 Mark Schuldverſchreibungen 4 Dollar dieſer Dollarwertanleihe
eingetauſcht werden können. Den Erwerbern von 6Stück über
4 Dollar der neuen Anleihe wird das Recht eingeräumt, ein Stück
dieſer Anleihe über 25 Dollar zu erwerben.
* Hüttenwerk Niederſchöneweide vorm J. F.
Gins=
berg. Die Aktien dieſer Geſellſchaft im Betrag von 100 000 000 Mark
ſollen an der Frankfurter Börſe eingeführt werden. Die Zulaſſung
wird durch die Mitteldeutſche Creditbank und die Tellus A.=G.
beantragt.
Die Wirtſchaft des Auslandes.
Zur Reorganiſation des Anleihedienſtes von
Mexiko. Die Friſt zur Hinterlegung der in dem
Reorganiſations=
plan einbezogenen Bonds, Noten und ſonſtigen Schuldtitel wird bis
einſchließlich 15. Januar 1924 verlängert.
Anleihen.
Sächſiſche unverzinsliche Schatzanweiſungen.
Der Sächſiſche Staat bringt jetzt unverzinsliche, am 31. Dezember 1924
fällige von 5 bis 100 Rentenmark geſtückelte Schatzanweiſungen heraus.
Sie können bei Fälligkeit, ſofern der Beſitz 100 Mark oder ein vielfaches
davon beträgt, in eine künftige Goldmark=Anleihe des ſächſiſchen
Staates mit 6 Prozent unter dem Zeichnungspreiſe und für den Fall,
daß die Anleihe bereits am Fälligkeitszeitpunkte an der Dresdner
Börſe amtlich notiert wird, unter dem Durchſchnittskurs der ſich für die
Zeit vom 16. November bis 15. Dezember 1924 ergibt, getauſcht
werden.
Meſſen.
* Der Termin der Kölner Meſſe. In letzter Zeit
häu=
fen ſich die Anfragen, vor allem aus den Kreiſen der Ausſteller der
Kölner Meſſe, wann die erſte Meſſe ſtattfindet. Wegen der ungeklärten
Verhältniſſe im beſetzten Gebiet war es bisher unmöglich, einen
Zeit=
punkt feſtzulegen. Da ſich abee die Anzeichen mehren, die für eine
bal=
dige Wiederingangſetzung des Verkehrslebens im beſetzten Gebiet
ſpre=
chen, wird ſich der Aufſichtsrat des Meſſeamtes in allernächſter Zeit mit
der Frage des Termins der Meſſe befaſſen. Jedenfalls kann heute ſchon
ſoviel geſagt werden, daß aller Vorausſicht nach die Kölner Meſſe im
Mai dieſes Jahres abgehalten werden kann.
Stimmen aus dem Leſerkreiſe.
(Für die Veröffentlichungen unter dieſer Ueberſchrift übernimmt die Redaktion keſnerſei
Ver=
antwortung; für ſie bleibt auf Grund des 8 21 Abſ. 2 des Preſſegeſetzes in vollem Amfange
der Einſender verantwortlich.) — Einſendungen, die nicht verwendet werden, können nicht
zurückge andt, die Ablehnung nicht begründet werden.
— Da die erſt für März fällig geweſene Grundſteuer ſchon bis
12. Januar bezahlt werden ſoll, ſo waren am 5. d. M., vormittags,
zahl=
reiche Steuerzahler auf die Zahlſtelle in der Infanteriekaſerne,
Alexander=
ſtraße, gekommen, um ihre Steuer zu bezahlen. Zu ihrem Erſtaunen
und zu ihrer gerechten Entrüſtung fanden ſie dort die Türe
verſchloſ=
ſen und an dieſer einen Zettel angeheftet des Inhalts: „Die Kaſſen ſind
heute geſchloſſen”.
Union-Theater
Ein Artistenschicksal in 7 Akten
Dämon Zirkus
Nach dem Roman v. Paula Busch „Einer vom Zirkus”
In den Hauptrollen:
Gertrud Welker, Carl de Vogt
Claire Loßto, E. v. Winderstein-
Eix u. Fax als Arbeitslose
Lustspiel in 2 Akten.
Residenz-Theater
Mur noch heute:
In der Hauptrolle
der Sjährige HAckle Loogan
Charlie Chaplin
Harry ist lebensmüde
In der Hauptrolle: Harry Sweet.
Zentral-Theater
Fern Andra — Albert Steinrück" .
Carola Toelle
in dem Taktigen Fi m-Drama
Der rote Reiter
Hauptſchriftleitung: Rudolf Mauf
Verantwortl.4 für Politik und Wirtſchaſt: Rudolf Mauve
Verantwortlich für Feuill ton und Heſſiſche Naarchten: Max Streeſe
Verantwortlich für Sport: Dr. Eugen Buhlmann
Verantwortlich für Salußd en: Andreas Bauer
Verantw rilich für den nſ ratente !: Wlly Kuhle
Truckh und Verlag: L. C. Wittich — ſämtlich in Darmſtadt.
Die heutige Zummer hat 6 Seiten
Rummer 7.
Darmftädter Tagblatt, Montag, den 2. Januar 1924.
Seite 5.
Sport, Spiel und Zurnen.
Sport und Turnen.
Gründung eines neuen Schwimmvereins in Darmſtadt.
Man ſchreibt uns: Der echt deutſche Streit zwiſchen Turnen
und Sport hat ſich jetzt auch in der Turngemeinde Darmſtadt
1846 bemerkbar gemacht. Die Sporttreibenden der Turngemeinde
mußten durch einſeitige Stellungnahme des Geſamtvorſtandes,
der nicht zubilligte, daß die Sportabteilungen in den für ſie
zu=
ſtändigen Fachverbänden verblieben, aus der Turngemeinde
Darmſtadt ausſcheiden. Es fiel dieſen Sporttreibenden, die
teil=
weiſe ſeit Jahren, ja ſeit Jahrzehnten, mit ihr verlnüpft waren,
nicht leicht, ihren ihnen lieb gewordenen Verein zu verlaſſen. Der
Hauptvorſtand der Turngemeinde wollte es aber nicht anders,
und andererſeits konnten die Sportabteilungen auf keinen Fall
nachgeben, d. h. aus den Fachverbänden austreten, denn dies
hieße für ſie, ihre jahrelange Arbeit in ein Nichts zerrinnen zu
fehen. Nur durch den Fachverband ſind ſie groß geworden und
zur Bedeutung gelangt. Mit einem Ausſcheiden aus demſelben
wären ſie bedeutungslos geworden.
So hat ſich der geſamte Vorſtand der Schwimmabteilung
ver=
anlaßt geſehen, aus dem Beſchluß des Geſamtvorſtandes der
Turngemeinde die Folgerungen zu ziehen und ſeine eigenen Wege
zu gehen, die in der Gründung eines neuen Vereins gipfeln.
Der in der Turngemeinde Darmſtadt verbleibende Reſt der
ehemaligen Schwimmabteilung wird ſich ausſchließlich der
volks=
tümlichen Seite des Schwimmens zuwenden müſſen, da
ſchwimm=
ſporttechniſche Leiter und Führer ihm nicht zur Verfügung ſtehen.
Die neue Vereinigung hat auf ihr Programm Schwimmſport
und volkstümliches Schwimmen gebracht, es wird daher unter
ſachkundiger Leitung jeder Richtung des Waſſerſportes Sorge
getragen werden.
Der nächſte Uebungsabend der neuen Vereinigung findet
Donnerstag, 10. Januar I. Js. abends 348 Uhr, im
Hallen=
ſchwimmbad ſtatt.
Die ſeitherigen Schwimmleiter und Vorſchwimmer der
Schwimmabteilung der Turngemeinde Darmſtadt 1846.
Schwimmen.
Schwimmabteilung der Turngemeinde Darmſtadt 1846.
