Darmstädter Tagblatt 1872


25. Oktober 1872

[  ][ ]

Allergnädigſt privilegirtes
Darmſtädter

und Anzeige-Blatt

135. Jahrgang.

Erſcheint
in Verbindung mit dem Ver=
ordnungsblatt'
für den Kreis
Darmſtädt, welches Mittwochs
Esgegeben wirdr täglich. außer
Sonntag und Montag.
Abonnementspreis,
md. des Verordnungsblatts
lährlich 2 fl. 24 k.

T a g e b l a t t
Stadt und Rreis Darmſladt.

Inſerate
werdu azenommen: A Darm
Radtvon der Expedition Rhan=
ſtraße
Nr. 23, in Beſſüngen
von Friedrich Blößer, Friedrich=
ſtraße
Nr. 7. ſowie auswäris
von aller ſoliden Anwonten=
Expeditinen.

N. 54.

Freitag den 25. October.

1822.

B e k a n n t m a ch u n g.
Der Umbau der Erbacherſtraße wird nunmehr auch jenſeits der Odenwald=Bahn am 28. l. Mts. in Angriff genommen werden
und bleibt die betreffende Straßenſtrecke abgeſperrt. - Fuhrwerke, welche von Roßdorf oder von den Steinbrüchen am Glasbenz
und rothen Kreuz herkommen, können nur die Roßdörferſtraße (alter Roßdorferweg) benutzen.
Darmſtadt, am 23. October 1872.
Großherzogliches Kreisamt Darmſtadt.
Dr. Goldmann.

Verſteigerungs=Anzeige.
Dienſtag den 29. October, Vormittags 9 Uhr,
werden wegen Abreiſe des Herrn Raikes im Hauſe Annaſtraße Nr. 20 nach=
verzeichnete
, gut erhaltene Möbel, als: Kanapee's, Stühle, 1 Ruhebett,
Commode, 1 Spiegelſchrank, 1 Büffet, Waſch= und Nachttiſche, 1 Ausziehtiſch,
7 vollſtändige Betten mit Bettſtellen, Teppiche, 1 Eisſchrank, 1 Küchenſchrank,
Küchengeräthe, 1 große Waſchmange, 1 Krankenwagen, 2 Kinderwägelchen,
1 Gartenſpritze gegen baare Zahlung verſteigert.

7896)

Hof=Taxator.

7897)3 Für das ſtädtiſche Hospital ſoll
die Anfertigung von:
8 Bettſtellen,
8 kleinen Tiſchen,
8 größeren Tiſchen,
8 Nachtſtühlen,
18 Nachttiſchchen,
36 Lehnſtühlen MRohrſtühlen),
2 Küchenſchränken,
2 Waſſerbänken und
2 Schüſſelbrettern
auf dem Soumiſionswege vergeben werden.
Die Muſterſtücke können bei dem Hospi=
talmeiſter
eingeſehen und die deßfallſigen
Offerten verſiegelt auf dem Hospitalbüreau
bis längſtens Montag den 28. d. Mts.
abgegeben werden.
Darmſtadt, den 23. October 1872.
Die Hospital=Commiſſion.
Fuchs.

7898) Bieler Sprotten,
Bückinge,
Engl. Speckbückinge,
Lachsbückinge,
Sestorellen
friſch eingetroffen bei
Jacob Röhrich,
Hof=Lieferant.
beberrheiner Rralhenmost
Bechtheimer
7899)
bei
Jriedrich Wolff.

Feilgebotenes.
7879) Fertige Ofenröhre in allen
Größen, ſowie auch Anfertigung nach Be=
ſtellung
in dieſen, wie in allen in das
Schloſſerfach einſchlagenden Artikeln werden
ſchnell und beſtens beſorgt.
Ludwig Hufnagel, Holzhofſtraße.

Schmelztiegel=Lager
tn allen Größen und Sorten bei
7900)
Alexander Vollz,
Franhfurt a. M. großer Kornmarkt 20.
7901) Weiterſtädter Weg Nr. 2 ſind zwei
ſchöne Einlegſchweine engliſcher Race
zu verkaufen.

