Darmstädter Tagblatt 1923


27. Dezember 1923

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Morgenzeitung der Landeshauttſtadt
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Nummer 3: 2

Donnerstag, den 22. Dezember 1923 186. Jahrgang

des A

Berlin, 25. Dez. (Wolff.) Die heutigen Vorführungen
Radioſtunde wurden mit einem durch den Telephonieſender
Boxhauſe in Berlin übermittelten politiſchen Weihnachtsgruß
s Reichsranzlers Dr. Marx eröffnet, der folgendermaßen
rtet:
Die Weihnachtslieder brennen, das Feſt des Friedens
da. Wie froh und feſtlich war es einſt in allen deutſchen
iuen, wenn wir dies deutſcheſte aller Feſte feierten, wenn es
fchenke gab für jeden in der Familie, für Angeſtellte und Ar=
ter
, Gaben, die Freude waren für die Geber und die Nehmen=
r
. Heute ſind es nur Wenige, die geben und die empfangen
inen. Nicht einnial ein Weihnachtsbaum, der früher in jedem,
oſt dem ärmſten Hauſe, brannte, wird am heutigen Feſttag
allen deutſchen Häuſern brennen können.
Wir ſind verarmt,
verarmt, daß hunderttauſende deutſcher Volksgenoſſen ſchon
h ſein wergen, wenn ſie an den Weihnactstagen durch die
rreichen Wohlfahrtseinrichtungen des In= oder Auslandes
rnal in die Lage lommen werden, ſich fatt zu eſſen, ihren Hun=
zu
ſtilen. Am Weihnachtstag ſollen wir dan bar derer ge=
iken
, die Millionen unferes verarmten Volies eine Mahlzeit
p ein gemeinſames Beiſammenſein in warmen Räumen unter
r Lichterbaum bieten. Wir müſſendanken denedlen
enſchen, die in Holland und Dänemare, in der Schweiz und
Tſchechoflowakei, in Schweden und Norwegen, in Oeſterreich
. Amerita, die allenthalben in der Welt geopfert haben für as
bende deutſche Volr, für die Aermſten der Armen, die mit dem
agertode und mit heimtüciſchen Seuchen ringen. Wir dan=
r
. dem Auslande, das für die deutſche Not Verſtändnis
Mitgefühl emp fand, und wir danken auch gerade am Zeih=
Gtstage mit beſonderer Herzlichkeit den Auslandsd; ni=
en
, die, wo ſie auch immer ihre Exiſtenz begründe: häben,
offenen Händen und deutſchem Herzen gaben, was ſie geber.
riten. Wir danden auch den Deutſchſtämmigen in den verſchie=
en
Weltteilen und in den deutſchen Nachbarländern, daß ſie
ihrer Liebestätigkeit ein ſo herrliches Beiſpiel gegeben und in
bielen, die bisher gleichgültig oder unwiſſend waren, die Er=
Xtnis der deutſchen Not geweut haben
Dieſe Hilfsbereitſchaft menſchlich Denkender in allen Län=
n
der Welt iſt wie ein Lichtzeichen, das uns Hoffnung
tet in der Finſternis, Hoffnung, daß über Gedanken des
ſes und der Entfremdung doch einmal triumphieren ſoll der
Tanke menſchlicher Nächſtenliebe, menſchlichen Verſtehens und
rſchlicher Gemeinſamkeit. Wenn wir Briefe und Kundgebun=
erhalten
aus den ehemals feindlichen Ländern, von Leuten,
einſt ſelbft gegen uns im Felde geſtanden haben, dann fühlen
daß trotz Verhetzung und immer wieder neu geſchürtem eng=
figen
Chauvinismus der Gedanke des Friedens auf
Hen noch lebt.
Aber trotzdem iſt der wahre Friede noch fern,
ir fern. Heute noch ſchmachten Tauſende und Aber=
rſende
unſrer deutſchen Landsleute in finſte=
r
Gefängniſſen, fern von ihren Angehörigen, ohne
hnachtsbaum, ohne Weihnachtsfreude, weil ſie ihr Vaterland
* verraten oder zu ſchädigen vermochten, weil ſie deutſch
en und ihre Pflicht taten als Deutſche. Ihre Vaterlandsliebe,
Treue zu Volk und Reich führte ſie in die Kerker. Ihrer,
er edlen, treuen deutſchen Männer und Frauen, wollen wir
ke beſonders gedenken und mit ihnen fühlen. Ihnen gilt vor
nunſer herzlicher Weihnachtswunſch nach Freiheit und Frie=
Gerade unter den Lichtern des Weihnactsbaumes wollen
aber auch ferner derer gedenken, die ihr Deutſchſein, ihre
chttreue als deutſche Beamte und Bürger ver=
eben
hat von Haus und Hof. Zehntauſende ſind es,
innerhalb weniger Stunden, oft ſogar innerhalb weniger
ruten, ihre Häuslichkeit räumen mußten, räumen mußten un=
dem
Zwang von Bajonetten und Maſchinengewehren, die
5 zurüalaſſen mußten, was ſie in langen Jahren mühevoller
eit und Pflichterfüllung ſich erſpart und angeſchafft hatten,
Heute irgendwo, fern von den Angehörigen, in engen Räumen
in kalten, unfreundlichen Notwohnungen untergekommen
deren Familienmitglieder in Gefängniſſen ſchmachten oder
ihnen getrennt ſind durch feindliche Willkür. Dieſen Deut=
7, die in Zeiten größter Not ihrem Vaterland die Treue be=
rten
, die alles hingaben, um getreu zu bleiben ihrem Deutſch=
und ihrer Pflicht, dieſen wackeren, hochherzigen Landsleuten
im beſonderen unſer Weihnachtsgruß. Mögen auch ſie nach
in Darben und Leiden bald ein neues Heim finden, und
e ihnen die Gewißheit, daß jeder Deutſche ihre Pflicht und
erlandsliebe zu ſchätzen weiß, und anerkennt aus aufrichtigem
fen, ein freudiger Troſt ſein am Weihnachtsabend.
Trübe Weihnachten werden es auch noch für viele, leider viel
wiele andere ſein. Der deutſche Mittelſtand, der
Weihnachten ſorglos feiern konnte, iſt zuſammenge=
chen
. In vielen Angeſtellten=, Arbeiter= und Beamten=
klien
wird keine reine Weihnachtsfreude herrſchen, weil
Kündigungen und Erwerbsloſigkeit
befallen haben. 11 Millionen Vollerwerbsloſe
es im unbeſetzten Deutſchland, dazu faſt 2 Millionen
Tzarbeiter. Hinzu kommen noch die etwa 2 Millionen
erwerbsloſen im beſetzten Gebiet und wohl ebenſo viele
Barbeiter. Noch nie war die Zahl derer, die kein täglich
T verdienen konnten, größer. Schmerzlich für alle Betroffenen
ruch der Beamtenabbau. Die Regierung aber mußte

enden Staatszuſammenbruch vorzubeugen. Wollte die Re=
ing
die Sanierung der kranken Volkswirtſchaft erreichen, ſo
te ſie rigoros die Löſung zweier Aufgaben durchführen: ſie
te größte Sparſamkeitspolitik treiben, alſo den Beamten=
Trat verringern und die Gehaltsſätze der Beamten auf das
Eenzminimum herabſetzen, und ſie mußte andererſeits für
re Einkünfte ſorgen. So entſchloſſen wir uns zur
Hließung neuer Steuerquellen. Wir ſind uns im Klaren
Eber, daß die neuen Steuern dem Volk ſchwere Laſten auf=
Jen und daß ſie einen Eingriff in die Sübſtanz mit ſich

bringen. Wenn wir aber den Staat retten wollen, ſo mußten
wir ſolche Maßnahmen durchführen. Ohne Staat leine Ordnung.
In der Stadt wie auf dem Laude aber kann Ordnung, die allein
Wirtſchaftsgeneſung und Wiederaufbau bringen kann, nur be=
wahrt
werden durch
Aufrechterhaltung der Staatsautorität.
Die ſchweren Steuern aiſo, die wir uns auferlegen haben
müſſen, kommen ihm tieder durch die Aufrechterhattung ſtaat=
licher
Ordnung zugute. Das mögen alle diejenigen Kreiſe be=
denken
, die zurzeit die neuen Steuerverordnungen brutal finden.
Wie in jeder Fazilie Einnahmen und Ausgaben balanzieren
müſſen, wenn die Familie nicht in Schuld und Abhängigkeit
geraten ſoll, ſo muß auch der Staat ſeine Finanzen verwalten
und unbedingt dafür ſorgen, daß ſeine Ausgaben nicht ſeine
Einnahmen überragen. Nur ſo iſt eine Geſundung im Innern
möglich. Nicht allein durch innere Maßnahmen kann aber eine
Sanierung erreich: ſerden.
Sehr weſentlich wird eine Geſundung der deutſchen Ver=
hältniſſe
von außen her bedingt werden. Das deutſche Volk
und die Reichsregierung wollen den Reparationsver=
pflichtungen
weitmöglichſt nachkommen. Wir
wollen Reharationen leiſten, ſoweit wir es vermögen und es in
unſeren Kräften ſteht. Wenn man uns freilich in unſeren wirt=
ſchaftlich
produktidſten Gebieten an Rhein und Nuhr nicht frei
arbeiten läßt und wenn man gewaltſam produktive Wirtſchafts=
entſaltung
in jenen Ge icten behindert, dann wird es nicht mog=
lich
ſein, Reparationsleiſtungen zu vollbringen, wie es ſonſt
möglich wäre. Wo durch Bajonette wirtſchaftliche Reſultate er=
zielt
werden ſollen, wird dieſe Arbeit nie erfolgreich und ver=
dienſtbringend
geſtaltet werden können. Nicht mit Gewalt und
Unterorückung läßt ſich Produktionshebung und Wirtſchaſtlichkeit
erreichen, ſondern allein in friedlichem Schaffen ohne
Hemmniſſe und ohne Willkür. Ließe man Deutſch=
land
ſolchen Beweis guten Willens vollbringen, er würde, davon
bin ich überzeugt, überraſchende Ergebniſſe zeitigen. Denn
immer galt der Deutſche in aller Welt als ein Mann der Arbeit,
des Fleißes und der Pflichttreue, und wenn den Deutſchen und
gerade meine rheiniſchen Landsleute frei axbeiten läßt, ich bin
davon überzeugt, daß ſie trotz der Unterernührung und Ent=
kräſtung
wieder ſo fruchtlare Arbeit leiſten würden, wie ſie den
Deutſchen als Mann der Pflicht und hohen Arbeitsleiſtung an=
geſehen
gemacht hat in allen Ländern. Wir haben erneut
unſeren Willen zu ehrlicher, opfervoller Verſtändigung
bekundet. Mit uns richten ſich die Augen ganz Europas, der
ganzen Welt dorthin, wo ſich erweiſen muß, ob auch auf der
Gegenſeite der aufrichtige Wille zur Heilung der durch den Krieg
und ſeine Folgeerſcheinungen geſchlagenen Wunden lebendig iſt.
Wir ſind ein beſiegtes Volk, aber ein großes
Volk, das leben will, weil es ein Recht auf Leben, Arbeit und
Wohlſtand hat. Wir erwarten von der Gegenſeite
das offene, ehrliche Wort der Bereitwilligkeit
zur Verſtändigung. Wir erwarten vor allem endlich
eine Tat der Verſtändigung. Es geht nicht nur um
Deutſchlands Not und Schickſal, es geht um den Frieden, die
Ruhe Eurovas.
Der Weihnachtstag iſt der Tag des Friedens, der Freund=
ſchaft
, der großen gütigen Menſchenliebe. Uns Deutſchen ſoll
dieſe Weihnacht ein Tag der Hoffnung ſein, aber auch ein Tag
heiligen harten Entſchluſſes. Wir wollen die Zähne
zuſammenbeißen und ſagen, daß uur der verloren iſt, der ſich
ſelbſt verloren gibt. Wir wollen und müſſen den Mut zum
Leben behalten. Wir müſſen, ob arm, ob reich, zur Tat
werden laſſen das Wort: Arbeiten und nicht verzweifeln. Möge
uns deshalb die Zukunft lichte ſein und uns den Frieden brin=
gen
, der allen verheißen iſt, die guten Willens ſind.
Berlin, 26. Dez. (Wolff.) Im Anſchluß an den politi=
ſchen
Weihnachtsgruß des Reichskanzlers zu Beginn der geſtri=
gen
Radioſtunde im Voxhauſe ergriff Reichstagsabgeordneter
Reichsminiſter a. D. Dr. Scholz das Wort. Er ſagte u. a.: Die
deutſche Weihnacht 1923 bringt weder Friede auf Erden noch dem
Menſchen ein Wohlgefallen. Von außen her wird der Krieg mit
anderen Mitteln fortgeſetzt, im Innern ſind die Laſten faß) un=
tragbar
. Und doch ſind hier und da vielleicht gewiſſe Anſätze
zur Beſſerung erkennbar. Ich denke dabei weder an Poincarés
wachſende Iſolierung, noch an gewiſſe Strömungen in Amerika,
noch an den bevorſtehenden Regierungswechſel in England. Nur
wer ſich ſelbſt hilft, dem hilft Gott, und aus eigener Kraft fand
Deutſchland in den letzten Wochen dem Weg aus dem Währungs=
elend
. Dazu kommt das ſichtbare Erſtarken des nationalen Ge=
dankens
im Volke, nicht nur in Bürger=, ſondern auch in Arbeiter=
kreiſen
. Möge dieſe wirtſchaftliche und nationale Geſundung im
kommenden Jahre fortſchreiten und eine Bürgſchaft werden für
die Erfüllung der Bitte: Herr, mach uns frei!
Reichstagsabg. Dr. Fleiſchner (Ztr.) wies ebenfalls auf den
Zwieſpalt zwiſchen Ideal und Wirklichkeit zwiſchen dem Feſte
des Friedens und der friedleeren Welt hin. Der Friede iſt die
Frucht guten Willens, der aute Wille aber wird aus der Wahr=
heit
geboren. Alle Verſuche zum Wiederaufbau ſcheiterten bis=
her
an dem Erbfehler des deutſchen Weſens, dem unverbeſſer=
lichen
Hang zur Illuſion. Noch immer gibt es gewiſſe Kreiſe in
Deutſchland, die ſo denken, reden und handeln, als hätten wir
nicht den gewaltigſten aller Kriege verloren. Uns blieb keine
andere Wahl, als den heroiſchen Entſchluß zum ſchwerſten Opfer
zu faſſen und im Willen zur Armut das Heil zu ſuchen.
Das britiſche Rote Kreuz.
London, 25. Dez. In ſeiner Autwort auf den Aufruf des
gemiſchten Roten Kreuzes des Internationalen: Roten
Kreuzes in Genf zugunſten der unterernährten deut=
ſchen
Kinder und der leidenden deutſchen Handarbeiter und
Angehörigen freier Perufe erklärt das britiſche Rote
Kreuz, daß es zu ſeinem Bedauern mit Rückſicht auf den gro=
ßen
Umfang der Peſchäftigungsloſigkeit und die ſich daraus er=
gebende
träurige Lage in England als Folgeerſcheinung der
wirtſchaftlichen Verhältniſſe nicht in der Lage iſt, einen
beſonderen Aufruf zu erlaſſen.

Von

Dr. Jur. Hermann Meiſſinger.
Die Arbeiterſchaft betont mit Recht, daß es Pflicht eines
Staates mit hoher Kultur ſei, auch Sozialpolitik zu treiben. Je
beſſer die Wirtſchaftsblüte eines Staates iſt, um ſo beſſer kann
die ſoziale Lage der Arbeiter ſein und um ſo mehr Möglichkeiten
kultureller Entwickelung müſſen aus dieſer zwiefachen Wurzel
lommen. Man wird deswegen der Behauptung, daß der Acht=
ſtundentag
eine Kulturerrungenſchaft ſei, gewiß weitgehendes
Verſtändnis entgegenbringen. Die grundlegende Frage bei Be=
tiachtung
dieſer Zuſammenhänge wird aber immer bleiben, ob
der Achtſtundentag dann auch wirklich in den Voräusſetzungen
wurzelt, auf die die Kulturentwickelung ſelbſt aufzubquen iſt.
Der Zuſammenbruch der Sozialpolink in Deutſchland als
die längſt von uns vorhergeſagte Folge des Niedergangs unſerer
Wirtſchaft beweiſt deutlich, wo dem deutſchen Volke heute die
Erenzen für kulturelle Aufgaben gezogen ſind. Von unſerer
Wirtſchaft lebt der Arbeiter, lebt die Wiſſenſchaft, lebt der Staat.
Und dieſe Wirtſchaft, die vor dem Kriege die gewaltige Entwicke=
lung
Deutſchlands und des Deutſchtums in der Welt bracht:,
iſt durch den Krieg und die Revolution zerſtört. Dieſe Zer=
ſtörung
war das Ziel Frankreichs. Mit dem Kampfruf Pour
la culture haben die Feinde eine der höchſtſtehenden Kulturen
der Welt in ihren Grundlagen unterhöhlt, indem ſie uns die
Wirtſchäft zerſtörten. Das Trägiſche iſt dabei aber, daß wir
ſelbſt an dieſer Zerſtörung durch die Revolution und die ſchwe=
ren
Wirtſchaftsſünden in ihrem Gefolge mitgeholfen haben. Man
kann hier verſchiedener Meinung über die Schuldfrage ſein,
Schuld iſt die Maſſe, die die Retolution beherrſchte. Schuld
ſind die Führer dieſer Maſſe, die ſeit Jahrzehnten, ein Dozma
anbetend, die Maſſen in Bewegung gehalten hatten. Schuld
find auch die Unternehmer, die vielleicht im November 1918
gegen ihre beſſere, auf reicher Wirtſchaftserfahrung beruhende
Ueberzengung ſich nicht energiſch genug dem wirtſchaftszerſtören=
den
Strom enigegenſtellten.
Heute ſind wir nun an dem vorausgeſagten Abſchnitt dieſer
Entwickelung angelangt. Die Wirtſchaft hat ihren inneren und
äußeren Markt verloren. Nach außen hin ſind ir konkurrenz=
unfähig
geworden. Im Innern fehlt die Kaufkraft der Maſſe.
Die Lebenshaltung des deutchen Voltes kommt aßmählich auf
dem tiefſten Stand au. Der Staat iſt bankerott und kann ſein=
Beamten nicht mehr bezahlen. Annähernd 5 Millionen Arbeits=
löſe
einſchließlich der Kurzarbeiter fallen mit ihren Familien
der öffentlichen Wohltätigkeit anheim. Annähernd 20 Millionen
Deutſche, die Vingt millions de trop des Herrn Clemenceau,
hungern. Die Leßenshaltung gibt kaum noch das dürftigfte
Leben, die deutſche Kultur droht völlig zuſummenzubrechen. Wir
alle haben uns zu fragen, was in dieſem Augenblick zur Frage
der Beſſerung geſchehen kann.
Es liegt nahe, bei inſtinktiver Betrachtung der Dinge hier
von einer Beſſerung des Lohnes und der damit verbundenen
Beſſerung der Lebenshaltung den Aufſchwung zu etwarten. So
klingt es uns aus den Kundgebungen der Geweriſchaften eiit=
gegen
. Nur wenn die Arbeiterſchaft mit beſſerem Lohn wieder
kaufkräftig würde, könnte eine Belebung des Inlandsmauktes
eintreten. Davon würde die Produktion belebt. Dies wieder
mi ßte den Strom der Arbeitsloſen an die Arbeitsſtellen zurück=
leiten
. Wenn im übrigen die erſorderliche und immer noch mög=
liche
Beſchneidung des Unternehinergewinns hinzukomme, ſo
würden ſich auch wieder Möglichkeiten für den Auslandsabſatz
ſchaffen laſſen. Vom Lohn und der Lebenshaltung ausgehend,
würde die deutſche Wirtſchaft und damit die deutſche Kultur zu
erhalten ſein!
Hier haben wir wieder die verhängnisvolle Verkennung von
Urſache und Wirlung, die nirgends gefährlicher iſt als in der
Wirtſchaft, die ja doch ſchließlich aus richtig erkaunten urſäch=
lichen
Zuſammenhängen heraus ſich techniſch, wiſſenſchaftlich
und kaufmänniſch entwickelt. Es iſt zwar richtig, wie ich oben
bereits zugab, daß guter Lohn und gute Lebenshaltung ein er=
freuliches
Zeichen kultureller Höhe ſind und werden können. Wir
als Arbeitgeber aber betonen, daß nicht in erſter Linie die
Lebenshaltungsbedürfniſſe den Lohn zu beſtimme haben, ſon=
dern
die Wirtſchaftslage. Hier muß bei wirtſchäftlichem Nieder=
gang
zuerſt eingeſetzt werden. Kulturelle Errungenſchaften ſind
Lann im Intereſſe der Erhaltung der Wirtſchaft und damit ja
auch im eigenen Intereſſe des auf Erhaltung ſeines Lohns be=
dachten
Arbeiters aufzugeben. Bei blühender Wirtſchaftslage
mag vielfach die achtſtündige Arbeitszeit ausreichen, um einen
wirtſchaftlich tragbaren, eine gute Lebenshaltung ſichernden Lohn
zu ermöglichen. Kommt eine Wirtſchaftskriſe als Folge unſerer
Konkurrenzunfähigkeit auf dem Weltmarkt, ſo müſſen wir den
Urſachen dafür nachſpüren und ſie beſeitigen.
Hier wird als erſte Urſache immer feſtzuſtellen fein, daß wir
zu teuer produzieren. Die dann nötige Verbilligung wird ebenſo
auf Koſten des Unternehmers wie des Arbeiters zu erſolgen
haben. Entweder muß der Lohn für die achtſtündige Arbeits=
zeit
entſprechend gefürzt oder es muß entſprechend länger ge=
arbeitet
werden. Vor der gleichen Frage ſtehen wir, wenn durc,
zunehmende Teuerung im Inland bei ſchwindender Kaufkraft
auch der Inlandsabſatz ſtockt. Auch hier mag es inſtinktiv be=
greiflich
ſein, der geſchwundenen Kaufkraft durch Lohnerhöhung
bei gleichbleibender Arbeitszeit abzuhelfen. Dieſen Weg ſind
wir fünf Jahre gegangen, und zu ſpät hat auch der Arbeiter er=
kanni
, daß die Lohnerhöhungen ihm keine echte Kaufkrafts=
erhöhung
, ſondern nur zuſätzliche Kaufkraft im währungspoliti=
ſchen
Sinne brachten, mit den bekannt genug gewordenen Fol=
gen
der Inflation. Nicht mit zuſätzlicher Kaufkraſt, ſondern mit
längerer Arbeitszeit iſt dieſem Uebelſtand abzuhelfen. Kann
die Wirtſchaft einen für die Lebenshaltung auskömmlichen Lohn
bei achtſtündiger Arbeitszeit nicht zahlen, ſo beſteht die Möglich=
keit
, bei gleichbleibendem Stundenſohn durch längere Arbeits=
zeit
das Tageseinkommen entſprechend zu ſteigern. Achtmal
50 Pf. Stundenlohn z. B. bringen denſelben Tagesverdienſt wie
zehnmal 40 Pf. Stundenlohn. Auf den Tagesverdienſt von
4 Mk., der die Lebenshaltung ſichern ſoll, kommt es an, wenn
mian die Zuſammenhänge von Lohn=, Lebenshaltung und Kultur