= Die Turngemeinde Darmſtadt weiſt nochmals auf die
Hauut=
berſammlung, der Schwimmabteilung heute abend 8 Uhr in dem
Turnhauſe hin. Sie lädt dazu alle Mitglieder der Turngemeinde ein,
die ſich ferner am Schwimmen beteiligen wollen, alſo außer den
Tur=
nerinnen und Turnern auch die Fechter, Leichtathleten, Handballer, die
Sänger und Mitglieder des T.G.D.=Orcheſters, desgleichen alle
nicht=
aktiven Mitglieder, ſowie die Eltern der Jugendlichen. Auf die
Aus=
gabe der Ausweiskarten macht ſie nochmals aufmerkſam.
Die Schwimmabende werden wie ſeither abgehalten, alſo
jeden Mittwoch abend Training der Wettkampfriegen, und
Donners=
tags volkstümlicher Schwimmabend für alle Abteilungsmitglieder, die
den vorgenannten Riegen nicht angehören. Auf dieſe Weiſe wird jeder
ein für ihn paſſendes Betätigungsfeld finden. Die Leitung der Abende
liegt in bewährten Händen.
Die Ziele der Deutſchen Turnerſchaft.
Der Vorſtand der D. T. faßt die Ziele des Turnens wie
folgt zuſammen:
1. Förderung des Deutſchen Turnens.
Die D. T. pflegt alle Arten von Leibesübungen, die der
leiblichen und ſittlichen Kräftigung dienen können, ſofern ſie in
ihren Vereinen eine ausreichende Zahl von Anhängern haben.
Ihre Hauptgebiete ſind: Volksturnen (Leichtathletik),
Geräte=
turnen, Spiele, Wandern, Schwimmen und Fechten.
Ziel der D. T. iſt Heranbildung eines geſunden, körperlich
leiſtungsfähigen, ſittlich gefeſtigten Volkes. Daher ſucht ſie
beide Geſchlechter, alle Altersſtufen und auch die körperlich
weniger gut Beanlagten zu erfaſſen und möglichſt vielſeitig
durch=
zubilden. Sie nimmt jedoch in ihre Reihen auch Vereine und
Einzelmitglieder auf, die ausſchließlich oder vornehmlich ein
einzelnes Uebungsgebiet betreiben wollen.
Mittel zum Zweck ſind regelmäßige Uebungsſtunden,
beſon=
dere Lehrgänge für Vorturner und Forigeſchrittene, Wettkämpfe,
Werbeveranſtaltungen und Turnfeſte. Den Hervorragendſten gibt
ſie Eelegenheit, ſich in Meiſterſchaftskämpfen miteinander zu
meſſen.
Mit allen deutſchen Turnvereinen jenſeits der Reichsgrenzen
wünſcht die D. T. innigſte Verbindung und Freundſchaft, mit
ſtammberwandten und dem Deutſchtum wohlwollenden
Nachbar=
völkern tauſcht ſie gern Erfahrungen und gelegentliche Beſuche
aus, Weltverbänden aber bleibt ſie fern. Wo es in beſonderen
Fällen wünſchenswert iſt, daß das geſamte Deutſchtum mit dem
Ausland in Wettbewerb tritt, entſcheidet ſie über Beteiligung
ihrer Mitglieder von Fall zu Fall.
2. Pflege deutſchen Volksbewußtſeins und
vaterländiſcher Geſinnung.
Turnen iſt der D. T. Mittel zum Zweck, geſunde und tüchtige
Deutſche zu erziehen, den Sinn für Unterordnung unter das
große Ganze zu wecken und damit den Einzelnen zur wahren
inneren Freiheit zu führen. Auch der Sieger im Wettkampf
ird um ſo höher geachtet, je mehr er ſein hervorragendes
Können und Wiſſen als Vorturner oder Vorſtandsmitglied in
den Dienſt der Heranbildung jungen Nachwuchſes ſtellt. Der
Weckung und Hebung deutſchen Volksbewußtſeins und damit
vaterländiſcher Geſinnung ſoll aber außer dem Turnen auch das
geſamte übrige Vereinsleben dienen, inſonderheit
3. Die=Abende und Vereinsfeſte,
entſprechend in den größeren Verbänden Lehrgänge, Schrifttum
und allerlei Treffen.
Nicht nur die von Jahn rein deutſch geſchaffene Turnſprache
rein zu erhalten und weiterzubilden, iſt Ehrenpflicht der D. T.,
ſondern auch die Umgangs= und Verhandlungsſprache des
Tur=
ners muß ſich freihalten von irgend entbehrlichen Fremdwörtern.
Deutſches Schrifttum, deutſche Sage und Geſchichte, deutſches
Lied und deutſcher Tanz ſollen in den Vereinen gepflegt werden.
Tracht und Sitte ſeien ſchlicht und deutſch. Trinken und Rauchen
ſind bei Anweſenheit Jugendlicher und bei allen Turnübungen
unbedingt ausgeſchloſſen, unter Erwachſenen möglichſt
einzu=
ſchränken. „Tugendſam und tüchtig, rein und ringfertig, keuſch
und kühn, wahrhaft und wehrhaft ſei des Turners Wandel.”
Vertrauen, Treue, Brüderlichkeit ſollen die Turner (
Turne=
rinnen) zu einer großen Lebens= und Geſinnungsgemeinſchaft
verbinden.
4. Stand, Beruf, Glaubensbekenntnis,
Partei=
ſtellung ſind nebenſächlich,
ſo lange ſie ſich nicht in den Vordergrund drängen. Turnplatz
und Tie ſollen Stätten ſein, wo man im Menſchen den Menſchen
achtet, wo ſich alle nur als Deutſche fühlen und gemeinſam
ſo handeln und wandeln, wie ſie es dem Ganzen ſchuldig ſind.
Des Turners Wahlſpruch bleibt: Friſch, fromm, froh, frei;
ſein Gruß: Gut Heil!; ſeine Farben: Not=Weiß.
Teilnahme am öffentlichen Leben iſt Pflicht jedes
Staats=
bürgers; parteipolitiſche Werbung ins Vereinsleben zu tragen,
iſt unterſagt. Darum müſſen die Turnvereine als ſolche auch
heute allen Lockrufen von rechts wie links ihre Ohren
verſchließen. In eigener Erkenntnis und unter eigener
Ver=
antwrotung müſſen ſie ihre Ausbildung den Erforderniſſen der
Zeit anpaſſen und ihre Mitglieder tüchtig und bereit machen,
im rechten Augenblick dem Vaterlande ganz zur Verfügung zu
ſtehen. Wer das ganze deutſche Volk zur Einheit und
Frei=
heit führt, wird die D. T. geſchloſſen hinter ſich haben.
Radſpoxt.
Das „Winter=Saalſportfeſt” des Velociped=Club 1899.
