Darmstädter Tagblatt 1873


01. August 1873

[  ][ ]

Allergnaͤdigſt privilegirtes

armſtädter Grag-u. Anzeige-Blatt.

136. Jahrgang.

Abonnemeutsureis
2f. 48 kr. jährk inck Bringer.
John. - Luzwürz werden von
allen Poſtämtern Beſtellungen
etgegengenommen zu 53 kr. pro
Lxsrtal incL Poſtaufſchlag und
Beſtellgebübr.

Inſerate
werden angenommen: in Darm=
ſadt
von der Expedition. Rhein
Lraße Nr. 23, in Beſſungen
von Friedrich Ellzer, Friedrich=
ſraße
Nr. 7. ſowie auswärt
von ellen ſoliden Annoncen
Erveditlonen

Kmtliches Organ
für die Bekanntmachungen des Großherzoglichen Kreisamtes Darmſtadt.

N 148

Freitag den 1. Auguſt

1973.

180)

liebig Compaups Heisch.-Urtract
aus PRAT-BEITos Cud-Amerika).

Höchste Auszeichnung bei den Ausstellungen
Paris 1867- Havre 1868- Amsterdam 1869- Hoscau 1872
Ivon 1872
Paris 1872.
wenn jeder Lopf untenstehende Unterschritten trägt
und aut der Etiquette der Name J. v. IEhlſ in blauer
ur ächt,
L-. Parbe aufgedruckt igt.

Bädran.

Engros Lager bei dem Correspondenten der Gesellschaft:
Herrn H. Herehz- in Darmstadt.

Zu haben in Darmstadt bei den Herren: G. P. Poth, Casinostrasse 12,
I. E. Reller, Grafenstrasse,
Georg liebig Sohn, Louisenstrasse,
Wih. Hanck Ballonplatz 5,
Wttehis rithixri=cisAivortz.
A3RThd
WiAetuitnuuitn

C. H.Huber s Söhne, Blisabethenstr.14 Jacob Röhrich Hine, Sandstrasse 10 4.
E. Seriba, Apotheker, Kirchstrasse 25½.
Carl Watzinger, Louisenplatz 4.
Wüb. Hensel in Bessungen.
Eis=Arrecrgarnnhth.
aDunLitidtezaihi.
1
Wnunidtiniattninäch AUrM

Gegen Zahnſchmerzen!!
Anodine von F. Presonius.
Vorzügliches Mittel; Wirkung unfehlbar.
Depot bei
Carl Watzinger,
Louiſenplatz 4.
6217)
6054)
Zu verkaufen:
Ein faſt neuer Nußbaum=Toilettentiſch,
1ovaler Tiſch, 1 Bettſtelle, 1 kleiner eiſerner
Kamin, mehrere Reiſekoffer, 1 Vorfenſter u.
1 Petroleumlampe. Eliſabethenſtraße 60.

TufSchvemmsleine
6220 und Kaminrohr=Fabrik.
Rechts= u. linksrheiniſch.
Heuvied.
Ph. Gies.
6246) Neue grüne Kern in
ſchönſter Qualität empfiehlt
H. Bodenheimer.

Aechten Nordhäuſer Korn=
Branntwein,

52
Fruchtbranntwein,
feinſten Sprit
empfiehlt Lud. Heyl Sohn,
Holzſtraße 17.
6254)
Erz

Vermiethungen.
4802) Ein möblirtes Zimmer zu ver=
miethen
. Heidelbergerſtraße 21 im Seitenbau.
5503) Beſſ. Karlsſtraße Nr. 3 iſt par=
terre
ein freundlich möblirtes Zimmer zu ver=
miethen
.
5584) Ein ſchön möblirtes Zim=
mer
parterre gleich zu vermiethen. Zimmer=
ſtraße
Nr. 2.
5944) Rheinſtraße 30 iſt ein Pferdeſtall
mit 4 Ständen, große Remiſe und Kutſcher=
ſtube
bis zum 1. Auguſt zu vermiethen.

