Darmstädter Tagblatt 1910


24. Juni 1910

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Abonnementspreis
monatl. 50 Pfg., viertelj. 1.50 Mk., aus=
wärts
nehmen die Poſtämter u. die Agen=
taren
Beſtell. entgegen zu 60 Pfg. monatl.
u. 1.80 Mk. viertelj. Verantwortlichkeit
für Aufnahme von Anzeigen an vorge=
ſchriebenen
Tagenwirdnicht übernommen.

173. Jahrgang
verbunden mit Wohnungs=Anzeiger und der Sonntags=Beilage:
Illuſtriertes Unterhaltungsblatt.
Organ für die Bekanntmachungen des Großh. Polizeiamts Darmſtadt, der Großh. Bürgermeiſtereien des Kreiſes und der andern Behörden.
Das Amtsverkündigungsblatt des Großh. Kreisamts Darmſtadt wird Dienstags, Donnerstags und Samstags nach Bedarf beigefügt.

Inſerate
werden angenommen in Darmſtadt
Rheinſtraße 23, Beſſungerſtraße 47,
ſowie von unſeren Agenturen und
den Annoncen=Expeditionen. Bei
gerichtlicher Beitreibung oder bei Konkurs
kommt jeder Annoncenrabatt in Wegfall.

N 145.
Die heutige Nummer hat 14 Seiten.
Die Betriebskrankenkaſſen beſeitigt?
* In der Reichstagskommiſſion für die
Reichsverſicherungsordnung ſind am Mitt=
woch
die Betriebskrankenkaſſen vorläufig
zu Fall gekommen. Die Kommiſſion ſetzte die Be=
ratung
des Kapitels Betriebskrankenkaſſen und Innungs=
krankenkaſſen
fort. Eine ausgedehnte Debatte ſetzte beim
§ 257 ein, der beſtimmt, daß ein Arbeitgeber für jeden Be=
trieb
, in dem er dauernd mindeſtens fünfhundert
Verſicherungspflichtige beſchäftigt, eine Betriebskranken=
kaſſe
errichten kann, aber auch eine gemeinſame für mehrere
Betriebe, in denen er dauernd zuſammen mindeſtens fünf=
hundert
Verſicherungspflichtige beſchäftigt. Die National=
liberalen
beantragten unter anderem, die Mindeſtzahl auf
zweihundert herabzuſetzen; die Konſervativen ſchlugen die
Zahl fünfzig vor, während die Sozialdemokraten die Zahl
Tauſend in Vorſchlag brachten. Das Zentrum fordert die
Mindeſtzahl Hundert. Außerdem beantragte es folgenden
Zuſatz: Für landwirtſchaftliche Betriebe genügt die Zahl
von 20 dauernd beſchäftigten Verſicherungspflichtigen. Ein
Zentrumsmitglied warf dem Staatsſekretär vor, er zeige
eine gewiſſe Animoſität gegen die Landwirtſchaft. Mini=
ſterialdirektor
Caſpar wies dieſe Auffaſſung entſchieden
zurück. Ein Mitglied der Reichspartei erklärte die An=
träge
des Zentrums für unannehmbar. Wenn ſolche Er=
ſchwerungen
in das Geſetz hineingetragen würden, ſo ſei
eine endgültige Annahme des Geſetzes nicht zu erwarten.
Die Fortſchrittliche Volkspartei, oder wenigſtens einzelne
ihrer Mitglieder, ſeien überhaupt gewillt, das Geſetz zu
Fall zu bringen. Es ſei die Frage, ob ſich eine Weiter=
beratung
überhaupt empfehle.
Ein Mitglied der Konſervativen erklärte für ſeine Par=
tei
, daß ſie den § 257 ablehnen werde, falls die Anträge
des Zentrums zur Annahme gelangen. Miniſterialdirektor
Caſpar betonte gegenüber einem weiteren Zentrums=
antrage
, wonach zur Gründung einer Betriebskrankenkaſſe
die Zuſtimmung des ſtändigen Arbeitsausſchuſſes oder,
wo ein ſolcher nicht beſteht, der Mehrheit der Verſiche=
rungspflichtigen
erforderlich iſt, daß einer ſolchen Beſtim=
mung
ſehr ſchwere Bedenken entgegenſtehen. Ein Mitglied
der Fortſchrittlichen Volkspartei wies die Vorwürfe gegen
ſeine Partei ſcharf zurück. Das Geſetz zur Annahme zu
bringen, ſei Sache der Regierungsparteien, der Konſer=
vativen
und des Zentrums. In der Abſtimmung wur=
den
die Zentrumsanträge angenommen. Dar=
auf
wurde der ganze § 257 abgelehnt, ebenſo die §§ 258
und 259. Die Betriebskrankenkaſſen wären damit in erſter
Leſung gefallen.
Ein Regierungsvertreter gab darauf die Erklärung
ab, daß das Geſetz ohne die Betriebskran=
kenkaſſen
für die Regierung unannehmbar
ſei. Allgemein wurde darauf der Anſicht Ausdruck gege=
ben
, daß es in zweiter Leſung gelingen müſſe, eine
Form für die Zulaſſung der Betriebskrankenkaſſen zu fin=
den
. Ein Mitglied der Volkspartei erklärte, daß an der
Ablehnung des § 257 infolge der geſtellten Anträge wieder
die Herren von der Rechten und vom Zentrum ſchuld
ſeien. Die Beſtimmungen über die Innungskrankenkaſſen
bleiben unverändert.
Neues zur Enzyklika.
* Die Blätter beſchäftigen ſich weiter mit der Enzy=
klika
und deren Zurückweiſungen. Kürzlich ſchrieben die
Nationalzeitung und die Poſt unter der Spitzmarke Wo
bleibt die Antwort? folgendes:
Die Nordd. Allg. Ztg. erzählt uns in ihrer Wochen=
ſchau
von Rooſevelt und Kreta, Bosnien und Aegypten.
Ueber die dreiſten Behauptungen der offiziellen vatika=
niſchen
Preſſe, der preußiſche Miniſterpräſident habe die
Verhandlungen mit der Kurie inexakt wiedergegeben,
auf gut Deutſch geſagt, alſo falſch und entſtellt wieder=
gegeben
, finden wir kein Wort. Kein Wort darüber, daß
der Heilige Vater gar nicht daran gedacht habe, irgend
etwas zurückzunehmen, daß er gar nicht daran gedacht
habe, dem deutſchen Epiſkopat die Bekanntgabe der Enzy=
klika
zu verbieten uſw.
Daraufhin erklärt nun die Norddeutſche All=
gemeine
Zeitung folgendes:
Unſere Mitteilungen vom 15. Juni über die Erledi=
gung
des durch die Borromäus=Enzyklika her=
vorgerufenen
Streitfalles werden von einem Teil der
Preſſe unter Berufung auf die Veröffentlichungen vatika=
niſcher
Blätter in Zweifel gezogen. Von unſeren Mättel=

Freitag, den 24. Juni.

1910.

lungen haben wir kein Jota zurückzunehmen. Sie geben
genau die Erklärungen wieder, die vom päpſtlichen Staats=
ſekretariat
dem preußiſchen Geſandten ſchriftlich und münd=
lich
gegeben worden ſind. Weder die Klarheit noch die
politiſche Bedeutung dieſer Erklärungen können durch nach=
trägliche
Kommentare verdunkelt oder abgeſchwächt wer=
den
. Iſt demnach daran feſtzuhalten, daß der päpſtliche
Stuhl den von der preußiſchen Regierung geſtellten For=
derungen
entſprochen hat, was den Ausdruck des Bedau=
erns
über die durch die Enzyklika hervorgerufene Störung
des konfeſſionellen Friedens betrifft, ſo iſt das in der
Note des Staatsſekretärs gebrauchte Wort dispiacere‟
von uns zutreffend mit Bedauern überſetzt worden, wie
ſich leicht aus einem italieniſch=deutſchen Wörterbuch er=
ſehen
läßt. Die gleiche Ueberſetzung findet ſich übrigens
auch in der aus Rom datierten Wiedergabe der Note im
Wiener Vaterland. Gefordert wurde ferner am 8. Juni
das Unterbleiben der kirchenamtlichen Veröffentlichung der
Enzyklika in den deutſchen Diözeſen. Am 11. Juni ließ
der Staatsſekretär dem preußiſchen Geſandten in amtlicher
Form mitteilen, daß der Papſt bereits den deutſchen
Biſchöfen befohlen habe, ſolche Veröffentlichung zu unter=
laſſen
. Für die Bedeutung dieſes Schrittes iſt es uner=
heblich
, ob die päpſtlichen Anordnungen ſchon vor Erhe=
bung
der preußiſchen Forderung ergangen ſind oder nicht.
Der preußiſchen Regierung konnte es nur auf die Tatſache
der ſchleunigen Inhibierung der kirchenamtlichen Publika=
tion
ankommen. Das Vorgehen der preußiſchen Regierung
hatte von Anfang an kein anderes Ziel, als die Störung
des Friedens unter den Konfeſſionen abzuwehren und gut=
zumachen
. Dabei befand es ſich in Uebereinſtimmung mit
dem preußiſchen Abgeordnetenhaus und führenden Kreiſen
des evangeliſchen Volkes. Daß der Abſchluß des Konflikts
das evangeliſche Empfinden befriedigen durfte, iſt nach un=
ſerer
Veröffentlichung vielfältig zum Ausdruck gekommen.
Zu einer Aenderung dieſer Auffaſſung liegt nicht der min=
deſte
Grund vor.
Einen ſchon anderwärts aufgetauchten Gedanken hat
man in Bremen zu verwirklichen unternommen. Der
Bremiſche Hauptverein des Evangeliſchen Bundes, der
Bremiſche Proteſtantiſche Verein und der Evangeliſche
Verein hatten zu einer großen Proteſtverſammlung einge=
laden
, mit der Bekanntgabe, daß es in dieſer Verſamm=
lung
nicht nur heißen werde, mit einer Reſolution gegen
Rom zu proteſtieren, ſondern daß eine Tat geſchehen
ſolle, zu der Bremen die erſte Anregung und den erſten
Anſtoß geben wolle, eine ernſte, heilige Tat, im Sinne
Luthers, zu deren Verwirklichung das ganze evangeliſche
Deutſchland aufgerufen werden ſolle. In den Verſamm=
lungen
erging dann die Aufforderung zur Gründung
eines Proteſtfonds. Die Antwort nach Rom und
die beabſichtigte große Tat ſolle ausklingen in der Grün=
dung
eines Proteſtfonds 1910 zur Erhaltung und Förde=
rung
deutſcher evangeliſcher Bildungsanſtalten in katho=
liſchen
Ländern und Provinzen. In einer einſtimmig an=
genommenen
Reſolution wurde der Wunſch ausgedrückt,
daß in der Gründung dieſes Fonds ein dauerndes Denk=
mal
an die Erhebung des deutſchen evangeliſchen Volkes
geſchaffen werde. Es wurde ein Ausſchuß für den Proteſt=
fonds
1910 gebildet.
Deutſches Reich.
Die am Sonntag in Magdeburg tagende Haupt=
verſammlung
des Deutſchen Privatbeamtenvereins nahm
eine an das Reichsamt des Innern gerichtete Reſolution
an, in der die dringende Bitte an das Reichsamt des In=
nern
wiederholt wird, bei der Ausarbeitung des Geſetz=
entwurfes
über eine ſtaatliche Penſions=
verſicherung
der Privatbeamten die wohl=
erworbenen
Rechte der in privaten Verſicherungskaſſen ver=
ſicherten
Angeſtellten durch Anerkennung der beſtehenden
Kaſſen als Erſatzinſtitute ſchützen zu wollen. In der bei=
gegebenen
Begründung wird hervorgehoben, daß die pri=
vate
Verſicherung, die teilweiſe unter Mithilfe der Arbeit=
geber
aufgenommen wurde, behördlicherſeits nachdrücklich
und wiederholt als Selbſthilfe empfohlen worden iſt und
daß die Aufhebung der privaten Kaſſen für deren Mit=
glieder
ſchwere wirtſchaftliche Schädigungen verurſachen
würde.
Man ſchreibt uns: In den vergangenen Wochen
hat ſich der Reichsverband deutſcher Städte‟
(Verband der mittleren und kleineren Städte und Land=
gemeinden
) konſtituiert. Es handelt ſich dabei um eine
Vereinigung aller deutſchen Städte und Landgemeinden
mit weniger als 25000 Einwohnern. Der Zuſammen=
ſchluß
iſt vornehmlich deshalb erfolgt, damit die Inter=
eſſen
der erwähnten Städte und Gemeinden in gemein=
ſamer
Arbeit durchgeſetzt werden können. Die noch nicht
beigetretenen Städte und Gemeinden werden noch beſon=
dere
Einladungen erhalten. Den Vorſtand bilden 12 Bür=
germeiſter
aus allen Teilen des Reiches. Es handelt ſich
alſo nicht um eine Vereinigung, die ſich nur auf ein be=

ſtimmtes Gebiet innerhalb Deutſchlands erſtrecken ſoll.
Der Verband hat gerade für die kommenden Jahre wich=
tige
praktiſche Arbeiten durchzuführen. So iſt u. a. ange=
regt
worden, den jetzt z. B. nur in Sachſen beſtehenden
Sparkaſſen=Giro=Verband über ganz Deutſchland auszu=
dehnen
. Es ſind ferner Erhebungen anzuſtellen wegen
Schaffung eines Zentralinſtituts für Kommunalkredit ( ſpe=
ziell
für den Bedarf kleinerer Gemeinden gedacht). Es
wird ſich ſerner als notwendig erweiſen, in der Frage der
Verwaltungsreform in einzelnen Bundesſtaaten Stellung
zu nehmen. Der Verband wird durch ſeine Geſchäftsſtelle
Auskunft über juriſtiſche und kommunalwirtſchaftliche Fra=
gen
unentgeltlich erteilen. Er wird das Erfahrungsmate=
rial
im Verwaltungsrecht und in der Gemeindewirtſchaft
bei Bedarf an einzelne Kommunen einſenden und nament=
lich
auch dafür ſorgen, daß in der deutſchen Preſſe vor=
bildliche
Einrichtungen kleinerer Städte und Gemeinden
nicht mehr wie ſo oft bisher mit Stillſchweigen übergangen
werden. Außerdem ſoll durch Kommiſſionen zu den Par=
lamenten
im Reich und den Einzelſtaaten Fühlung unter=
halten
werden, damit auch hier der Reichsverband einen
erſprießlichen Einfluß ausüben kann.
Ueber den Arbeitsmarkt im Monat Mai
teilt das Reichs=Arbeitsblatt mit:
Die Lage auf dem Arbeitsmarkt hat ſich im großen
und ganzen etwas gehoben. Nur ging in der Textil=
induſtrie
die Beſchäftigung weiter zurück. Die lebhaf=
tere
Beſchäftigung, die im Monat April auf dem Ruhr=
kohlenmarkt
einſetzte, nahm weiteren Fortgang. Auch
im Saar=Revier wurden größere Mengen Kohle geför=
dert
als im Vormonat. Auf den oberſchleſiſchen Gruben
wuchſen trotz der wöchentlich eingelegten zwei Feierſchich=
ten
die Beſtände weiter. In der Braunkohlen=Induſtrie
wurden die Erwartungen nicht erfüllt, wenn auch im allge=
meinen
eine Beſſerung ſich fühlbar machte. In der Me=
tall
= und Maſchinen=Induſtrie lagen die Ver=
hältniſſe
günſtiger als im vergangenen Monat. In der
Textilinduſtrie iſt noch immer keine Wandlung zum
beſſern eingetreten. Im Baugewerbe nahm die Be=
ſchäftigung
trotz Fortdauerns der großen Ausſperkung
wieder zu. Die Bekleidungsinduſtrie war noch
reichlich beſchäftigt. Nach den Berichten der Kranken=
kaſſen
hat ſich der Beſchäftigungsgrad im Laufe des
Mai nur wenig gehoben. Es ergab ſich am 1. Juni gegen=
über
dem 1. Mai eine Zunahme der verſicherungspflich=
tigen
Mitglieder abzüglich der Kranken um 8961, und zwar
ſetzt ſich dieſe Summe zuſammen aus einer Zunahme der
männlichen Mitglieder un 10 246 und einer Abnahme der
weiblichen um 1285. Gegenüber dem Mai 1909 war die
Zunahme im Mai 1910 um 57593 geringer. Nach den
Arbeitsnachweisziffern hätte ſich ſogar im Ver=
gleich
zum Vormonat für die Männer die Lage nicht uner=
heblich
verſchlechtert, während für die Frauen das Verhält=
nis
ſich nicht weſentlich ungünſtiger geſtaltet. Bei der Ge=
ſamtzahl
der berichtenden Arbeitsnachweiſe, für die ver=
gleichbare
Zahlenangaben vorliegen, kamen nämlich im
Mai 1910 auf 100 offene Stellen bei den männlichen Per=
ſonen
183, bei den weiblichen 91 Arbeitsgeſuche gegen 188
bezw. 90 im Mai 1909 und 166 bezw. 86 im April 1910.
Auf dem Berliner Arbeitsmarkt war die
Lage im Vergleiche zum Vormonate nicht ungünſtig. Auch
gegenüber der gleichen Zeit im Vorjahre kann von einer
Beſſerung geſprochen werden. In Schleswig= Hol=
ſtein
wirkte die Ausſperrung im Baugewerbe auch auf
die Erwerbsmöglichkeit in den von der Ausſperrung un=
mittelbar
nicht betroffenen Berufen ungünſtig ein. In
Hamburg konnte nicht immer die gewünſchte Anzahl unge=
lernter
Arbeiter beſchafft werden. Im Regierungsbezirk
Düſſeldorf wirkte die Bauarbeiterausſperrung auf
den Arbeitsmarkt nicht ſo einſchneidend, wie man befürch.
tet hatte. Selbſt der Beſchäftigungsgrad in der Holz=
Induſtrie war ziemlich gut zu nennen. In Heſſen,
Heſſen=Naſſau und Waldeck waren faſt alle In=
duſtriezweige
gut beſchäftigt, und die Bauarbeiterausſper=
rung
vermochte wenig daran zu ändern. In Bayern,
Württemberg und Baden gab es im allgemeinen
reichlich Arbeit: beſonders geſucht waren weibliche Dienſt=
boten
und landwirtſchaftliche Arbeiterinnen.
Die Einnahmen aus dem Güterverkehr deut=
ſcher
Eiſenbahnen betrugen im April 132732173
Mark, d. h. 5 416 179 Mark mehr als im ſelben Monate
des Vorjahres. Das bedeutet eine Mehreinnahme von
62 Mark oder 2,47 v. H. auf 1 Kilometer.
Ausland.
In der fortgeſetzten Spezialdebatte des öſterreichi=
ſchen
Abgeordnetenhauſes über den Voranſchlag des Fi=
nanzminiſteriums
führte Finanzminiſter Bilinski aus: Die
Regierung unterbreitete zur Deckung des 70 Mil=
lionen
betragenden Defizits ſeinerzeit Vor=
lagen
, erhielt aber bezüglich deren Erledigung bisher von
dem Hauſe keinen Beſcheid. Die Regierung ſtimme jeder
Verbeſſerung der Vorlagen zu; es ſei jedoch unerläßlich,
daß die neuen Steuervorlagen noch in der Sommerſeſſion
erledigt werden, insbeſondere mit Rückſicht auf die Ueber=
weiſung
eines Teiles des Betrages der Branntwein=
ſteuern
an die Länder, ſowie darauf, daß ſonſt das= Budget

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Seite 2.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 24. Juni 1910.

