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Nummer 84
Montag, den 26. März 1923
Einzelnummer 150.00 Mk.
Eine Klage des Völkerbundsgerichtshofes.
Berlin, 24. März. (Wolff.) Während des ruſſiſch=
pol=
niſchen Konfliktes im Jahre 1920 waren
Meinungsverſchieden=
heiten zwiſchen der Reichsregierung und der Botſchafterkonferenz
darüber entſtanden, ob die Alliierten berechtigt ſeien,
Handels=
ſchiffe mit Munitionsladungen für Polen durch den
Kielex Kanal zu leiten. Auf Grund ihrer
Neutralitäts=
erklärung hatte die Reichsregierung einigen ſolcher Dampfer die
Durchfahrt durch den Kanal verweigert. Die
Botſchaf=
terkonferenz wollte darin einen Verſtoß gegen die Beſtimmungen
des Vertrags von Verſailles fehen. Deutſcherſeits wurde
da=
mals den alliierten Regierungen anheimgegeben, die Streitfrage
einiger Zeit darauf zurückgekommen und haben nunmehr einen
der einſchlägigen Fälle, namlich die Anhaltung des von einer
franzöſiſchen Geſellſchaft gecharterten engliſchen Dampfers
„Wimbledon”, zum Gegenſtand einer Klage gegen
Deutſch=
land bei dem inzwiſchen im Haag errichteten
Internatio=
nalen Ge ichtshof des Völkerbundes gemacht. Die
Reichs=
regierung iſt nach den Beſtimmungen des Vertrages von
Ver=
ſailles verpflichtet, den Völkerbundsgerichtshof für dieſen Fall
als zuſtändig anzuerkennen. Nach dem Statut des Gerichtshofs
kann ſie für den Prozeß einen Ergänzungsrichter
deut=
ſcher Nationaliät ernennen, der mit den gleichen Rechten wie
die ordentlichen Richter des Gerichtshofes an der Verhandlung
und der Enſcheidung des Falles teilnimmt. Die Reichsregierung
hat von dieſem Rechte Gebrauch gemacht und den Profeſſor der
Rechte, Dr. Walther Schücking, zum Ergänzungsrichter
ernannt.
Es iſt hemerkenswert, daß dieſe Klage gegen Deutſchland
die erſte iſt, die vor dem Völkerbundsgerichtshof überhaupt zur
Entſcheidung gelangt. Bisher hat ſich noch keine der dem
Völker=
bund angehörenden Regierungen entſchließen können, einen
Kon=
flikt vor den Gerichtshof zu bringen. Auch haben es die dem
Völkerbund angehörenden Großmächte im Gegenſatz zu einigen
kleineren Staaten bis zur Stunde abgelehnt, die grundſätzliche
Verpflichtung zu üßernehmen, Konflikte mit anderen Staaten
der Entſcheidung
fölkerbundsgerichtshofes zu unterwerfen.
Vom Tage.
Reichskanzler Dr. Cuno iſt mit den Miniſtern Dr. Geßler und
Stingl, ſowie mit Staatsſekretäu Hamm aus Stuttgart wieder in
Ber=
lin eingetroffen.
In den nächſten Tagen wird die zwveite Ausführungsderorbnung
zum Preſſenotgeſetz veröffentlicht. Sie enthält die Erweiterung
des Kreiſes, der rückvergütungsberechtigten Verlage auf die offiziellen
Organe der gewerkſchaftlichen und wirtſchaftlichen Berufsvertretungen,
ſowie der kommunalen Spitzenverbände. Vorausſetzung für die
Rück=
vergütung iſt der Nachweis, daß dieſe Verlagsunternehmungen nicht
auch die religioſen Sonntagsblätter. Die Verordnung jegelt ferner
die Fälle, in denen Aberkennung der Vergütung erfolgen kann, ſowie
die Strafhöhe.
Der preußiſche Landtag hat ſich bis zum 17. April
ver=
tagt.
Gegen die in Augsburg erfolgte Verhaftung des württember
giſchen kommuniſtiſchen Abgeordneten Karl Müller wegen
Hoch=
verrats und Verbrechens gegen das Geſetz zum S hutze der Republik
hat der Präſident des württembergiſchen Landtags Verwahrung bei der
Staatsanwaltſchaft eingelegt, mit dem Hinweis darauf, daß der
würt=
tembergiſche Landtag ſich in einer Sitzungsperiode befindet.
Dr. Seipels Forderung, der erſt nach Aufnahme der normalen
Ar=
beit im öſterreichiſchen Poſt= und Telegraphenverkehr über die
An=
ſprüche der Angeſtellten verhandeln werde, wurde erfüllt. Die
Ange=
ſtellten haben geſtern die am 18. März begonnene paſſive Reſiſtenz
ab=
gebrochen. Am Montag werden die ſachlichen Verhandlungen der
Re=
gierung mit den Poſtangeſtellten beginnen.
Die Pariſer Akademie der moraliſchen und politiſchen Wiſſenſchaften
hat am Samstag nachmittag an Stelle des derſtorbenen Leipziger
Pſy=
chologen Wilhelm Wundt den Neu=Yorker Gelehrten Devey zum
Kor=
reſpondenten ihrer philoſophiſchen Fakultät gewählt. — Die Wahl
Wundts geht übrigens in das Jahr 1896 zurück. Sein Name iſt am
6. März 1915 von der Liſte der Korreſpondenten geſtrichen worden,
als die Franzoſen beſchloſſen, in dieſer Weiſe mit ſämtlichen deutſ hen
wiſſenſchaftlichen Korreſpondenten zu verfahren. Die Frage der Wahl
eines Nachfolgers iſt jedoch zunächſt offen geblieben, und erſt jetzt, nach
dem Tode Wundts, iſt ſie wieder als akut betrachtet worden.
Die veguläre Einberufung des Jahrgangs 1902 in Sowjetrußland
iſt auf unbeſtimmte Zeit verſchoben worden.
England und die Ruhrbeſetzung.
London, 24. März. Der Spezialkorreſpondent der Times
in Düſſeldorf dementiert die in den letzten Tagen allenthalben
veröffentlicte und von Paris aus offenbar mit gefülſchten
Bei=
ſpielen belegte Behauptung einer Aenderung der deutſchen
Hal=
tung und in Ruhrgebiet und einer Abnahme des Widerſtandes.
Im Gegenkeil verſteife ſich die Haltung der Arbeiter, jedoch
ge=
ſchehe aules, um ein Uebergehen des paſſiten in einen aktiven
Widerſtand zu verhindern. Die Feſtſtellung der Times iſt ſehr
wertvoll, weil die Pariſer Behauptung überall verbreitet und
geglaubt worden iſt.
