Darmstädter Tagblatt 1923


16. April 1923

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Heſſiſche Neueſte Nachrichten
Morgenzeitung der Landeshauptſtadt
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Nummer 104
Montag, den 16. April 1923
186. Jahrgang

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Bei Konlurs oder gerſchtlicher Beitreſbung fällt jeder
Rabatt weg,

Loucheur und Poincaré.
Paris, 15. April. Havas berbreitet ein Schreiben, das
Abgeordneter Loucheur an den Vorſitzenden des heute in Valen=
ciennes
ſtattfindenden Veteranen=Kongreſſes gerichtet hat. Darin
ſagt er, er hätte den Schlußberatungen dieſes Kongreſſes gern
beigewohnt, jedoch ſei er verpflichtet, in Dünkirchen bei der Feier
zugegen zu ſein, die Poincaré mit ſeiner Gegenwart beehre. Die
von gewiſſer Seite abfichtlich ausgebeuteten jüngſten Ereigniſſe,
Meinungsverſchiedenheiten zwiſchen ihm und Poincaré feſtzu=
ſtellen
, machten es ihm mehr denn je zur Pflicht, ſich heute an der
Seite Poincarés zu zeigen, um die vollkommene Gleichheit der
Anſichten über die großen Intereſſen Frankreichs zu bekunden.
Franzöſiſche Falſchmünzerei.
Berlin, 15. April. (Wolff.) Der Verſuch, die in der Be=
kanntmachung
des Reichsbankdirektoriums vom 13. April be=
zeichneten
, in Mülheim a. d. Ruhr von den franzöſiſchen Be=
ſatzungstruppen
beſchlagnahmten Druckformulare als gültige
Banknoteninden Verkehr zu ſetzen, wurde, wie wir
erfahren, geſtern von franzöſiſch=belgiſcher Seite in Köln a. Rh.
gemacht. Die Banque Belge hat daſelbſt 400 Millionen Mark
in ſolchen falſchen Scheinen der Reichsbankhauptſtelle mit dem
Erſuchen um eine Gutſchrift des Betrages vorgelegt. Selbſtver=
ſtändlich
wurde eine Gutſchrift abgelehnt. Die vorgelegten
Stücke wurden im Wege der Durchlochung unbrauchbar gemacht.

Vom Tage.

Wie der Lokalanz, berichtet, wird der Reichsaußenminiſter
vorausſichtlich am Montag vor dem Plenum des Reichstags
ſeine programmatiſche Erklärung über die außenpolitiſche Lage abgeben.
Der Reichskanzler und der Außenminiſter haben geſtern nacheinander
Führer der Deutſchnationalen und der Sozialdemokraten empfangen.
Die Ausſprache war, der Allgemeinen Deutſchen Zeitnna zufolge, beide
Male ſtrena vertraulich.
Der von den Franzoſen verhaftete Stadtrat Spanier in Witten
iſt gegen Stellung einer Kqution von fünf Millionen Mark aus der
Haft entlaſſen worden.
Die in Solingen von den Franzoſen verhängte Verfehrsſperze
iſt wvieder aufgehoben worden.
Der politiſche Berichterſtatter des Obſerver teilt mit, daß Bonar
Law ſich in abſehbarer Zeit zurückziehen werde.
Reichsgerichtsrat a. D. Trhggen hat den Auftrag, die Regierungs=
bildung
in Schweden zu verſuchen, angenommen.
Die in Berlin von dem Antiquariat Fränkel veranſtaltete Ver=
ſteigerung
einer ſo gut, wie vollſtändigem Sammlung Haupk=
monnſcher
Erſtausgaben und einer ſiebzig Briefe und Poſt=
karten
Gerhart Hauptmanns an Otto Brahm von 1889 ab umfaſſenden
Autographeuſammlung erfuhr, wie die Voſſiſche Zeitung berichtet, da=
durch
eine Unterbrechung, daß dem Antiquariat eine vom
Rechtsbeiſtand Haupmmamns erwirkte vorläufige Verſügung zugeſtellt
wurde, die das Verſteägern der Korreſpondenz mit
Brahm unterſagt. Für die erſte Ausgabe der geſammelten Werke
von 1806 wurden 460 000 Mk. erzielt, für die Erſtausgabe Promethi=
denlos
410 000 Mk., für Bunte Buch von 1888 200 000 Mk., für die
Erſtausgabe der Verſunkene Glocke 310 000 Mk. und für die anderen
Erſtausgaben Preiſe, die ſich mit geringen Ausmahmen um 80 000 Mk.
bewegten.

7
Willkür und Rechtsverachtung an der Ruhr.
Einſtellung von Noiſtandsarbeiten. Standhaft in der Abwehr. Die franzöſiſch=belgiſche
Konferenz. Verſuche franzöſiſcher Falſchmünzerei.

Willkür und Verachtung des Rechts.
Berlin, 15. April. (Wolff.) Die Franzeſen haben be=
kanntlich
Ende Februar eine Verordnung über die Zahlung der
Kohlenſteuer an die franzöſiſchen Kaſſen erlaſſen.
Dieſe Verordnung ſtellt den Gipfel aller bisherigen Willkür
und eine Verachtung des Rechts dar. Sie beſtimmt, daß
die nach dem 1. Oktober 1922 fällig gewordenen Kohlenſteuern
von den einzelnen Kohlenzechen an die franzöſiſchen Kaſſen be=
zahlt
werden müſſen, obwohl den Franzoſen genau bekannt war,
daß dieſe Kohlenſteuern reſtlos längſt bezahlt ſind, und
daß im Ruhrgebiet nicht die Kohlenzechen, ſondern das Koh=
lenſyndilat
der Steuerſchuldner iſt. Es wird alſo bewußt
eine doppelte Bezahlung der Kohlenſteuer, ſogar für eine
lange vor dem Einmarſch der Franzoſen liegende Zeit verlangt,
und zwar von Zechen, die die Steuern gar nicht ſchulden. Nicht
genug damit. Wenn die Zechen ſich weigern, die bereits bezahl=
ten
Steuern nokmals zu entrichten, ſo wird den Aufſichtsräten
und den Leitern der Geſellſchaften jeder Eingriff in ihr Privat=
vermögen
und perſönliche Schuldhaft, eine im modernen Recht
verpönte und mittelalterlichen Rechtsbegriffen entnommene
Zwangsmaßnahme, angedroht. Dieſe willkürlichen und rechts=
widrigen
Anordnungen ſollten bereits am 1. April in Kraft tre=
ten
. Der Termin iſt von den Franzoſen dann aber auf den
15. April hinausgeſchoben worden. Den deurſchen Kohlenindu=
ſtriellen
drohen daher jetzt wieder neue Gewalttaten. Sie haben
ſich dadurch in ihrer feſten Abwehrhaltung nicht beirren laſſen
und einmütig den Beſchluß gefaßt, ſich der Gewalt nicht
zu beugen. Wenn die Feanzoſen ihre Drohungen wahr
machen, werden ſie nur kin neuem dem Beweis erleben, daß ſie
mit Gewalt im Ruhrgebiet nichts erreichen können.
*
Berlin, 15. April. Heute läuft die Friſt ab, innerhalb der
die Direktionen der Ruhrzechen die Kohlenſteuer an die
Franzoſen abführen ſollen. Wie die Blätter erfahren, werden die
Zechendirektoren trotz der von den Franzoſen angedrohten Sank=
tionen
guch weiterhin die Ablieferung der Steuer an die Fran=
zoſen
verweigern.
Poincarés Rede in Dünkirchen.
Paris, 16. April. Poincaré hielt geſtern in Dün=
tirchen
ſeine mit Spannung erwartete Rede über die gegenwär=
tige
politiſche Lage und die Ruhraktion. Er erinnerte zu=
nächſt
daran, daß England ſich durch Dünkirchen mehrfach be=
droht
fühlte und dadurch dieſer Stadt eine wechſelvolle Geſchichte
bereitet wurde. Viel mehr und mit viel größerer Berechtigung
müſſe heute Frankceich ſich gegen Deutſchland ſchützen und ſichern
und die zum Schutze ſeiner Grenzen erforderlichen Sicherungen
ergreifen. Dieſe Frankreich drohenden Gefahren ſeien weit ern=
ſter
und wahrſcheinlicher, als ſie je für England geweſen ſeien.
Poincaré kam dann auf den Weltkrieg zu ſprechen und zollte den
Engländern Anerkennung. Frankreich habe aber den ſtärkſten
Stoß ausgehalten, habe die größten Verluſte an Toten und die
größten materiellen Schäden erlitten. Darum könne kein Menſch
es ihm verübeln, wenn es von ſeinen Reparationen nichts ablaſſe
und zur Erreichung der Wiedergutmachungen die erforderlichen
Maßnahmen ergreife. Weil Deutſchland ſeinen Verpflich=
tungen
nicht nachgekommen iſt und auch keine Ver=
fuche
gemacht hat, nachzukommen, weil Frankreich ſelbſt 100
Milliarden für das Deutſche Reich vorgeſchoſſen hat, haben wir
trotz des Vertrages auf Grund unſeres Rechts die Pfänder
ergriffen und die Sanktionen zur Anwendung gebracht, um uns
zu ſichern. Drei Jahre haben wir uns geduldet. Dieſe Geduld
aber hat uns nichts eingebracht. Wir ſind in das Ruhrgebiet ge=
gangen
und die Beſetzung dieſes reichen Kohlen= und Induſtrie=
zietes
hat es uns ermöglie

liefern können, die es uns ſchuldig war, da das Reich es
jetzt verſteht, ohne die Ruhrkohle auszukommen. Wir haben guch

die Ueberzeugung gewonnen, daß Deutſchland uns hätte in De=
viſen
bezahlen können, denn es hat jetzt ſo viel Deviſen
ausgeführt, um die Mark zu ſtützen. Drittens konnten wir um=
fangreiche
militäriſche Geheimorganiſationen feſt=
ſtellen
, wie in Oberſchleſien, die unter dem harmloſen Titel
Schutzpolizei beſtanden und die wir unſchädlich machen konnten.
Hätten wir Deutſchland ein zweijähriges Moratorium bewilligt,
ſo hätte es nach Ablauf dieſer Friſt ſicher mit Herausforderungen
geantwortet. Nun haben wir Pfänder und holen uns, was
Deutſchland uns nicht geben wollte.
Poincaré kam denn auf die jüngſten Verhandlungen zu ſpre=
chen
und erklärte, daß Frankreich ſich zurückziehen werde, wenn
Deutſchland bezahlt habe. Er nahm ſchließlich gegen die
Handvoll Franzoſen Stellung, die ſeine Politik nicht gutheißen,
und die eine ganz unbedeutende Minderheit darſtellten.
Paris, 16. April. Im Expreßzug Nauch-Paris wurde
ein Leutnant von drei Soldaten aus dem Ruhrgebiet über=
fallen
und aus dem Zuge geworfen. Die Täter wollten da=
durch
ſoviel Geld rauben, daß ſie nach Amerika flüchten konnten.
Sie wurden in der Nähe von Paris feſtgenommen.
Die franzöſiſch=beigiſche Konferenz.
Eine amtlich beeinflußte Mitteilung.
Paris 15. April. (Wolff.) Ueber das Ergebnis der
franzöſiſch=belgiſchen Konferenz verbreitet Havas eine offenbar
amtlich beeinflußte Mitteilung, in der die Agentur feſtſtellen zu
können glaubt, daß die Verhandlungen in einem ausgeſpro=
chen
techniſchen Rahmen geblieben ſeien.
Die belgiſchen und franzöſiſchen Staatsmänner hätten ihren
gemeinſamen Willen bekundet, die Ruhraktion immer produk=
tiver
zu geſtalten, damit ſie dieſe ſo lange fortſetzen könnten,
als es der deutſche Widerſtand erforderlich mache. Daraus er=
klärten
ſich die Anordnungen zur Beſchleunjgung der Ab=
beförderung
der Kohlen= und Kokslager, indem
man das Perſonal vermehre, ſowie die Maßnahme, Kohlen=
ſteuer
auch für Kohlen einzuziehen, die für den deutſchen Ge=
brauch
beſtimmt ſeien. Außerdem ſolle die Holzgewinnung
in den Staatsforſten verſtärkt werden. Schließlich beab=
ſichtige
man, die widerſpenſtigen Eiſenbahnbeamten auch
fernerhin auszuweiſen. Andererſeits hätten die franzöſi=
ſchen
und belgiſchen Miniſter den Grundſatz aufgeſtellt, daß die
Koſten für die Beſchlagnahme des Ruhrgebiets als eines Pfan=
des
und deſſen Ausbeutung als Priorität an Frankreich und
Belgien, die ſie durchführten, zurückzuzahlen ſeien, und zwar
ausdem Ertrag der Beſetzung ſelbſt. Erſt der Ueber=
ſchuß
ſolle an alle Alliierten zur Verteilung gelangen. Zu die=
ſem
Zwecke würden die franzöſiſchen und belgiſchen Behörden
eine regelmäßige Buchführung einrichten. Finanzminiſter de La=
ſteyrie
begebe ſich deshalb nach Düſſeldorf, um in einer Beratung
mit den Technikern dieſe Organiſation durchzuführen. Die bel=
giſchen
und franzöſiſchen Miniſter hätten ſchließlich feſtgeſtellt,
daß der engliſche Standpunkt vom franzöſiſchen und bel=
giſchen
noch zuweit entfernt ſei, um zurzeit über die Re=
parationsfrage
neue, ausſichtsreiche Verhandlungen mit England
wieder aufzunehmen. Dagegen habe man die Nützlichkeit aner=
kannt
, von franzöſiſchen und belgiſchen Sachverſtändigen die
Grundlagen einer finanziellen Regelung der Reparationen auf=
ſtellen
zu laſſen. Zu dieſem Zweck werde Louis Barthou unter
Beiſtand von Seydour mit dem belgiſchen Vertreter in der
Reparationskommiſſion, Delacroix verhandeln. In dieſem
Zuſammenhang ſcheine man die Abſicht zu haben, ſich von dem
Rahmen des Zahlungsplanes vom 5. Mai 1921 nicht zu entfer=
nen
, der die Zahlung der Schatzbonds der Serien A und B
im Werte von 50 Milliarden und die Reſtzahlung von 82 Mil=
liarden
durch die Schatzbonds C vorſehe. Man wiſſe, daß Poin=
caré
auf der letzten Londoner Konferenz vorgeſchlagen habe, die
für die Liquidierung erforderlichen Summen den Schatzbonds
der Serie C zu entnehmen, wodurch die deutſche Schuld entſpre=
chend
herabgeſetzt würde
Te
A. 2