Ein Ereignis im Radſport bedeutet das alljährliche „
Win=
ter=Saalſportfeſt” das der Velociped=Club 1899 am 13. Januar,
3½ Uhr nachmittags, im Städtiſchen Saalbau abhält. Das
Winterſportfeſt des V.C.D. iſt ſeit Jahren das anerkannt größte
Saalſportfeſt Süddeutſchlands und ſah infolge des
hervorragen=
den Sportes, der hier in Darmſtadt geboten wird, ſtets
Vertre=
ter aller Gaue und namhafter Vereine als Gaſt. In dieſem
Jahre bildet das „Winterſportfeſt” zugleich den Auftakt zum
25jährigen Vereinsjubiläum, das der V.C.D. in den Monaten
April/Mai begeht und wozu große Wettbewerbe im Renn=,
Saal= und Wanderſport, ſowie im Korſo vorgeſehen ſind. Das
Sportprogramm zum „Winterfeſt” iſt wiederum außerordentlich
reichhaltig zu nennen. Es beſteht in 6er Kunſtreigen, 2er
Kunſt=
fahren, Kunſtquartett, Jugend=, Damen=, Schmuck= Bogen=,
Licht= und Schulreigen. Eine Hauptanziehungskraft dürſte das
Jubiläums=Radballſpiel bilden, das zwiſchen großen, bekannten
Radballſpielern ſtattfinden wird. Die Ausſchreibung hierzu iſt
ergangen, und folgt nach Meldeſchluß an dieſer Stelle weitere
Mitteilung. Ebenſo wird es der Darmſtädter Sportgemeinde
möglich ſein, die durch ihre ſteten Siege bekannt gewordenen
Mannſchaften des feſtgebenden Vereins kennen zu lernen. Wir
erwähnen hier die Ger Kunſtreigenmannſchaft (
Süd=
deutſcher Meiſter 1922 und 1923), die es in der letzten Deutſchen
Mciſterſchaft bis zum dritten Platz brachte, ferner das
Kunſt=
quartett aus 2 Damen und 2 Herren des V.C.D. Auch die
Schmuck=, Bogen= und Lichtreigen treten am 13. Januar
erſt=
malig in Neueinſtudierung auf und bringen ſomit für viele
eite Ueberraſchung. Ein 6er Nadpoloſpiel — das durch
Radballſpiele ſeither vernachläſſigt wurde — iſt ebenfalls in das
Programm aufgenommen und bildet ebenfalls für viele etwas
Neues. Inzwiſchen iſt auch in der Rennbahnfrage der Darmſtädter
Raoler ein Schritt vorwärts getan. Es ſteht zu hoffen, daß mit
dem Wiederaufbau der hieſigen Rennbahn in Bälde begonnen
Siewener.
werden kann.
Fußball.
Sportverein Darmſtadt — V.f.R. Mannheim=Neckarau, 5:1.
e Am geſtrigen Sonntag war der Darmſtädter Jugend
Ver=
gnügen ſportlicher Art in jeder Weiſe ſicher geſtellt. Wer ſeinen
Weg in jüdöſtlicher Richtung aus der Stadt nach den
angrenzen=
den Wäldern nahm, konnte in hellen Scharen die Rodler, Schnee=
und Schlittſchuhläufer nicht halten, in ihrem je gefälligen
Ele=
ment tummeln zu ſehen. Der prächtige Wintertag erfüllte wie
nie zuvor alle Vorausſetzungen, ſo daß jeder einzelne ſicher nach
Herzensluſt auf ſeine Rechnung kam. Auch der Sportverein
Darmſtadt mit ſeinen Fußballern hatte ſeinen großen Tag. Nicht
zuletzt zogen auch zu ihm in ſelten großer Zahl ſeine Anhänger
nach den Sportplätzen am Böllenfalltor, dem eigentlichen Ziel, dem
Hochſchulplatz, den man in letzter Stunde in liebenswürdiger
Weiſe zur Verfügung geſtellt hatte. Ein eigenartig gefälliges
Bild bot ſich in tiefer Schneelandſchaft als der Schieosrichter,
Herr Beinig vom Verein für Raſenſport=Frankfurt, zwei
Liga=
mannſchaften das Zeichen zum Spielbeginn gab, die zurzeit als
die Beſten der Kreisliga des Rheinbezirkes im Süddeutſchen
Fußballverbande gelten. Was im Spiele ſtand, war vielen
be=
kannt, was aber nur wenige erwartet hatten, brachte heute die
Liga des Sportvereins gegen einen anerkannt tüchtigen Gegner
aus der für alle Fußballer berüchtigten Mannheimer=Ecke fertig.
Mit 5:1 Toren bezwangen ſie den Tabellenführer der Kreisliga
des Neckarkreiſes in offenem und ehrlichem Spiel, das auch auf
einwandfreiem Boden kein anderes Reſultat gezeitigt hätte. Die
Darmſtädter gaben ihren Kollegen aus Mannheim zu verſtehen,
daß die Zeiten vorbei ſind, wo man ſprichwörtlich ſagte, daß man
ſchon auf der Reiſe nach der ehemaligen Reſidenz, ohne auf dem
Spielfeld anzutreten, den Fußballer=Sieg in der Taſche hat. In
eifrigem und ſtetem Bemühen nach Verbeſſerung ihrer Leiſtung
haben ſich Sportvereins führende Elf zu einem Gegner entwickelt,
der nicht mehr unterſchätzt werden darf. Das heutige Spiel der
Einheimiſchen zeigte Syſtem und Ueberlegung. Wie
Müllmer=
ſtadt, Becker und Bärenz,, der übrigen Mannſchaft
eif=
riges Bemühen, zu Erfolge führten, war eine Luſt zu ſchauen.
Und daß dies heute einem Gegner wie Neckarau gegenüber
gelun=
gen iſt, iſt umſo höher einzuſchätzen. Trotz gutem
Zuſammen=
ſpiels und Technik, was rückhaltlos anerkannt werden muß,
konn=
ten ſie den Einheimiſchen nie ſo recht gefährlich werden.
Sicht=
lich konnten die Unſeren es vielmals beſſer und das gab dem
Spiel letzten Endes den Ausſchlag. Abgeſehen von einer kleinen
Schwächeperiode ſpielten ſie gleichmäßiger als ihr Gegner, der
von Anfang zu gewinnen glaubte. Der ſonſt als ſpieltüchtig
be=
kannte Verein konnte an Leiſtung der Einheimiſchen nicht die
beſſere entgegenſtellen und damit war ſeine einwandfreie
Nieder=
lage beſiegelt, die ſicher in weiteren ſportlichen Kreiſen in einer
ſolchen Höhe nicht unberechtigtes Aufſehen erwecken wird. Als
die Abendſonne hinter den Abhängen des Odenwaldes den
herr=
lichen Wintertag zu enden begann, zogen auch die Anhänger des
Raſenſportes mit allen anderen Winterſportlern befriedigt nach
Hauſe.
Ueberraſchungen im Mainbezirk.
* Die Spiele im Mainbezirk am geſtrigen Sonntag brachten
wiederum nicht die gewünſchte Klärung. Die Lage iſt nur noch
verworrener. In Offenbach ſpielten die Kickers Offenbach mit
dem Fußballverein Frankfurt und ſchlugen ihn nach
intereſſan=
tem, ſpannenden Kampf mit 2: 1, wodurch die Kickers endgültig
in der Bezirksliga verbleiben, und Fußballſportverein mit
Ein=
tracht in den Verluſtpunkten gleichſteht. Helvetia ſchlug
Aſchaffen=
burg mit 2:0 und ſicherte ſich dadurch ebenfalls die Bezirksliaa,
während Aſchaffenburg mit ziemlicher Sicherheit der zweite
Ab=
ſtiegskandidat wird. Einen leichten Sieg erfochten die Hanauer
gegen den Tabellenletzten, den Sportverein Offenbach, mit 5:0.
Das Spiel Eintracht=Bürgel fiel aus, da der Schiedsrichter
Hering=Mannheim den Platz mit Recht für ſpielunfähig erklärte.
Weitere Ergebniſſe.
Bayern München — Augsburg 5: 2.
Pforzheim — Sp.=Cl. Stuttgart 1:2.
Kickers Stuttgart — Mühlburg 1:0.
Sp.=V. Wiesbaden — 3. Bezirk Budapeſt 1:2.
Biebrich — Neunkirchen 0:4.
Saar Saarbrücken — Elversberg 5 :2.
St. Ingbert — Sulzbach 2: 2.
Sp.=V. 05 Saarbrücken — Brebach 2: 1.
Völklingen — Saarlouis 5: 3.
V.f. R. Bürſtadt — Vorwärts Mannheim 3
Viernheim — 07 Mannheim 4: 2.
Hockenheim 08 — Hertha Mannheim 1:0.