Derſelbe Gewährsmann berichtet, daß die Deutſchen im
Be=
griff ſtehen, dem engliſchen Handel in der engliſchen Zone
wich=
tige Zugeſtändniſſe zu machen, indem die diesbezüglichen Emſer
Lizenzen ausnahmsweiſe von deutſcher Seite anerkannt würden.
Die Richtigkeit vorausgeſetzt, würde der engliſche Handel dadurch
von einer Sorge befreit, zugleich aber würde ein ernſter Grund
des engliſchen Unwillens gegen die Ruhrvorgänge beſeitigt oder
gemildert.
Bei der von Lloyd George am Mittwoch beabſichtigten
Aufrollung der Ruhrfrage im Parlament werden die
unabhängigen Liberalen mit den Anhängern Lloyd Georges
ge=
meinſam vorgehen. Daily Chronicle kündigt an, daß Lloyd
George eine konſtruktive engliſche Politik empfehlen
werde, und ſtellt feſt, daß eine jede derartige Politik folgende
Grundlinien haben müſſe:
Keine Erniedrigung Deutſchlands,
keine Abtrennung von Gebieten unter irgendwelchem
Vorſpand,
Zurückziehung aller Truppen aus den deutſchen Gebieten,
welche nur koſtſpielig ſeien, und Erſetzung durch eine andere
Garantie, ferner
eine beträchtliche Verminderung der Reparationsſchuld, die
durch eine Garantie und wöglicherweiſe durch Pfänder ebenſo
wie die Anleihe ſichergeſtellt werde, und
Entſcheid des Völkerbundes über die Frage der
Nichterfül=
lung und des Verfalls der Pfänder, ferner
die Schaffung einer entmilitariſierten Zone und
internatio=
nale Schutzverträge, ſchließlich
eine ötonomiſche Kooperation zwiſchen der Ruhr und
Lothringen.
Ein Franzoſe erſchoſſen?
Münſter, 26. März. Geſtern wurde in Werter ein
franzöſiſcher Korporal erſchoſſen. Einzelheiten
waren noch nicht zu erhalten.
Ein neues Todesopfer.
Hagen, 24. März. Geſtern nachmittag wurde ein
Deut=
ſcher auf der Straße Vollnarſtein-Vorhalle von einem
fran=
zöſiſchen Poſten erſchoſſen. Mehrere Perſonen, die
verſuch=
ten, ſich der Leiche zu nähern, wurden verhaftet und nach
Wetter transportiert. Heute morgen wurde der Ermordete in
die Leichenhalle nach Vorhalle gebracht. Die franzöſiſche
Be=
ſatzungsbehörde hat eine Unterſuchung eingeleitet. Der Name
des Ermordeten wird bis jetzt von den Franzoſen verſchwiegen.
Inzwiſchen iſt es den deutſchen Behörden gelungen, zu ermitteln,
daß der Ermordete der 27jährige Bracht aus Bochum iſt.
Neue Truppen nach der Ruhr.
Paris, 24. März. (Telunion.) Das 2. Jägerbataillon,
das in Condé ſtationiert iſt, hat Befehl bekommen, am
kommen=
den Montag in das Ruhrgebiet abzurücken.
Die Lage am I
and Rake.
Neuer Vorſtoß gegen die Eiſenbahner.
Frankfurt, 24. März. (Wolff.) Eine franzöſiſche
Verordnung, datiert aus Düſſeldorf, 20. März, wendet ſich
an die deutſchen Eiſenbahner mit der Aufforderung, ſich
un=
verzüglich wieder auf ihre Poſten zu begeben
und den früheren Obliegenheiten nachzukommen. Zugleich wird
bekannt gegeben, daß die Franzoſen neben dem Perſonenverkehr
auch den kommerziellen Verkehr im Intereſſe des
Wirtſchafts=
lebens wieder aufnehmen und zu dieſem Zwecke die geſamte
Ver=
waltung der Eiſenbahnen in den beſetzten Gebieten
überneh=
men, und
dieſer Regie und nicht mehr der Reichsregierung.
Zuwviderhand=
lungen würden ſtreng beſtraft. Den willigen Eiſenbahnern
wer=
den zu wiederholten Malen die vollen deutſchen Gehälter nebſt
Zulagen uſw. verſprochen. Außerdem wird die Verſicherung
ge=
geben, daß das Deutſche Reich keinerlei Maßregeln gegenüber
dieſen Bedienſteten verwirklichen dürfe, weder jetzt noch in
Zu=
kunft. Um die Verordnung den Beamten eher ſchmackhaft zu
machen, wird betont, daß die Wiederaufnahme des früheren
Bahnbetriebes nur zum Wohle der Bevölkerung in den beſetzten
Gebieten erfolgen ſoll. Unterzeichnet iſt die Verordnung: „Die
Regie.”
Anſcheinend auf Grund dieſer Bekanntmachung ſind in
Worms bereits 38 Dienſtwohnungsinhaber, die ſich
den Franzoſen nicht gefügig zeigten, innerhalb 24 Stunden aus
ihren Dienſtwohnungen ausgewieſen worden. Auch in
Karthaus ſind 14 Eiſenbahnbedienſtete, die unter den Franzofen
nicht arbeiten wollten, ausgewieſen worden. Ferner iſt der
Vor=
ſtand des Betriebsamtes Worms II, Regierungsbaurat
Jor=
dan, verhaftet und ausgewieſen worden. Seine Familie hat
ihm innerhalb vier Tagen zu folgen.
Aus Eſſen.
Bochum, 24. März. (Wolff.) In Eſſen wurde heute
nachmittag unter großer Beteiligung der von den Franzoſen
in der Nacht zum Sonntag erſchoſſene Buchdruckereibeſitzer
Kurt Schulte auf dem Ehrenfriedhof zur letzten Ruhe beſtattet.
Im Trauergefolge befanden ſich mehrere noch im Dienſt
geblie=
bene Beigeordnete der Stadt Eſſen ſowie Vertreter anderer
Be=
hörden. Die Beiſetzungsfeier verlief ſchlicht und einfach.
Ein Verbok des Reichsſinanzminiſters.
Berlin, 24. März. (Wolff.) Der
Reichsfinanz=
miniſter weiſt erneut darauf hin, daß die Zahlung von
Steuern, Zöllen und ſonſtigen Abgaben, ſowie von
Geld=
beträgen, die als Abgaben von anderen als nach den deutſchen
Vorſchriften zuſtändigen Stellen gefordert werden, an die
Be=
auftragten oder Einrichtungen einer fremden Macht mit
Ge=
fängnis oder Zuchthaus bis zu fünf Jahren, ferner mit
Geld=
ſtrafen und dem Verluſt der bürgerlichen Ehrenrechte
be=
ſtraft wird.
Ein Rückzieher.