Wiener Brief.
Von unſerem ſtändigen Mitarbeiter.
Wien, 11. April.
Die Beſuche des Bundeskanzlers Dr. Seipel in Mailand und
Rom und des Generalkommiſſärs Dr. Zimmermann in Prag
haben in der Preſſe der unmittelbar intereſſierten Staaten viel=
fach
politiſche Erörterungen und Kombinationen ausgelöft, die
über den amtlich mitgeteilten Zweck und Inhalt dieſer Reiſen=
jehr
erheblich hinausgingen. Nach dem Wortlaut und Sinn der

Wudelite e ele eie Gereſehee ehe
im Gange befindlichen öſterreichiſch=italieniſchen Handelsvertrags=
verhandlungen
gegolten, und die Reiſe Dr. Zimmermanns nach
Prag ſich gar nur als zeremonielle Einführung des Generalkom=
miſſärs
des Völkerbundes bei den leitenden Männern der
tſchechoſlowakiſchen Republik dargeſtellt. Daß dieſe nichtsſagen=
den
Formeln der wirklichen Bedeutung der beiden Reiſen auch
nicht annähernd gerecht werden, ſteht wohl außer Zweifel; es
kann vielmehr als beſtimmt angenommen werden, daß die Gaſt=
rollen
ſowohl Dr. Seipels wie guch Dr. Zimmermanns einen
ſehr bedeutſamen politiſchen Inhalt hatten. Ob dieſer allerdings
den in der intereſſierten Oeffentlichkeit kurſierenden und zunr
Teil auch in der Preſſe wiedergegebenen Behauptungen und
Hypotheſen entſprach, erſcheint durchaus fraglich.
Diefe Gerüchte erinnern einigermnaßen an jene pölitiſche
Möglichkeiten, die im Frühherbſt 1922 der Verwirklichung bedenk=
lich
nahegerückt waren. Damals, als die wirtſchaftliche und finan=
zielle
Kataſtrophe Oeſterreichs eine unabwendbare Tatſache zu
ſein ſchien, trat Bundeskanzler Dr. Seipel bekanntlich ſeine be=
reits
hiſtoriſch gewordene Rundreiſe Prag-Berlin-Verona an
unter der Deviſe: Angliederung Oeſterreichs an Italien oder an
die Kleine Entente, oder gänzliche Aufteilung an die Nachbar=
ſtaaten
! Und das tatſächliche Ergebnis dieſer Reiſe, das Genfer
Sanierungsprogramm für Oeſterreich, wäre nach der ſeinerzeit
ziemlich widerſpruchslos akzeptierten Interpretation nur zu=
ſtandegekommen
, weil die unmittelbar intereſſierten Staaten,
Italien und die Mächte der Kleinen Entente mit der Tſchecho=
Fowakei an der Spitze, gefürchtet hätten, daß die Verwirilichung
einer der eben erwähnten, vom Bundeskanzler Dr. Seipel in
drohende Nähe gerückten Alternativen ſie alle in unabſehbare
politiſche Konflikte verſtrickt hätte.
Diesmal nun, gelegentlich der Reiſen Dr. Seipels und Dr.
Zimmermanns, wurden dieſe Kombinationen in einer durch die
geänderten Vorausſetzungen modifizierten Form neuerlich aufge=
friſcht
. Die Reiſen der beiden Staatsmänner hätten alſo, wenn
man den Auslafſungen einer Reihe vor allem öſterreichiſcher und
tſchechoſlowakiſcher Zeitungen trauen dürfte, einigermaßen ähn=
liche
Tendenzen wie die ſeinerzeitige Rundfahrt des öſterreichi=
ſchen
Bundeskanzlers verfolgt.
Dieſe Annahmen ſind nun wohl größtenteils in das Reich
der politiſchen Legendenbildung zu verweiſen. Was zunächſt
die Italienreiſe des öſterreichiſchen Bundeskanzlers anlangt, iſt
es allerdings Tatſache, daß Dr. Seipel mit einer italieniſchen
Löſung der öſterreichiſchen Frage, zumindeſtens für den Fall
eines abſoluten Mißerfolges der Sanierungsaktion, ſympathiſiert.
Allein abgeſehen davon, daß im gegenwärtigen Zeitpunkt ein
abſchließendes Urteil über das Endergebnis der Genfer Ret=
tungsaktion
für Oeſtereich trotz aller ungünſtigen Prognoſtika
durchaus verfrüht wäre : die Sympathien und Wünſche Dr.
Seipels wären jedenfalls von recht untergeordnetem Einfluß auf
die italieniſche Politik, entſcheidend dagegen der Wille Muſſolinis.
Nun iſt aber die überaus behutſame äußere Politik des Faſzis=
mus
zweifellos eines der bedeutſamſten Charakteriſtika ſeiner
bisherigen Machtausübung. Muſſolini hat ſich in der Ruhrfrage
gegenüber beiden Streitteilen behutſame Reſerve auferlegt, er
bat zur Enttäuſchung aller europäiſchen Hitzköpfe, jede provo=
zierende
Tonart gegenüber Jugoflawien vermieden und er
wird zweifellos keinerlei Spannungsmoment in die Beziehun=
gen
Italiens zu den Staaten der Kleinen Entente hineintragen,
und dies umſo weniger, als die Vorteile, die eine engere Einbe=
ziehung
Oeſterreichs in die italieniſche Intereſſenſphäre Italien
bieten könnte, doch höchſt ephemer wären. Nach alledem iſt alſo
kaim anzunehmen, daß ſich Muſſolini bei ſeinen Mailänder Be=
ſprechungen
mit Dr. Seipel auch nur andeutungsweiſe auf radi=
lale
Löſungsmöglichkeiten der öſterreichiſchen Frage einge=
laſſen
hätte.
Noch viel weniger plauſibel ſind die Kombinationen, die ſich
an den Beſuch Dr. Zimmermanns in Prag knüpften. Gewiß hat=
ten
ſich der Generalkommiſſär des Völkerbundes für Oeſterreich
und die Prager Herren, die an der Entwicklung der öſterreichi=
ſche
: Verhältniſſe, ſo lebhaft intereſſiert ſind, allerhand Intereſ=
ſantes
zu erzählen, das wohl auch über den Inhalt einer formel=
len
Antrittsviſite weit hinausging; für die Mutmaßung, daß
die Ausſprachen ſich mit der Möglichkeit eines Anſchluſſes Oeſter=
reic
,s an die Kleine Entente beſchäftigt hätten, fehlt aber jeder
reelle Anhaltspunkt.
Wenn nun alſo der Schwarm, von Gerüchten, der im Ge=
folge
der Reiſen Dr. Seipels und Dr. Zimmermanns auf=
flackerte
, auch an ſich wenig beſagt, ſo erſcheint es doch ſehr in=
tereſſant
, daß derartige Kombinationen überhaupt auftauchen
und teilweiſe ſelbſt in der ſeriöſen politiſchen Preſſe Mittel=
europas
Aufnahme finden konnten. Hieraus ergibt ſich nämlich
unſchwer die Schlußfolgerung, daß das allgemeine Vertrauen
auf eine endgültige Sanierung Oeſterreichs auf Grund des Gen=
fer
Sanierungsprogramms noch viel zu wünſchen übrig läßt.
Man weiß eben doch noch nicht recht, ob der Patient nicht unter
dem ſcharfen Operationsmeſſer der General=, Erſparungs= und
ſonſtigen Kommiſſäre bleiben wird und iſt daher bei jedem Anlaß
mit Kataſtrophenvermutungen raſch bei der Hand!
Die innerpolitiſche Lage hat in den letzten Tagen eine ent=
ſcheidende
Klärung erfahren. Der im Genfer Programm vorge=
ſehene
und vom Generalkommiſſär dringend urgierte Abbau der
Miniſterien hatte nämlich dem Bundeskanzler und den Regie=
rungsparteien
viel Kopfzerbrechen gemacht. Im Mittelpunkt der
Erörterungen ſtand die Auflaſſung des Bundesminiſteriums für
Heerweſen, da die Einſchränkung des bekanntlich in ſozialdemo=

Haltung der ſozialden iſchen Oppoſition geſcheitert; da=
gegen
einigte man ſich auf den Abbau der Bundesminiſtetien für

[ ][  ][ ]

Seite 2.

