Darmstädter Tagblatt 1903


30. Juli 1903

[  ][ ]

166. Jahrgang.
Inſerake
Verbunden mitWohnungs=Anzeigeru und der Sonntags=Beilage: blatt werden angenommen in Darmſtast
Alluflverkes Unkerhalkungsblatk.
Amtliches Organ für die Bekanntmachungen des Großh. Kreisamts, des Großh. Polizeiamts und der andern Behörden.

Abonnemenkspreis
monatlich 50 Pfg, vierteljährlich 150 Mr.
halbjährlich 3 Mk. einſchl. Bringerlohn.
Auswärts werden von allen Poſtämtern
Beſtellungen entgegengenommen zu 1.80 Ml.
vierteljährlich.

für das wöchentlich 6mal erſcheinende Tag=
von
der Expedition Rheinſtraße Nr. 23, in
Beſſungen von Blößer, Beſſungerſtraße
Nr. 48 und Schießhausſtr. Nr. 14, ſowie aus=
wärts
von allen Annoncen=Expeditionen.

N6 176.

Donnerstag, den 30. Juli.

1903.

B e k a n n t m a ch u n g.
Betreffend: Den Betrieb und die Benutzung der für den Kreis Darmſtadt
errichteten Kreis=Abdeckerei.
Bezugnehmend auf unſere Bekanntmachung vom 7. I. Mts. (Tagblatt
Nr. 158) bringen wir zur öffentlichen Kenntnis, daß die erlaſſenen Polizei=
verordnungen
am 1. Auguſt l. J3. in Kraft treten.
Darmſtadt, den 27. Juli 1903.
Großherzogliches Kreisamt Darmſtadt.
(13298
von Granch.
B e k a n n t m a ch u n g.
Betreffend: Schweineſeuche unter den Schweinen des Wilhelm Sander von
Nierſtein, eingeſtellt bei Wirt Philipp Schaffner III. zu Griesheim.
Die Schweineſeuche in Griesheim iſt erloſchen; die Gehöftſperre iſt auf=
gehoben
.
Darmſtadt, den 25. Juli 1903.
Großherzogliches Kreisamt Darmſtadt.
(13299
von Granch.
Brhanutmnchung.
Die Lieferung des Bedarfes an Kartoffeln, Gemüſe, Viktualien ꝛc., ſowie
die Abgabe des Geſpüls ſoll für die Dauer der Anweſenheit des Bataillons auf
dem Uebungsplatz bei Darmſtadt vom 26. Auguſt bis 9. September 1903 ver=
geben
werden.
Verſiegelte, mit der Aufſchrift =Angebot auf Lieferung von Küchenbedürf=
niſſen
; verſehene Offerten ſind dem Bataillon bis zum 5. Auguſt 1903 ein=
zuſenden
.
Die Bedingungen können auf dem Geſchäftszimmer I des Bataillons ein=
geſehen
oder gegen Einſendung von 1 Mark in Abſchrift bezogen werden.
Bei der Lieferung von Kartoffeln erhalten Produzenten den Vorzug.
II. Bataillon Infanterie=Regiments Nr. 168
Offenbach a. M.
(132940k
Be k a n n tm a ch u ng.
Wir bringen hiermit zur Kenntnis der Hausbeſitzer und Mieter, das wir
gegenwärtig auf Grund des Artikels 1 des Geſetzes, die poligeiliche Beauſſichti=
gung
von Mietwohnungen und Schlafſtellen betreffend, deſſen Wortlaut wir
untenſtehend im Abdruck folgen laſſen, mit einer allgemeinen Reviſion ſämtlicher
Mietwohnungen und Schlafſtellen in hieſiger Stadt beſchäftigt ſind.
Hierbei iſt die Aufſtellung einer Wohnungsſtatiſtik beabſichtigt, weshalb
wir erſuchen, den revidierenden Beamten möglichſt genaue Auskunft erteilen zu
wollen.
Wir bemerken noch, daß dieſe Reviſion gegenwärtig im HI. Polizei=
Revier ſtattfindet.
Darmſtadt, den 29. Juni 1903.
Großherzogliche Bürgermeiſterei Gaupoligei).
Dr. Gläſſing.
Der Artikel 1 zitierten Geſetzes lautet:
Die Geſundheitsbeamten des Staates und die Ortspolizeibehörden, ſowie
die von den letzteren Beauftragten ſind befugt, die zum Vermieten beſtimmten
Wohnungen und Schlafſtellen einer Unterſuchung in der Richtung zu unterwerfen,
ob aus deren Benutzung zum Wohnen oder Schlafen Nachteile für die Geſundheit
oder Sittlichkeit nicht zu beſorgen ſind.
Gleiche Beſugnis ſteht den genannten Organen bezüglich der Schlafräume
zu, welche von Arbeitgebern ihren Arbeitern (Lehrlingen, Geſellen, Gehilfen,
Dienſtboten ꝛc.) zugewieſen werden.
(11642a

Sm Handelsregiſter A. erfolgten heute
29 Einträge hinſichtlich der Firmen:
1) Guſtav Schwan Nachf., Darm=
ſtadt
: Der Teilhaber Auguſt Chriſtian/
Schmitz iſt geſtorben und iſt das Ge=
ſchäft
mit Firma und Ausſtänden und
Schulden auf den Mitinhaber Guſtav!
Fehrer übergegangen.
2) A. Merz. Darmſtadt: Adam
Merz iſt am 6. Juni 1903 geſtorben.
Geſchäft und Firma ſind mit Ausſtänden
und Schulden auf Jakob Schroth und
Fritz Gräber, beide Kaufleute in Darm=
ſtadt
, übergegangen, die das Geſchäft
nunmehr in offener Handelsgeſellſchaft
fortbetreiben. Die Prokura der Adam
Merz Ehefrau, Emilie geb. Weil, iſt
durch deren Ableben erloſchen. (13304
Darmſtadt, den 22. Juni 1903.
Großh. Amtsgericht Darmſtadt L.
Vergebung
von Fußſteigarbeiten.
Die Herſtellung von Zementplatten=
fußſteigen
in der Heinheimer= Weſtſeite
zwiſchen Liebfrauen= und Ringſtraße,
ſowie in der Lagerhausſtraße, vor dem
Gymnaſium und der Volksſchule, ſoll
verdungen werden.
Arbeitsbeſchreibungen und Bedingungen
liegen bei dem Tiefbauamt, Waldſtraße,
Zimmer Nr. 1. während der Dienſt=
ſtunden
zur Einſicht offen. Auch werden
dort die Angebotsſcheine abgegeben.
Angebote ſind bis
Samstag, den 1. Aluguſt l. J.
vormittags 10 Uhr,
bei unterzeichneter Stelle einzureichen.
Darmſtadt, den 28. Juli 1903.
Städtiſches Tiefbauamt.
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Empfehle mich für

Helene Lung.
Erzählung von Paul Lindau.

Nachbruck verboten.
Von dem neuen Trauerſpiele Elſas, das in der
letzten Februarwoche des Jahres 1880 zum erſtenmal
auf der Bühne des königl. Schauſpielhauſes gegeben
wurde, war in den Zeitungen ſchon vor der Auf=
führung
viel die Rede geweſen. Es war die zweite
dramatiſche Arbeit eines noch jugendlichen Schrift=
ſtellers
, der durch den unerwartet großen Erfolg
die allgemeine Aufmerkſamkeit auf ſich gezogen hatte.
Man war geſpannt darauf, wie nun dem jungen
Dichter der Sprung aus der mittelalterlichen Ver=
gangenheit
, in der ſeine erſte Tragödie geſpielt hatte,
in das Leben unſerer Gegenwart, in dem ſich die
Handlung des neuen Dramas bewegte, gelingen
würde. Es kam noch dazu, daß in der Hauptrolle
als Elſar eine bekannte, ſehr ſchöne Künſtlerin, die
man mit erheblichen Opfern einem anderen Hoftheater
abſpenſtig gemacht hatte, zum erſtenmal vor das
Verliner Publikum treten ſollte.
So war denn das große Haus am entſcheidenden
Abende bis auf den letzten Platz mit einer erwartungs=
vollen
und überwiegend ſympathiſch geſinnten Zuhörer=
ſchaft
beſetzt.
Während der Autor in ſtarker Erregung an der
rechten Langſeite der Kuliſſen auf und ab ſchritt

und ſich durch einen Blick auf die Uhr überzeugte,
daß nur noch eine Minute an ſieben fehlte; während
ſich die im erſten Aufzuge beſchäftigten Künſtler auf
der Bühne ſelbſt verſammelten, ihre Masken und
Garderoben gegenſeitig muſterten und ſich dem
prüfenden Blicke des Direktors darboten, der ſich
nebenbei noch mit allerhand Kleinigkeiten befaßte, an
der Tiſchdecke zupfte, einen Stuhl rückte, ein Album
etwas mehr nach vorn ſchob und der Inſpicient
durch das Guckloch im Vorhange in den Zuſchauer=
raum
blickte, wogte ſeltſam ein gedämpftes Rauſchen
und Summen durch die Reihen des Parketts und
der Logen. Bekannte begrüßten ſich; man machte
ſeine Nachbarn aufmerkſam auf dieſe oder jene haupt=
ſtädtiſche
Berühmtheit, die man im Saale erſpäht
hatte; man tauſchte kritiſche Bemerkungen über das
mehr oder minder vorteilhafte Ausſehen der jungen
Frau von ſo und ſo und der ſtrahlenden Frau
Kommerzienrätin ſo und ſo.
In der der Bühne nächſtliegenden Proſceniumsloge,
unter der Privatloge des Kaiſers, unterhielten ſich leb=
haft
die Frau eines Botſchafters und eine vielgenannte
junge ruſſiſche Fürſtin mit einem hohen Offizier, der
in voller Gala ſoeben die kaiſerliche Tafel verlaſſen
hatte, über die erſtaunliche geiſtige Friſche und
körperliche Rüſtigkeit des hohen Herrn die erfreulichſten
Mitteilungen machen und melden konnte, daß auch
der Kaiſer der Vorſtellung beiwohnen werde. Im

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faſt dunklen Hintergrunde ſtand Prinz Reinhard von
Lohenburg im Geſpräche mit dem Kammerherrn
Freiherrn von Wulpen. Der Prinz, der während,
der beiden letzten Jahre große Reiſen gemacht, Amerika
vom Oberen See bis zum Kap Horn und von den
öſtlichen Staaten bis Alaska und Kalifornien durch=
ſtreift
hatte, war erſt kurz vor Weihnachten in die
Heimat zurückgekehrt und nun zu einer kürzeren
Dienſtleiſtung nach Berlin befohlen.
Es iſt erſtaunlich, ſagte er leiſe zum Kammer=
herrn
, wie wenig ſich die Phyſiognomie der Berliner
Geſellſchaft in der Zeit meiner Abweſenheit verändert
hat. Ich ſpreche nicht nur von den Hofkreiſen. Ich
kenne beinahe alle Welt hier im Hauſe, wenigſtens dem
Anſehen nach. Es würde mir vielleicht weniger auf=
fallen
, wenn ich inzwiſchen nicht ſo viel und ſo ganz
anderes geſehen hätte. aber haltl ſagte der Prinz
mit etwas veränderter Stimme, während er das Glas
vor die Augen nahm, da iſt jemand, den ich noch
nicht geſehen habe.. Sehen Sie, Baron, die beiden
Damen, die ſich jetzt durch die zweite Parkettreihe zwän=
gen
. . da, rechts . . die erſte iſt ſehr brünett, die
andere hat blondes Haar. ich meine die Brünette
jetzt ſetzen ſie ſich, gerade zwiſchen zwei Kahlköpfen
da, in der zweiten Reihe
Ich ſehe ſchon, Durchlaucht, antwortete Wulpen,
der, gleichfalls mit dem Opernglaſ. bewaffnet, den Wei=
ſungen
des Prinzen gefolgt war.