5854) Steinſtraße Nr. 8 eine Wohnung
von 5 Stuben, Küche u. außergewöhnlichen
Bequemlichkeiten zu vermiethen.
Näheres Parterre daſelbſt.
6057) Steinſtraße Nr. 10 möblirtes
Zimmer zu vermiethen parterre; ebendaſelbſt
u erfragen.
6193) Laden nebſt Comptoir zu ver=
miethen
. Schulſtraße 5.
6255) Pankratiusſtraße Nr 55 iſt ein
möblirtes Zimmer an 2 anſtändige Herren
zu vermiethen und bis 7. Auguſt zu beziehen.
6256) Ein gewölbter geräumiger Keller
zu vermiethen. Beſſ. Carlsſtraße 3.
6257) Magdalenenſtraße Nr. 3 iſt ein
Manſarden=Logis, beſtehend aus 2 Zimmern
und Cabinetten nebſt Küche, Mitgebrauch
der Waſchküche und Bleichplatz, an eine ſtille
Familie zu vermiethen u. ſofort zu beziehen.

Vermiſchte Nachrichten.
Gabelsberger Stenographen=Verein.
Monatsverſammlung Freitag den
1. Auguſt Abends 8 Uhr in der Reſtauration
Roſengarten.
6258)
Der Vorſtand.
Empfehlung.
Ich bringe das Ausdämpfen von Bett=
federn
in gefällige Erinnerung.
Ph. Enaux, Rheinſtr. 1.
5048) Ein braver Junge kann in die
Lehre treten bei
Heinr. Martin, Steinhauermeiſter.
5183) Einen braven Jungen ſucht
Adolf Kling, Spenglermeiſter.
5544) Zwei Schreiner können bei
mir dauernde Beſchäftigung finden
Gd. Kühnſt, Pianofortefabrik.
323

[ ][  ][ ]

1180

K148.

6228)
Vereinigte Geſellſchaft.
Freitag den 1. Auguſt Abends 6 Uhr bei günſtiger Witterung:

ausgeführt von der;
Kapelle des Großherzogl. Heſſ. Leibgarde=Regiments
unter der Leitung des Muſildirectors Herrn Th. Adam.
Bei ungünſtiger Witterung findet das Concert nicht ſtatt.
Der Ausſchuß der Vereinigten Geſellſchaft.

6229)

Bürger=Verein.
Gamſtag den 2. Auguſt bei günſtiger Witterung auf dem Carlshof:
SonzmariAasind.

Anfang des Concertes 7 Uhr.
Die Vergnügungs=Commiſſior.

2898)

H ä u f e r

in den beſten Lagen, mit und ohne Geſchäfte, ſowie Herrſchaftshäuſer mit ſchönen
Gartenanlagen, Bauplätze ſind durch den Uuterzeichneten zu verkauſen.

Alexanderſtraße.

Budol uosss MTrankkurl a. M.
Ferner domicilirt:
Verlin, Breslau, Cöln, Halle, Hamburg, Leipais, Künchen, Hürnberg,
Prag, Stuttgart, Strassburg, Wien, Aürich.

g0
Dfhicieller agent ſammtlicher Zeitungen
des Zn- und Auslandes.

Mloiniger Insoratenpächtor
des Madderadalsch: der Fliegenden Blälleri, des kigarol in Wien.
Adeiulge Aunouecu-Negie
des Deutſchen Reichsanzeiger= und Königlich Preußiſcher Staats=Anzeigerl, Ber=
liner
Tageblatt=, Deutſche Landeszeitung;, Dentſcher Gemeinde=Anzeiger!, Capi=
taliſt
;, Rerue finaneière allemander. Schweizeriſche Handelszeitung;, Züricher Preſſe=,
Prager Handelsblatt;, Feierabend des Landwirths

Zoologiſcher Garten in Frankfurt a. M.
6225
Gonntag den 8. Auguſt Vormittags von 6 bis 12 Uhr
iſt der Eintrittspreis aufl
6 kr. per Perſon ermäßigt.
Nachmittags 4 Uhr Concert vom Muſik=Corps des Inſanterie=Regiments Nr. 81.
Der Verwaltungsrath.
Die Heſſiſche Ludwigsbahn gewährt mit den auf den Stationen zu erſehenden
Zügen ermäßigte Fahrpreiſe.