Hamburger Sp.=V. — Konkordia 4: 1.
Viktoria Hamburg — St. Pauli 7: 3.
St. Georg Hamburg — Uhlenhorſt Herta 6: 1.
Union Hamburg — Nienſtädt 4: 2.
Altona — Teutonia Hamburg 3: 1.
St. Pauli Sp.=V. — Kilian Kiel 2:0.
Vorwärts Berlin — Südſtern 6:4.
V. f. B. Pankow — Wacler 6:4.
Union Niederſchönweide — Minerva 9: 2.
Weißenſee 1900 — Weißenſee Herta 3: 2.
Berliner Sp.=V. — Hellas 5:0.
Stern Steglitz — Viktoria (harlottenburg 5:1.
Winterſport.
Die badiſchen Rodelmeiſterſchaften.
Die badiſchen Rodelmeiſterſchaften in Triberg ergeben:
1. Schmitt=Triberg, 2:23; 2. Scheuch=Frankfurt, 2:27; 3. Neff=
Triberg, 2:28.
Die ſächſiſchen Rodelmeiſterſchaften.
Die ſächſiſchen Rodelmeiſterſchaften kamen in Oybin bei
Zittau, wo am 27. Januar auch die deutſchen Meiſterſchaften
entſchieden werden, zum Austrag. In dem Wettbewerb für
Herren ſiegte Röhnſch in 7:19; für Damen Frl. Wäble in 7:29,2;
für Doppelfahrer Weißgrawe—Hähnig, beide aus Zittan, in
7:28,6.
Eisſchnellaufen in Breslau.
Als Auftakt zu den kommenden Eisſportveranſtaltungen in
Breslau veranſtaltete der Breslauer Eislaufverein am
Sonn=
tag zum erſtenmal Eisſchnellaufen, die einen ungeahnten Erfolg
hatten. Weit über 10 000 Perſonen umſäumten ſtundenlang die
Bahn. Leider wurden die Leiſtungen durch die fortdauernden
Schncefälle ſehr beeinträchtigt.
Ergebniſſe:
100 Meter: 1. Heinzelmann, 11,1 Sek., 2. Podolski,
13 Sek.
400 Meter: 1. Heinzelmann, 55 Sek., 2. Büttner und
Denkert.
800 Meter: 1. Heinzelmann, 2,3 Min., 2. Sporländer,
2,18, 5. Büttner, 2,23.
Motorrad=Winterſport durch Deutſchland.
3600 Kilometer in 17 Etappen.
Die Vorarbeiten für die große Materialprüfungsfahrt des
Klub für Motorſport=Köln ſind zu einem gewiſſen Abſchluß
gelangt. Die Strecke iſt mit kleinen Aenderungen im allgemeinen
die geplante geblieben. Sie führt von Köln über Limburg—
Frankfurt — Mainz — Worms — Ludwigshafen — Mannheim
— Heidelberg — Karlsruhe — Pforzheim — Stuttgart — Ulm —
Augsburg — München — Jgolſtadt — Weißenburg — Nürnberg
— Bamberg — Koburg — Erfurt — Weimar — Merſeburg —
Leipzig — Meißen — Dresden — Görlitz — Liegnitz — Breslau
— Grüneberg — Frankfurt a. O. — Berlin — Stettin —
Greifs=
wald — Stralſund — Roſtock — Wismar — Lübeck — Kiel
Hamburg — Harburg — Rotenburg — Bremen — Verden —
Soltau — Celle — Hannover — Paderborn — Soeſt —
Dort=
mund — Hagen — Elberfeld — Düſſeldorf — Köln. Wenn die
Schneeverhältniſſe es zulaſſen, wird eventuell wie folgt gefahren:
Stuttgart — Ulm — Konſtanz — München uſw. Die Strecke iſt
in 17 Etappen eingeteilt. Der Start findet am 17. Februar,
vormittags 8,30 Uhr, in Köln ſtatt.
Die Meldungen ſind ſo zahlreich eingelaufen, daß der
ur=
ſprüngliche Plan, für die erſte große Prüfungsfahrt nur 20 Fahrer
vom Start zu laſſen, aufgegeben werden mußte, da weit über die
doppelte Anzahl Meldungen bereits vorliegen und täglich weitere
einlaufen. Der Meldeſchluß iſt für Nachmeldungen endgültig
auf den 10. Januar feſtgeſetzt.
Die Organiſation dieſer etwa 3600 Kilometer langen Strecke
wird von den einzelnen Gauen des A. D. A. C. ſowie den Adac=
Motorradklubs übernommen; dieſe haben auch das größte
Ent=
gegenkommen für das Beſchaffen von Privatquartieren und allen
weiteren Annehmlichkeiten in Ausſicht geſtellt. Die Wertung
ge=
ſchieht nach Punkten, und zwar erhalten die Fahrer für je
ange=
fangene 10 Minuten zu ſpäten oder zu frühen Ankommens in
den Etappen bezw. in den Kontrollſtationen einen Strafpunkt.
Die Maſchinen müſſen nach Ankunft in den Etappen zur
Kon=
trolle in gemeinſame Garagen zur neutralen Bewachung
abge=
geben werden. Hier verbleiben ſie bis 45 Minuten vor dem
Start am nächſten Morgen. Mit Genehmigung der
Sport=
kommiſſion können dringende Reparaturen nach Ankunft in den
Etappen ausgeführt werden; es wird dabei für jede
angefan=
genen 20 Minuten ein Straſpunkt in Anrechnung gebracht.
Rahmen und Motor werden plombiert, jedoch ſo, daß der
Zylin=
der demontiert werden kann.
Deutſcher Motorradfahrer=Verband.
Das Programm des Jahres 1924.
Der Deutſche Motorradfahrerverband will das
nächſtjährige Sportprogramm weſentlich ausbauen. In einer
kürzlich ſtattgefundenen Sitzung des erweiterten Vorſtandes
wur=
den die Veranſtaltungen des Jahres 1924 feſtgelegt. Beſonders
intereſſieren die Straßen= und Bergmeiſterſchaften,
die in zwei Gruppen gefahren werden: a) ſür Maſchinen bis 250
Kubikzentimeter, b) für ſolche über 250 Kubikzentimeter. Dieſe
Meiſterſchaften werden, um Zufallsſiege auszuſchalten, in einer
Reihe von Veranſtaltungen ausgefahren; die beſte
Geſamtpunkt=
zahl ergibt den Meiſter. Für die kleineren Maſchinen ſind zirka
vier, für die ſchwereren Maſchinen ſechs bis acht zur Meiſterſchaft
zählende Rennen geplant.
Eine wertvolle Bereicherung erfährt das Programm
weiter=
hin durch die Nord=Süd=Expreßfahrt von Hamburg
über Berlin, Leipzig, Nürnberg nach München, deren
voraus=
ſichtlicher Termin der 16. und 17. Auguſt ſein ſoll. Für
Leicht=
krafträder beginnt die Fahrt in Leipzig. Nachſtehend geben wir
die für das nächſte Jahr geplanten größeren Veranſtaltungen
wieder: 20., 21. April: Sternfahrt der Landesgruppe Süd nach
Kehlheim; 4. Mai: Rund um Zobten; Zuverläſſigkeitsfahrt durch
den badiſchen und heſſiſchen Odenwald; Wanderfahrt durch
Brandenburg; 11. Mai: Süddeutſcher Tourenpreis, etwa 200
Kilometer Rundſtrecke bei Nürnberg; 18. Mai: Rund um den
Petersberg; Fahrt durch den Aiſchgrund (M. K. Erlangen);
29. Mai: Avus=Rennen (M. K. Berlin), 150, 200, 250
Kubik=
zentimeter, Seitenwagen unter 650. Kubikzentimeter, über 650
Kubikzentimeter; 1. Juni; Breslau—Stettin (M. K.