Brüſſel, 24. März. (Wolff.) Die Agence Belge meldet:
Das proviſoriſche Regime, wonach Erzeugniſſe beim Eintritt nach
Deutſchland einem Zoll von 10 Prozent ad valorem unterliegen,
wird abgeſchafft und der deutſche Zolltarif vom 25.
März ab wieder in Kraft geſetzt.
Die Unklarheit, die in dieſer Verordnung liegt — es
gibt gar keinen deutſchen Zolltarif für die Ausfuhr von Waren
aus dem beſetzten Gebiet — erweckt den Eindruck, daß die
Fran=
zoſen und Belgier mit dieſer Verordnung lediglich die
Erfolg=
loſigkeit ihrer Zollei
u bemänteln ſuchen.
Das Jugendgerichtsgeſetz
von 27. Februar 1923.
Von
Fritz Humpoletz, Referendar.
Das am 27. Februar 1923 verkündete Jugendgerichtsgeſetz
ſtellt eine durchgreifende Neuerung auf dem Gebiete der
Jugend=
ſtrafrechtspflege und damit einen entſcheidenden Eingriff in das
geſamte, ſo überaus ſchwierige Gebiet der Jugendpflege in
weiterem Sinne dar, iſt ſomit für diejenigen, die Träger der
Zukunft unſeres Volkes ſein ſollen, und damit für unſer Volk
überhaupt von der allergrößten Bedeutung.
Die in dieſem Geſetz verwirklichten Gedanken ſtellen auch für
unſere Geſetzgebung größtenteils etwas durchaus Neues dar.
Vor allem wird mit dem Gedanken, mit dem das „
Strafgeſetz=
buch für das Deutſche Reich” noch größtenteils arbeitet, daß die
Strafe eine Vergeltung für das begangene Unrecht
dar=
ſtellt, die der Täter zur Sühne deſſen erleiden muß, für
Ju=
gendliche wenigſtens gebrochen. § 5 des
Jugendgerichts=
geſetzes (J. G.) ſagt: „Hat ein Jugendlicher eine mit Strafe
be=
drohte Handlung begangen, ſo hat das Gericht zu prüfen, ob
Erziehungsmaßregeln erforderlich ſind. § 6: „Hält das Gericht
Erziehungsmaßregeln für ausreichend, ſo iſt von Strafe
ab=
zuſehen.”
Alſo nicht mehr Vergeltung, ſondern Erziehung, iſt der
klar ausgeſprochene Zweck der Strafen für Jugendliche. Zuerſt
kommt die Erziehung ſolcher Jugendlicher, die dem Verbrechen
zuneigen. Erſt wenn dieſe dem Gericht für nicht ausreichend
er=
ſcheint, ſoll die Strafe eintreten. Dieſer ſchon oft geforderte
Grundſatz ſtellt aber für die deutſche Strafrechtspflege etwas
döllig Neues dar. Es wird hier zum erſtenmal der Gedanke der
ſogen. v. Liſztſchen Schule, daß die Strafe nur zür Beſſerung
des an ſich unfrei handelnden Täters dienen ſoll, im Geſetz
aus=
geſprochen.
die Freiheit des Jugendlichen immer mehr ſteigern, auf. Dieſe
ſind: 1. Verwarnung, 2. Ueberweiſung in die Zucht der
Er=
ziehungsberechtigten oder der Schule, 3. Auferlegung beſonderer
Verpflichtungen, 4. Unterbringung, 5. Schuraufſicht, 6.
Fürſorge=
erziehung als eine ſchon an Strafe grenzende
Erziehungsmaß=
regel. Außerdem kann die Reichsregierung auch noch andere
Er=
ziehungsmaßregeln für zuläſſig erklären.
Man ſieht, zuerſt ſoll alles verſucht werden, um mit
Er=
ziehungsmaßregeln auszukommen. Erſt wenn der jugendliche
Verbrecher ſo terdorben iſt, daß auch dieſe nichts nützen, ſoll
Strafe eintreten. Auch § 10 dient dieſem Gedanken, in dem es
dem Gericht überlaſſen bleibt, ob es die verhängte Strafe auch
vollſtrecken laſſen oder dem Verurteilten eine Bewährungsfrift,
hier „Probezeit” genannt, nämlich eine Friſt von zwei bis fünf
Jahren, geben will, innerhalb deren er ſich durch gute, makelloſe
Führung „bewähren” ſoll. Macht er ſich aber innerhalb dieſer
Friſt doch ſtrafbai, ſo muß er neben der neu zu verhängenden
Strafe auch noch die frühere bedingt erlaſſene verbüßen. Auch
können dem Verurteilten gemäß § 12 „beſondere Pflichten” für
die Dauer der Probezeit auferlegt, ja er kann in „Schutzaufſicht”
genomien werden.
Gemäf, 8 15 winkt aber dem ſo früh Verurteilten, wenn er
ſeſt bleibt, der Straferlaß, wenner die Probezeit überſtanden und
ſich „bewährt” hat. Er gilt dann nicht als vorbeſtraft.
Ebenſo ſoll auch der Strafvollzug von dem Gedanken
der Erziehung gemäß § 16 getragen ſein: „Der Strafvollzug gegen
einen Jugendlichen iſt ſo zu bewirken, daß ſeine Erziehung
ge=
fördert werden ſoll.” Auch hierin iſt wohl von den
Gefängnis=
verwaltungen ſchon etivas vorgearbeitet worden, wenn auch noch
ſehr viel zu tun übrig bleibt, um den Geiſt des neuen Geſetzes
in die Wirklichkeit umzuſetzen.
Das Geſetz bringt auch eine größere Rückſichtnahme auf
den unausgebildeteren Geiſt und den ſchwächeren
Willen des Jugendlichen mit. So beſtinmnt § 3, daß ein
Jugendlicher, der eine ſtrafbare Handlung begeht, nicht ſtrafbar
iſt, wenn er zur Zeit der Tat nach ſeiner geiſtigen und ſittlichen
Entwicklung unfähig war, das Ungeſetzliche der Tat einzuſehen
oder ſeinen Willen dieſer Einſicht gemäß zu
be=
ſtimmen. Neu iſt hieran insbeſondere, daß nicht allein die
mangelnde Einſicht in die Strafbarkeit der Handlung, wie früher,
den Jugendlichen zu einem Freiſpruch verhilft, ſondern daß auch
ſeine geiſtige oder ſittliche Entwicklung in Betracht gezogen wird
und auch ein Freiſpruch zu erfolgen hat, wenn der Jugendliche
zwar das Ungeſetzliche ſeiner Tat erkennt, aber keine
Hemmun=
gen ſeinen Trieben entgegenzuſetzen vermag, die ihm als
Er=
wachſenen dorausſichtlich zu Gebote ſtünden. Dieſe letztere
Be=
ſtimmung geht alſo in klarſter Weiſe davon aus, daß der
Jugend=
liche nicht frei handelt, ſondern ſein Handeln einerſeits von
außen beſtimmt, determiniert iſt, ihm aber andererſeits die
Mög=
lichkeit, ſeinen Willen frei zu geſtalten, gegeben ſein kann. Dieſe
letztere Klauſel wird als ein Kompromiß mit dem
Determinis=
mus in der Praxis auf außerordentliche Schwierigkeiten bei der
Durchführung ſtoßen. Denn wie ſoll der Richter klar mit Ja
oder Nein entſcheiden können, ob der Uebeltäter ſeinen Willen
dieſer Einſicht gemäß geſtalten konnte?