Nummer 145.

für 1911 nur mit ſtarken Einſchränkungen einzelner Reſ=
ſorts
vorgelegt werden könne. Der Miniſter konſtatierte
das volle Gelingen der jüngſten Rentenanleihe, von der
bereits vier Fünftel begeben ſeien und der Reſt alsbald
placiert werden dürfte. Der Miniſter erklärte ſchließlich,
daß, wie im Vorjahre, ſo auch im nächſten Budget voraus=
ſichtlich
40 Millionen für die Anſchaffung von Eiſenbahn=
betriebsmitteln
wieder eingeſtellt werden. In der fortge=
ſetzten
Budgetberatung kam es während der Rede des
Abg. Wenzel Myslivec (tſchechiſch=katholiſch=national), der
für die herrſchenden Verhältniſſe in Ungarn und für die
Unterdrückung der Nationalitäten daſelbſt die Juden ver=
antwortlich
machte, zu lärmenden Streitereien mit den
jüdiſchen Abgeordneten, die entſchieden gegen die juden=
feindlichen
Aeußerungen des Redners proteſtierten, der
unter anderem erklärte, es ſei nicht ausgeſchloſſen, daß es
auch in Oeſterreich zu einem Pogrom komme, wenn die
Juden ſich ſo benähmen wie in Rußland.
Eine allem Anſchein nach offiziöſe Pariſer Mittei=
lung
beſagt, daß die vier Schutzmächte die Note be=
treffend
die zur Erhaltung der Ordnung auf Kreta beſchloſ=
ſenen
Maßnahmen noch vor dem 28. Juni, dem Tage der
Eröffnung der kretiſchen Nationalverſammlung, der Pforte
überreichen werden. Gleichzeitig werden die von den
Schutzmächten zu entſendenden weiteren Kriegsſchiffe in
den kretiſchen Gewäſſern eintreffen. Das Echo de Paris
meint, man werde den Kretern eine in allen Einzelheiten
genau feſtgelegte Haltung verſchreiben müſſen, um unan=
genehmen
Ueberraſchungen vorzubeugen.
Die ruſſiſche Regierung hat der Reichsduma einen
nationaliſtiſchen, ausgeſprochen gegen die deutſche
Koloniſierung des Weſtgebiets gerichteten Ge=
ſetzentwurf
eingereicht, der den naturaliſierten Ausländern
den Landerwerb im Südweſtgebiet unterſagt. Wie der Re=
gierungserlaß
beſagt, iſt der Entwurf gegen die den deut=
ſchen
ſtrategiſchen Zwecken dienende Maſſeneinwanderung
von Deutſchen gerichtet, die bereits 552707 Deßjatinen
Land im Südweſtgebiet beſitzen. Der Erlaß konſtatiert
einen Fehlſchlag des Aſſimilierungsverſuchs der Deutſchen,
die national bleiben, weshalb die bis 1887 begünſtigte Ein=
wanderung
unerwünſcht und zu hemmen ſei. Die Nowoje
Wremja iſt hocherfreut und rät, das Geſetz auch auf Polen
und das Baltenland auszudehnen. Es iſt dies der Vor=
bote
einer Deutſchenhetze.
Es verlautet, daß die Vertreter Rußlands, Frank=
reichs
und Englands mit der Pforte in Verbindung getre=
ten
ſind, um von dieſer Seite keine Schwierigkeiten bei der
Proklamierung des Fürſtentums Montenegro
zum Königreich befürchten zu müſſen. Die Erhebung
ſoll am 15. Auguſt ſtattfinden. Von ſeiten Rußlands,
Frankreichs und Englands iſt die Zuſtimmung zu erwar=
ten
. Auch Oeſterreich wird gegen die Erhebung nichts ein=
zuwenden
haben.
Der Senat der Vereinigten Staaten hat die Geſetzes=
vorlage
betreffend die Errichtung von Poſtſparkaſſen in der
vom Repräſentantenhauſe angenommenn Faſſung geneh=
migt
. Die Vorlage geſtattet die Anlegung der Einzah=
lungen
in allen amerikaniſchen Regierungsbonds.
** Ein Gedenktag. Heute, am 24. Juni, ſind
50 Jahre verfloſſen, daß Prinz Jerome Bonaparte
in Paris geſtorben iſt. Er war bekanntlich vom 1. Dezem=
ber
1807 an König des von ſeinem Bruder, dem erſten
Napoleon, geſchaffenen Königreichs Weſtfalen, mit
der Reſidenz in Kaſſel, im Volksmund als König Luſtik
bezeichnet. Mit der Schlacht bei Leipzig im Jahre 1813
brach der Thron zuſammen. Nach ſeines Bruders Sturz
lebte Jerome als Prinz von Montfort im Exil. Nach=

dem ſein Neffe als Napoleon III. den Thron von Frank=
reich
beſtiegen, ward ihm wieder der Rang eines kaiſer=
lichen
Prinzen zuteil, und als ſolcher iſt er auch am 24.
Juni 1860 geſtorben. Die Gründung des weſtfäliſchen
Königreiches und die Dauer dieſes Staates bedeuten
einen der größten Tiefſtände der deutſchen Geſchichte.
* Bebenhauſen, 23. Juni. Der Reichskanz=
ler
von Bethmann Hollweg traf in Begleitung
des Miniſterpräſidenten Dr. v. Weizſäcker und des Gefol=
ges
um 12 Uhr 30 Min. hier ein. Er wurde im Schloß=
hofe
vom Flügeladjutanten Reiſchach und von dem Kam=
merherrn
der Königin Freiherrn von Teſſin empfangen
und in das Schloß geleitet, wo er vom König und der
Königin begrüßt wurde. Kurz darauf wurde ein gemein=
ſchaftliches
Diner eingenommen.
* Der Zwang zur Ehe. Den franzöſiſchen
Junggeſellen ſcheinen ſchlimme Zeiten bevorzuſtehen,
ſie ſollen nämlich gezwungen werden, in den Stand der
heiligen Ehe zu treten, widrigenfalls ihnen eine beſondere
Steuer aufgelegt und ſie auch von der Anſtellung im
Staatsdienſte ausgeſchloſſen werden ſollen. In der letz=
ten
Senatsſitzung brachte nämlich der Senator Lan=
nelongue
, um dem ſtändigen Sinken der Vevöl=
kerungsziffer
Frankreichs einen Damm entge=
genzuſetzen
, einen Vorſchlag ein, wonach allen jungen Leu=
ten
, die bereits das 25. Lebensjahr erreicht haben und noch
unverheiratet ſind, die Laufbahn im Staats= und Ge=
meindedienſte
verſchloſſen bleiben ſoll. Ferner ſoll allen
jungen Leuten von ihrem 30. Lebensjahre ab, ſobald ſie
noch unvermählt ſind, eine beſondere Wehrſteuer auferlegt
werden. Dagegen ſollen die verheirateten Beamten eine
Belohnung erhalten, indem ihnen beſondere Vergün=
ſtigungen
eingeräumt werden ſollen. Man erſieht hieraus,
zu welchen grundverſchiedenen Anſchauungen das kinder=
arme
Frankreich und das übervölkerte Deutſche Reich ge=
kommen
ſind, wo man kinderreichen Familien das Leben
und jungen Leuten das Fortkommen in jeder Beziehung
ſchwer macht und wo infolgedeſſen bereits ein Rückſchlag
ſich vorbereitet.

Stadt und Land.
Darmſtadt, 24. Juni.
Verſetzt wurde der Pfandmeiſter für den Bei=
treibungsbezirk
Mainz IV Johannes Weirauch in
Mainz in gleicher Dienſteigenſchaft vom Tage des Dienſt=
antritts
ſeines Nachfolgers an in den Beitreibungsbezirk
Mainz III, der Pfandmeiſter für den Beitreibungsbezirk
Mainz V Johannes Helm in Mainz in gleicher Dienſt=
eigenſchaft
vom Tage des Dienſtantritts ſeines Nach=
folgers
an in den Beitreibungsbezirk Mainz IV, der
Pfandmeiſter für den Beitreibungsbezirk Fürth Peter
Geil in Fürth in gleicher Dienſteigenſchaft vom Tage
des Dienſtantritts ſeines Nachfolgers an in den Bei=
treibungsbezirk
Mainz II.
n. Die Strafkammer verhandelte geſtern zwei Fahr=
raddiebſtähle
und verurteilte wegen des einen, den der
21jährige Hausburſche Karl Hettinger von hier auf
der Straße verübt hatte, dieſen, als rückfällig, zu 4 Mo=
naten
Gefängnis, ſowie wegen falſcher Namens=
angabe
zu 1 Woche Haft. Der zweite Angeklagte, ein aus
Nürnberg in der Zwangserziehungsanſtalt St. Joſephs=
Stift zu Klein=Zimmern untergebrachtes, früh verdorbenes
Bürſchchen Joſeph Zellner, ſuchte mit einer recht ſinn=
reichen
Ausrede durchzuſchlüpfen. Er hatte ſich zwar in
der Anſtalt befriedigend geführt, aber doch an der gere=
gelten
Arbeit und Zucht anſcheinend keinen Gefallen, wes=
halb
er Freiheitsdrang empfand, aus einer aufgebrochenen
Werkſtatt ein Fahrrad nebſt Zubehör wegnahm und die
Flucht ergriff. Nach fünf Tagen wurde er unterwegs feſt=
genommen
und gab nun an, lediglich die Benützung zur
Fahrt in ſeine Heimat und Rückgabe, nicht die Aneignung
des Rades beabſichtigt zu haben. Er habe ſeine allein=
ſtehende
Mutter durch redliche Arbeit unterſtützen wollen.
Vielleicht wäre ihm dies geglaubt worden, wenn nicht der
erſt Fünfzehnjährige bereits drei Vorſtrafen wegen viel=
facher
, zum Teil ſehr dreiſter Diebſtähle aufzuweiſen hätte.
Das Gericht nahm deshalb auch im jetzigen Fall die die=
biſche
Abſicht an und ſprach 3 Monate Gefängnis
abzüglich 1 Monat Unterſuchungshaft aus. Alsdann
gelangte jener Auftritt, bei dem am 23. Mai d. J. in
Groß=Umſtadt der Schweizer Breuer in berechtigter Not=
wehr
erſchoſſen worden war, zur Verhandlung. In Ge=

meinſchaft mit ihm hatte der 30jährige Dienſtknecht Theo=
dor
Hehr aus Brettig, nachdem beide in das Haus des
Peter Luntz V. eingedrungen waren, dieſen und deſſen
Enkel Ludwig Erdmann mißhandelt, bis letzterer, in hilf=
loſer
Lage zu Boden gedrückt, vom Revolver Gebrauch
machte. H. war nach vierwöchiger Beſchäftigung an jenem
Tag morgens aus dem Dienſt getreten, hatte den Breuer
zu gleichem nachmittags veranlaßt, mit ihm bis abends
10 Uhr gezecht und gleich jenem drohende Aeußerungen
getan. Beide brachen den Streit vom Zaun und benah=
men
ſich höchſt brutal, obwohl Hehr ſeine Beteiligung jetzt
abſchwächen will. Er wurde wegen gemeinſchaftlichen
Hausfriedensbruchs und Mißhandlung zu 6 Monaten Ge=
fängnis
abzüglich 1 Monat verurteilt.
H. K. Die Meiſterprüfungen im Handwerk. Im Laufe
des Sommers finden bei den drei Meiſterprü=
fungskommiſſionen
im Großherzogtum
Heſſen die Prüfungen zur Erlangung des
Meiſtertitels im Handwerk nach § 133 der
Reichsgewerbeordnung wieder ſtatt. Es ſei darauf auf=
merkſam
gemacht, daß alle diejenigen, die nach dem 1. Ok=
tober
1901 ſich ſelbſtändig gemacht haben, die Meiſterprü=
fung
ablegen müſſen, wenn ſie den Meiſtertitel (z. B.
Schreinermeiſter, Maurermeiſter, Bäckermeiſter uſw.) füh=
ren
wollen. Eine andere Art der Erwerbung desſelben,
wie vielfach angenommen, etwa durch Verleihung oder
Berechtigung zur Führung, wenn jemand eine Reihe von
Jahren ſein Geſchäft ſelbſtändig betrieben hat, gibt es
nicht, nur durch Ablegung der Meiſterprüfung kann der
Meiſtertitel erworben werden. Die Anmeldungen ſind
möglichſt bald an die Vorſitzenden der Prüfungskommiſ=
ſionen
einzuſenden. Jeder Handwerker, der ſich ſelbſtän=
dig
macht, hat beſonderes Intereſſe daran, die Prüfung ab=
zulegen
, führt er doch vor einer ſtaatlich hierzu beſtellten
Kommiſſion den Nachweis, daß er befähigt iſt, ſein Ge=
werbe
auszuüben. Aber auch die Geſamtheit hat einen
nicht zu unterſchätzenden Vorteil, da ſchon äußerlich durch
die Führung des Meiſtertitels derjenige zu erkennen iſt,
der den Nachweis ſeiner Befähigung erbracht hat. Daß
aber auch ſeitens der Prüfungskommiſſionen ſowohl auf
praktiſchem wie auf theoretiſchem Gebiet von den Prüflin=
gen
etwas verlangt und bei nicht genügenden Kennt=
niſſen
und Fertigkeiten im Handwerk auch mit Strenge
verfahren wird, beweiſt der Umſtand, daß im letzten Jahre
von 404 Geprüften 70 nicht beſtanden ſind und die Prüfung
wiederholen müſſen. Wie es ſonach im Intereſſe einer
wirtſchaftliechn Stärkung des Handwerks notwendig iſt,
daß ſich jeder, der ſich ſelbſtändig macht, der Meiſterprü=
fung
unterzieht, ſo iſt es auf der anderen Seite auch eine
Aufgabe des Staates, der Gemeinde und der Geſamtheit,
die geprüften Handwerker durch Zuwendung der Aufträge
und durch ſonſtige Berückſichtigung zu fördern und zu
unterſtützen.
Schließlich ſei noch dgrauf hingewieſen, daß die unbe=
fugte
Führung des Meiſtertitels ebenfalls mit Geldſtrafe
bis zu 150 Mark beſtraft wird. Nach der Gewerbenovelle
von 1908 (Kleiner Befähigungsnachweis) ſind weiter künf=
tig
nur diejenigen Handwerker zum Anleiten von Lehrlin=
gen
befugt, die die Meiſterprüfung beſtanden haben. Hand=
werker
, die ohne Befugnis hierzu Lehrlinge anleiten, ver=
fallen
in eine Strafe bis zu 150 Mark.
* Auszeichnung. Bei der gelegentlich des 9. Ver=
bandstages
des Verbandes deutſcher Klempner= und In=
ſtallateur
=Innungen zu Stuttgart veranſtalteten
Fachausſtellung, die auch von der hieſigen freien
Vereinigung der Spengler und Inſtallateure beſchickt war,
wurde Herrn Hofſpengler Kurt Hiſſerich hier für Ham=
mertreibarbeiten
die ſilberne Medaille nebſt Ehrenpreis
zuerkannt.
Mozart=Verein. Das Sommernachtfeſt des Mozart=
Vereins findet bei Konzert, Tanz und feſtlicher Illumina=
tion
am Samstag, den 2. Juli, im Saalbau ſtatt.
Näheres hierüber folgt noch durch Anzeige. Der Vorſtand
des Mozart=Vereins hat in ſeiner letzten Sitzung beſchloſ=
ſen
, neben ſeinen diesjährigen Vereinsveranſtaltungen ein
Konzert aufzuführen, deſſen Reinertrag dem Feſthausbau=
unternehmen
zugeführt werden ſoll.
Großes Sportfeſt am 26. Inni. Dem Veloziped=
Klub Darmſtadt, dem Veranſtalter des großen Sport=
feſtes
am 26. Jnni aus Anlaß der 25=Kilometer= Mei=
ſterſchaft
von Deutſchland, ſind außer den bereits ge=
meldeten
Preisſtiftungen wiederum eine erhebliche An=
zahl
wertvoller Ehrenpreiſe zugedacht worden, und

Miſch=Ehen zwiſchen Chineſen und
Ausländerinnen.
* Wie ſchon mitgeteilt, haben die diplomatiſchen
Vertreter Chinas im Auslande Auftrag erhalten, den
in Europa und Amerika ſtudierenden Chineſen mitzu=
teilen
, daß das Miniſterium für Erziehungsweſen ein
Verbot erlaſſen habe, das den Studenten unterſagt, eine
Ehe mit einer Ausländerin einzugehen. Hierzu ſchreibt
der Berichterſtatter der Kölniſchen Zeitung aus Schang=
hai
: Durch kaiſerliche Genehmigung hat ein Thron=
bericht
des Kultusminiſteriums Geſetzeskraft erhalten,
die den im Auslande ſtudierenden Chineſen Ehe=
ſchließungen
mit nicht=chineſiſchen Frauen
verbie t et. Alle chineſiſchen Geſandten erhalten
entſprechende Anweiſungen. Da man natürlich die
Studenten im Auslande nicht mit Gewalt zwingen
kann, das Verbot zu befolgen, ſo iſt für die Nichtein=
haltung
die Verweigerung der von der zuſtändigen
chineſiſchen Geſandtſchaft nach Beendigung der Studien
auszuſtellenden Ausweiſe angedroht. Dadurch würde
den ungehorſamen jungen Leuten die erträumte glän=
zende
Laufbahn abgeſchnitten. Außerdem müſſen die
auf Regierungskoſten oder mit Regierungsbeihilfe
ſtudierenden jungen Leute und das ſind ſo gut wie
alle Auslandsſtudenten die für ſie aufgewandten
Koſten zurückerſtatten.
Als Gründe für das ſtrenge Verbot gab das Unter=
richtsminiſterium
die folgenden Punkte an: 1. Ehe=
ſchließungen
mit fremden Frauen kann man Leuten,
die dauernd im Auslande leben, nicht verbieten, für die
jungen Studenten jedoch, die nur vorübergehend dort
weilen, ſchicken ſie ſich nicht, um ſo weniger, als die
jungen Leute ihre paar Jahre für ihre Studien brau=
chen
, während Familienſorgen vom Lernen ablenken
würden. 2. Ausländiſche Frauen koſten viel Geld, ſo
daß die naturgemäß nicht auf überflüſſige Ausgaben
berechneten Auslandsſtipendien kaum ausreichen dürf=
ten
. 3. Im Auslande ſtudierende und auch dort ver=
heiratete
Chineſen möchten ſich leicht verſucht fühlen,
dauernd in der Fremde zu bleiben und die Heimat zu
vergeſſen. Dann gingen gerade die am nötigſten ge=
brauchten
Kräfte dem Vaterlande verloren. Das Mini=
ſterium
fügt noch hinzu was allerdings für Japan
nicht zutrifft : In allen Ländern des Oſtens denke
man erſt nach Abſchluß der Studien daran, eine Familie
zu gründen, und man habe keine Veranlaſſung, den

jungen Herren die Möglichkeit zu bieten, ſich in ihren
Auslandsjahren auf Staatskoſten leichtfertigen Ver=
gnügungen
hinzugeben, anſtatt eifrig zu ſtudieren.
Die Annahme liegt nahe, daß für die chineſiſche Be=
hörde
nicht nur die angegebenen Gründe maßgebend
geweſen ſind. In China ſelbſt iſt es nicht ſo ſelten, daß
Schüler verheiratet ſind, wobei allerdings im Normal=
falle
der junge Mann nicht in unſerem Sinne eine Fa=
milie
gründet, ſondern wie der chineſiſche Ausdruck für
Heiraten ſagt, die Familie nämlich die Familie, der
er ſelbſt angehört vervollſtändigt, ſo daß ſeine Fa=
milie
ein neues weibliches Mitglied erhält. Der junge
Chineſe heiratet nicht, ſondern er wird verheiratet, und
zwar mit dem Mädchen, das ohne ſeine Mitwirkung,
vielleicht ſchon vor ſeiner Geburt, von den beteiligten
Familien für ihn beſtimmt war. Im Auslande fallen
dagegen in der Regel durch eine Heirat alle Unterhalts=
und Familienſorgen dem jungen Ehemanne zur Laſt.
Und inſofern hat das Unterrichtsminiſterium ſicher recht
mit den angegebenen Gründen. Viel wichtiger mag ihm
aber ein Grund erſchienen ſein, den es nicht ausge=
ſprochen
hat, vielleicht, um bei einigen beſonders radikal
geſinnten Chineſen und beim Auslande nicht Anſtoß zu
erregen. Die ausländiſchen Heiraten, wenigſtens jün=
gerer
Leute, müſſen in der Regel zu den peinlichſten
Unannehmlichkeiten für alle Beteiligten führen. Der
Chineſe kann, ſo lange ſeine ihm durch die Ueberein=
kunft
der Familien verlobte Braut noch lebt, keine
andere Perſon zu ſeiner rechtmäßigen Gemahlin
machen. Erſt nach der Hochzeit könnte er dieſe unter
Umſtänden verſtoßen, was aber in guten Familien
kaum vorkommt. Eine zweite, eine Nebenfrau, immer=
hin
noch eine rechtmäßige Gemahlin, darf er heiraten,
wenn die Hauptgemahlin ihm keinen Sohn ſchenkt
Andere Frauen, chineſiſch kleine Frauen ge=
nannt
, kann der Chineſe ziemlich nach Belieben wählen.
Dieſe Art wird meiſt gekauft, und es wird dabei mehr
auf Liebreiz als auf guten Ruf geſehen. Das ſind die
Frauen, die zum Beiſpiel die reichen Kaufleute an den
verſchiedenen Geſchäftsſitzen haben oder die dem Mann
an ſeinen jeweiligen Wohnſitz folgen. Die rechtmäßig
Gattin hat ihren Platz in erſter Linie in der Familie
des Mannes. Sie ſieht ihren Mann oft jahrelang nicht.
Aber ſie iſt die rechtmäßige Gemahlin, die Daheim=
frau
und die etwaigen Söhne der übrigen, der
Draußenfrauen gelten als ihre Kinder. Zu
dieſen Draußenfrauen werden die europäiſchen
Gattinnen von Chineſen wohl immer nur ge=