Schutt
kann gegen 6 kr. Vergütung per Wagen
Tapetenfabrik Beſſunger Weinbergſtraße an=
gefahren
werden.

5655) Zwei Steinhauergeſellen ſucht
gegen guten Lohn und dauernde Arbeit.
J. W. Mersheimer, Hof=Maurermſtr.
6259) Koſt u. Logis für ſolide Herren.
Große Ochſengaſſe Nr. 3 zweiter Stock.

HOm
Woll Liauss,
Ballonplatz Nr. 3.
kauft fortwährend zu allerhöchſten
Preiſen, Lumpen, Knochen, altes Pa=
pier
, ſowie alle Arten Metalle. (6061 e-

6231) Für ein achtbares geſetztes

Frauenzimmer,
geſchickt in leichteren Arbeiten, und das ſich
eignen würde, die Aufſicht über eine Ab=
theilung
weiblichen Perſonals in einem rein=
lichen
Fabrikgeſchäft zu übernehmen, wäre
eine dauernde gut gezahlte Stelle in Aus=
ſicht
. Nur mit den beſten Empfehlungen
verſehene Perſonen mögen ſich gub Chiffre
S. 7839 an die Annoncen=Expedition von
Radalf Monse in Frankſurt
C. H. wenden.

6170) Für eine aus 2 Perſonen
beſtehende Familie wird eine Wohnung
von 4-5 Zimmern nebſt Zubehör,
Parterre oder bel=Etage. von Septem=
ber
oder October an zu miethen ge=
ſucht
. Am liebſten in der Promenade,
Frankfurterſtraße oder untere Rhein=
ſtraße
.
Anmeldungen unter Nr. 6170 be=
foͤrdert
die Expedition d. B.

6260) Dienſtag Nachmittag wurde von
der alten Poſt bis zum Paradeplatz ein
Portemonnaie mit Inhalt verloren. Der
redliche Finder wird gebeten, daſſelbe auf
dem Volizei=Büreau abzugeben.

6261) Ein Heizer wird geſucht.
Rheinſtraße Nr. 53.

Tageskalender.

Großh. Muſeum und Bildergalerie im Schloß,
geöffnet Sonntag von 10-1 Uhr, Dienſtag, Mitt=
woch
, Donnerſtag und Freitag von 11-1 Uhr.
Großh. Hofbibliothek im Schloß, geöffnet tüg=
lich
von 9-12 Uhr Vormittags und ſaußer Samſtag)
von 2- 4 Uhr Nachmittags.
Großherzogliche Gärten. Der Garten vor dem
Jägerthor (Mathildenhöhe) iſt dem Publikum jeden
Mittwoch, der Großh. Garten in Beſſungen (Prinz
Emil's Garten) jeden Donnerſtag geöffnet.
Sparkaſſe. Zahltag an jedem Werktage von
9-12 Uhr Vormittags. Jeden Dienſtag von 2-4
Uhr Nachmittags werden die Sparkaſſebüchelchen
gegen die Interimsſcheine ausgegeben.
Darmſtädter Vollsbank, eingetragene Ge=
noſſenſchaft
, verbunden mit Spar=Kaſſe.
Geſchäftsſtunden täglich Morgens von 9-12 Uhr,
Nachmittags von 3-6 Uhr. Kaſſeſchluß um 5 Uhr
Nachmittags. Sparkaſſe=Büchelchen werden ſogleich
bei der Einlage ausgefertigt.
ESpar= und Leihkaſſe in Beſſungen, Carlsſtraße
Nro. 2. Zahltage Dienſtag und Samſtag von
8-12 Uhr Vormittags.