[ ][  ][ ]

Gekke 2

Darmſtüdter Tagblatt, Donnerstag, den 30. Juli 1903.

Nummer 126.

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Nun, kennen Sie die Damen?
Ich glaube nicht.
Die Dunkle iſt aber bildhübſchl Die ſollte man
eigentlich kennen.
Bildhübſch wiederholte Wulpen lächelnd. Das
iſt vielleicht etwas zu freundlich geurteilt. Aber in=
tereſſant
ſieht die Dame aus, das iſt wahrl Sehr
intereſſantl Und wenn man genauer hinſieht
Der Kammerherr vollendete den Satz nicht, denn
in demſelben Augenblicke erklang der Anſchlag der
Glocke, und gleich darauf rauſchte der Vorhang in
die Höhe. Der Prinz ließ ſich dadurch in ſeiner
Beobachtung nicht ſtören. Unter dem Schutze des
Halbdunkels der Loge betrachtete er unverwandt die
junge Dame, die ſeine Aufmerkſamkeit erregt hatte.
Erbprinz Reinhard von Lohenburg, der einzige
Sohn des Fürſten Erich von Lohenburg und der ein
Jahr nach ſeiner Geburt verſtorbenen Fürſtin Charlotte,
einer Prinzeſſin aus einem regierenden ſächſiſchen
Fürſtenhauſe, war der erklärte Liebling des Berliner
Hofes und auch in anderen Kreiſen der hauptſtädtiſchen
Geſellſchaft, namentlich in denen der Gelehrten und
Künſtler, wegen ſeiner bedeutenden Gaben, ſeines
tüchtigen Wiſſens ſeiner friſchen Luſtigkeit und der
anſpruchsloſen Liebenswürdigkeit in ſeinem Weſen
allgemein geſchützt. Er hatte ſich die Vorteile ſeiner
Geburt und der ausgezeichneten Erziehung, die er
genoſſen, ernſthaft zu Nutze gemacht. Nicht bloß
Studierens halber hatte er ſich in Bonn und Heidel=
berg
aufgehalten; er hatte wirklich etwas gelernt,
ohne ſich darum ſeinen Verpflichtungen auf der
Korpskneipe der Preußen= und auf der Menſur
zu entziehen. Er hatte ſich am Tage von Mars la
Tour bei dem berühmten Todesritte das eiſerne Kreuz
in Wahrheit verdient und war am Morgen nach der
Schlacht zum Premierlieutenant befördert worden.
Bei Le Bourget hatte ihn eine Chaſſepotkugel

geſtreift und ihm den oberen Teil der rechten
Ohrmuſchel weggeriſſen. Seine Regimentskameraden
nannten, ihn deshalb bisweilen Prinz Malchus.
Er hatte einige Wochen in Goneſſe liegen müſſen
und war noch nicht ganz ausgeheilt, als er
wieder zu ſeinem Regimente ſtieß, um mit dieſem
gemeinſam nach Deutſchland zurückzukehren. Ein
Jahr darzuf hatte er Aſien bereiſt und nach ſeiner
Rückkehr über das Ergebnis dieſer Reiſe ein ungemein
anziehendes Buch veröffentlicht, das wegen der Wahr=
haftigkeit
und Anſchaulichkeit der Schilderungen Auf=
ſehen
machte, von den befugten Richtern mit Auszeich=
nung
behandelt und von wiſſenſch=ftlichen Autoritäten
ſogar als Quelle angeführt wurde. Seitdem lebte der
Pring. von kleineren Ausflügen abgeſehen, abwechſelnd
auf dem väterlichen Schloſſe und in Berlin, eben bis
zu dem Augenblicke, da er ſeine große amerikaniſche
Reiſe angetreten, die ihn zwei Jahre lang von der
Heimat entfernt hatte; er war jetzt damit beſchäftigt,
die Erfahrungen und Erlebniſſe während dieſer zwei
Jahre in einem neuen Werke niederzulegen. Indeſſen
erſchien es fraglich, ob Prinz Reinhard dazu kommen
werde, ſein Vorhaben auszuführen. Denn gerade in
den letzten Wochen war wieder einmal, wie ſchon mehr=
fach
bei früheren Anläſſen, davon gemunkelt worden,
daß er zu ,etwas Beſonderem' auserſehen ſei. Wenn
in der Tat irgendwo auf dem Erdenrunde, im Sande
der Tropen, auf einer gebirgigen Halbinſel oder ſonſtwo
für einen wenig verlockenden ledigen Thron nach einem
geeigneten Herrſcher gefahndet wurde, ſo wurde mit
einer gewiſſen Regelmäßigkeit der Name des Prinzen
Reinhard von Lohenburg genannt. Es waren auch
früher ſchon mi ſeiner Familie und mit ihm ernſthafte
Unterhandlungen gepflogen worden; ſie waren aber ge=
ſcheitert
, weil Reinhards Ehrgeiz nicht darüber hinaus=
ging
, in ſeinem Vaterlande an beſcheidenerer Stelle
ein nützlicher Mann zu ſein.

Reinhard war ſehr groß - er maß nahezu ſechs
Fuß - und ſehr kräftig gebaut. Er war ſtark wie
ein Athlet. Auf ſeine Körperkräfte war er etwas eitel,
und es machte ihm ſichtlich Freude, wenn ſich zufällig
die Gelegenheit bot, dieſelben zu zeigen. Auf dem
breiten, runden Halſe ſaß ein kluger, männlicher Kopf,
mit großen, offenen, leuchtenden Augen, hoher Stirn,
gerader Naſe, ſcharf gezeichneten Lippen und nach den
Schönheitsbegriffen unverhältnismäßig ſtarkem Kinn,
das dem Geſichte einen eigentümlichen Ausdruck von Ent=
ſchloſſenheit
und Willenskraft gab. Um die Verſtümme=
lung
des rechten Ohres zu verdecken, trug er das Haar
etwas länger als vorſchriftsmäßig. Seine knappe Uni=
vorm
als Major der Garde=Ulanen kleidete ihn gut.
Die ganze Erſcheinung hatte etwas Friſches, Schneidiges,
Männliches.
Das Stück ſchien im erſten Aufzuge lebhaft zu
intereſſieren. Der Aufbau war ſehr geſchickt. Der Prinz
folgte der Expoſition aber ziemlich zerſtreut. Die dunkle
Dame in der zweiten Reihe des Parketts beſchäftigte
ihn offenbar mehr als der Familienkonflikt, der ſich
auf den Brettern zu bilden begann. Ihm war ſo,
als ſei er den Helden der Bühnenhandlung ſchon
irgendwo begegnet, als kenne er die Verhältniſſe, die
da ausgebreitet wurden, als habe er das alles ſo
ähnlich ſchon früher einmal geſehen, gehört oder ge=
leſen
. Mehr aus Artigkeit als aus Ueberzeugung
ſtimmte er in den Beifall, der ſich nach dem erſten
Fallen des Vorhangs erhob, ein. Die beiden Damen
in der Loge waren in hohem Grade erbaut, namentlich
die Botſchafterin fand die Sprache ganz ſuperbe.
Reinhard war viel zu bequem, um ſich auf eine
kritiſche Auseinanderſetzung einzulaſſen, und ſtimmte
höflich zu, um ſich an der Unterhaltung nicht weiter
beteiligen zu brauchen.
Jortſetzung folgt.)

[ ][  ][ ]

Rummer 176.

Darmſtädter Tagblatt, Donnerstag, den 30. Juli 1903.

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[ ][  ][ ]

D. Beilage zum Darmſtädter Tagblatt.

Wl76.

Donnerstag, den 30. Juli=

1903.

Pferde-Verſteigerung.
Dienstag. den 4. Auguſt, vormittags 10 Uhr, ſoll im Großh. Hof=
marſtall
dahier ein ausrangierter Landgeftütsbeſchüler unter der Bedingung,
des ſofortigen Abſchlachtens verſteigert werden.
Darmſtadt, den 29. Juli 1903.
Großherzogliche Landgeſtüts=Direktion.
von Willich.
(13336
Bekanntmachung.
Zu der Vor= und Nachkirchweihe, welche am 6. und 7. September bezw.
am 4. Oktober l. J3. ſtattfindet, ſoll der Platz zur Aufſtellung eines Karuſſells
von ca. 12 m Durchmeſſer und einer Schießbude auf dem Submiſſionswege
vergeben werden. Die Bedingungen liegen auf der Bürgermeiſterei dahier zur
Einſicht offen und ſind daſelbſt die ſchriftlichen Angebote bis längſtens Mittwoch,
den 5. Auguſt 1903 einzureichen.
Ober=Ramſtadt, den 27. Juli 1903.
Großherzogliche Bürgermeiſterei Ober=Ramſtadt.
Fritſch.
U3315

An die
geehrken Hewohner der Stadt Darmſtadt
richten wir hiermit die ergebene Bitte, während unſeren Feſttagen/
am L., 2. und 3. Auguſt d. Js. ihre Häuſer zu beflaggen.-
Insbeſondere ginge dieſe Bitte an die Hausbeſitzer der Haupt=!
ſtraßen und des Mittelpunktes der Stadt, ſowohl auch der
Straßen, welche der Feſtzug paſſiert.
Herſelbe nimmt ſeine Aufſtellung am Ballonplatz, Magdalenen=, Heinheimerſtraße, Mauerſtraße, geht durch Mühlſtraße, Runde=
turmſtraße
, gr. Ochſengaſſe, Marktſtraße, Marktplatz, Ludwigſtraße,
Ludwigsplatz, Schützenſtraße, Hügelſtraße, Wilhelminenſtraße, Wald=
ſtraße
, Grafenſtraße, Bleichſtraße, Bahnhöfen vorbei nach dem
Feſtplatz (Rummelbräu, Allee).
Der geschäftskührende Nusschuss
der 50jährigen Zubelſeier des Geſaugvereins Ceukonia: Darmſtadt.
Wenn man von auswärts Gäſte hringt,
Sprach einft ein Mann, ein weiſer,
Schön würs dann auch beim Säugerfeſt
Der Flaggenſchmuck der Häuſer.
4333]

Von

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Geſchädigten gingen ferner bei uns ein von:
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zuſammen 20 Mk.
Zur Entgegennahme weiterer Geldoohen
ſind wir gern bereit
Die Expedition des Tagblatts.

[ ][  ][ ]

Gene 8.

Darmſtädter Tagblatt, Donnerstag, den 30. Juli 1903.

Rummer 176.

der Karlsruher Deutſch=Kolonialen Jagdaus=
Mitſellung, die ihrem Ende entgegengeht, iſt eine
Lotterie verbunden, deren Ziehung am 11. Auguſt ſtatt=
findet
. Bei dieſer Lotterie kommen 40000 Mark zur
Verloſung, Hauptgewinn 10000 Mk., 3 1000 Mk. bar
ohne Abzug. Das Los koſtet 1 Mk., 11 Loſe 10 Mk. und
ſind auch hiervon Loſe beim Generalagent J. Stürmer,
Straßburg i. E. und den bekannten Verkaufsſtellen zu
(13308
haben. Näheres aus den Inſeraten.