zählt werden können, gerade weil ſie natürlich immer
bei ihrem Ehemanne leben, vielleicht ohne eine Ahnung
zu haben, daß eine andere in Wirklichkeit rechtmäßige
Frau im Heimatsdorf des Mannes in deſſen Familie
lebt, oder gar die rechtmäßig dem Manne verlobte
Braut daheim vergeblich auf die Hochzeit wartet, auf die
ſie und ihre Familie kraft Geſetz und Sitte Anſpruch
hat. An alledem kann auch die im Auslande geltende
geſetzliche Trauung nichts ändern. Mag der Mann ſei=
ner
europäiſchen Frau mit noch ſo viel Achtung und
Liebe begegnen, ſie perſönlich als ſeine rechtmäßige
Gattin betrachten und ihr äußerlich das angenehmſte
Leben bieten, ſo kann doch auch er nicht an gegen die
Rechts= und Sittengeſetze ſeines Landes und gegen die
böſen Zungen ſeiner Landsleute und der Europäer,
die im Oſten leben.
Alles in allem begrüßen wir das Verbot deshalbe
auch im Intereſſe der europäiſchen jungen Mädchen, die
ſich bereitfinden laſſen würden, ſich von liebenswürdi=
gen
Chineſen freien zu laſſen. Vielleicht kommen die
Standesämter, wenn ſie in die Lage kommen, die ganze
Frage zu erwägen, zu dem Schluß, daß die Trauung=
einer
Deutſchen mit einem Chineſen in den
meiſten Fällen überhaupt aus geſetzlichen Hinderungs=
gründen
zu verweigern iſt. Man ſollte ſich nicht=
mit
dem Nachweis begnügen, daß der chineſiſche Ehe
kandidat nicht verheiratet iſt, ſondern ſtets den Nachweis
verlangen, daß er nicht mehr oder noch nicht nach chine=
ſiſchen
Rechtsbegriffen, die zum Beiſpiel auch in der
Rechtſprechung der Kolonie Kiautſchou anerkannt ſind,
verlobt iſt. Andernfalls beſteht für den nach deutſchem
Geſetz rechtmäßig getrauten Ehemann der Zwang, ent=
weder
durch eine Verſchmähung der ihm verlobten
Braut das chineſiſche Recht zu verletzen oder unter Be=
folgung
des chineſiſchen Rechts die chineſiſche Braut als
rechtmäßige Gemahlin zu heiraten und dadurch das zu
begehen, was nach deutſchem Recht als Bigamie unter
ſchwere Strafe geſtellt iſt. Der feierlichen Verſicherung
eines ſonſt noch ſo anſtändigen und ehrlichen Chineſen,
daß er keine chineſiſche Braut habe, darf man ohne bün=
dige
Beweiſe nie trauen. Es gibt in der Liebe kaum
leidenſchaftlichere Menſchen als die nüchternen Chine=
ſen
. Es iſt in China etwas ganz Alltägliches, daß
Chineſen teils aus Raffiniertheit, teils aus alle Be=
denken
überrennender Leidenſchaft Mädchen zur Heirgt
überreden durch die heilige aber lügneriſche Verſicher=
ung
, daß die rechtmäßige Braut oder junge Frau ge=
ſtorben
ſei.

[ ][  ][ ]

Nummer 145.

Seite 3.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 24. Juni 1910.

zwar von den Zigaretten=Fabriken Conſtantin= Han=
nover
, Yenidze=Dresden, Waldorf=Aſtorig=Stuttgart,
ſowie von den Herren Ed. Röther, Benz u. Ko., O
Vormbaum, Freiherr von Jeniſch, Geh. Rat Profeſſor
Dr. Kittler und A. Rademacher. Jedenfalls verdient
die Opferfreudigkeit der hieſigen Kreiſe für die groß=
zügig
angelegte Veranſtaltung des Veloziped=Klubs
wärmſte Anerkennung. Die geſamten Preiſe, die
an die Sieger im Preis= und Blumen=Korſo, ſowie im
Bahnwettfahren zur Verteilung gelangen, ſind ab
Freitag in den Schaufenſtern der Firma Benz u. Ko.,
Grafenſtraße, zur Schau geſtellt, worauf Freunde des
Sportes aufmerkſam gemacht ſeien. Gleichzeitig wer=
den
dort die vom Veloziped=Klub Darmſtadt bis jetzt
errungenen Ehrenpreiſe ausgeſtellt ſein, die ob ihres
Wertes und ihrer Reichhaltigkeit beredtes Zeugnis ab=
legen
von der ſportlichen Tüchtigkeit des Klubs.
Ihre ſilberne Hochzeit feiern am Samstag, den
23. d. M., Wladimir Weyl, Prokuriſt der Firma A. Le
Cog u. Ko., und deſſen Gemahlin Auguſte, geb. Blech,
Wendelſtadtſtraße 34.
Schützenhof. Heute Freitag abend konzertiert die
Kapelle des Gardedragoner=Regiments Nr. 23 unter Lei=
tung
des Muſikmeiſters Herrn Mittelſtädt. Bei ungün=
ſtiger
Witterung Streichmuſik im Saale.
§ Feſtgenommen. Ein 18 Jahre alter Kellnerlehrling
aus Kapellen bei Wiesbaden iſt am Donnerstag hier wegen
Diebſtahlsverſuchs feſtgenommen worden.
§ Unfall. Am Mittwoch vormittag gegen 11½ Uhr
wurde in der Kleinen Kaplaneigaſſe ein 7 Jahre alter
Knabe von einem Radfahrer umgefahren. Der Junge
trug einige Verletzungen im Geſicht davon und mußte im
ſtädtiſchen Krankenhaus verbunden werden.
Dreieichenhain, 23. Juni. Die Vorbereitungen zu
dem am 2., 3. und 4. Juli d. J. hier ſtattfindenden 50 jäh=
rigen
Jubiläumsfeſte des Geſangvereins Sän=
gerkranz
ſind im vollſten Gange und verſpricht das
Feſt allem Anſcheine nach einen glänzenden Verlauf zu
nehmen. An dem gleichzeitig ſtattfindenden Geſangswett=
ſtreite
, zu dem Seine Königliche Hoheit der Großher=
zog
einen Ehrenpreis geſtiftet hat, beteiligen ſich mehr als
20 Vereine aus der näheren und weiteren Umgebung, ſo
daß unſer altehrwürdiges Städtchen während der Feſttage
außer anderen Feſtgäſten ungefähr 8001000 Sänger, die
in friedlichem Wettſtreite ihr Können meſſen wollen, be=
grüßen
kann.
Offenbach, 23. Juni. Nachdem nunmehr das Kreis=
amt
den Voranſchlag des Kreiſes für das Jahr
1910 fertiggeſtellt hat, konnte dem Verfaſſungsausſchuß in
ſeiner geſtrigen Sitzung der von der Stadt Offenbach zu
leiſtende Zuſchuß, der im Voranſchlag der Stadt mit
240000 Mark angegeben iſt, bekanntgegeben werden. Dieſer
Zuſchuß beläuft ſich lt. Offb. Ztg. auf 243 789,28 Mark, ſo
daß noch 3789,28 Mark nachbewilligt werden mußten. Die
Kreislaſten haben ſich für die Stadt Offenbach, gegen das
Jahr 1908 gerechnet, um rund 34000 Mark erhöht.
P.A. Erbach, 22. Juni. Das in einer früheren Notiz
bereits erwähnte Turnfeſt, welches am 9., 10. und 11.
Juli d. J. zur 50. Wiederkehr des Gründungstages des
alten Turnvereins Erbach abgehalten wird und bei dem
der Main=Rhein=Gau zugleich ſein Jahresfeſt anſchließt,
verſpricht eines regen Beſuches würdig zu werden. Aus
der großen Zahl der Vorbereitungen erſcheint beſonders
bemerkenswert eine Feſtſchrift, welche die Geſchichte Er=
bachs
und die Gründungs= und Entwicklungsgeſchichte
des Vereins enthalten wird, dazu auch eine Porträttafel
der Gründer des Vereins und noch eine ganze Reihe wei=
terer
Illuſtrationen. Ferner wird eine beſondere Feſtpoſt=
karte
vom Verein herausgegeben, deren Entwurf der uns
rühmlichſt bekannte Profeſſor Hartmann in Darmſtadt
übernommen hat. Für die muſikaliſche Unterhaltung iſt
die geſamte Kapelle des 61. Artillerie=Regiments bereits
gewonnen worden.
A Beerfelden, 22. Juni. Während in letzter Zeit
mehrere heftige Gewitter in hieſiger Umgegend
Schaden anrichteten, blieb unſere Gemarkung ver=
ſchont
. Heute mittag nun tobte ſich auch hier ein ſchwe=
res
Unwetter aus. Gewaltige Donnerſchläge verkün=
deten
des öfteren das Einſchlagen des Blitzes, der
jedoch meiſt in Bäume und Telegraphenſtangen fuhr.
Ein wolkenbruchartiger Regen verwandelte die breite
Brunnengaſſe in ein Bachbett, in dem das Waſſer fuß=
hoch
dahinſtrömte; glücklicherweiſe iſt genügender Ab=
fluß
vorhanden, ſodaß kein weiterer Ueberſchwem=
mungsſchaden
entſtand. Die Wucht des Regens ſchlug
vielfach Nutzpflanzen zu Boden, die ſich bei günſtiger
Witterung, wenigſtens zum Teil, wieder erheben dürf=
ten
, was den Schaden bedeutend ermäßigen würde.
Mainz, 22. Juni. Nach langem, ſchwerem Leiden iſt
im Alter von 63 Jahren Poſtdirektor Bernius geſtorben.

Kleines Feuilleton.
Der Kientopp auf Rädern. Die bei=
vielloſe
Schnelligkeit, mit der der Kinematograph als
Volksunterhaltungsmittel ſeinen Siegeszug durch die
zelt vollendet hat, mußte bisher vor den ganz kleinen
Dörfern und Gemeinden, deren geringe Einwohner=
ahl
keinen Kinematographen anlocken konnte, Halt
nachen. Aber binnen kurzem werden auch in abge=
genen
Weilern die lebenden Photographien über die
veiße Fläche haſten, und der Bauer und Kleinbürger,
er vielleicht nie die Grenzen ſeines Heimatortes ver=
aſſen
hat, wird außer den kinematographiſchen Sen=
tionstragödien
wenigſtens ein Abbild der Herrlich=
eiten
der Welt ſehen können, ſeien es nun die Wunder
Indiens oder das Straßentreiben in China, ſei es eine
lefantenjagd in Afrika oder ein Spazierrikt durch die
Pampas Südamerikas. In England hat ein unter=
tehmendes
Blatt die Neuerung eingeführt: den Kien=
opp
auf Rädern‟. Es iſt ein mächtiger, großer Wagen,
ine Art Automobil mit Dampfbetrieb. Im Wagen
ind zwei Gemächer eingerichtet, ein Schlafzimmer
nd eine Küche, in denen der Mechaniker hauſt. Auf
em Dache des Wagens aber liegt zuſammengeklappt
in großes Holzgerüſt, das in kurzer Zeit aufgerichtet
verden kann und zwiſchen dem die weiße Leinwand=
läche
ausgeſpannt wird, auf der die lebenden Photo=
fraphien
erſcheinen ſollen. Der Wagen zieht durch
lle kleinen Dörfer Englands, die bisher noch keinen
inematographen geſehen haben. Den Tag über wird
efahren. Iſt dann das Ziel erreicht, ſo nimmt der
agen an einem geeigneten Orte, meiſt auf dem Markt=
latze
, Aufſtellung, und ſo bald die Dunkelheit kommt,
eginnen die Vorſtellungen. Ein mächtiger Scheinwer=
r
wird am anderen Ende des Marktplatzes errichtet;
eben dem Wagen ſteht ein rieſiges Grammophon, das
veithin über die Köpfe der herbeigeſtrömten Menge
llerlei Muſikſtücke oder erläuternde Reden ertönen
ißt. Die Aufführungen ſind dabei völlig koſtenlos,
der kann kommen und ſchauen. Beſonderer Wert
vird darauf gelegt, der Landbevölkerung ſo ſchnell als

Worms, 22. Juni. In Rhein=Dürkheim ſetzte ein
Blitzſchlag Scheuer und Stallung des Straßenwärters
Ripp in Brand und in Bechtheim traf ein Blitzſtrahl die
neue evangeliſche Kirche, ohne glücklicherweiſe großen Scha=
den
anzurichten. Ein kalter Blitzſchlag traf das Wohn=
haus
des Schneidermeiſters Karl Hilß II., Landgrafen=
ſtraße
(W.=Pfiffligheim) und beſchädigte Decken und
Wände. Ferner ſchlug der Blitz viermal in die elektriſche
Leitung im Hauſe des Wagnermeiſters Jakob Kiſſel, Land=
grafenſtraße
35 (W.=Pfiffligheim) und zerſtört dieſe.
Herrn Gutsbeſitzer Weber vom Nonnenhof ſind durch
das Hochwaſſer hundert Morgen Weizen total verdor=
ben
worden. Heute mittag 12 Uhr fiel ein achtjähriger
Knabe beim Angeln in den Hafen. Der Fiſcher Johann
Seewaldrettete das Kind vor dem Ertrinken.
(*) Friedberg, 22. Juni. Die Evangeliſche Kon=
ferenz
für das Großherzogtum Heſſen hielt heute im
Hotel Trapp ihre Hauptverſammlung unter Beteiligung
von Geiſtlichen aus ganz Heſſen ab. Pfarrer D. Dr.
Diehl=Darmſtadt referierte über die Stellungnahme der
Geiſtlichen zur von den Lehrern verlangten Aufhebung
des § 50 des Schulgeſetzes, betreffs Organiſtendienſt uſw.
Er kommt nach ausführlicher Behandlung der Frage und
geſchichtlicher Beleuchtung zu dem Schluß, daß die Los=
löſung
der Schule vom Organiſtendienſt im ſtaatlichen und
kirchlichen Intereſſe liege und eine Pflicht der Gerechtigkeit
gegen die Lehrer ſei. Man werde ſelbſt auf dem Lande
mehr Organiſten bekommen können, als man brauche.
Der Vorſitzende des heſſiſchen Organiſten= und Chordiri=
gentenvereins
, Reallehrer Müller=Friedberg, verlieſt die
Hauptpunkte des Beſchluſſes der Generalverſammlung die=
ſes
Vereins. Dieſer fordert die Aufhebung des § 50, die
Anſtellung der Organiſten von der Kirchenbehörde auf
Grund der Befähigung zum Organiſtendienſt, Gehalts=
regulierung
, Penſionsfähigkeit, Auszahlung des Gehalts
durch den Zentralkirchenfonds und Steigen des Organi=
ſtengehaltes
nach den Dienſtjahren. Lehrer Dollinger=
Ober=Gleen verlangt, daß § 50 fällt im Intereſſe beider
Stände; die Verfügung des Oberkonſiſtoriums habe Miß=
ſtimmung
in den Kreiſen der Organiſten hervorgerufen.
Schließlich wird einſtimmig folgende Reſolution an=
genommen
: Mit Rückſicht darauf, daß bei der Reichhal=
tigkeit
der Tagesordnung die Frage nach der kirchlichen
Stellung der Organiſten uſw. unmöglich erſchöpfend be=
handelt
werden kann, beſchränkt ſich die Hauptverſamm=
lung
auf folgende Entſchließung, in der ihr das mindeſt
zu Fordernde zum Ausdruck gebracht ſcheint: Daß eine
Beſeitigung der einſeitigen Verpflichtung der
Lehrer zur Uebernahme kirchlicher Funktionen nach § 50
des Schulgeſetzes entweder durch Aufhebung des § 50 oder
doch wenigſtens durch Maßnahmen der kirchlichen und
ſtaatlichen Praxis auch im kirchlichen Intereſſe
dringend zu erſtreben iſt. In einer anſchließenden
öffentlichen Verſammlung, die gleichfalls ſtark beſucht war,
ſprach Pfarrer Liz. Zurheller=Frankfurt a. M. über Die
neueſten Angriffe auf die Exiſtenz Jeſu und die Aufgaben
der evangeliſchen Kirche‟
* Bad Nauheim, 23. Juni. Die Herzogin Max
von Württemberg iſt geſtern zur Kur hier einge=
troffen
.

Reich und Ausland.
Aus der Reichshauptſtadt, 22. Juni. Die chine=
ſiſche
Militär=Studienkommiſſion unter
Führung des Prinzen Tſai=tao iſt vom Anhalter
Bahnhof nach Wien abgereiſt. Vorher war die Kom=
miſſion
noch vom Kaiſer in Abſchiedsaudienz empfangen
worden. Prinz Tſai=tao begibt ſich von Oeſterreich nach
Italien, dann nach Rußland, und reiſt von dort nach
Peking zurück. In den nächſten Tagen trifft eine auf
einer Reiſe um die Welt befindliche japaniſche
Touriſtengeſellſchaft in Berlin ein. Sie be=
ſteht
aus Abgeordneten, Stadtverordneten, Verlegern,
Redakteuren, Medizinern, Ingenieuren und Geſchäfts=
leuten
. Ein choleraverdächtiger Fall wurde
heute nachmittag polizeilich auf dem Auswanderer=
bahnhof
Ruhleben gemeldet; der dortige aufſichtfüh=
rende
Arzt hatte zunächſt auf Darmkatarrh diagnoſti=
ziert
, doch die Exkremente zur Unterſuchung an das
Inſtitut für Infektionskrankheiten nach Berlin ent=
ſandt
und alle Abſperrungs= und ſonſtigen Vorſichts=
maßregeln
getroffen. Wie das B. T. von unterrich=
teter
Seite erfährt, hat die bakteriologiſche Unter=
ſuchung
ergeben, daß Cholera=Erkrankung vorliegt. Zu
irgendwelcher Erregung liegt für die Oeffentlichkeit
jedoch zurzeit nicht der geringſte Anlaß vor, da der
Fall durch die Möglichkeit, die Auswanderer überall
vollkommen zu iſolieren und zu überwachen, beſonders
günſtig liegt. Das Inſtitut für Infektionskrankheiten
hat zunächſt dem Kultusminiſter amtlich Bericht er=

möglich Photographien von den jüngſten großen Tages=
ereigniſſen
zu vermitteln, die neueſten Films werden
mit allen Beſchleunigungen nachgeſandt, und ſo iſt
dieſer engliſche Kientopp auf Rädern nicht nur ein
Photographietheater, ſondern ſozuſagen auch eine leben=
dige
Zeitung, die das Volk über bedeutſame Geſcheh=
niſſe
informiert, nicht nur mit Worten, ſondern durch
die Anſchauung, die ſich der Phantaſie einprägt und
in den weltvergeſſenen Weilern Geſprächsſtoff auf
Monate hinterläßt.
** Die Konkurrenz der Cellos. Ein
eigenartiges Experiment wurde jüngſt in Paris unter=
nommen
, um einen Vergleich zwiſchen der Klangſchön=
heit
alter und moderner Celloinſtrumente herbeizu=
führen
. Vor einem Auditorium, das ſich aus den vor=
züglichſten
Cellovirtuoſen und Profeſſoren des Cello=
ſpiels
von Paris zuſammenſetzte, ſpielte Pablo Ca=
ſals
ein und dasſelbe Tonſtück auf zwölf Inſtrumen=
ten
, von denen ſechs alt und ſechs neu waren. In dem
Saal herrſchte tiefe Dunkelheit, ſodaß man auch die
Form der Cellos nicht erkennen konnte. Die ſechs
alten Inſtrumente waren Werke der erlauchteſten
Geigenbauer, eines Stradivarius, Guarnerius,
Gagliano u. a. Die ſechs modernen ſtammten aus den
Werkſtätten von guten franzöſiſchen Geigenbauern und
hatten ein Alter von 125 Jahren. Nach Caſals
ſpielte ein anderer Cellovirtuoſe, Loevenſohn, ein an=
deres
Stück auf den zwölf Inſtrumenten. Die Wert=
urteile
wurden von den Schiedsrichtern in einer An=
zahl
von Punkten angegeben, die je höher waren, je
ſchöner der Ton erſchien. Das Reſultat war ein voll=
ſtändiger
Sieg der modernen Inſtrumente,
die 1484 Punkte erhielten, während den alten Cellos
nur 883 Punkte zuteil wurden. Der Preis der Inſtru=
mente
ſtand zu dieſer Bewertung in einem merkwür=
digen
Gegenſatz, denn die alten Cellos repräſentierten
eine Summe von 150000 Francs, und die ſechs neuen
eine Summe von 4000 Francs.
CK. Robert Schumann kein Alkoholi=
ker
. Zu dem von uns vor kurzem unter der Spitzmanke