Dieſe Beſtimmungen gelten wohlgemerkt nur für „
Jugend=
liche”, was dieſem Geſetz zufolge alle diejenigen ſind, die
vier=
zehn Jahre vollendet, aber noch nicht das achtzehnte Jahr
erreicht haben. Alle unter vierzehn Jahre alten jungen Leute
ſind ſtraffrei (§ 2). Dieſe Beſtimmung, die das ſeitherige
ſtraf=
freie Alter von zwvölf auf vierzehn Jahre erweitert, iſt ſchon jetzt
in Kraft, das übrige Geſetz erſt mit dem 1. Juli 1923.
Auch iſt der Strafrahmen für die ſchwerſten Verbrechen,
die mit Tod, lebenslänglichem Zuchthaus oder Feſtungshaft
ge=
wöhnlich bedroht ſind, auf Gefäugnis bezw. Feſtung von 1—10
Jahren, früher 3—15 Jahren, herabgedrückt. Es kann jetzt in
beſonders leichten Fällen bei Vergehen oder Uebertretungen ganz
von Strafe abgeſehen werden, während früher in den gleichen
Fällen ein „Verweis” erteilt wurde, den es als Strafe nicht
mehr gibt, nur noch als Erziehungsmaßregel. Der
Hauptunter=
ſchied iſt dabei, daß auch nach Erteilung eines Verweiſes der
Betreffende als vorbeſtraft galt und ſo wegen Rückfalls bei
mehr=
maliger Begehung maucher Straftaten ſtrenger beſtraft wurde,
der Fall iſt.
Seite 4.
Daruſtädter Legbia!t, Montag, den 26. März 1923.
Nummer 84.
Landwirtſchaft, Sartenbau, Kleintierzucht und Siedlungsweſen
Die künſiiichen Düngemittel, ihr Ankauf
und ihre Verwendung.
Von Oberſekretär Kadel=Darmſtadt.
III.
Bebor ich die gebräuchlichſten Stichſtoffdünger hier anführe, ſei die
Herſtellung der neuen Stickſtoffdüngemittel, wie ſie nach dem Verfahren
der Badiſchen Anilin= und Sodafabrik (Haber=Boſch=Verfahren) erfolgt,
furz ernälnt. Ich will mich dabei an die von der B.AS.F. der
Oeffentlickkeit zugänglich gemachten Mitteilungen halten.
Das Haber=Boſch=Verfahren gehört zur Klaſſe derjenigen
Verfah=
ren, die den Stickſtoff der Luft binden, und kennzeichnet ſich gegenüber
den anderen Verfahren der Stickſtoffgewinnung dadurch, daß es auf
die unmittelbare Gewinnung von Aumoniak aus den Elementen
aus=
geht. Ammonigk beſteht bekanntlich aus Stickſtoff und Waſſerſtoff und
entſteht bei der Berbindung von 3 Naumteilen Wafſerſtoff mit 1
Raum=
teil Stickſtoff. Mau benötigt alſo eſtens die Gaſe Stichſtoff und
Waſſer=
ſtoff und zweitens ſind — das iſt der ſchwierigere Teil der Aufgabe —
geeignete Hilfsmittel erforderlich, um die zwei Gaſe, von welchen einſt
Liebig ſagte, daß man daraus Ammoniat nicht unmittelbar durch
Syntheſe herſtellen könne, zur Vereinigung zu bringen.
Was die Beſchaffung der Ausgangsgaſe betrifft, ſo können wir den
Stickſtoff bekanntlich der Luff in beliebigen Mengen enitnehmen. Füir
ſeine Trennung vom Sauerſtoff ſtehen verſchiedene Methoden zur
Ver=
fügung, unter denen vor allen, auf die Verbvennung von Kohle oder
anderen brennbaren Sühſtanzen mit Luft hingewieſen ſei. Bei dieſem
Verfahren verbindet ſich z. B. der Kohlenſtoff mit dem Sauerſtoff zu
Kohlenſäure und der Stickſtoff bleiht unverändert: durch Entfernung
der Kohlenſäure mittels geeigneter Abſorptiousmittel kann man dann
den Stickſtoff iſolieren.
Nicht ganz ſo einfach geſtaltet ſich die Geuinnung von Waſſerſtoff
Als Quelle des letzieren Dient ausſchließlich das Waſſer, dus bekanntlich
eine Verbindung von Waſſerſroff und Sauerſtoff iſt, aber eine ſo feſte
Verbindung, daß es ſehr kräftiger Mittel bedarf, um den Waſſerſtoff
herauszuholen. Die Methoden im einzelnen zu beſchreiben, die zur
Gewinnung von Waſſerſtoff und Stickſtoif dienen, würde zu weit führen.
und iſt auch im Nahmen dieſer kurzen Abhadluug uicht, möglich. Es
ſei nur hetont, daß die zur Herſtellung von Stickſtoff und Waſſerſtoff
erforderlichen Anlagen von ſo gewaltigem Umfange ſein müſſen, daß
aur ein Unternehmen von der Bedeutzuig und Ausdehnung der
Badi=
ſchen Anilin= und Sodafabrik ſich an die traktiſche Löſung der Aufgabe
heranwagen konnte.
Wie iſt nun die Vereiuigung von Stickſtoff und Waſſerſtoff möglich?