Die Stärke 2 Wahlbeteiligung bei
der Reichstagswahl 1903
ſchwankte zwiſchen 926 und 47 pCt. der Wahl=
berechtigten
. Bei der Wahl im Jahre 1898 gab es
keinen einzigen Wahlkreis mit einer Wahlbeteiligung
von mehr als 90 pCt.- bei der diesmaligen Wahl
gab es vier ſolcher Wahlkreiſe: Wirſitz=Schubin in
Poſen mit 926 pCt. (1898 878 pCt.), Bremen mit
91,8 pCt. (89,1), Lübeck mit 903 pCt. (89,1) und
Hagenau=Weißenburg mit 90, pCt. (81,7). In
Wirſitz=Schubin wühlten von 24053 Wahlberechtigten
22 288, in Bremen gaben von 53480 Wählern
49087 gültige Stimmen ab, in Lübeck wählten
20 263 von 22427 Wahlberechtigten. In dieſen drei
Wahlkreiſen wurde der Kampf gleich in der Haupt=
wahl
entſchieden. In Hagenau=Weißenburg kam es
zur Stichwahl und dabei ſtieg die Wahlbeteiligung
auf 926 pCt. Das Ergebnis in dieſen vier Wahl=
kreiſen
mit mehr als 90 pCt. Wahlbeteiligung war:
2 Sozialdemokraten, 1 Pole und 1 Klerikaler. Wahl=
kreiſe
mit mehr als 80 pCt. Wahlbeteiligung gab
es diesmal 120, alſo faſt ein Drittel oller Wahl=
kreiſe
; im Jahre 1898 waren es deren nur 41.
Weniger als 50pCt. Wahlbeteiligung hatten
nur drei Wahlkreiſe: Paſſau in Niederbayern 49.9
pCt. 1898 448), Deggendorf in Nieberbayern 47
pCt. (325) und Fürſtentum Lippe 48 pCt. (38).
Im Jahre 1898 gab es 26 Wahlkreiſe mit weniger
als 50 pCt. Wahlbeteiligung; meiſt waren es
bombenſichere= Zentrumsdomänen. Merkwürdig iſt
die ſchwache Wahlbeteiligung in Frankfurt a. M.
Dort übten von 73233 Wahlberechtigten nur 40853
oder 55.7 pCt. ihr Wahlrecht aus gegen 65,9 pCt.
im Jahre 1898. Ob dieſer auffallende Rückgang der
Wahlbeteiligung um 10 pCt. in einer Stadt, wie
Frankfurt a. M. auf das Konto des Sängerkrieges
zu ſetzen iſt, der dort eine Woche vor der Wahl
ausgefochten wurde, ſteht dahin. Einzelne Staaten
und Provinzen zeichneten ſich durch eine beſonders
hohe Wahlbeteiligung aus, ſo die Induſtriekreiſe im
Weſten. Ihnen reihen ſich an: Mecklenburg=Schwerin,
das bei ſechs Wahlkreiſen fünf mit mehr als 80p6t.
aufweiſt, das Königreich Sachſen, von deſſen 23
Wahlkreiſen 19 mehr als 80 pCt. Wahlbeteiligung
geigen, die preußiſchen Provinzen Weſtpreußen,
Schleſien und Poſen, ferner die Pfalz, Baden und
Elſaß=Lothringen. Kein einziger Wahlkreis mit mehr
als 80 pCt. Wahlbeteiligung iſt zu finden in Berlin,
in Oſtpreußen, in Württemberg und in den Regie=
rungsbezirken
Wiesbaden, Köln und Aachen. Von den
42 Wahlkreiſen im rechtsrheiniſchen Bayern zeigt nur
einer, Donauwörth, eine Wahlbeteiligung von mehr
als 80 pCt.
Verbrechertum in den Großſtädten.
Das Statiſtiſche Jahrbuch deutſcher Städte=
enthält
Angaben über das Verbrechertum in
den Großſtädten, indem es die Zahl der wegen
Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgeſetze Ver=
urteilten
für 55 Städte mit mehr als 50 000
Einwohnern zuſammenſtellt und ſie mit der Bevölke=
rungsziffer
vergleicht. Wir heben daraus folgendes
hervor: Von den einzelnen Städten hatte das un=
günſtigſte
Verhältnis Poſen, wo auf 10 000 ſtraf=
mündige
Perſonen jührlich 225.2 Verurteilte kamen,
das günſtigſte Zwickau mit 797. Zwiſchen beiden
Extremen liegen die anderen Städte ſo, daß die des
Oſtens ſich dem Maximum nähern, die des Weſtens
meiſt dem Minimum; doch zeichnen ſich manche
Städte in Bayern und in Induſtriegegenden durch recht
hohe Ziffern aus. Hinter Poſen folgen Breslau mit
2081, Königsberg mit 1973, Danzig mit 191,9,
Mannheim mit 1752, Magdeburg mit 174,2, Kiel
mit 170,1, Halle mit 163,7, Nürnberg mit 153,9,
Erfurt mit 1526, Wiesbaden mit 1506, Stettin
mit 1501 und Hamburg mit 148.4 Verurteilten.
Am beſten ſtehen nach Zwickau Krefeld mit 85,0,
Aachen mit 90,1, Barmen mit 91,9, Lübeck mit 95,9.
Darmſtadt mit 985, Straßburg mit 1005 und
Elberfeld mit 102,9 Verurteilten auf 10 000 ſtraf=
mündige
Einwohner. Für Berlin beträgt die Ver=
hältniszahl
1346, ſodaß die Reichshauptſtadt alſo
verhältnismäßig günſtig daſteht.

Fraukreich und der Vatikan.
Während ſowohl Deutſchland wie das mit
ihm verbündete katholiſche Oeſterreich=Ungarn
bereits halbamtlich erklärt haben, daß ſie dem Kon=
Have gegenüber zu größter Neutralität entſchloſſen
ſind, erleben wir das merkwürdige Schauſpiel, daß
das offizielle kirchenfeindliche Frank=
xeich
aus der gebotenen Reſerve heraustritt und die
Entſchließungen des Konklave zu beeinfluſſen ſtrebt.
Man ſollte nach der geringſchätzigen Behandlung, die
dem Papſttume ſowohl wie der katholiſchen Kirche
überhaupt in Frankreich ſeit mehreren Jahren zuteil
wurde, meinen, daß es den franzöſiſchen Machthabern

ganz gleichgültig ſein müßte, wer ſich nach dem Tode
Leos XIII. die Tiara auf das Haupt ſetzt. Nun ſieht
man auf einmal, daß die franzöſiſche Regierung der
Papſtwahl eine große politiſche Bedeutung beilegt,
denn ſonſt würde ſie nicht allgemein verkünden, daß
ſie die Wahl eines ausgeſprochen franzoſenfeindlichen
Papſtes nicht zulaſſen und gegebenenfalls von dem
ihr angeblich zuſtehenden Exkluſivrechte Gebrauch
machen werde. Frankreich, die älteſte Tochter der
Kirche, nimmt alſo gewiſſermaßen eine drohende
Haltung gegenüber dem Konklave ein und unter=
ſcheidet
ſich dadurch recht unvorteilhaft von den anderen
katholiſchen Mächten. Der Miniſter des Aeußern,
Delcaſſs, der eben ſeinen jährlichen Sommerurlaub
in ſeinem Departement de (Arisge antreten ſollte,
hat dieſen verſchoben und verbleibt bis zur voll=
zogenen
Papſtwahl im Quai d Orſay. Dort nehmen
die heimlichen und offenen Konferenzen mit kirch=
lichen
Würdenträgern kein Ende. Wie die Regie=
rungspreſſe
meldet, hat Herr Delcaſſs den Prälaten
ganz unumwunden mitgeteilt, daß Frankreich die
Wahl des Kardinals Rampolla wünſche und daß
Kardinal Mathieu beauftragt ſei, in Rom für ihn zu
agitieren.
Deutſches Reich.
- Die Fertigſtellung des Reichshaus=
haltsetats
ſoll, wie von gut unterrichteter Seite
verlautet, in dieſem Jahre ſo beſchleunigt werden,
daß der Reichstag bei ſeinem Zuſammentritt den
Etat bereits vorfindet und die erſte Leſung vor den
Ferien veranſtaltet werden kann, wie das früher
üblich war. Während der Zolltarif dem Etat voran=
ging
. wird danach der erſte Handelsvertrag
den Reichstag erſt ſpäter, nach den Ferien, beſchäf=
tigen
. Das Schwergewicht der parlamentariſchen
Verhandlungen dürfte alſo in die Zeit zwiſchen
Weihnachten und Oſtern fallen, da hier die Spezial=
erörterung
des Etats, die Handelsvertragsdebatten
und die Beratung der Militärvorlage ſtatt=
finden
werden. Das Programm iſt reichhaltig und
intereſſant; ob der Reichstag beſſer beſetzt ſein wird,
muß nach den Erfahrungen der letzten Jahre gleich=
wohl
bezweifelt werden. Anderſeits wird die Be=
ſchlußfähigkeit
, mehr denn je erforderlich, da die
Niederzwingung ſozialdemokratiſcher Obſtruktion bei
den Handelsverträgen ſchwieriger ſein dürfte als beim
Zolltarif.
- In einer öffentlichen ſozialdemokratiſchen
Parteiverjammlung in München behandelte Abg.
v. Vollmar die Frage einer ſozialdemokra=
tiſchen
Vizepräſidentſchaft im deutſchen
Reichstag. Die Zeit, ſowie die Art und Weiſe, wie
Bernſtein die Frage der Zulaſſung der Sozialdemokratie
zum Reichstagspräſidium vorſchnell öffentlich erörterte,
erachtet Vollmar für unrichtig, ebenſo die Art, wie
Gegner Bernſteins gegen dieſen vorgingen. Die
Frage hätte zunächſt nur in der ſozialdemokratiſchen
Reichstagsfraktion erörtert werden ſollen; wenn ein
offizielles Parteiorgan die Meinung eines einzelnen
in der Form eines amtlichen Erlaſſes wiedergebe,
wie die Neue Zeitu dies betreffs Bebels getan habe,
ſo fordere dies den Spott der Gegner heraus. Ueber
den Rechtsanſpruch der Sozialiſten auf eine Ver=
tretung
im Präſidium beſtehe kein Zweifel. Auch
ſei die Partei darin einig, daß das Recht geltend
gemacht werden müſſe. Andere Parteien knüpften
daran die Bedingung, daß der ſozialdemokratiſche
Bizepräſident auch die repräſentativen Obliegenheiten
übernehme; dazu zühle insbeſondere auch der Be=
ſuch
des Präſidiums bei dem Kaiſer,
um dieſem die Anzeige der Konſtituierung des
Hauſes zu übermitteln. v. Vollmar ſagte: Es
ſteht feſt, daß wir dieſe Bedingung
erfüllen müſſen, wenn wir unſeren Anſpruch
ernſtlich erheben wollen; die Erörterung ſollte ſich
darauf beſchränken, ob die Vorteile oder die Nach=
teile
überwiegen.- v. Vollmar meint, daß erſteres
der Fall ſei und daß ein Sozialiſt ruhig zu Hofe
gehen' könne. Die Frage, ob der Kaiſer auch einen
ſogialdemokratiſchen Reichstagspräſidenten empfangen
werde, iſt bis jetzt nicht aufgeworfen worden. Wie
es ſcheint, nimmt man dies als ſelbſtverſtändlich an.
- Im Reichstagswahlkreiſe Deſſau
haben ſich, wie verſchiedene Blätter berichten, die
liberalen Parteien jetzt dahin geeinigt, den Vize=
präſidenten
des Reichstages in der letzten Seſſion
Geh. Finanzrat Büſing an Stelle des verſtorbenen
Abgeordneten Röſicke als Reichstagskandidaten auf=
zuſtellen
.
Die Einladungen für den Anfang September
in Dresden ſtattfindenden Deutſchen Städtetag
ſind nunmehr an die Stadtvertretungen abgegangen.
Eingeladen ſind 33 Städte mit über 100 000 Ein=
wohner
, die 40 Städte mit 50 000 bis 100 000 Ein=
wohner
und die 78 Städte mit 25 000 bis 50 000
Einwohner. Jede Stadt mit weniger als 100 000
ſEinwohnern iſt berechtigt, zwei Vertreter zu ent=
ſenden
, die Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern
können für die erſten 100 000 Einwohner zwei und
für jede ferneren angefangenen 100 000 Einwohner
je einen Vertreter entſenden. Referieren werden u. a.
Oberbürgermeiſter Adickes=Frankfurt a. M. und
Oberbürgermeiſter Beutler=Dresden über die ſozialen
Aufgaben der deutſchen Städte, Prof. Dr. Wuttke=
Dresden über das Ergebnis der Deutſchen Städte=
Ausſtellung.