Neueſte gedrehte Cigarretten
aus feinſtem Trulltabak
in ungeleimter Papierhüle, großer Façon, ſchön und lange brennend,
fl. 1.12., fl. 1. 30., fl. 1. 45., fl. 2. 15. u. fl. 3. per 100 Stück, in Paqueten 25 Stück
verpackt.
Hrulltahak 6, 9 und 12 kr. per Paquet.
Wiederverkäufer Rabatt.

7902)

G. L. Hriegk,

Rheinſtraße 13.
232

[ ][  ][ ]

890

M. sL.

(Große italieniſche
Haronen
Kaſtauien)
empfiehlt
Jacob Röhrich,
7903)
Hof=Lieferant.

Vermiethungen.

P0N NNNNNrAn AanrArrrAch
4.
8 7519) Eine Wohnung von 6 Zim=
E mern, Hochparterre, untere Eliſabethen=
H ſtraße, nächſt der Promenade, mit
K Stallung und Mitgebrauch des Gar=
K tens, iſt alsbald zu beziehen. Die
H Wohnuug wird auch ohne Stallun=
E. abgegeben. Näheres in dem Logis
E Nachweiſungs=Büreau von
F
B. L. Trier, Ludwigsſtraße. H
PRAAtATAAAc. AArnrAArArAc
7806) Ein ſchönes möblirtes Zimmer
im 2 Stock, Beſſ. Carlſtr. 3; daſelbſt ein
kleines möblirtes Zimmer für einen Schüler
oder Commis.

(Fine elegante Herrſchaftswohnung
3 E von 11 Zimmern, bel Etage,
in der Rheinſtraße, mit Stallung und
ſonſtigem Zubehör iſt zu vermiethen
und ſofort zu beziehen. Näheres in dem
Logis=Nachweiſungs=Büreau von
B. L. Trier, Ludwigſtraße.

7904) Beſſungen. Weinbergſtraße 28 iſt
eine Stube mit Keller und Holzſtall zu ver=
miethen
und baldigſt zu beziehen.
7905) Beſſungen. Weinbergſtraße Nr. 14
neu erbaut iſt ein ſchönes Logis zu ver=
miethen
und gleich zu beziehen.
7906) 2 Cabinet mit Küche gleich zu be=
ziehen
an L einzelne Perſon. Gr. Bachgaſſe 37

2
Vermiſchte Nachrichten.
7741) Ein Lehrling
wird geſucht für ein hieſiges Bankgeſchäft.
Näheres bei der Expedition.

7868) Ein reinliches Mädchen, mit gu=
ten
Zeugniſſen, welches die Hausarbeit
gründlich verſteht und zu Hauſe ſchlafen
kann, wird geſucht.
Anna Dilling, Ernſt=Ludwigſtr. 14.
22RRANANAATUARATTARAAN
H
87888)
Verflogen!
4
Ein Canarienvogel Friedrichſtraße
14
4 Nr. 22. Dem Bringer gute Belohnung. 4
TARREAATAATTTATATARTT4
7890) Zwei halbe Fauteuilplätze vom
nächſten Abonnemeut an abzugeben. Näheres
im Verlag.

7907) Ein grauer Mantel wurde am
15. October verloren. Dem Finder eine
Belohnung. Schulſtraße Nr. 10.

Eiſenbahn=Frachtbriefe
der Main=Neckar= und Heſſiſchen Ludwigsbahn in ordin. und Eil=Taxe, zu
haben bei der
L. C. Wittich'ſchen Hofbuchdruckerei.

7844)

Main=Neckar=Bahn.

14
Mit dem 1. November l. J. werden die ſeit 1. Juni gefahrenen
H4
Hi Erginzungs=Schnellzüge:
1) Nr. 7 ab Frankfurt 9. 20 Vormittags,
ab Darmſtadt 9. 55

in Heidelberg
und Mannheim 11. 10 reſp. 11. 15 Vormittags.
und 2) Nr. 20 ab Heidelberg und Mannheim 4. 40 reſp. 4. 30 Nachmittags,
ab Darmſtadt
6. Abends,
in Frankfurt
6. 30
eingeſtellt.
und Zug 12 um 5 Minuten früher abgelaſſen,
im Uebrigen aber bleibt der Fahrplan vom 1. Juni 1872 ungeändert fortbeſtehen.
Darmſtadt, den 19. October 1872.
Direction der Main=Neckar=Bahn.
2898)
H ä u ſ e r
in den beſten Lagen, mit und ohne Geſchäfte, ſowie Herrſchaftshäuſer mit ſchönen
Gartenanlagen, Bauplätze ſind durch den Unterzeichneten zu verkaufen.