[ ][  ][ ]

I8.

1181

6262) Ein Comptoir=Pult wird zu
lauſen geſucht.
Kleiner Woog Nr. 6 Parterre.

mit
6226)
Dy
ConCert, Feuzruerh Cto-
im
Harten des Haaſbaues
zum Beſten des Landes=Denkmals für die Heſſiſche Diviſion.
Camſtag den 16. Auguſt 1873, Anfang 6 Uhr Abends.
Preiſe der Billets: für 1 Perſon 36 kr., Familienbillets für 2 Perſonen 1 fl.,
für 4 Perſonen 1 fl. 30 kr., für Kinder unter 14 Jahren 12 kr.
An der Caſſe, an welcher die Programme zu erhalten ſind, werden nur Einzellarten
36 kr. ausgegeben.

In dem Grozherzoglichen Holzmagazin
wird abgegeben:
per Raummeter.
buchen Scheidholz 1. Claſſe 6 fl. 40 kr.
liefern
4 fl. 40 kr.
Der an den Ueberbringer für einen Raum=
meter
zu zahlende Fuhrlohn beträgt für
Darmſtadt und Beſſungen 18 kr.
Beſtelltage: Dienſtag, Freitag und
Samſtag, Vormittags von 8 bis 11 Uhr.
Großherzogliches Reukamt Darmſtadt.
Hauſer.

Das Mißverſtäudniß.
Eine Geſchichte aus alter Zeit.
(Schluß.)
Endlich, als es ſchon tief dunkel war, kam Brandlecht menſch=
lichen
Wohnungen nahe; er ſah vor ſich in einem Thalgrunde die
Lichter eines Dorfes ſchimmern. Rechts, am Anfange eines Hohl=
weges
, der ſich abzweigte. erhob ſich ein kleiner Bau, mit einem
von zwei Säulen getragenen Vordach es war eine kleine Flur=
kirche
; erſchöpft ſtieg der Meiſter über die hinanführenden Stufen
- das Gitterthor, das in's Innere führte, war verſchloſſen, der
Eintritt war ihm verwehrt, wie ja die ganze Welt vor ihm, dem
Blutmenſchen, verſchloſſen war aber eine Kniebank war da,
und ein Gotteskaſten. Auf die Bank warf ſich Brandlecht hin
und flehte den Himmel um Gnade und Erbarmen an, und daß
er ihn ſtrafen möge nach ſeinem Gefallen, nur nicht an ſeinem
armen Kinde - und dann raffte er ſich auf und zog den Blut=
lohn
, den er heute empfangen, hervor, und warf die vier Gold=
ſtücke
in den Gotteskaſten, und danach eilte er weiter.
Es war ihm, als könne er nun aufathmen - als ſei die
Laſt auf ſeinem Herzen um vieles, vieles erleichtert!
Er erreichte das Dorf. Kleine zerſtreute dürftige Hütten,
in Schmutz und Schlamm daliegend, waren es, die es bildeten.
Ein dunkler alter Bau erhob ſich in der Mitte auf einer Anhöhe
unter dunklen Baumwipfeln. Es ſchimmerte ein Licht von da
herunter, ein Licht, das ſich im Freien befand. Brandlecht ſtieg
eine ausgetretene Stiege von morſchen wackeligen Steinſtufen
empor, um ſich bei denen, die da oben mit einer Laterne ſein
mußten, zu erkundigen, wo er ein Pferd erhalten könne.
Als er oben angekommen, befand er ſich zwiſchen Grab=
hügeln
, zwiſchen hölzernen Kreuzen und Grabſteinen - es war
der Dorfkirchhof. Das Licht ſtand auf einem dieſer Grabſteine;
neben demſelben warf ein Mann, halb in der Erde ſtehend,
Schollen auf.
Brandlecht ſtarrte ſchweigend in das halb fertige Grab.
Der Todtengräber ſtützte ſich auf ſeine Schaufel und ſah
verwundert den fremden Menſchen an, der ſo plötzlich neben ihn
getreten und der nun ſtumm und ſtarr daſtand überwältigt
von der ganzen Laſt, die er heute getragen, die ſein Gebet an der
Capelle ihm erleichtert hatt, und die nun mit Centerſchwere zu=
rückkehrte
, - es war ihm, als blicke er in das Grab ſeines
Kindes hinab!
Was wollt Ihr Zu fragte endlich der Mann.
Brandlecht faßte ſich.
Ein Pferd möchte ich haben,u verſetzte er; ein Pferd nur
für die Nacht, was es auch loſten mag. Ich war ſchon die
vorige Nacht unterwegs und habe den Tag über viel erlebt und
bin jetzt zu Tod müd.:
So bleibt hier im Ort zu Nacht!
Daheim liezt mein Kind ſterbenskrank. Ich muß ein Pferd
haben. Könnt Ihr mir nicht ſagen, wo ich eins finde ?u