- Die badiſche Regierung beabſichtigt nach der
Medig. Reform: die ärztliche Standesorganiſation
als Einigungsamt, zwiſchen Aerzten und
Krankenkaſſen wirken zu laſſen. Ein jetzt vor=
liegender
Entwurf ſieht nach dem Vorbilde Preußens
und Sachſens die Errichtung einer Aerztekammer,
von Ehrengerichten und eines Ehrengerichtshofes vor.
Er unterſcheidet ſich aber in mehrfacher Richtung
von ſeinen Vorbildern. Beſonders ſollen die Ehren=
gerichte
, als Einigungsämter, bei Streitigkeiten
zwiſchen Aerzten und Krankenkaſſen fungieren, indem
gemiſchte Kommiſſionen gebildet werden, aus zwei
Mitgliedern des Vorſtandes der Krankenkaſſen, zwei
ärztlichen Mitgliedern und dem rechtskundigen Mit=
gliede
des Ehrengerichts. Die Vermittlung hat auch
dann einzutreten, wenn ein Vertrag zwiſchen einem
Arzte und einer Krankenkaſſe von einem anderen
Arzte beanſtandet wird.
- Vereits vor Jahren hat das Reichsgericht in
der Aufforderung zur Arbeitseinſtellung
unter Verletzung der zivilrechtlichen Vorſchriften über
die Wahrung der geſetzlichen oder vereinbarten
Kündigungsfriſten eine Aufforderung zum Ungehor=
ſam
gegen Geſetze im Sinne des 8 110 Str.=G.=B.
geſehen. Gegenüber Urteilen von Landgerichten, die
ſich im entgegengeſetzten Sinne ausſprachen, hat das
Gericht dann nochmals zu der Frage Stellung ge=
nommen
und ſie durch Urteil vom 25. Juni 1903
abermals bejaht. Damit iſt wohl die Frage für die
deutſche Rechtsübung endgültig erledigt. Die Gründe
des jüngſten reichsgerichtlichen Erkenntniſſes ſind in
der Hauptſache dieſelben wie die früheren.
Ausland.
- Im ungariſchen Abgeordnetenhauſe gab
Honvedminiſter Koloßvary auf eine Anfrage folgende
Darſtellung des Manöver=Unglücks bei Bielek.
Die Soldaten begannen den Ausmarſch von Trebinge
nach dem 26 Kilometer entfernten Bielek zwiſchen
4 und 5 Uhr morgens. Während der erſten Hälfte
des Weges wurden dreimal Ruhepauſen angeordnet
und alle Erleichterungen gewährt; Waſſer wurde in
Fäſſern genügend nachgeführt. 5 Kilometer vor dem
Endziel, bei Cepilica, wurden zahlreiche Marſch=
unfähige
gemeldet, deshalb wurde abermals eine
Ruhepauſe angeordnet. Danach begann der Aufſtieg
auf dem gebirgigen Weg nach Bielek, wobei ſich die
Temperatur plötzlich auf 40 Grad erhob. 1 Kilo=
meter
vor Bielek wurde geraſtet; da jedoch kein
ſchattiger Platz zu finden war, wurde beſchloſſen,
weiter zu marſchieren, um in dem nur noch 300
Meter weiter gelegenen Bielek Schutz zu ſuchen.
Während dieſes Marſches ereignete ſich das beklagens=
werte
Unglück, daß 15 Mann vom Sonnenſtich be=
troffen
wurden und ſtarben. Von den Erkrankten
befinden ſich 7 in Krankenhauspflege. Strengſte
Unterſuchung iſt angeordnet. Im weiteren Verlauf
der Debatte über den Bieleker Unglücksfall verwahrt
ſich der Miniſterpräſident Graf Khuen=Hedervary
gegen die Behauptung Polonyis, daß nicht=ungariſche
Offiziere ungariſche Mannſchaften ſchlechter behandelten
als ihre Landsleute. Es ſei völlig unbegründet, in
die Führung der Unterſuchung Mißtrauen zu ſetzen.
Das Haus beſchließt auf Anregung des Miniſter=
präſidenten
einſtimmig, der Trauer und dem Beileid
wegen des Bieleker Unglücksfalles im Protokoll Aus=
druck
zu verleihen.
- In einem Telegramm der Kölniſchen 3tg. Berlin vom 27. Juli heißt es: Die aus Bel=
grad
verbreiteten Nachrichten über die angeblich be=
drohte
Stellung des Fürſten Ferdinand von Bul=
garien
ſtellten ſich von Anfang an als phantaſievolle
Unfreundlichkeiten dar und ſind ſchon von den ver=
ſchiedenſten
Seiten nachdrücklich widerlegt. Dieſe
einmal begonnene Kampagne ſcheint jetzt von Ser=
bien
aus fortgeſetzt zu werden, indem man neuer=
dings
Gerüchte über Militärverſchwörungen verbreitet
und die Lage in Bulgarien als durchaus unſicher
hinſtellt. Es iſt nicht unbekannt, daß Serbien ſeit
geraumer Zeit auf den Ausbruch von Feindſelig=
keiten
zwiſchen Bulgarien und der Türkei ſpekuliere,
weil es der Anſicht iſt, daß eine Beteiligung Serbiens
an einem ſolchen Kampfe gegen Bulgarien dem ſer=
biſchen
Staate große Vorteile bringen könne. Der
ermordete König Alexander hat dieſen Gedanken zu
verſchiedenen Malen ausgeſprochen und dabei betont,
daß er einen Krieg zwiſchen Bulgarien und der Türke=
als
eine beſonders günſtige Gelegenheit betrachten
werde, die Scharte von 1885 auszuwetzen und Ver=
geltung
für Sliwnitza zu nehmen. Man müſſe eben=
ſo
wie 1885 Bulgarien in den Rücken fallen, nur
müſſe man das tun mit einer beſſeren Vorbereitung
als diejenige war, die damals zur raſchen und voll=
ſtändigen
Niederlage des ſerbiſchen Heeres führte.
Dieſe Parole Vergeltung für Sliwnitzal- ſcheint die
Militärrevolution in Belgrad überlebt zu haben.
Daß die Beziehungen zwiſchen Bulgarien und Serbien.
trotz gelegentlicher Ableugnungs= und Annäherungs=
verſuche
niemals beſonders gut geweſen ſind, war
ſtets ausreichend bekannt. Neu ſind aber die außer=
ordentlich
hartnäckigen, perſönlich feindſeligen Treibe=
reien
gegen den Fürſten von Bulgarien, den man
ſchon als vogelfreien Landflüchtling hinſtellt. Man
hätte erwarten dürfen, daß die Serben nach der furcht=
baren
Königstragödie in Belgrad, die ſie ſicher in
der Achtung Europas nicht erhöhte, zunächſt einmal
verſuchen würden, durch ruhiges Verhalten die Er=
innerung
an das Geſchehene einigermaßen verblaſſen

[ ][  ][ ]

Rummer 176.

Darmſtädter Tagblatt, Donnerstag, den 30. Juli 1903.

Seite 9.

zu machen. Am allerwenigſten aber hat dieſer in
revolutionären Zuckungen befindliche Staat, der einen
politiſchen Befähigungsnachweis erſt zu erbringen hat,
das Recht, mit politiſchen Treibereien hervorzutreten,
die dem Ziele der Politik der Mächte Erhaltung
des Friedens - entgegen arbeiten und nur deshalb
unſchädlich ſind, weil die Mächte es ſchon verſtehen
werden, einer derartigen ſerbiſchen Taktik angemeſſene
Schranken zu ſetzen.
- Im eugliſchen Uuterhauſe führte bei Be=
ratung
der Bill, betr. die Brüſſeler Zucker=
Lonvention, Handelsminiſter Balfour aus: Die
bona fides Englands erfordert die Annahme der Bill.
Wir können von den eingegangenen Verpflichtungen
nicht, ohne in Mißkredit zu geraten, zurücktreten.
Wir ratifizierten die Konvention mit der ausdrück=
lichen
Reſerve bezüglich der Anwendung der Straf=
beſtimmung
auf Prämienzucker aus unſeren Kolonien.
Ich glaube, die Brüſſeler Konvention wird eine
Periode mäßiger, ſtabiler Preiſe im Gefolge haben
und den Zuckerhandel von den heftigen Schwank=
ungen
befreien, die das Prämienſyſtem verurſacht
hat. Die Konvention hat dem Kartellſyſtem einen
furchtbaren Schlag verſetzt. Longh und Gibſon
Bowles ſprechen ſich gegen den Beitritt Englands
zur Brüſſeler Konvention aus.
Das Oberhaus nahm mit 69 gegen 26
Stimmen die zweite Leſung der Vorlage, betreffend
das Unterrichtsweſen in der Grafſchaft London, an.
Die=Timess melden aus Peking vom 28. ds.:
Der eugliſch=chineſiſche Handelsvertrag wurde
ratifiziert.
- Das Daily Chroniclev erfährt über die Lage
im Often, Rußland machte Amerika und Japan
gegenüber wichtige Zugeſtändniſſe, während Eng=
land
, das die Verhandlungen in viel gemäßigterer
Weiſe geführt hat, ebenfalls alles erlangte, was es
gewünſcht habe. Die entſprechende Erklärung Ruß=
lands
werde in nächſter Zeit veröffentlicht werden.
Es verlautet, daß die ernſte Lage im Orient der
Gegenſtand der Beratung im engliſchen Miniſter=
rate
, der in der vergangenen Woche abgehalten
wurde, geweſen ſei, während, das Reſultat der
günſtigeren Verhandlungen in der geſtrigen Sitzung
bekanntgegeben worden ſei.
Koburg, 28. Juli. Fürſt Ferdinand von
Bulgarien reiſle un 1 Uhr 30 Min. nachmittags mit
den übrigen zum Todestage des Prinzen Auguſt hier
anweſenden Mitgliedern des Hauſes Koburg=Kohary
nach München. Er begibt ſich von dort ſofort auf ſeine
Güter in Ungarn.
1 Nom, 28. Juli. Das BlattPatria' will erfahren
haben, daß der Kaiſer und die Kaiſerin von Ruß=
land
Ende Oktober nach Nom kommen und im Quirinal
Wohnung nehmen werden. Sie werden den neuen Papſt
beſuchen, dieſer Beſuch würde aber von der ruſſiſchen
Geſandtſchaft beim päpſtlichen Stuhl aus gemacht werden.
Petersburg, 28. Juli. Der Kaiſer und die
Kaiſerin ſind heute abend nach dem Sſarow=Kloſter
abgereiſt.
In London verlautet, daß der Gegenbeſuch
des Königs von Italien in London im Verlaufe
des Monats November ſtattfinden werde. Der König
werde mit einer Eskorte italieniſcher und engliſcher
Kriegsſchiffe am 15. November vor Dover eintreffen und
ſich direkt auf ſeiner Reiſe nach Windſor nach London
begeben. Der Monarch beabſichtige, vier oder fünf Tage
zu bleiben, jedoch ſei eine Verlängerung der Beſuchszeit
keineswegs ausgeſchloſſen.