Mel

9 Alexanderſtr. 8.

1 ſcin junger Menſch, der ſich
5S
zum Maſchinenmeiſter aus=
bilden
will, wird als Lehrling geſucht.
L. C. Wittich'ſche Hofbuchdruckerei.
7909)
Geſncht
ein gewandter Aushülfskellner für Sonntag=
Nachmittage. Erbacherſtraße 57.

finden wirkſame Verbreitung im
Rheiniſchen Zoten.
Vorherrſchende Verbreitung in Gerns=
heim
, Pfungſtadt, Griesheim,
7910)
Eberſtadt, ꝛc.
Gernsheim im Herbſt 1872.
Expedition des Rheiniſchen Boten.
Häuſig iſt man in der Lage,
irgend ein Offert, Geſuch oder ſonſtige
Willensmeinung in den Zeitungen zu ver=
öffentlichen
, befürchtet jedoch aus nahe lie=
genden
Gründen eine Verletzung der Discre=
tion
. Die bekannte Annoncen=Expedition von
Rudolſ Hosse, Centralbüreau
Franlſurt d. M. hat ſich den
ehrenwerthen Ruf erworben, alle ihr zur
Beſorgung an die Zeitungen zugehenden
anonymen Inſerate mit ſtrengſter Geheim=
haltung
der Namen der Auftraggeber in jedes
gewünſchte Blatt einzurücken und die hierauf
eingehenden Offertbriefe uneröffnet und ohne
Proviſionsberechnung dem anonhmen Inſe
renten ungeſäumt zu übermitteln.
Welches Vertrauen genannte Annoncen=
Expedition im Publikum genießt, beweiſer
hinlänglich die Inſeratenſpalten aller Zeitungen
welche täglich eine Menge von Anzeigen ent=
halten
, worin obige Firma zur Entgegen=
nahme
von Offertbriefen autoriſirt iſt.

Cageskalender.

Großherzogliches Hoftheater.
Freitag, den 25. October. 13. Vorſtellung
im 2. Abonn.: Adelaide. Genrebild in 1 Akt von
H. Müller. Hierauf: Ein glücklicher Familienvater.
Luſtſpiel in 3 Akten von Görner.
Sonntag, den 27. October. Abonnement
suspendu: Lohengrin. Große romantiſche Oper in
3 Akten von R. Wugner. Mit neuen Decorationen.
Anfang 6 Uhr. Sonntagspreiſe. (Die Abonnenten
Samſtag von 3-5 Uhr Nachmittags.
Großh. Muſeum und Bildergalerie im Schloß,
geöffnet Sonntag von 10-1 Uhr, Dienſtag, Mitt=
woch
, Donnerſtag und Freitag von 11-1 Uhr.
Im Großherzoglichen Kupferſtichkabinet ſind
gegenwärtig die Semper'ſchen Pläne für den
Neubau des Großherzogl. Hoftheaters
zur Ausſtellung gebracht.
Großh. Hofbibliothek im Schloß, geöffnet täg=
lich
von 9-12 Uhr Vormittags und ſaußer Samſtag)
von 2- 4 Uhr Nachmittags.
Sparkaſſe. Zahltage Montag, Dienſtag. Donner=
ſtag
, Freitag von 9-12 Uhr Vormittags. Jeden
Dienſtag von 2- 4Uhr Nachmittags werden die Spar=
kaſſebüchelchen
gegen die Interimsſcheine ausgegeben.
Spar= und Leihkaſſe in Beſſungen, Carlsſtraße
Nr. 2. Zahltage Dienſtag und Samſtag von
8-12 Uhr Vormittags.
Abgehende Bahn=Züge.
( Schnell= oder Courier=Züge.)

Nach
Frank
fur. Nach
Heidel=
berg
. Nach
Mainz Nach
Aſchaf
enbur. Nach
Worm= Nach
Erbach 5.30 6.55 1530 46.20 64 6.30 6.45 9.10 750 7.50 19.55 9.15 9.3. 940 9.25 II.- 11.15 11.20 11. 1.45 12.- 4150 x14 72. 3.10 r155 2. 22 2.50 240 3.10 2445 8.- 15.45 5.30 5.35 46.- 5.30 46.15 7.10 8.- 7.10 8. * 8.- 9.11 9.5. 410.- 950 110.- [ ][  ][ ]

R.E4.