Neußeres,. Aners ud Zuſti, welche 2 Reſorts umehr u=
mittelbar
dem Bundeskanzler unterſtellt werden, und auf die
Angliederung des Verkehrsminiſteriums an das Handelsmini=
ſſterium
. Durch dieſe Maßnahmen wird die Zahl der öſterreichi=
ſchen
Minifterien von 11 auf 7 herabgeſetzt und erreicht damit ein
Minimum, das ſogar hinter der in Genf diktierten Mindeſtzahl
8 ſelbſtändiger Reſſorts zurückbleibt. Ob durch dieſe äußerliche furt, darüber hinaus die umliegenden und auch entfernteren Städte,
Fügſamkeit des öſterreichiſchen Nationalrates und der Beamten=
ſchaft
der eigentliche Zweck, der Abbau der Verwaltungsagenden
und damit eines Teiles der Staatsbeamten, erreicht werden
wird, iſt allerdings noch gänzlich ungewiß.
Weſentlich größeres Intereſſe als alle Fragen der innereen
und äußeren Politik erweckt in der letzten Zeit die neueſte Kar=
dinalfrage
des öſterreichiſchen Wirtſchafts= und Finanzlebens,
die Frage: Steigerung des Kronenkurſes? Der Gedanke, den
Kronenkurs nun, da die hieſigen Verhältniſſe einigermaßen ge=
feſtigt
ſind, und das öſterreichiſche Geld, wenn auch auf einem
Minimalwerte ſtabiliſiert erſcheint, durch valutariſche Operatio=
nen
von ſtaatlicher Seite zu heben, iſt naheliegend und hat zwei=
fellos
viel Verlockendes an ſich. Steigt die öſterreichiſche Krone
auf den internationalen Börſen, dann verbilligt ſich die geſamte
ausländiſche Einfuhr, auf die Oeſterreich in ſo hohem Maße an=
gewieſen
iſt; und dadurch wieder könnte das enorme Defizit
im Staatshaushalt beträchtlich verringert werden. Andererſeits
birgt eine künſtliche Kronenſteigerung zweifellos auch außer=
ordentliche
Gefahren in ſich: vor allem würde die ernſte Dauer=
kriſe
, die die öſterreichiſche Exportinduſtrie ſchon heute infolge zu
hoher Preiſe zu überſtehen hat, noch verſchärft werden; die Fol=
gen
wären weitere Betriebseinſtellungen und =einſchränkungen,
daher Arbeiterentlaſſungen und Lohnreduktionen. Es erſcheint
alſo begreiflich, daß gerade die Sozialdemokraten den Plan einer
Hebung des Kronenkurſes aufs ſchärfſte bekämpfen. Die indu=
ſtriellen
und kommerziellen Unternehmer würden eine ſukzeſſive
vorſichtige Steigerung der öſterreichiſchen Währung begrüßen, in
Finanz= und Börſenkreiſen hätte man auch gegen eine kräftige
Kronenhauſſe, die neue ſpekulative Möglichkeiten böte, nichts
einzuwenden. Die Regierung ſchließlich hat künſtliche valuta=
riſche
Maßnahmen bisher abgelehnt, dabei aber durchblicken laſ=
ſen
, daß ihr Eingriffe von außen im Sinne einer Kronenſteige=
rung
nicht unerwünſcht wären.
Unter den ſonſtigen Tagesereigniſſen ſei bor allem das tra=
giſche
Schickſal des Generalrates der Anglo=Bank, Dr. Wilhelm
Roſenberg hervorgehoben. Dr. Roſenberg zählte nicht nur zu
den hervorragendſten Perſönlichkeiten der öſterreichiſchen Finanz=
welt
, ſondern übte auch als finanzieller Berater der Regierung
während der letzten beiden Jahre maßgebenden politiſchen Ein=
fluß
aus. Sein Selbſtmord hat demnach nicht nur die öſter=
reichiſche
Privatwirtſchaft einer ihrer markanteſten Perſönlichkei=
ten
beraubt, ſondern auch dem Staate ſelbſt eine wertvolle Kraft
entriſſen. Dr. Roſenberg iſt aus rein perſönlichen Motiven aus
dem Leben geſchieden: der Schmerz um ſeinen einzigen Sohn,
der vor zwei Jahren ebenfalls durch Selbſtmord geendet, die
abſolute menſchliche Einſamkeit, in der er ſeither gelebt, haben
ihm die Waffe in die Hand gedrückt. Durch dieſe Begleitumſtände
wird das tragiſche Schickſal dieſes nicht gewöhnlichen Menſchen
in eine eigentümlich beziehungsvolle Atmoſphäre gerückt: ein
Herrſcher im Reiche der Finanzen, ein Mächtiger in der Welt
des brutalſten Materialismus, iſt einem Anſturm inneren Füh=
lens
, einem Stich ins Herz erlegen. Darin mögen manche, welche
die Gewaltigen des abſoluten Mammonismus allem Menſch=
lichen
entrückt wähnen, gerade heute einen Akt verſöhnender Ge=
rechtigkeit
erblicken.
Vergebliches Liebeswerben. Keine Notftandsatbeiten.
Berlin 15. April. Auf der in Frillendorf bei Eſſen
gelegenen Schachtanlage Hubert der Gewerkſchaft Königin
Eliſabeth, die den Mannesmannwerken gehört und die vor eini=
gen
Tagen von den Franzoſen beſetzt worden war, hatte die In=
genieurkomfmiſſion
der Belegſchaft einen Vertrag angeboten, nach
dem die Belegſchaft die Inbetriebſetzung und Inſtandhaltung der
Kokerei übernehmen ſollten. Außerdem ſollten die Notſtands=
arbeiten
vorgenoniien werden. Darauf hatten die Franzoſen die
dem Beſchluß der Belegſchaft aufs neue beſetzt hatten, verließen
die Arbeiter den Schacht und leiſteten auch keine Notſtandsarbei= wirtſchaftlich bewegt, läßt ſich ſchwer in Worte faſſen, nur eins ſei tief=
ten
. Es iſt dies der erſte Fall, daß die Arbeiterſchaft die Not=
ſtandsarbeiten
einſtellte.
Aus der Trauerverſammlung heraus verhaftet.
graf Egon von Weſterholt und Gyſenberg, der Vater des 1920
auf Haus Sython von den Spartakiſten ermordeten Grafen
Weſterholt, in der Familiengruft beigeſetzt wurde, wurde mit=
ten
aus der Trauerverſammlung heraus Amtmann
v. Kleinſorge=Herton von den Franzoſen verhaftet und
abgeführt. Die Häſcher ſuchten zunächſt den Amtmann ver=
Amtmanns als Geiſel mit und zwangen ſie, die Offiziere und
Kriminalbeamte nach Weſterholt zum Schloſſe zu begleiten.
Ein Todesurteil.
München, 14. April. (Wolff.) Das Volksgericht
verurteilte die beiden Mörder des Kaufmanns Daun aus und den Förderern Dank aus. Von der Wirtſchaftskniſe ſei beſonders
Marienburg, den Kaufmann Immenkamp und den Angeſtell=
ten
Kaska aus Düſſeldorf, die im Dezember 1922 Daun in der vorragendem Maße auf Halbfabrikate augewieſen ſei, die vorwiegend
Nähe von Mittenwalde mit Holzprügeln niedergeſchlagen und aus ausländiſchen Rohſtoffen hergeſtellt ſeien. Erfreulich ſei der Be=
ſeiner
Barſchaft beraubt hatten, zum Tode bzw. zu lebens=
länglichem
Zuchthaus unter Aberkennung der Ehren= kommen ſei, in erheblichem Umfange gelockert worden ſeien. Die Aus=
rechte
auf Lebensdauer.

Darmſtädter Dagblatt, Montag, den 16. April 1923.

Nummer 104.

*

Die achte Frankfurter Internationale Meſſe

die vom 15. bis 21. April dauert, wurde geſtern eröffnet. Ganz Frank=
foweit
ſie nach Frantfurt orientieren, ſtehen im Zeichen dieſer Meſſe.
Die Früchzüge nach Frankfurtz waren überfüllt, und auf verſchiedenen
Strecken waren Sonderzüge eingelegt, die ebenfalls dicht beſetzt waren.
So ſpie der Frankfurter Bahnhof in den Vormittagsſtunden in beſtimm=
tem
Intervallen rieſige Menſchenmengen aus, die ſich zu Fuß und mit
allen möglichen Fahrgelegenheiten nach dem Gelände der Meſſeſtadt
bewegten. Dieſe Meſſeſtadt ſelbſt der Name iſt durchaus berechtigt,
nachdem die Zahl der rieſigen Ausſtellungsgebäude wiederum vermehrt
und ein eigener Meſſegüterbahnhof erbaut worden iſt zeigt auch in
ihrer näheren Umgebung das Gepräge regſten Verkehrs, der ſeinen
beſonderen Charakter ecchält durch die ſchier erdrückende Fülle der Re=
klamen
verſchiedenſter Art und Größe. Die Straßenreklame durch Um=
züge
und dergleichen iſt faſt verſchwunden; dafür aber fällt das Auge,
wohin immer es ſich wende, auf Plakate in rieſigſten Ausmaßen: Haus=
und Hallenaufſchriften im gigantiſchen Lettern und in ſchreiendſten Far=
ben
, die jedoch mit wenigen Ausnahmen eine gewiſſe Geſchmackskultur
verraten, dann auf ganzen Reklamedenkmäler und =monumente; in
den Innenräumen und bei Dunkelheit auch im Straßenbild auf Licht=
reklamen
der verſchiedenſtem Art u. dal. mehr. Und in unmittelbarer
Nähe der Meſſeſtadt hält ein Pank von Automobilen der verſchiedenſten
Art und Größe, der wilde Autohalteplatz. Alle machen ſcheinbar ein
gutes Geſchäft. Denn es regnet. Nicht erheblich zwar, aber immerhin
unangenehm für etwaige elegante Frühjahrstoiletten. Dieſe ſind denn
auch ſelten zu ſehen, mit Ausnahme am Nachmittag auf dem Renn=
platz
. Da haben ſich die Damen auch durch das wenig einladende Wet=
ter
nicht abhalten laſſem, die neuen, übrigens zugeſtandenermaßen ſehr
geſchmackvollen Toiletten anzulegen, zumal auch die Frühjahrsmäntel
von erleſenem Geſchmack ſind.
Der Geſamteindruck der Meſſe iſt alſo wie immer ein ſehr geſchäf=
tiger
, haſtender; aber dieſes ſehr bewegte, geſchäftige Bild kann nicht
darüber hinwegtäuſchen, daß auch dieſe Frühjahrsmeſſe unter der Un=
gunſt
der pollitiſchen Situation, die Frankreichs Wahnſinnspolitik her=
aufbeſchworen
, zu leiden hat; daß ihre Friedensmiſſion, die Völker auf
dieſem friedlichen Gebiete wieder einander näher zu bringen, immer
noch ſcheitert an dem Mangel an gutem Willen des ehemaligen Feind=
bundes
. Das Konſtatieren dieſer Tatſache und das Bedauern darüber,
daß ſie troß aller ehrlicher Bemühungen immer noch beſteht, kam zum
Ausdruck in den offiziellen Reden bei der Eröffnung; es kam auch zum
Ausdruck in privaten Geſprächen mit Ausſtellern und Käufern. Bei all
dieſen Inſtanzen aber kam gleich überzeugend zum Ausdruck, und das
bewies auch der Verlauf des erſten Tages der Meſſe, daß trotz allem
Uebelwvollens und trotz aller Schwierigkeiten, die dem deutſchen Volke
bereitet werden in ſeimem ehrlichen Beſtreben, durch friedliche kulturelle
Miſſion alle Schäden, die der Weltkrieg der Menſchheit geſchlagen, ver=
geſſen
und gutmachen zu helfen, dieſes Streben auf die Dauer nicht
ſabotiert werden kann; daß es den unbeugſamen Lebenswillen des
deutſchen Volkes nicht zermürben kann, und daß es uns die Hoffnung
nicht rauben kann, daß endlich doch wieder einmal die Sonne ſcheinen
muß auch über Deutſchland. Und das war der erfreuliche Eindruck der
Meſſe als Spiegelbild des wirtſchaftlichen Lebens. Daran konnten
auich nichts die Kriſengerüchte ändern, die vom intereſſierter Seite in
die Menge lanziert wurden, und die ſehr ſchnell und glaubhaft
berichtigt werden konnten.
Die Eröffnung
vollzog ſich diesmal ohne größere Feierlichkeit. Der Reichspräſident
ſwau angelichts der politiſchen Verhältniſſe nicht erſchienem und nur
Miniſter Haeniſch war außer der Meſſeleitung und den Vertretern
der Stadt anweſend, als im Sitzungsſaal des ſchönen Hauuſes Werk=
bund
vor geladenemr Publiko, das inn weſentlichen aus den Teilnehmern
an der Südweſtdeutſchen Journaliſtenfahrt, etwa einem halben Hundert
Vertredern großer deutſcher Blätter, beſtand, die Meſſe in einem ſchlich=
den
Feſtakt eröffnetz wurde. Herr Sutter, der ſympathiſche Direktor
der litergriſchen Abteilung der Meſſeleitug, begwüßte zunächſt die
Preſſevertreter in einer Vorbeſprechung.
Um 10 Uhr fand dann die offizielle Eröffnung ſtatt. Namens des
Aufſickntsrats und der Direktion ſprach Stadtratz Landmann Be=
grüßungsworte
und ſolche des Dankes für die zahlreiche Teilnahme.
Er betonte unter Zugrundlegung von hiſtoriſchen Datzem, daß die Frank=
furter
Meſſe ſich doch zu einer wirtſ caftlichen und kulturellen Notwen=
digkeit
entwickelt habe, daß ſie im letzten Grunde nationale Veranſtal=
tung
ſei, wenn ihre letzte Auswirkung auch paßzifiſtiſch ſei, da ſie die
Völker miteinander zu verſöhnen und ſie wieder einandev näher zu
bringen berufen ſei. Der Hinweis auf die Ungunſt der Zeit, die Schwie=
rigkeiten
über Schwierigkeiten häufe, ſei bisher bei jeder Weſſer ſo ſicher
Zeche verlaſſen. Da die Franzoſen die Zeche nach ablehnen= wiedergekehrt wie der Ausdruck der unerſchütterlichen Hoffnung, daß es
endlich doch beſſer werden wüſſe. Was uns zur Zeit politiſch und
traurig, daß wir, das deutſche Volk, die einzigen ſind, die ſo davon
berührt werden, und daß nicht die Welt mit uns empfinde, welches Ver=
brechen
hiev an einem Volke begangen wird. Aber trotzdem: das
deutſche Volk wird und kann nicht den Glauben an ſich ſelbſt aufgeben.
Tatzen wie dieſe Meſſe ſind aufzufaſſen als ein Lebenszeichen, als Be=
ſtätigung
der Tatkraft, als unerſchütterliches Bekemntws des Willens
Buer, 14. April. (Wolff.) Als heute vormittag Reichs= und des Glaubens an die Zukunft. Mit der Vollendung des neuen
Meſſegüterbahnhofes und des fertiggeſtellten Hauſes Schuh
und
Leder hat die Frankfurter Meſſe min die erſte Etappe ſeiner Exiſtenz
vollendet; eim Verdienſt der Herren Diuektoren Modlinger und
Sutter, aber auch aller anderen Inſtanzen, und beſonders der Arbei=
terſchaft
, mit der hier tatzſächlich eine Arbeitsgemeinſchaft beſtehe.
Herr Direktor Modlinger ſprach dann von der Vollendung
des neuen Hauſes Schuh und Leder, das aus dem Haus Offenbach
gebens in ſeiner Wohnung. Sie nahmen dann die Frau des entſtanden, jetzt neben dieſem eines der wichtgſten und umfangreichſten
der Meſſe ſei. Sein Dank galt dem Architekten Profeſſor Hugo Eber=
hardt
, den Mitarbeitern und Arbeiter. Um die Erbauung des Güter=
bahnhofs
einer außerordentlichen Errungenſchaft der Meſſe, die Rieſen=
erſparniſſe
an Zeit und Geld ermögliche, hat ſich die Firma Rhenus=
Transportgeſellſchaft ſehr verdient gemacht. Nach einem intereſſanten
Rückblick auf die geſchichtliche Entwicklung der Meſſe ſprach dann im
Namen der Ausſteller Kommerzienrat Wallerſtein der Meſſeleitung
hart die Schuh= und Lederinduſtrie betroffen worden, weil ſie in her=
ſchluß
des Reichswirtſchaftsrats, durch den die Feſſoln für alle Induſtrie=
zwveige
, derer Produktion ziemlich an die Weltwarktpreiſe herange=
fuhrliſte
ſei erheblich erſveitert worden. Es ſei zu hoffen, daß auch die