Stadt und Land.
Darmſtadt, 30. Juli.
- Se. Königl. Hoheit der Großherzog empfingen
geſtern den Major v. Friedeburg, Flügeladjutant Seiner
Majeſtät des Kaiſers; den Oberleutnant Hedenus vom
4. Sächſiſchen Feldart=Regt. Nr. 48. den Oberleutnant
v. Winning vom Feldart.=Regt. Nr. 27 und den Leutnant
Broeer vom Inf.=Rgt. Nr. 21, letztere drei von der
Kriegsakademie zur Dienſtleiſtung beim 1. Großh. Drag.=

Regt. Nr. 23 kommandiert; den Oberſtabsarst Schrade
vom Fußart.=Regt. Nr. 11, den Stabsarzt Krantz. den
Dr. Kleefeld von Mainz, den Pfarrer Stempel von
Angersbach zum Vortrag den Geh. Staatsrat Krug von
Nidda, den Regierungsaſſeſſor v. Werner.
Verliehen haben Se. Königl. Hoheit der Groß=
herzog
dem Heinrich Bertaloth, ſeither Vize=
wachtmeiſter
im 1. Großh. Drag.=Regt. Nr. 23. das
Silberne Kreus des Verdienſtordens Philipps des Groß=
mütigen
, dem Forſtwart der abnormalen Domanialforſt=
wartei
Rothenberg II. Georg Braun zu Rothenberg
aus Anlaß ſeiner mit Wirkung vom 1. Auguſt 1903 an
erfolgenden Verſetzung in den Ruheſtand den Charakter
als Förſter.
C. Zur Trauerfeier für Pahſt Leo XIII. in der
katholiſchen Pfarrkirche waren Deputationen der Militär=
gemeinde
und gahlreiche Mitglieder der Zivilgemeinde
erſchienen, ſo daß das Gotteshaus dicht gefüllt war.
Das Seelenamt celebrierte Herr Kaplan Dr. Schneider,
unter Aſſiſtenz der Herren Kapläne Metzger und Göhle,
während die Kapelle des 23. Dragonerregiments unter
Leitung des Herrn Stabstrompeters Schulz mehrere
Trauermärſche ſpielte und der katholiſche Kirchengeſang=
verein
den geſanglichen Teil übernommen hatte. Die De=
koration
hatte Herr Hoftapezier Haag beſorgt, während
Herr Kunſtgärtner Horn die in ſein Fach einſchlagenden
Arbeiten übertragen worden waren, unter denen nament=
lich
die Ausſchmückung des mit einer päpſtlichen Tiara
gezierten Katafalks hervorgehoben werden ſoll. In ſeiner
tiefergreifenden Trauerrede ſchilderte Herr Geiſtlicher
Nat Dr. El3 die umfaſſende Wirkſamkeit des verewigten
Pontifex hinſichtlich der auswärtigen Miſſionen, der Wie=
dervereinigung
der getrennten orientaliſchen Kirchen und
der Beilegung des Kulturkampfs in Deutſchland, nicht
zu vergeſſen ſeines tiefen Verſtändniſſes für die Ar=
beiterfrage
. Die ganze Feierlichkeit, bei der wir auher
einer Anzahl aktiver Offigiere die Herren Generalmajor
a. D. Gerlach, Hauptmann a. D. Waldecker, Miniſterial=
rat
Frhr. v. Biegeleben, Regierungsrat Wick und Bau=
inſpektor
und Stadtverordneter Stieler bemerkten, dauerte
eine ſtarke Stunde.
M. Das 27. Gauturnfeſt findet dieſes Jahr vom
1.-3. Auguſt in Klingenberg a. M. ſtatt. Mit
demſelben wird gleichzeitig das 40. Stiftungsfeſt des
Turnvereins gefeiert. Es ſind alle Anordnungen ge=
troffen
, um den auswärtigen Turnern den Aufenthalt ſo
angenehm wie möglich zu machen. Aus dem Programm
ſei folgendes hervorgehoben: Samstag abend 8 Uhr
Kampfrichterſitzung mit anſchließender Feier auf dem
Feſtplatze. Sonntag: Wetturnen von 6 Uhr vormittags
an, nachmittags Feſtzug, allgemeine Stabübungen,
Muſterriegenturnen, Wettſpiele, Konzert ꝛc., abends 6 Uhr
Preisverteilung. Montag: Volksfeſt. Auch unſere
hieſigen Turnvereine werden ſich mit ca. 70
Turnern am Wetturnen beteiligen. Außerdem werden
Muſterriegen ſtellen: Turngemeinde Darmſtadt, am
Querpferd. Turngeſellſchaft Darmſtadt an zwei Barren,
Turngemeinde Beſſungen an zwei Recken. Auch wird ſich
noch Turngemeinde Darmſtadt am Fauſtball= und Tam=
burinballwettſpiel
beteiligen.
2 Vom Orpheum. Man ſchreibt uns: Während
der Ruhezeit, hat Herr Direktor Fahrenkampf ſein
Hauptaugenmerk, auf Neueinrichtungen und
Verbeſſerungen gerichtet und es verſtanden, das
Etabliſſement immer mehr auf die Höhe der Zeit zu
bringen. Die Bühne hat eine bedeutende Vergrößerung
erfahren und iſt mit vollſtändig neuen, von der Firma
Otto Müller in Godesberg gefertigten prächtigen Deko=
rationen
ausgeſtattet, um künftig allen betreffenden An=
forderungen
entſprechen zu können. Die Damen= und
Herren=Toiletten, die zu wünſchen übrig ließen. ſind
umgebaut und mit aller Zweckmäßigkeit eingerichtet.
Außerdem, hat Herr Fahrenkampf eine Anzahl num=
merierte
Klappſitze auf den beſſeren Plätzen angelegt,
damit auch einzelnen Damen Gelegenheit gegeben iſt, die
Operetten=Abende u. ſ. w. zu beſuchen. Dieſe Neuein=
richtungen
ſind fertiggeſtellt, ſodaß bereits am Samstag,
1. Auguſt, die Eröffnungsvorſtellung mit der
Operette Das ſüße Mädel' beginnt, der am Sonntag
und Montag die Aufführungen Die ſchöne Galathea
und der franzöſiſchen Operette Die kleinen Lämmer=
folgt
. - Auch für weitere Vorſtellungen hat die Direktion
ur beſte Novitäten in Ausſicht genommen und die
Darſteller zum Teil bereits feſt engagiert.
22 Bei den jetzigen ſchönen Abenden iſt der Aufent=
halt
im Garten der Stadt Pfungſtadts angenehm und
wird erhöht durch das urgemütliche Völkchen der Bücke=
burger
Bauern, welche die zum Vortrag gelangenden
Muſikſtücke und komiſchen Szenen exakt und hübſch und
unter lebhaftem Beifall des Publikums zur Ausführung
bringen. Wie wir erfahren, hat Herr Schnauber die Ge=
ſellſchaft
auch für Auguſt engagiert und ſei der Beſuch
der Konzerte beſtens empfohlen.

Mainz, 28. Juli. Im Laufe des geſtrigen Tages iſt
der geſunkene Pioniernachen an die Oberfläche
gebracht worden. Anter ihm fand man einen Teil der
Trümmer vom Mannheimer Boot mit den Rudern ein=
geklemimt
. Die Staatsanwaltſchaft, die geſtern, am
Startplatz eine Ortsbeſichtigung vornahm, belegte die
gefundenen Trümmer mit Beſchlag und 30g auch die=
jenigen
ein, die der Polizeidampfer ſchon am Sonntag
kurg nach der Kataſtrophe aufgefiſcht hatte.
Mainz, 28. Juli. Die Reviſion des Raubmörders
Detroit, der vom hieſigen Schwurgericht zum Tode
verurteilt wurde, iſt vom Reichsgericht verworfen worden.
Gießen, 27. Juli. Der gewiß ſeltene Fall, daß
ſich Verteidiger und Gerichtshof ſowie bedingt auch der
Staatsanwalt darüber vollkommen einig ſind, daß ein
Angeklagter unehrlich gehandelt hat und troßzdem deſſen
Freiſprechung erfolgen muß, weil die Paragraphen des
Strafgeſetzes, die Unterſchlagung, Betrug oder Diebſtahl
behandeln, nicht darauf zugeſchnitten ſind, dieſer Fall
ereignete ſich in der letzten Sitzung der Gießener Straf=
kammer
. Der Angeklagte lieferte als Unternehmer einer
Firma im Rheinlande aus einem einem Dritten gehörigen
Steinbruch Material. Wegen der Brauchbarkeit der
Steine kam es zu Anſtänden, die Firma verzichtete auf
Weiterlieferung, ſandte dem Angeklagten eine Schlußab=
rechnung
und ſein Reſtguthaben zu. Der Angeklagte
ſtellte auch den Steinbruchbetrieb infolgedeſſen ein. An
Stelle des Angeklagten machte nun ein anderer Unter=
nehmer
das Geſchäft mit der rheiniſchen Firma. Die
Firma überſandte nun irrtümlicherweiſe 740 M. für die
erſten von dem neuen Unternehmer erfolgten Lieferungen
an den Angeklagten, der dem Poſtboten den Betrag ab=
nahm
und den größten Teil desſelben zu ſeinem Nutzen
verwendete, obſchon er wußte, oder den Umſtänden nach
wiſſen mußte, daß das Geld für ihn nicht beſtimmt ſein
konnte. Das Schöffengericht hatte den Angeklagten dieſer=
halb
wegen Unterſchlagung zu 6 Wochen Gefängnis ver=
urteilt
. Die Strafkammer erkannte jedoch auf Aufhebung
der Vorentſcheidung und ſprach den Angeklagten frei, in=
dem
ſie das ergangene Urteil wie folgt begrundete. Der
Gerichtshof erkenne in Uebereinſtimmung mit dem Staats=
anwalt
an, daß der Freiſpruch ſich nicht in Uebereinſtim=
mung
befinde mit dem Rechtsbewußtſein des Volks, denn
die Handlungsweiſe des Angeklagten ſei unehrlich. Trotz=
dem
habe man auf Freiſprechung erkennen müſſen, weil
nach den Beſtimmungen des Bürgerlichen Geſetzbuchs der
Abſender der 740 M. wenn auch irrtümlich, eine Eigen=
tumsübertragung
an den Angeklagten gewollt habe, und
dieſer ſei durch die Annahme der Geldſendung auch tat=
ſächlich
Eigentümer geworden. Zu einem weſentlichen
Beſtandteil des Vergehens der Unterſchlagung gehöre,
daß die Hinterziehung fremder Sachen, im vorliegenden
Falle fremder Gelder, geſchehen ſein müſſe, darum habe,
ſo wie geſchehen, erkannt werden müſſen.