Der Geiſt des Martin Grnnewald.
Eine märkiſche Geſchichte
von
Julie Burow.

Fortſetzung)
Der Doctor begann.
Die Familie Grunewald muß hier herum bedeutende Be=
ſitzungen
gehabt haben.
Ja, jar, beſtätigte der verarmte Nachkomme, noch im
ſiebzehnten Jahrhundert wohnten meine Ahnherren hier herum,
und die Dörfer Grunewald, Grunenhagen u. a. gehörten uns
alle.
Gut alſor, fuhr der Doctor fort, in der Mitte des ſieb=
zehnten
Jahrhunderts waren die Grunewald's beſonders reich
und mächtig, und der Lehensherr hatte zwei Söhne, von denen
der ältere die Güter übernehmen und der jüngere, wie das ſo
üblich, in den Orden treten ſollte.
Die Braut des Aelteſten war ein gar ſchönes Mädchen,
ein Fräulein von Oppelwitz - halt, gehört nicht das Dorf
Grunewald und die übrigen früheren Liegenſchaften der Grune=
wald's
jetzt der Familie von Oppelwitz ?u
So iſt esl beſtätigte der Gefragte.
Nun, das trifft alſo zu, wie es prophezeit wurde.
Prophezeihungen, die man ſich hundert und zweihundert
Jahre nach ihrem Ausſpruche erzählt, ſind gewöhnlich zugetrof=
fen
,; meinte Grunewald.
Gut! aber weiter: das Fräulein war ſchön, ſo ſchön, daß
nicht nur ihr Verlobter, ſondern auch deſſen Bruder, der Jo=
hanniter
Martin Grunewald, eine Leidenſchaft für ſie faßte.
Nun kam es aber, daß die Dame den jüngeren und ſchöneren,
mit einem Worte den Verbotenen, mehr begünſtigte, als den Ge=
botenen
. Bei alle dem aber ward ſie die Gattin des Lehens=
erben
und gebar ihm bald einen Sohn, der aber die Züge des
Bruders ſo mit auf die Welt brachte, daß der Vater den Neu=
gebornen
mit einem Schauder aus den Armen legte und von
Stund, an ſeinen Bruder und ſein Weib mit Argwohn beob=
achtete
.
Er nahm auch die Gelegenheit wahr, die ſich ihm bot,
den derzeitigen Comthur von Lagow zu vermögen, den Bruder
hierher zu berufen; und als der Abſchiedstag kam, ließ er ſein
Weib und ihn nicht aus den Augen.
Leidenſchaft iſt aber klug und mächtig, und die Liebenden
trafen ſich zum Lebewohl in einſamer Gartenlaube um Mitternacht.
Doch auch der eiferſüchtige Gatte hatte nicht Ruhe gefun=
den
; er ſchlich dem irrenden Weibe nach und fand ſie da, wohin
verbotene Liebe ſie gelockt hatte.
Was in jener einſamen Laube des Gartens zu Grunewald
zwiſchen den Brüdern vorgefallen, die Sage gleitet darüber nur
in dunkeln Andeutungen hinweg; die ſchuldige Gattin ſchwieg
gänzlich. Der ältere Grunewald lag viele Wochen krank, und
nur ein vertrauter Prieſter und ein jüdiſcher Arzt durften ſeinem
Bette nahen.
Martin Grunewald kam nach Lagow, den Arm in einer
Binde tragend. Jahre lang konnte er kein Schwert ziehen, und
bis zu ſeinem Tode blieb die rechte Hand ſchwächer als die linke,
ſo daß ſpäter ihm der Name: der linkhändige Comthur von La=
gow
, zu Theil wurde.
Nun aber wohnte zu Lagow zur Zeit ein Hausoficiant
des Ordens, deſſen größter Schatz ſein einziges Kind, die bild=
ſchöne
ſiebzehnjährige Shbille war. Seine Gattin war geſtorben
und ſeinen Haushalt führte eine alte Frau, Renata Rohr ge=
nannt
, und in der ganzen Umgegend bekannt unter dem Namen
ndie kluge Renatav.
Das junge Mädchen im Amtshauſe hatte aber immer an
ihr keine Mutter; ſie durchſtrich einſam die Gärten und Felder,
ſie ruderte allein auf dem See - nicht lange mehr, denn
Martin Grunewald ſah ſie und faßte eine heftige Leidenſchaft
für ſie.