Man weiß ſeit langem, daß es, um träge, widerſpenſtige Stoffe zur
Vereinigung zu zwingen, ein vorzügliches Mittel gibt, darin beſteheno,
daß man beſtimmte, an ſich indifferente Stoffe, hinzubringt, die auf
noch ungeklärte Weiſe die Vereinigung anvegen oder „katalyſieren”
Die katglytiſche Vereinigung von Knallgas (Waſſerſtoff= Sauerſtoff=
Gemiſch) durch Platinſchtuamm, der dabei underändert bleibt, oder die
Zündung von Leuchtgas durch Zundpillen, ſind bekannte Beiſpiele
da=
für. Seit ungefähr 100 Jahren haben ſich die verſchiedenſten Forſcher
bemüht, in ähnlicher Weiſe mittelſt Katalyſatoren auch Waſſerſtoff und
Stickſtoff zur Verbindung zu bringen, jedoch immer vergeblich, indem
beſtenfalls nur Spuren von Ammoniak entſtanden. Erſt neuerdings iſt
erkannt worden, daß es zur Herſtellung von Amnoniak aus den
Ele=
menten zweckmäßig iſt, die Beſtandteile Wafferſtoff und Stickſtoff unter
hohem Drück und in Gegenwart von Katalyſatoren zuſammenzubringen,
mobei außerdem erhöhte Temzeratur Bedingung iſt. Es iſt das
Ver=
dierſt von Geheimrat Haber, dieſes Verfahren der Verbindung von
Waſſerſtoff und Stickſtoff unter hoßen Gasdrucken, z. B. 100—200
Atmo=
ſphären, im kleinen ſo weit ausgearbeitet zu haben, daß die B.A.S.F.
im Jahre 1909 die Verſuchze aufnehmen konnte zu dem Zweck, hieraus
ein induſtrielles Verfahren zu machen. Wie gut ihr das durch Prof.
Dr. Boſch und ſeine Mitarbeiter gelungen iſt, zeigt die Tatſache, daß
bereils 1911 eine kleine Fabrikation eröffnet wurde und daß ſeit 1913
in Oppau bei Ludwigshefon und ſeit 1917 in den Leunawerken
bei Merſeburg Anlagen beſtehen, die Ammonjak auf dieſe Weiſe in
allergrößten Maßſtab gewinnen.
Von Stickſtoffdüngern ſtehen uns zur Zeit in der
Haupt=
ſache die folgenden zur Verfügung:
4. Schwefelſaures Ammoniak. Dieſes wird auf
zweier=
lei Arten gilvonnen: 1. aus Steinkohlen als Nebenprodukt der Loks=
und Leueltaasſabrikation. Bei der Verkokung der Steinkohlen bildet
ſich als Kondenſationspuodukt das Ammonſakwaſſer. Dieſes wird
er=
hitzt, zuobei das Ammoniak frei wird, das als Amnoniakaas in Behälter
geführt wird, die verdünnte Scwefelſäure enthalten. Das
Ammoniak=
gas gelangt auf dieſe Weiſe in innige Berührung mit der
Schwefel=
ſäure, die ſich mit dom Ammonjak zu ſchwefelſaurem Ammoniak
der=
einigt; — 2. auf ſonthetiſchem Weve durch das oben beſchriebene
Ver=
fahren der B. A.S. JF. Das ſynthetiſche Ammoniak iſt ſehr rein und hat
im übrigen die gleiche Zuſammenſetzung, wie das in den Kokereien
genonnene.
B. Kalkſtickſtoff. Dieſes anfänglich auch „Luftſtickſtoff”,
ge=
mannta Produkt wird aus gtmofphäriſcher Luft nach dem Verfohren
Frank=Caxo hergeſtellt. Die erforderlichen Nohſtoffe ſind
gebrann=
ter Kalt, Koks oder Magekohle und Luft. Ein Gemenge der beiden
erſtgengnnten Stoffe wird in elektriſch gebeizten Oefen hei euta 30000
geſchmolzen. Es tritt eine ch=miſche Vereinigung heider Stoffe ein.
und es entſteht unter Bildung von Kohlenoxyd, welches entweicht, eine
Verbindung, die unter dem Namen Kalzumkarbid, dem Rohſtoff der
Azetylengaserzeugung bekannt iſt. Das gewongene Karbid wird
zer=
kleinert, fein gemahlen, in ſogenannten Azotierungsöfen auf 700
bis 1000” erhitzt und von Sauerſtoff befreite atmoſphäriſche Luft (alſo
nur Luftſtickſtofl darübeu geleitet, wohei das Kalziumkarbid dem
Luft=
ſtichſtoff abſorbiert. Nach dem Erkalten wird das Produkt gemahlen,
und man hat als grauſchwarzes Pulver den gebrauchsfertigen
Kalk=
ſtickſtoff.
C Chilefalpeter. Es iſt oben ſchon geſagt worden, daß der
Ghileſalveter vor dem Kriege das am meiſten anggwandte
Stickſtoff=
düngemittel darſtellte. Er ſtammt, wie ſchon ſein Name ſagt, aus Chile,
und zwar fidet er ſich auf deruaniſchem Otebiet am Fuße der Anden,
I
wo er als eine mächtige, mit Kochſalz vermiſchte Schicht avoße Strecken
Landes bedeckt. Er wird dort in Raffinerien durch Auflöſen und
Um=
kriſtalliſieren von den Verunreinigungen und dem größten Teil ſeines
Kochſalzgehaltes befreit und kowmt ſchließlich nach Kriſtalliſation als
roher Chileſalveter ſalpeterſauues Natron) in den Handel. Vor ſeiner
Verwendung iſt er dann noch zu mahlen, damit die notwendige feine
Verteilung auf dem Ackerboden möglich iſt.
D. Natronſalpeter. Dieſes dem Chileſalpeter völlig
gleich=
wertige, auch „deutſcher Salpeter” genannte Prohukt, iſt gleichfalls eit
Erzeugnis der BA.S. F. Die Tatſache, daß es noch rechtzeitig gelungen
iſt. Deutſchland bezüglich der Salpeterherſtelluno vom Auslaude
unab=
hängig zu machen, iſt von weittragender Bedeutung, denn es war
da=
durch nicht nur möglich, während des Krieges Muntion in beliebigen
Mengen im Inland zu erzeugen, ſondern auch unſere Landwirtſchaft
iſt vom ausländiſchen Stickſtoff (Chileſalveter) unabhängig zeworden.
Bei der Herſtellung des deutſchen Salzeters durch die B.A.S.F.
wird ein Verfahren benutzt, das auf der ſchon frühen bekannten
Ver=
brennung von Aumoniak mit Luft beruht. Auch dieſer Prozeß rerläuft
glatt nur bei Gegenwart von Kontaktmaſſen oder Latalyſatoren als
velkes früher faſt ausſchließlich das Platiu diente. De= V. A.S F. iſt
es gelungen, dieſen teuren und zur Zeit auch Feltenen Stoff durch
andere, leichter zugängliche Katalyſatoren zu erſetzen, und zwar mit dem
Erfolg, daß bereits während der erſten Kriegsmonare mehrere
Salpeter=
fabriken errichtet werden konnten. Die Einzelheiten des Verfahrens
anzugeben, muß infolge Naummangels hier unterbleiben.