Reich und Ausland.
Aus der Reichshaugtſtadt, 28. Juli. Wie verlautet,
will die Kaiſerin ſchon im Laufe dieſer Woche
Kadinen wieder verlaſſen und ſich nach Kiel begeben
und von dort aus an Bord der Schonerjacht Juna
Ausflüge nach Alſen und der Flensburger Föhrde unter=
nehmen
. Dabei ſind Beſuche in Glücksburg und Grün=
holz
in Ausſicht genommen. - Gegen die öffentlichen
Vorſtellungen von Magnetiſeuren und Hyp=
notiſeuren
wenden ſich der Kultusminiſter und der
Miniſter des Innern mit der ſolgenden Verfügung: In
unſerem Erlaß vom 12. Mai 1881 iſt darauf hingewieſen
worden, daß öffentliche Vorſtellungen von ſogenannten
Magnetiſeuren die Möglichkeit einer Schädigung der
dabei als Medien benutzten Perſonen ſehr nahe legen
und deshalb angeordnet worden, daß die Veranſtaltung
derartiger öffentlicher Vorſtellungen nicht zu geſtatten ſei.
Aus Anlaß eines Falles von ſchwerer Geſundheits=
ſchädigung
, welche neuerdings durch die Einwirkung eines
Suggeſtors in einer öffentlichen Vorſtellung herbeigeführt
worden iſt, bringen wir obigen Runderlaß unter Hinweis
darauf in Erinnerung, daß den Magnetiſeuren die Sug=
geſtoren
und Hypnotiſeure gleich zu achten ſind. Wir
erſuchen daher erneut, die Poligeibebörden anzuweiſen,
die Veranſtaltung öffentlicher Vorſtellungen von Ein=
wirkungen
auf den Menſchen mittels Suggeſtion, Hypnoſe,
Magnetismus und ähnlicher Methoden nicht zu ge=
ſtatten
. - Bankier Auguſt Sternberg hat ſich
dauernd in Paris niedergelaſſen und wird nicht mehr
nach Berlin zurückkehren. Seine Vertreter ſind mit der
Veräußerung ſeines Berliner Grundbeſitzes beſchäftigt,
der 14 Grundſtücke umfaßt und auf 35 Millionen Mark
bewertet wird. Nach Unterſchlagungen in Höhe
von 3000 Mk. hat ſich der Kaſſierer des Verbandes der
Tapezierer Leo Schmidt ſelbſt der Polizei geſtellt. Eine
außerordentliche Generalverſammlung der Tapezierer, die
im Gewerkſchaftshauſe ſtattfand, befaßte ſich mit dieſen

Kunſt, Wiſſenſchaft und Leben.
Wie gemeldet, hat der Kaiſer den königlichen
Muſeen in Berlin ein wertvolles Gemälde von Rubens
geſchenkt. Es ſtammt aus der ſpäteſten Zeit des Künſt=
lers
, das ihn in einer Darſtellung: Diana mit ihren
Rymphen. von Sathrn beſtürmt, auf der Höhe ſeiner
Meiſterſchaft zeigt. Es wird bei dieſer Veranlaſſung
darauf aufmerkſam gemacht, daß ſich ähnliche Dar=
ſtellungen
von Rubens in der Darmſtädter Galerie
und in München befinden.
1 Marieceiſtinger feierte am 26. d. Mts. in
vollſter Friſche ihren 70. Geburtstag. Eine Kette
von Erfolgen war ihre Laufbahn, deren Hauptſtation in
verſchiedenen Phaſen immer Wien geweſen. Hier erregte
ſie zuerſt als falſche Pepital ungeheures Aufſehen, das
ihren Ramen weltbekannt machte. Sie, die urwüchſige
Oeſterreicherin, wurde die klaſſiſche Verliner Soubrette.
Aber ſchon regte ſich in ihr auch der Drang zum Extrem,
und ſie trat neben Hermann Hendrichs, vielbeſtaunt, im
Schau= und Trauerſpiel auf. Da holte ſie Strampfer
heim und ſie zog im Triumph in Wien ein - als
ſchöne Helena mit der ſie den Typus ſchuf für die
Darſtellung dieſer Rolle und für die Auffaſſung der
parodiſtiſch=geiſtreichen Kunſt Offenbachs überhaupt.
Dieſer vergötterte ſie geradezu und nannte ſie begeiſtert
die berufenfte Offenbachantin Auch Johann Strauß
und Millöcker und die franzöſiſchen Meiſter der Operette
führte ſie zu Siegen. Im Jahre 1869 wurde ſie Direk=
torin
an der Seite Max Steiners. In ihre Aera fällt
die Entdeckung und Pflege der Muſe Anzengrubers, dem
ſie die Anna Birkmeier, die Horlacherlies, die Gelbhof=
bäuerin
in idealer Naturwahrheit verkörperte. Auguſt
Förſter und Heinrich Laube führten ſie dann nochmals
nach dem Tragiſchen hinüber, ſie trat in Shakeſpeare=
ſchen
Tragödien auf und beſtand auch da mit hohen
Ehren, ſtellte ſich raſch in die Vorderreihe des deutſchen
Schauſpiels - und ſchon trug ſich Adolf Wilbrandt mit
dem Gedanken, ſie für tragiſche Mutterrollen und vor=
mehme
reifere Salondamen an das Burgtheater zu be=

rufen, als ſich in ihr wieder der Soubrettenteuſel regte
und ſie veranlaßte. auf einer amerikaniſchen Tournee all
ihre diametral entgegengeſetzten Künſte zu ſpielen. der
Medear die Näherinz, der Königin Eliſabeth die
Schöne Helene der Herzogin im Glas Waſſer die
Leni in Drei Paar Schuhe= und der Sappho= den
Bettelſtudenten' folgen zu laſſen. Der Erfolg war ein
ungeheurer. Ein Augenleiden erzwang längere Raſt=
pauſen
, zwiſchen die ſich immer wieder ein freudig be=
grüßtes
Wiederſehen mit ihren Wienern und auch
mancher Gaſtausflug einſchob, und noch zwei Amerika=
fahrten
. MMünch. N. Nachr.)

Kleines Feuilleton.
2 Der jüngſte Bismarck. Der jüngſte Sohn
des Fürſten Herbert Bismarck iſt am 26. ds. in Friedrichs=
ruh
durch Paſtor Weſtphal aus Brunſtorf getauft wor=
den
. Er erhielt den Vornamen Albrecht. Die Zahl der
Enkel und Enkelinnen des erſten Reichskanzlers, welche
den Namen Bismarck führen, beträgt ietzt 9, nämlich
4 Enkel und 5 Enkelinnen. Der Exbe des Fürſtentitels,
der älteſte Sohn des Fürſten Herbert, der natürlich den
Namen Otto führt, iſt im Jahre 1897 geboren. Er hat
noch 2 Brüder und 2 Schweſtern. Die übrigen Bis=
marcks
ſind Kinder des verſtorbenen Grafen Wilhelm
Bismarck, des jüngeren Bruders des Fürſten Herbert.
Eine eigentümliche Verunglückung
meldet der Polizeibericht Nürnbergs. Ein Schreiner, der
abends in einem Laden Einkäufe gemacht hatte, ging
ſtatt durch die Türe, jaus Verſehen; durch das große
bis auf den Boden reichende Schaufenſter hinaus. Er
gelangte auch wirklich ins Freie, denn die ſtarke Spiegel=
ſcheibe
ging in Trümmer, aber die Glasſplitter fügten
ihm ſtarke Verletzungen zu.
Die Schweſter der Königin Draga im
Variéts. Die jüngſte Schweſter der Königin Draga,
die 25jährige Giena Lunjewitza, wird im September eine
Rundreiſe durch alle europäiſchen Großſtädte unternehmen
und Zürich, Wien, Peſt, Frankfurt a. M., Berlin, Brüſſel

beſuchen. Sie will über die Mordnacht im Belgrader
Konak Vorträge halten. Einer ihrer Freunde, ein
ſerbiſcher Gutsbeſitzer, hilft ihr über die erſten finanziellen
Schwierigkeiten hinweg. Ein Impreſario iſt eifrig an
der Arbeit, Engagements abzuſchließen. Giena Lunje=
witza
iſt damit beſchäftigt, das ſelbſt erlebte und ihr mit=
geteilte
Material zuſammenzuſtellen.
( Fatale Reiſeerlebniſſe hat ein Kegler aus
Tilſit gehabt, der am Sonntag mit ſeinem Klub eine
Vergnügungsreiſe nach Memel machte. Nachdem- ſo
erzählt die Köln. Volks3tg. die Klubmitglieder in
der Oſtſee ein Bad genommen hatten, wurde ein Kegel=
ſchütze
merkwürdig ſtill; er öffnete den Mund überhaupt
nicht mehr. Schließlich ſtellte ſich heraus, daß die Wellen
beim Tauchen in der Oſtſee ſein falſches Gebiß verſchluckt
hatten. Nun ging es nach dem Leuchtturm, auf deſſen
Zinne ein heftiger Wind wehte. Als man wieder unten
war, hatte der Stumme; oben ſeinen Strohhut ver=
geſſen
. Dem Leuchtturmwächter wurde zugeruſen, den
Strohhut herunterzuwerfen, was dieſer mit dem Erfolg
ausführte, daß der Hut durch den Wind in die See ge=
trieben
wurde und in der Richtung nach Schweden ab=
ſegelte
. Zähne und Kopfbedeckung war der Kegler los.
Im nächſten Gaſthauſe wurde Raſt gemacht, und da die
Kegler beſchloſſen, den Weg von der Förſterei nach
Memel zu Fuß zurückzulegen, ſchenkte der Stumme dem
Kellner ſeine Rückfahrkarte Memel=Förſterei. In Memel
angekommen, machte der Pechvogel die Entdeckung, daß
er die Rückfahrkarten verwechſelt und dem Kellner ſeine
Rückfahrkarte Tilſit=Memel gegeben hatte. Auf der
Rückfahrt nach Tilſit verſpürte er heftige Zahnſchmerzen,
trohdem yſeinen Zähne auf dem kühlen Grunde der Oſt=
ſee
lagen. Bei der Strandpromenade ohne Hut hatte er
ſich eine tüchtige Erkältung zugezogen. Beim Hinaus=
ſpringen
aus dem Zuge in Tilſit verſtauchte ſich der
Aermſte noch einen Fuß. Infolge ſeiner Heldentaten hat
ihn der Kegelklub zum Ehrenmitglied ernannt, was ihm
einigen Troſt brachte.

[ ][  ]

Eküe 10.

Darmſtädter Tagblatt, Donnerstag, den 30. Jäli 1003.

176.