Bres=
lau und Stern=Stettin); Flach= und Bergrennen bei
Gunzen=
hauſen (V. N. F. M. Gunzenhauſen und M. K. Erlangen);
8. bis 9. Juni (Pfingſten): Großer Preis der Opelbahn
(Opelbahnrennen); 15. Juni: Süddeutſche
Zuverläſſig=
keitsfahrt; 22. Juni: Hindernis= und Querfeldeinfahren
(V. N. F. M., M. F. Erlangen, M. K. Bamberg=Forchheim);
29. Juni: Swinemünder Bäderrennen (M. V. D.);
Großer Wanderpreis von Deutſchland; 6. Juli:
Rieſengebirgs=
wanderfahrt, Landesgruppe Südoſt; „Bergrennen Königsſtuhl
D. M. V.); 13. Juli: Großer Motorradpreis von
Norddeutſchland, Braunſchweig: 20. Juli: Oſtdeutſche
Straßenmeiſterſchaft (N. K. Breslau), offen für alle
D. M. V.=Mitglieder; Bergprüfung am Ratsberg bei Erlangen
(V. N. F. M., M. K. Bamberg=Forchheim und Erlangen);
24. Juli; Großer Sachſenpreis für Klein= und
Leicht=
motorräder; 3. Auguſt: Durch Schleſiens Berge; Großer
Bayernpreis, Rennen über 120 Kilometer, 250 Kubikzentimeter,
200 Kilometer über 250 Kubikzentimeter, Rundſtrecke: 10. Auguſt:
Bergrennen Inſelberg; 17. Auquſt: Avus=Rennen, 350, 575
und 750 Kubikzentimeter, Klubmeiſterſchaft, 120. Kilometer;
24. Auguſt: Bayeriſche Bergmeiſterſchaft am
Meiß=
marder bei Neumark (Landesgruppe Süd V. N. F. M.); 9.
Sep=
tember: D. M. V.=Herkules=Bergrennen; 14.
Sep=
tember: V. Fränk. Zuverläſſigkeitsfahrt (
Landes=
gruppe Süd, V. N. F. M.); 21. September: D. M. V.=Her ſtfahrt:
28. September: Grunewald=Berarennen (M. K. Berlin);
Schäft=
larner Bergrennen (Sturmvögel München); 5. Oktober; IV.
Prü=
fungsfahrt Mannheim—Waldhof-Käferthal.
Seite G.
Darmſtädter Dagblatt, Montag, den 2. Januar 1924.
8888SSSSSS
9888888888888888S8S8889898S8S889SSS388S33588353333953655935888353938333883338383333333888333SSSOSSSNSNSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSRSSSSSSSSSSS
Aufheben!
Ausſchneiden!
Die 2. Steuernotverordnung.
Um mit dem vielleicht Tröſtlichſten zu beginnen: Es
be=
ginnt ein großes Reinemachen: Eingeſtellt werden
Ver=
anlagung und Erhebung folgender Steuern: Wehrbeitrag,
Beſitzſteuer, Kriegsſteuer 1916, Kriegsabgabe
1918 und 1919, Kriegsabgabe vom
Vermögens=
zuwachs, Reichsnotopfer, Abgabe nach 8 37
Verm. StG., EinkSt. 1920 und 1921, gSchSt. aus
gleichen Jahren. Rechtsanſprüche auf Anrechnung oder
Erſtattung vorgenannter Steuern werden nur vorbeſchieden,
ſofern ſie vor 22. Dezember geltend gemacht wurden. Die
Ver=
ordnung gliedert ſich in 19 Artikel. Art. I. Eink= und KSchSt.
für 1923/24, II. Verm. St, III. Erbſch. St, II. Umſatzſt, I. Kap.=
Verk. St, II. Wechſelſt, III. Börſenſt, UIII. Grund= u
Ge=
werbeſt, IX. Verſich. St., X. Rennwett= u. Lotterieſt., II.
Kraft=
fahrzeugſt, XII. Verbrauchsabgaben, XIII. Zölle, XIV.
Brannt=
weinmonotol, XVl. und Fl. Steuergeldſtrafen, Beſteuerungs=
und Steuerſtrafverfahren. XVII. Kapitalflucht, XVIII. Zuſchläge
für Steuerrückſtände (Zinſen), XIK. Schlußbeſtimmungen.
Art. I. Eink.= und KSchSt. 1923 und 1924.
A. Steuerſchuld für 1923.
Eine EinkSt. 1923 wird nicht veranlagt. Zu den bisher auf
ſie geleiſteten Vorauszahlungen wird eine
Abſchlagszah=
lung gefordert, die von allen auf Grund des Geſetzes vom
9. Juli/11. Aug. 1923 verpflichteten EinkStPflichtigen bis 10.
Januar 1924 zu leiſten iſt. Dieſe beträgt für natürliche
Perſonen 0,40 Goldmark für jedes volle
tau=
ſend Mark der Jahresſteuerſchuld 1922. Als
Jahresſteuerſchuld gilt die für 1922 feſtgeſtellte EinkSt. nach
Ab=
ſetzung des in 1922 einbehaltenen Steuerabzugs. Sofern ein
Geſchäftsabſchluß vor 1. Juli 1922 der EinkStFeſtſtellung
zu=
grunde lag, iſt als Abſchlußzahlung 1,60 Gmk. (alſo das 4fache)
für jede volle 1000 Mk. der Jahresſteuerſchuld zu zahlen. Dieſe
Abſchlußzahlung, verbunden mit den für 1923 geleiſteten
Voraus=
zahlungen, bildet die a.s bezahlt zu betrachtende endgültige
CinkSt. 1923. Stehen die für 1923 geleiſteten Zahlungen (
Vor=
aus=, Abſchlußzahlung, Lohnſteuer) außer Verhältnis zur
Lei=
ſtungsfähigkeit des Pflichtigen, kann FAmt die
Ab=
ſchlußzahlung unter Berückſichtigung des Verbrauchs
anderweit feſtſetzen. (Hier gibt aber der Fiskus nichts
heraus: Erſtattungen der Vorauszahlungen und von Lohnſteuer
finden nicht ſtatt.) Verbrauch ſind insbeſondere die zur
Beſtrei=
tung des Haushalts und der Lebensführung des Pflichtigen, zu
ſeinem und der Familie Unterhalt aufgewendeten Beträge,
Aus=
gaben zum Erwerb von Gegenſtänden aus edlem Metall, Kunſt=,
Schmuck= und Lurusgegenſtänden, Sammlungen, Hausrat und
anderen beweglichen körperlichen Gegenſtänden des Ge= und
Verbrauchs. Zum Verbrauche gehören nicht Medikamente
und andere Gegenſtände für Heilzwecke und zum Ausgleich
kör=
verlicher Gebrechen; auf Antragkönnen auch andere
Aus=
gaben, die infolge von Krankheiten (
unglücks=
fällen) verurſacht ſind, zom FAmt als ſteuerfrei erklärt
wer=
den. (RFMiniſt. kann Pauſchſätze für Schätzung des Verbrauchs
aufſtellen.)