Der deutſche Salzeter iſt weſentlich reiner als der Chilefalveter,
auch weſentlich einfacher aufzubenahren, da er nicht klumpin wird;
außerdem ſofort gebrauch sfertig, alſd nicht erſt wie der Chileſgipeter in
Salpetermühlen zerkleinert bzwv. gemahlen werden muß; alles
Eigen=
ſchaften, die es ermöglichen werden, das Verſchwinden des
Chileſal=
peters leichter vergeſſen zu machen. Wenn in neuerer Zeit infolge
Kohlenmangels unſeren Stickſtoffwverken die beliebige Erzeugung nicht
immer möglich wau und aus dieſem Grunde eine beſtimmte Menge
Chileſalpeter zur Einfuhr freigegeben werden mußte, ſo wollen wvir
davon mit Bedauern, aber auch in der Hoffuung Kenutnis nehmen,
daß unſerer jungen leiſtungsfähigen Stickſtoffinduſtrie die reſtloſe
Aus=
nutzung ihrer Anlagen bald wieder möglich ſein wird. (Fortſ, folgt.)
Ka
Obſt= und Gartenbau
Ie
— Aprilarbeit im Obſt= und Gemüſegarten.
Der April iſt für den Gartenfreund in erſter Linie der
Saat=
monat, denn außer Bohnen, Gurken und Kürbis können in dem
Monat alle Gemüſe und Küchenkräuter ins freie Land geſät
werden, ſobald das Wetter und der Bodenzuſtand es erlauben.
Von den Arten, die ſchon im März ausgeſät werden konnten,
nehmen wir jetzt zweite Ausſaaten vor. Als wichtigſte
Aus=
ſaaten, die in dieſen Wochen zu erledigen ſind, nennen wir
ſpä=
ten Weißkohl und Rotkohl, ſt iten Wirſing und Kohlrabi,
Kopf=
falat, Blumenkohl, Roſenkoyl, Spinat, Mohrrüben, Karotten,
Erbſen, Bohnenkraut, Dill, Zichorienwurzel, Sommerrettich und
Kohlrüben. Von Mitte April ſind auch die Frühlartoffeln zu
legen. Die im Frühbeet gezogenen Pflänzchen von frühem
Blumenkohl, Wirſing, Weiß= und Rotkohl, Kohlrabi, Roſenkohl,
Schnitt= und Kopfſalat pflanzen wir bei günſtigem Wetter ins
freie Beet. Auch die Steckzwiebeln und Schalotten werden jetzt
ausgepflanzt. Schnittlauch kann geteilt werden. Mit Gießen
und Jauchen halten wir im April noch zurück. Saatbeete dürfen
natürlich nie austrocknen. Beim Gießen iſt beſondere Vorſicht
geboten, auch wenn die Samen ſchon aufgegangen ſind. Die
zarten Keimlinge werden gar zu leicht herausgeſpült. Zu dicht
aufgegangene Saaten ſind beizeiten auszulichten. Die erſten
Erbſen werfen bald Ranken und müſſen geſtengelt werden. Deu
Rhabarber, der uns ſchon im Laufe dieſes Monats die erſten
Ernten bringen, verhindern wir durch Ausbrechen der Knoſpen
am Blühen; durch Jauchegüſſe führen wir ihm gelegentlich neue
Nährſtoffe zu.
Im Obſtgarten können Bäume, die noch nicht ausgetrieben
haben, zunächſt noch gepflanzt werden. Bei ſolchen ſpäten
Pflan=
zungen iſt aber, namentlich wenn das Wetter trocken iſt, reichlich
Begießen und, wenn möglich, das Einbinden der Stämme oder
das Anſtreichen mit Lehm und das Belegen der Baumſcheiben
mit Dung ratſam. Man gieße lieber alle zwei oder drei Tage
gründlich, als täglich oberflächlich. Gründliche Bewäſſerung iſt
auch bei den in Blüte ſtehenden Obſtbäumen notwendig,
nament=
lich bei Spalierbäumen, die gewöhnlich nur von einer Seite
auf natürlichem Wege Waſſer erhalten. Bis zur Blüte düngen
wir alle Obftbäume mit Jauche und phosphorhaltigen
Dünge=
mitteln. Umderedelungen durch Spalt= und Rindenpfropfungen
nerden jetzt vorgenommen. Geſchnitten wird höchſtens noch an
Pfirſichen; ſie vertragen es bis kurz vor der Blüte. Für die
Obſtſpaliere hält man leichtes Deckmaterial bereit, um es ſofort
anbringen zu können, wenn Nachtfröſte drohen. Gegen
Schäd=
linge aller Art iſt tatkräſtig vorzugehen. Hauptſächlich ſind es
die Raupen des Ringelſpinners und des Stachelbeerſpanners,
die jetzt bekämpft werden müſſen. Auch zur Bekämpfung der
Blutlaus iſt die Zeit noch günſtig, weil die von ihr beſetzten
Flecke an den laubloſen Bäumen leicht aufzufinden ſind. Man
ſuche den Schädling auch am Wurzelhalſe der Buſch= und
Form=
bäume auf, wo er auch gern überwintert. Während der Blüte
pflücken wir die ſich braun färbenden Blüten, ſoweit wir ſie an
niedrigen Formen erreichen können, ab und vernichten ſie, da
ſie die Made des gefährlichen Apfelblütenſtechers bergen.
Das ewige Feuer.
Roman von H. Richter.
Amerikaniſches Copyright 1922 by Carl Duncker, Berlin.
(Nachdruc verboten!.
34)
Er ſieht es ganz deutlich jetzt, ſeine ganze Aufmerkſamkeit iſt
auf den da unten gerichtet. Da ſchnellt es ſich hinter ihm in die
Höhe, ein kalter Stahl dringt ihm in den Rücken, er wirft die
Arme in die Höhe. Heilige Mutter von Kaſan, will er ſchreien,
aber der Ton vergeht, ein heiſeres Gurgeln, und polternd ſtürzt
der Leib den Abhang hinunter. Eine Mutter hat ihren Sohn
verloren.
Im Wachthaus ann Paß ſitzen Letten und Chineſen, wilde
Geſichter, wetterharte Kerls. Sie ſpielen und trinken. Nur der
rote Soldat kann leben im roten Rußland. Sie wiſſen, was ſie
an den Chineſen haben, die Herren in Moskau. Wo es
un=
ſicher iſt, ſtehen ſie als die treueſten Schwadronen. Die Peſt über
das Volk, wenn es aufſäſſig iſt. Die Peſt — die Geſichter werden
fahl — wer ſprach von Peſt?. Sie reitet herum im Lande auf
ſchwarzen: Roß, mit langem, wehendem Mankel. Sahſt du ſie
nicht, als du die Wache hatteſt geſtern nacht, draußen an der
Felswand? Was ritt da vorbei an dir, daß dich der Mantel des
Reitenden ſtreifte? Was grinſte dich an mit zahnloſem Munde
und bohrte nach dir mit leeren Augenhöhlen? Warum haſt du
nicht geſchoſſen?. Lachte es nicht laut und höhniſch, als du das
Gewehr an die Backe reißen wollteſt, und griff nicht eine eiskalte
Hand nach dir, fühlteſt du ſie nicht an deinem Herzen?