Oskar A. H. Schmitz.
Zum 50. Geburtstage.
Wenn eine bekannter Schriftſteller ſein zehntes Luſtrum voll=
ndet
, hat ſich die Welt von ihm längſt ein feſtumriſſenes Bild
emacht. Oscar A. H. Schmitz, der ewig Lebendige, ſcheint je=
ſoch
jeglicher Formulierung und Feſtlegung zu ſpotten. Die
inen ſehen in ihm den Weltmann, der voll Geiſt, Anmut und
iebenswürdigkeit über Gott, die Welt und noch einiges andere
laudert, andere ſehen ihn als den Romanzier, der ſeeliſche
untwicklungen mit unerhörter Klarheit darſtellt, wieder andere
n Politiker, der konſervative und radikale Anſchauungen in
eltſamer Weiſe vereinen will. Und außerdem ſchreibt der gleiche
tann noch die beſten Bücher über Länder, die er bereiſt hat
Das Land ohne Muſik England und Was uns Frank=
eich
war), ja berichtet auch über Fahrten in noch unerforſchte
jebiete (Der Geiſt der Aſtrologie und, das eben im Druck be=
ndliche
, Buch über Pſychoanalyſe und Yogamethode‟). So viel=
ſtaltig
wie das Leben ſelbſt iſt auch Schmitz. Wie das Leben
mſpannt er die größten Gegenſätze und ſcheint ſo der Mitwelt
ätſelhaft und verdächtig. Denn Rätſel ſind immer unangenehm.
Rätſel haben aber auch etwas Magiſch=Faſzinierendes. Und
ben dies iſt auch auf Schmitz zutreffend.
Wer nun alſo Schmitz wirklich verſtehen will, muß ihn nicht
us dieſem oder jenem ſeiner etwa 25 Bücher verſtehen wollen,
ondern muß den kämpfenden Menſchen hinter der ganzen Reihe
einer ſelbſt geſchriebenen Bibliothek ſehen. Schmitz iſt der Menſch
es Tuskulums, der aus ſeiner Innenwelt heraus ſich mit all
en an ihm vorbeiflutenden und ihn durchdringenden Strömun=
en
der Zeit für ſich ſelber auseinanderſetzt. Alſo ein Ego=
entriker
! Nun, es muß auch ſolche Menſchen geben, zumal wenn
jie ſchreiben und ſo der Welt geſtatten, ihnen bei ihrem Ringen
und Schaffen in ihr Tuskulum hineinzuſehen, um ſelber einiges
araus zu lernen, ſei es in Zuſtimmung, ſei es im Widerſpruch.
dieſer tuskulaniſche Menſch entzieht ſich jedem Druck. Kaum
chließt er ſich einer Strömung an, ſieht er auch gleichzeitig ihr
Hegenſtüch und ſpringt aus, denn letztlich geht er, wie Platen

ſagt, der Jagd nach dem Seienden Ewigem in ſich nach. So
entſprang er als junger Menſch dem ſtrengen Bann des George=
Kreiſes und hat es ſo ſpäter immer wieder getan. Die bedeu=
tendſte
Wendung in ſeinem Leben bedeutet für ihn vielleicht die
Begegnung mit Kehferling. Bis dahin vielgeſchäftig über alles
Tiefe mit Leichtigkeit plaudernd Keyſerling hat ihn einmal
den Journaliſten der Tiefe genannt , iſt der Verfaſſer des
Breviers für Weltleute, nunmehr dazu gelangt, die endgültige
Zuſammenfaſſung ſeines Lebens nicht zu ſchreiben, ſondern zu
leben. Zeugnis von dieſer einſten Wendung zum Leben der
Tiefe gibt ſchon der Geiſt, aus dem heraus er ſein Brevier für
Einſame geſchrieben hat. Alle ſeine Freunde hoffen für ihn, daß
dieſer ewig Jugendliche, nunmehr Fünfzigjährige, den Ring ſei=
nes
Lebens zum göttlichen Ring der Ewigkeit ſchließt, daß die
Pilgerfahrt ihre Krönung findet, die durch ſo viele ſchöne und
traurige, verrufene und heilige Gegenden ging. Vielleicht ſchreibt
er, der uns gar manche köſtliche Stunden zu bereiten wußte, ein=
mal
ein Buch, das das Geheimnis ſeiner tuskulaniſchen Perſön=
lichkeit
, ihrer Tiefen, ihrer Bizarrerien, ihrer Magie enthüllt.
Oder vielmehr, ich weiß, daß er es nicht tun wird, denn das Ge=
heimnis
des Lebens iſt unausſprechbar, aber das Feuer eines in
aller Buntheit tiefen Geiſtes wird noch ſtärker als früher, ſo hof=
fen
wir, in der Welt Leben wecken, erleuchten und wärmen, ihm
felber aber eine herrliche Herbſt= und Erntezeit des Lebens
Rouſſelle.
ſchenken.
*
Oscar A. H. Schmitz! Werke
ſind zum größten Teil bei dem bekannten Verlag Georg Müller=
München erſchienen. Sie geben im großen und ganzen ein um=
faſſendes
und überzeugendes Bild vom geiſtigen Schaffen und
der geiſtigen Entwicklung ihres Verfaſſers. Zurzeit liegen uns
an neueren Werken von Oskar A. H. Schmitz zur Beſprechung
vor: Das Dionyſiſche Geheimnis, Erlebniſſe und
Erkenntniſſe eines Fahnenflüchtigen, Das rätſelhafte
Deutſchland Haſchiſch Erzählungen Brevier
für Weltleute‟, Eſſahs über Geſellſchaft, Mode, Frauen,
Reiſen, Lebenskunſt, Kurſ, Philoſophie.