Heruntrenungen. Es fand eine teilweiſe recht erregte
Ausſprache ſtatt, da die Unterſchlagunzen 'ſchon auf
längere Zeit zurückzuführen find, ohne daß ſie von den
Reviſoren bemerkt wurden. Der ungetrene Kaͤſſierer be=
findet
ſich im Moabiter Unterſüchungsgefängnis. - Zum
Zuſammenbruch des Bankhäuſes Schrndler hat
die Unterſuchung ergeben, daß der flüchtig gewordene
Buchhalter Jakobus nur eine vorgeſchobene Perſönlichkeit
war. Die Geſamthöhe der Unterſchlagungen beträgt weit
mehr als zuerſt angenommen wurde. mindeſtens aber
400000 Mk. Einzelne Depots ſind 'ſchon ſeit mehr als
drei Jahren nicht mehr vorhanden.
Aſchaffenburg. 28. Juli. Der ſtaatliche Kran,
am neuen Hafen 'ſtürzte heute früh mit einer Laft zum
Teil in den Main und zum Teil in ein mit Maſchinen=
teilen
beladenes Schiff. Ber Kran iſt vollſtändig demö=
liert
und die Quader, auf welchen er befeſtigt geweſen,
ſind geborſten. Das Schiff iſt beſchädigt, der Materlal=
ſchaden
bedeutend. Die Urſache des Unfalles konnte noch
nicht feſtgeſtellt werden.
Dübingen, 28. Juli. Heute vormittag iſt der
Privatier Kraus von hier in ſeiner Behauſung erſchlagen
aufgefunden worden. Geld und Wertpapiere fehlen. Der
Tat verdächtig iſt' ein Schneider von Degerloch bei
Stuttaart, der fluchtig geworden iſt.
Altenburg. 28. Juli. Die Vorbereitungen zu dem
am 3. Auguſt d. J. ſtattfindenden 5ojöhrigen
Regierungsiubiläum des Herzogs ſind in die
wese geleitek; worden. Sämtliche Hauptftraßen der
Reſidens werden zu beiden Seiten in geringen Abſtänden
mit Fichtenbäumchen beſetzt. Ehrenpforten und Flaggen=
maſte
werden errichtet und die Häuſer mit Girlanden
und Kränzen, Fahnen und Flaggen, mit entſprechenden
Inſchriften und -Emblemen verſehen. geſchmücke Im
fuͤrſtlichen Hoftheater iſt man ſchon ſeit einigen Wochen
mit der Einſtudierung des vom Pfarrer Eckardt ver=
faßten
Feſtſpiels Erneſtiners; beſchäftigtu Zu der
Feier werden zahlreiche Fürſtlichkeiten von auswärts er=
wartet
.
Tübeck. 28. Juli. Dem bekannten Feſſelkünſtler
Williams iſt ein Mißgeſchick widerfahren, das in Artllelns
kreiſen lebhaft erörtert wird. - Williams unterſchrieb für
eine von ihm eingegangene Schuld einen Wechſel mit
ſeinem Artiſtennamen Williams, unter dem er
in weiten Kreiſen bekannt iſt. Trotzdem der Wechſel von
dem Akzeptanten pünktlich eingelsſt; wurde, wurde
Williams eines Tages unter Beſchuldigung der Wechſel=
fälſchung
verhaftet. Auf Beſchwerde bei der Oberſtaats=
anwaltſchaft
wurde der Verhaftete wieder auf freien Fuß
geſetzt, doch iſt das gegen ihn eingeleitete Verfahren noch
nichk abgeſchlöſſen. Vie Staatsanwaltſchaft vertritt die
Anſicht, daß ein Artiſt. der einen Wechſel akzertiert, außer
ſeinem Arthtennamen auch ſeinen bürgerlichen Nanten
zu Unterſchreiben habe, andernfalls mache er ſich einer
Fälſchung ſchuldig.
Hamburg, 28. Juli. Drei Lumpenſammler tranken
eine auf einem Schüttailodeplatz gefundene Flaſche, in
der ſie Poͤrtwein vermmteten, aus und ſtaͤrben'nach
wenigen Stunden. Die Art des Giftes iſt noch nicht
feſigeſtellt.
Vimbach, 28. Juli. Am Bahnübergange nahe der
Halteſtelle Kändler wurde dem Limbacher Tageblatt=
zufolge
heute nachmittag das mit zwei Pferden beſpannte
Geſchirr des Grünwarenhändlers Schuſter in Chem=
nitz
von einem Perſonenzuge der Linie Wüſtenbrand-
Limbach überfahren. Schuſter wurde der Kopf
vom Nuͤmpfe getrennt und der Arm abgefahren. B45
eine Pferd wurde getötet, das andere it unverletzt. Der
Wagen iſt völlig zertruͤmmere
Reatzel, 28. Juli. Der Anblick des keuerſpeienden
Veſuvs iſt beſonders zur Nachtzeit, auch von Neapel
aus geſehen, ſehr eigenartig. Von allen Seiten ſtroͤmen
die Fremden herbei, um ſich die Gelegenheit eines ſo
prächtigen und durchaus gefahrloſen Schauſpiels nicht
entgehen zu laſſen.- Profeſſor Matteucci. Direktor des
Veſuv=Obſervatoriums, der ſofort beim erſten Ausbruch
lich zum Hauptkrater begeben hat, ſchreibt über dieſen
ſeinen Ausflug wie folgt; Auf der Kraterhöhe etwaͤs
nach Mitternächt angelommen, bemerkte ich, daß den
Exploſionen ftets ein donnerähnliches Getöſe vorausging,
gleich einem ſehr ſchnellen fernen Trommelwirbel. Die
Exploſiönen kamen aus einer zahlloſen Menge von Feuer=
ſchlunden
auf dem Gründe des Kraters, die fortwaͤhrend
ihre Stelle wechſelten. Der Kratergrund erſchien faſt
eben und bedeutens erhöht. Eine der rei vor einigen
Tagen von mir beöbachteten Oeffnungen auf dem Grunde
des Kraters, und zwar diejenige nach der Seite von
Pompeii zu, hat ſich ſeitwärts durch den Kraterregel
durchgefreſſen und hat außen eine ſolche Menge von
feurigem Material angehäüft, um daraus einen neuen
Keger zu bilden, der auch von Neapel aus als ein kleiner
Vorſprung auf dem äußeren Profil des Kraters ſichtbar
iſt. Um die fließende Lava zu ſehen, mußte ich um den
Krater herum, über äußerſe 'ſchwieriges Terkain, und
über den Kraterrand bis zu jenem keinen neuen Kegel
gehen. Dieſer zeigt zwei glühende Oeffnungen, eine auf
der Spitze aus der er glühende Maſſen ſchleuderte, und
eine zuͤr Seite, aus der feurige Lava in mehreren Bächen
floß. die ſich aber in der Verkiefung um den Krater an=
ſammelte
ohne den Rand derſelben zu überſchreiten. Um
es kurzs zu ſagen, die Situatiom it ähnlich derjenigen
kurz vor dem großen Ausbruch 18½2. mit dem Unker=
ſchiede
, daß diesmal die erſten Symptome auf der ent=
gegengeſetzten
Seite ſich einſtellten.- Falls die Tätigkeit
des Berges in der bisherigen Weiſe fortdauert, iſt die
Möglichkeit vorhanden, daß die Tava ihren gegenwärtigen
Wall überſchreiter und vom Krater herabſtrömt, ähnlich
wie in den Jahren 1885-86.

Parlamentariſches.
( Das Großh. Miniſterium, Abteilung für Landwirt=
jaft
, Handel und Gewerbe, hat den Entwurf eines Ge=
ſeö
, betreffend die ſtaatliche Schlachtviehver=
cherung
; den landwirtſchaftlichen Pro=
inzialvereinen
zur Begutachtung unterbreitet. Der
ntourk ſieht vor. daß eine Schlachtviehverſicherungsan=
lt
auf Gegenſeitigkeit unter ſtaatlicher Berwaltung er=
chter
werden ſoll; verſicherungspflichtig ſollen alle im
ebiete des Großherzogtums zür Schlachtung kommen=
Rinder und Schweine ſein, welche über drei Monate
t ſind. Die Entſchädigung ſoll nach dem Schlachtwert
meſſen werden, abzüglich des tatſächlichen Wertes der
wendbaren Teile des geſchlachteten Tieres, außerdem
len die Koſten der Schlächtvieh=Fleiſchbeſchäu, Schlacht=
ebühren
und Schlächterohn erſetzt werden. Voralls=
tzung
der Entſchädigungsleiſtung iſt, daß mindeſtens
7 Viertel des Tieres für untauglich bedingt tauglich
der minderwertig erklärt worden iſt. Eine Entſchädi=
ung
wird nicht gewährt, wenn für die Tötung des
eres auf Grund reichs= oder landesgeſetzlicher Vor=
hriften
eine beſondere Entſchädigung vorgeſehen iſt;

ferner wird eine Entſchädigung nicht gewährt für Rin=
der
die ſich nicht während der letzten neun Monate, und
für Schweine. die ſich nicht während der letten ſechs
Monate im Großherzogtum befunden haben. Die Mittel
zur Deckung der von der Verſicherungsanſtalt zu leiſten=
den
Entſchädigungsbeträge ſollen hauptſächlich durch feſte
Beiträge der Viehbeſitzer aufgebracht werden.
Nach dem Tode des Papſtes.
Durch den ſpaniſchen Miniſterwechſel ſind die Aus=
ſichten
Rampollas geſtiegen-Sämtliche ſpaniſchen
Kardinäle werden auf Veranlaſſung der Regierung für
ihn ſtimmen. Auch die Stimmen der franzöſiſchen
Kardinäle ſind Rampolla geſichert. Meſſagero= meldet,
der Biſchof von Cremona, Bonomelli, ein perſönlicher
Freund Zanardenis, habe dieſem in einem Briefe ſeine
Freude über die maßvolle, unparteiiſche Haltung der
Narieniſchen Reyierung unter den gegenwärtigen
ſchwierigen Verhältniſen ausdeſprochen.
Diel Reffen Leos KrII. wöllen gegen das
Teſtament Einſpruch erheben und den Beweis an=
treten
, daß der Papſt ſie zu einer ihre Mittel weit uber=
ſteigenden
Lebenshaltuna gezwungen habe ohne jie hier=
für
auch nur im geringſten Teile zu entſchädicen. Das
Gleiche taten bekanntſich auch die Erben Pius Ix.
Her heilige Stuhl zog damals dem Rechtsweg einen
Ausgleich vor und zahlte den Erben 700 006 Lire aus.
W.B: München, 29. Juli. Anläßlich des Todes
des Papſtes fand geſtern im Dom ein Vigilie und
heute ein Requiem ſtatt, das der Erzbiſchof Llebrierte.
Homprediger Dr. Moshammer hielt die Trauerrede.
Dem Requiem wohnten der Prinzregent, die hier an=
weſenden
Mitalieder des Königlichen Hauſes, Runtius
Maͤcchi. das Viplomatiſche Korps. die Staatsminiſter,
die oberſten Hoſchargen, mehrere Univerſitätsprofeſſoren,
die katholiſchen Studentenvereine und viele anderen Per=
ſonen
bei.
= Päris, 29. Juli. Die Blätter ſtellen feſt, daß
bei der geſtrigen Trauerfeier fur den Papſt Miniſter=
präſidentCombesſichnichtvertretenließ
.
Der igaro= ſchreibt in einem Artirel darüber, die
franzöſiſche Regierung ſei die einzige in Europa, die
durch Fernbleiben zegen die dem Papſte dargebrachte
Huldigling proteftiert habe Die radikalen Blätter heben
hervor, es zeige lich bei dieſer Gelegenheit, daß in dem
jetzigen Kabinett Zwieſpalt beſtehe, der einen Richtung
gehörten Delcaſſs - und Andrs die perſönlich zu der
Feier erſchienen; ſowie Rouvier und Marusjouls, die
Lertreter geſandt hatten; zur anderen Richtung gehörten
Combes. Balls, Pelletan, Doumergue, Troufliet u. a.
Der geſtrige Zwiſchenfall ſei bezeichnend für die Meinungs=
verſchiedenhelt
. die im Minifkerium über die Hauptfräge
der Politik beſtehe.
F.B. Röm. 29. Juli. Heute morgen wurde eine
Kardinalverſammiung abgehalten. Um 10 Uhr
wurde der zweite Trauergoktesdienſt in der
Girtiniſchen Kapelle veranſtaltet. Demſelben wöhnten
etwa 56 Kardinäle, das diplomatiſche Korps, der Adel.
ſowie Landere geladene Verſönlichkeiten bei. Kardinal
Kopp zelebrierke die Traulermeſſe Die Kardinäle
Cooſens, Svampa, Gruſcha und Perrand erkeilten die
Abſolution.-
Letzte Nachrichten.
Mainz. 29. Juli. Die Leiche des am Sonntag
bei der Mäinzer Regatta ertrunkenen Auguſk,
Freier aus Mannheim wurde geſtern in Bingen geländet.
Berlin, 29. Juli. Die Kaiſerin ließ dem Vater=
ländiſchen
Frauenverein für die Provinz Pöſen als Bei=
hüfe
für ſeine Hiltstätigkeit zum Beſten der Ueber=
ſchwemmten
einen Beitrag von 1000 Mark zugehen.
Wll. Br Berlin, 28. Juki. Die Nordd. Allg. Zeitung
ſchreibt: Unter dem Vorſitze des Finanzminiſters von
Rheinbaben ſand heute im Finanzminiſterium unter
Zuziehung von Vertketern der Miniſterien der geiſtlichen
Angelegenheiten der Tandwirtſchaft, des Innern und
der öffentlichen Arbeiten eine Verätung über die an=
läßlich
der diesjährigen Ueberſchwemmungen
in der Provinz Poſen zu treffenden Maßnahmen
ſtatt. Für die nächſten Maßnahmen wurde der Betrag
vön 30000 Mark' als nokwendig bezeichnet, von dem
ſeitens des Finansminiſters vorbehaltlich der nachträg=
lichen
Genehmigung des Landtags ſofort 270060
Mark könd perdu zur Verkügung geſtellt werden,
während die Vertreter der Provins die Gewährung
einer Beihilfe von 30000 Mark kond perdu glaubten
in Ausſichr nehmen zu können. Im uͤbrigen Cherricht
Einverſtändnis, wenn; auch die Entſchließung über
die weiter erforderlichen Maßnahmen vorbehalten bleiben
müſſe. bis die neuen Ermittelungen über den Umfang