Wir veröffentlichen gerne dieſe intereſſante Zi
naturgemäß das Problem noch keineswegs er

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Seite 2.

Darniſtädter Tagblatt, Donnerstag, beit 27. Bezeinber 1522.

Rummer 35

landsabſatz verringert, die Wirtſchaftskriſis bis zur allgemeinen
Arbeitsloſigleit weiter getrieben werden. Das Opfer der Ar=
beiterſchaft
für die Erhaltung der Lebenshaltung und des kultu=
rellen
Standes liegt alſo hier in einer Verlängerung der Arbeits=
zeit
um zwei Stunden. Ein ſolcher Ausgleich wird durch Wirt=
ſchaftsgeſetz
verlangt, und niemals laſſen ſich Wirtſchaftsgeſetze
ungeſtraft vergewaltigen. Dies gilt für uns wie für die auslän=
diſche
Wirtſchaft, und man braucht nur die Verlängerung der
Arbeitszeit im Ausland während der Weltwirtſchaftskriſe zu
betrachten, um feſtzuſtellen, daß man dort die richtigen Folgerun=
gen
gezogen hat.
Zu allem kommt noch hinzu, daß die deutſche Wirtſchaft, wie
auch von den Arbeitern ja erkannt iſt, infolge ihrer Vorbelaſtung
durch den verlorenen Krieg und das Verſailler Diktkat beſon=
ders
ungünſtig geſtellt iſt. Hier laſtet alſo unabhängig von Wirt=
ſchaftskriſen
ein Druck auf den Arbeitsbedingungen, dem Lohn
und der Lebenshaltung der deutſchen Arbeiterſchaft, der ſeine
Auswirkung auf die körperliche und ſeeliſche Verfaſſung des
deutſchen Volkes gar nicht verfehlen kann. Den kulturzerſtören=
den
Wirkungen dieſes Druckes werden wir uns nur auf Koſten
wohlervvorbener Rechte des Einzelnen entgegenſetzen können.
Einen entſcheidenden Verſuch haben wir mit dem Beginn unſe=
rer
Währungsreform gemacht, die das Finanz= und Etatrecht des
Reiches beſchnitten hat und ſich in den niedrigen Beamtengehäl=
tern
ſo deutlich fühlbar macht. Entſcheidende Verſuche ſind wei=
ter
mit der Einführung der Vorkriegsarbeitszeit im Bergbau
und in der Schwerinduſtrie gemacht. Hier müſſen wir trotz des
Widerſtandes der Gewerkſchaften durchgreifen, wenn wir uns
nicht erneut an der Geſamtheit des deutſchen Volkes verſündigen
und unſeren wirtſchaftlichen und kulturellen Zuſammenbruch
völlig werden laſſen wollen. Kommen wir diesmal auch wieder
auf den falſchen Weg, den Druck auf die Lebenshaltung durch
das Drucken von Papiergeld zu lockern, ſo wird keine Nettung
mehr ſein. Nicht in erſter Linie nach der Lebenshaltung, ſon=
dern
nach der Wirtſchaftslage und der Abſatzmöglichkeit der Be=
triebe
, d. h. alſo nach dem Produkt, hat ſich der Lohn zu bemeſſen.
Halten wir an dieſem Standpunkt nicht feſt, dann machen wir
ſelbſt jede Möglichkeit, die Kaufkraft der derzeitinen Löhne durch
Preisabbau zu heben, unmöglich. Nicht im Index, ſondern in
der Arbeit liegt das Heil, die Rettung von Lohn, Lebenshaltung
und Kultur.
Der neue deutſch= Schritt in Paris und Brüſſel
Paris, 25. Dez. (Wolff.) Miniſterpräſident Poincaré hat
heute nachmittag halb 5 Uhr, franzöſiſche Zeit, den deutſchen Ge=
ſchäftsträger
, Botſchaftsrat von Hoeſch empfangen. Die Unter=
redung
dauerte faſt eine Stunde. Botſchaftsrat von
Hoeſch übermittelte dem franzöſiſchen Miniſterpräſiden=
ten
eine Reihe von Anregungen, die den Zweck haben
ſollen, zu einem modus vivendi im Rheinland und im Ruhrgebiet
zu gelangen. Poincaré hat mit dem deutſchen Ge=
ſchäftsträger
die einzelnen Fragen durchge=
ſprochen
und erklärt, er werde ſich mit der belgiſchen Regierung
in Verbindung ſetzen und auch mit den in Betracht lommenden
Organiſationen, d. h. mit der Rheinlandkommiſſion und den
Beſatzungsbehörden. Nach dem notwendigen Meinungsaustauſch
werde er dem deutſchen Geſchäftsträger ſeine Antwort zukommen
laſſen. Die Unterredung verlief in konziliantem Ton.
Botſchaftsrat von Hoeſch hat eine Niederſchrift
zurückgelaſſen, in der die Fragen erläutert werden, über
die er mit dem franzöſiſchen Miniſterpräſidenten verhandelte. Wie
bereits berichtet, hat faſt zu gleicher Zeit der deutſche Ge=
ſchäftsträger
in Brüſſel eine ähnliche Demarche bei
dem belgiſchen Miniſter für auswärtige Angelegenheiten,
Jaſpar, unternommen. Wie der Havasagentur mitgeteilt wird,
handelt es ſich bei den Anregungen, die hierbei gegeben wurden,
um folgende Fragen:
Wirtſchaftsverkehr im beſetzten Gebiet und zwiſchen dem
beſetzten und dem unbeſetzten Gebiet ſowie mit dem Ausland,
Erhebung der Abgaben, Währungsfrage und Rheiniſch= Weſt=
fäliſche
Notenbank, Rheinſchiffahrt und innere Geſetzgebung.
Außenminiſter Jaſpar hat, wie Havas hinzufügt, erklärt, daß er
ſich mit der franzöſiſchen Regierung ins Benehmen ſetzen werde.
Das offizielle Communigué.
Ueber die Unterredung des deutſchen Geſchäftsträgers, Bot=
ſchaftsrats
von Hoeſch mit Poincaré hat der Quai d’Orſay um
7 Uhr abends folgendes Communiqué veröffentlicht: Der deutſche
Geſchäftsträger iſt um 5 Uhr nachmittags vom Miniſterpräſiden=
ten
empfangen worden und hat ihm eine Note ſeiner Regierung
überreicht. Dieſe Note bezieht ſich auf die wirtſchaftlichen
und adminiſtrativen Fragen der beſetzten Ge=
biete
. Miniſterpräſident Poincaré hat geantwortet, er werde
nach Einvernehmen mit der belgiſchen Regierung ſeine Anſicht
bekanntgeben.
Brüſſel, 25. Dez. Der Miniſter des Aeußern Jaſpar
empfing geſtern nachmittag den deutſchen Geſchäfts=
träger
, der ihm ein Aide=Memoire überreichte, das die
Antwort auf das Schreiben der belgiſchen Regierung an die
deutſche Regierung vom 17. Dezember bildet und die verſchiede=
nen
Fragen bezeichnet, über die die deutſche Regierung die Er=
öffnung
eines Meinungsaustauſches wünſcht. Die Fragen be=
ziehen
ſich ausſchließlich auf die beſetzten Gebiete. In dem Akten=

Vom Tage

Reichsaußenminiſter Dr. Streſemann iſt geſtern nachmittag
zu einem Erholungsurlaub nach Süddeutſchland abgereiſt. Er dürfte
bereits in den erſten Tagen des neuen Jahres zurückkehren, da zu dieſer
Zeit die Antworten Frankreichs und Belgiens auf den deutſchen Schritt

zu erwarten ſind.
General de Metz hat ohne jeden Grund die Konzerte des Pfälziſchen
Landesſymphonieorcheſters verboten.
Nach einer Havasmeldung aus Madrid wurde von der dortigen
Polizei eine Verſchwörung entdeckt, die bezweckte, am 28. Dezem=
ber
eine kommuniſtiſche revolutionäre Bewegung gleichzeitig in ganz
Spanien und Portugal ins Werk zu ſetzen.
Das franzöſiſche Marineminiſterium hat über das Schickſal des Luft=
kreuzers
Dixmuiden noch keine Nachricht erhalten. Ein leichter Kreu=
zer
wird mit 5 Torpedobooten in See gehen, um nach dem Luftſchiff
zu ſuchen.
Poincaré hat geſtern Barthou und Beneſch empfangen.
Miniſterpräſident Poincaré hat den Geſandten von Afghaniſtan
empfangen.
Nach achttägiger Verhandlung hat das Schwurgericht des Seine=
departement
die Anarchiſtin Germaine Berton, die im Monat Januar
dieſes Jahres den Führer der Camelots du roi Marius Plateau in
den Geſchäftsräumen der Action Frangaiſe erſchoſſen hatte, frei=
geſprochen
.
Die polniſche Regierung wurde aus Waſhington verſtändigt, daß
Amerika bereit ſei, mit Polen einen Handels= und
Freundſchaftsvertrag, ſowie eine Konſularkonven=
tion
abzuſchließen. Die Verhandlungen ſollen demnächſt beginnen.
In der nächſten Zeit ſoll nach Lemberg ein Nationalkon=
greß
der Ukrainer einberufen werden, auf dem eine neue poli=
tiſche
Richtung der geſamten ukrainiſchen Parteien, und zwar in der
Orientierung nach der Sowjetukraine, beſchloſſen werden ſoll.
Die Königin der Niederlande hat durch Vermittelung der Abgeord=
neten
Nolens, Rütgers und Stokking den rechten Flügel der Zweiten
Kammer erſucht, die Kabinettsbildung zu übernehmen.

ſtück werden hauptſächlich die folgenden Punkte berührt: die
wirtſchaftlichen Beziehungen zwiſchen dem be=
ſetzten
und unbeſetzten Gebiet, die beim Eintritt
in die beſetzten Gebiete erhobenen Abgaben, die Wäh=
rungsfrage
, die Rheiniſch=Weſtfäliſche Bank, die
Schiffahrt auf dem Rhein und der Eiſenbahnverkehr,
die Frage der allgemeinen Verwaltung und der in=
neren
Geſetzgebung. Der Miniſter verſprach, das Aide=
Memoire zu prüfen und fügte hinzu, er werde ſich wegen der zu
erteilenden Antwort mit der franzöſiſchen Regierung ins
Benehmen ſetzen.
Franzöſiſche Stimmen.
Paris, 25. Dez. Ueber den geſtrigen Schritt des deutſchen
Geſchäftsträgers, Botſchaftsrat v. Hoeſch, beim Miniſterpräſi=
denten
Poincaré ſchreibt der diplomatiſche Mitarbeiter der
Agence Havas, nachdem er feſtgeſtellt hat, daß völliges
Stillſchweigen über den Verlauf der Unterredung ſeitens der
franzöſiſchen Regierung gewahrt wird, man könne wohl anneh=
men
, daß die deutſche Regierung wünſche, daß die Zoll=
ſchranke
, die das Ruhrgebiet und das Rheinland vom nicht=
beſetzten
Deutſchland trenne, ebenſo verſchwinde wie die Ein=
gangszölle
, die beim Eintritt ins Beſetzungsgebiet erhoben wür=
den
. Was die Währungsfrage anlange, ſo habe man in
Berlin die Gefahr erkannt, die eine Löſung unter Ausſchluß der
deutſchen Regierung nach ſich ziehen würde, beſonders wenn die
rheiniſch=weſtfäliſche Emiſſionsbank unter Beiſeiteſchiebung deut=
ſchen
Kapitals gegründet würde. Was die Wiedereinſtel=
lung
der ausgewieſenen Beamten angehe, werde
namentlich die Wiederzulaſſung der Eiſenbahner und der Schiffer
verlangt, um den Eiſenbahn= und Binnenſchiffahrtsverkehr zu
verbeſſern. Alle dieſe Vorſchläge müßten des Näheren daraufhin
geprüft werden, in welchem Maße ſie die Wiederherſtellung des
Wirtſchaftslebens in den beſetzten Gebieten und die Reparations=
zahlungen
erleichtern ſollten. Man könne ſicher ſein, daß die
Kabinette von Brüſſel und Paris, durch die Erfahrung gewitzigt,
alle Garantien ergreifen würden, um nicht durch verfrühte Maß=
nahmen
den Wert des Pfandes zu ſchmälern, das Belgien und
Frankreich im Ruhrgebiet genommen haben. Aehnliche Gedanken
werden auch von einigen anderen Morgenblättern, ſo namentlich
vom Figaro, zum Ausdruck gebracht, der in etwas poſitiverer
Form erklärt, das deutſche Manöver ziele darauf hin, Frankreich
die Pfänder zu entreißen.
Der Matin beurteilt den deutſchen Schritt in anderem
Sinne, indem er ſagt, es ſei natürlich, daß die deutſchen Indu=
ſtriellen
ohne Behinderung mit den auswärtigen Märkten Handel
treiben wollten, von denen das nichtbeſetzte Deutſchland der wich=
tigſte
ſei. Es beſtänden jedoch noch zahlreiche Hinderniſſe, nicht
nur für den Perſonen=, ſondern auch für den Warenverkehr, die
volle Tätigkeit der beſetzten Gebiete ſei alſo noch ernſtlich behin=
dert
. Einſchränkungen ſeien nach Anſicht der deutſchen Regierung
für die Erreichung des Zieles, das Frankreich und Belgien an=
ſtrebten
, nämlich die rheiniſch=weſtfäliſche Produktion zur Haupt=
ſtütze
der Reparationszahlungen zu machen, hinderlich.