fremden Länder, nachdem ein Dumping nicht mehr zu befürchten ſei,
die dem Handel auferlegten Beſchräntungen fallen laſſen würden, ſo
daß die Bahn für einen wirklichen internationalen Wirtſchafts= und
Handelsverkehr frei werde. Stadtrat Dr. Landmann ſchloß die
Feierlichkeit mit einem begeiſtert aufgenommenen Hoch auf unſer deut=
ſches
Vaterland.
Der Rundgang,
der ſich dann zwanglos anſchloß, zeigte das oben ſchon konſtatierte Bild
außerordentlich regen Verkehrs und Geſchäftes. Sicher wurden auch am
erſten Tage, wie das ſo üblich iſt, Geſchäfte in erfreulich hohem Maße
abgeſchloſſen, wobei allerdings zu bedenken iſt, daß viele Induſtrien auf
Lager gearbeitet haben, und dieſe Beſtellungen vorerſt nur der Lager=
räumung
zugute kommen. Die Meſſe iſt außerordentlich ſtark beſchickt,
und nur ſehr wenige Kofen ſind leer. Die Leipziger Meſſe wies dieſer
leeren Stätten bedeutend mehr auf. Was immer wieder ins. Auge fällt.
und als erfreuliches Zeichen produktiven Fortſchrittes zu buchen iſt, iſt
die offenſichtliche Zunahme der Qualitätsarbeit. Wo in der Welt iſt
noch ein Volk zu finden, das in der Zeit eines ſolchen Niederganges
und ſolcher Bedrückung ſeiner Induſtrie und ſeines ganzen Wirtſchafts=
lebens
ſich in dieſer fruchtbaren Weiſe mit dem gleichen Erfolg der Her=
ſtellung
von ſo hochwertiger Qualitätsware, auf allen Gebieten befaſſer
konnte! Kitſch und Ramſchwaren, ſind faſt vollſtändig vervönt. Vom
Spielzeug und einfachſten Gebrauchsartikel angefangen, bis zum Luzus
des hochwertigſten Kunſtgewerbes zeigt ſich überall das Streben nach
Qualität. Auf einzelnen Gebieten, beſonders der Leder= und Schuh=
branche
, führt das zu Erzeugniſſen, die faſt ſchon von Ueberverfeine=
rung
des Geſchmacks ſprechen und wenn Taſchenuhren für Herren in
dreieckigen, viereckigen und ſechs= bis achteckigen Formaten, bizarren Zif=
fern
und Zeigern, wenn Taſchen und Täſchchen für Damen aus feinſtenr
und teuerſten Material in raffinierteſt ausgedachten Formaten und Aus=
ſtattungen
hergeſtellt werden, wenn Luxusparfümerien, Reiſeartikel,
Zigarren= und Zigarettenetuis, Feuerzeuge und Beleuchtungsgegen=
ſtände
, Keramiken und feines Porzellan, Schuhe und Schuhchen in Seide
und Sammet, Wäſche und Kleidungsſtücke, Bluſen, Seiden= und Woll=
jumper
, Hüte und Mützen, Tücher und Shawls, kurz alles nur Denk=
bare
an Gebrauchs= und Luxusgegenſtänden hergeſtellt wird aus koſt=
barſten
Material: (Meſſing, Silber, Gold, Seide, Seidenwolle 2c.), in
den ausgefallenſten Farben und Formen, wenn eine Schar von begabte=
ſten
Künſtlern heute tätig iſt, dieſen Dingen den Stempel erleſenen
Kunſtgeſchmackes aufzudrücken, ſo mag man ſich vielleicht nicht ganz ohne
Berechtigung fragen, ob dieſer Luxus unſeren ſo unendlich gedrückten
Lebensbedingungen entſpricht, nur Kurzſichtigkeit aber wird dieſe
ge
mit uneingeſchränktem Ja bantworten. All das ſoll der Welt
u.
daß wir ein Kulturvolk ſind, das ſich nicht durch irgendwelchen
1 dauernd unterdrücken läßt, ſoll ein Zeugnis unſeres u. 19 Lebenswillens ſein.
Stärker noch kam dieſes Zeugnis auch der Tradition, der kulturellen
Vergangenheit zum Ausdruck bei der gegen Mittag erfolgenden
Eröffnung der Kunſtmeſſe,
die im Kaiſerſaal des wundervollen Römer, alſo auf hiſtoriſchen=
Boden, ſtattfand. Hiſtoriſch auch in engerem Sinne dieſer Kunſtmeſſe‟,
denn in dieſem Hauſe hat doch ſchon die allzeit beſorgte Frau Agnes, die
Gattin Albrecht Dürers die Kunſterzeugniſſe dieſes Meiſters zur Meſſe
gebracht. Hier kam bei der Eröffnung auch mehrfach aus beredtem
Munde die Beſtätigung der Tatſache zum Ausdruck, daß die Kunſt, be=
ſonders
das Kunſtgewerbe unſerer engeren Heimat, Heſſens und
des heſſiſchen Volkes, zu dem Wichtigſten und Wertvollſten der
ganzen Kunſtmeſſe gehört. Neben Meſſeſtänden des deutſchen Kunſt=
handels
und der Künſtler=Verkaufsgenoſſenſchaften iſt wieder eine Son=
der
=Ausſtellung veranſtaltet und zwar gilt ſie diesmal den
Kunſtſtätten des Heſſiſchen Staates. Das Beſtreben der
Meſſeleitung, einen möglichſt vollſtändigen Ueberblick zu geben, iſt durch
das Entgegenkommen der heſſiſchen Regierung ſowie des früheren Groß=
herzogs
und des Grafen Konrad zu Erbach in einem weiten Umfange
verwirklicht worden; auch die Stadtverwaltungen haben ihr Intereſſe
durch reiche Beſchickung der Ausſtellung kundegegeben.
Miniſter Haeniſch im beſonderen war es, der über die Bedeu=
tung
der Heimatkunſt ſprach, wenn er auch mit Recht dieſem Worte eine
Definition dahin gab, daß letzten Endes jede wahre Kunſt Heimat=
kunſt
ſei, denn ſie wurzele im Bodenſtändigen. Anerkannt wurde aber
ſowohl von dieſem Redner, wie beſonders von dem künſtleriſchen Leiter
der Kunſtmeſſe, Dr. Lübbecke, daß in beſonderem Maeß die Heſ=
ſiſche
Kunſt Heimatkunſt ſei und zur großen allgemeinen nationalen
Bedeutung der Kunſt in erheblichem Maße beigetragen habe. Betonte
Herr Haeniſch, daß die deutſche Weſtmark niemals die franzöſiſche Oſt=
mark
werden dürfe, ſo erwähnte Dr. Lübbecke, daß um die Pflege der
Kunſt ſich beſonders in Heſſen der Staat, die Gemeinden und die Für=
ſten
ſtets verdient gemacht haben. Unter den Letzteren ſeien es beſonders
Großherzog Ernſt Ludwig und Graf Erbach geweſen, denen auch heute
der beſondere gern ausgeſprochene Dank der Meſſeleitung gebühre für
die fehr wertvolle Unterſtützung, ohne die die Kunſtmeſſe in dieſem Um=
fange
nicht möglich geweſen wäre. Leider habe die Beſetzung und Ab=
ſchnürung
eines großen Teiles von Heſſen eine erſchöpfende Ueberſicht
über die heſſiſche Kunſt nicht möglich gemacht aber das Vorhandene
ſpreche eine ſehr beredte Sprache und biete in ſeiner Reichhaltigkeit un=
endlich
viel und Wertvolles.
An der Ausſtellung Heſſenkunft ſind beteiligt neben Darmſtadt biele
Städte und Städtchen und Dörfer von Starkenburg und Oberheſſen,
während Rheinheſſen faſt ganz fehlt. Da iſt gute alte eigenartige
Bauernkunſt in allen möglichen Handwerken, vor allem auch in Keramiken
und Elfenbeinſchnitzerei. Da ſind Erzeugniſſe alter Lederkunſt, Schnitze=
reien
, Flechtereien, Webereien, Bilder und Stiche künſtleriſchen und hiſto=
riſchen
Wertes. Da ſind aber auch wertvolle Erzeugniſſe der modernen
Bauerntöpferei neben denen der Keramiſchen Manufaktur aus unſeren
Tagen. Da ſind Teile der wunderbaren Waffenſammlung des Grafen
Erbach, und vieles andere, von dem noch ausführlich die Rede ſein wird.
Die unendliche Fülle von Kulturarbeit und geiſtiger Tätigkeit, die
allein das Haus der Bücher birgt, die vielen großen und kleinen Er=
rungenſchaften
der kleinen und großen Technik, die im Haus der Technid
untergebracht iſt, die unendliche Fülle des Sonſtigen, was die Meſſe noch
bringt, kann im Rahmen, dieſer Vorbeſprechung nur geſtreift werden.
Eines aber iſt ſicher: Dieſe Meſſe zeugt, wie ihre Vorläufer nicht nur
für Frankfurt, ſie zeugt für das ganze deutſche Wirtſchaftsleben und die
deutſche Kultur. Sie iſt keine lokale und keine rein kaufmänniſche Ver=
anſtaltung
, ihre Bedeutung geht weit darüber hinaus und liegt nicht
zum Letzten auf innen= und außenpolitiſchem Gebiet, ſie kann ſein ein
wichtiges Inſtrument des Friedens und der Verſöhnung.
Frankfurt a. M., 15. April 1923.
Dl. St.

Stadt und Land.

Darmſtadt, 16. April.
Die Mutterberatungsſtunden der Zentrale für Mutter= und Säug=
lingsfürſorge
im Weſtbezirk finden von Dienstag, den 24. April,
ab im Wohlfahrtsamt, Landgraf Philipp=Anlage 7, von halb 4 bis
5 Uhr ſtatt. Der Arzt wird in dieſer Beratungsſtunde anweſend ſein.
Orpheum. Der muſikaliſche Schwank Pſt! Pſt! erzielt zuu
Zeit einen durchſchlagenden Lacherfolg. Das Süüick bleibt nur noch
heute und morgen auf dem Spielplan. Mittwoch, 18. April, folgt als
Erſtaufführung: Der dumme Auguſt, Operette in drei Akten;
Muſik von Nudolf Gfaller. (S. Anz.)
G. Das diesjährige Aprilwetter zeigt ſo recht das Bild, das man
von dieſem wetterwendiſchen Monat gewohnt iſt. Nach einigen ſchönen
Tagen hat er ſein richtiges Geſicht aufgeſetzt: Bald ſcheint die Sonne,
dann regnet es wieder einmal und auch ein Schneefall hat dazwiſchen
nicht gefehlt. Nachdem am Dienstag Vormittag in der Bergſtraße Froſt
aufgetreten war, brachte der Mittwoch wieder ausgeſprochen warmes
Wetter; gleichzeitig erinnert eine Schneedecke im Schwarzwald, die bis
500 Meter herunterreicht, daran, daß der Winter ſeine Herrſchaft noch
nicht endgültig abgetreten hat. Mancher Kälterückfall wird uns noch
überraſchen, bis die Nachtfroſtgefahr überwunden iſt. Als letzter be=
ſonders
gefährlicher Froſttermin gelten die Eisheiligen um den 12.
Mai. Die wiſſenſchaftliche Prüfung dieſes uralten Volksglaubens hab
ergeben, daß tatſächlich zu Beginn der zweiten Maihälfte oft ein Kälte=
rückfall
bis in die Nähe des Gefrierpunktes eintritt, allerdings nicht ge=
rade
an den Eisheiligen. Im Mittel vieler Jahre treten die Kälte=
wellen
jedoch nicht hervor. Anders liegen die Verhältniſſe im Juni, wo
zwiſchen dem 5. und 10. ein ziemlich regelmäßiger Temperaturrückgang
einſetzt, der ſich auch im Temperaturmittel vieler Jahre bemerkbar
macht; da aber hierbei keine Froſttemperaturen mehr auftreten, ſo iſt
auch keine größere volkswirtſchaftliche Bedeutung damit verknüpft. Alle
die arwähnten Kältewellen rühren vom Einbruche kalter Nordwinde her,
die ſich infolge der zu den erwähnten Zeiten beſonders großen Tem=
veraturgegenſätze
im Norden und Süden von Europa bilden. Leider
ſind die Witterungsvorgänge und ihre Urſachen der Allgemeinheit trotz
ihrer Bedeutung für den Menſchen noch wenig bekannt, und es iſt daher
zu begreifen, daß die Volkshochſchule über dieſe Fragen einen Kurſus
abhält (die Naturerſcheinungen in der Erdatmoſphäre, Mittwochs 8 Uhr,
Näheres im Arbeitsplan Nr. 6), in deſſen Rahmen auch ein Lichtbilder=
vortrag
über die Wettervorherſage geplant iſt.

[ ][  ][ ]

tt
4e2

A

Rummer 104.

Darmſtädter Tagblatt, Montag, den 16. April 1923.

Seite 3.

Konzerte.
N. Die Freie Kunſtgeſellſchaft Darmſtadt gab am 14. April
ihre letzte Veranſtaltung, einen modernen Kompoſitionsabend.
Wenn es auch lebhaft zu begrüßen iſt, daß ſich Privatzirkel zu=
ſammenfinden
, die ganz weſentlich neue und neueſte Muſik unter=
ſtützen
, ſo muß zugegeben werden, daß hier in Darmſtadt dabei
leicht eine allzu große Zerſplitterung Platz greift. Auch für
ſolche Ziele muß die Konzentration beim Organiſieren möglichſt
groß ſein, um nachhaltige Erfolge zu erzielen. Am wichtigſten
aber iſt es, daß wir uns bewußt bleiben, daß die Zukunft der
deutſchen Muſik als ſelbſtändiger Kunſt, als geiſtige Ausprägung
deutſchen Fühlens ganz beſonders durch Förderung junger
Komponiſten und junger ausübender Künſtler geſtützt werden
muß. Das geht in heutger Zeit nicht ohne Opferwilligkeit der=
jenigen
Kreiſe, die zu opfern überhaupt noch imſtande ſind.
Künſtler wüſſen Gelegenheit haben, ſich erſtmalig dem Publikum
und der Preſſe vorzuſtellen, Komponiſten müſſen ihre Werke zur
Aufführung bringen können, auch wenn ſie nicht ein großes De=
fizit
zu tragen imſtande ſind. Zu dieſem Zweck haben ſich bei=
ſpielsweiſe
in Leipzig Verleger, Muſikfirmen und Kunſtfreunde
bereit erklärt, für ſolche Veranſtaltungen Räume und Inſtrumente
uuentgeltlich zur Verfügung zu ſtellen, und in vielen anderen
Städten gewinnt dieſer Gedanke Boden. Möge es darum auch in
Darmſtadt nie an Gönnern für die junge Kunſt fehlen.
Der Abend war dem Würzburger Komponiſten Karl
Schadewitz gewidmet, der in mehreren Liederfolgen zu Ge=
hör
kam. Beſonders die Geſänge mit mehreren Inſtrumenten
bewiefen, daß der Komponift über achtenswertes Können ge=
bietet
. Schöne Klangwirkungen unterſtützten den Willen zur
Stimmungsmalerei. Zu den eigentlichen Neuerern kann Schade=
witz
nicht gerechnet werden, wenn er auch mach Linie und ſelbſt=
ſtändiger
Stimmführung ſtrebt, ſeine Wurzel liegt im Boden
harmioniſcher Kunſt, die denn auch das Stimmgeſtige weſentlich
beeinflußt. Ueberall zeigt ſich das Streben, klare Bildhaftigkeit
zu erreichen, ſei es in faſt Wagneriſch rezitierender Art, ſei es in
ausgeſprochener Liedmelodie. Zuweilen bleibt aber die Muſik
dem Text manches ſchuldig, zuweilen nimmt ſie eine Leiden
ſchaftlichkeit an, die an ſich der Dichtung fremd iſt, wie in Hör
es klagt die Flöte wieder. So läßt ſich eine gewiſſe Ungleich=
heit
in der Intenſität der muſibaliſchen Sprache nicht leugnen.
Am ſtärkſten befriedigte der eng geſchloſſene Zyklus aus Tagores
Der Gärtner für Sopran, Bariton, Violine, Flöte und Kla=
bier
. Wenn auch die Flöte reichlich oft die Singſtimme nur
ſtützte, ſo entwickelt ſich doch häufig ein anſprechender Farben=
reichtum
und warme Empfindung. Demgegenüber erſchienen die
Lieder aus dem brennenden Kalender (Danthendey) etwas
matt in der Erfindung. Weit reizvoller wirkte die Liedſym
phonie nach Brentano und Eichendorf mit Flöte, Horn Violg
und Klavier als Begleitinſtrumenten, wenn auch umgekehrt hier
zuweilen Uebertreibungen im Ausdruck vorkamen. Ein voller
Ausgleich zwiſchen künſtleriſchem Willen und Vollenden iſt in
den Werken noch nicht vollzogen, aber Vieles iſt gut geglückt und
offenbart gutes Talent. Herren und Damen vom Landestheater
waren die Ausführenden, in die Sopranlieder teilten ſich Mar=
garete
Albrecht und Gertrud Gercke, Herr Biſchoff fand wenig
Gelegenheit, ſeine hohe Kunſt dramatiſchen Ausdrucks zu zeigen.
Die Klavierbegleitng hatte Herr Kapellmeiſter Beck übernom=
men
und an obligaten Begleitinſtrumenten kamen vor: Violine
(Herr Weyns), Flöte (Geißler), Bratſche (Horn) und Horn
(Lindner). In trefflichem Zuſammenſpiel unterſtützten die aus=
gezeichneten
Inſtrumentiſten die Geſangskräft= aufs beſte und
in den recht erfreulichen Erfolg der Lieder durften ſich mit Recht
der Komponiſt und die Ausführenden teilen.
*
W
F.N. Gleichfalls neueſter Kunſt gewidmet war das Konzeit
der Freien Geſellſchaft für Muſik. Von Lothar
Windsperger hörten wir vier Lieder in herkömmlichem Stil, ein=
fach
, ſchlicht und anſprechend. Hier wurden keine Probleme er=
örtert
, aber eine entſchieden lyriſche Begabung ſprach in Tönen,
die zu Herzen gingen. Leider war Herr Hölzlin ſo indispo=
niert
er hatte ſich entſchuldigen laſſen , daß er merklich mit
der Stimme zu kämpfen hatte. Beſonders warm mutete Pri=
mula
veris an.
Von ſtärkſter Ueberzeugungstraft war Paul Hindemiths So=
nate
für Viola und Klavier. Ganz frei in der Form, aus breiter
Elegie in ſcherzoartige Teile übergehend, dann weiter fantaſie=
rend
, erweiſt das Werk die don Natur dem Komponiſten inne=
ſpohnende
Geſtaltungskraft als ſo ſtark, daß nirgends der Ein=
druck
von taſtendem Verſuchen entſteht, ſondern die Anordnung
der Gedanken mit zwingender Notwendigkeit erfolgt. Die Leit=
gedanken
der einzelnen Abſchnitte ſind Melodien von großer
Plaſtik, die bewundernswert durchgeführt werden. Auch da, wo
Hindemith weit vom Herkömmlichen in Satz und Harmonie ab=
ſpeicht
, erfreut die geniale Urfprünglichkeit ſeiner Gedankengänge.
Die dunkle Viola iſt für ſolche Stimmungen die trefflichſte Trä=
gerin
, ſie ſtreift jede Violin=Virtuoſität ab, iſt aber fo reich an