ſtattet und es iſt demnächſt eine amtliche Klarſtellung
zu erwarten. In der Nacht zum Dienstag, in der
immerhin in Berlin noch 8 bis 9 Grad Celſius waren,
ſank das Thermometer in den entfernteren Vororten
und in dem größten Teil der Provinz bis unter
den Gefrierpunkt. Die Urſache dieſer Abkühlung
iſt in der ſehr ſtarken Ausſtrahlung des Erdbodens zu
ſuchen. Ueber die Wirkung wird aus der weiteren Um=
gebung
Berlins geſchrieben: Papp= und Schieferdächer,
ſowie Brücken und Wieſen waren bei Tagesanbruch
dicht mit Reif bedeckt. Empfindliche Pflanzen, Kür
biſſe, Gurken und Bohnen haben ſtark gelitten und ſind
ſtellenweiſe ganz ſchwarz geworden.
* Truppenübungsplatz Bitſch, 22. Juni. Der
König von Sachſen iſt heute abend zur Beſichti
gung ſeines Infanterie=Regiments Nr. 105 hier einge=
troffen
. Nach ſeiner Ankunft auf dem Truppenübungs
platz ließ ſich der König die Offiziere des Regiments
vorſtellen, worauf er einige Wohngebäude beſichtigte
Später begab ſich der König zur Tafel ins Offizier=
kaſino
, zu der u. a. auch der kommandierende General
von Fabek und die Offiziere des Regiments geladen
waren.
München, 22. Juni. Bei Hammelburg im Unter=
tale
ſchleuderte ein Sonntagsſchüler aus Mutwiller
einen Stein nach dem Automobil, in dem
Frau von Pfaff befand. Sie wurde von dem Stein
im Geſicht getroffen und mußte ſofort ärztliche Hil
aufſuchen.
Deſſau, 22. Juni. In der Nähe von Wegſcheid
verunglückte geſtern das Automobil des Ban=
kiers
Werner aus Villach, indem es an einer ſteilen
Stelle rückwärts zu laufen begann und umkippte.
Hierbei wurde Bankier Werner ſelbſt lebensgefährlich
verletzt. Sein Begleiter, der Privatier Metz, wurde
vom Automobil erſchlagen.
Hamburg, 22. Juni. Das Schwurgericht ver=
urteilte
den 20jährigen Gaſtwirtsgehilfen Magnus
und den 21jährigen Arbeiter Burghardt, die am 3.
April 1910 den 77jährigen Uhrmacher Leſſau gemein=
ſchaftlich
getötet und beraubt hatten, zu je vierzehn
Jahren Zuchhaus.
Breslau, 23. Juni. In Olbersdorf bei Reichen=
bach
rannte das Automobil des Rittmeiſters von
Chappuis aus Groß=Wilkau in das Fuhrwerk des
Gutsverwalters Nikolaus, welches durch den Anprall
in den Straßengraben geſchleudert wurde. Nikolaus
wurde ſchwer, ſeine Frau und eine Verwandte leichter
verletzt. Den Chauffeur ſoll an dem Zuſammenſtoß
keine Schuld treffen.
Glogan, 22. Juni. Der bekannte Graf Pückler=
Klein=Tſchirne, der zurzeit in dem Sanatorium
Friedenhain bei München untergebracht iſt, iſt, nach
bei ſeinem hieſigen Vormund eingegangenen Mitteil=
ungen
, aus der Anſtalt entwichen.
Calais, 22. Juni. Nachmittags hat das Leichen=
begängnis
der Opfer des Pluvioſe unter
allgemeiner Teilnahme ſtattgefunden. Mittags waren
der Präſident Falliéres, Miniſterpräſident Briand,
Marineminiſter Lapeyrère, Kriegsminiſter Brun, Ab=
ordnungen
des Parlaments und die fremden Marine=
attaches
, darunter der deutſche, eingetroffen. Sobald
Falliéres in der Bürgermeiſterei, wo die 27 mit der
Nationalflagge bedeckten und mit Blumen reich ge=
ſchmückten
Särge aufgeſtellt waren, erſchienen war,
wurden die Särge auf Geſchützprotzen geſtellt und, wäh=
rend
die Glocken läuteten und Geſchützdonner ertönte,
ſetzte ſich der Leichenzug unter den Klängen eines
Trauermarſches nach der Kathedrale in Bewegung. In
der Kathedrale, deren Inneres ganz mit ſchwarzen
Stoffen behängt war, wurden die Särge von Artilleri=
ſten
vor dem Chor aufgeſtellt. Links vom Chor nah=
men
Platz Präſident Falliéres und die Miniſter. In
Anbetracht der vorgerückten Stunde wurde eine Meſſe
nicht geleſen. Der Biſchof von Arras erteilte die Ab=
ſolution
. Gleich darauf ſetzte ſich der Leichenzug nach
dem Zuckerdepot in Bewegung, wo die Särge proviſo=
riſch
verbleiben. Der Bürgermeiſter von Calais, der
Marineminiſter und Präſident Falliéres hielten dort
im Namen der Stadt Calais, im Namen der franzöſi=
ſchen
Marine und im Namen des ganzen Landes Re=
den
, in denen den ruhmvoll für das Vaterland geſtor=
benen
Seeleuten Worte höchſter Anerkennung gezollt
wurden. Präſident Falliéres iſt mit den Miniſtern
wieder nach Paris abgereiſt, nachdem er noch ver=
ſchiedenen
Perſonen die Rettungsmedaille überreicht
hatte.
Petersburg, 22. Juni. Der Stadthauptmann weiſt
in einer Kundgebung darauf hin, daß trotz dem Umſich=
greifen
gaſtriſcher Erkrankungen ſich bisher kein
Cholerafall in Petersburg ereignet habe und daß
nur in wenigen Fällen choleraähnliche Vibrionen bak=

Die Erinnerungen einer Jugendfreundin Robert
Schumanns veröffentlichten Schumann=Artikel ergreift
jetzt ein Enkel des großen Komponiſten, der in Mar=
burg
in Heſſen lebende Alfred Schumann, das Wort, der
im Einverſtändnis mit ſeinen beiden Brüdern, Ferdi=
nand
und Walther, auf der Rückreiſe vom Schumann=
Feſt in Zwickau perſönlich in Heidelberg geweilt hat,
um die Zuverläſſigkeit der von der hochbetagten Schu=
mannfreundin
, des Fräulein Eliſe Ritzhaupt in Hei=
delberg
, erzählten Jugenderinnerung zu prüfen. In
unſerem Artikel war gegen Schluß der Paſſus enthal=
ten
: Schumann war ſchon damals, alſo als ganz junger
Mann, dem Alkohol in jeglicher Form wenig abhold,
und mit ſtiller Wehmut erinnert ſich Schumanns Ju=
gendgefährtin
, daß dieſer es auf Spaziergängen zum
Beiſpiel nicht verſchmäht habe, ſelbſt zur Flaſche mit
Kölniſchem Waſſer zu greifen, um ſeine krankhafte
Sucht zu ſtillen. Herr Alfred Schumann berichtet nun,
daß Fräulein Ritzhaupt gelegentlich eines ihr abge=
ſtatteten
perſönlichen Beſuches zugegeben habe, daß ſie
dieſe Erinnerung nur vom Hörenſagen wiſſe. Das
hohe Alter der ehrwürdigen Dame, die von aufrichtiger
Liebe zu Schumann durchdrungen iſt, ſo fügt der
Schumann=Enkel hinzu, macht es verſtändlich, daß ihr
die Tatſachen nicht mehr ſo genau im Gedächtnis ſind.
Der in dem fraglichen Artikel enthaltene Paſſus kann
alſo nur Anſpruch machen auf die Bewertung eines
der Erzählerin zu Ohren gekommenen, nicht erwieſe=
nen
Gerüchtes.
* Judith Herr Graetz. In der Voſſ. Ztg.
leſen wir folgende Notiz: Deutſches Theater. Infolge
plötzlicher Erkrankung des Herrn Paul Biensfeld wird die
Rolle der Judith in der heutigen Erſtaufführung von
Judith und Holofernes von Herrn Paul Graetz darge=
ſtellt
. Sind am Berliner Deutſchen Theater alle Schau=
ſpielerinnen
beurlaubt, ſo daß man Frauenrollen von
Männern ſpielen laſſen muß?

[ ][  ][ ]

Seite 4.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 24. Juni 1910.

Nummer 145.

teriologiſch feſtgeſtellt worden ſeien. Der Stadthaupt=
mann
ordnet eine ſtrenge Einführung aller möglichen
ſanitären Maßregeln an und ermahnt die Bevölker=
ung
, die Vorſchriften häuslicher Hygiene zu befolgen.
New=York, 23. Juni. In dem Vergnügungspark
von Coney Island ereignete ſich geſtern ein ſchwe=
rer
Unfall. Zwei Wagen der Vergnügungs= Ge=
birgsbahn
, die mit etwa 20 Perſonen beſetzt waren,
waren gerade auf dem höchſten Punkt der Bahn ange=
kommen
, als ſie plötzlich aus dem Gleiſe ſprangen und
in die Tiefe ſtürzten. 2 Perſonen waren ſofort
tot, 17 andere trugen mehr oder minder ſchwere Ver=
letzungen
davon. Man befürchtet, daß noch 3 der Ver=
letzten
ihren Wunden erliegen werden.
Zweite Kammer der Stände.
80. Sitzung.
St. Darmſtadt, 23. Juni.
Am Regierungstiſche: Finanzminiſter Braun
Exz., Miniſter des Innern von Hombergk zu
Vach Exz., die Geheimeräte Dr. Becker und Dr.
Beſt, Geh. Oberfinanzrat Dr. Knell.
Vizepräſident Korell eröffnet die Sitzung um
9¼ Uhr. Das Haus tritt alsbald in die Tagesordnung
ein und ſetzt die Generaldebatte über das Gemeinde=
umlagengeſetz
fort. Erſter Redner iſt Bericht=
erſtatter

Abg. Molthan:
Die Reformbedürftigkeit unſeres Gemeindeſteuer=
weſens
ſei von allen Seiten anerkannt und noch keine
Stimme habe ſich erhoben, die die Notwendigkeit diefer
Reform beſtritt. Bei den Erörterungen iſt des öfteren
über das Scheitern der Vorlage von 1904 geſprochen
worden. Vielleicht mit Unrecht. Denn die Vorlage
wies unter allen Umſtänden Lücken auf, die es nicht als
ein Unglück erſcheinen ließen, daß die Vorlage keine
Geſetzeskraft erlangte. Dieſe Lücken ſind nach menſch=
lichem
Ermeſſen ausgefüllt, namentlich in den Vor=
ſchlägen
des Ausſchußberichtes, deſſen Annahme zu er=
hoffen
iſt. Ehrenpflicht für den Landtag ſei es nun,
dafür zu ſorgen, daß das Geſetz zuſtande kommt. Wenn
der Herr Finanzminiſter geſtern dem Ausſchuß Dank
ausſprach für ſeine Arbeit, ſo gebührt nicht minder
Anerkennung der Regierung, die nicht eigenſinnig auf
ihrem Standpunkte verharrte, ſondern allen Wünſchen
und Anregungen nach Möglichkeit entgegenkam, auch
durch zahlreiche Probeveranlagungen das Beweis=
material
für die Wirkungen des Geſetzes erbrachte. Es
gibt kein Steuergeſetz, das es jedermann recht machen
kann. Man mußte ſich naturgemäß damit begnügen,
allen Wünſchen nach Möglichkeit zu entſprechen. Die
verſchiedenſten Intereſſengruppen ſind zum Wort ge=
kommen
. Heute iſt wohl die Sachlage die, daß die Ent=
ſcheidung
über die Vorlage in der Erſten Kammer
zu ſuchen ſein wird. In der Zweiten Kammer dürfte
die Verabſchiedung, nachdem der Ausſchuß bemüht
war, überall Ausgleiche zu finden, keine nennens=
werten
Schwierigkeiten bereiten. Der letzte Landtag
ſei wenig produktiv geweſen. Eine Reihe wichtiger
Geſetzesvorlagen ſei nicht zur Verabſchiedung gelangt.
Man dürfe nun nicht weiterhin dem Volke Steine
ſtatt Brot geben. (Beifall.)
Namens ſeiner politiſchen Freunde erklärt Redner,
daß ſeine Partei der Vorlage zuſtimme, inſonderheit
auch der Grund= und Gewerbſteuer. Gewiß erfülle die
Vorlage auch für ſie nicht alles, aber es wird anerkannt,
daß ſie verſchiedene Vorteile bringt. Redner geht dann
auf Einzelheiten der neuen Vorlage ein und wendet
ſich beſonders gegen die Vorſchläge des Abg. Schön=
berger
, der ſeine Wünſche in einem Sonderantrag
niedergelegt habe. Den Gemeinden werden in neuerer
Zeit Laſten auferlegt, zu denen die Einnahmen in
keinem Verhältnis ſtehen. Der Grundſatz von Leiſtung
und Gegenleiſtung läßt ſich nicht immer ganz aufrecht=
erhalten
. Die Grundſteuer muß in vollem Umfange
aufrechterhalten werden, um den Gemeinden eine
ſtabile Einnahmequelle zu verſchaffen. Der Schulden=
abzug
iſt dabei auch nach Anſicht der Landwirtſchafts=
körperſchaften
unſtatthaft. Der Steuerfreiheit der
landwirtſchaftlichen Oekonomiegebäude hingegen ſtimme
ſeine Partei zu, denn die Aufhebung derſelben würde
für die Landwirtſchaft unter allen Umſtänden als eine
ſchwere Belaſtung empfunden werden. Der Berück=
ſichtigung
des Ertragswertes, die 1904 gefehlt hat und
von der Erſten Kammer in den Vordergrund geſtellt
wurde, iſt von der Regierung bereits bei Waldungen
entſprochen worden. Damit iſt ſchon das Prinzip, daß
nur der gemeine Wert die Grundlage der Grundſteuer
bildet, durchbrochen worden. Der Antrag v. Heyl in
der Erſten Kammer, auch die Vermögensſteuer nach dem
Ertragswerte zu bemeſſen, iſt unannehmbar. Auch
auf dem heſſiſchen Städtetage wurde ein rundweg ab=
lehnender
Standpunkt eingenommen. Hingegen wurde
der Antrag Weber im Ausſchuſſe einſtimmig ange=
nommen
, daß bei dauernd landwirtſchaftlichem Grund=
beſitz
, deſſen Ertrag in keinem Verhältnis ſteht zum
gemeinen Wert, der Ertrag berückſichtigt werden kann.
Die Annahme dieſes Antrages wurde im Ausſchuß als
ein gutes Zeichen für die ganze Vorlage angeſehen.
Daß dieſe Vorteile bei ſtädtiſchem Grundbeſitz ſich nicht
ermöglichen laſſen, ſei bedauerlich. Daß mit der Auf=
hebung
des alten Gemeindeſteuergeſetzes auch das Ge=
ſetz
betr. die Steuerfreiheit der Pfarr= und Schulbeſol=
dungsgüter
aufgehoben werden ſoll, ſei ſehr bedenklich,
weil es die Kirchen ſchwer belaſte. Auch hinſichtlich der
Gewerbeſteuer, die zurzeit eine durchaus ungerechte
Belaſtung für viele Betriebe bringt, ſtrebt der neue
Entwurf eine gerechtere Verteilung der Laſten an, die
beſonders in den Ausſchußvorſchlägen zutage trete.
Schließlich geht Redner noch auf die Sonderſteuern
ein. Mit der Annahme der Warenhaus= und Filial=
ſteuer
ſoll eine gewiſſe Mittelſtandspolitik getrieben
werden, da ſie einen ſteuerlichen Ausgleich ermöglicht.
Die Regierungsvorlage habe zweifellos das Richtige
getroffen, indem ſie es den Kommunen überlaſſe, die
Warenhaus= und Filialſteuer zu erheben oder nicht.
Die Kapitalſteuer könne nicht befürwortet werden.
Redner ſchließt, wenn das Haus die Vorlage verab=
ſchiede
, erweiſe es damit den Gemeinden und dem
ganzen Lande einen großen, unvergänglichen Dienſt.
Abg. Reinhart
(ſchwer verſtändlich) will ſich nach den ausführlichen
Reden ganz kurz faſſen. Er ſpricht beſonders dem
Herrn Finanzminiſter für ſeine geſtrige erſchöpfende
und überaus treffende Rede Dank aus. Die Hoffnung,
daß es gelingen möge, die Vorlage zu verabſchieden,
hege er natürlich auch. Die ſteuerliche Belaſtung ſei
in den letzten Jahren ſehr erheblich gewachſen. Das
verpflichte um ſo mehr zu einer gerechteren Verteilung
der Laſten. Einzelne Gewerbe ſind mit Einſchluß der
durch die ſoziale Fürſorge bedingten Ausgaben mit
nahezu 30 bis 35 Prozent ihres Einkommens belaſtet.
Redner bittet, die Vorlage anzunehmen, das Haus
merde damit ein gutes Werk tun.

Abg. Schönberger
iſt nicht in der Lage, den Wünſchen der Vorredner, daß
die Vorlage in der vorliegenden Form verabſchiedet
werden möge, ohne weiteres zuzuſtimmen. Die Ein=
wände
, die er gegen das Geſetz vorgebracht habe, ſeien
weder von der Regierung, noch vom Ausſchuß wider=
legt
worden. Redner gibt dann eine eingehende Be=
gründung
ſeines Standpunktes, daß Steuern nicht vom
Vermögen gezahlt werden können, denn dann würde
dieſes aufgezehrt, ſondern nur vom Verdienſt. Die
ſtaatliche Steuergrundlage ſei die einzig richtige, denn
ſie baſiere auf der Leiſtungsfähigkeit. Auch auf dieſem
Grundſatze ließe ſich eine Stabilität in den Einnahmen
der Gemeinden erreichen. Auch der Schuldenabzug
müſſe vom Standpunkte der Gerechtigkeit aus gefordert
werden, denn Schulden ſeien keine Werte. Die Real=
ſteuern
ſeien keine Steuern der Zukunft, und wenn ſie
noch ſo ſchön eingekleidet werden. Man müſſe dieſes
Syſtem wieder verlaſſen. Schließlich tritt Redner für
die Heranziehung der Rechtsanwälte und Aerzte zur
Gewerbeſteuer ein.
Abg. Ulrich
iſt mit der Vorlage nicht in allem einverſtanden. Bei
der Gemeindeſteuer laſſe ſich das Prinzip der Leiſtung
und Gegenleiſtung nicht aufrechterhalten. In dem vor=
liegenden
Entwurf werden die Beſitzenden entlaſtet
und die weniger Beſitzenden belaſtet. Redner übt
dann zum Beweiſe deſſen Kritik an einer ganzen An=
zahl
von Einzelbeſtimmungen. Die Beſtenerung nach
dem gemeinen Wert ohne Abzug der Schulden ſei eine
ſchwere und ungerechte Belaſtung. Namentlich in den
Städten gebe es Hauseigentümer, denen eigentlich kein
Dachziegel ihres Hauſes gehört. Aehnlich ſei es mit
der Gewerbeſteuer. Zuzugeben ſei ohne weiteres, daß
der gegenwärtige Entwurf einen Fortſchritt bedeute,
aber man habe ſich noch zu ſehr an das alte Realſteuer=
ſyſtem
gehalten. In der Verabſchiedung des Geſetzes
in vorliegender Form könne er keine Ehrenpflicht er=
blicken
. Die Heranziehung der Aerzte und Rechts=
anwälte
zur Gewerbeſteuer müſſe durchaus gefordert
werden. Wenn es ſich nicht im Rahmen einer Ge=
werbeſteuer
ermöglichen ließe, müſſe man eine andere
Form, eine Art Ehrenſteuer finden. Die Warenhaus=
ſteuer
bringe keinen Vorteil für den Mittelſtand und
auch nicht für=adie Gemeinden.
Darauf wird die Sitzung um 1½ Uhr geſchloſſen.
Nächſte Sitzung: Freitag 9 Uhr.