Körperſchaften haben bis 10. Januar 1924 als
Abſchlußzahlung, ſofern das Kalenderjahr ihr Geſchäftsjahr iſt,
0,60 Gmk. für jede volle 1000 Mk. KSchStSchuld 1922 zu
ent=
richten. Sofern es ſich mit dem Kalenderjahr nicht declt und
Veranlagung für 1922,/23 noch nicht vorliegt, haben ſie gleichfalls
060 Gmk auf Grund der KSchStSchuld 1921/22 bis 10. Januar
1924 zu leiſten, womit Steuerſchuld 1923 bezw. 1922/23) getilgt
iſt. Daneben haben aber die außerhalb des
Kalenderjahres ſtehenden
Erwerbsgeſellſchaf=
ten für jeden zum Geſchäftsjahr 1923/24
ge=
hörenden Monat des Kalenderjahres 1923 bis
10 Januar 1924 gleichzeitig 1= Gmk. für jede vollen 1000
Mark der ASch StSchuld 1921,/22 zu leiſten, wobei die für 1923/24
bereits entrichteten Vorauszahlungen mit dem Goldwert
anzu=
rechnen ſind. Damit iſt die für den mit dem 31. Dezember
ab=
laufenden Teil des Geſchäftsjahres 1923,/24 zu zahlende KSchSt.
getilgt. Auch hier kann, wenn die Steuerzahlung „außer
Ver=
hältnis zur Leiſtungsfähigkeit ſteht, FAmt anderweite
Feſt=
ſetzung treffen. Erſtattungen von Voraus=. Nach= und vorläufigen
Zahlungen finden nicht ſtatt. KSchStPflichtige, die zu einer
Zahlung auf Steuerſchuld für Geſchäfts=(Wirtſchafts=)Jahr 1923
oder 1922/23 oder für den mit 31. Dez. 1923 ablaufenden Teil des
Geſchäftsjahres 1923/24 nicht verpflichtet ſind, haben eine „nach
der Leiſtungsfähigkeit” vom FAmt feſtzuſetzende Zahlung zu
entrichten.
B. Zahlungen im Kalenderjahr 1924.
1. Vorauszahlungen.
Für Bemeſſung der im Kalenderjahr 1924 zu leiſtenden
Vorauszahlungen auf Einkommen= und
Körper=
ſchaftsſteuer gilt (Veranlagung für 1924 kommt erſt in
1925!) Bis 29. Februar, 15. Mai, 15. Auguſt und 15. November
1924 ſind zu zahlen: für Einkommen aus land= und
forſtwirtſchaftlichen Betrieben vierteljährlich
je 1 Goldmark für je 1000 Mark, des der
Ver=
mögensſteuerveranlagung für 31. Dezember
1923 zugrunde gelegten Vertes des
ſelbſt=
bewirtſchafteten Grundſtücks und bis zur
Zu=
ſtellung des bezüglichen
Vermögenſteuerbefchei=
des des zuletzt für die Landabgabe
maßgeben=
den Wertes. Soweit Pachtverhältnis vorliegt,
min=
dert ſich die für ein Kalendervierteljahr zu leiſtende
Voraus=
zahlung um 10 b. H. des für das gleiche Kalendervierteljahr zu
leiſtenden Pachtzinſes. Dem Einkommen, aus Landwirtſchaft
gleichgeſtellt iſt ſolches aus Wein=, Hopfenbau, Obſt= und
Gemüſe=
zucht, ſonſtiger Bodenbewirtſchaftung.
Für Einkommen, aus Gewerbebetrieb, Bergbau
und körperſchaftsſteuerpflichtigen
Erwerbs=
geſellſchaften beträgt die jeweilige Quartalsſteuer
2 v. H. der im abgelaufenen, für die Umſatzſteuer maßgebenden
Vorauszahlungsabſchnitt erzielten Roheinnahmen, gekürzt
um die dem Steuerabzug unterworfen geweſenen Lohn= und
Ge=
haltsaufwendungen (8 5). Zahlung iſt binnen zehn
Tagen nach Ablauf des
Vorauszahlungs=
abſchnitts zu entrichten. RFMiniſter kann anordnen,
daß offene Handels= und Kommanditgeſelſchaften für die
Geſell=
ſchafter die Vorauszahlung leiſten. Zu den Roh/Betriebs=
Ein=
nahmen gehören insbeſondere: Entgelte für Lieferungen und
ſonſtige Leiſtungen des Betriebs, Entnahmen von Gegenſtänden
aus dem Betriebe zu privatem Ge= und Verbrauch, Zinſen
und ſonſtige Bezüge aus Forderungen und Wertpapieren, die
zum gewerblichen Vetriebsvermögen gehören. Umſätze von
Geld=
forderungen (Wechſeln, Schecks, Panknoten, Papiergeld,
Geld=
ſorten und inländiſche amtliche Vertzeichen) gelten, nicht als
Betriebseinnahmen.
Zum Zweck beſſerer Anpaffung an mutmaßliches
tatſächliches Einkommen kann RFMiniſter einvernehmlich mit
RBMiuiſter Anordnungen erlaſſen über weitere Ausſchei=
dung beſtimmter Arten von Betriebseinnahmen, weiteren Abzug
beſtimmter Arten von Betriebsausgaben, anderweite Feſtſetzung
der Vorauszahlungen, inſoweit die Betriebseinnahmen keinen
zutreffenden Maßſtab für die vorgeſehene Höhe der Steuer
er=
geben. (Exporthandel, Banken.) — Für Vorauszahlungen von
Handwerkern und Kleingewerbetreibenden
kann RFMiniſter Durchſchnittsſätze feſtſetzen.
anderer ſelbſtändiger Arbeit, (8 9, Nr. 2 und 4
EinkStG.), aus nicht unter Land= und Forſtwirtſchaft fallendem
Grundbeſitz (auch Vermietung und Verpachtung), ferner aus
85 5, 11 EinkStG. (Leibrenten, Entſchädigungen, Lotterie= und
Sbekulationsgewinne) berechnet ſich die Vorauszahlung nach dem
Ueberſchuß der Einkünfte über die Werbungskoſten, den der
Pflichtige während der Dauer, der Steuerpflicht im
Voraus=
zahlungsabſchnitt aus den bezeichneten Einkommensarten
er=
zielte. Die Vorauszahlung beträgt: für die erſten (
ange=
fangenen oder vollen) 2000 Goldmark des Ueberſchuſſes im
Kalendervierteljahr 10 v. H., vermindert um je 1 v. H. für
Ehe=
frau und jedes minderjährige Kind von dem ſich ergebenden
Steuerbetrag, für 2000 Goldmark überſteigende Beträge 20 v. H.
(Vorauszahlung binnen 10 Tagen nach Ablauf des
Kalender=
quartals zahlfällig!)
RFMiniſter kann den freien Berufen hinſichtlich der
Voraus=
zahlungen gleichſtellen die Berufe der Nechtskonſulenten,
Stellen=
vermittler, Heilkundigen, Hebammen, techniſchen Lehrer, Inhaber
von Privatſchulen uſw.
Vorauszahlung iſt nicht zu leiſten, wenn ſie in des Zwiſchenhandels zuführt.
einem Vierteljahr 5 Goldmark, bezw. unter Zugrundelegung des
Verbrauchs 20 Goldmark nicht überſteigt.
wird im Wege des Steuerabzugs vom Lohn beſteuert. Hat
Arbeit=
nehmer im abgelaufenen Kalenderquartal Arbeitslohn von mehr
als 2000 Goldmark oder Arbeitslohn und Einkommen aus
Grundbeſitz, freien Berufen, Einnahmen nach 88 5, 11 EinkStG.
mit zuſammen mehr als 2000 Goldmark bezogen, ſo ſind
Voraus=
zahlungen (10 bezw. 20 v. H. binnen 10 Tagen nach Ablauf des
Quartals zu leiſten. Der Arbeitslohn wird hierbei lediglich um
die Werbungskoſten gekürzt, die beim Steuerabzug vom
Arbeits=
lohn im verfloſſenen Quartal berückſichtigt wurden. (50
Gold=
mark monatlich bleiben zur Abgeltung der nach 88 13 Abf. 1
Ziff. 1—7 59 EinkStG. zuläſſigen Abzüge frei; auf Antrag iſt
erhöhung des freien Satzes zuzulaſſen, wenn Arbeitnehmer
nach=
weiſt, daß die ihm zuſtehenden Abzüge nach 88 13 Abſ. 1 Nr. 1—7,
59 EinkStG. den Betrag von 50 Goldmark überſteigen: Erhöhung
ferner auch, wenn Vorausſetzungen des 8 26 Abſ. 2 EinkStG.
vorliegen.) Antrag vorbeſcheidet FAmt. RFMiniſter kann den
im 8 26 Abſ. 2 EinkStG, vorgeſehenen Betrag anderweitig
feſt=
ſetzen. Auf die Vorauszahlungen ſind die im Wege des
Lohn=
abzugs im abgelaufenen Quartal einbehaltenen und abgeführten
Beträge anzurechnen.