Erſeichterter Oeviſenerwerbim beſetzten G.
Berlin, 26. Dez. (Wolff.) Von maßgebender Seite wirt
geteilt: Die Bevölkerung des beſetzten und Einbruchsgebietes =
Verkehr mit Beſatzungsmächten vielfach ges
Zahlungen in franzöſiſchen oder belgiſchen Kra
zu leiſten. Das Reichswirtſchaftsminiſterium erläßt deshaſb
mungen über einen erleichterten Deviſenerwerb im beſetzten uns
bruchsgebiet und im Verkehr mit dieſem Gebiet. Danach
zuläſſige Verwendungszwecke, zu denen ausländiſche Zahlungsn
einem für dieſe Zwicke notwendigen Umfange nach Maßgabe
ſchlägigen Beſtimmungen erworben werden dürfen: a) Zahlnn
Beſatzungsmächte, h) Unterſtützungen an von den Beſatzu,
feſtgehaltene Perſonen oder an Angehörige im beſetzten und Gr
gebiet. Die Finanzämter dürfen den Erwerb ausländiſcher
mittel zu dieſen Zwecken in angemeſſenen Grenzen genehmiges.
gleichen Zwecken bürfen die Deviſenbanken und Wechſelſtuben des
ten und des Einbruchsgebietes Inländern, die ſich durch ein
Lichtbild verſehenen Perſonalausweis ausweiſen, ausländiſche 6
ten bis zum Betrage von 10 Goldmark ohne Genehmigung des
amtes abgeben, wenn ihre Verwendung zu einem der gegannte
nachgewieſen iſt oder glaubhaft erſcheint. Dieſe Beſtimmnng
zur hemmungsloſen Abgabe ausländiſcher Geldſorten führe
der Verdacht beſteht, daß der Käufer durch wiederholte Ingninr
dieſer Ausnahmebeſtimmung die Genehmigung des Finap=
umgehen
ſucht, oder die Verwendung zu einem der zugelaße
nicht glaubhaft macht, hat die Bank oder Wechſelſtube die Ab
verweigern. Bei Zuwiderhandlungen ſetzen dieſe ſich
der Entziehung ihrer Eigenſchaft als Deviſenbank oder Wechſeff
Der Erwerber macht ſich in ſolchem Falle ſtrafbar. Firme
im Beſitze einer Handelskammerbeſcheinigung ſind, dürfen arz=
Zahlungsmittel zu dieſen Zwecken erwerben. Firmen des be
Einbruchsgebietes dürfen auf Grund ihrer Handelskammerbe;
auch ausländiſche Geldſorten erwerben. Im beſetzten und E.
gebiet dürfen Handelskammerbeſcheinigungen auch Gewerh=
benden
, erteilt werden, die nicht in das Handels= oder
ſchaftsregiſter eingetragen ſind, wenn die zuſtändige Hg
ihren Antrag befürwortet.
Um ein Uebergreifen dieſer Erleichterungen auf das unb=
biet
zu vermeiden, dürfen im beſetzten und Einbruchsgebiet ausg
Handelskammerbeſcheinigungen nur dort verwendet werden. Die
viſenbanken des beſetzten und Einbruchsgebietes werde,
einer regelmäßigen Meldepflicht befreit. Das Verhe
Umwechſelung ausländiſcher Deviſen in inländiſche Geldſorten n
Auszahlung von Währungskonten in ausländiſchen Geldſorten mi
das beſetzte und Einbruchsgebiet aufgehoben. Die angeführten 3
mungen haben folgenden Wortlaut:
1. Als zuläſſige Verwendungszwecke im Sinne des 8 5 der 9.
ſpekulationsverordnung, zu denen Zahlungsmittel oder Fordermn=
ausländiſcher
Währung in für dieſe Zwecke notwendigem Umfang
Maßgabe der Valutaſpekulatiensverordnung und der fölg uden 9
mungen erworben werden dürfen, gelten: a) Zahlungen an di
ſatzungsmächte, b) Unterſtützungen an von den Beſatzungsmächte
gehaltene Perſonen oder an Angehörige im beſetzten und Einl
gebiete.
2. Die Finanzämter dürfen den Erwerb ausländiſcher Zo
mittel zu den in Nr. 1 angeführten Zwecken in angemeſſenen G
genehmigen.
3. Deviſenbanken und Wechſelſtuben des beſetzten und Eiml
gebietes dürfen an jeden Inländer, der ſich durch einen mit Li
verſehenen Perſonalausweis ausweiſt, ausländiſche Geldſorten bis
Betrage von zehn Goldmark ohne Genehmigung des Finan
abgeben, wenn die Verwendung zu einem der in Nr. 1 angef
Zwecke nachgewieſen iſt oder glaubhaft erſcheint.
4. Perſonen und Perſonenvereinigungen des beſetzten und
bruchsgebietes, denen eine Handelskammerbeſcheinigung erteilt
den iſt, dürfen auf Grund dieſer Beſcheinigung auch ausländiſche
ſorten erwerben.
5. Als zuläſſige Verwendungszwecke, zu denen auf Grund der
belskammerbeſcheinigung im beſetzten und Einbruchsgebiet Zahl
mittel und Forderungen in ausländiſcher Währung und im unbe
Gebiete ausländiſche Deviſen erworben werden dürfen, gelten au
in Nr. 1 angeführten Zwecke.
6. Die Handelskammern des beſetzten und Einbruchsgebietes
fen, wenn die zuſtändige Handwerkskammer den Antrag befürwortet,
ſolchen Gewerbetreibenden, die nicht in das Handels= oder Gen
ſchaftsregiſter eingetragen ſind, eine Beſcheinigung zum Erwerbe
Zahlungsmitteln und Forderungen in ausländiſcher Währung erte
wenn ihr Gewerbeetrieb regelmäßig Zahlungen mit ſich brmgt,
ausländiſche Zahlungsmittel erworben werden dürfen. § 3 Al
Satz 26 der Valutaſpekulationsverordnung und § 6 der Ausführ
beſtimmungen gelten entſprechend.
7. Die Handelskammern des beſetzten und Einbruchsgebietes
fen Gewerbetreibenden ihres Bezirks eine Beſcheinigung zum Er
von Zahlungsmitteln und Forderungen in ausländiſcher Währung
len, wenn ihr Gewerbebetrieb regelmäßige Zahlungen der in Nr.
geführten Art mit ſich bringt.
8. Auf Grund einer von der Handelskammer des beſetzten
Einbruchsgebietes ausgeſtellten Beſcheinigung dürfen Zahlungs
und Forderungen in ausländiſcher Währung nur von oder dur
Vermittelung einer Deviſenbank des beſetzten und Einbruchsge
erworben werden.
9. § 3 Abſ. 3 der Valutaſpekulationsverordnung und § 7
der Ausführungsbeſtimmungen, betr. die Meldepflicht der Deviſſ
ken, finden auf die Deviſenbanken des beſetzten und Einbruchsge
keine Anwendung. Abweichend von § 4 Abſ. 3 und 4 der Valute
lationsverordnung in der Faſſung des Art. 1 Nr. 3 der Veror
über Aenderungen der Deviſengeſetzgebung vom 2. November
(Reichsgeſetzblatt I S. 1072) haben die Auftraggeber bei den D
banken des beſetzten und Einbruchsgebietes vor oder beim Abſchl:
Geſchäfts nur einen Beleg einzureichen, auch wenn auf Grun
Handelskammerbeſcheinigung mehr als 1000 Mark Gold erworber
den. Die Deviſenbank hat den Beleg drei Jahre aufzubewahren.
10. Das Verbot der Umwechſelung ausländiſcher Debi)
ausländiſche Geldſorten und der Auszahlung von Währungskon
ausländiſchen Geldſorten (§ 5 Abſ. 2. der Ausführungsbeſtimm
zur Valutaſpekulationsverordnung) gilt nicht im beſetzten und
bruchsgebiet.

Heſſiſches Landestheater.
Großes Haus. Dienstag, den 25. Dezember.
Lohengrin.
Große romantiſche Oper von Richard Wagner.
Aehnlich wie im Tannhäuſer iſt auch im Lohengrin das
Gegenſätzliche zweier Welten geſchildert. Dort iſt es Sinnlichkeit
und Tugend, hier Heidentum und Chriſtentum. Die Gegenſätze
in den Charakteren der Perſonen, die im Tannhäuſer auch
muſikaliſch ſcharf hervortreten, ſind aber im Lohengrin in
Linienführung und Klangfarbe nicht ausgeprägt, überall herrſcht
die gleiche Formen= und Tonſprache. Deshalb ſind weder Elſa
noch Ortrud zu Typen gewachſen, wie Eliſabeth und Venus. Und
Lohengrin ſelbſt blieb im Sentimentalen ſtecken. Der Konflikt iſt
in den beiden Gelübden Elſas und Lohengrins gegeben. Dort
Schwäche und Bruch, hier Gehorſam und Verzicht: Gefühl gegen
Vernunft, Natur gegen Geſetz. Das iſt der ſymboliſche Kern.
Die Muſik des Lohengrin geht einen Schritt über die des
Tannhäuſers hinaus. Das Leitmotiv tritt auf, das Orcheſter
gewinnt ſinfoniſche Formen.
Einzigärtig iſt die Einheitlichkeit des Stils, der dramatiſche
Aufbau, das ausgeprägt Deutſche in Stoff, Dichtung und muſi=
kaliſcher
Srrache und das Feſtliche des ganzen Werks. Lange
Zeit war durch Lohengrin die deutſche Oper gekennzeichnet, wie
die italieniſche durch Troubadour, die franzöſiſche durch die
Stumme‟. Heute gehört dieſe Beurteilung der Muſikgeſchichte
an, die Zeit iſt weitergeſchritten und hat neue Werte aufgeſtellt.
Die Aufführung, im hergebrachten Rahmen herausgebracht,
war anſtändig, ſtellenweiſe von packender Kraft. Sie verdankt es
den bekannten tüchtigen Leiſtungen hoher Künſtlerſchaft von
Anng Jacobs als Ortrud, der Herren Verheyen als Lohen=
grin
, Biſchoff als Telramund, Hölzlin als König, Heuſer
als Heerrufer Einſchränkungen müſſen geſtattet ſein. Paul Ver=
hegen
ift kein Lohengrin, wird nie ſein können der gottgeſandte
Ritter aus ſagenhaſter Ferne. Dazu fehlt äußere Geſtalt, Glanz
der Stimme, mühelos quellendes Organ. Heute kam hinzu, daſt
der Sänger in Entfaltung der Stimme ſtark behindert ſchien. Der
Ortrud Anng Jacobs fehlt in Ausſehen und Gebaren das Heid=
niſth
=Dämoniſche, Theodor Heuſers ſchöne Stimme iſt zu weich

für den Heerrufer. Das Hauptintereſſe war Fanny Cleve ge=
widmet
, die als gern geſehener Gaſt die Elſa ſang. Sie bewährte
ſich als die ungemein bühnenſichere, in Auffaſſung und Spiel
gleich vollendete Künſtlerin großen Formats. Die üppige Kraft,
den geſättigten Wohllaut ihrer ausgeglichenen Stimme, deren
kunſtvolle Behandlung gewachſen ſchien, zu hören, war ein Ge=
nuß
. Am meiſten feſſelte mich die feine Oekonomie. Da iſt kein
Zug vergeſſen, alles aber mit Maß geſtaltet, um ſich zu harmoni=
ſchem
Ganzen zu runden. Die Vereinigung ſolch ſeltener Eigen=
ſchaften
ſchuf aus der anſpruchsvollen Rolle ein Leiſtung von
eindringlicher Größe, die das anhängliche Publikum zu warmen
Beifallsbekundungen hinriß.
Die kraftvolle Leitung Joſef Roſenſtocks gab dem Werk
beſchwingtes Tempo. Verſchleppungen kann dieſe Muſik heute
am wenigſten vertragen. Das Orcheſter ſpielte mit Schwung, die
Enſembles glückten gut, den Chören möchte man freilich größere
Klangfülle wünſchen. Die Inſzenierung iſt mir nur zu
kleinem Teil zu Dank, das Brautgemach muß ich in Formen und
Farben wiederholt ablehnen. Die Regie des Herrn Rabenalt
brachte manche gute und feine Züge; vieles bliebe indes noch zu
tun, ſoll Vollendung erreicht werden, beſonders die Aufteilung
und Belebung der Chöre und Enſembles in allen drei Akten.
Auffallend war die ungenügende Kenntnis in Führung der Waf=
fen
. Ein Kampf auf Leben und Tod, ohne ſcharfen Hieb und
Stoß, von langen Mänteln behindert, wirkt unglaubhaft. Tel=
ramunds
Ueberfall im Brautgemach kam zu ſpät; auch hier kein
ernſtlicher Kampf.
Mag der Lohengrin die unmittelbare Friſche ſeiner Wir=
kung
längſt eingebüßt haben, immer noch iſt und bleibt er wie
wenige indere Werke fähig, Gedanken und Sinne vom Alltag
zu befreien und ins Reich der Ideale zu entführen: in ſeiner
Weiſe zur Weihnachtszeit auch eine Inſel des Lichts. v. H.

* Die Wahrheit über das delphiſche Orakel. Das delphiſche
Heiligtum war die wichtigſte Kultſtätte des klaſſiſchen Altertums,
deſſen Orakel weit über Griechenland hinaus in der ganzen Welt
Geltung beſaß. Dieſe allgemeine Verehrung zeigte ſich, als im
Jahre 548 v. Chr, der alte hier errichtete Apollo=Tempel ab=
brannte
und ſich der das Heiligtum betreuende Bund der Am=
phiktionen
überall hin um Unterſtützung wandte. Mit am mei=
ſten
gab der ägyptiſche König Amaſis, und der Aufbau erfolgte
in großartiger Pracht durch das attiſche Adelsgeſchlecht der Alt=

mäoniden. Dieſer herrliche Bau iſt dann kurz vor 371 v. Chr
geſtürzt und im Laufe der nächſten Jahrhunderte wieder e
worden. Ueber die Geſchichte dieſer berühmteſten Kultſtätte
ten die großen franzöſiſchen Ausgrabungen Aufklärung bri
die von 1892 bis 1901 vorgenommen wurden, aber ſo fl.
und nachläſſig waren, daß ſpäter Nachprüfungen erfolgen
ten und die abſchließende Veröffentlichung erſt vor kurzel
ſchienen iſt. In der bei Dunker & Humblot in München e=
nenen
Feſtgabe zum 70. Geburtstage des Heidelberger Nal
ökonomen Eberhard Gothein, die unter dem Titel Bildel
Studien aus 3 Jahrhunderten unter anderem Beitrage
Paul Clemen, Friedrich Gundolf und Hermann Oncken b.
behandelt nun der bekannte Archiologe Georg Karo die C
tung des delphiſchen Heiligtums auf Grund dieſer Erge!
Der intereſſanteſte Teil des Tempels war natürlich die Star.
Orakels mit dem vielgenannten Erdſpalt, deſſen Duniee
Wahrſagerin Pythia in die hellſeheriſche Verzückung ge‟
haben ſollen. Da ergab ſich nun die verblüffende Tatſache
gar kein Erdſpalt vorhanden iſt. Unter dem Teile des Len
der die Höhle der Wahrſagerin enthielt, liegt ein großer
block; daneben ſind drei Quadern einer ſehr alterum
Mauer. Man wird alſo annehmen müſſen, daß der Erdſpüt
bloße Erfindung der delphiſchen Prieſterſchaft war, A.
auch alle Weihegaben fehlen, ſo wird es ſich um eine ganz /C
loſe, geheimnisvolle Höhle gehandelt haben, zu der die *
hinabſtieg, um die Weiſungen des Gottes zu erhalten. Da
in dieſer Sinſicht alſo die Grabungen enttäuſchten, ſo geld!
dafür, das kultgeſchichtlich wichtigſte Denkmal von Delphi 3"
den: den Omphalos, den altheiligen Nabelſtein der Erd
in Delphi als dem Mittelpunkt der Welt bewahrt wurde.
ehrwürdige, aber unſcheinbare Stein, der bei den erſten Oi"
gen gefunden, aber wieder verſchüttet worden war, iſt elſt
durch die Nachgrabungen eigentlich entdeckt worden. Es
ſchlichter Porosblock von Bienenkorbform, einſt mit Stuc
zogen und mit Binden geſchmückt, ſenkrecht durchbohrt fül
ſtarken Eiſenpflock, der wohl die beiden ehernen Adler des
trug, die auf ihrem Weg um die Erde hier am Nabel zuſa.
getroffen ſein ſollten. Auf der Wandung dieſes Steines
höchſt altertümlichen Zeichen eine myſtiſche Inſchrift eingeb‟
Nur ganz wenige unter den Denkmälern der griechiſchen
gion können ſich mit mit dieſem ſchmuckloſen Stein an Bege‟.
meſſen.

[ ][  ][ ]

Darmſtädter Tagblatt, Donteistag, den 22. Dezember 1923.

gung der Reparationskommiſſion.
Wahl der Sachverſtändigen gutgeheißen.

*Paris 27. Dez. (Priv.=Tel.) Die Reparationskommiſ=
S hat in der geſtrigen Nachmittagsſitzung die Zuſammenſetzung
eiden Sachverſtändigenausſchüſſe gemäß den bekannten Vor=
ſs
gen gutgeheißen. Noch heute werden den bekannten Perſön=

Veratungen zwiſchen Paris und Brüſſel.

m iten aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Italien,
Oien und Frankreich die Einladungen zugehen. Der erſte
chuß, der ſich mit den Währungs= und Budgetfragen beſchäf=
twird am 14. Januar zuſammentreten, der zweite Ausſchuß,
ch mit den Fragen der Kapitalflucht befaßt, ſeine Arbeit am
(anuar beginnen.
Der dritte amerikantſche Delegierte.
Saris, 25. Dez. Zum dritten amerikaniſchen
Segierten für die von der Reparationskommiſſion ein=
z
enden Unterſuchungsausſchüſſe iſt von amerika=
r
Seite geſtern Henry Robinſon, Präſident der Natio=
my
ink in Los Angeles und Kalifornien, auserſehen. Robinſon
ſ em Unterſuchungsausſchuß über die Kapitalflucht an=
gien
. Nach der Chicago Tribune iſt er einer der angeſehen=
*Bankiers in den weſtlichen Staaten und genießt den Ruf
e 5. Autorität.

U, Paris, 26. Dez. Zwiſchen Paris und Brüſſel iſt im
9anblick ein lebhafter Meinungsaustauſch über
d5 mitwort im Gange, die beide Regierungen auf die deutſche
9 vom 24. Dezember zu erteilen beabſichtigen. Poincaré
u. Jaſpar haben beſchloſſen, vor Abfaſſung ihrer
Awortprojekte die einzelnen Punkte der deutſchen Note
i n Vertretern in Düſſeldorf und den Kommiſ=
ſcn
der interalliierten Rheinlandkommiſſion in Kob=
le
ur Kenntnisnahme mitzuteilen. In erſter Linie wer=
de
aher General Degoutte, der belgiſche Oberkommandierende
Gal Ruciuoi, ſowie von der Rheinlandkommiſſion Herr
To und der belgiſche Vertreter zu entſcheiden haben, in wel=
chi
Ausmaß die deutſchen Vorſchläge mit dem franco=belgiſchen
altungsſyſtem in Rheinland und Weſtſalen in Einklang ge=
b
werden können.
Jeutſch=füdflawiſche Reparationsverhandlungen.
Belgrad, 27. Dez. (Priv.=Tel.) Der geſtrige Miniſter=
ra
ſchleß, hinſichtlich der Realiſierung weiterer Reparations=
foro
uingen in direkte Verhandlungen mit der deutſchen Regie=
ru
zu treten. Das Mitglied der ſüdſlawiſchen Delegation bei
des eparationskommiſſion ſoll ſich Anſang Januar nach Berlin
be en, um mit der Reichsregierung eine praktiſche Löſung zu
bes chen. Die Antwortnote auf die deutſche Note vom 10. De=
er
, die ebenfalls beſprochen wurde, wird vorausſichtlich heute
eutſchen Geſandten übermittelt werden.
Sowjetrußland und Afghaniſian.
coskau, 23. Dez. Der Vertreter der Sowjetregierung
ghaniſtan, Raskolnikow, der nach zweijährigem Aufenthalt
bul nach Moskau zurückgekehrt iſt, erklärte, wie die Ruſ=
Telegraphen=Agentur meldet, den Vertretern der Preſſe,
dar as engliſche Ultimatum an Afghaniſtan dieſelbe Wirkung
has werde, wie ſeinerzeit das Ultimatum Lord Curzons an
die owjetregierung: es werde zur weiteren Erſtarkung der
ru 1)=afghaniſchen Freundſchaft beitragen. Zweifellos würde
mm in engliſcher Angriff auf Afghaniſtan unter den 70 Mil=
ſio
Muſelmanen, die unter engliſcher Herrſchaft leben, eine
fok ſchwere Empörung hervorrufen. Zu den Meldungen der
en hen Preſſe über die angebliche Bedrohung Afghaniſtans
du den Sowjethund und die angebliche Zuſammenziehung be=
der
Der roter Streitkräfte in Turkeſtan als Vorbereitung eines
Ar fs auf Afghaniſtan erklärte Raskolnikow, daß dieſe Mel=
dua
r jeder Grundlage entbehren und nur den Zweck verfolg=
terar
öffentlichen Meinung Englands das Geſpenſt des roten
Jrr ialismus vorzuhalten. In Turkeſtan beſtehe eine natio=
va
erritorialarmee. Von der Zuſammenziehung irgendwelcher
beT ender Streitträfte könne keine Rede ſein.
Die Kämpfe in Mexiko.
aris, 24. Dez. (Wolff.) Die merikaniſche Geſandtſchaft
läf uirch Havas eine Waſhingtoner Meldung über die Ein=
na
. von Puebla verbreiten. Hiernach haben ſich am Samstag
mi noch erbitterten Kämpfen die mexikaniſchen Regierungs=
triii
der Stadt Puebla bemächtigt, wo das Gros der aufſtän=
diſ
/ Truppen zuſammengezogen war. Sie hätten etwa 1000
Ge gene mit Waffen und Munition gemacht. Die übrigen
Aixindiſchen häten ſich zerſtreut und würden von den Regu=
lär
verfolgt. Die Operationen in Richtung Guadaljara hätten
beg ren. In der Nähe von Colima ſei die Eiſenbahnſtrecke be=
ſetz
Im übrigen betrachte man die letzten Erfelge der Regie=
rur
; ruppen bereits jetzt als einen entſcheidenden Schlag gegen
dic ifſtändiſchen. Das Land ſei an den Punkten, wo es von
der ufſtand nicht berührt wurde, nach wie vor vollkommen