Der Allenſteiner Mordprozeß.
Allenſtein, 22. Juni. Verteidiger Rechts=
anwalt
Bahn beantragt, ein Fräulein Neugebauer als
Zeugin zu laden. Herr von Goeben habe mit der
Dame ein Verhältnis unterhalten, und zwar noch bis
in den Sommer 1907 hinein. Die Zeugin ſoll ver=
nommen
werden. Zeuge Hauptmann Beutel=
moſer
bekundet noch, daß von Goeben ſich ſeines
Wirtes in Berlin, der krank war und eine zahlreiche
Familie hatte, in rührender Weiſe angenommen hab=
und noch nach ſeinem Weggange von Berlin für ihn
ſorgte. Hauptmann v. Haffken=Erfurt und Haupt=
mann
v. Müller=Stuttgart, die den Burenkrieg für
den Generalſtab bearbeiteten, haben dem Zeugen er=
klärt
, daß ſie Einzelheiten über verſchiedene Gefechte,
ſo namentlich über das am Spionskop, von v. Goeben
erhalten hätten, ſodaß ſie annehmen mußten, von Goe=
ben
ſei ſelbſt an der Schlacht beteiligt geweſen.
von Goeben hat dann an den Zeugen Beutelmoſer
einen Brief geſchrieben, in dem er ſich als Täter be=
kennt
und in dem es weiter heißt: Vergeſſen Sie mich
möglichſt und verſchwenden Sie kein Mitleid an mich,
ich bin deſſen nicht mehr wert. Leben Sie wohl für
immer und haben Sie Dank für das warme Intereſſe,
das Sie noch an einen Verlorenen verſchwenden! Es
wird dann nochmals der Oberförſter Kölner ver=
nommen
. Der Vorſitzende hält ihm vor, daß er von
einem ſeiner Waldwärter einen Vorfall erfahren habe,
der ſich auf die Angeklagte beziehe. Es handele ſich um
ein Zuſammentreffen mit einem Herrn. Der Zeuge
erwidert, daß der Vorfall ſich im Sommer 1907 ereignet
habe und daß er den Namen des betreffenden Herrn
kenne. Die Angeklagte behauptet, daß ſie in der frag=
lichen
Zeit nur zu Herrn von Goeben in einem Ver=
hältnis
geſtanden habe. Die Verteidiger verlangen,
daß der Zeuge den Namen jenes Herrn nenne. Nach
längerem Zögern nennt der Zeuge unter großer Be=
wegung
den Namen eines hochſtehenden Herrn in
Allenſtein. Die Angeklagte erklärt, daß der Herr ſie
nur geküßt habe. Es wird beſchloſſen, den betreffen=
den
Waldwärter als Zeugen zu laden. Der bekannte
bayeriſche Pſychiater Freiherr v. Schrenck=Notzing,
der auf Antrag der Verteidigung Herrn von Goeben
in der Unterſuchungshaft beobachtet hat, wird dann,
teilweiſe unter Ausſchluß der Oeffentlichkeit, auch für
die Preſſe, über das vernommen, was Herr von Goe=
ben
ihm über ſein Verhältnis zu der Angeklagten, die
Beweggründe und die Ausführung der Tat geſtanden
hat. Der Zeuge hat den Eindruck erhalten, daß er es
nicht mit einem Geiſteskranken zu tun hatte. Während
der Ausſagen des Zeugen wird die Angeklagte von
einer Schwäche befallen, ſodaß eine Pauſe gemacht wer=
den
muß. Nach dieſer erſcheint ſie nicht wieder und
bittet, von der weiteren Anweſenheit im Gerichtsſaale
während der Vernehmung des Freiherrn von Schrenck=
Notzing entbunden zu werden, da ſie nicht vor Män=
nern
die Auseinanderſetzungen über ihr intimes Ver=
hältnis
zu von Goeben mit anhören könne. (!) Auf
Zureden des Vorſitzenden erſcheint ſie aber wieder im
Gerichtsſaale. Freiherr von Schrenck=Notzing erzählt.
daß von Goeben ihm geſtanden habe, er habe unter dem
ſuggeſtiven Einfluß des Schwurs unter dem Tannen=
baum
die Tat begangen. Zeuge Hauptmann
Schloifer erklärt, es habe auf ihn einen nieder=
ſchmetternden
Eindruck gemacht, daß von Goeben für
die Tat, die er begangen und die in ſeinem Gehirn ge=
boren
wurde, eine Frau verantwortlich machte, die er
angeblich lange heiß geliebt hatte. Entweder war von
Goeben nicht derjenige, für den ihn ſeine Freunde
hielten, oder er war geiſteskrank. Im Namen aller
Freunde von Goebens glaube er ſagen zu dürfen: Wir
hoffen und glauben zuverſichtlich, daß das letztere der
Fall war. Hierauf werden die weiteren Verhand=
lungen
auf morgen vormittag vertagt.

Das Friedberger Attentat.
* Friedberg, 23. Juni. Ueber den grauen=
haften
Anſchlag auf das Rathaus, durch den
viele Menſchen hätten ums Leben kommen können,
wird weiter gemeldet: Kurz nach 4 Uhr erfolgte eine
weithin hörbare Detonation. Das kleine, an der
Hauptſtraße, der Kaiſerſtraße, gelegene Rathaus, das
1738 errichtet wurde, war in eine dichte Rauchwolke
gehüllt. Faſt ſämtliche Scheiben des zweiſtöckigen Ge=
bäudes
waren zertrümmert. Die Fenſterrahmen der

Parterrefenſter waren durch die Wucht und Macht des
Luftdrucks herausgeriſſen und das Dach teilweiſe ab=
geriſſen
worden. Die Bürger Friedbergs und die
Feuerwehr des Städtchens eilten ſofort zur Hilfe=
leiſtung
nach dem Ort der Exploſion. Man glaubte,
die Gasleitung habe irgendwie verſagt und es hätte
eine Gasexploſion ſtattgefunden. Aber nirgends waren
Flammen zu entdecken. Im Innern des Rathauſes ſah
es wüſt aus. Die Treppe lag in Trümmern auf dem
Boden des Erdgeſchoſſes, wodurch den in den Oberge=
ſchoſſen
weilenden Beamten es unmöglich war, aus dem
Haus zu gelangen. Anweſend waren etwa 20 Per=
ſonen
, darunter der Polizeikommiſſar Weiß, der glück=
licherweiſe
, wie viele der übrigen Beamten, gleichwie
durch ein Wunder mit dem bloßen Schrecken davonkam.
Der Bürgermeiſtereiſekretär Graulich wurde an die
Wand geworfen und durch Glasſplitter im Geſicht ver=
letzt
. Auch der Rathausdiener Geißler erlitt eine leichte
Verletzung. Die Feuerwehr befreite die Beamten aus
ihrer Zwangslage. Sämtliche Perſonen wurden über
Leitern auf die Straße gebracht. Die Recherchen führ=
ten
dazu, daß unter die Treppe ein Sprengkörper,
wahrſcheinlich eine Bombe mit Zündſchnur, gelegt
worden und zur Exploſion gebracht worden war.
Faſt zur gleichen Zeit, als die Bevölkerung des
ſonſt ſo ſtillen Städtchens nach der Exploſionsſtätte
eilte, ereignete ſich am anderen Ende der gleichen
Straße ein dreiſter Raubverſuch im Reichs=
bankgebäude
. Das noch neue Gebäude, das zum
großen Teil Privatzwecken dient, iſt zirka 500 Meter
von dem Rathaus entfernt und auf der gleichen Seite
wie dieſes gelegen. In den der Bank dienenden
Räumen ſind tagsüber nur zwei Perſonen heſchäftig
Der Portier Langer hatte gegen 4 Uhr eine Beſorgung
zu machen, und es war in der Bank nur der Diret
tor Meyer anweſend, als ein Fremder mit einer
Larve vor dem Geſicht und vorgehaltenem Re=
volver
eindrang. Der Attentäter, der offenbar den
Augenblick abgepaßt hatte, wo ſich der Portier ent
fernt hatte, gab auf den Direktor zwei Schrotſchüſſe ab=
und verletzte ihn an der Stirn. Meyer erfaßte ſofort
den Ernſt der Situation und trat dem Eindringling
mutig entgegen, indem er ihn nach der Tür drängte
Durch die Schüſſe des Täters und die Hilferufe des
Ueberfallenen) wurde bald die Nachbarſchaft auf die
Vorgänge innerhalb des Hauſes aufmerkſam, und es=
eilten
der Schloſſer Heſtermann und der Gaſtwirt
Scheibel herbei. Der Schloſſer hielt die Hoftüre zu,
weil er glaubte, es handele ſich um einen Einbruch. Da=
kam
von drinnen ein Mann heraus und rief: Sagen=
Sie mal, da in dem Haus muß was paſſiert ſein. Sehen
Sie mal nach! Heſtermann öffnete bereitwilligſt das
Tor und ließ den Unbekannten, den er in Gefahr
glaubte, heraus. Er begab ſich dann mit dem Wirt in
das Haus. Unterdeſſen beſtieg der Fremde eines der
zwei vor dem Bankgebäude ſtehenden Fahrräder und
fuhr in der Richtung Ockſtadt=Nauheim davon.
Heſtermann und Scheibel wurde bei ihrer Ankunft
in dem Hausinnern von Meyer ſogleich bedeutet, was
vorgefallen ſei. Wirt und Schloſſer machten ſich an die
Verfolgung des Unbekannten. An der Ver=
folgung
beteiligte ſich alsbald eine Menge Einwohner
Die Schutzleute Zulauf und Bender und der Milch=
händler
Laubach beſtiegen ein Auto, das zufällig in der
Kaiſerſtraße hielt und mit raſendem Tempo dem ſchon
einen großen Vorſprung beſitzenden Radfahrer nach=
fuhr
. Etwa in der Nähe des Bad Nauheimer Fried=
hofes
war man dem Radler dicht auf den Ferſen. Beu=
der
rief: Den Hund ſchießen wir tot. Der Radfahrer
ſtieg ab, warf ſein Vehikel ins Feld und lief querfeld
ein über einen Kartoffelacker, hinter ihm die Verfolger.
Plötzlich kniete der Räuber nieder, ein Schuß krachte
und der Unbekannte fiel röchelnd zu Boden. Er hatte
ſich in die Schläfe geſchoſſen. Die Kugel drang auf der
anderen Seite des Kopfes heraus. Noch lebend wurde
der Verletzte in ein Nauheimer Spital gebracht, wo er
alsbald ſeinen Geiſt aufgab und verſchied. Auf der
Flucht durch die Hauptſtraße Friedbergs hatte der Täter
drei Schüſſe auf ſeine Verfolger abgegeben
und einen 13jährigen taubſtummen Schloſſerlehr=
ling
in die Magengegend tödlich getroffen.
Der Junge ſtarb noch am Abend.
Die Ermittelungen führten zu überraſchen=
den
Reſultaten. Die Behörde nimmt mit vollſter Be=
ſtimmtheit
an, daß der Täter auch vor kurzem das
Attentat gegen das Haus des Bankiers
Majer in Frankfurt, Unterlindau Nr. 2, verübt
hat. Zunächſt wurde feſtgeſtellt, daß an dem Bankge=
bäude
noch ein Fahrrad ſtand, das am Vormittage dem
Wirt Philipp Steinhäuſer in Friedberg geſtohlen wor=
den
ſein ſoll. An dem Rad befanden ſich noch zwei=
Bomben, die an der Werkzeugtaſche angebracht waren
Die weiteren Recherchen ergaben, daß der bis dahin
Unbekannte ſich unter dem Namen eines Kaufmanus
Schmitt aus Darmſtadt am 15. d. M. in dem Burghotel
einlogiert hatte und dort bis geſtern wohnte. Er
mehrmals mit einem etwa 20 Jahre alten, gutgeklei=
deten
Mann in der Reichskrone in Friedberg. Letzterer
wurde geſtern vormittag geſehen, als er mit einem
Karton, den er höchſt vorſichtig trug, über die Kaiſer=
ſtraße
ging. Seitdem iſt dieſer Mann, der augenſchein
lich ein Helfershelfer des angeblichen Schmitt iſt, ſpur=
los
verſchwunden. Bei der Leiche des Selbſtmörders=
wurden
außer einem Revolver eine Browningpiſtole,
über 4700 Mark in bar und Legitimationspapiere auf
den Namen eines Chauffeurs Bartenſtein aus
Halle a. d. S. gefunden. Es trafen in Friedberg=
alsbald
der Oberſtaatsauwalt Lang aus Gießen, Ge=
richtschemiker
Dr. Popp=Frankfurt, Polizeiaſſeſſor Dr.
Auerbach und die Kriminalkommiſſare Wieland und
Brummund ein. Die Exploſionsſtätte wurde photo=
graphiſch
aufgenommen und die Sprenggeſchoſſe, die
an dem Rad des Täters waren, ins Rathaus gebracht
und in Waſſer gelegt. Der Täter, der Selbſtmord ver=
übte
, iſt etwa 24 Jahre alt. Er wird heute nach dem
Bertillonſchen Syſtem gemeſſen und es werden von
ihm Fingerabdrücke genommen, um ſeine Perſonalien
noch genauer ermitteln zu können. Sicher hat der
Täter das in ſeinem Beſitz befindliche Geld durch ein
Verbrechen erlangt. Im Rathaus ſelbſt wurden Teile=
des
Sprengkörpers gefunden, u. a. auch eine Hülſe, auf
der in fremder Sprache ſteht, daß man den Dechel ab=
heben
ſoll, wenn man ſich der Batterie bediene. Man=
vermutet
, daß die Täter in Friedberg noch Gepäck
zurückgelaſſen haben. Es wurde ſogleich das Zimmer,
in dem der angebliche Bartenſtein logierte, durchſucht,
Die Schrift, mit der ſich der Täter als Schmitt ins
Fremdenbuch eintrug, iſt ſehr zierlich und ſoll den
Schriftzügen ähneln, die in Erpreſſerbriefen enthalten
ſind, welche jetzt an den Bankier Mejer in Frankfurt
nach dem Bombenanſchlag gerichtet wurden. Die Be=
hörde
bemüht ſich nach allen Kräften, den Helfershelfer
des Bartenſtein zu ermitteln. Der Reichsbank in
Friedberg wurde nichts geraubt.
* Friedberg, 23. Juni. Bankvorſteher
Meyer wurde nach ſeiner Wohnung verbracht. Die

[ ][  ][ ]

Nummer 145.
Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 24. Juni 1910.
Seite 5.
Verletzungen; die er erlitten hat, ſind ſchwer, aber nicht
von der Schweſter des großen Blaiſe Pascal, Mme. Périer,
Der Kaiſer in Kiel.
lebensgefährlich. Eine Kugel blieb in der Stirne

ſtecken und wird entfernt werden können; außerdem
hat ihn ein Streifſchuß an der Naſe verletzt. Er hat
ſtarkes Wundfieber. Der Bankräuber war ein ſehr
elegant gekleideter junger Mann. Er wohnte ſeit acht
Tagen im Burghotel. Vorher hielt er ſich in Frank=
furt
anf. Bei der Leiche fand man auch ein Notizbuch,
in welchem eine Anzahl von Frankfurter Bauk=
firmen
verzeichnet ſind, bei denen wohl gleichfalls
Einbruchsdiebſtähle beabſichtigt waren.
Das Rathaus wurde in einem Zuſtande der
Verwüſtung aufgefunden. Die Wände ſind teilweiſe
geknickt, die Decken geriſſen, im Archiv, das der
Treppeneinſturz bloßgelegt hat, ſind die Regale einge=
ſtürzt
; die alten Bücher und Akten liegen wirr durch=
einander
. Die Bombe war direkt unter den Treppen=
aufgang
gelegt worden. Der Täter hatte die nur etwa
25 Zentimeter lange Zündſchnur in Brand geſetzt, war
dann auf ſein Rad geſtiegen und nach dem Hotel Burg=
hof
gefahren, wo er ſeit dem 15. Juni logierte. Gleich
darauf erſchien der Attentäter wieder in der Reichs=
bank
, um den geſchilderten Raubverſuch auszuführen.
Kommiſſar Wieland äußerte den Gedanken, daß zwi=
ſchen
dem Frankfurter Attentat vom 14. Juni
in der Bockenheimer Landſtraße und dem Friedberger
ein Zuſammenhang beſtehe. In der Tat wurde in
Friedberg eine gleiche Bombe verwendet wie in Frank=
furt
. Sie ſind gleich geartet, auch die chemiſche Unter=
ſuchung
, die der Gerichtschemiker Dr. Popp führt,
dürfte das ergeben. Feſtgeſtellt iſt, daß an beiden
Verbrechen zwei Perſonen mitgewirkt haben. Der
Bankvorſteher Meyer, der noch nicht recht vernehmungs=
fähig
war, will zwei Perſonen geſehen haben, von
anderer Seite wird das beſtätigt. Bartenſtein wohnte
ſeit dem 15. Juni im Hotel Burghof. Im Ofen des
Zimmers, das Bartenſtein bewohnte, fand man eine
grün überzogene Papphülle, auf der in deutſcher, eng=
liſcher
und franzöſiſcher Sprache zu leſen iſt: Dieſe
Hülle iſt abzunehmen, bevor die Batterie in Gebrauch
genommen wird. Auch ſonſt machte ſich der Attentäter
im Hotel verdächtig; er verſtopfte alle Schlüſſellöcher in
ſeinem Zimmer mit Papier. Die Polizei fahndet jetzt
eifrig nach dem zweiten Verbrecher, der im gleichen
Alter wie Bartenſtein ſtehen ſoll. Er wohnte nicht mit
dieſem zuſammen, vielleicht in Nauheim oder in Frank=
furt
. Täglich trafen ſich die beiden an einem anderen
Orte. Nach dem Attentat ſoll er ſich umgekleidet und
die Stadt im Sportkoſtüm verlaſſen haben. Wohin
iſt unbekannt.
* Friedberg, 23. Juni. Der Hauptzeuge, der
Bankvorſteher Meyer, iſt noch nicht ganz vernehm=
ungsfähig
, doch iſt ſein Geſundheitszuſtand gut. Sei=
nem
Kaſſenboten, der ihn aufſuchte, hat er den Her=
gang
des Ueberfalles geſchildert. Danach kam
der Fremde mit einem Revolver in der Rechten und
einer Larve über dem Geſicht ins Treſorzimmer ge=
ſtürzt
. Meyer ließ die Kaſſenſcheine, die er eben zählte,
fallen und ſchlug mit der einen Hand nach dem Revol=
ver
, den loszudrücken ſich der Angreifer anſcheinend
ſcheute. Mit der anderen Hand riß er ihm die Larve
vom Geſicht. So kam es zum Handgemenge. Meyer
verſuchte dann ſeinen Gegner dem Fenſter zuzu=
drängen
, das nach der Straße hinausgeht, um ſich durch
Hilferufe bemerkbar zu machen. Das gelang ihm aber
nicht. Der Attentäter ſperrte vielmehr ſeinem Gegner
den Ausgang zu, der ſeparat das Treſorzimmer mit
dem Vorplatz verbindet. Nun ſtieß Meyer, der ſchon
verletzt war, die Türe auf und ſchrie um Hilfe. Noch
ehe die Situation recht geklärt war, floh der Räuber.
Im Fliehen feuerte er zwei Schüſſe ab, von denen einer
Meyer an die Stirn traf. Dies war ein Schrotſchuß.
Eine Kugel, die dem zweiten Schuß entſtammte, fand
man im Zimmer vor. Daraus iſt zu entnehmen, daß
der Attentäter ſeinen Revolver gemiſcht geladen hatte,
mit Kugeln und Schrot. Draußen vor dem ſchmalen
eiſernen Toreingang hatte ſich inzwiſchen eine große
Anzahl von Perſonen angeſammelt, die den Eingang
verſperrten. Der Attentäter kam in ſchnellem Lauf
heraus. Mit den Worten: Macht Platz! Macht Platz!
Drinnen iſt jemand geſchoſſen, für den ich Hilfe holen
muß paſſierte er die Menge, ſprang auf ein Rad und
fuhr davon. Er erwiſchte dabei, wie ſchon gemeldet, ein
falſches Rad, das zufällig an der Trottoirkante lehnte.
Sein eigenes Rad mit dem Päckchen, in dem ſpäter die
beiden Bomben gefunden wurden, ſtand einige Schritte
davon. Draußen war, während ſich der Raubanfall in
der Reichsbank abſpielte, ein nummerloſes Automo=
bil
langſam die Straße auf= und abgefahren. Als der
Fremde mit dem Rad davonfuhr, rief man dem Auto=
mobiliſten
zu, er möge dieſen verfolgen. Das Automo=
bil
fuhr auch den gleichen Weg, lenkte aber ſpäter in die
Landſtraße Roßbach-Homburg ein. Zweifellos ſtand
dieſer Automobiliſt mit dem Räuber in Verbindung.
Es unterliegt jetzt keinem Zweifel, daß die Täter,
die die Exploſion in Friedberg verurſacht haben, die=
ſelben
ſind, die am 14. dieſes Monats die Urheber der
Exploſion in der Villa des Bankiers Alex.
Majer in Frankfurt Bockenheimer Landſtraße
Nr. 20, waren. Herr Majer erhielt nämlich zu der Zeit
des Attentats einen Droh= und Erpreſſerbrief,
in dem er aufgefordert wurde, eine beſtimmte größere
Summe Geld an eine in dem Briefe angegebene Adreſſe
in Antwerpen zu ſenden. Dieſe Antwervener Adreſſe
wurde auch bei dem Erſchoſſenen gefunden; außerdem
wurde noch eine ganze Anzahl Adreſſen von bekannten
Frankfurter Geldleuten bei ihm gefunden, auf die es
die Verbrecher abgeſehen hatten. Die Staatsanwalt=
ſchaft
Gießen, die zuſtändig iſt für die Unterſuchung des
Falles, bearbeitet die Sache in Gemeinſchaft mit der
Frankfurter Kriminalpolizei. Es ſteht feſt, daß die
Verbrecher vor dem Attentat in der Bockenheimer Land=
ſtraße
ſich mehrere Tage in Frankfurt aufgehalten
haben. Die Polizei iſt bemüht, ihren dortigen Aufent=
halt
feſtzuſtellen. Auf eine Anfrage in Halle wird
uns mitgeteilt, daß der Chauffeur Bartenſtein bei der
dortigen Polizei nicht gemeldet und auch ſonſt nichk
bekannt iſt. Die Kriminalpolizei in Halle hat ebenfalls
eine Unterſuchung eingeleitet. (Frkf. Ztg.)
* Friedberg, 23. Juni. Der Komplize des
Bartenſtein hat nicht mit ihm zuſammengewohnt,
ſondern in Bad Nauheim oder in Frankfurt am Main;
nach dem Ueberfall ſoll er die Stadt im Sportkoſtüm
verlaſſen haben. Beide waren gut mit Bomben ver=
ſehen
.
* Friedberg, 23. Juni. Das Berliner Tage=
blatt
meldet: Der im Burghotel abgeſtiegene Fremde,
der dort unter dem Namen eines Reiſenden Schmidt
eingetragen war, iſt nicht identiſch mit dem Atten=
täter
, der ſich erſchoſſen hat, ſondern ſein vielgeſuchter
Komplize. Der angebliche Schmidt wurde in Bad
Homburg verhaftet und nach Friedberg trans=
portiert
.