Die Zinſen von wertbeſtändigen Anleihen, die in
Schuldbüchern eingetragen oder über die
Teilſchuldverſchreibun=
gen ausgegeben ſind, und Dividenden, Zinſen, Ausbeuten und
Bonus, welche entfallen auf Aktien, Kuxe, Genußſcheine,
Reichs=
bank=, Kolonialgeſellſchaftsanteile, Anteile an Bergbau
treiben=
den Vereinigungen mit juriſtiſcher Perſönlichkeit, an
Genoſſen=
ſchaften, an G.mb.H. werden im Wege des Steuerabzugs
vom Kapitalertra beſteuert.
Es iſt noch nicht lange her, da wurde die Kapitalertragſteuer
außer Hebung geſetzt, nachdem gewichtige Stimmen aus der
Praris betont hatten, daß die Erträge aus der Steuer weniger
ergäben, als der für die Erhebung aufgewendete Apparat; nun
lebt die Steuer wieder auf.
Inländiſche Kapitalerträge, als welche namentlich aufgeführt
ſind: 1. Zinſen aus wertbeſtändigen, in Schuldbüchern
einge=
tragenen Anleihen oder über die Teilſchuldverſchreibungen
aus=
gegeben ſind, 2. Dividenden, Zinſen, Ausbeuten (ſ. oben!)
wer=
den durch Einbehaltung von 10 Prozent durch vom Schuldner
zu bewirkenden Abzug beſteuert. Auch der Bonus wird getroffen,
denn als Kapitalertrag gelten auch beſondere Entgelte oder
Vor=
teile, die neben Kapitalerträgen (Ziff. 1 und 2) oder an deren
Stelle gewährt werden. Dem Abzug unterliegt der volle
Kapital=
ertrag, ohne Abzug von Schuldzinſen, Werbungskoſten und des
als Steuer abzuziehenden Betrags. Ein nicht in Geld
beſtehen=
der Ertrag iſt nach dem gemeinen Wert in Geld
um=
zurechnen. Schuldner hat die Steuer bei Fäligkeit des
Kapitalertrages für Nechnung des gläubigeriſchen Steuerträgers
einzubehalten und binnen, einer Woche nach Fälligkeit an das
für den Schuldner zuſtändige Finanzamt abzuführen, dies auch
dann, wenn Gläubiger den Kapitalertrag nicht einfordert,
Schuldner haftet für Entrichtung des Abzugs.
Körperſchaftsſteuerpflichtige
Erwerbsgeſell=
ſchaften haben ſtatt Vorauszahlungen monatlich ½ vom
Tauſend des bei der
Vermögensſteuerveranla=
gung für 31. Dezember 1923 maßgebenden
Ver=
mögens zu entrichten, wenn der ſich hiernach ergebende
Be=
trag die nach 5 5 zu entrichtenden Vorauszahlurgen überſteigt.
Einnahmen, Ausgaben und Verbrauch ſind in Goldmark zu
berechnen, Vorauszahlungen nach dem Goldwert zu leiſten.
Der Reichsfinanzminiſter beſtimmt, ob und inwieweit der
Pflichtige gleichzeitig mit Entrichtung der Vorauszahlungen
eine Voranmeldung über Einnahmen und Ausgaben im
verfloſſenen Kalenderquartal oder dem kürzeren, für die
Umſatz=
ſteuer maßgebenden Vorauszahlungsabſchnitt einzureichen hat,
die auch auf die Angaben über die Höhe des Verbrauchs
ausgedehnt werden kann; er kann auch beſtimnen, inwieweit
beſendere Erklärungen über Höhe des Verbrauchs einzufordern
ſind. Die Voranmeldung gilt als
Steuererklä=
rung im Sinne der Reichsabg.O. Gibt der Pflichtige
friſtzeitig Voranmeldung nicht ab, ſo ſetzt das Finanzamt ohne
weitere Verhandlung mit dem Pflichtigen auf Grund
akten=
mäßiger Unterlagen oder Schätzung den vorauszuzahlenden
Be=
trag feſt. Gleiches gilt, wenn die Vorauszahlung den geſetzlichen
Vorſchriften nicht entſpricht.
Die Finanzämter können — auch vor Ablauf des
Voraus=
zahlungsabſchnitts — den Pflichtigen Beſcheide über Höhe und
Fälligkeit der Vorauszablungen erteilen; dies gilt auch dann,
wenn Verpflichtung zur Voranmeldung nicht beſteht; die
Finanz=
ämter können den Verbrauch als Maßſtab für Höhe der
Voraus=
zahlung mitberückſichtigen.
(Fortſ., folgt)
Mit Wirkung vom 3. November iſt verordnet: In dieſem
Verfahren iſt eine Gebühr zu entrichten, wenn ſich auf Grund
der Ermittlungen ein Steuerbetrag ergibt, der den der
Steuer=
erklärung entſprechenden Steuerbetrag um mehr als ein Drittel
überſteigt. Gebührenpflicht leſteht nicht, wenn die Angaben, mit
denen die Steuererklärung hinter dem Ermittlungsergebniſſe
zurückgel lielen iſt, durch Schwierigkeit der Wertabſchätzung oder
ſonſtigen entſchuldbaren Irrtum hervorgerufen wurde. Die
Gebühr beträgt 10 v. H. der Mehrſteuer,
min=
deſtens aber eine Goldmark. Iſt der Steurfeſtſetzung
eine Buchprüfung vorausgegangen, ſo erhöht ſich die
Ge=
bühr auf 20 v. H. der Mehrſt=uer, mindeſtens aber auf
drei Goldmark. Mehrſteuer im Sinne dieſer Verordnung
iſt der Betrag, um den die feſtgeſetzte Steuer die der
Steuer=
erklärung entſprechende Steuer überſteigt. — uns will ſcheinen,
der neue Reichsfinanzminiſter ſollte, anſtatt neue Gebühren auf
Grund der Reichsabgabeordnung zu erlaſſen, auf eine baldige
Für das Einkommen, der freien Berufe ſowie aus Neform dieſes letzteren Geſetzes im Sinne der
4 Tagung des Bamberger Juriſtentages beſorgt ſein. Dazu wäre
allerdings wohl nötig, praktiſche Steuerfachleute
heranzu=
ziehen. An dieſer Erkenntnis ſcheint es in den maßgebenden
Kreiſen noch zu fehlen.
Umſatzſieuer und Zwiſchenhandelsprivileg.
Wir entnehmen den „Bl. für Gen.=Weſen”: Zum
Zwi=
ſchenhandelsprivileg des 8 7 U.=St.=G. hat der große Senat
des R.=F.Hofs am 1. Oktober 1923 eine, auch für den Handel
bedeutſame Entſcheidung gefällt, die es erlaubt, von der
Steuer=
freiheit des 8 7 in größerem Umfange Gebrauch zu machen.