891
Seine Schönheit, ſeine Leiden und die Schickſale, die er
bereits gehabt, bahnten ihn den Weg zu dem jungen Herzen.
Die alte Aufſeherin war vergebens klug, oder war ſie mehr klug
als gut und redlich; genug, die Leidenſchaft fand ihren Weg und
eines Tages war die junge Shbille verſchwunden Jahre lang
verſchwunden, bis Martin Grunewald Comthur von Lagow ward.
Da erſchien ſie wieder, verheirathet mit einem verwachſenen
Sohne der Renata Rohr, dem man eine Caſtellanſtelle im Schloſſe
gegeben.
Sie brachte einen Sohn mit, Fritz Rohr, wie der Trom=
peter
, geheißen, und das verjüngte Ebenbild des alternden
Comthur.
Bei dem aber waren die Jahre gekommen, wo Ehrgeiz
über die Liebe geht, er verleugnete die Letztere ſogar, weil Ritter
und Bürger Anſtoß nahmen an der Geſchichte. Deſſenungeachtet
wurde Martin Grunewald geſcholten und getadelt von allen
Seiten, und am meiſten von ſeiner Schwägerin und dem Neffen,
der dem früh verſtorbenen Vater im Majorat gefolgt war. Die
Ritter, die in Lagow lebten, ſpotteten über die Vergangenheit
ihres Vorgeſetzten, und man ſagt, daß zu ſeiner beſonderen
Qual er Alles erfuhr, was im Schloſſe über ihn geſprochen
wurde.
Da geſchah es eines Tages, daß er hier in dieſem Saale
am Kamin ſaß, ſein Neffe, ſeine ſiolze Schwägerin und mehrere
Ritter bei ihm. Die Rede kam auf die Vergangenheit, und mit
vielen Schwüren vermaß ſich Martin Grunewald, nie Shbille
Rohr geliebt, kaum je mit ihr geſcherzt zu haben; er ſchwur,
des Jünglings Vater, der ſeine Züge trug, nicht zu ſein und
ſagte höhniſch zu ſeines Bruders Wittwe, daß ja auch ihr Kind
ihm gleiche und ſie doch die Achtuug der Welt und den Glauben
an ihre Tugend beanſpruche. Er ſchalt Sybille ein lüderliches
Weibsbild und ſchwur, ſie und ihre Brut aus Lagow zu ver=
weiſen
.
Ein lauter, heller Schrei ſoll bei dieſen Worten den Saal
durchtönt haben, und eine Stunde darauf kam die Nachricht,
Shbille Rohr habe ſich in den See geſtürzt und werde eben als
Leiche in's Schloß getragen. Man erzählt, am Sarge der Sy=
bille
habe die ſtolze Schwägerin einen wilden Fluch ausgeſprochen
über das Haupt des frechen Sünders, der zwei Weiber, die ihn
geliebt und ſich ihm geopfert, verrathen und verleugnet. Man
erzählt ferner, der Erbe der Grunewald und jener Fritz Nohr
wären in grimmigem Streit an einander gerathen, und einer von
ihnen ſei blutend in das Zimmer des Comthurs geflohen und
ohnmächtig zu ſeinen Füßen gefallen.
Wenige Tage nach dem gewaltſamen Tode Sybillens fand
man den Comthur todt in ſeinem Bette; die Leiche war blau
und angeſchwollen. Einige erzählen, er habe freiwillig Gift ge=
nommen
, das er aus Italien ſich mitgebracht, andere meinen,
die Wittwe Grunewald habe die Schmach, die er ihr angethan,
gerächt, indem ſie ein Pulver in ſeinen Trank gemiſcht, und noch
andere, der Teufel habe ihm ſein Recht angethan.
Aber im Grabe fand er keine Ruhe, und wird keine Ruhe
inden, bis das ſchmähliche Unrecht, das er einem unſchuldigen
Mädchen und ſeinem Sohne gethan, gerächt iſt.-
Doctor Muldner ſchwieg.
Eine hübſche Geſchichte; ſagte Martin Grunewald, und
ganz geeignet, jeden jungen Rittersmann von doppelten Lieb=
ſchaften
abzuhalten. Aber Doctor, da Sie denn doch ſo gut
unterrichtet ſind über meine ſpukenden Vorfahren, ſo ſagen Sie
uns doch, was iſt denn das für eine Geſchichte mit dem großen
Schranke hier nebenan? Der Trompeter Rohr meinte, der
Schlüſſel zu demſelben läge unter dem Kopfkiſſen der Leiche des
Martin Grunewald, und wer ihn haben wolle, möge ihn dort
holen.
Ja, ach jar, ſagte Doctor Muldner, das hatte ich ver=
geſſen
; der Comthur hatte dieſen Schrank ſelbſt bauen laſſen,
und kurz vor ſeinem Tode angeordnet, daß man ihm den Schlüſſel
deſſelben in den Sarg legen und daß er uneröffnet bleiben ſolle,
bis Einer aus ſeiner Familie den Wunſch hege, nachzuſehen, wus
ſich in jenem Schranke befände. Dann aber ſolle jener Neu=