rurt

Die Zuſtände in der Pfalz.
Der franzöſiſche Botſchafter bei Dr. Streſemann.
Berlin, 26. Dez. (Wolff.) Der Reichsminiſter des Aus=
wärtigen
, Dr. Streſemann, hat am 24. Dezember den fran=
zöſiſchen
Botſchaſter de Marguerie empfangen und dabei
vornehmlich die Zuſtände in der Pfalz zu Sprache gebracht, die
bereits Anlaß zu zahlreichen Proteſten bei der franzöſiſchen Re=
gierung
gaben. Dr. Strefemann hat dieſe Proteſte dem Bot=
ſchafter
gegenüber wiederholt und als weiteres Material dem
franzöſiſchen Botſchafter umſangreiche Aufzeichnung überſandt,
in denen der Nachweis, erbracht wird, daß in der Pfalz ein
planmäßiges Zuſammenarbeiten der ſepara=
tiſtiſchen
Banden und der Beſatzungsbehörden
vorliegt, was ſich insbeſondere aus der Erklärung ergibt, die der
franzöſiſche Delegierte am 21. Dezember gegenüber der Beamten=
ſchaft
von Ludwigshafen, abgegeben hat, die auf eine Aner=
kennung
der Separatiſten als Inhaber der Staatsgewalt hinaus=
läuft
. Schließlich forderte Dr. Streſemann nachdrück=
lichſt
die unverzügliche Wiederherſtellung ver=
tragsmäßiger
Zuſtände in der Pfalz.
Der Schupoprozeß.
* Düſſeldorf, 27. Dez. (Priv.=Tel.) In der geſtrigen
Verhandlung gegen die Schupobeamten, die mit den Plaidoyers
ausgefüllt waren, beantragte der Anklagevertreter für den Re=
gierungspräſidenten
Dr. Grützner, welcher, wie der Anklage=
vertreter
ſich ausdrückte, es fertig gebracht habe, an einem Nach=
mittag
ſo viele Opfer zu verurſachen, wegen Mordes die Todes=
ſtrafe
, für die abweſenden Angeklagten Leutnant Beyer,
Oberleutnant Bodenſtein und Polizeikommiſſar Eſſer
lebenslängliche Zwangsarbeit. Gegen Oberleutnant Pohl, der
die Hauptverantwortung trage, beantragte er Zwangsarbeit,
ebenſo für den Hauptmann Pfeffer. Gegen Oberleutnant
Hübner und Hauptmann Paßlack ließ der Staatsanwalt die
Anklage auf Totſchlag fallen. Für Leutnant Vogt hält er die
Anklage nicht aufrecht. Ewers habe einen franzöſiſchen Sol=
daten
mißhandelt und dafür eine exemplariſche Strafe verdient.
Für den ſtädtiſchen Poliziſten Krieg beantragte er eine hohe
Gefängnisſtrafe, gegen den Stadtſekretär Neukirchen läßt er
wegen nicht genügender Beweiſe die Anklage fallen. Für Major
Engel und Hauptmann Winkelmann überläßt der Vertre=
ter
der Anklage wegen widerſprechender Ausſagen dem Gericht
die Entſcheidung.
Zahlung in Oeviſen.
Berlin 26. Dez. (Wolff.) Von maßgebender Seite wird
mitgeteilt, daß die Ermächtigung, bei Geſchäften über die Liefe=
rung
von Waren und über die Bewirkung von Leiſtungen aus=
ländiſche
Zahlungsmittel in Zahlung zu geben und zu nehmen,
bis zum 15. Februar 1924 verlängert worden iſt. Verboten bleibt,
Zahlung in ausländiſcher Währung zu fordern. Der Erwerb
ausländiſcher Zahlungsmittel zur Erfüllung ſolcher Geſchäfte
bleibt unzuläſſig.
Peniſelos kehrt zurück.
Athen, 26. Dez. (Wolff.) Die Regierung erhielt von
Veniſelos die Nachricht, er habe ſich nach langer Ueberlegung
entſchloſſen, dem an ihn gelangten Ruf zu folgen, zeitweilig nach
Griechenland zu kommen, um zur Ordnung der Lage beizutragen,
beharre aber auf dem Entſchluß, nicht auf die politiſche Bühne
zurückzukehren. Er werde am 29. Dezember von Marſeille ab=
fahren
und bitte, ihm keinerlei Empfang zu bereiten.
Bedrohung der Unabhängigkeit der Richter.
Der baher. Richterverein (Vorſ. Amtsgerichtsrat Frank) ſchreibt:
Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entſcheidung
und nur aus den Gründen und unter den Formen, die die Geſetze be=
ſtimmen
, dauernd oder zeitweiſe ihres Amtes enthoben oder an eine
andere Stelle oder in den Ruheſtand verſetzt werden. (Art. 104 RV.
§8GVG.) Richter können nur aus geſetzlichen Gründen und im geſetz=
ich
geregelten Verfahren gegen ihren Willen verſetzt, ihres Amtes ent=
hoben
, in den Ruheſtand verfetzt oder entlaſſen werden. (5 69, baher.
Verf.)
Die Perſonalabbau=Verordnung des Reiches hat mit den Beſtimmun=
gen
in Art. 3 und 18 wohlweislich vermieden, dieſe Rechte der Nichter
anzutaſten. Der Reichsminiſter der Finanzen betreibt aber
nunmehr die Erlaſſung eines Geſetzes, das die Ausdehnung der
Abbauverordnung auf die Richter ermöglichen ſoll. Dem
Reich fehlt jede Zuſtändigkeit, mit bindender Wirkung für die Richter der
Länder ein ſolches Geſetz zu erlaſſen. Die eingangs aufgeführten Be=
ſtimmungen
der beiden Verfaſſungen und das GV(. verfolgen den Zweck,
die Unabhängigkeit der Gerichte auf die denkbar zuverläſſigſte Weiſe
ſicher zu ſtellen. Jedes Rütteln an dieſen Beſtimmungen bedeutet die Ve=
ſeitigung
der Unabhängigkeit. Ein Richter, der nicht wirtſchaftlich ſicher=
geſtellt
iſt, iſt kein unabhängiger Richter. Ein Staat, der die Unabhän=
gigkeit
ſeiner Gerichte nicht mehr hochhält, hört auf, ein Staat zu ſein.
Dies gilt für Republiken nicht weniger, wie es galt für Kaiſer= und
Königreiche. Reichsregierung, Reichsrat und Reichstag mögen ſich vor
Augen halten, was auf dem Spiele ſteht! Die Rückſicht auf das Staats=
wohl
kennt nur eine Loſung: Das Geſetz wird nicht erlaſ=
ſen
. Das Gegenteil iſt klar und eindeutig ſei es jedermann geſagt!
in Wahrheit nichts anderes, als die Zerſchlagung der ſtärkſten Grund=
ſäule
des Staates um weniger Silberlinge. Wem graut nicht, das
zu tun?

Stadt und Land.
Darmſtadt, 27. Dezember.
* Die Feſitage
ſind vorüber. Der chriſtlichen Menſchheit ſchönſtes Feſt iſt vor=
übergerauſcht
und es hat trotz allem und allem vielen kleinen
und großen Menſchenkindern Freude gebracht. So groß die
Not, ſo fühlbar die Armut die uns Deutſchen gerade in den
Wochen vor dem Feſte ſo fühlbar gemacht wurde, wir haben uns
in dieſen Feſttagen auf die Schönheit und Wahrheit des Bibel=
ſpruches
beſonnen: Geben iſt ſeliger denn nehmen
und zu einer, wenn auch noch ſo kleinen und beſcheidenen Freude
hat’s immer noch gereicht. Der Chriſtbaum warf ſeinen Kerzen=
ſchein
in die Herzen auch der Aermſten, und der Gabentiſch war
wohl überall aufgebaut und brachte Geſchenke, die ihrer Natur
nach ſich geändert haben mögen man verbindet heuer das
Praktiſche mit dem Nützlichen und Schönen , die aber trotzdem
helle Freude auslöſen bei Klein und Groß.
Was wir lange Jahre entbehren mußten, das rechte weiße
Weihnachtswetter, kam in überraſchender Schönheit hinzu und
erhöhte die Feſtesfreude beſonders bei der Jugend. Der heilige
Abend ließ dieſe märchenhafte Winterſchönheit noch nicht erhoffen.
Es ſtürmte, ſchneite und regnete, und als Glockenläuten und Po=
ſaunenklänge
das Feſt einleiteten, konnte, wer noch unterwegs
war, ſich kaum durchkämpfen durch Sturm, Regen und faſt knie=
tiefen
Matſch. Nachts aber ſank das Barometer, und am erſten
Feſttag morgen brauſten die Poſaunenklänge in die ſchönſte dich=
teſte
Schneelandſchaft. In dichtem Wirbel fielen die Flocken, blie=
ben
liegen, und bald war die liebe alte Erde in weißes jung=
fräuliches
Linnen gekleidet, das am zweiten Feſttag in vermehr=
tem
Reichtum erneuert wurde. Das aber war das Signal für
die Jugend. Zu Fuß und im Rodel, mit Schneeſchuhen und im
Schlitten gings hinaus, und bald waren die Wangen rot und
die Augen leuchteten geſund und ſtrahlend, im ſchönſten Wett=
bewerb
mit den Kerzen am Vorabend. Das war doch die ſchönſte
und billigſte Weihnachtsfreude, daß Frau Holle ſich wieder ein=
mal
daran erinnerte, daß in deutſchen Landen eine Jugend
heranwächſt, die ihre Exiſtenz bisher nur vom Hörenſagen her
kannte und die bald an ihrem Märchendaſein verzweifelt wäre,
die kaum wußte, was ein rechtes echtes Weihnachtswetter iſt.
Was die Politik an Weihnachten neues gebracht hat, iſt an
anderer Stelle zu leſen. Auf wirtſchaftlichem Gebiete war die
beginende Geſundung unſerer Finanzen zu ſpüren. Die Darm=
ſtädter
Geſchäftswelt war im allgemeinen mit den Weihnachts=
käufen
zufrieden. Anfängliche Zurückhaltung wich bald verſtärk=
ter
Kaufluſt und der goldene Sonntag brachte, wohl ſeinen
Ruf aus beſſeren Zeiten wieder zu Ehren. Viele Geſchäfte muß=
ten
zeitweiſe ſchließen. So dürfen wir wohl im allgemeinen
mit Befriedigung zurückblicken auf Weihnachten 1923, und wenn
wir in 1924 nichts anderes hinüberretten als dieſe Genugtuung
und die Hoffnung, daß es beſſer wird, dann wird das Daſein
wieder erträglicher werden auch in deutſchen Landen.
Landestheater. Beſteigung des Mount Evereſt. In
Darjeeling wird unter Führung des Generals Bruce die Expedition zu=
ſammengeſtellt
. An Hilfsmitteln iſt ſie glänzend ausgeſtattet. Der Film
verfolgt den Marſch durch die fieberheißen Dſchungeln des Sikkin, durch
die Urwaldgebiete des Vorhimalaja zu dem rauhen, von Schneeſtürmen
durchtobten Hochland von Tibet. Das Leben im Lager, die verſchie=
denen
Stände des durchreiſten Landes, die äußerſt merkwürdigen Bau=
ten
der Tibeter, die wilden Reiter Tibets bei ihren atemraubenden
Spielen, die uns völlig ungewohnten religiöſen Gebräuche und Tänze
ziehen in vorzüglichen Bildern an uns vorüber. Hieran ſchließt ſich
die Kletterei an den Hängen des Berges, gegen die Kraxeleien in den
Alpen Kinderſpiele ſind. In 5000 Meter Höhe wird das Hauptlager
angelgt. Alle die ungeheueren Schwierigkeiten, die nun die Expedition
in reichſtem Maße heimſuchen, kehren im Bilde wieder: die mühſeligen
Gletſchermärſche, der Aberglauben der Träger, die zähe Ueberwindung
der Steilhänge, die trotz außerordentlicher Höhe brennende Sonnen=
hitze
, die ſchweren Schneeſtürme, die wahnſinnige Nachtkälte, die Atem=
beſchitzerden
bei zunehmender Höhe. Drei Verſuche machte die tapfere
Schar. Der dritte begann unter verhängnisvollen Vorzeichen. Eine
mächtige Gletſcherſpalte hatte ſich gebildet. Schneeſtürme umtoſten den
Gipfel. Eine Lawine ſtürzte zu Tal und riß die Teilnehmer der Partie
mit fich. Da früher als berechnet die ſchlechte Witterung einſetzt, muß
die Expedition ſchweren Herzens abgebrochen werden. Im kommenden
Jahre beabſichtigen die Engländer einen neuen Anſturm auf ſen Verg.
Der Filmvortrag kann in Darmſtadt nur zweimal, am Freitag, ſtatt=
finden
, um 6 und um 8 Uhr im Kleinen Haus.
Aburteilung der Landesverrats= und Spionagefälle durch Ober=
landesgerichte
. Der Oberreichsanwalt kann die Strafverfolgung an der
Staatsanwaltſchaft eines Landes abgeben. In dieſem Fall wird das
Oberlandesgericht zuſtändig. Das Reichsgericht kann bei Eröffnung des,
Hauptverfahrens Verhandlung und Entſcheidung dem Oberlandesgericht
überweiſen, wenn es Oberreichsanwalt in der Anklageſchrift beantragt.
Für das Verfahren vor dem Oberlandesgericht gelten die gleichen Vor=
ſchriften
wie für das Verfahren vor dem Reichsgericht in erſter Inſtanz.
Auflöſung der Flüchtlingslager. Die Länder ſind verpflichtet, die
Flüchtlinge derſelben nach vom Reichsrat aufgeſtellten Verteilungsplan
bis 1. März 1924 zu übernehmen. Die Gemeinden haben die ihnen zu=
gewieſenen
Flüchtlinge bei Unterbringung der Wohnungſuchenden vorweg
zu berückſichtigen. Die Zeit des Lageraufenthalts iſt dabei als Wartezeit
anzurechnen. Gemeinden haben bis zur endgültigen Unterbringung für
Verwahrung ihrer Habe zu ſorgen; ſie können Räume jeder Art, die
ſich zu Wohnzwecken eignen, in Anſpruch nehmen, auch nach dem 1. Juli
1918 bezugsfertig gewordene und künftig werdende, ſie können von den ſo
Betroffenen erforderliche entbehrliche Einrichtungsgegenſtände anfordern.
Der Flüchtling hat angemeſſene Vergütung zu gewähren; die Gemeinde
kann Sätze hierfür feſtſetzen. Erwerbsfähigen Flüchtlingen iſt am Unter=
bringungsort
Erwerbsloſenfürſorge zu gewähren.

*Herr Baron von Grimm.
(Zum 200. Geburtstag am 26. Dezember.)
Von Dr. Ernſt Ulitzſch.
rimm war ein Mann, der nicht nur vielen Geiſt, ſondern
aus ine ſchöne Geſinnung des Herzens beſaß und durch die
Wi, mit der er ſein Schickſal trug, bewies, daß er Philoſoph
nic uir auf dem Papier, ſondern in Wirklichkeit war, ſagt
von ihm in den Tag= und Jahresheften da er ihn
Gotha als blinden Greis kennen lernte. Die heutige Zeit
Abenig von Grimm, wie er auch zu ſeinen Lebzeiten nur
einI kleinen Kreiſe der höchſtſtehendſten Geiſter Europas ver=
traT
Dar. In den landläufigen Kulturgeſchichten wird ſeiner
ge 1 elich nicht gedacht, und doch iſt ſein Einfluß an allen
höfen ſeiner Zeit bedeutend geweſen und hat ſich indirekt
en kulturellen Handlungen ausgewirkt. Sein Leben war
ein rrig bunt, nicht frei von einer gewiſſen Abenteuerlichkeit,
die 2 vielen Perſonen des 18. Jahrhunderts anhaftet, die ſich
aus i gedrückten Verhältniſſen der bürgerlichen Kreiſe in die
hösr phären ſchwangen.
kedrich Melchior Grimm erblickte zu Regensburg am
vr Weihnachtsfeiertag das Licht der Welt. Das Schickſal
ließ r älteſten Sohn eines Pfarrers ſein, und es iſt bei dieſer
Ge mheit reizvoll, darüber nachzudenken, wieviel deutſche
Ku-u, dem evangeliſchen Pfarrhauſe verdankt, das ſoviel mehr
Phd=phen als nur den einen Leſſing großzog. Grimm beſaß,
wici e die in ſehr beſcheidenen Verhältniſſen lebenden Spröß=
lin
=)äterariſcher Familien, wie man damals die Kreiſe der
Iny genz nannte, von Jugend auf den Ehrgeiz, über die
drii De Enge ſchmaler Einkünfte hinauszugelangen. Er ver=
ſuc
ich frühzeitig in der Literatur, denn dieſer Weg war der
ſichk um einen der zahlreichen Mäzene auf ſich aufmerkſam

zu. Hen, die damals der Adel ſtellte und von denen man heute
nu=uoch wie von einer Legende weiß. Als Zwanzigjähriger
droi iſierte Grimm bereits die Aſiatiſche Baniſe, einen be=
rüri
n vielbändigen Roman aus dem 17. Jahrhundert, und
ſarn die Abſchrift an den Literaturpapſt Gottſched nach Leipzig,
ders n den Entdecker jüngerer Talente ſpielte.

Die große Karriere des inzwiſchen zum Doktor juris gewor=
denen
Grimm begann aber erſt, als er ſich als Hofmeiſter des
jungen Graſen Schönburg 1748 nach Paris begab, um daſelbſt
dieſen in die höhere Lebenskunſt einzuweihen. Paris war im
18. Jahrhundert jener Ort, wo die Erziehung junger Leute von
Stand den letzten Schliff erhielt. Paris war das Zentrum, von
dem aus ſich kultureller Einfluß verbreitete, und in ſeinen Salons
konnte man das Glück machen wie nur heute an der Börſe, wenn
man die Sache richtig anzupaclen verſtand. Dieſe Fähigkeit beſaß
Grimm in hohem Maße. Durch den Sohn eines Gönners ge=
langte
er in Kreiſe, die ihm ſonſt ewig verſchloſſen geweſen wären
und einmal in ihnen, war es ihm ein Leichtes, ſich durch ſeine
ungewöhnliche Klugheit, ſeine Gelehrtheit, feine guten Manieren
darin; zu behaupten. Weil er aus einer Geſellſchaftsſchicht
ſtammte, die keinen Einn für Eleganz und einwandfreie Ma=
nieren
haben konnte, weil ſie am Nötigſten Mangel litt, ſchien
ihm Eleganz um ſo begehrenswerter, je neuer ihm die Erſchei=
nung
ſelbſt war, und er übertrieb ein wenig darin. Er war in
mancher Beziehung der Felix Poppenberg ſeiner Zeit.
Was ihn uns heute wertvoll macht, iſt nicht der Reiz ſeiner
Perſönlichkeit, der ungewöhnlich groß geweſen ſein muß, denn
Grimm vermochte auf ſo verſchiedene Naturen, wie es Diderot,
Rouſſeau und die Kaiſerin Katharina II. von Rußland waren,
zu wirken, ſondern ſeine Koreſpondenz. Die geiſtreiche Herzogin
Louiſe Dorothea von Sachſen=Gotha ließ ſich ſeit dem Jahre
1747 von dem freigeiſtig gewordenen Exjeſuiten Abbé Raynal
regelmäßig Berichte aus Paris über literariſche und ſonſtige Er=
eigniſſe
ſenden. Abbé Raynal, der faul war und ſich immer
eines Sekretärs bediente, nahm Grimm als ſolchen an. Aber in
kurzer Zeit ging dieſe Literariſche Korreſpondenz völlig in die
Hände Grimms über, und er hat ſie zu dem gemacht, was ſie
uns heute iſt: zu einem unſchätzbaren Quellenwerk, das Auskunft
über alle jene Dinge gibt, die damals im Geheimen beſprochen
wurden. Nicht nur die Herzogin von Gotha bezog dieſe Korre=
ſpondenz
, ſondern es gingen Abſchriften an Friedrich den Großen,
Katharina II., König Euſtav von Schweden, die große Land=
gräfin
Karoline von Heſſen, den Großherzog von Toskana; und
ſo mögen wohl an 15 Abſchriften von den Berichten gemacht
worden ſein, die zweimal im Monat im Umfange von acht Folio=
ſeiten
erſchienen. Fünfzehn Abſchriften das war auch damals
ſchon die Oeffentlichkeit hinter verſchloſſenen Türen, aber der

Reiz der Korreſpondenz beruhte ja darauf, daß ſie nur an wenig
Auserleſene ging. Um ſo mehr es vor 150 Jahren üblich war,
Briefe zu verleihen oder für dritte Perſonen abſchreiben zu
laſſen. Und an den Höfen gelangte die Korreſpondenz nicht nur
in die Hände der Abonnenten (die übrigens freiwillige Beiträge
bezahlten, unter denen die zehntauſend Goldmark der großen
Katharina vornan ſtanden), ſondern wurde im vertrauten Kreiſe
vor ſehr wißbegierig lauſchenden Ohren verleſen. Die Herzogin
von Gotha lieh ihre Koreſpondenz nach Weimar und ſo lernte
ſie Goethe kennen.
Das 18. Jahrhundert kannte Zeitſchriften in unſerem Sinne
nicht, toie wir heute auch keine Zeitfchrift im Sinne der Grimm=
ſchen
Korreſpondenz beſitzen. Delikate Mitteilungen, boshafte
Anekdoten verlieren ihre Schärfe, wenn ſie nur im Kreiſe Aus=
erwählter
kolportiert werden. Bei den ſchlechten Poſtverbindun=
gen
war es der außerpariſeriſchen Geſellſchaft nicht möglich, ſich
ſtets mit der neueſten Literatur bekannt zu machen. Aber Grimm
bot mehr. Er beſprach Theateraufführungen, Ballette, Vers=
bücher
und Romane und ſehr ſachverſtändig die Muſik. Er er=
zählte
von neuen Hutmoden, von Parfüms und ließ auch die
bijoux indiscret nicht beiſeite. Die Korreſpondenz enthielt Aus=
züge
aus ſoeben erſchienenen Büchern und nicht ſelten aus
ſolchen, die nur unter der Hand in Abſchriften verbreitet wurden.
In ſolcher Geſtalt lernte Goethe Rameaus Neffen kennen, den
er ſofort überſetzte und unter ſeine Schriften aufnahm.
Die kritiſche Nachwelt hat an Friedrich Grimm viel auszu=
ſetzen
gehabt. Streberei kann nicht ganz aus ſeinem Weſen hin=
weggeleugnet
werden, obgleich die Grenze, an der ſich natürlicher
Ehrgeiz und Streberei teilen, recht variabel iſt. Daß er von
Kaiſer Joſeph II. zum Freiherrn von Grimmhoff nobilitiert, von
der großen Katharina zum ruſſiſchen Geſchäftsträger beim nieder=
ſächſiſchen
Hofe ernannt worden iſt, haben ihm Leute als Unrecht
angekreidet, deren Stolz nicht gar ſo groß ſein würde, wenn
ſolche Verwandlungen ſich noch heltte vollziehen könnten. Aber
Grimms literariſches Anſehen iſt nicht zu zerſtören. Seine kri=
tiſchen
Urteile bewundern wir noch heute. Die Nachwelt hat
jedes ſeiner Urteile beſtätigt, mag er nun über einen frivolen
Roman Crebillons oder über den ſiebenjährigen Krieg geſchrieben
haben. Und wo wäre ein zweiter Mann ſeiner Zeit, von dem
ſich Aehnliches ſagen ließe?