Nun, kann ſchon ſein, daß Euch der Hofbauer eines leiht.
Kommt darauf an, ob Ihr ihm ſicher dafür ſeid. Wer ſeid Ihr 20
Ich bin der Meiſter Brandlecht von Hartzheim.
So? ſagte der Todtengräber gedehnt - der Meiſter
Brandlecht ſeid Ihr ?=
Er betrachtete ihn noch eine Weile mit ſtieren, theilnahm=
loſen
Blicken, dann begann er mit verdoppeltem Eifer zu ſchau=
feln
und ſagte:
Dann gibt Euch der Hofbauer kein Pferd.
So nennt mir jemand Anderes - ich ſage Euch, ich will
bezahlen, was immer verlangt wird "
Der Todtengräber ſchüttelte den Kopf und ſagte nur:
Macht Euch keine unnütze Mühe, Mann!
Dann wandte er Brandlecht den Rücken und ſtieg aus der
Grube heraus; oben ſtieß er das Grabſcheit in den Boden, nahm
die Laterne und ging davon.
Brandlecht war wieder allein, er blickte verzweifelnd umher
an welche dieſer Hütten ſollte er anklopfen - welche Thüre
würde ſich ihm öffnen und nicht allſogleich, ſobald er ſeinen Na=
men
genannt, wieder vor ihm zugeſchlagen werden ?
Er mußte voran - zu Fuß, durch Nacht und Dunkel. Er
ſollte die ganze Bitterkeit dieſer Stunden durchkoſten - kein
Wermuthstropfen ſollte ihm erſpart bleiben; er ſollte es in ſeiner
ganzen ſchrecklichen Bedeutung inne werden, was es heißt:
Ausgeſtoßen von den Menſchenl Selbſt der Todtengräber
ſloh ihn!
Alſo vorwärts, vorwärts - wie ermattet er ſein mochte,
durch Nacht und Nebel, durch den grundloſen Weg, ſo lange der
Reſt ſeiner Kräfte aushielt! Er war ja ein kräftiger willens=
ſtarker
Mann - es nußte gehen er wollte, er mußte zu
ſeinem Kinde! So ging es denn auch eine, zwei Stunden
noch, dann nicht mehr. Die letzten Kräfte waren erſchöpft. Er
brach zuſammen.
Es ſtand eine Heuſcheuer am Wege, dicht bei einem Gehöft;
das Thor war nur mit einem hölzernen Riegel geſchloſſen;
Brandlecht ſchleppte ſich hinein und warf ſich auf die weiche
Streu, die er fand. Schlafen konnte er nicht; in wirrem Durch=
einander
kreiſten ſeine Gedanken - das blutige Bild des durch
ſeine Hand ſterbenden Mannes von heute, das Grab und der
Todtengräber, die Leiche ſeines Kindes in weißen Kiſſen daliegend
Alles das ſtand ihm vor Augen und drängte ſich und kreiſte
durch ſein fieberndes Gehirn. Und doch gab die Ruhe ſeinen
Gliedern neue Kräfte, und nach und nach ſchlief der übermattete
Körper ein wenn auch der Geiſt wach blieb; und es entſtand in
ihm jener ſeltſame bängſtigende Zuſtand, der ſich unſerer bei
großer Eeſchöpfung und Uebermüdung bemächtigt - der Körper
ſendet ſeine Traumgeſtalten uns in's Hirn. in welchem der Geiſt
in wacher Gedankenthätigleit geblieben iſt, und aus Traum=
geſtalten
und bewußten Gedanken entſteht ein Durcheinander
und Wirrniß und ein Amalgam, daß wir uns ſelbſt für verrückt
halten.