[ ][  ]

892
N
gierige ſich den Schlüſſel ſelbſt aus dem Grabgewölbe unter der
Kirche holen. Was in dem Schranke zu finden ſei, ſei als Ver=
mächtniß
an jenen muthigen Grunewald zu betrachten.
Und es ſind faſt zwei Jahrhunderte verfloſſen, ohne daß
der Schlüſſel geholt wurde ?u
Wenigſtens iſt jener Schrank ſeit dem Tode des Comthurs
uneröffnet geblieben.
In der That, das iſt ein Abenteuer, das zu beſtehen ich nicht
übel Luſt hätte ſagte Grunewald, halb ſcherzhaft, halb mit dem
Ausdruck des Nachdenkens, in dem hübſchen blaſirten Geſichte;
nich bin ſo arm und ſo muthig, daß ich kein Bedenken trage,
mich mit einem reichen, epileptiſchen Mädchen zu vermählen, und
mich alſo alle Tage meines Lebens an eine Art von Geſpenſt zu
feſſeln. Ein Gang in ein Gewölbe, ein muthiger Blick auf ein
Gerippe, ein feſter Griff in einen Sarg, machen mich vielleicht
zum Herrn eines Vermögens. Wollen Sie mich begleiten,
Wallner? Ich gehe jetzt gleich."
Seien Sie kein Thor, Grunewald! ſagte der Garde= Of=
fizier
. Wenn Geld oder Geldeswerth in dem Schranke wäre,
ſo würde er längſt eröffnet worden ſein, iſt auch wohl ſchon
längſt eröffnet, und Sie holen ſich in dieſer Nacht das Fieber,
wenn Sie in dem Regen bis zur Kirche laufen und naß in das
eiſige Gruftgewölbe niederſteigen - warten Sie wenigſtens bis
morgen.
Keine Minute mehr, Wallner! Der Küſter öffnet für ein
Trinkgeld wohl auch bei Nacht, morgen früh werde ich ſchon
wiſſen, ob ich frei leben kann, ohne die Vereinigung mit einem
bei lebendigem Leibe ſpukenden Geſpenſte. Das iſt wenigſtens
mein Gang im Regen, ein Niederſteigen in einen Eiskeller
werth.:
In dieſem Augenblick durchzitterte der ſchrille Schrei einer
weiblichen Stimme den Saal, ein Gepolter, wie der Fall eines
aus einer ziemlichen Höhe fallenden Körpers folgte demſelben.
Unwillkührlich blickten die drei Anweſenden nach dem Bilde des
geſpenſtigen Comthurs, aber das niedergebrannte Feuer warf nur
ein zweifelhaftes Licht auf daſſelbe, die ſpukenden Augen erſchienen
einen Augenblick wie leere ſchwarze Höhlen, dann erkannte man
deutlich den gemalten Blick derſelben.
Nun genug der Spukereien ſagte Grunewald, ſich eilig
aufrichtend und nach ſeinem Hute greifend; ich gehe, den
Schlüſſel zu jenem Schranke zu holen und hoffe, daß er auch
alle Geheimniſſe dieſes verzauberten Schloſſes erſchließen ſoll.
Ich begleite Sie; ſagte Wallner, ſeinen Degen umſchnal=
lend
; das iſt ein Abenteuer, das wir zuſammen beſtehen
müſſen.
Sie gingen. Doctor Muldner blieb allein, aber nicht lange;
wenige Minuten nach ihrem Abgange trat Hannchen blaß und
verſtört in's Zimmer und rief den Arzt zu ihrer ſchwer erkrankten
Gebieterin.
Wir laſſen ihn dort und begleiten die beiden jungen Män=
ner
, die eine Weile warten mußten, bis der alte Portier ihnen
öffnete.
Der Regen ſchlug praſſelnd an alle Fenſter des Schloſſes,
die Winde heulten in den Kaminen und Schornſteinen, die Waſſer
des Sees plätſcherten laut gegen ihr bergiges Ufer. Von Zeit
zu Zeit erhellte ein Blitz die dunkle Nacht, und in langeu Zwi=
ſchenräumen
miſchte ſich das Grollen des entfernten Donners
mit dem übrigen Toben der Natur.
Vom Schloßportal bis zur Kirche in Lagow iſt nur ein
kurzer Weg über eine Art von Hof. Der ganze Platz aber ſteht
hoch überwuchert mit der Vegetation des Verfalls, Brenneſſel,
Stechapfel und Bilſenkraut, und dieſe Pflanzen regennaß und
vom Winde gepeitſcht, hauchten einen ſeltſamen Duft in die
feuchte Nacht und ſchlugen netzend an die Füße der Wanderer.
Aus den niederen Fenſtern der Küſterwohnung neben der
Kirche blickte traulich der Schein eines Lichtes, obgleich Mitter=
nacht
nahe ſein mußte. Grunewald klopfte an die Scheibe, aber
bevor er noch ein Wort ausgeſprochen, ſagte eine dünne, fiſtelnde
Männerſtimme von innen:

54.
Die kleine Pforte ſteht offen, und wenn Sie durchaus von
Ihrem vermeſſenen Begehren nicht laſſen wollen, ſo bringen Sie
mich wenigſtens nicht in Ungelegenheit. Feuerzeug und die La=
terne
ſind im Schrank in der Sakriſtei.
Nun, wahrhaftig;, ſagte Grunewald, mit der Hand durch
ſeine naſſen Locken fahrend, ich fange an, an Hererei zu glauben.
Wie ein Zauberer weiß dieſer alte Küſter ſchon was wir vor=
haben
, und gibt uns Antwort, ehe wir gefragt haben.
Wir müſſen ihn dennoch fragen;, ſagte Wallner, denn
ohne ihn finden wir ſchwerlich das Grabgewölbe, ſicherlich nicht
den Sarg Ihres Urahn des Comthurs.
(Fortſetzung folgt.)

Mittheilungen aus Stadt und Land.
Darmſtadt, 25. Oct. Wie von uns bereits früher mitgetheilt, hat die
Gr. Regierung ein Gutachten der Handelskammer wegen Errichtung einer
höheren Handelsſchule in Mainz eingefordert. Die Handelskammern von
Darmſtadt und Offenbach haben ſich nun far Errichtung einer ſolchen in
Darmſtadt und zwar in Verbindung mit dem hieſigen Polytechnitum
ausgeſprochen.
Das Generalpoſtamt hat kürzlich eine Bekanntmachung erlaſſen, in
welcher darauf hingewieſen wird daß jetzt täglich ca. 110,000 Stück Briefe
und Packete durch die reſp. Poſtboten an die Adreſſaten zu befördern ſeien
und daß eine ſchnellere Expedition der Poſtgegenſtände nicht durch Ver=
mehrung
der Briefträger allein bewirkt werden könne; es müſſe zu dieſem
Behuſe vielmehr das Publikum mit der Poſtverwaltung zuſammenwirken.
Von Seiten des Publikums müſſe vor allen Dingen auf größtmögliche
Deutlichleit der Adreſſen und auf genaueſte Wohnungsangabe auf denſelben
geachlet werden. Außerdem empfehle ſich ganz beſonders die Anbringung
von kleinen Briefkäſten an den Wohnungsthüren, um, falls der Adreſſat
nicht zu Hauſe ſein ſollte, dadurch den Briefträgern das zeitraubende
Wiederkommen zu erſparen.
In den letzten Tagen iſt hier mehrſach der Fall vorgekommen, daßz
ein bis jetzt noch Unbekannter geſälſchte Eiſenbahn=Frachtbriefe und Anmelde=
zettel
präſentirte, letztere unterſchreiben und ſich den Betrag der Fracht
auszahlen ließ. Als die Betreffenden die Waare nicht empfingen und daher
auf der Bahn nachfragten, erfuhren ſie, daß nichts für ſie da und ſie ge=
prellt
ſeien.
In Mainz ſollen am 1. October gegen 50 Lehramtscandidaten und
ebenſoviele in Gießen zur Leiſtung ihrer Militärpflicht eingetreten ſein:
dieſelben haben nur 6 Wochen zu dienen.
Der zur bleibenden Erinnerung an die denkwürdigen Kriegsjahre
1870ſ71 gegründete und unter der Protektion Sr. Großh. Hoheit des