[ ][  ][ ]

Seite 4.

Darmſtädter Tagblatt, Donnerstag, den 22. Dezember 1923.

Rummer

Darmſtädter Noigemeinſchaft.
II. Spendenliſte.
Vout 26. November bis 22. Dezember 1923.)
An Spenden gingen ein:
4)wertbeſtändig (in Goldmark ausgedrückt): Fa. Röhm u. Haas
1000 M.; Fa. C. Scheuck 330 Mk.; Fa. Joſef Trier 500 Mk.; Deutſche

Bank 210 Mk.; Darmſtädter und Nationalbank 200 Mk. Heſſ. Giro=
zentrale
200 Mk.; M. E. 64 Mk.; Bahnbedarf A.=G. 210 Mk.; Direktor
Paſchke 42 Mk.; H. H. 21 Mk.; St. 2 Mk.; Karl Specht 2 Mk.; Unge=
lannt
2 Mk.; Ungenannt 1 Mk.; Ungenannt 1 Mk.; Ungenannt 105
Mk., Frau Carier 1,05 Mt.
b) In Papiermark (in Milliarden ausgedrückt): Fa. Gebr. Roe=
der
500 000 Mk.; Bankhaus Nauheim u. Co. 100 000 Mk.; Fa. C. Schenck
330 000 Mk.; Heag 68000 Mk.; Phil. Roeder 50 000 Mk.; Fa. Olitzſch
10 200 Mk.; A. E. 50 000 Mk.; Buchhandlung Carius 10 000 Mk.; Prä=
ſident
Dr. Weber 10 000 Mk.; Bankgeſch. Kahn u. Schack 10 000 Mk.;
Buchhandlung Saeng 8400 Mk.; Hilfsverein Deutſcher Reichsangehöriger
in Prag 9900 Mk.; Buchhandlung Schroth 5000 Mk: Fa. D. Faix
u. Söhne 5500 Mk.; G. B. 5000 Mk.; M. Helene 4200 Mk.; Min. d. Fi=
nanzen
, Abtlg Buchhaltung, Vorſtand, Beamte u. Bedienſtete 4120 Mk.; Fa.
Gublitz 2500 Mk.; Beamte und Angeſtellte des Gaswerks 2064 Mk.: Ge=
werbl
. Fortbildungsſchule 2660 Mk.; General Nöll 1500 Mk.; Müller
1500 Mk.; Oberreg.=Rat Linkenheld 1500 Mk.; Frau Oberlandesgerichts=
rat
Linkenheld 1000 Mk., Seipp 1000 Mk.; N. N. 100 Mk.; N. N. 100
Mk.; N. N. 431 Millionen Mk.; N. N. 100 Millionen Mk.; Amtsgericht
Darmſtadt I 33 Millionen Mk.
c) In Naturalien: Fa. Gebr. Adler, Lebensmittel im Wert
von 420 Goldmark; Fa. Herz Bodenheimer desgl. im Werte von 420
Goldmark; Fa. Rudolf Schnauber desgl. im Werte von 420 Goldmark;
Fa. Janſſen 1 Ztr. Haferflocken 1 Ztr. amerik. Weißmehl, 5 Ztr. Holz;
Fa. Ludwig Ioſeph, Bodenleder im Werte von 250 Goldmark; Fa, Ull=
mann
10 Ztr. Kartoffeln; Gemeinde Schaafheim rund 20 Ztr. Gemüfe;
Filialen Kaiſers Kaffeegeſchäft 10 Pfund Reis;, Fa. Reinhold 40 Rollen
Nähgarn: Wagners Bluſenhaus 1 Bluſe; Fa. J. C. Schmidt 5 Pfund
Wolle; Wohlfahrtsausſchuß der Auslandshilfe 1 Ballen Frauenkleidung.
Herzlichen Dank ſei alle den Spendern geſagt, die durch ihren Opfer=
ſinn
bekundet haben, daß ſie bereit ſind, mitzuarbeiten an dem Werk zur
Linderung der Not unſerer Mitbürger. Aber noch ſtehen Viele abſeits.
Möge das Feſt der Liebe und Verſöhnung ihre Herzen erwärmen, damit
ſie im ſtrahlenden Kerzenſchein auch derer gedenken, die abgehärmt und
frierend im dunklen Kämmerlein, nichts wiſſen von Feſtesfrende und
Lichterglanz.
Darmſtädter Notgemeinſchaft. Winternot Kinderhilfe.

Felöbereinigungsgeſetz. Das Geſetz vom 28. September 1887 iſt
in der Faſſung der Bekanntmachung vom 7. Juli 1906 geändert und er=
gänzt
worden. Das neue Geſetz iſt am 19. d3. in Kraft getreten.
Eine trauliche Weihnachtsfeier bereiteten die barmh. Fran=
ziskanerbrüder
, Hermannſtraße, ihren Pflegebefohlenen. In
einem ſtimmungsvollen Raume hatten ſich die Aerzte, das Perſonal und,
ſoweit möglich die Kranken nebſt Angehörigen eingefunden. In einer
Folge ſchöner Darbietungen löſten ſich ein Celliſt, zwei Violinkünſtler und
ein Geſangsquartett gegenſeitig ab, um die Zuhörer weihnachtlich zu er=
freuen
. Auch ein Patient wußte mit einer eigenen Tondichtung für zwei
Stimmen zu überraſchen. Ein Redner würdigte in warmen Worten die
hingebende, herzliche Liebe, mit der die barmh. Brüder in der Tat den
Kranken Heim und Familie erſetzen. In manches Auge ſtahl ſich eine
Träne, da beim Glanz des Weihnachtsbaumes und den Zauberklängen
der Weihnachtsweiſen die lb. Brüder ihre köſtlichen Gaben austeilten.
Fürwahr, die chriſtliche Liebe lebt noch in der Stille ihr menſchenbeglücken=
des
Leben. Ein Dank allen, die den Kranken zu dieſer ſchönen Weih=
nachtsfeier
verhalfen, vor allem jedoch den barmh. Franziskanerbrüdern
und ihrem tüchtigen Vorſteher.
Tagesordnung zur Sitzung des Provinzialausſchuſſes der Provinz
Starkenburg am Samstag, den 29. Dezember 1923, vormittags 10 Uhr:
1. Schließung des Kaffees Nuwoldt in Darmſtadt, Ecke Waldſtraße und
Saalbauſtraße. 2. Beſchwerde des Kaufmanns Albert Bſehle zu Seligen=
ſtadt
gegen den Beſchluß des Kreisamts Offenbach vom 6. Dezember 1923
wegen Unterſagung des Handels mit Gegenſtänden des täglichen Bedarfs.
3. Beſchwerde des Martin Schmidt 4. zu Lampertheim gegen die Eut=
ſcheidung
des Kreisamts Bensheim vom 2. November 1923 wegen Ver=
ſagens
der Erlaubnis zum Handel mit unedlen Metallen.
Orpheum. Die erfolgreichſte Operette der neueren Zeit, Kalmans
Bajadere, gelangt heute und die nächſten Tage zur Aufführung.

Aus den Parteien.

X Fällige Steuern. Am 27 Dezember ſind zu entrichten:
Staatliche Grundſteuer, ſtaatliche Gewerbeſteuer, je drittes Ziel; Be=
triebsabgabe
für die Woche vom 11.20. Dezember 1923. Am 31. De=
zember
ſind zu entrichten: Vierte Nate des Landwirtſchaftskammer=
beitrags
, am 2. Januar 1924: die zweite Rate der Brotverbilli=
gungsabgabe
.
Ausgabe und Einlöſung von Norgeld. Reichsfinanzminiſter ſetzt
einvernehmlich mit oberſter Landesbehörde den Zeitpunkt des Aufrufs
des wertbeſtändigen Notgeldes einheitlich für das ganze Reichs=
gebiet
oder für einzelne ſeiner Teile oder geſondert für einzelne Notgeld=
ausgaben
feſt. Einlöſung dieſes Notgeldes kann nicht vor dem vom
Reichsfinanzminiſter feſtgeſetzten Zeitpunkt des Aufrufs verlangt werden.
Das gilt auch dann, wenn Ausſteller des Notgeldes ſich durch Aufdruck
auf dem Schein oder in anderer Weiſe zu früherer Einlöſung ver=
pflichtet
hat.
* Zur Hypothekenaufwertung hat Reichstagsabgeordneter Dr. Deer=
mann
=Köln an den Reichsjuſtizminiſter Emminger eine Eingabe gerichtet,
in der gegen die geplante Neichsnotverordnung proteſtiert wird. U. a.
wird in der Eingabe geſagt: Ich möchte mit allem Nachdruck darauf
hinweiſen, daß weite Kreiſe des katholiſchen rheiniſchen Volkes und des
Klerus die lebendige Ueberzeugung vertreten, daß nach katholiſcher
Sittenlehre und öffentlicher Meinung das Privateigentum auch vom
Staate heilig zu halten iſt, daß die Verweigerung der Schuldenaner=
kennung
und die Bezahlung nach dem Grundſatze gleicher Rückleiſtung
dem Werte nach eine ſchwere Sünde iſt. Das 7. und 10. Gebot gelten
noch ſür Einzelne und Geſellſchaften, auch für den Staat. Die Ent=
rechtung
der Witwen iſt und bleibt eine himmelſchreiende Sünde. Ich
warne. Deutſchlands Staatsmoral darf nicht ganz in den Abgrund
finken.

Deutſche Demokratiſche Partei. Weihnachtsfeier für
die Kinder. Die von der Frauengruppe veranſtaltete Feier verlief in
jeder Hinſicht erfreulich und harmoniſch. Die kleinen Gäſte waren in ſo
großer Zahl herbeigeſtrömt, daß der Raum ſie kaum faßte. Mit atem=
loſer
Spannung lauſchten ſie dem reizeuden luſtigen Märchen von Sand=
männleins
Lieblingen, das die Verfaſſerin, Frau Liſe Ramſpeck, mit
geſvohnter Meiſterſchaft in ihrer ſohelthaffen, den Kinderohren ſo unver=
gleichlich
angepaßten Weiſe vortrug. Zwei Teiſe der Märchentrilogie
wurden vorgeleſen: Beſuch beim Oſterhaſen und Beſuch bei der Blumen=
fee
. Zwiſchen beiden fand der Feſtſchmaus ſtatt, der von freundlichen
Parteimitgliedern geſtiftet war, und aus vorzüglichem Kakao, mürben
Wecken und Kuchen beſtand. Alle bekannten Weihnachtslieder wurden
mit Andacht und Begeiſterung geſungen, und für die Begleitung ſorgte
die Geige von Herrn Reichert jun, und die Laute des Herrn Ales Müller,
wozu ſpäter noch die von Herrn Rud. Feh kam, der die Zuhörerſchaft
auch durch ein ſchönes Lied erfreute. Die kleinen Gäſte ſelbſt trugen zur
Unterhaltung bei durch Vortrag von Gedichtchen und Sololiedchen und
einen ganz entzückenden Anblick bot der, nur durch die Kerzen des Weih=
nachtsbaumes
erhellte Raum, in dem ſich die frohe Kinderſchar zwanglos
um die Märchentante gruppierte. D Gipfel der Freude bedeutete
jedoch die Verloſung von wunderhübſchen Dingen: Spielen, Schokolade,
Briefpapier, Bleiſtiften, Notizblöckchen, Lebkuchen uſw. die ebenfalls von
freigiebigen Parteifreunden geſtiftet worden waren. Zum Schluß wurde
unter lebhaftem Jubel die liebe Märchentante, hochleben gelaſſen, und
gerne wäre ein Gleiches all de: freundlichen Stiftern und Gebern zuteil
geworden, wenn ſie autveſend geweſen wären. Jedenfalls rechnen die
kleinen und großen Feſtteilnehmer darauf, nächſtes Jahr unter ähnlichen
Begleiterſcheinungen den 3. Teil des Märchens zu hören. Zunächſt aber
beabſichtigt unſere Jugendgruppe, am 12. Januar einen Familienabend
zu veranſtalten, zu dem ſie ſchon heute alle Mitglieder und Freunde
E. R.
einlädt.

Reich und Ausland.
Starker Schneefall in ganz Deutſchland.
Am Heiligabend und an den beiden Weihnachtsfeiertagen
fall in ganz Deutſchland erheblichen Schaden angerichtet
Poſt, Telegraph und Eiſenbahn haben darunter ſehr zu leic=
Infolge der großen Schneeverwehungen mußten zahlreiche
fallen. Die Fernzüge, namentlich aus Süddeutſchland, hatt=
tungen
bis zu 4 und 6 Stunden. Zahlreiche Telegraph
phenſtangen im ganzen Reich wurden umgeworfen, ſo da
kehr erheblich gehemmt iſt. Ein beſonders ſtarker Se
am 1. Feiertage im Nieſengebirge. Der Schnee wurde

len meterhoch emporgetürmt. Auf dem Nieſengebirgska
Aufenthalt im Freien lebensgefährlich. Die Strecke Schrei
tal iſt dadurch geſperrt, daß auf ihr ein Zug eingeſchnei
Deutſche Kinder nach Liechtenſtein.
Die Anmeldungen von Liechtenſteinern für Freiplätz
Vaduz in erfreulicher Zahl ein. Die Liſte wird in e
gehen.
In Seengt.
Der Hamburger Dampfer Hammerburg, der uit
ladung von Norwegen nach Holland unterwegs war und ind=
ſee
in einem ſchweren Orkan infolge Kohlenmangel=
luſtes
beider Ankerketten hilflos wurde, wurde don ein
Fiſchdampfer nach Altona eingeſchleppt. Die Mannſchaft
vellkommen erſchöpftem Zuſtande.
Ein neues Erdbeben in Japan.
Aus Japan wird mitgeteilt, daß Tokiv vorgeſtern fruß
heftigen Erdbeben heimgeſucht wurde. Obwohl ſich der Bevölke
wilde Panik bemächktigte, und die Maſſen in raſcher Flucht auf
ßen ſtürzten, ſind Opfer an Meuſchenleben nicht zu beklage,
Sachſchäden ſind nur unerd
Großfeuer in der Zuckerfabrik Taugermünde.
In der Zuckerfabrik Tangermünde, der größten Anlage
auf dem europäiſchen Feſtlande, brach nachts Großfeuer aus.
ſache bisher noch nicht feſtgeſtellt iſt. Durch den ſich ſchnell
den Brand wurde der alte Teil der Fabrik vernichtet;

konnte gehalten werden.

Een Rrnit We Rie

Ausdehnung des Feuers zu verhü
jahren ſtehengebliebene Teil des

des, ein 145 Meter langer vierſtöckiger Bau mit vielen
dem Feuer zum Opfer gefallen. Das Gebäude war bi=
und ſollte in den nächſten Tagen erſt wieder zur Würfelzu
in Betrieb genommen werden. Da in dem alten Fabrikt,
verarbeitet war, dehnte ſich der Brand raſch aus, ſo da
wehren ſich darauf beſchränken mußten, die gefährdeten
der Fabrik zu retten. Die Maſchinen und Apparate ſind
Flammen geworden, dagegen kein Roh= und Verbrauc
Betrieb der Fabrik erleidet keine Unterbrechung. Der S
durch Verſicherung gedeckt.

* Aus dem Kreiſe Heppenheim, 21. Dez. Mangelhafte Milch=
ablieferung
. Das Kreisamt Heppenheim macht bekannt, daß die
Milchablieferung ſehr zu wünſchen übrig laſſe, und die Kreisbehörde
ſehe ſich genötigt, zur Zwangsablieferung zu ſchreiten und die läſſigen
Kuhhalter in Strafe zu nehmen, wenn in Kürze die Milchablieferungen
nicht befriedigen.
X Friedberg (Oberh.), 26. Dez. Ein eigenartiger Unfall
hat ſich hier in der Engelsgaſſe abgeſpielt. Eine dort wohnhafte Frau
wurde von einem Fremden überfallen und mit einer Eßgabel verletzt.
Der Täter ging flüchtig.

Wetterbericht der Gießener Wetterwart

Ein ausgebreitetes Hochdruckgebiet über Nordeuropa wir
ſcheinlich beſtändiges Froſtwetter bringen.

D ehesn
Landestheater, Großes Haus, Anfang 7 Uhr (C 9).
Kleines Haus. Anfang 7 Uhr (Zuſatzmiete UT):
Orpheum, 7. Uhr: Die Bajadere‟. Union=,
Zentral=Theater, Palaſt=Lichtſpiele: Kinovorſtellungen.

Hauptſchriftleitung: Rudolf Mauve
Verantwortl.ch für Politik und Wirtſchaſt: Rudolf Maupe
Verantwortlich für Feuilleton und Heſſiſche Nachr chten: Mar Stre
Verantwortlich für Sport: Dr. Eugen Buhlmann
Verantwortlich für Schlußd en:: Andreas Bauer
Verantwortlich für den Inſ=ratentel: Willy Kuhle
Druck und Verlag: 2. C. Wittich ſämtlich in Darmſtadt.

Die heutige Rummer bat 6. Zeiten

Heute entſchlief ſanft mein lieber
Mann, unſer guter Vater, Bruder
und Schwager

generalmglor a. 9.
Darmſtadt, 26. Dezember 1923.
Im Namen der Familie:
Auguſte von Lyncker
geb. Wenck
Beerdigung: Samstag, 29. Dez.,
vormittags 11½ Uhr, auf dem alten
Friedhof. Wir bitten von Blumen=
ſpenden
und Beileidsbeſuchen =
tigſt
abzuſehen.
(8781

Palast-Lichtspiele

Der Film der Menschlichkeit
7 Akte, 3000 Meter
Henny Borten
Asta Hielsen, Werner Krauss
in den Hauptrollen
(87400d
Kinder zahlen nachmittags die Hälfte

Maja Nollſtadt
Wilhelm Eifert

Verlobte
Auerbach=Heſſen
Darmſtadt
Weihnachten 1923

(8780)

Familie Raffke im Unienafheeter

Ein Zeitbild in 6 Akten, Vorführungsdauer 2/, Stunden.

8
40
Frau Raffke
g. Rallké
Emil Raffke

Lydia Potechima
Lee Parry
Werner Krauß
* Versäumen Sie nicht, sich diese Typen der Kriegs- und Revolutionsgewinnler anzusehen.
(877
Harry als Schutzmann, Lustspiel in 2 Akten mit Harry Sweet.