Die Auslegung des Geſetzes iſt durch dieſes Urteil
erwei=
tert worden. Es iſt feſtgeſtellt, daß eine Umſatzſteuorpflicht in
allen Fällen dann nicht in Frage kommen kann, wenn der
be=
auſtragte Fuhrunternehmer eine Menge vertretbarer. Sachen
vom liefernden Dritten für den Zwiſchenhändler in Empfang
nimmt und nach deſſen Weiſung entſprechend dem ihm
erteil=
ten Beförderungsauftrag in Teilmengen mehreren Abnehmern
Cine Freiſtellung von der Umſatzſteuer wird allerdings
auch dann nicht in Frage kommen, wenn der
Beförderungsun=
ternehmer zugleich als Lagerhalter des Zwiſchenhändlers
Einkommen aus nicht ſelbſtändiger Arbeit tätig wird, auch wenn es ſich hier nur um einen
vorübergehen=
den Zuſtand handelt. Vorausſetzung iſt vielmehr, daß die
Gegenſtände von dem Fuhrunternehmer nur zu dem Zwecke
ihrer Fortbewegung an den Empfänger in
Ge=
wahrſam genommen werden. Ebenſo wird Steuerfreiheit nicht
gegeben ſein, wenn der Zwiſchenhändler ſelbſt bei der
Verla=
dung der Waren mitwirkt, oder vom Eiſenbahnwaggon aus die
Warenſendung direlt an die einzelnen Beſteller verteilt.
Werklohn oder Kaufpreis als Grundlage der
Umſatzſteuer=
berechnung bei Verarbeitung vom Beſteller gelieferter, Stoffe?
(Reichsfinanzhof=Entſcheidung vom 5. 10. 1923). Die
Heeresver=
waltung hatte von einer Oelfabrik Laubfutterluchen bezogen, das
zur Herſtellung erforderliche Material hatte die Heeresverwaltung
der Oelfabrik gegen Bezahlung des Preiſes geliefert. Die
Fabrik, wegen des Kauforeiſes zur Umſatzſteuer herangezogen,
wollte nur den Mahllohn verſteuern. Letzterer
Auf=
faſſungtrat der Reichsfinanzhof bei. Zivilrechtlich
liegen zwei Verträge vor; ein Kaufvertrag über Lieferung von
Laubheumehl. Melaſſe und Futtekſtoffen ſeitens der
Heeresverwal=
tung an die Oelfabrik und ein Werkvertrag über Herſtellung des
Kuchens aus dem Material durch die Fabrik. Nicht der rechtliche
Vertragsinhalt allein iſt maßgebend, die wirtſchaftliche
Be=
deutung des Abkommens liegt in der Arbeitsleiſtung der
Oel=
fabrik, darin beſtehend, daß ſie aus den Rohſtoffen das
Arbeits=
erzeugnis herſtellt. Der Erwerb des Stoffes aus der Hand des
Beſtellers geſchieht im engſten Zuſammenhang mit dem Zwecke
der übernommenen Bearbeitung. Wirtſchaftlich hat ſolchenfalls
der Beſteller dem Unternehmer den Stoff
ver=
ſchafft, nicht hat letzterer ihn beſchaft. Vorliegend war alſo
Leiſtung (Bearbeitung), keine Lieferung der
Oelfabrik gegeben.
T. Aufwertung der Weinſteuer auf Goldmark. Sie iſt nach
dem Goldumrechnuugsſatz am Tage der Entſtehung der
Steuer=
ſchuld auf den Goldwert umzurechnen. Als Tag der Entſtehung
der Steuerſchuid gilt bei der Weinſteuer der letzte Tag des
Monats hinſichtlich der in dieſem Monat ſteuerpflichtig
gewor=
denen Weinmengen. Wird die Steuer innerhalb 1 Woche nach
Entſtehung der Steuerſchuld, alſo vom 1. mit 7. des
fol=
genden Monats, entrichtet (Schoufriſt), ſo iſt nur der
errechnete Papiermarkbetrag zu zahlen,
Aufwer=
tung findet nicht ſtatt. Erfolgt Zahlung nicht innerhalb dieſer
Schonfriſt, ſo wird der geſchuldete Papiermarkbetrag nach dem
am Tage der Entſtehung der Schuld (d. i. am letzten des
Mo=
nats) gültigen Goldumrechnungsſatz in Goldmark und bei der
Zahlung nach dem am Tage derſelben gültigen
Goldumrech=
nungsſatz in Papiermark aufgewertet. Erfolgt Zahlung erſt
nach dem 15, ſo findet neben Goldaufwertung noch die
Er=
hebung von 5 Prozent Verzugsziuſen jährlich vom
Goldmark=
betrag bis zum Zahlungstag einſchließlich ſtatt (abgeſehen von
dem etwa wegen verſpäteter Anmeldung einzuleitenden
Strafverfahren).
Wo bleibt das bayeriſche Finanzminiſterium? Mit Rückgabe
der Finanzhoheit bezüglich wichtiger Steuern an Länder und
Ge=
meinden iſt in kürzeſter Friſt beſtimmt zu rechnen. Die Münch.
N. N. fragen deshalb: 1. Was hat das bayeriſche
Finanzmini=
ſterium bisher getan, um in ſachlicher und organiſatoriſcher
Be=
ziehung für dieſe verwaltungsrechtliche Neuerung gerüſtet zu
ſein? 2. Iſt dem Finanzminiſterium be annt, daß infolge der
un=
genügenden Erhöhung der Gemeindeſteuern, verglichen mit allen
anderen Bundesſtaaten, die Gemeinden nach Auffaſſung aller
ihrer berufenen Intereſſenvertretungen dem ſteuerlichen
Erdroſ=
ſeltwerden nahe ſind? 3. Iſt es richtig, daß, da allen auf lange
Zeit zurückliegenden Feſtſtellungen zum Trotz, das bayeriſche
Fi=
nanzminiſterium völlig untätig geblieben iſt, der bayeriſche
Städtetag ſich genötigt geſehen hat, dem Herrn Finanzminiſter
Krausnick das ſchärfſte Mißtrauen förmlich auszuſprechen? Wir
möchten den Kern dieſer Fragen dem hinter verſchloſſenen
Türen tagenden Sonderausſchuß des Heſſ. Landtags
zur Beachtung empfohlen haben!
* Der Vund der bayeriſchen Landwirte hat in der am
(7. vorigen Monats in Nürnberg abgehaltenen
Hauptver=
ſammlung ſich auch mit den Steuerfragen befaßt. Die gefaßte
Entſchließung fordert: Wiederherſtellung der Steuerhoheit
und Selbſtändigkeit der Länder, Kreiſe, Bezirke und
Gemein=
den. Die direkten Steuern ſind den Ländern, die
in=
direkten, Zölle, Verbrauchs= und Verkehrsſteuern, dem Reich
zu überlaſſen. Die ſofortige Außerkraftſetzung der
Sonder=
ſteuern, wie Rhein=Ruhr=Abgabe und Landabgabe, ſowie die
Nichterhebung einer 5. Rate der Einkommenſteuer. Berichtigung
des Wehrbeitragswertes für Vermögensſteuerveranlagung und
Rentenbankgrundſchuld. Beibehaltung des Ertragswerts,
als allein richtigen Maßſtabs für Bewertung des landwirtſchaft=
* Koſien des Steuerermittlungsverfahrens. lichen Beſitzes. Steuerfreiheit des Kindeserbes,
Begrenzung der Steuertarife auf eine nicht zur
Zer=
ſchlagung des Grundbeſitzes führende Höhe. Aufhebung der
Umſatzſteuer. Weiterführung eines ordentlichen
Veranla=
gungsverſahrens und des Rechtsſchutzes der Steuerpflicht auch
bei, den in Kraſt beſindlichen Geſetzen.
Zahlungsvor=
ſchriften und Zahlungsfriſten. Befreiung des
Steuer=
pflichtigen von Arbeiten, die Aufgaben des Staates ſind.
Ver=
einfachung und Zuſammenlegung der beſtehenden
Steuern. Eine Velaſtung durch die Rentenbank darf nicht
ein=
ſeitig auf den landwirtſchaftlichen Teſitz gelegt werden.
Geſetz=
liche Einſührung des Anerbenrechts.
Amtse
imar, 7
hat die Kreisd
hörſchelman
affäre des Regi