* Kiel, 23. Juni. Die Hohenzollern mit dem
Kaiſer an Bord traf um 10 Uhr 30 Min. vor den
Schleuſen von Holtenau ein. Nach erfolgter Durch=
ſchleuſung
dampfte die Kaiſerjacht unter Salut der
Flotte in den Kriegshafen, durchfuhr die Reihen der
unter Toppflaggen liegenden Kriegsſchiffe, deren
Mannſchaften Paradeaufſtellung genommen hatten, und
machte ſodann an der gewohnten Liegeſtelle vor der
Reventlowbrücke feſt.
* Kiel, 23. Juni. Die Kronprinzeſſin iſt
heute vormittag von ihrem Beſuch in Dänemark hier=
her
zurückgekehrt. Der Kronprinz und Prinz
Adalbert von Preußen ſind ebenfalls heute vormittag
aus Ober=Sasbach wieder hier eingetroffen.
* Kiel, 23. Juni. Das Wetter iſt regneriſch. Bei dem
Einlaufen der Hohenzollern ſtand der Kaiſer auf der
Kommandobrücke und grüßte die fremden Dampfjachten
und Rennboote durch Abnahme der Mütze. Unmittelbar
hinter der Hohenzollern lief die Dampfjacht Alice mit
dem Fürſten von Monaco ein. In Hamburg hatte ſich auf
die Hohenzollern der Geſandte in Hamburg, Graf von
Goetzen, eingeſchifft. Geſtern abend empfing der Kaiſer
an Bord der Hohenzollern den Präſidenten des Kanal=
amtes
Dr. Kautz und den Kommiſſar für den Kaiſer
Wilhelm=Kanal Konteradmiral von Bredow: beide wur=
den
zur Abendtafel geladen. Nachdem die Hohenzollern
feſtgemacht, nahm der Kaiſer eine Reihe militäriſcher Mel=
dungen
entgegen, darunter diejenigen der Admirale v. Tir=
pitz
, v. Fiſchel, Graf v. Baudiſſin, v. Prittwitz und Gaffron
und v. Holtzendorff, ferner die des bisherigen franzöſiſchen
Marine=Attachés Fregattenkapitän Dandrezel und des
neuernannten franzöſiſchen Marine=Attachés de le Fayolle.
Dandrezel erhielt den Kronenorden zweiter Klaſſe. Der
Kaiſer empfing die Meldung des Generalmajors Kämpfer.

Der Trauerfall im Kaiſerhauſe.
* Villa Hochfeld, 22. Juni. Der Kron=
prinz
und Prinz Adalbert von Preußen
wurden bei ihrer Ankunft von der Kaiſerin am Portal
der Villa empfangen, worauf ſich die Herrſchaften ſo=
fort
ins Sterbezimmer begaben, wo ſie längere Zeit
verweilten. Um 1 Uhr 30 Minuten begaben ſich die
Kaiſerin der Kronprinz, Prinz. Adalbert von
Preußen, Prinz Auguſt Wilhelm mit Gemahlin, Her=
zog
Günther zu Schleswig=Holſtein mit Gemahlin,
ſowie die nähere Umgebung der Kaiſerin nach dem
Erlenbad zum Diner, worauf ſie nach der Villa
wieder zurückkehrten. Der Kronprinz und Prinz Adal=
bert
von Preußen ſind um 3 Uhr mittels Automobils
abgereiſt. Die Ueberführung der Leiche nach
Achern erfolgt um 5 Uhr und von da im Extrazug nach
Primkenau in Schleſien. Herzog Ernſt Günther zu
Schleswig=Holſtein wird die Leiche begleiten.
* Karlsruhe, 22. Juni. Der Hofbericht der
Karlsruher Zeitung meldet: Der Großherzog hatte
den dienſttuenden Kammerherrn Grafen von Hennin
nach Achern entſandt, um die Kaiſerin bei ihrer
Ankunft zu empfangen und ihr und ihren Geſchwiſtern,
insbeſondere dem Herzog Ernſt Günther zu Schleswig=
Holſtein, die Teilnahme der großherzoglichen Familie
zu übermitteln. Die Großherzogin Luiſe hatte die Hof=
dame
Freiin v. Rotberg und den Oberhofmeiſter Grafen
von Andlaw nach Ober=Sasbach entſandt. Der Groß=
herzog
gedenkt ſich morgen nachmittag nach Ober=
Sasbach zu begeben, um an der Trauerfeier teilzu=
nehmen
.
* Achern, 23. Juni. Um halb 12 Uhr iſt die
Herzogin zu Sonderburg=Glücksburg
Schweſter der deutſchen Kaiſerin, hier eingetroffen.
Sie wurde am Bahnhof vom Hofmarſchall empfangen
und fuhr im offenen Wagen nach Ober=Sasbach nach
der Villa Hochfeld.

Stimmen aus dem Publikum.
(Für die Veröffentlichungen unter dieſer Ueberſchrift übernimmt die Redaktion
keinerlei Verantwortung; für ſie bleibt auf Grund des § 21 Abſ. 2 des
Preßgeſetzes in vollem Umfange der Einſender verantwortlich.)
Täglich kann man die Beobachtung an der Tech=
niſchen
Hochſchule machen, wie wahnſinnig ſchnell ver=
ſchiedene
Radfahrer auf dem Holzpflaſter der Hochſchulſtraße
dahinradeln. Paſſanten werden dadurch oft in die recht
unangenehme Lage gebracht, überfahren zu werden. Aller=
dings
ſcheinen ernſte Unglücksfälle noch nicht vorgekommen
zu ſein; man ſoll dieſen aber auch lieber vorbeugen, ehe es
zu ſpät iſt. Deshalb muß hier die Polizei wegen zu
ſchnellen Fahrens eingreifen, damit dem Uebel bald abge=
holfen
wird.
O. S.

Vermiſchtes.
C. K. Die erſten Omnibuſſe. Anatole France
veröffentlicht in den Annales eine intereſſante, kultur=
geſchichtliche
Reminiszenz, die ſich mit der Erfindung des
Omnibus, dieſes uns heute ſo unentbehrlichen Beför=
derungsmittels
, beſchäftigt. Die erſten Mietwagen erſchie=
nen
1645 auf den Straßen von Paris. Ein Mann namens
Sauvage hatte ſie eingerichtet, doch die undankbare Nach=
welt
hat das Andenken an dieſen beſcheidenen Wohltäter
der Menſchheit der Vergeſſenheit überantwortet. Labat
erzählt in ſeinen Reiſen in Spanien und Italien von
dieſen erſten Mietsgefährten: Man nannte ſie die
Wagen zu fünf Sous weil man nicht mehr als fünf
Sous für die Stunde bezahlen mußte. Sechs Perſonen
hatten in einem ſolchen Wagen Platz; da es noch keine
Laternen in den Straßen gab, ſo befand ſich zur Linken
des Kutſchers eine Fackel, die des Abends angezündet
werden konnte. Dieſes Licht und das Knarren und Klap=
pern
der ungefügen Karoſſe bewirkten, daß man ſie ſchon
von weitem ſah und hörte. Ihr Schutzpatron wurde der
Heilige Fiacre, deſſen Namen denn die Wagen auch nach
einiger Zeit erhielten. Dieſe Karoſſen, die auch dem Bür=
ger
, der nicht ſo begütert war, die Möglichkeit gewährten,
in einem bisher nur den Reichen vorbehaltenen Wagen zu
fahren, hatten großen Erfolg, ſodaß bereits im Jahre 1657
ein Herr de Civry ein königliches Privileg erhielt, von
7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends auf allen Wegen
Mietswagen fahren zu laſſen. Der beſcheidene Preis von
5 Sous war freilich bereits aufgegeben; die erſte Stunde
koſtete 25 Sous, jede der folgenden 20. Aus der In=
ſtitution
der Droſchken iſt nun als eine notwendige Er=
gänzung
raſch der Omnibus entſtanden. Eine Miets=
karoſſe
koſtete doch für einen ganzen Tag eine beträchtliche
Summe; ſo richtete man denn, um auch den Armen das
Vergnügen einer Wagenfahrt zu machen, regelmäßig ver=
kehrende
Wagen ein, die von jedermann benutzt werden
konnten. Einige hohe Ariſtokraten, der Herzog von Roan=
nez
, der Marquis von Sourghes und der Marquis von
Crenan, erhielten dafür ein Privileg, das vom 19. Januar
1662 ausgeſtellt iſt. Eine ganze Anzahl reicher Bürger
war finanziell daran beteiligt, ſo auch die Familie Pascal;

iſt uns eine ausführliche Schilderung der erſten Omnibus=
fahrten
erhalten. Die Omnibuſſe erhielten nun den für
die Droſchken nicht mehr paſſenden Namen Wagen zu
fünf Sous Am 21. März unternahmen die erſten ſieben
Omnibuſſe, prächtig geſchmückt und von hübſch gekleideten
Kutſchern gelenkt, ihre Probefahrten. Wo ſie hinkamen,
machten ſie gewaltiges Aufſehen; tauſende von Neugieri=
gen
ſcharten ſich an den Wegen und die Handwerker ſpran=
gen
von ihrer Arbeit auf, um den ſtattlichen Gefährten ein
paar Witzworte nachzurufen. Seitdem iſt der Omnibus zu
einer wohlvertrauten Erſcheinung nicht nur in den Straßen
von Paris, ſondern ganz allmählich von allen größeren
Städten geworden.

Literariſches.
Deutſche Rundſchau für Geographie
und Statiſtik. Unter Mitwirkung hervorragender
Fachmänner herausgegeben von Prof. Dr. Fr. Um=
lauft
. 32. Jahrgang 1909/10. (A. Hartlebens Ver=
lag
in Wien, jährlich 12 Hefte zu 1,15 Mk. Heft 8.
Jedes neue Heft der Deutſchen Rundſchau für Geo=
graphie
und Statiſtik bringt eine ſolche Menge inter=
eſſanter
geographiſcher Originalaufſätze von hervor=
ragenden
Fachſchriftſtellern und aktueller Mitteilungen
vom ganzen Erdenrund, daß ſich ihr an Reichtum und
Mannigfaltigkeit des Inhalts kaum eine andere geo=
graphiſche
Zeitſchrift zur Seite ſtellen kann. Nicht nur
aber, daß ſie jeden Zweig der Erdkunde im weiteſten
Sinne pflegt, ſo iſt ſie auch mit zahlreichen vorzüglicher
Illuſtrationen nach photographiſchen Aufnahmen aus=
geſtattet
. Dazu kommen regelmäßig Karten über neueſte
Forſchungsreiſen oder zur Erläuterung phyſikaliſcher
und ſtatiſtiſcher Verhältniſſe als Beilagen, häufig auch
noch überdies im Texte.
Die Neue Preußiſche Jagdordnung
nebſt Ausführungsbeſtimmungen. Amtliche Faſſung
Taſchenformat. Geſetzverlag L. Schwarz u. Ko., Ber=
lin
S. 14, Dresdenerſtraße 80. Preis 1 Mk. Die Kennt=
nis
dieſes Geſetzes iſt für jeden Jäger, Jagdpächter
und =Verpächter uſw. dringend erforderlich, und die
Anſchaffung des handlichen Buches als nützlich zu
empfehlen.
Die Ueber=Ente. Ein luſtig=toller Flug=
rekord
von 300 neuen, meſchuggenen Enten, ſo von allerlei
Zeitungen unfreiwillig losgelaſſen wurden. Arrangiert
unter Protektorat von Felix Schloemp. Mit ur=
komiſchen
Illuſtrationen und Umſchlag von C. O. Pe
terſen. Verlag von Georg Müller in München. 1910
Preis geh. 2 Mk., geb. 3 Mk. Es galt, den Rekord aus=
gelaſſenſter
Luſtigkeit zu brechen, den der Heraus=
geber
dieſer Ueber=Ente im Vorjahre durch ſeine
köſtliche Sammlung unfreiwilliger Zeitungskomik Die
meſchuggene Ente aufgeſtellt hatte. Und das tollkühne
Wagnis ſcheint durch dieſe wahnſinnig=komiſche Ueber=
Ente glänzend geglückt zu ſein. Nicht nur, daß dieſe
Ueber=Ente inbezug auf den Umfang um 100 Enten=
längen
über ihre meſchuggene Schweſter hinausfliegt,
ſondern auch die Draſtik und Schlagkraft der Pointen
iſt wieder ſo unwiderſtehlich=komiſch, daß jeder, der
auch nur eine Seite in dem Büchlein geleſen hat, herz=
lich
lachen muß.

Letzte Nachrichten.
(Wolffs telegr. Korreſp.=Bureau.)
* Berlin, 23. Juni. Die Deutſche Bank teilt
angeſichts der in der Offentlichkeit angezweifelten, von Di=
rektor
v. Gwinner im Herrenhauſe gemachten Angaben
über den Beſitz der Deutſchen Bank an deutſchen Anleihen
und Schatzanweiſungen mit, ſie habe deutſche Anleihen
und Schatzanweiſungen im Nennbetrage von mehr als
157 Millionen Mark gehabt. Dieſe Beſtände ſeien, wie aus
den Jahresberichten der Deutſchen Bank erſichtlich, in ver=
ſchiedenen
Konten enthalten.
* Truppenübungsplatz Bitſch, 23. Juni. Auf dem Trup=
penübungsplatz
nahm heute vormittag der König
Friedrich Auguſt von Sachſen die Beſichtig=
ung
ſeines Infanterie=Regiments Nr. 105 vor und
zwar in der üblichen Form mit Paradeaufſtellung und
Vorbeimarſch. Hierauf begab ſich der König an der
Spitze der Fahnenkompagnie nach dem Lager zurück.
An dem um 12 Uhr folgenden Frühſtück nahmen das
Offizierkorps des Infanterie=Regiments Nr. 105, ſo=
wie
die Stabsoffiziere des Infanterie=Regiments Nr.
136 teil. Die Abfahrt Sr. Majeſtät im Automobil
nach Reichshofen=Wörth iſt auf 2 Uhr 30 Min. ange=
ſetzt
. Von Niederbronn aus erfolgt die Rückreiſe des
Königs über Hagenau-Frankfurt a. M. nach Dresden.
Der Kommandant des Uebungsplatzes Bitſch, General
major Bock, erhielt das Komturkreuz 1. Kl. des ſächſi
ſchen Hausordens, der Adjutant Oberleutnant Scheele
vom Infanterie=Regiment Nr. 138 den Albrechtsorden
* Stuttgart, 23. Juni. Nachdem der Reichs=
kanzler
vom Königspaar in Audienz empfangen und
zu der Tafel zugezogen war, beſichtigte er noch das
Jagdſchloß Bebenhauſen und verabſchiedete ſich dann
vom König. Um 3.20 Uhr fuhr der Kanzler nach Stutt=
gart
zurück, iſt um 5 Uhr hier eingetroffen und hat ſich
zunächſt in ſein Hotel begeben.
* Weimar, 23. Juni. Geſtern ſtarb in Interlaken,
wohin er ſich zur Kur begeben hatte, der General der
Artillerie Max Edler von der Planitz.
* Breslan, 22. Juni. Die hieſigen Maurer
haben den Schiedsſpruch der Unparteiiſchen einſtimmig
abgelehnt und mit 708 gegen 84 Stimmen be=
ſchloſſen
, morgen in einen Streik einzutreten.
* Wien, 23. Juni. Im Abgeordnetenhauſe
wurde bei der Verhandlung über die Minoritätsan=
träge
und Reſolutionen der Minoritätsantrag Stanek,
betreffend Verſtaatlichung, beziehungsweiſe Subven=
tionierung
tſchechiſcher Privatſchulen in Wien, in
namentlicher Abſtimmung mit 208 gegen 204 Stimmen
abgelehnt.
* Wien, 23. Juni. Etwa 400 deutſch=nationale Stu=
denten
veranſtalteten heute vormittag vor dem Parlament
einen Demonſtrationsbummel gegen die Errich=
tung
einer italieniſchen Rechtsfakultät in Wien. Eine Ab=
ordnung
überreichte dem Deutſchnationalen Verbande eine
Proteſtreſolution.

Schlangenbad (Taunus), 23. Juni. Frau Exz
von Kroſigk und deren Schweſter, Frau von Knebel,
wurden von einer Frau v. Kroſigk gehörenden Dogge
angefallen und furchtbar zerfleiſcht; erſt als der
Sohn der Frau von Knebel zur Hilfe eilte, ließ das
wütende Tier ab. Der Hund wurde ſofort getötet.
Nürnberg, 23. Juni. 600 Arbeiterinnen der
Patentſtift=Induſtrie haben ihre Arbeit nieder=
gelegt
, nachdem ihnen eine Lohnerhöhung von 20
Prozent verweigert worden war.
Augsburg, 23. Juni. Das Hochwaſſer des
Lech richtet immer größeren Schaden an. Bei Hochzol

[ ][  ][ ]

Seite 6.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 24. Jnni 1910.

Nummer 145.

wurden ſechs Häuſer weggeſpült; das große Elektrizi=
tätswerk
der Spinnerei Stadtbach iſt ſchwer gefährdet.
Kattowitz, 23. Juni. Die unweit Toſaszow in
Ruſſiſch=Polen gelegenen, dem Fürſten zu Hohenlohe=
Oehringen gehörigen Güter und Waldungen wurden
von einem furchtbaren Hagelwetter heimge=
ſucht
. 5000 Schafe und Lämmer, eine Menge Rehe und
Hirſche, ſowie Haſen wurden tot aufgefunden. Fünf
Hirten wurden von Eisſtücken erſchlagen.