4obel ie Londaneuis be vils den nit
Regierüngspräſidenten von Frankfurt a. d. O. eine
gleſche Beratung im Finanammniſterium ſtatt.
w.B. St. Gvar, 29. Juli. Heute früh iſt an der
Burg Rheinfels bei St. Goar ein Teil nach der
Bebernheimer Straße zu zuſammengeſtürzt.
Menſchen ſind nicht verletzt. Die Straße iſt geſperrt.
( Peft; 29. Juli. Wie verlautet, wurden die Ver=
mitteluͤngsvorſchläge
, welche auf das Nachlaſſen der
Bbſtruktionrhinzielten. vom Miniſterpräſidenten
Khuen=Hedervary abgelehnt, da der Häuptpunkt der
Vorſchläge dahin ging, daß die Regierung eine bindende
Erklärung über die Einführung der ungariſchen Köm=
mandoſpkache
mit Einhaltung eines beſtimmten Zeit=
punktes
abgeben ſollte. Dieſe Forderung wurde als mit
dem Standpunkt der lberalen Partei und dem der Re=
gierung
völlig unvereinbar zurückgewieſen.
B.-Pſt, 29. Juli. vAvgeoronetenhaus.
Abg. Zoltan Papp iKoſſuth=Partey erklärt unter großer
Spännung des Hauſes, däß geſtern der ehemalige Abg.
Dienes ihm 12000 Kronen-Abergeben habe dämit er
von der Obſtruktion zurücktreke und Peſt verlaſſe.
Dienes habe 2000 Kronen als Proviſion zürückbehalten.
Die 10000 Kronen, die er (Papph angenommen habe,
um ein corpus delicti in Händen zu haben,
lege er auf den Tiſch: des- Hauſes; nieder.
In den Wandelgängen wirrde mitgeteilt, dah Dienes
jetzt Bücher=Kolporteur ſei und von keiner Seite als
Vertrauensmann angeſehen werden könne. Abg.
Lovaſiy berichtet, daß an den Direktor des Magyar
Orszag.. Aufrecht, eine Anfrage gerichtet worden ſei
wegen des Preiſes, den das Blatt fordern würderwenn
es die Einſtelluͤng der Obſtruktion befürworte. Als
Anfragenden bezeichnete er den Redakteur eines Kol=
portageblattes
, Arthur Singer. Abg. Thof beantragt
die Einſetzung einer Kommiſſion zur Unterſuchung des
Vorfalles. Der Antrag wird einſtimmig angenommen.

Um 1 Uhr erhebt ſich der Miniſterpräſident, um zu
beantragen, die Erörterung über ſein Programm zu
unterbrechen und zur Verhandlung der Indemnitäts=
Vorlage überzugehen. Nach den erſten Worten
erhebt die Obſtruktion ein viertelſtündiges ohren=
betäubendes
Geſchrei. Der Vigepräſident iſt genötigt,
die Sttzung zu unterbrechen. Kch der Wieder=
aufnahme
erhebt ſich der Miniſterpräfident wiederum=
worauf
der tobende Lärm neu beginnt. Der Miniſter=
präſident
ſteht 10 Minuten aufrecht, ohne zum Wort
gelangen zu können, und läßt ſodann dem Schrift=
fuͤhrer
den ſchriftlichen Antraz -überreichen. das
Haus möge in die Verhandlung der Indemnitäts=
vorlage
eintreten. Als dies die Obſtruktion bemerkt,
ſtuͤrzen die Abgeordneten Ratken; und Fay nach
dem Präſidententiſch und verſuchen dem Schrift=
fuͤhrer
den Antrag zu entreißen. Dieſer wehrt ſich
mit Gewalt gegen die auf ihn eindringenden Mitglieder
der Obſtruktion und nimmt das Blakk mit dem Antrag.
in die andere Hand. Doch gelingt es den Angreifern
von der anderen Seite das Blatt zu erhaſchen und zu
Verreißen.- Unterdeſſen erhält der Präſident eine zwefte
Ausfertiaung des in zwei Exemplaren eingereichten An=
trags
. Der Antrag iſt ſomit eingereicht. Die Tribüne
um den Präſidenkentiſch füllt ſich mit Abgeordneten
beider Parteien. die in leidenſchaftlichen Wortwechſel
geraten=Punter großer Aukregüng wird die Sitzung
uͤnterbrochen und eine geſchlofſene Sitzung angeſetzt.
1 Nom, 29. Juli. Der König traf heute frühr Uhr
45 Minuten hier ein und begab ſich ſofort zur Trauer=
feier
anläßlich der Wiederkehr des Todestages König!
Humberts in das Vantheon, wo kurz darauf die Königin=
Mutter eintraf. Der Könia und die Königin=Mutter
wurden vom Unterrichtsminiſter empfangen. Sie wohnten
der Meſſe bei, die vom Hofalmoſenier Vianchi geleſen
wurde, Und legten am Grabe König Humberts einen
Lorbeerkrans nieder Auch Zanardellk ließ einen Kranz
niederlegen. Der Könia und die Königin=Mutter wurden
von einer zahlreichen Menſchenmenge äuf dem Platze vor.
dem Pantheon achtungsvoll begrüßt. Die öffenklichen
und viele private Gebäüde hatten auf Halbmaſt geflaggt.
wB. Larvik Norwegeny. 29. Juli.- Am Monkäg
abend und in letzter Nachk wurden Auzſchreitungen
gegen den Polizeimeiſter Selicath wegen ängeblich rück=
ſichtsloſer
Behändlung von Arreſtanten verübt. Die
Menge ſchlug die Fenſter und Türen der Polizeimeiſter=
wohnung
und des Polizeibureaus ein und verletzte
Polizeibkamte. 6 Arreſtanten wurden gewaltſam befreit.
.ß.B. London, 29. Juli. Dem Neuterſchen Bureau
wird aus Damaskus vom 26. Juli gemeldet: Aus zu=
verläſſiger
Quelle wird bekannt, daß ſechs wegen politi=
ſcher
Vergehen Verbannte- unter Uhnen der bekannte
Kurdenführer Mouſſyb Bey. kürzlich aus Medina
ertfrohen ſeien.- Die Nachricht rief im Bildizpalaſt
viel Beunruhigung hervor. General Osman, Gouverneur
von Medina, unter deſſen Auflicht die Verbannten ge=
ſtellt
waren. wurde ſofort entlaſſen. Zur Verfolgung
der Entflohenen ſind ſtrenge Maßregeln angeordnet.
Petersburg, 29. Juik. Das BlattNowoſtis über=
nimmt
einen Arkikel des franzöſiſchen Blattes Echo de
Chinel, in welchem in ſcharfer Sprache das an Rußland
geftellte Anfinnen die Mandſchurei zu räumen, zurück=
hewieſen
wird. Bas Blatt ſagt: Wir wiſſen, daß eine
Räumung der Mandſchurei als Ausgeſchloſſen
ailt und daß Rußland jeder Einmiſchung anderer Mächte
mit aller Schärfe entgegentreten wird."
W.B. Odeſſa, 28. Juli. Die Paſſagierdampfer der
ruſſiſchen Dampfſchiffahrtsgeſellſchaft, deren Matroſen
uns Heizer in den Aüsſtand getreten ſind.
haben, mit Matroſen der Kriegsflotke bemannt, die
regelmäßigen Fahrtex wieder aufgenommen.
Vewp. Baku, 29. Juli. Geſtern ſtanden in Balachany
die Petroleumwerke in Frammen. 30 Pohr
türme und Naphthareſervoirs ſind verbrannt Das Feuer
wütet noch in verſchiedenen Bezirken.- Die Bohrtuͤrme
der Firma Nobel und der Kaſpigeſellſchaft, ſowie anderer
Firmen brennen.-Wegen Wafſermangel und Mangels
an Löſchvorrichtungen iſt die Bekämpfung des Felers
unmöglich. Als Urſache des Feuers wird Brandſtiftung
angenommen.
Tageskalender.
Konzert um 8 Uhr im Saalbau.
Konzert um 8 Uhr im Reſtaurant Metropoler.
Konzert um 8 Uhr in der Stadt Pfüngſtadt.

Todes-Anzeige.
(Statt jeder beſonderen Anzeige.)
Freunden und Bekannten die traurige
Nachricht, daß unſere liebe Schwägerin, Tanke
und Couſine;
(3346
Margarethe Neumeyer
heute mittag nach langem, ſchwerem Leiden
ſanft entſchlafen iſt.
Um ſtille Teilnahme bittet
im Aamen der trauernden Hinlerbliebenen:
H. Dern,
Großh. Kammermuſiker.
Darmſtadt, den 29. Juli 1903.
Die Beerdigung findet Freitag, den 31. Juli,
nachmittags 5 Uhr, vom Portale des
Darmſtädter Friedhofs aus ſtatt.

Gotteodienſt in der Synagoge der israelitiſchen Religions-
geſellſchaſt
.
Samstaa, den 1. Auguſt.
Vorabend 7 Uhr5 Min. Morgens 7 Uhr 30 Min.
Nachmittags 5 Uhr Min. Sabbatausgang 8 Uhr
55 Min.
Wochengottesdienſt von Sonntag, den 2. Auguſt an:
Morgens 6Uhr -- Min Nachmittägs 7 Uhr 2r Min.
W. Sonntag. den 2. Auguſt: Feſktag des 9. Aw.

Druck und Verlag: L. C. Wittich'ſche Hofbuchdruckerei, verantwortlich für die Redaktion: Dr. O. Waldgeltel, kur den Inſergtzenteil: F. Kxpſt. ſämtlich in Darmſtadt.