[ ][  ]

1182

R14s.

Als der Morgen dämmerte, erhob ſich der Meiſter
wieder. Er fühlte ſich jetzt kräftig genug, den Reſt des Weges
zu Fuß zurückzulegen. Nach einer Stunde Wanderns holte ihn
auch ein Bauersmann aus der Gegend mit einem Wagen ein.
Der Mann bot ihm einen Platz im Wagen an -er war dem
Meiſter dankbar, weil dieſer ihm als Thierarzt Hülfe geleiſtet;
auch ſagte er, daß der große Bleßrappe ihm daheim krank im
Stalle ſtände und daß er den Meiſter bitte, zu kommen und nach
dem Thiere zu ſehen. Brandlecht verſprach es. Es mochte ſie=
ben
Uhr ſein, als endlich die Thürme von Hartzheim vor den
Augen Brandlechts auftauchten; freundlich und heiter, von
der hellen Morgenſonne beſchienen, lag das Thal vor ihm, wie
an jenem Tage, als Bäumle ſo neben ihm im Wagen ſaß und
ihn ſeinem dunllem Schickſal zuführte Meiſter Bäumle, der
nnn längſt auch dahin gegangen, wohin er ſo Viele geſendet.
Eine eigenthümliche Stimmung von wehmüthiger Niedergeſchlagen=
heit
bemächtigte ſich der Bruſt des Meiſters, in der bis jetzt
mehr Grimm und Entrüſtung und Bitterkeit gegen Welt und
Menſchen gewühlt hatte; die verzweiflungsvollen Entſchlüſſe. die
in ihm getobt, während er ſich durch die Nacht weiter gekämpft
hatte, verflogen allmählig auch ging er endlich gefaßt und
gemeſſenen, ruhigen Schrittes den Weg zu ſeinem Hauſe hinan,
nachdem der Bauer ihn eine Strecke vor Hartzheim abgeſetzt hatte.
Er war ergeben in den Anblick, der ihn daheim erwarten mußte.
So kam er ſeinem Hauſe nahe. Ueber dem Bühel zu ſeiner
Linken ſah er die Wipfel der Bäume auftauchen, die es um=
ſchatteten
. Dann die Eſſe - das Dach. Noch einige Schritte,
nur noch wenige, und er ſah ſchon den rebenumſponnenen Söller,
der um das Haus lief. Jetzt beflügelte ſich plötzlich ſein Schritt.
Er fuhr mit der Hand zum Herzen - er ſah den Söller
er blieb ſiehen - ein lauter, heller Ruf entfuhr ihm - ein tief
aus dem innerſten Herzen kommendes, wie mit brechendem Athem
hervorgeſtoßenes O mein Gott! und dann floſſen Thränen
über ſeine braunen Wangen, und dann flürzte er in vollſter Haſt
ſeiner Thüre zu.
Er hatte ſein Weib, er hatte ſein Kind erblickt; ſie ſtanden
auf dem Söller, das Kind auf der Brüſtung, vom Arm der
Mutter umſchlungen, die es in den Schein der warmen Norgen=
ſonne
hinausgebracht hatte. Das Kind ſtand da, übergoſſen vom
Sonnenlicht, und ſtreckte dem Vater heiter die Arme entgegen.
Das Kind war geneſen!
Auch der Meiſter ſchien nun, als die Kleine in ſeinen Ar=
men
lag, geneſen von Allem, was in ihm gewühlt hatte in den
letzten Stunden. Er war wie im Rauſche über das neu ihm
geſchenkte junge Leben, das ihm gehörte.
Aber nicht lange - nur wenige Tage; dann bemerkte Anne
Marie, wie er einſhlbig und unſtät umhergehe, wie etwas auf
ſeiner Seele liege, was er - zum erſten Male - vor ihr ver=
berge
. Sie fragte nicht, was ihn bedrücke; ängſtlich forſchte ſie
in ſeinen Mienen, aber ſie ſchwieg. Am dritten Tage in der
Frühe ſagte er ihr, daß er gehen wolle nach eines Bauern er=
kranktem
Gaule zu ſehn und erſt gegen Abend heimkehren werde.
Als er ging, ſteckte er das große Reiterpiſtol, das über
ſeinem Bette hing, zu ſich und verbarg es in ſeinem Mantel.
Es ward Abend bis er heimkehrte. Als er eintrat, ſtieß ſeln
Weib einen Schrei aus - der Meiſter war verwundet, er trug
den Arm, die dick umwickelte rechte Hand in der Binde.
Erſchrick nicht, Anne Marie," ſagte er, mit der linken Hand
Hnt und Mantel abwerfend; ich hab einen Unfall gehabt - des
Huber's Bleßrappe hat mir die Hand zerſchlagen.
O mein Gott - iſt's ſchlimm?
Nicht ſo gar - drei Finger ſind hin.
Drei Finger ?½"
Beruhige Dich - es iſt jetzt Alles gut und vorüber