Wenn ich irgend etwas aufrichtig loben ſoll,
dann ſind es Fays ächte Sodener Mineral=Paſtillen
Kein Menſch hat wohl mehr unter Erkältung gelitten,
als ich. Jede Jahreszeit hat mir mindeſtens einen
ſoliden Katarrh gebracht. Seit ich aber Fays ächte

Sodener regelmäßig gebrauche, weiß ich kaum noch,
was Katarrhe ſind, und ſtellt ſich doch mal eine
Indispoſition ein, ſo werd’ ich ſie mit Hilfe meiner
Fays ächten Sodener auch ſchleunigſt wieder los.
Dieſelben kauft man für 85 Pfg. in allen ein=
ſchlägigen
Geſchäften, laſſe ſich aber unter keiner
Bedingung Nachahmung aufſchwatzen. (12708M
eDie richtige Sommer=Nahrung! Eine beſonders
paſſende Nahrung für den Sommer iſt Mon=
damin
=Milchflammeri, mit geſchmortem Obſt
ſerviert. Solche Nahrung enthält alle nahrhaften Eigen=
ſchaften
des friſchen Obſtes in Verbindung mit der guten
Mondamin=Milchkoſt und ſtets ſollte bedacht werden,
daß die Zugabe von Mondamin die Milch verdaulicher
macht. Für eine leckere Mittags=Süßſpeiſe empfehlen wir
den immer willkommenen Mondamin=Milchflammeri, zu
welchem geſchmorte Erdbeeren, Kirſchen oder Johannis=
beeren
, je nach der Jahreszeit, gereicht werden können. Eben=
ſo
ſehr begehrt ſind die natürlichen Mondamin= Frucht=
flammeris
, wozu man ſich den Obſrſaft ſelbſt kocht.
Dieſer iſt viel bekömmlicher als die künſtlichen Frucht=
ſäfte
. Das Mondamin=B=Büchlein enthält genaue An=
weiſungen
für die Herſtellung des Saftes aus den be=
kannteſten
Obſtarten und die Zubereitung mit Mon=
damin
zu einem wohlſchmeckenden Fruchtflammeri.
Nach Empfang einer Poſtkarte wird Ihnen dasſelbe
gratis und franko durch Brown & Polſon, Berlin C. 2,
(K12714,58
zugehen.

Bankſagung.
Für die vielen Beweiſe herzlicher Teilnahme
während der Krankheit und bei der Beerdigung
meiner unvergeßlichen guten Frau u. unſerer Mutter
Frau Auauste Brand
geb. Wirbatz
für die aufopfernde Pflege der Barmh. Schweſtern,
für die überaus troſtreiche Grabrede des Herrn
Pfarrer Rückert, meinen werten Kollegen den La=
ternenwärtern
zu Darmſtadt, ſowie für die zahl=
reichen
Blumenſpenden, ſagen wir Allen auf dieſem
(12702
Wege unſeren tiefgefühlten Dank.
Im Namen der trauernden Hinterbliebenen:
Familie Brand.

Dankſagung.
Für die vielen Beweiſe herzlicher Teilnahme
bei dem Heimgang unſerer lieben Mutter
Katharia Fries
geb. Götz
ſprechen hiermit tiefgefühlteſten Dank aus
die trauernden Hinterbliebenen.

Darmſtadt, 23. Juni 1910.

(*15445

Gewerbe=Muſeum, Neckarſtraße 3. Täglich geöffnet
v. 1112½ Uhr, Sonntags v. 111 Uhr. Eintritt frei.

Amtlicher Wetterbericht.
Oeffentliche Wetterdienſtſtelle Gießen.
Verlauf der Witterung ſeit geſtern früh: Der Luft=
wirbel
über Frankreich iſt in öſtlicher Richtung über
Deutſchland gezogen und hat am geſtrigen Nachmittag
vielfach ſtarke Regenfälle, ſtrichweiſe auch Gewitter ge=
bracht
. Da jetzt häufig Ausläufer des weſtlichen Tief=
druckgebietes
über unſer Gebiet wandern, dauert das
Regenwetter an.
Ausſichten in Heſſen für Freitag, den 24. Juni:
Noch wiederholte, zum Teil ſtärkere Regenſchauer,
friſcher Südweſt, etwas kühler.
Tageskalender.
Generalverſammlung der Zentralanſtalt für Arbeits=
und Wohnungsnachweis um 8½ Uhr im Saalbau.
Konzert um 7½ Uhr im Garten der Vereinigten
Geſellſchaft.
Konzert um 8 Uhr im Hotel Heß.
Konzert um 8 Uhr im Schützenhof
Konzert um 8 Uhr auf Hugenſchütz’ Felſenkeller.
Ausſtellung des Deutſchen Künſtlerbundes (geöffnet
von 107 Uhr).
1. Darmſtädter Kinematograph (Ecke Rhein= und
Grafenſtraße): Vorſtellungen von 311 Uhr.
Verſteigerungskalender.
Samstag, 25. Juni.
Herren=und Frauenkleider= ꝛc. Verſteigerung
um 9 und 3 Uhr Rheinſtraße 29.
Dünger=Verſteigerung um 11 Uhr in der Art.=
Kaſerne (Regt. Nr. 25).
Druck und Verlag: L. C. Wittich’ſche Hofbuchdruckerei.
Verantwortlich für den politiſchen Teil, für Feuilleton,
Reich und Ausland: Dr. Otto Waldacßel; für den übrigen
redaktionellen Teil und Letzte Nachrichten: Max Streeſe;
für den Inſeratenteil: J. Kroſt, ſämtlich in Darmſtadt.
Für den redaktionellen Teil beſtimmte Mitteilungen ſind
an die Redaktion des Tagblatts zu adreſſieren. Etwaigs
Honorarforderungen ſind beizufügen; nachträgliche werden
nicht berückſichtigt. Unverlangte Manuſkripte werden nicht
zurückgeſandt.

Von der Reise zurück
Dr. L. Mayer,
prakt. Arzt u. Kinderarzt,
Neckarstr. 10. (12701fso) Teleph. 1187.
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Kurſe vom 23. Jnni 1910.
Mitgeteilt von Hermann Reichenbach.

Sf. Staatspapiere.
4 Dſche. Reichsſchatzanw.
3½ Deutſche Reichsanl.
do.
3
4 Preuß. Schatzanweiſg
3½ do. Conſols
3 do. do.
4 Bad. Staatsanleihe . .
do.
3½
do.
3
4 Bayr. Eiſenbahnanl.
do.
3½
do.
4 Hamburger Staatsanl.
4 Heſſ. Staatsanleihe . .
do.
do.
3 Sächſiſche Rente . . .
4 Württembergerv. 1907
do.
3½
5 Bulgaren=Tabak=Anl.
1¾ Griechen v. 1887 . .
3¾/ Italiener Rente . . .
4½ Oeſterr. Silberrente .
4 do. Goldrente.
do. einheitl. Rente
4
3 Portug. unif. Serie I
3 do. unif. Ser. III
Spezial.
3 do.
5 Rumänier v. 1903 . .
do. v. 1890 . .
do. v. 1905 .
4 Ruſſen v. 1880 . . . .

3½

in Proz.
100,30
93,00
84,60
100,70
93,00
84,60
101,70
93,70
101,40
92,00
83,30
102,00
101,20
80,80
83,60
102,10
93,30
101,30
48,30
104,70
98,00
99,10
94,10
66,40
67,70
12,50
102,10
95,50
91,00
91,70

Zf.
4 Ruſſen v. 1902 .
4½ do. v. 1905 .
3½ Schweden . .

InProz.
92,40
100,20
93,90

4 Serbier amort. v. 1895 85,00
4 Türk. Admin. v. 1903 88,40
4 do. unifiz. v. 1903 94,40
4 Ungar. Goldrente . . 95,10
4 do. Staatsrente . 92,50
5 Argentinier . . . . . . 101,30
do.
91,60
4½ Chile Gold=Anleihe . 92,90
5 Chineſ. Staatsanleihe 101,80
98,90
do.
4
4½ Japaner .
. . . . 97,80
5 Innere Mexikaner . . 100,00
do.
3
4 Gold=Mexikan. v. 1904 96,00
5 Gold=Mexikaner . . . 100,25
Aktien inländiſcher
Transportanſtalten.
4 Hamb.=Amerika= Paket=
fahrt
.
144,10
4 Nordd. Lloyd . . . . 111,40
4 Südd. Eiſenb.=Geſ. . . 122,80
Aktien ausländiſcher
Transportanſtalten.
4 Anatol. Eiſenb. 60%
Einz. Mk. 408 118,70
4 Baltimore & Ohio . . 111,70
4 Gotthardbahn . . . .

InProz.
zt.
4 Oeſt.=Ungar. Staatsb. 160,50
4 Oeſt. Südbhn. (Lomb.) 24,24
4 Pennſylvania R. R. 134,00
Induſtrie=Aktien.
Mainzer Aktienbrauerei . 210,00
Werger=Brauerei
. 82,80
Bad. Anil.=u. Sodafabrik 485,50
Fabrik Griesheim . . . . 261,75
Farbwerk Höchſt .
. 484,00
Verein chem. Fabriken
Mannheim .
. 325,00
Lahmeyer . .
113,80
Schuckert .
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157,70
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Nationalbk. f. Deutſchl. 124,20
.101,20
Pfälzer Bank
144,70
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3½
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do.
3½
4 Meining. Hyp.=Bank
do.
3½
4 Rhein. Hypoth.=Bank
(unk. 1917
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3½
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3½
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.100,70
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. 100,00
3½ do.
91,00
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. 100,50
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91,60
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3½ do.
4 Mainz
100,10
3½ do.
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101,10
3½ do.
4 München .
. 100,90
3½ Nauheim
92,00
4 Nürnberg.
.100,80
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3½ do.
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In Proz.
Zf.
3 Madrider Fs. 100
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briefe
.
135,80
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Anlehensloſe.
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Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 24. Jüni 1910

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(Nachoruck verboten.)
33)
Bald ſtand alles auf dem Tiſch, und Ewe verſchwand,
denn ſie wurde von anderen Gäſten gerufen.
Was haſt Du mit mir zu reden? ſtieß Martin un=
willig
hervor und ſtürzte ein ganzes Glas des ſchweren,
öligen Weines herunter.
Erſt trink noch einmal, mahnte Gorch Holmquiſt väter=
lich
, indem er die Gläſer wieder füllte. Du willſt Dich
mit mir ſchlagen. Wir können ja das Duell bei der
Flaſche ausmachen.
Und Martin, bei dem der Zorn nie lange vorhielt,
lachte laut und ſtieß mit ihm an.
Möchteſt wohl wieder fahren? forſchte der Dicke
lauernd.
Lieber heute als morgen! ſprach Martin und ſtützte
den ſchweren Kopf in die Fäuſte.
Haſt Du Luſt, bei mir zu fahren?
Bei Dir? Auf Deinem klapprigen Kahn? Dann geh
ich lieber gleich auf den Fiſchdampfer.
Als Kapitän!
Als Kapitän? rief Martin überraſcht. Als Kapitän?
Iſt das Dein Ernſt Du willſt mir ein Schiff geben?
Mein Ernſt! ſagte Gorch Holmquiſt mit Gleichmut.
Ich habe den Kontrakt hier. Et beribicht auin, ſhotd das helbgeſtlie eite=
glas
weit fort und faltete die beiden Papiere auseinander.
Ich habe hier eine Lücke gelaſſen! erklärte der Reeder
und ſchnaufte. Wenn Du Dein Kapital einſchießen willſt.
Ich garantiere Dir zwölf Prozent.
Sechstauſend Mark zu zwölf Prozent, ſagte Martin,
nahm die Feder und füllte ſofort die Lücke aus. Im
Augenblick war er nüchtern geworden.
Das Gehalt iſt gut, quarrte Gorch Holmquiſt vor
Vergnügen, weil er ſah, wie ſich Martin feſtbiß. Und
dazu zwei Prozent Tantieme. Suche Dir einen Reeder,
der ſolche Bedingungen macht. Du mußt Dich aber auf
drei Jahre verpflichten . .
Drei Jahre? fragte Martin und zog die Naſe kraus.
Sonſt lohnt ſich das nicht, ſagte der dicke Reeder
ſeufzend. Wenn Du zurückkommſt, biſt Du ein vermö=
gender
Mann. Dann iſt Ewe majorenn, und ihr könnt
heiraten, wenn ihr wollt. Die Hochzeit läuft Euch ja
nicht fort.
Sagſt Du! lachte Martin laut und ſetzte die Feder an,
um zu unterſchreiben, doch er zögerte plötzlich. Sechſten
Juli ſchon in See? Das iſt übermorgen. Haſt Du’s aber
eilig!
Ja! meinte Gorch Holmquiſt bedauernd. Paßt Dirs
nicht? Du willſt doch lieber heute als morgen in See.
Aber nicht auf drei Jahre, erwiderte Martin, legte
die Feder hin, lehnte ſich zurück, ſchlug die Arme über=
einander
und ſchaute ihm mit ſpöttiſchen, überlegenen um
Blick in die waſſerblauen Augen. Das Schiff iſt doch
kein Poſtdampfer.
Aber ich muß die Hafengebühren bezahlen, warf der
Dicke ein.
Drei Wochen, ſchlug Martin vor, ohne ſeine Stellung
zu ändern. Ich habe mein Zeug noch nicht in Ordnung.
Kannſt Du draußen kaufen, wies ihn Gorch Holm=
quiſt
zurück. Hab’s auch ſo gemacht.
Ich muß auch noch meinen Bruder beſuchen.
Brauchſt dazu nicht drei Wochen.
Vierzehn Tage.
Keine fünf.
Und ſie einigten ſich auf zehn Tage.
Martin machte aus dem ſechſten Juli den ſechzehnten
und unterſchrieb.
Dann hob er Sand vom Boden auf und warf ihn
über die naſſen Buchſtaben.
Ich habe ſchon unterſchrieben! ſprach Gorg Holmquiſt
befriedigt und verſenkte das Exemplar in die Bruſttaſche.
Habe ich längſt geſehen, antwortete Martin, faltete
das zweite zuſammen und ſteckte es in die Rocktaſche.
Dann riefen ſie beide nach Ewe, denn Gorch Holmquiſt
wollte bezahlen. Sie ließ nicht lange auf ſich warten.
Na, quarrte der dicke Reeder und ſtand auf. Hier haſt
Du Deinen Kapitän. In zehn Tagen muß er auf drei
Jahre nach Oſtaſien.
Dann rückte er grinſend den Hut und ſtiefelte zum
Strandweg hinunter.

1910.

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Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 24. Juni 1910.

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ſinken
, ſo zitterten ihr die Glieder vor Schreck. Aber Mar=
tin
, der völlig ausgewechſelt war, zog ſie feſt an ſich.
Dumme Deern, flüſterte er und küßte ſie heiß und
brennend auf den Nacken. Jetzt machen wir Hochzeit. Und
das auf der Stelle. Mit dem Kontrakt in der Taſche kriege
ich jeden Dispens.
Aber auf drei Jahre, ſtöhnte ſie auf. Drei Jahre ſoll
ich Dich nicht haben.
Wer ſagt denn das? lachte er leiſe. Sorge Dich nicht.
So ſchlau wie Gorch Holmquiſt bin ich längſt. Wenn Du
erſt meine Frau biſt, hat uns kein Menſch mehr etwas zu
ſagen. Und in einem halben Jahre ſetzt Du Dich auf
einen Dampfer und kommſt nach. Ganz einfach. Haſt doch
keine Angſt vor dem Waſſer?
Nein, lächelte ſie glücklich unter Tränen und lehnte
ihren Kopf an ſeine Schulter. Ich komme!
Gleich kannſt Du nicht mit, erklärte er ihr. Erſt muß
ich mich da draußen umſehen, wo ich Dich am beſten un=
terbringe
mang die gelben Kerls. Und dann ſchicke ich
Dir ein Telegramm und wenn es tauſend Taler koſtet.
Aber die Mutter, ſeufzte ſie plötzlich.
Laß mich nur machen, lachte er und ſchlug an ſeine
Taſche. Dann faßte er Ewe feſt um die Taille und zog
ſie in den Laden.
Raus mit den Papieren, ſchrie er im Uebermut und
zielt Frau Geſche, die ängſtlich vor ihm zurückwich, den
Kontrakt unter die Naſe. Jetzt bin ich Kapitän! Jetzt
habe ich ein Schiff! Raus mit den Papieren!
Frau Geſche ſetzte ſich die Brille auf und las. Als
ſie an Gorch Holmquiſts Namen kam, ſtutzte ſie.
Du haſt mich wohl zum beſten? rief ſie argwöhniſch.
Gorch Holmquiſt wird Dir doch kein Schiff geben!
Aber Ewe beſtätigte es.

Da gab Frau Geſche das Leſen auf, nahm die Brille
ab und ſetzte ſich erſt mal auf den Stuhl, um ihre Gedan=
ken
in Ordnung zu bringen. Bis zu der zehntägigen Ab=
fahrtsfriſt
war ſie gar nicht gekommen.
Raus mit den Papieren, rief Martin luſtig und trom=
melte
auf die Toonbank. Du haſt es mir hundert Mal
verſprochen. Jetzt bin ich Kapitän. Ich habe keine Zeit!
Wann geht das Schiff in See? fragte Frau Geſche,
nachdem ſie ihre Verwunderung bezwungen hatte, daß
Gorch Holmquiſt die Hochzeit ermöglichte.
Kurz nach Weihnachten, rief Martin ſcherzend und
ſteckte den Kontrakt wieder ein.
Ich habe Dir es wohl verſprochen! begann Frau
Geſche zögernd und ſuchte vergeblich nach einem Grund,
das Verſprechen nicht halten zu müſſen.
Aber Du haſt Dich anders beſonnen! fiel ihr Martin
in die Gedanken. Dann wandte er ſich an Ewe. Sage
Deiner Mutter, daß auf ſie kein Verlaß iſt, wenn ſie nicht
auf der Stelle die Papiere herausgibt.
Mutter! flehte Ewe.
Frau Geſche wußte nicht aus noch ein. Ihre Hoff=
nung
, daß der reiche Reeder Gorch Holmquiſt einmal ihr
Schwiegerſohn werden würde zerſchmolz vor dieſem Kon=
trakt
. Er hatte alſo ſeine Abſichten auf Ewe aufgegeben,
ſonſt hätte er Martin nicht zum Kapitän gemacht.
Da ſtieß ſie denn einen langen, ſchweren Seufzer aus
und erhob ſich, um die Papiere zu holen. Martin drängte
ihr wieder die Brille auf die Naſe, damit ſie ſofort die
ſchriftliche Einwilligung zu dieſer Heirat verfaſſe.
Inzwiſchen tanzte er durch den dunklen Raum und
ſang:
Nun geht das nach der Linje,
Nun geht das nach Oſtindje.
Nun geht das nach Batavia,
Und das auf ſieben Jahr!

Mies ief demn Geſch euſet. Aufſichen Sechreheſt
Du Dich verpflichtet? Dann hat ja die ganze Heirat kei=
nen
Sinn!
Sagſt Du! lachte er und nahm ihr ſchnell das naſſe
Papier unter den Fingern fort. Nun habe ich alles, was
ich brauche. Jetzt gehe ich aufs Standesamt, und in drei
Tagen iſt Hochzeit. Hörſt Du, Schwiegermutter, alter
Drache, in drei Tagen iſt Hochzeit! Habe ich Dich doch
klein gekriegt!
Dann ſchoß er hinaus und ſchlug die Tür hinter ſich
zu, daß die arme Schelle erſchrecklich ſchrie, ſo arg hatte
ſie der Klöppel getroffen.
Ewe! fuhr Frau Geſche verzweifelt auf, nachdem ſie
den Sinn ſeiner letzten Worte erfaßt hatte. Ewe, hole ihn
zurück. Laufe ihm nach! Er iſt fähig dazu. Er bringt
Schande über Dich!
Aber Ewe vermochte ſich nicht vom Fleck zu rühren
Eine Stunde ſpäter kam er zurück.
Alles in Ordnung! ſprach er froh und ſtellte ſich breit=
beinig
, die Hände in den Hoſentaſchen, vor Frau Geſche
hin. Schwiegermutter, haben Dir die Spatzen das Brot
weggefreſſen? Lade die Leute ein! Back den Hochzeits=
kuchen
! Das kann ich von Dir verlangen. In fünf Tagen
gehe ich mit Ewe aufs Standesamt. Dispens habe ich
gekriegt. Und mit dem Paſtor habe ich auch ſchon ge=
ſprochen
.
Aber Frau Geſche regte ſich nicht und ſchüttelte
nur den Kopf.
Am nächſten Tage fuhr er nach Hamburg, um ſich
ſein Schiff zu beſehen.

