Darmstädter Tagblatt 1869


10. August 1869

[  ][ ]

Beilage
um
Darmſtädter Frag= und Anzeige=Blatt.
1860.
Dienſtag den 10. Auguſt
N. 32.

Das Frag= und Anzeigeblatt, die Beilage hierzu, ſowie das Verorduungsblatt für den Kreis Darmſtadt erſcheinen wöchentlich; Erſteres Samſtags die Beilage
Dienſtags und Lezteres Vonnerſtags. Jahres=Abonnement der drei Blätter zuſamnmen 2 fl. Auswärts kann man bei allen Poſtämtern abonniren. Iu Barmſtadr
der Expedition, Rheinſtraße Nr. 23 neu.

5074) Das 2. Vataillon 3. Infanterie=Regiments ſucht auf die Dauer der diesjährigen
Hauptübungen einen Marketender zu engagirer. Hierauf Reflectirende wollen ſich auf dem
Büreau des Bataillons, Kranichſteinerſtraße Nr. 7, alsbald aumelden.
J. A.:
Darmſtadt den 5. Auguſt 1869.
Kölſch, Lieutenant und Bataillons=Adjutant.

590)
Bekanntmachung.

5190) Eine zroße gute Leiter und ein
Pfnhlfaß zu verkaufen. Kiesſtraße Nr. 101.

4615) Haidegrütz und Haidemehl,
neuen Reis per Pfund 8, 19, 12, 14 und
16 kr. empfiehlt
G. Amend, vorm. G. Kraus.
5113
Frühkartoffeln
gelbe und rothe, ſowie Blauaugen (Amerilaner)
beſter Qualität empfiehlt
Balth. Gehbauer.

Die zum Schuldweſen des Schuhmachermeiſters
Joh. Adam Büttner dahier gehörigen Mobilien,
beſtehend in Kleider, Weißzeug, Bettwerk, Möbel,
als: vier vollſtändige Betten, 3 Kleiderſchränke,
1 Schreibpult mit Glasaufſatz, 6 Stühle, 1 Clavier,
2 Tiſche ſollen nächſten Miktwoch den 11. Auguſt
d. Js. Vormittags 9 Uhr in deſſen Wohnung,
große Ochſengaſſe Nr. 27, gegen Baarzahlung
verſteigert werden.
Darmſtadt, den 6. Auguſt 1869.
Großherzogliches Ortsgericht Darmſtadt.
Der Vorſteher:
Berntheiſel.

206
Fahrtenpläne des Jommerdieuſtes 1569
(mit den neueſten Veränderungen)
der Main=Neckar=Bahn, Main=Rhein=Bahn,
Ried=Bahn, Main=Weſerbahn,
Maximiliansbahn, Offenbacher=Bahn,
Frankfurt=Homburger=Bahn, Hanauer=
Aſchaffenburger Bahn, Taunus=Bahn, - Bad. Bahn, Naſſauiſche Staatsbahn,
Württemberg. Staatsbahn,
Heſſiſchen u. Pfälziſchen Ludwigsbahn, Rhein=Nahe=Bahn,
der Paris=Straßburger=Bahn, Linksmainiſchen Bahn, Gießen=Deutzer=Bahn,
in Briefformat, zu 6 Lx. das Stück ſind in der G. Jonghaus'ſchen Hofbuch=
handlung
, ſowie auf unſerem Comptoir zu haben.
Ludw. Carl Wittich'ſche Hofbuchdruckerei.

4927)

Feilgebotenes.
4469) Cöͤlner Zucker, milchweiß (ohne Blaue)
mit Stempel verſehen; ſowie gebrannten
gelben Java-Caffee, zartſchmeckend, per Pfd.
48 kr. empfiehlt
G. Amend, vorm. G. Kraus.
4954)
Neue breite Linſen
in ausgezeichneter Luua=
lität
ſind eingetroffen bei
Carl HamOhi,
obere Eliſabethenſtraße 6.