der Doctor in Hartzheim, zu dem ich gegangen bin, hat ſie mir
ſäuberlich abgenommen - es war weiter nichts zu machen.
Was thut's
Gerechter Himmel'' ſagte die Frau, überwältigt auf einen
Stuhl niederſinkend.
E6 iſt ja auch ein Glück dabei!
Ein Glück dabei
die Hand fort, und ein Glück?"
jammerte Anne Marie.
Nun ja - es iſt die rechte Hand!
Und juſt weil es die rechte iſt
Brauche ich nie mehr damit einer Gottescreatur das Leben
zu kürzen,; verſetzte der Scharfrichter, und dafür danke ich
meinem Schöpfer.
Levin Schücking.

Mittheilungen aus Stadt und Land.
J.J. M.M. der Kaiſer und die Kaiſerin von Rußland haben nach=
ſtehenden
wohlthätigen Anſtalten Geldbeträge verwilligt: dem Eliſabethen=
ſtiſt
und dem barmherzigen Schweſternhaus je fl. 250, dem Alice= Frauen=
verein
fl. 200, den Rettungshäuſern zu Hähnlein und Jugenheim i. Rh.
je fl. 150, den Kleinkinderſchulen in Darmſtadt und Jugenheim je fl. 150.
Eine Anzahl Mitglieder der Großh. Hofmuſik beabſichtigt im Laufe
des Monat Auguſt einen Cyclus von 4 Concerten in Worret's Etabliſſe=
ment
in Worms zu geben.
Aufſehen erregt die Leiſtung eines Cavallerie=Officiers vom
1. Dragoner=Regiment, Herr Lieutenant R. Pagenhardt, welcher vorigen
Dienſtag in Folge einer Wette ca. 4 Minuten vor Abgang des Zugs von
Stockſtadt abritt und zum Erſtaunen ſeiner Kameraden bei Ankunft des
Zugs dieſelben bereits am Bahnhof erwartete. Er hatte demnach mit ſeinem
ausgezeichneten Pferde die Strecke von 4 Stunden in nicht ganz 30 Min.
zurückgelegt.
Wahrend des Auſenthaltes des Extrazuges des Kaiſers von Ruß=
land
am 24. d. M. auf dem Bahnhofe Schneidmühl wurde ein Achſel=
ſchenkelbruch
an der Vorderachſe des ſechsrädrigen kaiſerlichen Salonwagens
entdeckt, welcher zu dem kaiſerlichen Separattrain der Warſchau=Wiener
Eiſenbahn gehört. Bei der Ankunft auf Bahnhof Kreuz hatte man wahr=
genommen
, daß das Lager des beireffenden Achſenſchenkels etwas warm
gelaufen war. Daſſelbe wurde deßhalb von den den Zug begleitenden
ruſſiſchen urd preußiſchen Wagenbeamten gründlich revidirt und geblt, und
da ſich hierbei weitere Anſtände nicht ergaben, die Fahrt nach Schneide=
mühl
fortgeſetzt. Hier fand man jedoch das Achslager, ein ſogenanntes
feſtverſchloſſenes von beſonderer Conſtruction, ſo heiß gelaufen, daß das
Ausſetzen des Wagens und ein Auseinandernehmen des Achslagers er=