Farben, daß ſie den ſtärkſten Gegenſätzen gerecht wird. Herr Ru=
dolf
Sprenger erwies ſich als hervorragender Künſtler, der
techniſch wie inhaltlich ſich tief in das Werk eingelebt hatte.
Während in den großen Formen Hindemith unmittelbar und
packend wirkt, ſind ſeine Lieder, von denen ſieben geſungen wur=
den
, Skizzen von größter Kühnheit. Die Singſtimme iſt mei
ſtens alleinige Trägerin einer kontinuierlichen Linie, das Kla=
vier
löſt auf, malt in reichen, kühnen Farben oder deutet in kur=
zen
Strichen, oft faſt Punkten an. Auch beim erſtmaligen Hören
ahnt man, daß auch hier mit ſicherem Gefühl bewußt Inhalte
gegeben werden. Gerade die ſtarken Unterſchiede, der aufgelöſte
Taumel bei Trunkene Tänzerin, die weltabgewandte Gedanken=
lyrik
von Traum die farbige Leidenſchaft in Trompeten der
groteske Humor des Morgenſternſchen Liedes beweiſen aufs deut=
lichſte
den ſicher geſtaltenden Willen in dieſen einſtweilen noch
reichlich problematiſchen Gebilden. Es war darum beſonders
dankenswert, daß die Texte vor jedem Liede vorgeleſen wurden,
um das vorahnende Einfühlen zu ermöglichen, und daß Fräulein
Anny Mundſchenk, die muſikaliſch bewundernswert ſichere
Interpretin der Lieder, dieſe zweimal ſang. Frau Elly Bom=
mersheim
führte den ſchwierigen Klavierpart aller Werke mit
ausgezeichneter Klarheit durch, und bewies völliges Aufgehen
in den Werken.
Sport, Spiel und Turnen.
Rennen in Frankfurt.
Frankfurt a. M., 15. April. (Wolff.) Der Eröffnungstag der
diesjährigen Frankfurter Pferderennen brachte der Nieder=
räder
Bahn trotz ungünſtiger Witterung einen Maſſenbeſuch. Nachſtehend
die einzelnen Ergebniſſe: Ermunterungsrennen. 2800 Meter: 1. E.
16. 16:10; 27:10. Maiden=Rennen. 1400 Meter: 1. S. Groß Tauge=
16, 16:10; 27:10. MaidenRennen. 1400 Meter. 1. S. Groß' Tauge=
nichts
(Winkler), 2. Modedame, 3. Sternfels. Tot. 38 14:10; 17,
18:10. Feldberg=Jagdrennen. 3000 Meter. 1. H. v. Opels Volaca
(Stolpe), 2. Raduleſti, 3. Snob. Tot.: 15, 10:10; 11:10. Frankfurter
Prüfungspreis. 1200 Meter. 1. H. v. Opels Frivora (Jentzſch), 2.
Terrakotta, 3. Donnerwetter. Tot.: 2. 17:10; 19:10. Sandhof=
Rennen. 2000 Meter. 1. H. v. Opels Hazcar (Jentzſch), 2. Orne, 3.
Jahn. Tot.: 18, 12:10; 14, 17:10. Rodenſtein=Rennen. 3500 Meter.
1. R. Hildebrands und O. Kratz Tippel (Lueder), 2. Alarich, 3. Carls=
minde
. Tot.: 12. 13:10; 19:10. Preis von Mannheim. 1400 Meter.
1. Dr. R. Lindenbergs Felſenriede (Fabel), 2. Rih, 3. Kalmanezi.
Beim Meſſeſchwimmfeſt der Frankfurter Eitracht
gelang es wiederum Hermann Ober von der Turngemeinde Darm=
ſtadt
46, diesmal im Ermunterungsbruſtſchwimmen über 100 Meter den
erſten Preis zu erringen.
Hockey.
Darmſtädter Hockehklub I Eintracht Frankfurt I,
8:4 (3:2).
Der D.H.Kl. konnte geſtern einen weiteren beachtenswerten Erfolg
erringen und die erſte Elf der Frankfurter Eintracht, welche erſt an
Oſtern gegen gute mitteldeutſche Mannſchaften erfolgreich ſpielte, über=
zeugend
ſchlagen. Das Spiel beginnt mit ſchnellen Vorſtößen der
Stürmerreihen, welche ſich, im Gegenſatz zu den Verteidigungen, ſchnell
zuſammenfinden. Bald ſitzt auf jeder Seite ein Tor. Hierauf Feldſpiel.
Eintracht wird mehrmals gefährlich, und Darmſtadts
Tor=
hüter
muß rettend eingreifen. Nach ſchönem Zuſammenſpiel der D.H.=
Kl.=Sturmes fällt das zweite Tor. Prompt gleicht Eintracht aus.
Große Anſtrengungen um die Führung. Längere Zeit geht das Spiel
auf und ab. Beiderſeits werden Chancen ausgelaſſen. Endlich kann
Darmſtadt mit ſcharfem Schuß ſein drittes Tor erzielen.
Nach Seitenwechſel vorerſt das gleiche Bild. Der D.H.Kl.=Sturm
wird zuſehens beſſer. Ausgeprägtes Kombinationsſpiel, ſchnelle Flan=
kenläufe
ſetzen dem Gegner hart zu. Bald ſteht das Spiel 4:2. Der
Eintracht=Sturm ſetzt unermüdlich mit ſchnellen Angriffen ein. Die
ſehr ſchnelle rechte Seite bringt den Ball wiederholt gut vor. Ein ſchö=
ner
Rückhandſchuß des Halblinken ſtellt das Spiel auf 4:3. Doch nicht
lange und D.H.Kl. bucht Nr. 5, dem bald des 6. Tor folgt. Noch einmal
winkt Eintracht der Erfolg. An dem zu früh vorgelaufenen Torhüter
vorbei wird der Ball ins leere Tor gelenkt 6:4. Die letzte Viertel=
ſtunde
beherrſcht D.H.Kl. das Feld. Angriff auf Angriff rollt gegen
das Eintracht=Tor. Die Läuferreihe der Gäſte fällt dem Tempo zum
Opfer ihre Abwehr wird ſchwächer. Der Eintracht=Torwächter hält
viele ſcharfe Schüfſe in guter Manier. Dreimal ſchießt Darmſtadt aus
ausſichtsreicher Stellung daneben. Dann folgt Tor Nr. 7 nach glänzen=
der
Kombination des Innenſturms. D.H.Kl. drängt weiter ſtark und
kurz vor Schluß fällt das 8. Tor.
Eintrachts Elf iſt ſehr ſchnell und ſtockſicher. Alle Poſten ſind gut
beſetzt. Hervorzuheben ſind Rechtsaußen, Halbrechts, Mittelſtürmer,
linker Läufer und rechter Verteidiger.
D. H.Kl. (mit 3 Erſatzleuten) zeigte in der erſten Spielhälfte nicht
das gewohnte flüſſige Spiel. Nach der Pauſe lief die Mannſchaft zu
großer Form auf. Das Stellungs= und Zuſpiel war zeitweiſe vorbild=
lich
zu nennen.
Darmſtädter Hockeh=Klub. II Eintracht= Frank=
furt
II 5:0 (1:0)
Die in der Hauptſache aus Jugendlichen beſtehende II des D. H.Kl.
konnte gegen die körperlich und techniſchüberlegenen Eintracht=Leute,
bei welchen mehrere Spieler aus der I. mitwirkten, nicht viel ausrichten.
Bis zur Pauſe war das Spiel offen. Dann ſpielte Eintracht ſtark
überlegen und gewann verdient.

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[ ][  ]

Ruutiter 104.

Seite A.

Dariſtädter Tagblatt, Bontay, dert 16. AFeil 492:

Vor der Frühkartoffelbeftellung.
Frühkartoffeln verlangen beſſeren, in hoher Kultur und
alter Kraft ſtehenden, warmen Boden und geſchützte Lage, be=
friedigen
aber unter ſonſt günſtigen Bedingungen auch auf leich=
teren
Böden. Hat man das Land nicht ſchon im Herbſt mit
Stallmiſt gedüngt, dann verwende man zur Frühjahrsdüngung
gut verrotteten Stallmiſt, damit die Frühkartoffeln ihren früh
zeitig eintretenden Nährſtoffbedarf mühelos befriedigen können.
Für die Auswahl der Sorten ſind Frühreife und Ertragfähig=
keit
ausſchlaggebend.
Die Reifezeit iſt für die einzelnen Sorten durchaus nicht
überall die gleiche, ſondern je nach den Boden=, Düngungs=
und Witterungsverhältniſſen ſowie nach dem früheren oder
ſpäteren Zeitpunkt des Auspflanzens fehr wechſelnd. Nach
zum Teil langjährigen Beobachtungen auf dem Gebiete der
Deutſchen Kartoffel=Kultur=Station in Berlin, wo die Kartoffeln
auf Sandboden gebaut werden, haben ſich für die nachſtehend
derzeichneten Sorten ungefähr folgende Reifezeiten ergeben:
Ende bis Mitte Juli: Frühe weiße Sechswochen, Paulſens
Alpha, Junikartoffeln, allerfrüheſte blaßrote Delikateſſe.
Mitte bis Ende Juli: Thieles Rotkäppchen, Kaiſerkrone,
Bürckners Früheſte, Richters ovale Frühblaue, Atlanta, Thieles
frühe Gelbfleiſchige, Frühe Roſe.
Anfang bis Mitte Auguſt: Thieles Kuckuck, Thieles
Früheſte, Paulſens Juli, Profeſſor Edler, Stella.
Mitte bis Ende Auguſt: Königsniere, Kirſches Schnee=
glöckchen
, Böhms Frühe, Mühlhauſer, Starkenburger Frühe,
Frühe Zwickauer, Thieles Rheinland, Thieles Schneeglöckchen,
Richters Goldperle, Paulſens Goldperle, Cimbals Iris
Bis Anfang September (mittelfrühe Sorten): Primel,
Cimbals frühe Ertragreiche, Odenwälder Blaue, Alice, Undine,
Lurya, Topas, Mimoſa, Ella, Richters Edelſtein, Viktoria
Luiſe, Böhms Ideal, Lech, Eigenheimer.
Die Ertragsfähigkeit der Frühkartoffeln pflegt in der Regel
um ſo geringer zu ſein, je früher die Kartoffeln reifen. Je nach
Jahren, nach Boden=, Düngungs= und klimatiſchen Verhältniſſen
iſt die Höhe der Erträge auch bei den einzelnen Sorten außer=
erdentlich
verſchieden. Je früher man die Kartoffeln pflanzt,
deſto früher erntet man nakürlich. Im allgemeinen dürfte jedoch
für Norddeutſchland ein Auspflanzen vor Anfang bis Mitte
April kaum zu empfehlen ſein.
Ein bewährtes Mittel, möglichſt frühzeitig Kartoffeln ern=
ten
und an den Markr bringen zu können, iſt das Auspflanzen
bereits vorgekeimter Pflanzkartoffeln.
Zu dieſem Zwecke bringt man die Pflanzknollen etwa Mitt=
Februar auf kleine, leicht zu handhabende, etwa 10 cm hohe
Horden von Holz oder in entſprechende Holzkäſten, indem man
ſie, eine neben der andern, mit dem Kronenende nach oben in
dieſe einſetzt. Die ſo beſchickten Horden werden in einem froſt=
freien
, am beſten heizbaren, warmen, hellen, trockenen und leicht
zu lüftenden Raume untergebracht. Sie werden hier entweder
auf Lattengerüſten oder einfach übereinander geſchichtet, ſo auf=
geſtellt
, daß die Kartoffeln überall genügend Licht und Luft
haben, und verbleiben dort bis zum Auspflanzen. Unter dieſen
Verhältniſſen bilden ſich dann die erwünſchten kurzen, gedrun=
genen
und beſonders kräftigen Keime unter gleichzeitigem Ein=
ſchrumpfen
der Knollen, während die Bildung langer, dünncr
und ſchwächlicher Keime, wie ſie bei dunkler und feuchter Lage=
rung
zu entſtehen pflegen, verhindert wird. Wenn die Zeit zum
Auslegen gekommen iſt, werden die Horden aufs Feld gebracht
und die Knollen aus dieſen direkt, unter möglichſter Schonung
der Keime, mit der Hand in die Pflanzlöcher, das Kronenende
nach oben, geſetzt, gut eingedrückt und vorſichtig mit Erde bedeckt.
Man hat bei dieſer Art des Pflanzens noch den Vorteil, daß
man alle nicht oder ſchlecht gekeimten Knollen mit Leichtigkeit
ausſcheiden kann. Man ſpart auf dieſe Weiſe immerhin 10 bis
14 Tage.
Die Pflanzſveite bei den Frühkartoffeln iſt geringer als
bei den Spätſorten. Bei den erſten Sorten genügen 40 mal 30
bis 40 mal 40 cm Abſtand, bei mittelfrühen 40 mal 50 cm.
Die Bearbeitung der Frühkartoffeln iſt die gleiche wie bei
den anderen Kartoffeln. Sie iſt beſonders ſorgfältig auszufüh=
ren
und geſchieht am beſten nur durch Handarbeit. Da die
Frühkartoffeln häufig durch Nachtfröſte erheblichen Schaden er=
lciden
, ſo muß nach Möglichkeit Sorge getragen werden, ſie in
kalten Nächten, namentlich im Mai, gegen Froſt zu ſchützen.
Selbſtverſtändlich können hierbei nur kleinere, mit frühen Sor=
ten
beſtellten, Flächen in Betracht kommen. Man bedeckt die
Pflanzen für die Nacht entweder mit bereitgehaltenem kurzem,
ſtrohigem Dünger, oder man deckt ſie mit Rohr= oder Strohmat=
ten
(alten Decken, Plänen uſw.) zu, die auf etwa ½ Meter hohe,
über den Anbauflächen anzubringende Gerüſte gelegt werden,
und zwar ſo, daß auch die Seiten durch die bis zur Erde
reichenden Deckmittel geſchützt ſind. Letzteres Verfahren iſt in
der Umgegend von Hamburg, wo ſehr viel Frühkartoffeln ge=
baut
werden, allgemein gebräuchlich und hat ſich dort gut
bewährt.

K2

Obſi= und Gartenbau

*g- Die ertragreichſten Gemüſeſorten. Nicht
nur der Erwerbsgemüſezüchter, auch der Kleingärtner für die
eigene Küche ſollte ſich durch ſorgfältige Sortenwahl den höchſten
Lohn für ſeine Arbeit zu ſichern ſuchen. Das iſt freilich nicht
ganz leicht, denn Züchterehrgeiz und Neklamegeſchrei tun ihr
Möglichſtes, den weniger bewanderten Samenkäufer zu ver=
wirren
. Alljährlich kommen allerlei Neuheiten heraus, die oft
keineswegs die Verbeſſerungen ſind, als die ſie ſich ausgeben.
Da bleibt nichts übrig, als auf einen erfahrenen Fachmann zu
hören, wenn man nicht teure Verſuche wagen will. Eine gute
Zuſammenſtellung empfehlenswerter Sorten gibt Garteninſpek=
tor
Reichelt in der Deutſchen Obſt= und Gemüſebauzeitung, dem
Organ des Reichsbundes für Obſt= und Gemüſebau. Ihr ent=
nehmen
wir folgende Hinweiſe.
Von frühen Buſchbohnen verdienen den Vorzug Kaiſer
Wilhelm, Alpha und Saxa. Die erſte iſt eine gute Schneide=
bohne
, ihre Hülſen werden jedoch leicht hart, die zweite iſt eine
dickfleiſchige und fadenfreie Brechbohne, Saxa eine dickfleiſchige
Bohne mit Fäden. Für die ſpäte Ernte ſind die fadenloſen
Brechbohnen Hinxichs Rieſen und Triumph zu empfehlen.
Zum Einmachen paßt Ideal=Wachs, zum Trocknen Pariſer
runde Gelbe. Von Staugenbohnen haben ſich Phänomen und
Hildesheimer am beſten beiährt.
Bei den Erbſen iſt es beſonders wichtig, die Entwicklungs=
dauer
der einzelnen Sorten genau zu kennen, damit man durch
geſchickte Auswahl die Ernte recht lang hinziehen kann. Es wer
den deshalb bei den nachſtehend genannten Sorten die Tages=
ſummen
in Klammern beigefügt: Niedere Pahlerbſen: Expreß
6065), Monopol (7075), Buxbaumſchnabel (8085); höhere
Pahlerbſen: Grünbleibende Folger (7075), Grünbleibende
Schnabel (7580), Verbeſſerte Schnabel (8085); niedere Mark=
erbſen
: Teutonia (7580), Moringia (8085); höhere Mark=
erbſen
: Prima Vera; Zuckererbſen: Fürſt Bismarck (6070),
Moerheims Rieſen (8085).
Bei den Kohlſorten bevorzuge man die Sorten, die ſich
zur Ueberwinterung eignen. Dies ſind Weißkohl Amager und
Weſtfalia, Rotkohl Holländiſcher Export und Weſtfalia, Wir
ſing Weſtfalia und Dithmarſcher Später. Von Herbſtſorten
ſind beſonders zu empfehlen: Weißkohl Globus, Magdeburger,
Braunſchweiger, Rotkohl Othello, Wirſing Gelber Holländer,
Vertus. Die beſten Frühſorten ſind: Weißkohl Ditmarſcher
Früher, Expreß, Rotkohl Erfurter kleiner Früheſter und Wir=
ſingkohl
Eiſenkopf, Zweimonatswirſing. Von Roſenkohl zeigten
ſich am ertragreichſten Feſt und viel, Perfektion, Erfurter ver=
beſſerter
Gelbkohl.
Bei Karotten iſt die Sortenfrage beſonders wichtig für den
Frühbau, denn je früher die Ernte, deſto größer natürlich der
Nutzen. Für früheſte Sorte eignet ſich Pariſer Markt, ihr folgt
die Duwicker. Mittelfrüh iſt die verbeſſerte Nantaiſe. Von
Herbſtkarotten hat ſich die Lange rote Sudenburger beſonders
bewährt.
Wechſelbau im Gemüſegarten. Im Garten
kann man zwar keine regelrechte Normalfruchtfolge durchführen
wie ſie in der Landwirtſchaft üblich ift, die große Anzahl der
Küchengewächſe erlaubt es jedoch, auch den Gemüſebau ſo ein=
zurichten
, daß jede Gemüſeart erſt nach mehreren Jahren wieder
auf den gleichen Platz kommt. Kein Boden vermag dieſelbe
Pflanzengattung mehrere Jahre hintereinander zu tragen, ohne
an Ertragfähigkeit einzubüßen. Nicht nur der Nährſtoffbedarf
der Pflanzen verbietet das, es ſind noch andere Umſtände, die
einen Wechſelbau erforderlich machen. Die Wurzeln vieler
Pflanzen ſcheiden beſtimmte Stoffe aus, die den Boden, wie die
Praktiker es nennen, verunreinigen und den öfteren Anbau
einer Pflanze unmöglich machen. Dies iſt z. B. bei Erbſen der
Fall, die erſt wieder nach vier Jahren, in einigen Gegenden ſogar
erſt nach ſieben Jahren, auf der gleichen Stelle gedeihen. Ferner
leidet faſt jede Gemüſeart unter beſtimmten Pilzkrankheiten
und ſchädlichen Inſekten, die meiſtens an der Stelle, an welcher
ſi: im Vorjahre aufgetreten ſind, in der Erde überwintern.
Beim Anbau der gleichen Pflanzengattung auf demſelben
Beet würde daher die Verbreitung der Schädlinge ſehr begün=
ſtigt
werden. Aehnliches iſt bei den Unkräutern der Fall, denn
einige Gemüſearten leiſten deren Ausbreitung beſonders Vor=
ſchub
, während andere durch ihren Wuchs die ſchädlichen Pflan=
zen
unterdrücken.
Weiterhin wird die phyſikaliſche Beſchaffenheit des Bodens
durch die Wechſelwirtſchaft beeinflußt. Manche Gewächſe ſenden
ihre Wurzeln in größere Tiefen, während andere ein Wurzelnetz
beſitzen, das ſich nahe der Erdoberfläche ausbreitet, und je nach=
dem
wird die untere oder obere Erdſchicht gelockert. Dazu
kommt, daß einige Pflanzen mit ihren großen oder zahlreichen
Blättern den Boden bedecken und dadurch die Verflüchtigung

der atmoſphäriſchen Nährſtoffe und das Austrocknen des Bodens
verhindern. Bei der Auswahl der Beete ſuche man daher immer
ſolche Pflanzen aufeinander folgen zu laſſen, deren Kultur und
Wachstum am meiſten voneinander abweicht.
Früher Kohlrabi. Um Kohlrabi drei Wochen früher
im freien Land zu erzielen, als der gleichzeitig geſäte brauchbar
wird, ſät man bei ſtarker Düngung recht zeitig in Reihen ſehr
dünn aus, verzieht die zu ſehr beengten Pflanzen, wenn ſie vier
Blätter haben und pflanzt ſie wieder an anderer Stelle ein. Die
am Saatort heranwachſenden Pflanzen gewinnen vor ihnen
einen mehrwöchigen Sprung. Die beſten Frühſorten ſind Non
plus ultra, Weißer Wien, Erſurter Treienbrunnen, früher Deli=
kateß
und Engliſcher Weißer.