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Nummer 145.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 24. Juni 1910.

Seite 11.

Bekanntmachung.
Das ſtädtiſche Gelände Ecke Müller=
und Pankratiusſtraße, mit einem Flächen=
gehalt
von 591¾/10 qm iſt zu verkaufen.
Näheres durch das Stadtbauamt, Grafen=
ſtraße
Nr. 30.
(12677mm
Darmſtadt, den 21. Juni 1910.
Großherzogliche Bürgermeiſterei Darmſtadt
J. V.: Jaeger.
Heugras=Verſteigerung.
Dienstag, den 28. Ifd. Mts.,
nachmittags 4 Uhr,
wird das Heugras von der Fürſtenwieſe
in der Gemarkung Griesheim, unweit der
Pumpſtation des ſtädtiſchen Waſſerwerks,
in 21 Loſen an Ort und Stelle öffentlich
meiſtbietend verſteigert. Nähere Auskunft
wird auf der Pumpſtation erteilt. (12722fs
Darmſtadt, den 21. Juni 1910.
Großherzogliche Bürgermeiſterei Darmſtadt
J. V.: Ekert.
In unſer Handels=Regiſter B wurde heute
a eingetragen hinſichtlich der Firma:
Aktien=Maſchinenbau=Anſtalt vor=
mals
Venuleth und Ellenberger,
Darmſtadt.
Dem Bürovorſteher Konrad Krauſch
u Darmſtadt iſt Prokura erteilt mit der
Befugnis, die Firma mit einem der Direk=
toren
oder einem Stellvertreter oder einem
Prokuriſten zu zeichnen. Die Prokura des
Oberingenieurs Ludwig Wißmann iſt da=
hin
erweitert, daß derſelbe außer mit einem
der Direktoren oder einem Stellvertreter
auch mit einem Prokuriſten die Firma zeich=
nen
kann.
(12705
Darmſtadt, den 20. Juni 1910.

Großh. Amtsgericht Darmſtadt I.
Matratzenſtreu=Verkauf.
Samstag, den 25. ds. Mts.,
vormittags 11 Uhr,
wird in der Artilleriekaſerne ( Heidelberger=
ſtraße
) eine größere Menge Matratzenſtreu
verſteigert.
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Karlſtraße 47. Telephon 641.

Amtliche Nachrichten des Großherzoglichen Polizeiamts Darmſtadt.
Polizeilich eingefangene und zugelaufene Hunde.
In polizeilicher Verwahrung und Pflege in der Hofreite Beſſungerſtr. Nr. 56 be=
Inden ſich: 1 Pinſcher (zugelaufen).
Die Hunde können von den Eigentümern bei dem 5. Polizei=Revier ausgelöſt
werden. Die Verſteigerung der nicht ausgelöſten Hunde ſindet dortſelbſt jeden Werk=
ag
, vormittags um 10 Uhr, ſtatt.
Straßenſperre.
Wegen Vornahme von Kanalbauarbeiten wird die Nieder=Ramſtädter Straße
zwiſchen der Roßdörfer= und der Kiesſtraße, vom 25. Juni bis zum 3. Juli d. Js. für
den Fuhrwerksverkehr geſperrt.
(12719

Gras= und Holzverſteigerung.
Mittwoch, den 29. Juni, ½9 Uhr vormittags,
wiro in Arheilgen (Brücher’ſche Wirtſchaft) das Heugras nachſtehender Parkwieſen
verſteigert: Rottwieſe (ausgenommen Los 1, 1014, 1621, 5763 ſüdlich Bahn),
Neuwieſe=Loſe 75 nebſt ausgeparktem Stück 77, 7880, 104107, 108111, 112116,
nebſt Damm am Dianateich in Gemarkung Arheilgen; Kernwieſe in Gemarkung
Darmſtadt. Ferner 1 Fichtenſtamm Nr. 128 v. 20 cm D., 11m L. 0,35 fm aus
Anlage an der Dianaburg, 1 rm Eichennutzſcheit II. Kl. Nr. 404 aus Jagen, Abt. 25
(Forſtwart Lang).
Darmſtadt, den 23. Juni 1910.
(12723
Großherzogliche Oberförſterei Kranichſtein.
van der Hoop.

Für die landwirtſchaftliche Haushaltungsſchule zu Langen wird ab 1. Zuli 1910
auf die Dauer von vorläufig 8 Wochen infolge Erkrankung der derzeitigen Haus=
haltungslehrerin
eine
Haushaltungslehrerin
geſucht. Gehalt nach Vereinbarung neben freier Verpflegung und Wohnung. Be=
werberinnen
nicht unter 25 Jahren mit vollſtändiger Kenntnis des landwirtſchaft=
lichen
Haushaltes, einſchließlich der landesüblichen Kochart, belieben ihre Meldungen
mit Lebenslauf alsbald an die Landwirtſchaftskammer für das Großherzogtum Heſſen,
dahier Rheinſtraße 34, I einzureichen.
(12724
Darmſtadt, den 22. Juni 1910.
Landwirtſchaftskammer für das Großherzogtum Heſſen.
Der Vorſitzende: Haas.

Bekanntmachung.
Bei der demnächſt abzuhaltenden Mitgliederverſammlung ſollen, wie ſeither, ſo
auch diesmal wieder Prämien an Dienſtboten verteilt werden. Unſere Statuten be=
ſtimmen
hierüber das Folgende:
Eine Belohnung von Dienſtboten kann nur für ſolche Bedienſtete, die Koſt
bei ihrer Herrſchaft haben, und ferner nur dann bewilligt werden, wenn der
Dienſtbote innerhalb des Vereinsbezirks 4 Jahre lang ununterbrochen bei der=
ſelben
Dienſtherrſchaft gedient, während dieſer Zeit in 3 verſchiedenen Jahren
Erſparniſſe in die Kaſſe eingelegt oder ſeine Angehörigen unterſtützt, ſich auch
während ſeiner Dienſtzeit durch treue und ſittſame Aufführung ausgezeichnet hat.
Es ergeht deshalb an alle, welche Prämien beanſpruchen zu können glauben, die
Aufforderung, ſich unter Vorlage der Zeugniſſe ihrer Dienſtherrſchaften, welche beglaubigt
ein müſſen, bis zum 30. Juli 1910 bei unſerem Rechner anzumelden.
Die Großherzoglichen Bürgermeiſtereien des Sparkaſſenbezirks werden erſucht,
dieſer Bekanntmachung die tunlichſte Verbreitung zu geben.
Nach dem 30. Juli 1910 einlaufende Zeugniſſe und Bewerbungen müſſen unbe=
rückſichtigt
bleiben.
Reinheim, den 22. Juni 1910.
(12703fs
Die Direktion der Bezirksſparkaſſe Reinheim.
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Leiter: Emil Held

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Seite 12.

Darmſtädter Tagblatt, Freitag, den 24. Juni 1910.

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Nachmittags 3 Uhr: Radrennbahn Heidelbergerstr.
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[ ][  ]

Seite 14.

Darmſtädter Taghlatt, Freitug, den 24. Inni 1910.

Nummer 145.

Seltſame Kleiderſtoffe.
Von allerlei merkwürdigen Stoffarten, die die
moderne Induſtrie herſtellt und die dann als Material
zu Kleidungsſtücken Verwendung finden, erzählt eine
engliſche Wochenſchrift intereſſante Einzelheiten. In
Rußland fabriziert man aus einem faſerigen Stein,
der in ſibiriſchen Minen gewonnen wird, einen
außerordentlich dauerhaften Stoff, der in ſeiner Halt=
barkeit
alle Wollen= und Leinenſtoffe weit hinter ſich
läßt. Das Material iſt dabei durchaus ſchmiegſam
und weich. Das Merkwürdigſte aber iſt das Reinig=
ungsverfahren
, das bei dieſem Stoffe angewandt wird.
Wenn der Anzug ſchmutzig iſt, ſo legt man ihn ins
Feuer; er verbrennt nicht, ſondern nach kurzer Zeit
iſt der Stoff wieder abſolut ſauber. Gewebe aus Eiſen=
material
werden heute bereits in größerem Umfange
von den Schneidern benutzt, um Rockkragen zu ſteifen
und ihnen einen guten Sitz zu geben. Dieſes Hilfs=
mittel
der Schneiderkunſt wird aus Stahlwolle herge=
ſtellt
; der Laie kann es kaum von den Geweben aus
Pferdehaar unterſcheiden. Ein, anderes feuerfeſtes
Material iſt die Kalkſteinwolle‟. Geſtoßener Kalk=
ſtein
wird mit einigen Chemikalien vermiſcht, in einen
elektriſchen Ofen geſchüttet und hier einem gewaltigen
Luftdruck ausgeſetzt. Wenn der Rohſtoff dann aus der
Eſſe kummt, iſt er ſo flockig und weich wie Wolle. Er
wird gebleicht, gewoben, und bewährt ſich als Anzugs=
ſtoff
ausgezeichnet. Dabei iſt er ebenſo ſchmiegſam und
weich, wie aus Schafwolle hergeſtellte Stoffe. Einem
engliſchen Fabrikanten iſt es gelungen, durch ein be=
ſonderes
Verfahren aus alten Taureſten ein ausge=
zeichnetes
Kleidungsmaterial herzuſtellen. Die Tau=
und Fädenreſte ſowie alte Saiten werden auseinander=
gezupft
und dann verwoben. Wie das geſchieht, iſt das
Geſchäftsgeheimnis des Fabrikanten. Der Stoff wird
dann dunkelbraun gefärbt und beſonders in den briti=
ſchen
Kolonien viel getragen. Die ganze Fabrik produ=
ziert
jetzt gewaltige Quantitäten, die ſofort Abſatz fin=
den
. Ein neuer Kleiderſtoff für Damen iſt das gewebte
Glas, das in prachtvollen Farbtönungen, in Weiß,
Grün, Lila, Roſa und Gelb hergeſtellt wird. Die Er=
ſindung
iſt Eigentum eines öſterreichiſchen Fabrikanten;
das Herſtellungsverfahren iſt ſo vervollkommnet wor=
den
, daß der Glasſtoff jetzt ſo weich und ſchmiegſam
wie Seide iſt. Das erſte Kleid, das daraus hergeſtellt
wurde, trüg eine elegante Dame aus königlichem
Hauſe. Die Robe machte Furore, ſie zeigte eine wun=
dervolle
Farbenzuſammenſtellung von blaſſem Laven=
del
mit zartem Roſa und in der Bewegung ſchillerte
und blitzte dieſer Stoff wie Diamantſtaub. Weniger
anſpruchsvoll ſind die Japaner, die in der Armee in
großem Maße Papieranzüge verwenden. Dieſe Klei=
der
haben ſich ausgezeichnet bewährt und ſind viel
wärmer als echte Tuchſtoffe. In Europa beſteht be=
reits
ein großer Handel in Vademänteln, Morgen=
röcken
und Friſierroben, die ebeuſalls aus Papier her=
geſtellt
ſind. Dazu dient eine Art von Löſchpapier, die
beſonders gebleicht wird und dann mit einem aufge=
druckten
Muſter verſehen wird. Selbſt Handſchuhe
werden aus Papier gefertigt, und man rühmt ihnen
nach, daß ſie ſehr oft gereinigt werden können, ohne
Schaden zu leiden.

sr. Der Concours hiepique in Frank=
furt
a. M. erreichte am. Mittwoch nach viertägiger
Dauer ſeinen Abſchluß. Der letzte Tag ging bei Regen=

wetter vor ſich und waren infolgedeſſen die Tribünen
an der Arena der Internationalen Ausſtellung für
Sport und Spiel nur ſchwach beſetzt. Die beiden
Hauptprüfungen, die Spring=Konkurrenz für Jagd=
pferde
und die Hochſpring=Konkurxenz, fielen an die
Belgier M. Philoppet und Mathiue, die mit ihren
Pſerden Petit ami, Benjo und Matador jedes Mal die
beiden erſten Preiſe errangen. In der Spring= Kon=
kurrenz
ſiegte Jean Vannieuvenberg mit Petit ami
und beſetzte mit Benjo den zweiten Platz vor A. Oppli=
ger
mit Nichelino. Die Konkurrenz im Hochſpringen
gewann M. Philoppet auf Matador und der zweite
Platz fiel an Petit ami, der ebenfalls von M. Philoppet
geritten wurde. Beide Pferde ſprangen. 1,90 Meter.
Dritter wurde Herrn Baers Debutante mit 1,80 Me=
ter
. Der vorletzte Tag brachte in der Hochſpringkon=
kurrenz
einen ſchweren Sturz des Grafen Schaeßburg,
der von Cark Petrel durch Hufſchläge ernſtlich verletzt
wurde.
sr. Kieler Woche. Der neue Rivale der kaiſer=
lichen
Schonerjacht Meteor der von Herreshoff ge=
baute
Weſtward des Herrn A. S.=Cochran=New=York,
hat bei dem Debut auf der Unterelbe=Regatta vor Kux=
haven
den hochgeſpannten Erwartungen vollauf ent=
ſprochen
. Weder Meteor noch Germania und
Hamburg vermochten der von Charly Barr meiſter=
haft
geführten Jacht auch nur einen Moment gefähr=
lich
zu werden. Der wenig faire Regattakurs der
Unterelbe mag zwar das Reſultat ungünſtig beeinflußt
haben und auf den einwandfreieren Kieler Bahnen
werden ſich wohl kaum wieder Zeitdifferenzen von
mehr als einer halben Stunde ergeben. Immerhin
darf man nicht vergeſſen, daß Weſtward die übrigen
Gegner unter einigermaßen gleichen Vorbedingungen
glatt um 15 Min. auf ebenſo viel Seemeilen auskreuzte,
während doch theoretiſch die größeren Jachten Me=
teor
Germania und Hamburg noch recht beträcht=
liche
Vorgaben zu gewähren hatten. In erſter Linie
iſt dieſer eklatante Erfolg natürlich auf das Konto des
berühmten amerikaniſchen Jachtenkonſtrukteurs Nata=
niel
Herreshoff zu ſetzen, mit dem ſeinerzeit ja auch
Kaiſer Wilhelm wegen eines Schonerbaues verhandeln
ließ. Der Auftrag wurde damals nicht perfekt, da
Herreshoff einigen Spezialwünſchen des kaiſerlichen
Banherrn nicht entſprechen zu können glaubte. Wie
damals Herreshoff gegen den neuen Meteor die er=
folgreiche
Ingomar herausbrachte, ſo iſt es auch jetzt
vielleicht nicht lediglich ein pikanter Zufall, wenn
gegen den weiteren Meteor=Neubau des Vorjahres
derſelbe Konſtrukteur mit einer Jacht ins Feld zieht,
die nach der ganzen Bauausführung ſpeziell für den
Regattabetrieb berechnet iſt, während Jachten wie Me=
teor
und Germania durch ihre komfortable Innen=
ausſtattung
allein ſchon erheblich gehandicapt ſind. Der
ſportliche Erfolg des Weſtward wird natürlich da=
durch
nicht geſchmälert, ebenſo wenig die überlegene
Segelkunſt eines Charley Barr, die auf der Unter=
elbe
wiederholt ganz eklatant in die Erſcheinung trat.
Im Regattabetriebe entſcheidet nun einmal die abſo=
lute
Schnelligkeit, und um dieſe zu erreichen, ſind
natürlich alle zuläſſigen Mittel erlaubt. Wenn nun auch
in dieſem Jahre Weſtward ohne ernſte Gegner das
Feld behaupten wird, ſo wird man doch den Kieler See=
regatten
deshalb nicht mit geringerem Intereſſe ent=
gegenſehen
können.
sr. Das Frühjahrs=Turnier des=Lawn=
Tennis=Klubs 1899 Berlin hat nach lang=
tägiger
Dauer ſeinen Abſchluß gefunden. Das Tur=
nier
, das mit zirka 600 Meldungen wohl die größte
bisher erreichte Zahl aufwies, brachte in den ver=

ſchiedenen Konkurrenzen intereſſante und heiße
Kämpfe. Die Preisverteilung, die nach Schluß des Tur=
niers
von Dr. Friedländer vorgenommen wurde, er=
gab
folgendes Reſultat: Herren=Einzelſpiel um die
Meiſterſchaft des Klubs: 1. Preis C. Lange, 2. Preis
von Kowalewski, 3. Preiſe E. Lange und W. Lange.
Damen=Einzelſpiel um die Klubmeiſterſchaft: 1. Preis
Frl. Koettgen, 2. Preis Frau von Beſſer, 3. Preiſe
Frau Dr. Kahlbaum und Frl. Kohn. Herren= Einzel=
ſpiel
mit Vorgabe: 1. Preis Karlchen, 2. Preis J. von
Kowalewski. Damen=Einzelſpiel ohne Vorgabe:
1. Preis Frl. Koettgen, 2. Preis Frau G. Mittler, 3.
Preiſe Frl. Fuchs und Frau Dr. Kahlbaum. Herren=
Doppelſpiel ohne Vorgabe: 1. Preis E. Windels=C.
Brandis, 2. Preis K. und E. Lange. Gemiſchtes Dop=
pelſpiel
: 1. Preis Frau Gräfin Freya von der Schulen=
burg
=C. Brandis, 2. Preis Frl. Fuchs=E. Lange. Da=
men
=Einzelſpiel mit Vorgabe: 1. Preis Frau Dr. Pu=
nitzer
, 2. Preis Frau von Beſſer.
Sr. Lawn=Tennis=Meiſte rſchaft von
England. Die Kämpfe um die diesjährigen eng=
liſchen
Lawn=Tennis=Meiſterſchaften in Wimledon
haben bereits am erſten Tage ſelten ſcharfe Spiele ge=
zeitigt
. Von den deutſchen Teilnehmern errang O.
Froitzheim=Straßburg einen ſchönen Erfolg, indem er
in der erſten Runde um die Herrenmeiſterſchaft A. A.
Fyzee 56, 63, 63, 40 zurückgezogen ſchlug.
Weitere wichtige Spiele waren der Sieg von A.F.
Wilding über Roper Barret 46, 64, 61, 64 und
von Beals Wright über Crwaley 61, 75, 36, 6

Will Soldat werden.
Schönau bei Chemnitz, Zwickauerſtr. 3, 8. Jan. 09.
Ihre vorzügliche Scotts Emulſion kann ich gar nicht genug
empfehlen. Ich habe ſie meinem 9jährigen Sohne Kurt dieſen
Winter eine Zeitlang regelmäßig gegeben und bin mit den er=
zielten
Erfolgen äußerſt zufrieden. Der Junge war überaus
zart und ſo dünn, daß er überall Storchbein genannt wurde.
Stets war er verdrießlich und mußte immer zum Eſſen gezwungen
werden. Dies iſt jetzt ganz anders geworden. Der Appetit hat
ſich eingeſtellt, Kurt nimmt ſeine Mahlzeiten gern und regelmäßig,
hat eine gute Geſichtsfarbe bekommen und bedeutend an Gewicht
zugenommen. Er ſelbſt hofft, durch Scotts Emulſion bald ſo
ſtark zu werden, daß er beſtimmt einmal Soldat wird.
(gez.) Frau Ella Lindner.
Scotts Emulſion hat ſich als Kräftigungsmittel ſeit
über 30 Jahren bewährt, die Zuſammenſetzung iſt ſtets
die gleiche, und nur die beſten und
teuerſten Rohmaterialien, die überhaupt
erhältlich ſind, gelangen zur Verarbeitung.
Aus dieſem Grunde, und weil man ſich
auf die Wirkſamkeit unbedingt verlaſſen
kann, iſt Scotts Emulſion in vielen
Familien ein Hausmittel geworden, das
nicht ausgehen darf. Scotts Emulſion
leiſtet den Kleinen, der heranwachſenden
Jugend und Erwachſenen ausgezeichnete
Dienſte zur Kräftigung des Körpers.
Nur echt mit
r Beim Einkauf verlange man immer die
Marke-de)
echte Scotts Emulſion, deren Erken=
dem Garantien
uchen des Stett= nungszeichen die nebenſtehende Schutz=
icen
Verfahren=! marke iſt.
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Scotts Emulſion wird von uns ausſchließlich im großen verkauft
und zwar nie loſe nach Gewicht oder Maß, ſondern nur in verſiegelten
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Alkohol 11,0. Hierzu aromatiſche Emulſion mit Zimt=, Mandel= und Gaul=
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