Buffalo Bill, 3. Teil
Heimatlos, 6 Akte
Rassmussens letzte Wordpolexpedition.
4 Alte. Jugendliche haben Zutritt.

Buffalo Bill, 4. Teil.
Auf dem Kriegspfade, 64k

Harry und das Steinach-Elixiel

Lustspiel in 2 Akten mit Harry Sweet.

Heſfiſches Landestheater

Kleines Haus. (87540d
Freitag, den 28. Dez., abends 6 und 8 Uhr
Filmvortrag:
Eine Beſteigung des Mount Evereſt.
Preiſe von 50 Pfennigen an aufwärts.

Federwerkskorper

Orpheum (

uhr

* Heute"
und folg. Tage

Die
Bajadere

Muſik v. Emmrich
Kälmänſeis
Kart.: Verk.=Büro,
de 4aal,Rheinſtr. 1 4.

Landestheater.
Großes Haus.
Donnerstag, 27. Dez.
C 9
Falſtaff
von G. Verdi.
Anfang 7 Uhr,

Kleines Haus. (V8
Zuſatzmiete VI‟.
Die Freier
von Joſ.v. Eichendorff
Anfang 7 Uhr.

Trotz der hohen
Lederpreiſe
Lederſoglen

ſowie größere
Lederſtücke

zum Ausſuchen
noch koloſſal billig
(78163

Für ſofortigen
Eintritt wird ein
jung. Buchhalter
geſucht, welcher
flott und ſſcher
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Mcſchinenſchreiber
iſt. Angeb. mit
Zeugnisabſchrift.
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die Gemeinde Pfungſtidt aus
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TV.
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Zuſammenkunft vormittags 9½
der Sandbachbrücke, Sandſchollen
Pfungſtadt, den 21. Dezember 1
Heſſ. Vürgermeiſ
gez. Schwin
8753od)

2 helle
Verkaufs

räume

Durch den Einbau einer Warmwaſſer=Heizung iſt der X
Saal im erſten Stock wieder geöffnet und bringe ich den= P
ſelben beſonders Geſellſchaſten, Vereinen u. ſ.w. in emp= 6
fehlende Crinnerung.
(*30429gim

in verkehrsreiche
Lage der Stadt geſ.
Angebote u. A 87
an die Geſchäftsſtelle
ds. Blattes. (*3043/

Let=deutſch, deutſch lat.
griech.=deutſche Wörterb.
geſ. Angeb. Heidenreich=
traße
41, part, (230504

Feuerwerk=n.
Zigarrett
Niespulver,
Lachſpiegel,
Scherz=Gymn
Foxtrott=Sänz
ſowie ea. 60 ver
ulk=Gegenſtä.
Scherz=Brieft
Poſtkarte
Ferne:: Glücksi
aus Bei zum
ſind vorrätie
Adolf Sku
Sportbuchhan
Ecke Grafen=
Marſtallſtraße.
Einziges Geſchäft
Art am Pla

[ ][  ][ ]

mmer 358..

Darmſtädter Tagblatt, Donnerstag, den 22. Dezember 1923.

Seite 5.

Sport, Spiel und Turnen.

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gre
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fur-

N3

*

Fußball.
Freie Turngemeinde Darmſtadt F.=V. Schweinfurt.
Tachdem ſich an den Weihnachtsfeiertagen nur die unteren
rſchaften betätigt haben, empfängt am kommenden Sonntag
ſte Mannſchaft zu einem Vormittagsſpiel einen beſtbekann=
irddeutſchen
Vertreter: Die Sonderklaſſenmannſchaft des
mvereins Schweinfurt. Ein vorzüglicher Ruf geht
Fäſten voraus, ihre Spielweiſe iſt in jeder Beziehung vor=
. Da die Mannſchaft ſchon am Samstag hier eintrifft,
n dringend Quartiere benötigt. Sport= und Turngenoſſen,
belche zur Verfügung ſtellen können, wollen ſich ſofort mit
Abteilungsvorſtand in der heute abend 8 Uhr bei Sportge=
Borger ſtattfindenden Vorſtandsſitzung in Verbindung
Näheres über das Spiel ſelbft ergeht noch in den Tages=
gen
und durch Plakate.
F.=Cl. Teplitz Eintracht Frankfurt 4: 1.
der gute ſportliche Ruf, der den Teplitzern vorausging, fand
Weihnachtsfeiertag durch das Geſellſchaftsſpiel in Frank=
jegen
die Eintracht ſeine volle Beſtätigung. Beſonders er=
ch
wirkte die echt kameradſchaftliche Geſinnung, welche die
rſchaft während des Spiels ſowie vorher und nachher in
E und Tat zum Ausdruck brachte. Nach alledem kann von
Geſellſchaftsſpiel in landläufigem Sinne nicht mehr ge=
en
werden, das Treffen geſtaltete ſich vielmehr zu einem
rdſchaftsſpiel, zu einem Muſterſpiel im wahrſten Sinne des
8. Berlepp von der Helvetia=Bockenheim leitete das Spiel
ndfrei.
die Ueberlegenheit der Tſchechen trat ſofort nach dem Anſtoß
r. Ein ſchnelles Paſſen und ſchon in der achten Minute
der Halbrechte ein. Kaum ſind drei Minuten verſtrichen,
Det der Mittelſtürmer den Ball zum zweiten Male ins Netz.
Tor waren Erfolge ausgezeichneter Kombination und
n Schußvermögens. Den Frankfurtern drohte eine kata=
ale
Niederlage. Die Tſchechen wollten ſie aber offenſichtlich
ni herbeiführen und milderten etwas das Tempo, ſo daß die
furter genügend Zeit zum beſſeren Zuſammenarbeiten fan=
Sie kamen infolgedeſſen verſchiedentlich ſehr gut auf und
es lang dem rechten Flügelſtürmer von Eintracht in der 35.
Yte, das einzige Tor für Frankfurt durch einen ausgezeichnet
anter die Latte plazierten Schuß zu erzielen. Nach Seiten=
we
I dasſelbe Bild wie vorher nur mit dem Unterſchied, daß
tke Teplitzer Sturmflügel mehr in Tätigkeit trat. Er ſchoß
nm fwei Tore, beide infolge flotter und genauer Abgabe des
re k Flügelſtürmers. Während des ganzen Spiels wurde
in einziger Strafſtoß verhängt. Zu Stürzen am es ſehr
ſe obwohl der Boden ſehr hart gefroren war.
on den übrigen angeſetzten Weihnachtsſpielen fielen meh=
vegen
des Schneefalls aus. Die übrigen Spiele wurden
us mit Erſatzleuten durchgeführt, ſo daß die erzielten Re=
nur
teilweiſe die richtige Spielſtärke bezeichnen.
Offenbacher KickersHelvetia Frankfurt 2:6.
Sportklub BürgelUnion Niederrad 2:0.
Helvetia BockenheimSportfreunde Frankfurt 4: 3.
Wacker München-Bayern München 3:0.
V. f. B. MannheimF.=Cl. Teplitz 5:2.
Phönix LudwigshafenV. f. R. Saarbrücken 2:2.
Kickers WürzburgSportklub Stuttgart 4: 4.
Sportverein Wiesbaden-Phönix Mannheim 1:1.
Sportklub FreiburgVienna Wien 1:1.
Frankonia Karlsruhe-Phönix Karlsruhe 2:2.
T. V. 60 FürthRaſenſportverein Köln 6.:2.
Viktoria HamburgAltona 93 4:1.
Sportverein HamburgEimsbüttel 6: 1.
St. PauliWerder Bremen 2:1.
A. T. V. BremenUnion Altona 5:2.
rr Berlin kamen während der Weihnachtstage die zwei
re) onellen Kreisſpiele zum Austrag. Süd gewann gegen
3:2, Weſt gegen Oſt 4:1.
Handball.
Sp.=V. Spandau 60 Polizei=Sportverein Berlin 1:0.
n Berlin trafen ſich am Handball der Altmeiſter deu Deut=
Turnerſchaft, der Turn= u. Sportverein 60, und der Meiſter
eutſchen Sportbehörde, der Polizei=Sportverein Berlin.
au ſiegte nach gleichmäßigem Spiel 1:0.

Oſympiſche Spieſe 1924.
Die olympiſchen Spiele 1924 erwecken allmählich das Haupt=
intereſſe
der ſporttreibenden Nationen. Ueberall wird ſchon
fleißig an der Vorbereitung gearbeitet. England und Amerika
haben ſich einige Kilometer vom Stadion entfernt Villen er=
worben
, die zur Unterbringung ihrer Expeditionen dienen ſollen.
Das vorbereitende Komitee hat bereits das vollſtändige Pro=
gramm
fertiggeſtellt und veröffentlicht.
Die große Eröffnungsfeierlichkeit mit einer Parade der
Athleten ſämtlicher teilnehmenden Nationen beginnt am Sams=
tag
, den 5. Juli.
Bisher haben folgende 34 Nationen Meldungen abgegeben:
Oeſterreich, Auſtralien, Belgien, Bulgarien, Kanada, Dänemark,
Eſtland, Spanien, Vereinigte Staaten, Aegypten, Finnland,
England. Holland, Haiti, Ungarn, Italien, Irland, Indien,
Japan, Luxemburg, Lettland, Monaco, Mexiko, Norwegen, Neu=
Seeland, Portugal, Polen, Rumänien, die Schweiz, Südafrika,
Schweden, die Tſchecho=Slowakei, Türkei und Jugoſlawien. Dieſe
Liſte iſt aber noch nicht vollſtändig, da man noch mit Meldungen
der ſüd= und mittelamerikaniſchen Staaten, wie Braſilien, Ar=
gentinien
, Uruguay, Chile, Peru uſw., rechnet.
Die leichtathletiſchen Wettbewerbe
finden vom 5. bis 13. Juli im Stadion von Colombes ſtatt.
Meldeſchluß iſt am 24. Mai; es werden aber bis 25. Juni Aende=
rungen
in den Nennungen entgegengenommen. In den Einzel=
wettbewerben
können von jeder Nation bis zu vier, im Mara=
thonlauf
bis zu ſechs Teilnehmer ſtarten. Die einzelnen Kon=
kurrenzen
ſind: 100 Meter, 200 Meter, 400 Meter, 800 Meter,
1500 Meter, 5000 Meter, 10000 Meter, 3000 Meter Hinderniſſe,
110 Meter und 400 Meter Hürden, 10 000 Meter Gehen und der
Marathonlauf, deſſen Strecke ſich auf 42,195: Kilometer, gleich
26,395 Meilen, beläuft; Hoch=, Weit= und Dreiſprung mit An=
lauf
, Stabhochſprung, Speer= und Diskuswerfen, 16 Pfund
Hammerwerfen und Gewichtsſtoßen, Zehnkampf, der 100, 400,
1500 Meter, 110 Meter Hürden, Weit=, Hoch= und Stabhoch=
ſprung
, Diskus= und Speerwerfen, ſowie Gewichtsſtoßen um=
faßt
. Staffeläufe: 4X100, 4X400, 3X1000, Querfeldeinlauf.
Sonntag, den 6. Juli: Vor= und Zwiſchenläufe über 400
Meter Hürden und 100 Meter (nur Vorläufe), 800 Meter; Hoch=
ſprung
und Ausſcheidung, Speerwerfen und 10000 Meter Ent=
ſcheidung
.
Montag, den 7. Juli: 100 Meter Zwiſchenläufe und Ent=
ſcheidung
, 800 Meter Zwiſchenläufe, 400 Meter Hürden und Hoch=
ſprung
Entſcheidung, 3000 Meter Hindernis=Vorläufe, ſowie
Weitſprung, Speer= und Diskuswerfen, 200 und 1500 Meter des
Fünfkampfes.
Dienstag, den 8. Juli: Vor= und Zwiſchenläufe über 110
Meter Hürden und 200 Meter, Entſcheidung im Gewichtsſtoßen.
Weitſprung und 800 Meter, ſowie die Vorläufe über 5000 Meter.
Mitttvoch, 9. Juli: 200 Meter Zwiſchenläufe und Entſcheidung,
110 Meter Hürden, Entſcheidung, Ausſcheidung in 10 000 Meter
Gehen und Stabhochſprung, ferner der Entlauf über 3000 Meter
Hindernis und 1500 Meter Vorläufe.
Donnerstag, den 10. Juli: Entſcheidung im Hammerwerfen,
Stabhochſprung, 1500 Meter und 5000 Meter, 400 Meter Vor=
und Zwiſchenläufe.
Freitag, den 11. Juli: Zehnkampfkonkurrenzen; über 100
Meter, 400 Meter, Weit= und Hochſprung, ſowie Gewichtsſtoßen,
Entſcheidung im 10000 Meter Gehen, 400 Meter Zwiſchenläufe
und Entſcheidung, Vorläufe der 3X1000 Meter Staffeln.
Samstag, den 12. Juli: Zehnkampfkonkurrenzen über 110
Meter Hürden, 1500 Meter, Stabhochſprung, Diskus= und Speer=
werfen
, 4X100 und 4X400 Meter Staffelvorläufe, Entſcheidung
im Dreiſprung und Querfeldeinlauf.
Sonntag, den 13. Juli, ab 4 Uhr nachmittags: Entſcheidun=
gen
: Marathonlauf, 4X100 und 4X400 Weter Staffellauf, 3000
Meter Mannſchaftslaufen und Diskuswerfen.
Schwimmen.
Das Schwimmen wird an zwei Orten ausgetragen: im Sta=
dion
und im Pariſer Tourelles=Bad. Die Wettkämpfe dauern
vom 13. bis 20. Juli. Nennungsſchluß iſt am 1. Juni, Nach=
träge
werden bis 3. Juli angenommen. Höchſtzahl der Nennun=
gen
vier, am Start drei.
Herren: 100 Meter freier Stil, 100 Meter Rücken, 200
Meter Bruſt, 400 Meter freier Stil, 1500 Meter freier Stil,
Turmſpringen 5 und 10 Meter, Turmkunſtſpringen 5 und 10
Meter, Springen vom Sprungbrett aus 1 Meter und 3 Meter
Höhe. Damen: 100 Meter freier Stil, 100 Meter Rücken, 200
Meter Bruſt, 400 Meter freier Stil, Springen vom Sprungbrett

aus 1 Meter und 3 Meter Höhe, Turmſpringen aus 5 und 10
Meter. Mannſchaftswettbewerbe: eine Vierermann=
ſchaft
mit zwei Reſerven. Staffeln: Herren: 4X200 Meter
freier Stil, Damen: 4X100 Meter freier Stil. Die letzte Kon=
kurrenz
im Waſſerball, zugelaſſen eine Mannſchaft von ſieben,
vier Reſeverleute.
Sonntag, den 13. Juli: 1500 Meter freier Stil, Herren, Vor=
läufe
; Waſſerball: 400 Meter freier Stil, Damen. Montag, den
14. Juli: Ausſcheidung: Turmſpringen für Herren; Semifinale:
1500 Meter freier Stil für Herren und 400 Meter fieier Stil für
Damen, Waſſerball. Dienstag, den 15. Juli: 200 Meter Vor=
läufe
im Herrenbruſtſchwimmen; Entſcheidung: 1500 Meter freier
Stil für Herren; 400 Meter freier Stil für Damen und Turm=
ſpringen
für Herven; Waſſerball. Mittwoch, den 16. Juli: Vor=
läufe
: 200 Meter Damenbruſtſchwimmen, 400 Mster freier Stil
für Herren, Semifinale: 200 Meter Herrenbruſtſchwimmen, Aus=
ſcheidung
: Springen für Herren (vom Sprungbrett) und 100
Meter Rückenſchwimmen für Herren; Waſſerball. Donnerstag,
den 17. Juli: Ausſcheidung: Springen vom Brett für Damen;
Zwiſchenkämpfe: 400 Meter freier Stil für Herren, 100 Meter
Herrenrückenſchwimmen, 200 Meter Damenbruſtſchwimmen. Ent=
ſcheidung
: Springen vom Sprungbrett für Herren und 200 Meter
Herrenbruſtſchwimmen; Waſſerball. Freitag, den 18. Juli: Vor=
läufe
: 400 Meter Damenſtaffel und 800 Meter Herrenſtaffel. Ent=
ſcheidung
: 400 Meter freier Stil für Herren, 100 Meter Herren=
rückenſchwimen
. 200 Meter Damen=Bruſtſchwimmen. Damen=
ſtaffel
400 Meter und Springen voni Brett für Damen; Waſſer=
ball
. Samstag, den 19. Juli: Vorläufe: 100 Meter freier Stil
für Herren. 100 Meter freier Stil für Damen, 100 Meter Damen=
rückenſchwimmen
; Ausſcheidung: Kunſtſpringen für Herren und
Turmſpringen für Damen; Semifinale: 100 Meter freier Stil
für Herren; Waſſerball. Sonntag, den 20. Juli: Zwiſchen=
kämpfe
, 100 Meter Damenrückenſchwimmen und 100 Meter freier
Stil für Damen; Entſcheidung: 800 Meter Herrenſtaffel, Waſſer=
ball
, Kunſtſpringen für Herren, Turmſpringen für Damen, 100
Meter Herren freier Stil, 100 Meter Damen freier Stil, 100
Meter Damenrückenſchwimmen.
Von Mitte Mai bis Mitte Juni ſteht
Aſſociations=Fußball
auf dem Programm. Nennungen bis 24. April bzw. 5. Mak.
Die Matches beginnen am 15. Mai, das Finale wird am Don=
nerstag
, den 9. Juni, ausgetragen werden. Zugelaſſen zur Kon=
kurrenz
ſind von jeder Natiox eine Mannſchaft mit 11 Reſerven.
Die Ausloſung der Gegner iſt noch nicht erfolgt, ebenſo wie beim
Rugby=Fußball,
das bereits am Samstag, den 3. Mai, beginnt, und am Montag,
den 19. Mai, ſein Schlußſpiel ſieht. Es iſt je eine Mannſchaft
mit 15 Reſerveleuten zugelaſſen.
Die deutſch=akademiſche Olympia 1924.
Die deutſch=akademiſche Olympia 1924 wird vom 18. bis
20. 7. 24 in Marburg an der Lahn abgehalten werden.
In einer Sitzung in der Marburger Univerfität wurde zwiſchen
dem Vorſtande des deutſchen Hochſchulamtes für Leibesübungen
und den Vertretern der Univerſität und der Studentenſchaft un=
ter
dem Vorſitz des derzeitigen Rektors Prof. Dr. Schäfer, be=
ſchloſſen
, mit Rückſicht auf die ſchwierige Zeitlage die Wettkämpfe
auf drei Tage zu beſchränken. Turnen, Leichtathletik,
Schwimmen und Fechten werden gleichmäßig zur Geltung
kommen. Die deutſchen Turnſpiele werden betont. Vor
allem wird den Mannſchaftswettlämpfen ein breiter Raum ge=
währt
werden. Marburg wurde gewählt als eine kleinere und
beſonders günſtig gelegene deutſche Univerſitätsſtadt, die von
Nord= und Süddeutſchen gleich gut erreichbar iſt.
Radfahren.
Radrennen auf der Berliner Kaiſerdamm=Bahn.
Am 1. Weihnachtsfeiertag wurde die Berliner Winterbahn
am Kaiſerdamm programmäßig eröffnet. Die von dem bekannten
Architekten Hellner=Dresden konſtruierte Holzbahn war dazu auf=
gerichtet
worden. Für die Rennen an den beiden Feiertagen
waren etwa 70 Paare verpflichtet.
Großer Weihnachtspreis: 1. Hahn, 12 Punkte;
2. Saldow, 3. Lewvanow, 4. Wittich.
Stundenrennen: 1. R. Huſchke: 2. Manthey; 3. Kohl;
4. Doprack.
Internationales Fliegertreffen in Breslau.
I. ban Neck (Holland); 2. Zetto (Italien); 3. Schrefeld
(Deutſchland).

Der Boxſport.