Pieh= und Geflägelzucht

nk. Verjüngungsoperationen von Zucht=
hengſten
. Die Preußiſche Geſtütsverwaltung hat ſich ent=
ſchleſſen
, den berühmten Vollblut=Zuchthengſt Ard Patrick nach
der Steinachſchen Methode operieren zu laſſen, nachdem ent=
ſprechende
Verſuche an Hengſten des Landesgeſtüts Celle, den
gewünſchten Erfolg hatten. Ard Patrick wurde bekanntlich
lange vor dem Kriege aus England für eine Million Mark an=
gekauft
. Ard Patrick rechtfertigte die auf ihn geſetzten Erwar=
tungen
und zeugte viele Dutzende der hervorragendſten deutſchen
Renupferde des letzten Jahrzehnts, wie Dolomit, der der beſten
franzöſiſchen Derbyklaſſe gleichkam, Hyon, der ſelbſt in Englaud
klafſiſche Rennen gewann, Ariel, Terminus, Abendröte u. v. a.
Man kann ſich bei den heutigen Preiſen für derart erſtklaſſig=
Vollbluthengſte leicht ausrechnen, welche Erſparniſſe es für ein
Geſtüt bedeutet, wenn ein Deckhengſt von der Güte Ard Patricks
auch nur noch einige Jahre länger ſeinem anſtreigenden Berufe
erhalten wird. Es iſt beabſichtigt, Ard Patrick vor der Ver=
jüngung
und nach der Operation für einen wiſſenſchaftlichen
Lehrfilm und als bleibendes Dokument des erwarteten Erfolges
tinematographiſch aufzunehmen.
Geburtshilfe bei Kaninchen. Nicht ſelten ver=
zögert
ſich bei jungen Häſinnen die Geburt um mehrere Tage
und ſchließlich kommen die Jungen tot zur Welt oder die Mutter
geht ſelbſt ein. Aus dieſem Grunde muß der Zuchter genan
auf den Tag achten, an dem die Tragzeit abläuft, es iſt dies
der 32. Tag nach der Deckung. Sind dann die Jungen noch nicht
da, ſo hilſt man ein wenig nach, indem mian mit beiden Hän=
den
leicht den Hinterleib der Häſin maſiert. Zugleich läßt man
ſie im Hof oder Garten herumlaufen. Die Behandlung ſetzt
nun in Pauſen von zehn zu zehn Minuten fort. Oft tritt die
Geburt dann in der nächſten halben Stunde ein. Bleibt der
Erfolg jedoch aus, dann führt man mit dem Finger, deſſen
Nagel vorher ſo kurz wie möglich zu ſtutzen iſt, Glyzerin in die
Scheide der Häſin ein, während man das Tier mit dem
Rücken aufs Knie legt. Es dauert dann meiſt nicht länger als
eine Stunde, bis die Jungen da ſind, nachdem man dem Tier
noch etwas Bewegung verſchafft hat., Länger als zwei Tage
ſoll man nie über den normalen Wurftag hinaus, mit dieſer
Hilfe warten. Die Urſache der Verzögerung bildet gewöhnlich
Fettanſatz, der auf Mangel an Bewegung während der Trag
zeit zurückzuführen iſt. Es iſt wohl richtig, daß man einer
trächtigen Häſin möglichſt viel Ruhe gönnen ſoll, doch darf das
nicht heißen, möglichſt wenig Beivegung. Zuchthäſinnen brau=
chen
größere Stallabteile, der Vorteil der leichteren Geburt
dürfte dieſen Aufwand rechtfertigen.
Die Haltung desZiegenbockes im Sommer
Trotz der Arbeit der Ziegenzuchtvereine beſtehen hinſichtlich der
Unterbringung des Ziegenbockes vielerorts noch Schwierigkeiten.
Angenehm iſt die Bockhaltung natürlich wegen des durch=
dringenden
Geruches der Böcke nicht, aber durch gute Pflege,
Reinlichkeit, helle Stallung, freien Auslauf und fleißiges Bürſten
läßt er ſich ſehr ſchwächen. Gut verſorgt müſſen die Böcke wäh=
rend
des ganzen Jahres werden, nicht nur während der Sprung=
zeit
. Nach deren Abſchluß haben die Ziegenböcke vollſtändige
Ruhe und Schonung nötig, deshalb ſollte man ſie in einer ganz
geſonderten Stallabteilung unterbringen. Beim Nahen des
Frühlings werfen die Tiere das Winterhaar ab, und gerade in
dieſer Zeit brauchen ſie kräftiges Futter, viel Hautpflege, viel
Bewegung. Auch der regelmäßige Klauenſchnitt darf nicht ver=
geſſen
werden. Von größter Wichtigkeit iſt der freie Auslauf
im Sommer. Die Einrichtung größerer Bockweiden hat ſich
nicht bewährt, dagegen iſt der freie Auslauf des einzelnen Bockes
auf trockenen Wieſen oder Berghängen von größtem Vorteil.
Etwas Kraftfutter, beſonders Hafer, muß das ganze Jahr hin=
durch
gereicht werden, nicht nur während der Deckzeit. Ein
großer Fehler iſt das zu frühe Abſchlachten guter Böcke. Iſt ein
Wechſel zur Vermeidung der Inzucht nötig, ſo verſuche man zu=
nächſt
einen Austauſch. Das Abſchlachten nach dem zweiten
Jahre iſt grundfalſch, da geſunde Böcke die beſte Nachzucht im
dritten, vierten und fünften Lebensjahre liefern.

Das ewige Feuer.
Roman von H. Richter.
Ameriianiſches Copyright 1922 by Carl Duncker, Berlin.
(Nachdruck verboten).
54)
Nicht nötig, Sir, wir ſind nicht kriegeriſch; das Land iſt
ruhig, und ich vertraue auf den Einfluß der Führer des Landes
daß keine Unbeſonnenheit um ſich greifen wird.
Ein man of war iſt beſſer als Vertrauen, brummte der
Admiral.
Außerdem ſtütze ich mich noch immer auf die Verfaſſuns
und den Völkerbund.
Lanciers ſind beſſer als Völkerbund.
Sie ſind ein Peſſimiſt, Lord Leslie.
Der Engländer rückte an ſeiner Uniform.
Ich habe eine Reihe von Erfahrungen hinter mir, die ich
als Midſhipman in Dienſten Ihrer Majeſtät der verſtorbenen
Queen begonnen habe. Ich habe in Dienſten Englands vor
Habana gelegen, habe die Chineſen unſer Pulver riechen laſſen
bei Taku, den Schutz unſerer Transporte im ſüdaſrikaniſchen
Kriege geleitet. Ich habe dor Durazzo gelegen, als Europa mit
dem Fürſten zu Wied experimentierte, und bei Skagen ein
Kreuzergeſchwader geführt. Lehren Sie mich Politik, Baron
van Utrecht.
Was fürchten Sie hier im Lande?
Verrat, Sir.
Van Utrecht fuhr betroffen zurück. Verrat?
Hier wird nicht ehrlich Spiel geſpielt, Baron, fair plah iſt
ein Wort, das der Politiker gern im Munde führt, aber nicht im
Herzen. Ich war drüben in Baku in den Oelfeldern. Anerken=
nenswert
, Sir, was dort geleiſtet wird, es wird gearbeitet und
produziert, aber die Kalmückengeſichter da wollen mir nicht
gefallen.
Wir haben Arbeiter aus ganz Europa.
Yes, Sir, aber auch aus China.
Man wird ſie als Aushilfsarbeiter gebraucht haben.
Meinen Agenten fällt es ſchwer, Europäer nach dem Kaukaſus
zu werben.
Vielleicht iſt da eine Gegenorganiſation an der Arbeit.
Lord Leslie, Sie ſehen Geſpenſter
No, Sir, ich habe in Baku den Fürſten Alexander geſehen
A
und in Grosny chineſiſche Ingenieure.

Der Jonkheer van Utrecht ging erregt auf und ab.
Ich komme zu wenig durch das Land, man überhäuft mich
mit Verwaltungsgeſchäften und Repräſentationspflichten. Seit
mein Sekretär in Europa iſt, bin ich auf die einheimiſchen Be=
amten
angewieſen.
Wer hat den Hauptmann Haller nach Europa geſchickt?
Ich ſelbſt.
Aus eigenem Antriebe?"
Nach einer Beſprechung im Staatsrat, Fürſt Arweli riet
es mir. Wir mußten die Finanz Europas für uns intereſſieren,
und da ich ſelbſt nicht frei war und ein Gruſinier nicht in Frage
kam, ſo fuhr Haller.
Vielleicht war er auch der Fürſtin Tſcherſchwendice un=
bequem

Die Fürſtin hat ihre politiſche Tätigkeit ganz aufgegeben,
Lord Leslie. Es wird Ihnen bekannt ſein, daß meine Verlobung
mit ihr nahe bevorſteht.
Der Admiral ſah ihn ſcharf an.
Glauben Sie, Baron van Utrecht, daß das, was ich Ihnen
ſage, aus ehrlicher Geſiunung kommt und keine Beleidigung
Ihnen naheſtehender Perſonen bedeuten ſoll? Sind Sie der
Fürſtin ganz ſicher?
Van Utrecht biß die Lippen aufeinander.
Ja, ſtieß er rauh hervor.
Nee
Schon immer?
Der andere zögerte.
Seit der Revolution und der Proklamation von Tiflis
voll und ganz.
Was ſagt Ihr Sekretär dazu?
Ich bin mündig, Sir, und brauche meinen Sekretär nicht
für perſönliche Angelegenheiten. Haller iſt der Fürſtin nicht
grün, das weiß ich, aber beeinfluſſen kann mich das nicht.
Trotzdem iſt es merkwürdig, daß Ihre Verlobung prokla=
miert
werden ſoll, während er in Europa iſt.
Van Utrecht fuhr auf.
Herr Admiral!
Laſſen Sie einen alten Mann ruhig reden, Baron. Neh=
men
Sie davon an, was Sie wollen, das andere vergeſſen Sie,
wenn Sie glauben, es vergeſſen zu können. Denken Sie daran,
daß eine Verlobung noch keine Heirat iſt. Wo wird man das
Feſt feiern?

As
Auf Schloß Arweli.
Der Lord lachte leiſe.

Alſo fern vom Schuß. Behalten Sie eine Ehrenwache der
Lanciers bei ſich, hüten Sie ſich vor den einheimiſchen Truppen
und haben Sie ein Auge auf Baku. Baku iſt das Herz des
Landes. Good bye, Baron, das Auto wartet auf mich, morgen
früh gehe ich in See. Der Kapitän der Glasgow hat Weifung,
Ihren Wünſchen, ſoweit es ſeine Inſtruktion und das britiſche
Intereſſe geſtattet, entgegenzukommen. Die Planken engliſcher
Schiffe ſind ſchon oft in der Weltgeſchichte der letzte Zufluchts=
ort
mächtiger=Männer geweſen.
Mit leicht wiegendem Schritt verließ der Admiral den Saal.
Ein Offizier der Landestruppe trat ein.
Haben Exzellenz noch Befehle?
Van Utrechts Blick ruhte lange auf ihm. Der junge Mann
war ihm perſönlich attachiert, eine Art Adjutant. Er war ihm
in den Monaten ſeiner Statthalterſchaft nicht näher gekommen;
jetzt wollte ihm ſcheinen, als läge etwas Lauerndes im Blio
des anderen. War das vielleicht ein Aufpaſſer, der jeden ſeiner
Schritte zu bewachen hatte, der irgend einer unbekannten Stelle
jede ſeiner Bewegungen meldete?
Sind die Herren des Staatsrats noch im Parlament?
fragte er.
Nein, Exzellenz.
Ich fahre ins Palais Arweli und werde vorher , laſſen
Sie, nein, ich werde direkt fahren.
Der Offizier verbeugte ſich.
Sehr wohl, Exzellenz.
Nun mochte er weiter melden, daß der Statthalter zu ſeiner
Braut fahre, dort war er den Einheimiſchen wohl am ſicherſten,
Der engliſche Poſten vor dem Parlament grüßte, als der
Statthalter in ſeinen Wagen ſtieg, der Offizier begleitete ihn
bis an den Schlag.
Ich danke Ihnen, ich fahre allein, ſagte van Utrecht und
zog die Tür zu. Das Automobil fuhr geräuſchlos an. Als es
einige Straßen weit gefahren war, griff van Utrecht zu dem
Sprachrohr.
Fahren Sie bei dem Kommandanten, der engliſchen Be=
ſatzungstrurpe
vor, rief er hindurch.
Der Wagen bog ſofort ab. Van Utrecht lachte leiſe vor ſich
hin. So, meine Herren, dieſer Beſuch geſchieht inkognito,
wenigſtens nicht vorangemeldet.
(Fortſetzung folgt.)