Da, horch! Pferdegetrappel! Wer reitet denn heute durch
die Nacht? —
Ein Klirren an den Fenſtern, Gewehrläufe blinken im
Lam=
penlicht. Ein einziger Schrei der Angſt, der Wut, kurze,
peit=
ſchende Schläge hallen durch die Nacht. Und alles iſt ſtill.
Müh=
ſam erhebt ſich ein todwunder Chineſe vom Boden, kein Leben
iſt mehr um ihn.
Draußen ſchwingen ſie ſich auf die Pferde und jagen davon.
In Tiflis liegen die Schwadronen zum Schutze der
Regie=
rung. Die Kommiſſare fühlen ſich nicht mehr ſicher in ihren
Wohnungen. Sie zogen in die Kaſernen und verlangten
direk=
ten Schutz von der Truppe. Widerwillig nehmen die
Komman=
deure ſie auf. „Feiges Geſindel.”
Bleichen Antlitzes ſitzen ſie in der Stube.
„Sind die Truppen auch treut und zuverläſig?‟ Die Kon=
D s Tredet ihr Geſindel von Treues. Aber ſie
verſprechen ihnen Schutz, den Herren, die ſtolz im
Regierungs=
palaſt ſaßen, als alles ſicher war, die den Offizieren das Leben
zur Hölle machten, die ſie beargwöhnten und beſpitzelten.
Patrouillen jagen durch die Straßen, auf Wunſch der
Kom=
miſſare ſind ſie verdoppelt und bis an die Zähne bewaffnet. An
allen Brücken ſtehen ſie, an allen Plätzen. Maſchinengewehre
ſtehen an den Feuſtern der Kaſerne, lauern hinter dem
feſtge=
ſchloſſenen Tor. Die Gurte ſind eingeſetzt, die Hand liegt am
Drücker. Geſchütze.
Die Straßen ſind leer, kein Menſch regt ſich. Die Stille iſt
unheimlich. Wann wird der Schlag erfolgen? Er kommt, er
muß kommen, man hat auch ſeine Agenten und kennt den
Geg=
ner, aber man wagt nicht zuzugreifen.
Die Kommiſſare ſitzen mit bleichen Geſichtern. Man muß
ſie ergreifen, die Rädelsführer, man muß zupacken, ehe noch der
Schlag gefallen iſt. Man muß Patronillen ſchicken.
Die Kommandeure zucken die Achſeln.
„Wohin? Die Stadt auf dem Awlabar iſt ein Gewirr von
geheimen Gängen, es iſt erfolglos.”
Der Kommiſſar ſchlägt auf den Tiſch.
Dann ſoll man die Stadt umſtellen und von allen Seiten
Feuer in die Häuſer legen. Er war Labei, oben an der Wolga,
als ſie fünfzig Verdächtige zur Unterſuchung in die Schule
führ=
ten und die Tür hinter ihnen abſchloſſen. Fünfzig Menſchen,
Männer und Frauen.
Man wußte, daß ſie die Sowjets haßten, aber wan konnte
ihnen nichts nachweiſen. — Glühend haßten, — glühend — —
Reiſig ſchichteten ſie um das Haus, trockenes Stroh, und
beſprengten die Wände mit Oel.
Fackeln!
Von allen Seiten ſchlugen die Flamnen um den glühenden
Haß. Sie ſchrien zum Hinmel, brüllten wie wilde Tiere, rangen
miteinander, fluchten, beteten. Und von allen Seiten jagten die
Kugeln in das brennende Haus.
Man müßte die ganze Stadt vernichten, eine einzige Fackel
der ganze Awlabar — und Maſchinengewehre — Geſchütze —
Die Kommandeure lachten.
Mit den wenigen Schwadronen?
So mußte Hilfe her vom Norden. Das Land ſchwelte, jeden
Tag, jede Stunde konnte die Flamme emporſchlagen. Reitende
Boten nach Norden, am Kasbek vorbei, nach Pladikawkas!
Kolgken!
— Fruchtbarkeit durch Fremdbefruchtung bei
Birnen. In Amerika hat man beobachtet, daß Birnbäume
häufig unfruchtbar bleiben, wenn ſie auf den Blütenſtaub ihrer
eigenen Sorte angewieſen ſind. Ferner hat ſich gezeigt, daß die
in Nordamerika hauptſächlich angebauten Birnenſorten in gutem
Boden und bei guter Pflege und wenn während der Blüte
ruhi=
ges, heiteres Wetter herrſchte, einer Selbſtbefruchtung fähig ſind
Sie bedürſen aber des Blütenſtaubes einer fremden Sorte, wenn
ſie weniger kräſtig ſind und die Blüte unter trübem und rauhem
Wetter litt. Es liegen hierüber zwar noch keine Zeugniſſe von
gleicher Deutlichkeit aus den deutſchen Obſtbaugebieten vor, jedoch
dürfte es ſich bei dem vielfach ungünſtigen Klima, in dem wir
Obſtbau treiben, von vornherein empfehlen, Anpflanzungen aus
einer Sorte zu vermeiden. Die Miſchung von Birnbäumen mit
Apfel= oder Kirſchbäumen hat in dieſem Zuſammenhang
natür=
lich keinen Sinn, da ſich nur Blüten der gleichen botaniſchen Art
gegenſeitig befruchten können. Worauf es ankommt, iſt dies, daß
nie zwei gleiche Virnenſorten nebeneinander zu ſtehen kommen,
ſondern jeder Stamm von Stämmen anderer Sorten umgeben
ſei, deren Blüten die ſeinen befruchten können.
Vieh= und Geflügelzucht
Geflügel= und Kleintierpflege im Mona=
April. Die Hühner ſtehen jetzt in der Hauptlegezei,
Fleißig liegen ſie der Brut ob. Sie müſſen dabei möglichſt
gu=
gepflegt und gefüttert werden, beſonders auch, ſoweit ſie keinen
freien Auslauf haben, reichlich mit geſchnittenem Gras,
Löwen=
zahn, Vogelmiere und anderem Grünzeug, mit Kalk und
zer=
ſtoßenen Eierſchalen verſehen werden. Gelegenheit zu einem
Staubbad iſt unerläßlich. Es empfiehlt ſich, zu gleicher Zeit
mehrere Glucken, mindeſtens zwei, zu ſetzen, damit man, wenn
man unbefruchtete Eier ausſcheiden muß, die übrigen verteilen
und die frei gewordene Brüterin auf einen neuen Satz Cier
bringen kann. Kücken ſind vorſichtig ins Freie zu bringen,
zu=
nächſt an ſchönen Tagen nur wenige Stunden. Gegen Wind
und Wetter, gegen ſtechende Sonne ſind die Tierchen zu ſchützen.