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bef=
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fitzt
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Ɨhrend in England, Amerika und Auſtralien dieſe männliche
bung ſchon zum Lehrplan der Schulen zählt, bricht ſich bei uns
hr langſam die Erkenntnis Bahn, daß dieſer Sport wirklich die
ge in ſich vereinigt, die man von einem Sport überhaupt ver=
kann
. Bekanntlich iſt erſt nach dem Kriege in Deutſchland der
rt aufgekommen und hat in kurzer Zeit eine überraſchend große
gerſchaft gefunden. Eine ſolch ſchnelle Entwicklung hat viel Un=
2s. Ein gänzlich neues Gebiet wird nicht gleich von allen richtig
So bemerken wir, daß der größere Teil des Publikums nicht
ortlichem Intereſſe, ſondern mehr aus Senſationsluſt Boxkämpfen
nt und am meiſten befriedigt iſt, wenn der Kampf möglichſt in
ter Weiſe geführt wird und dazu angetan iſt, die Nerven zu
S Laufen und Springen diente wohl einſt und noch heute dem
Der Berfolgung eines Feindes oder dem Entkommen vor einem
ichtigen Gegner. Aus dem Verteidigungsinſtinkt heraus erwuchs
uſtkampf. Heute noch hat ein jeder Menſch den Inſtinkt, ſich im
auf ſeine Fauſt zu verlaſſen. Allerdings ſchlummert dieſer
4 beim modernen Menſchen, denn durch Mangel an Gebrauch
etwas verkümmert. In der Seele verborgen lebt er noch, aber
oh g Zeſpußtſein des Betreffenden, und tritt nur dann in Erſcheinung,
in Umſtand dazu zwingt, von ihm Gebrauch zu machen. Eines
ren, vielleicht das beſte Mittel zur Erlangung eines geſtählten,
ſpre h trainierten Korpers iſt der Boxſport. In körperlicher Bezie=
ildet
das vielſeitige Training gewiſſermaßen einen Extrakt aller
r Sportzweige und bringt ſo nach den Grundprinzipien des
args durch Vervollkommnung der Technik, Erhöhung der körper=
Ausdauer und vor allem Schaffung einer Kraftreſerve den Aus=
r
auf die Höhe ſeiner Leiſtungsfähigkeit, ſo daß er dem härteſten
gen gewachſen iſt. Es dürfte wohl kaum ein anderes Gebiet
2 vo in ſo hohem Maße alle Muskeln in Tätigkeit treten und der
vom Kopf bis zu den Zehen und Fingerſpitzen durchgebildet wird.
Durcbildung verfolgt nicht den Endzweck, nur die Muskeln recht
zu machen, oder nur Ausdauer, oder nur Schnelligkeit in höchſtem
u erzielen, oder nur die Gewandtheit und Dehnbarkeit der Bän=
ermöglichen, nein, alle dieſe Fähigkeiten zufammen ſoll und muß
per erhalten. Sehen wir uns die Geſtalten von ausgebildeten
r an, ſo finden wir hier durchweg die wunderbar harmoniſche
gder geſamten Figur, wie wir ſie in den Statuen des Altertums
be=dern. Der idealen und harmoniſchen Ausbildung des ganzen
S folgt die des Charatters, denn gerade die heute ſo notwendigen
rtvollen Charaktereigenſchaften, wie vornehme Geſinnung, Selbſt=
en
, Frohſinn, Mut und Ruhe ziehen außerordentlichen Nutzen
ſem Sport.
E Grundlage des Fauſtkampfes beſteht darin, gewiſſenhaft genaue
chere Ausführung von mannigfachen Stößen und Paraden zu
Dies erfordert natürlich viel Zeit und Geduld. Für eine größere
rtigkeit iſt nur eine gründliche methodiſche Ausbildung erfolg=
chend
. Der ſchlummernde oft plötzlich geweckte Naturtrieb des
3 zum Kampfe mit der Fauſt drängt dann die Schüler förmlich
obald wie möglich die Handſchuhe anzuziehen und mit Ungeſtüm
rnder loszugehen ohne korrigierende Beaufſichtigung des Lehrers,
die notwendigſten Eigenſchaften zum Austragen von Kämpfen,
9 richtige Haltung, ſichere Beinarbeit, genaue Fauſtführung uſw.,
rem Wort die den Fauſtkampf erſt zum ſchönen Sport ſtempelnde
iſtigte Technik ſich angeeignet hat. Hier hat der Lehrer die den

richtigen Weg zum Erfolg weiſenden Zügel immer wieder anzuziehen.
Im Kampfe bildet ſich vor allem die Selbſtbeherrſchung aus, wie ſie
kein anderer Sport von ſeinen Teilnehmern erwartet. Wehe dem Boxer,
der im Kampfe auch nur einen Augenblick die Ruhe verliert und blind=
lings
auf ſeinen Gegner losſchlägt; er iſt einfach verloren, da der
Gegner die hierbei entſtehenden Blößen ſofort ausnutzen würde.
Schärfſte und doch unauffällige Beobachtung des Gegners, ſchnelles Ein=
taxieren
auf körperliche und geiſtige Ueberlegenheit oder Schwächen, ſo=
wie
deren praktiſche Ausnutzung ſind ebenfalls Eigenſchaften, die der
Boxer im Laufe ſeiner Kämpfe erwirbt. Daß Mut und Entſchloſſen=

und ſind kein Grund, den Bosſport deshalb roh zu nennen. Und bei
dem knock out oder Niederſchlag wandert man meiſt ohne Schmerzen
in das Land der Träume. Diefe für einen Mann nicht zählenden Un=
annehmlichkeiten
berſchwinden im Vergleiche zu den vielen Vorteilen,
die Körper und Geiſt durch den edlen Kampfſport gewinnen. Nur wer
perſönlich die Handſchuhe angehabt hat und im friſchen, fröhlichen
Manneskampf ſeine Kräfte, Geſchicklichkeit, Geſchwindigkeit und Aus=
dauer
erprobt hat, kann ein richtiges Urteil über das herrliche Gefühl,
das den Kämpfer in ehrlichem Kampfe beſeelt, abgeben, und wer dieſe
eigene Erfahrung und Kenntnis nicht beſitzt, kann ein unberechtigtes
Vorurteil gegen das ſo oft als roh verſchrieene Boxen haben. Es kommt,
wie bei jeder anderen Sportbetätigung, auch auf den Menſchen ſelber an
und darauf, wie er dieſe betreibt. Wäre dieſe vortreffliche Leibes=
übung
, dieſer mannhafte Kampfſport, dieſes Mittel zur Selbſtwehr nicht
ſo hervorragend zur Förderung körperlicher und geiſtiger Eigenſchaften
geeignet, dann hätte er ſich nicht eine ſo große treue Anhängerſchaft in
der ganzen Welt erworben.
Eine Luftreiſe durch (uropa
beſchreibt der bekannte engliſche Publiziſt H. J. Wells; wir geben die
Schilderung auszugsweiſe wieder:
Letzten Sommer beabſichtigte ich auf dem Luftwege eine Europa=
reiſe
zu unternehmen. Ich unterließz eine bezügliche Benachrichtigung
an die beteiligten Reiſeunternehmen, ſtellte mich vielmehr als gewöyn=
lichen
Reiſenden vor. Laſſen Sie mich meine Erlebniſſe in Kürze
ſchildern.
Zunächſt löſte ich in London eine Fahrkarte nach Berlin, mein
erſter Halt ſollte in Amſterdam ſein. Am Tage der Abfahrt war herr=
liches
Wetter. Wir fuhren ab, näherten uns der Küſte des Kanals,
als se uns ſchien, daß unſer Führer auf eine Ueberquerung des Meeres
verzichte, denn das Luftſchiff ſchwenkte gegen Lympne, auf das wir nun
zufuhren. Es ſtimmte etwas nicht. Der Luftſchiffer entſchuldigte ſich:
ſein Oelbehälter ließ aus. Man flickte, ſo gut es ging. Das Fahrzeug
zog wieder an, und wir flogen über Amſterdam. Dort ſtellren wir feſt,
daß das Durchſickern des Oels ſich verſchlimmert hatte. Unmöglich, wei=
ter
zu fahren. Widriger Wind oder plötzliche Gewitter mit Sturm
hätten uns in ernſte Lage verſetzt. Die Maſchine, die das Schiff be=
wegte
, war nicht geprüft und außerſtande, genau den Kurs zu halten.
Am folgenden Tage mußte ich nach Berlin abfahren, aber als ich mich
auf der Geſchäftsſtelle des Reiſeuntern hmens in Amſterdam einſtelte,
erfuhr ich, daß, obivohl das Wetter äußerſt günſtig war, ſeit zuei
Tagen kein Luftſchiff von Berlin angekommen war. Auch war man nicht
in der Lage, mir zu ſagen, wann ein Schiff fahre. Allem Anſchein nach
hatte der deutſche Luftdienſt finanzielle Schwierigkeiten!

So mußte ich, um die Städte, die einen Teil meines Reiſeplans
bildeten, beſuchen zu können, zu dem zerrütteten Eiſenbahnverkehr
Zentraleuropas Zuflucht nehmen.
Auf dem Rückwege ſicherte ich mir eine Karte für die Route Prag.
Paris der franzöſiſch=rumäniſchen Luftſchiffgeſellſchaft, die einen raſchen
und regelmäßigen Flugdienſt Bikareſt-Paris unterhält.
Auf dem Prager Flugfeld ſteht eine prächtige, an die Gründung des
Unternehmens erinnernde Spitzſäule. Aber dieſes Denkmal und die
Prager Geſchäftsſtelle, wo ich mir den Preis der Fahrkarte zurücker=
ſtatten
ließ, waren alles, was ich von der Geſellſchaft zu ſehen bekam.
Drei Tage machte ich Flüge in der Tſchechei. Die franzöſiſchen
Maſchinen entſagten der Abfahrt nach Straßhurg. Wegen des ſchleihten
Wetters, wie man ſagte, in Wahrheit, weil es an geeigneten Apparaten
gebrach.
Die Fahrzeuge, die den Verkehr mit Straßburg dermitteln, über=
fliegen
deutſches Gebiet. Die Franzöſiſch=Rumäniſche ſteht nun nicht im
Einvernehmen mit der Berliner Regierung. Ihre Maſchinen das iſt
längſt bekannt ſind nie ſicher, an den Beſtimmungsort zu gelangen,
und man berichtete mir, daß 11 von ihnen zur Notlandung gezwun=
gen
von den deutſchen Behörden feſtgehalten worden ſcien. Sie
kamen von Warſchau oder Wien via Prag. Bei ſolchen Zwiſchenfällen
ſetzten ſie die Reiſenden unterwegs ab und überließen ihnen, ſo gut es
ging, weiter zu kommen.
Für die Reiſe Prag-Paris mußte ich die Eiſenbahn via Amſter=
dam
benützen! Das iſt zurzeit die einzige praktikable Verbindung zwi=
ſchen
beiden Hauptſtädten. Und das wird ſo bleiben, bis daß unſere
Enkelkinder, ſofern wir ſolche haben, den letzten Franzoſen das Ruhr=
gebiet
haben räumen ſehen.
Von Paris mußte ich London mit dem engliſchen Luftdienſt wieder
erreichen. Wer uns um 3 Uhr nachmittags im Hotel Crillon hätte ab=
fahren
fehen, hätte ob ſoſcher Pünktlichkeit geſtaunt! Ich hatte berech=
net
, daß man um 3aſ Uhr auffliegen und ich um 7 oder 8 Uhr in
London ſpeiſen würde. Nun gondelte man auf dem Flugplatz von Le
Bourget (bei Paris) faſt an 5 Stunden herum, die mit der Gepäck=
abfertigung
, der Prüfung der Reiſepäſſe und der Verſtauung einer
Menge Sachen in zwei großen und ſchweren Wagen verzettelt wurden.
So ſaß ich ſchlecht und recht zwiſchen Gepäckſtücken und Hutſchachteln,
die man eilig mit Schnüren befeſtigt hatte und die nun vor mir hin=
und hertanzten. Der Salon des Flugzeugs machte mehr einen zerlump=
ten
Eindruck und glich keineswegs den anmutigen Bildern des Pro=
ſpektes
. Bis zur Küſte ging es, zeitweiliges Verſagen des Motores
ausgenommen, leidlich gut. Wie gewöhnlich überflogen wir den Kanal
in der Höhe von etwa 5000 Fuß. Als aber Dungeneß in Sicht kam,
begann einer der Motore auszuſetzen. Ich bemerkte, daß wir raſch
herabglitten. Werden wir ein unfreiwilliges Bad im Meere nehmen?
Wir entrannen ihm. Als wir aber die Küſtenlinien überſchritten, lan=
deten
wir in Lympne.
Der ſchadhafte Motor, ſo ſagte man uns, war unbrauchbar, und die
Geſellſchaft war gezwungen, Wagen für die Reiſenden zu mi ten, die ſie
zu einer kleinen, Bahnſtation brachten, von wo ſie mit Bummelzug
London, weiß Gott wann, erreichen mochten!
Man machte nicht einmal den Verſuch, in Croydon (Vorort voir
London) ein Erſatzflugzeug zu beſchaffen. Ich will annehmen, daß der
Geſellſchaft keines zur Verfügung ſtand. Für mich traf es ſich gut, in
Lympne einem Freunde zu begegnen, bei dem ich die Nacht zubrachte.

[ ][  ]

Seite 6.

Darmſtädter Tagblatt, Donuerstag, den 22. Dezember 1923.

Nummer 35

Unſeiba Memſtelſäct ind Siehit

Wettervorherſage für die Landwirtſchaft.
Organiſation, für die er die Schaffung eines eigenen Forſchungs= leerſtehende Beete immer Pflanzenmaterial zu haben. Die Saat
inſtituts für langfriſtige Wettervorherſage empfiehlt. Weit nütz= muß ganz dünn erfolgen. Stehen die Pflänzchen auf dem Saat=
Ausgabeſtellen, damit alle Orte die Karte noch am Tage ihrer
kunde als Pflichtfach an allen landwirtſchaftlichen Winterſchulen
Witterung für längere Zeiträume vorherzuſagen. Das iſt bisher ein Beet fünf Reihen bringen kaun. Die ſpäteren großen Sor=
fügung
ſtehen. Allmählich rückt jedoch die Zeit heran, in der uns den, denn je ſchneller die Entwicklung der Pflanzen iſt, deſto zu=
von
den hauptſächlichſten meteorologiſchen Erſcheinungen ein ge= friedenſtellender wird die Ernte. Man darf nicht etwa den Ehr=
nügend
weit zurückreichendes Material von einem großen Teil geiz haben wollen, große Köpfe zu erzielen, ſondern man ernte ſo
ungeheuren wirtſchaftlichen Bedeutung für die Volkswirtſchaft geworden ſein. Zur Aufbewahrung für den Winter eignen ſich
ſage für längere Zeiträume möglich wäre. Die eine Methode Preisbüchern trifft man häuſig die Bezeichnung Glaskohlrabi.
an irgend einer Stelle eine Wirlung auf die übrigen Teile aus= Durchſchneiden ſpröde und brüchig wie Glas iſt, aber nicht hol=
daraus
, daß die wichtigſten meteorologiſchen Erſcheinungen zeit= Miſtbeet getriebenen nichts nach.
lichen geſetzmäßigen Schwankungen unterworfen ſind und daß
man durch Annahme gewiſſer Perioden die Schwankungen für muß natürlich ſo gegoſſen werden, daß das Waſſer wirklich an

Kohlrabi=Ansau.

wenden läßt, wenig Platz beanſprucht und ſich daher zu Zwi= gewöhnlich nicht mehr ſo ſehr.
ſchenpflanzungen vorzüglich eignet. Der Kohlrabi entwic elt
ſich von allen Kohlgemüſen am ſchnellſten und liefer das feinſte
Gemüſe aus dem Garten, da auch die Blätter in vielfacher
Weiſe verwendet werden können.
Fruhkohlrabi können die Kartoffeln als Gemüſe erſetzen,
gepflanzt werden.
ſen. Während alle Kohlgemüſe als Freſſer bezeichnet werden, Schaden.
die einen ſtark geoüngten Boden brauchen, iſt der Kohlrabi mit
ginem Boden zufrieden, der zwar in guter Dungkraft ſteht, aber
Licht friſch gedüngt zu ſein braucht. Will man das Kohlrabiland
düngen, dann überfahre man es mit Kompoſterde. Auf 1 Ar