forderlich
erſchien, um auch das Lagerfutter und den Achsſchenkel unterſuchen
zu können. Hierbei ergab ſich, daß der Achsſchenkel Zoll vom Bunde
entfernt gebrochen war. Eine genauere Unterſuchung der Achſe, welche aus
Bündeleiſen beſteht, iſt angeordnet. Uebrigens ſpricht ſich ein Fachblatt
ganz allgemein dahin aus, daß die Eiſenbahngeſtänge ſelbſt in normalem
Zuſtande gegenüber den Anforderungen des heutigen Betriebes mit ſeinen
ſchweren Maſchinen und der raſenden Geſchwindigkeitz ſeiner Schnellzüge
überhaupt nicht mehr die genügende Sicherheit gewähren, daß es vielmehr
nur des Zuſammentreffens verſchiedener an ſich geringfügiger Umſtände
bedarf, um Unfälle herbeizuführen. Das würde allerdings eine gänzliche
und ſehr weitausſehende Umänderung im Oberbau unſexer Eiſenbahnen
bedingen.
Das Salonboot Deutſcher Kaiſer langte am 29. Juli Nach=
mittags
6 Uhr in ziemlich derangirtem Zuſtande von ſeiner Thalfahrt
kommend in Cöln an. Daſſelbe hatte nach Mittag in der Nähe von Bop=
pard
ein arges Unwetter, Orcan und fürchterlichen Regen auszuſtehen gehabt.
Der Sturm war ſo heftig, daß er das Schiff auf eine Seite legte und bis
an die Fenſter in das Waſſer drückte. Das Zeltdach desſ Pavillons wurde
zerriſſen und die ſtarken Eiſenſtangen, an denen daſſelbe befeſtigk war,
umgebogen. Zugleich ſtürzte der Regen in ſo dichten Maſſen nieder, daß
man die Ufer des Rheines nicht mehr erkennen konnte. Deßhalb und da
auch das Steuer nicht mehr zu handhaben war, mußte das Schiff auf kurze
Zeit vor Anker gehen. Die Verwirrung und Angſt unter den Pafſagieren
war ganz fürchterlich. Herren lagen auf den Knien und flehten zum Himmel
um Hülſe.
Worms, 30. Juli. Vorgeſtern Nacht entwickelte ſich in der Mathilden=
ſtraße
zwiſchen einer Anzahl junger Leute ein Streit, welchen dieſelben
durch Anwendung von Meſſerſtichen und Piſtolenſchüſſe, ehe die Polizei ſich
einmiſchte, zum Austrage zu bringen ſuchten. Mehrere der Streitführenden
ſollen verletzt ſein und nur dem Zufalle, daß ein Meſſerſtich durch eine in
der Bruſttaſche ſteckende Cigarrentaſche geſchwächt wurde, hal einer derſelben
es zu danken, daß er nicht ſchwerer verwundet wurde. Dem Vernehmen
nach halten ſich dieſe Prügeltnaben zum Theil ihrer höheren Ausbildung
halber hier auf.
(W. 3.)

Redaction und Verlag: L. C. Wittich'ſche Hofbuchdruckerel.