)

eine der nützlichſten Erſindungen.
Dieſelben reinigen Wäſche jeder Art ohne Reibung, ohne Arbeit, nur mit Waſſer
und Seife, mit abſoluter Schonung der Wäſche. Preis 9-18 fl. Verliehen werden
Apparate gegen eine Vergütung von 1 fl. per Tag.
L. W. Moeſer, Marienplatz 7.

519) Für Kaufleute und Gewerbtreibende.
Hiermit die ergebere Anzeige, daß ich von jetzt ab die Geſchäftsbücher=Fabrik der Herren
J. C. RönigsFbhardt in Hannover
vertrete und empfehle mein Lager in: Haupt= und Caſſabüchern, Journalen, Wechſel=Scontro's,
Copirbüchern, Quartbüchern, Octav= und Rotizbüchern, Lohnbücher, Reiſe=Hauptbücher, Haushalts=
bücher
und Copirpreſſen
in reichſter Auswahl zu Originalpreiſen
und ſehe einem recht zahlreichen Zuſpruch entgegen.
Ernſt=Ludwigſtraße 25.
Hermann Gölz.

Neue Grünekern per Pfund 12 kr.,
ganz und gemahlen,
feinſte Waizenſtärke per Pfund 16 kr.,
feine
12 kr.,
bei größerer Abnahme billiger.
5108
Ph. Hobormohl, Schulſtraße.

8 Für Geſellſchaften!
Illuminations=Papier=Laternen!
Fertige Luft=Ballous!
Bengaliſches Feuerwerk!
empfiehlt
Georg Hok,
Eliſabethenſtraße im neuen Schulhauſe.

Vermiethungen.
4203) Nr. 3. dem Offliziers=Caſino gegen=
über
2 geräumige Zimmer, eine Stiege hoch,
alsbald zu beziehen.
NitnattiArtrrsnAAAnuAatz.
8 4583)
Zu vermiethen
ein großes möblirtes Zimmer, Alexander=
H ſtraße Nr. 5 Vorderhaus, im 1. Stock,
8 beziehbar den 1. Auguſt l. J. mit oder
H ohne Koſt.
NNNAAAUUNNAUANAAnAAuAaAi
4652) Neckarſtraße Nr. 15 iſt in der bel Etage
ein ſchön möblirtes, freundliches Zimmer zu ver=
miethen
. Zu erfragen Parterre.

4808) Karlsſtraße Nr. 14 im Seitenbau eine
geränmige Werkſtätte mit Logis zu ver=
miethen
und alsbald zu beziehen.
4875) Dieburger Straße Nro. 10 iſt ein
möblirtes Zimmer zu vermiethen.
4897) Carlsſtraͤße Nro. 51 iſt der untere
Stock mit oder ohne Garten zu vermiethen.
5032) Beſſungen. Friedrichſtraße Nr. 263d
ein möblirtes Zimmer zu vermiethen.
4988) Ein Logis, 5 Piecen enthaltend,
nebſt allen Bequemlichkeiten, ſowie freien Aus=
gang
in den Blumengarten, an eine ſtille Familie
zu vermiethen und Ende October zu beziehen.
Preiß 130 fl.
Handelsgärtnerei von Hch. Henkel,
Beſſunger Heerdwegsſtraße.
32

[ ][  ][ ]

R.32.

120
5053) Eine ſehr freundliche Wohnung,
3 Zimmer, Magdkammer, Gartenvergnügen oder
auch Gartenantheil ꝛc. ꝛc., zu vermiethen.
Teichhausſtraße Nr. 12.
5128) Ein Logis zu vermiethen bei
Metzger Frohmann, Holzſtraße Nr. 10.
5133) 2 bis 3 Zimmer (auf Wunſch
möblirt), ſowie Stallung für 2 Pferde
ſind vom 1. October d. J. an zu vermiethen.
Näheres Riedeſelſtraße 68, dritter Stock.
5141) Ein freundliches Logis zu vermiethen
Beſſunger Weinbergsſtraße bei G. Harbord's Wtw.
5195) Ein ſchön möblirtes Zimmer iſt zu
vermiethen. Kiesſtraße Nr. 101.
5193) Bleichſtraße Nr. 17 parterre ſind zwei
möblirte Zimmer ſofort zu vermiethen.