Anzucht der Pflanzen muß für raſches Wachstum geſorgt wer=
den
. Darin beruht der Haupterfolg bei der Kohlrabikultur. Faſt
Die Wettervorherſage iſt für die Landwirtſchaft von ſo außer= alle anderen Pflanzen entwicleln ſich bei langſamerem Wachs=
ordentlicher
Wichtigkeit, daß man in neueſter Zeit dieſem Gebiet tum günſtiger. Der Kohlrabi bildet nur dann ſaſtige Knollen,
der Meteorologie die größte Aufmerkſamkeit gewidmet hat. Trotz= wenn die Pflanzen raſch herangewachſen ſind. Die erſten Aus=
dem
iſt der Wert der amtlichen Vorherſagen bisher noch gering, ſaaten macht man im März ins Frühbeet. Jus Freie darf erſt
und daher beſchäftigt ſich Dr. Baur in den Mitteilungen der im April geſät werden, und zwar auf ein geſchütztes ſonniges
Deutſchen Landwirtſchaftsgeſellſchaft mit einer Verbeſſerung der Beet. Man kann alle Monate eine Ausſaat machen, um für
licher als die telegraphiſche Verbreitung der amtlichen Nachrichten beet zu dicht, ſo wird dadurch das ſpätere Schießen der Pflanzen
iſt für die Landwirtſchaft die Vermehrung der Wetterkarten= begünſtigt. Darum iſt baldiges Ausdünnen bei zu dichter Saat
zu empfehlen. Schon auf dem Saatbeete muß dafür geſorgt
Ausgabe erhalten, was heute kaum bei der Hälfte der Land= werden, daß die jungen Pflänzchen weder durch Frühjahrs=
fröſte
noch durch ſchroffen Temperaturwechſel oder durch Schäd=
gemeinden
der Fall iſt. Ebenſo iſt die Einführung der Wetter= linge in ihrer Entwicklung geſtört werden. Jede Froſtbeſchä=
digung
der Pflanzen führt dazu, daß ſie, ohne Kollen zu bilden,
nötig, denn auf dieſe Weiſe wird das Intereſſe an der Wettel= in Samen ſchießen. Die erſten Frühkohlrabipflanzen bezieht
beobachtung geſtärkt, wie es bereits durch langjährige Erfahrung man deshalb vorteilhaft vom Gärtner, während man die ſpäte=
und Ausbildung von einzelnen Perſonen gepflegt wird. Es gibt ren Sorten ſelbſt heranziehen kann. Das Frühkohlrabibeet
nämlich faſt an allen Orten auf dem Lande Ortswetterkundige, braucht unbedingt eine geſchützte Lage. Kann man ihm dieſe
die durch die vom Vater auf den Sohn vererbten Beobachtungen, nicht geben, ſo müſſen Vorkehrungen getroffen werden, um die
das Wetter des nächſten Tages richtig anzugeben vermögen. Läßt. Pflanzen bei Froſtgefahr ſchützen zu können. Der Kohlrabi iſt
ſich ſo für die Wettervorherſage auf kurze Zeiträume genügend, die einzige Gemüſepflanze, die ein enges Pflanzen verträgt. Es
forgen, ſo bleibt es die wichtigſte Aufgabe der Wiſſenſchaft, die genügt eine Entfernung von 20 Zentimetern, ſo daß man auf
noch nicht gelungen, weil der Meteorologie als einer recht jungen ten, wie Goliath brauchen natürlich mehr (40 Zentimeter). Das
Wiſſenſchaft genügend lange Beobachtungsreihen nicht zur Ver= Kohlrabibeet muß mit unausgeſetzter Sorgfalt behandelt wer=
der
Erdoberfläche gegeben iſt. Die Verarbeitung dieſes rieſigen, bald wie möglich, damit das Beet möglichſt lange Kohlrabi lie= kochte Kartoffeln, Kartoffelſchalen, Rüben, Mohren, geſay
Stoffes mit ſeinen vielen Millionen von Zahlen erfordert die fert. Wollte man ſo lange warten, bis ſich auch die letzten Knol=
Arbeitskraſt Vieler, und deshalb müßte die Organiſation bei der len völlig ausgebildet haben, ſo würden die erſten ſchon holzig
von den großen wirtſchaftlichen und landwirtſchaftlichen Ver= die ſpäten Sorten, die große znollen entwviceln, z. B. der
einigungen in die Hand genommen werden. Baur gibt zwei Weiße und Blaue Goliath; dieſe Sorte entwickelt oft fünf
Wege an, durch die eine wiſſenſchaftlich begründete Wettervoraus= Kilogramm ſchwere Knollen, die trotzdem zart bleiben. In den
geht von dem Gedanken aus, daß jede Störung der Atmoſphäre, dieſer Ausdruck will das weiße Fleiſch charakteriſieren, das beim
üben muß, und daß die ſich daran anſchließenden Ausgleichs= zig wird. Im Juli kann die letzte Ausſaat des Frühen Glas=
vorgänge
eine gewiſſe Zeit brauchen. Man kann alſo aus den kohlrabi oder des Tiefblauen Winterkohlrabi gemacht wer= erzeugte Wärme den Tieren in der Nacht zugute kommt.
Störungen des durch lange Beobachtungsreihen feſtgelegten den. Bis zum Herbſte erreichen ſie die Größe eines Apfels. Im
Normalzuſtandes der Atmoſphäre auf die Witterungsmerkmale. Winter werden ſie im Freien in die Erde eingeſchlagen und mit
ſpäterer Zeiträume ſchießen. Die zweite Möglichkeit ergibt ſich Laub bedeclt. Sie geben an Zartheit und Geſchmack dem im dem Nullpunkt. Neben dem Futter vergeſſe man nicht für
Wichtig iſt die regelmäßige und reichliche Bewäſſerung. Es
eine beſchränkte Anzahl von Jahren aus rückliegenden Beobach= die Wurzeln kommt und nicht unverbraucht abfließt. Beſonders
tungen im voraus rechneriſch beſtimmen kann. Die Ausbeutung bei geneigten Veeten iſt der Abſluß des Gießwaſſers zu befürch=
beider
Methoden ſteht heute noch in den allererſten Anfängen, ten. Wir beugen dem dadurch vor, daß wir um jede Pflanze
eine tellerartige Vertiefung machen, die mehrmals mit Waſſer Haltung als Cierleger, verſäume man nie, ſich ſofort vor
gefüllt wird.
Noch einmal ſei gemahnt, die Pflanzen ja nicht zu früh aus= Krankheitsformen zu überzeugen. Man begnüge ſich nich
Der Kohlrabi iſt ein vorzügliches Nährgemüſe und verdient zupflanzen. Bei eintretenden Nachtfröſten ſuche man ſie durch den Kennzeichen allgemeinen Wohlbefindens, ſondern be=
ſeinen
Platz im Garten. Die Anpflanzung von Kohlrabi Ueberſtülpen von Blumentöpfen und dergleichen zu ſchützen.
empſiehlt ſich ſchon deshalb, weil er ſich in vielfacher Weiſe ver= Sind die Pflanzen ſchon eingewurzelt, ſo ſchadet ihnen der Froſt
Achiet auf die Stalltemperatur.
Wie in der Wohnung und im Keller ein Thermometer hängen gleichmäßig roſarot und nur ein dünner, durchſichtiger ſchlei
Die erſten Kohlrabi erhält man aus dem Miſtbeet. Die frühe= ſollte, ſo auch im Stall. Nichts ſchadet den Tieren mehr, als= Belag vorhanden, ſo iſt dies normal; höhere Rötung Anhär
ren Sorten können von Anfang März in das Miſtbeet, die ſpät= lang anhaltende Kälte im Stall. Die Temperatur ſollte tunlichſt von glaſigem, trübem, gruſeligem Schleim, das Vorhande
ren Sorten auf ſonnig gelegene Beete in das freie Land aus= nicht unter zehn Grad Celſius fallen, jedenfalls nicht auf längere
geſät werden. Dis freien Saaten brauchen einen geſchützten Zeit. Schweine und Ziegen ſollten wenig unter 15 Grad Celſius zur Seite der Zunge, in der Gaumenſpalte, ſowie in der
Stand. Die ſpäteren Sorten gedeihen auch in rauhen Lagen haben. Schafe können ſchon kälter gehalten werden. Die kalte
ſehr gut. Beſonders die Frühkohlrabi ſollten in jedem Jahr Temperatur zwingt die Tiere, mehr Nährſtoffe für die Erwär= Seiten der Naſenöffnungen überzeugt man ſich, ob auf 9
recht ausgiebig angepflanzt werden. Hat man wirklich zu viel mung des Körpers zu verwenden. Am beſten richtet man die
Kohlrabi angepflanzt, dann können die übrigbleibenden als Fut= Stallungen ſo ein, daß ſie ſich genügend warm halten ohne Zu=
ter
für das Vieh verwendet werden. Die Frühkohlrabipflanzen, fuhr von Wärme. Das Heizen der Stallungen iſt im allgemeinen res Merlmal, das Schlüſſe auf das Befinden der Tiere zu
die man ſich vom Handelsgärtner verſchaffen kann, werden auch nicht angebracht. Sehr wichtig iſt eine gute Stallentlüftung und erlaubt, iſt das ſtruppige Ausſehen der Federn, wobei die
nicht zu teuer ſein, da die Gärtner reiche Ausſaaten gemacht ein Abhärten der Tiere. Schweine, Ziegen und ſelbſt Kaninchen gleich ſich leicht ausziehen laſſen oder ſelbſt ausfallen.
haben. Niemand aber ſoll ſagen, daß es ihm an Platz für Kohl= vertragen den Auslauf auch in den Wintermonaten bei gutem
rabi fehlt, denn Kohlrabi kann ſogar zwiſchen Beerenſträucher Wetter ſehr gut, wenn man ſie daran gewöhnt. Sinkt dann reinliches, glattes Gefieder erhält und das Unterlaſſen
wirklich mal bei ſtrenger Kälte die Temperatur im Stall, ſo ſind. Reinigung ſchon als ein Zeichen von Unwohlſein gedeutet 1.
Der Kohlrabi bildet eine Ausnahme unter den Kohlgewäch= die Tiere weniger empfindlich und überſtehen ſie ohne jeden
Soll ich einen Pfirſich pflanzen?
Der Pfirſich gehört zu den anſpruchsvolleren Obſtarten, er täre Hauterkrankung zu Grunde liegt. Ein letztes Kenn
eind außerdem 5 Kilogramm 40proz. Kalidüngeſalz, 3 Kilogramm verträgt keinen rauhen Wind und braucht viel Sonnenwärme.
Superphosphat und 3 Kilogramm ſchwefelſaures Ammoniak zu Er eignet ſich nicht für Täler, in die von oben her kalte Luft der Exkremente. Für gewöhnlich ſind dieſe nach der Entl.
technen. Die Salze werden beim umgraben in den Boden ge= fließt und in denen die Nebel keinen Abzug haben. Südliche, ziemlich feſt und in großen Klumpen geformt, von weißet
grbeitet. Wird außerdem der Boden vorher gekalkt, dann wer= freie, vor Nordwinden geſchützte Hänge ſind der rechte Platz für Teil graugrüner Farbe; ſtatt deſſen zeigen ſie ſich bei Erkr
den die oſt an den Wurzeln ſich bildenden Auswüchſe verhütet, ihn. Hohe Gebäude oder Baumgruppen in der Nähe ſchaden gen des Verdauungskanals, ebenſo bei unrichtiger Erne
Während die übrigen Kohlgewächſe faſt ausnahmslos behäufelt der Entwicklung. Schweres Land liebt er nicht, der Boden ſoll häufig dünnbreiig, ſchleimig=flüſſig, von trübgelber, hit
werden müſſen, iſt dies beim Kohlrabi nicht möglich. Bei der warm und gut durchlüftet ſein. Für milden Lehmboden wählt, wieder graugelber Farbe.

Hans Peter Kromm der Lebendige.
Eine Geſchichte von Ufer zu Ufer
von Johanna Wolff.
(Nachdruck verboten.)
Erſter Teil.
Ein Ungeborenes, das nach Vater und Mutter ſucht.
Der Leib iſt unſerm Werden not, wie die
Erde not dem Himmel,
auf daß Unſichtbares ſeine Erfüllung finde.
Hans Peter Kromm, der junge, war noch gar nicht geboren.
Irgendwo in der Unendlichkeit ſaß er noch, und hatte gleichſam
erſt die Abſicht, ſich um eine Körperlichkeit auf dieſer Welt zu
bewerben.
Aus dem Ungeformten herauszukommen und etwas für ſich
zu ſein, gegliedert und mit Organen ausgeſtattet, um die ganze
Lebendigkeit einer Seele einzufangen und im Glanze geſonder=
ten
Bewußtſeins umherzutragen in einem blutwarmen Leibe
das war etwas!
Ein winziges Lebenskeimlein zitterte; kleine Lebensfühler
reckten und ſtreckten ſich, ein Taſten, ein Zwängen und Drängen
begann, und die feinen Wellen im Raum trugen das Daſeins=
begierige
weiter, näher an das Menſchenland.
Hans Peter Kromm, der noch gar nicht vorhanden war, hatte
es in ſich, ein Beſonderer zu werden; es geht ja immer
Heilandsart durch dieſe Welt, aber zu einer richtigen Geburt
verdichtet ſich das ſelten, denn ein Wunder muß dabei geſchehn:
es muß ein ſchöpferiſcher Gott=Vater und eine reine Jungfrau
zufammenkommen in der Stunde der großen Glückſeligkeit.
Das Jahr 1885 ſchien dem begehrenden Lebenskeimlein für
ſeine Einkleidung in erdliche Körperlichkeit wohl geeigret.
Es zog flugs Alles an ſich, was in den heimlichen Rüſtkam=
mern
des lieken Gottes für ſeine Ausſtattung zu haben, war,
und obſchon viele vor ihm dageweſen, fand es dennoch das zu
ihm Gehörende zuſammer, und hielt ſich fertig für die Reiſe ins
Komtiende. Allein ſo einfach tvar eine Menſchwverdutig nicht.
Wer ſollte ihm Vater, wer Mutter ſein?
Als Erſtgeborner eine Jungfräulichkeit brechen, das gehörte
zu ihm, und ein Erzeuger, der an ihm zum ſchöpferiſchen Gott=
Vater würde, gehörte ebenſo zu ihm. Für beides zuſammen

aber hieß es Geduld haben, denn es war etwas Köſtliches dabei,
das nicht auf allen Gaſſen zu finden iſt.
Endlich kam ihm die erſte Gelegenheit: Merete Umbreit, die
eine reine und feine Jungfrau war, ſaß nieder zu ſchreiben an
ihren Jugendgeſpielen Hans Peter Kromm. Der hatte jüngſt
mit Auszeichnung ſeine Prüfung als Ingenieur beſtanden, und
verſuchte ſich jetzt in einer erſten Aufgabe als Gehilfe bei einem
Brückenhau für die Firma Grauheim &. Dürr, deren Name und
Ruf weithin über märkiſche Grenzen bekannt geworden war.
Merete ſaß in Groß=Treuſtadt, das im Pommerſchen gelegen
iſt; ſie ſaß an dem alten runden Mahagonitiſch, an dem oft genug
auch Hans Peter ſeine Schulaufgaben gemacht hatte, und der
freundliche Gutsinſpektor Umbreit, der rechtsſeitig etwas gelähmt
war, hatte ſie beide beaufſichtigt.
Merete ſchrieb ihren Brief in Sittſamkeit und Züchten
aber der kleine zukünftige Hans Peter Kromm ſaß doch ſchon
mitten darin und wand die zarten Fäden, die noch aus der Kind=
heit
der beiden Menſchen lebendig waren, zu einem richtigen
und feſten Liebesknoten.
Nur die Jungfrau, die dieſem Wachstum Menſch Mutter
werden ſollte, mußte ſich noch ein Weniges umtun in der Welt.
Sie war in der kleinen Stadt, die ihr Heimat hieß, recht welt=
fremd
geblieben; dem Guten wie dem Böſen gleich fernſtehend.
kam ſie in Gefahr, ſich im Engen und Beſchränkten zu verlieren;
Mütter aber ſollen Wiſſende an allem Leben ſein.
Die Geſchichte eines Menſchen ſetzt ſich zuſammen aus vielen
andern Menſchen=Geſchichten, die alle dazu gehören.
Merete Umbreit mußte ihren Weg gehen und zu den Meu=
ſchen
kommen, damit ihre Sinne ſich weiteten und ihrer Seele
Reichtum und Erfahrung gemehrt würde. Das gehörte mit zu
dem kleinen Hans Peter Kromm, der noch gar nicht vorhanden
war.
Groß=Treuſtadt, 29. März 1885.
Lieber Hans Peter!
Heute haben wir meinen guten Vater hinausgetragen und
zur Nuhe gebettet an der Seite unſerer lieben Mutter. Nun
ſitze ich allein in unſerer alten Wohnung. Ich ſehe unſer kleines
trauliches Hausgerät an, die Bilder an den Wänden, die Bücher
im kleinen Bort, und die große Uhr tickt ſo beſinnlich=facht, als
hätte ſich gar nichts geändert.
Und doch ſitze ich heute zum letzten Male hier, und zum
letzten Male ſteht hier beiſammen, was unſer Eigen war. Den

man als Veredlungsunterlage die St. Julienpflaume
tere Sandböden den Pfirſichſämling. Pfirſichbäume guf
Julien=Unterlage ſetze man jedenfalls nie auf leichten.
boden. Solcher Boden iſt vor der Bepflanzung mit
natürlich erſt vorzubereiten. Auf einen Morgen rechn=
etwa
20 Doppelzentner kohlenſauren Kalt, 5 Dodpe
Kainit oder 3,5 Doppelzentner 40prozentiges Kali und
Zentner Thomasmehl. Die beſte Pflanzzeit iſt das
wenn der Boden ſchon etwas angewärmt iſt.
Winterleger und Wintereier.
Die Legetätigkeit der Hühner im Winter iſt in erſter Liniev
Unterbringung, Pflege und Fütterung der Tiere aohäng
Naſſe iſt nicht ganz gleichgültig, ſpielt aber eine unterges
Rolle. Denn mag der Schlag auch zu den ſogen. Winterle,
hören, zu denen man namentlich die Hühner mit kurzer
bildung rechnet, wie die Plymouth=Roas, Wyandottes
tons und ahnliche, wer die Tiere nicht richtig halt, wird
Wintereier ernten. Schon bei der Aufzugt muß man
härtung hinarbeiten, damit die Tiere widerſtandsfahig
Kälte werden. Dann kommt es viel auf den Stall an.
keit iſt an erſter Stelle notwendig. Dieſe läßt ſich leichter
tigen, hellen Näumen durchführen als in kleinen, dumpfe
laſſen. Zur Erzeugung der nötigen görperwärme dient ein
lich bemeſſener Scharraum. Die Meinung, ein warmer
fördere die Ciererzeugung, trifſt nicht das Richtige. Die
ergebniſſe können bei ganz kalten Ställen beſſer ſein, wer
Hühner ſich ihr Körnerfutter im Scharraum ſelbſt erarbeite,
ſen. Morgens belommen die Hühner zweamaßig Weichſutt
und getrocknete Veeren der Cbereſche, des wilden Wein=
ſtanien
= und Eichelmehl, getrocknete und gemahlene Acero
uſw. Alles wird gut überbrüht und mit kochendem Waf
einem krümeligen Brei warm angerichtet. Mittags gibt
Küchenabfälle, zerkleinerte Knochen, Fiſchköpfe und Gräte
Haut geräuſcherter Fiſche, Wurſtſchalen und was ſich
findet. Daueben iſt ſtets reichlich Grünfutter nötig. Man
Blätter aller Kohl= und Rübenarten ſowie ganze, roh=
im
Stall auf, ſo daß die Hühner danach reclen müſſen. Das
nerfutter wird abends verabreicht, damit die durch die Ver=
Heizung der Ställe iſt zu verwerfen. In guten, dichten R
hält die Körperwärme der Tiere ſchon in Raumtemperatu=
Grit und zerſtoßene Holzkohle zu ſorgen. Das Trinkwaſſer
täglich erneuert und darf nicht eiskalt ſein.
Vorſicht beim Geflügelkauf.
Erwirbt man Geflügel, gleichgültig, ob zur Zucht ode
Vorhandenſein oder Fehlen gewiſſer, beſonders anſtee
jedesmal genau die Schleimhäute des Körpers, ſoweit
gänglich und ſichtbar ſind. Vor allem iſt die Reinheit, das
und der Glanz des Augapfels zu berückſichtigen; die Lider n
frei von jeder Schwellung und ka=arrhaliſchen Auflagerung
ferner ſei man darauf bedacht, ſich durch Oeffnen des Schr
Einblick in die Rachenhöhle zu verſchaffen. Iſt hier die .
gelber, undurchſichtiger, eingedickter, geronnener Maſſen aut
kopfgegend ſind ſehr bedenklich. Durch leichtes Drücken zu
katarrh deutender Ausfluß vorhanden iſt. Die Formen f
Katarrhs ſind anſteckend. langwierig und gefährlich. Ein
ſehen davon, daß ein geſundes Tier ſich durch ſtetes Putz
kann, daß ferner in der Mauſerzeit die Federn gewöhnlie
loren gehen, können wir aus dem ſchmutzigen, ungeor
Gefieder, aus der Anhäufung dicker Hautſchuppenanlage
ſonders am Halſe und Kopfe und der Umgebung des Kamn
Hühnervögeln mit Sicherheit vermuten, daß irgendeine
für etwaige vorhandene Krankheiten bieten uns die Betrg
größten Teil der Sachen habe ich bereits verkauft, nur etli
ſonders liebe Stücke wollen mir Amtmanns aufbewahren
Ich ſchrieb Dir ja ſchon, daß Herr von Storck, ſich
neuen Gutsvermalter genommen hat; jetzt will er den Beſi
verkaufen, weil ihm die Stadt zu nahe gerückt iſt.
Lieber Hans Peter, ich habe nun eine Stelle als Wirtf
fräulein angenommen bei Frau Monika Schack auf Moor
das in der Nähe von Hamburg liegt. Am 1. April trete i
ein. Das Fortgehn aus der Heimat wird mir ſchwer; ich
ja noch etwas länger das Häuschen oben im Bahnwinkel !
nen können, Herr von Storck bot es mir gütig an, doch je
jetzt in feſte Tätigkeit komme, deſto beſſer für mich, un
dienen will ich doch auch. Ich habe ja während Vaters
heit gar nichts erſparen können. Auf Moorwiſche bekont
ſehr gutes Gehalt, faſt ſo viel wie Vater hier als Juſpek=
halten
hat. Da will ich ordentlich zurücklegen.
Eben höre ich unten einen Zug einfahren. Liebes 7
wie iſt unſere Jugendzeit doch ſo ſchön geweſen, und was
wir für gute Eltern gehabt. Weißt Du noch, wie wir al.
kleinen Platz hinterm Bahnhof geſpielt haben? Wie oſth
auf dem Trittbrett eines alten zurückgeſchobenen Wag
ſeſſen und haſt mir auf Deiner Geige, was vorgeſpielt
Deine gute Mutter kam und brachte uns zu eſſen auf einer
ken Platte, gerade als wären wir auch ihre Gäſte aus der
hofswirtſchaft, und wie haben wir uns als Kinder gew
über die vielen Leute, die durchlamen und verſchwanden;
den dunklen Tunnel fuhren ſie weit fort, ſagte Deine 2
Dann war ſie doch die erſte, die durch einen noch viel dut
Tunnel ganz weit fort mußte, und nun iſt auch mein
Vater hindurch, und wir ſind jetzt beide verwaiſt, Du und
Ich teile Dir noch mit, daß die alten Tanten aus der
gar nicht geſchrieben haben, nicht einmal Paters Tod kon
dazu bewegen. Ich werde auch ohne ſie durchs Leben ko
aber ſchön iſt es nicht. Ich bin doch auch Steinhäuſerblu
durch Mutter an der Sonnenmühle ebenfalls beteiligt.
Ob Du nun wirklich das große Loch durch den dicken
machen wirſt, wie Du Dir vorgenommen hatteſt?
Ich grüße Dich herzlich, liebes Peterle, und werde
Dich denken überall, tzo ich auch hinkommen znag. 2
guttent Andenkeit
Deine treute
Merete unk
(Fortſetzung folgt.)