Beſonders vorteilhaft iſt es, wenn man ihnen einen Grasplatz
anweiſen kann, ſonſt gibt man ihnen wenigſtens ausgeſtochenen
Naſen in ihren Laufplatz und ſorgt außerdem noch regelmäßig
für Grünfutter, namentlich für gehackte junge Schafgarbe. Aiſch
an Fleiſchfutter, phosphorſaurem Kalk darf es nicht fehlen.
Die Puten legen am liebſten in verſteckte Neſter. Man
muß beim Wegnehmen der Eier ſich hüten, von den Tieren
ge=
ſehen zu werden, da ſie ſonſt das Neſt meiden. — Die Gänſe
beenden jetzt das Brutgeſchäft. Die ausgeſchlüpften Gänſekücken
erhalten feingehacktes hartes. Ei und klein gekrümeltes altes
Brot mit gehackten Brenneſſelblättern vermiſcht. Iſt das Wetier
warm, ſo können ſie ſofort ins Freie auf die Weide gebracht
werden. Vor Kälte und Näſſe ſind ſie zu ſchützen. — Die Enten
fangen jetzt auch an zu brüten, ſind aber oft unzuverläſſig dabei,
ſo daß man die Enteneier gern von den Hühnern ausbrüten
läßt.
Die Ziegen, die gelammt haben, ſind in der erſten Zeit
danach beſonders ſorgfältig zu pflegen und zu füttern. Den
jungen Lämmern gebe man möglichſt große Bewegungsfreiheit
in geräumigen Buchten, in denen ſie loſe herumlaufen können,
oder häufiger Gelegenheit, ſich im Freien zu tummeli. — Der
Kaninchenzüchter läßt alle paarungsfähigen Tiere decken.
Jung=
tiere werden nach ſechs bis acht Wochen von den Häſinnen
ab=
geſetzt. Man füttere vorſichtig Löwenzahn, Quecken und anderes
Grünfutter, aber ſtets noch vorher Heu, um das Ueberfreſſen zu
verhüten. Beim Uebergang zur Grünfütterung iſt bei Ziegen
und Kaninchen überhaupt die größte Vorſicht geboten. Man
gewöhne die Tiere allmählich durch anfangs ſehr kleine Gaben
an den Futterwechſel.
O2
Bienenzucht
Hien dilte imh anſain eunen ene.
So bald die Sonne blinkt, eilen die Bienen heraus, um Pollen
und Waſſer herbeizuſchaffen. Stöcke, die an ſchönen Flugtagen
nicht höſeln, ſind als weiſellos anzuſehen; auch bei denen, deren
Inſaſſen ſich ſaul zeigen und nur kleine Pollenklümpchen
ein=
ſammeln, während die Bienen anderer Stöcke große eintragen,
ſtimmt etwas nicht. Sie ſind bei warmem Wetter genau zu
unterſuchen. Fehlt es jetzt an Vorräten im Bienenſtock, ſo ſtockt
die Eiablage und die junge Brut wird nicht weiter gepflegt. Ein
Volk, das viel Honig aufgeſpeichert hat, zeugt viele junge Bienen
und viel Bienen tragen ſpäter viel Honig ein. 45—50 Tage vor
der Haupttracht begiunt der Imker mit der Reizfütterung. Durch
dieſe ſcheinbare Honigernte wird die Königin zur Eiablage
ge=
reizt und das Volk wächſt. Die Reizfütterung erfolgt täglich in
kleinen Mengen. Unnützes Oeffnen der Stöcke und Hantieren
daran iſt zu vermeiden. Im April beginnen auch die Larven
der Wachsmette ihr Zerſtörungswerk in den Wabenvorräten.
Gern niſten ſie ſich auch in ſchwachen und weiſelloſen Völkern
ein, ſtarke ſchützen ſich ſelbſt.
De
emporl. Ein Fanal!
Aufſitzen!
Die Kommandeure fahren in die Höhe und greifen nach den
Revolver. Aber die Kommiſſare fallen ihnen in die Arme,
Nein, nein, ſie dürfen nicht fort. Die Truppen ſind zu
Schutz der Regierung da. Die Tore zu und die Geſchütze an d
Mauern!
Eine Schwadron jagt durch das aufgeriſſene Tor hinaus
hinunter an den Fluß. Der Kommiſſar wirft ſich dem Pfert
des Kommandeurs in die Zügel. Ein heiſerer Ruf — ein Schre
— Feigling! Und die wilde Jagd tobt über ihn dahin.
An allen Fenſtern ſtarren Maſchinengewehre. Die Abzug
ſchnüre an den Geſchützen.
Wo war der Feind? Was würde geſchehen?
Kehren die Patrouillen nicht mit Meldungen zurück?
Die Schwadron jagt über die Brücke. Hier mußte de
Poſten ſtehen . . . ſechs Mann . . . Wo ſind ſie?
Und unten ſchäumte die wilde Kura und riß ſechs
Leiche=
mit ſich durch die Stromſchnellen. Lag nicht ein großes Ver
wundern auf den toten Geſichtern?
Auf leiſen Sohlen hatte es ſich angeſchlichen durch die Nach
unſichtbar, unfaßbar. Die Waſſer hatten geheult und geziſcht
als ſeien ſie mit dem Böſen im Bunde. Sechs Meſſer drange
lautlos in menſchliche Körper, ſechs Todesröcheln.
Sechsmal lachte die wilde Kura auf, wenn ein ſchwerer
Kör=
per über das Brückengeländer hinunterſauſte.
Vorbei. —
Und die Nacht bedeckt alles.
Dröhnend jagt die Schwadron weiter. Wo ſind die Pa
trouillen, die drüben nach dem Awlabar geritten ſind?
Seht ihr ſie dort oben reiten durch die engen Gaſſen, der
Karabiner am Knie, das Auge geſpannt nach allen Seiten?
Plötzlich — ging dort nicht ein Tor auf?. Der eine Reite
verhält ſein Pferd. Was iſt das? Er ſchwebt in der Luft, die
Schenkel ſuchen nach dem Pferde, um es zum Sprunge
anzutrei=
ben, der Karabiner poltert auf das Pflaſter. Ein Strick hat ſick
ihm um den Hals gelegt, er reißt ihn nach oben. Wilde
Ge=
ſichter blitzen ihm entgegen. Ein Meſſer — halt!. Ich bin
wehr=
los! Ein kalter Stahl dringt ihm in die Bruſt. Kein Schuß iſt
gefallen.
(Fortſetzung folgt.)