Vermiſchte Nachrichten.
5194) Für dieſe und die nächſte Woche ſind
die Zahltage: Samſtag den 14. und 21. l. Mts.
Großherzogliche Eivildiener=Wittwenkaſſe.
Mann.

Volocipodes-unterricht wird ertheilt.
Anmeldungen und nähere Auskunft bei
D. Faiz.

1011) Ein Lehrling wird geſucht in der Leder=
und Eiſenhandlung von J. P. Wambold.

F 4693) Ein Kindermädchen wird zum ſofor=
Htigen Eintritt geſucht Ludwigsſtraße Nr. 10.;

5037) Geſucht ein Mann zur Straßen=Reinigung.
Rheinſtraße Nr. 35.

A EEin Frauenzimmer aus guter Familie
8 E8 ſucht eine Stelle zur Stütze der Haus=
frau
oder bei einem älteren Herrn oder Dame.
Franco Offerten ſind unter A. H. Nro. 812
an die Exp. d. Bl. abzugeben.
5167) Einquartierung wird mit Ver=
pflegung
angenommen. Bachgaſſe Nr. 6 neben
dem grünen Laub bei Wilh. Gengenbach.
Mechaniker geſucht.
Tüchtige Gehülfen finden dauernde Beſchäftigung
auf Telegraphen=Apparate bei L. E. Schwerd,
(5174
Mechaniker in Carlsruhe.
5180) Eine einzelne Dame ſucht für den ſo=
fortigen
Eintritt ein älteres Dienſtmädchen, das
kochen, waſchen und bügeln kann. Näheres Grafen=
ſtraße
29 eine Stiege hoch.
5196) Eine geübte Putzmacherin wird geſucht.
Näheres Ludwigsplatz Nr. 4 im Eck=Laden.
5197) Lehrlinge für Steindruckerei
gegen guten Lohn geſucht.
Frommann & Bünto.
5198) Beſſungen. Zwei tüchtige Schloſſer=
Geſellen können bei mir eintreten.
Hch. Jacoby, Schloſſermeiſter.

Lokal=Gewerbverein.

In Auftrag der Großherzoglichen Centralſtelle für die Gewerbe und den Landesgewerbverein
bringen wir zur Kenntniß der verehrlichen Mitglieder des Lokal=Gewerbvereins dahier, daß der
Verwaltungsrath der Heſſiſchen Ludwigs.=Eiſenbahn=Geſellſchaft beſchloſſen hat, allen Beſuchern der
Samſtag den 14. Auguſt l. J. in Mainz ſtattfindenden Generalverſammlung der
Mitglieder des Laudesgewerbvereins und der Lokal=Gewerbvereine freie Rück=
fahrt
auf den Beynen dieſer Geſellſchaft, gegen Zahlung der einfachen Taxe der Hinfahrt, zu
gewähren. Die Eiſenbahnbillete, für die Hin= und Rückfahrt gültig, werden gegen Vorzeigung
der den Mitgliedern bereits zugeſtellten gelben Eintrittskarten für die Eröffnung der Mainzer
Gewerbeausſtellung an allen Schalterkaſſen ausgegeben.
Dir Eröffnung der Gewerbeausſtellung findet um 9 Uhr, die Generalverſammlung um 11 Uhr
11 Uhr Vormittags ſtatt; hiernach empfiehlt es ſich, den Morgens um 7 Uhr 10 Minuten
von hier nach Mainz abgehenden Eiſenbahnzug zu benutzen.
Der Vorſtand des Lokal=Gewerbvereins.

5200)

TAausSOOh
Samſtag den 14. Auguſt

9

0½
vom ganzen AuſikHorps des 1- Meiter-egtments
unter Leitung des Herrn Stabstrompeter Finninger.
Entree 12 kr.
Anfang halb 5 Uhr.
W. Roek.

5206)

Deconomen-Verein.

Die Mitglieder werden andurch zum Erntefeſt eingeladen, welches Samſtag den
14. Auguſt auf dem Karlshof gefeiert wird.
Beginn Abends präcis 8 Uhr.
Der Vorſtand.