Prinzen Ludwig von Heſſen ſtehende Heſſiſche Veteranen= und Militär=
(Krieger=) Verein hält Sonntag den 3. November, Vormittags 11 Uhr, in
dem Saale des Herrn Ritſert, Zum Schützenhof: eine Generalverſammlung,
wozu die beſtehenden Lokalvereine und diejenigen Gemeinden, die ſich noch
anzuſchließen geneigt ſind, eingeladen werden. Entfernt wohnende Gemeinden
wollen wenigſtens durch Delegirte ſich vertreten laſſen.
In Mainz hat man beim Umbau des Oſtchores des Domes die Reſte
der alten Krypta aufgedeckt und ſtößt dort täglich auf die intereſſanteſten
Grabgewölbe und Sculpturen.
Mit dem Schluſſe dieſes Monats werden die bisherigen mit der
Bezeichung Norddeutſche Bundes=Telegraphie; verſehenen Telegraphen=
Freimarken außer Gebrauch geſetzt und treten an die Stelle vom 1. Novbr.
ab neue Telegraphen=Freimarken, welche im weſentlichen die Form und
Zeichnung der bisherigen Freimarken haben, aber mit der Umſchrift Tele=
graphie
des Deutſchen Reichs; verſehen ſind und die Werthbezeichnung
Groſchen in ſchwarzem, ſtatt bisher in weißem Ueberdruck enthalten.
Die neuen Telegraphen=Freimarken kommen ſchon am 24. October zum
Verkauf an das Publikum, ſind jedoch erſt vom 1. November ab verwendbar.
Die alten Marken ſind bei den Telegraphenſtationen gegen neue Freimarken
bis zum Schluſſe des Jahres umzutauſchen; vom 1. Januar 1873 verlieren
ſie ihren Werth.
Ein hieſiger Beamter der Heſſiſchen Ludwigsbahn wird ſeit einigen
Tagen vermißt.
Hofmaler A. Noack iſt unter Verleihung des Characters als Profeſſor
zum ordentl. Lehrer für Freihandzeichnen und Aquarellmalerei an der hieſigen
polytechniſchen Schule ernannt worden.
Das Großherzogthum Heſſen beſitzt gegenwärtig 147 Poſtanſtalten
und zwar 11 Poſtämer, worunter 1 Eiſenbahn=Poſtamt, 14 Poſtverwaltungen
84 Poſtexpeditionen und 38 Poſtagenturen.
In den Geſchäftslocalen der Herren J. J. Dingeldey, Obergaſſe,
G. Lerch, Ludwigsplatz, A. Buß, Dieburgerſtraße, F. F. Ebert, Fuhrmanns=
ſtraße
, H. Jochheim, Ecke der Hügel= und Carlſtraße, E. Fuld, Kirchſtraße,
G. Stauß, Eliſabethenſtraße. G. P. Poth (Henigſt Nachfolger), Bleichſtraße,
G. L. Kriegk, Rheinſtraße und W. Henſel, Beſſunger Carlſtraße, ſind amt=
liche
Verkaufsſtellen für Freimarken, Francocouverts, Poſtkarten und Poſt=
anweiſungsformulare
errichtet worden, und ſind die genannten Poſtwerth=
zeichen
daſelbſt zu denſelben Preiſen und Bedingungen wie am Poſtſchalter
zu haben.

Redaction und Verlag: L. C. Wittich'ſche Hofbuchdruckerei.