5066) Derjenige Einſender, welcher ſo
ſehr für ſein und ſeiner Mitmenſchen Leben
in Angſt ſchwebt, in Betreff der Hunde=
ſperre
, hat doch in ſeinem Eifer dafür Eines
vergeſſen, nämlich: daß auch noch nach dem
9. Jahre die ſchlimmen Folgen eines ſiſſes
eintreten können. Man verordne Maul=
körbe
, aber ſo ſtark, als ſollten ſie für
Löwen ſein. Dann iſt jeder Hundefreund
wie Feind außer Gefahr.
E
5201)
Ein Knecht
bei Pferde geſucht.
Zimmerſtraße 2.
5202) Derjenige, welcher am verfloſſenen Sonn=
tag
in dem Gaſthaus zum Darmſtädter Hof in
Eberſtadt einen ſeidenen Paletot mitnahm,
wird hiermit erſucht, denſelben in der Exp. d. Bl.
innerhalb 3 Tagen zurückzugeben, widrigenfalls ſein
Namen veröffentl. u. derſelbe gerichtl. belangt wird.
18
Am Sonntag Mittag zwiſchen 12-1 Uhr
8 wurde auf dem Wege von der Hein=
heimerſtraße
bis zur Poſt ein Portemonnaie
verloren mit Inhalt von einem 5 fl. Schein und
ungefähr einem Gulden Silbergeld nebſt einigen
kleinen Photographien und zwei Looſen. Der
redliche Finder wird erſucht, daſſelbe bei der
Expedition dieſes Blattes gegen eine gute Be=
lohnung
abzugeben.

8

Einquartiernng vird angenom=
men
bei.
Kinkel, Küfer,

5204) Herr Hofgartenwärter W. Haack,
wollen Sie an mich Ihre Schuldigkeit erfüllen ?
H. Liebel.
mit Verpflegung
Döngesborngaſſe Nro. 4.
Waiſenhaus=Nachricht.
Vom 1. Juli 1869 bis heute iſt für die Waiſen
eingegangen:
1. Legate: Michael Karb II. Eheleute zu Heppen=
heim
50 fl. - Peter Roth II. zu Schaafheim 5 fl.
Franz Merget Eheleute zu Groß=Steinheim 5 fl.
II. In dem Opferſtock vor dem Waiſenhauſe fan=
den
ſich vor: 12 fl. 35¼ kr., zum Theil mit folgenden
Inſchriften: 1) Ihr lieben Waiſen bittet Gott mit mir,
daß er endlich meinen Wunſch erfülle 12 kr. C. H.
2) Für die armen Waiſen 18 kr. - 3) Für die Waiſen
30 kr. - 4) Am Geburtstag meines Mannes 12 kr. mit
der Bitte zu Gott um Erhaltung ſeiner und unſer aller
Geſundheit ꝛc. M. E. - 5) Ihr lieben Waiſen danket
dem lieben Gott, daß er mich von ſchwerer Krankheit hat
geneſen laſſen ꝛc. 24 kr. - 6) Gott hat von meinen
zwei Wünſchen einen erhört und wird meinen zweiten
auch erhören. 12 kr. - 7) Ihr Waiſen bittet den lieben
Gott, daß er mich vor böſen Menſchen behütet, die mir
Lügen nachreden. 12 kr. El. F.
8) Hab' Dank, du
lieber Vater mein, daß du haſt wollen bei mir ſein 2 fl.
9) Gott gebe ſeinen Segen, daß mein Wunſch erfüllt
wird 12 kr. - 10) Wegen irrthümlicher Rechnung 7 kr.
11) Wer ehrenwerth ſtets handelt, und auch denkt,
auch keinen falſchen Schein auf ſich, und Andern lenkt-
der
kann getroſt auf ſeinem Wege gehn; denn nie
und nimmer, wird man ihn, zu Schanden gehen ſehn.
fl.
Darmſtadt, am 2. Auguſt 1869.
Kehr,
Rechner der Großherzoglichen Landeswaiſenanſtalt.

Aus der Praxis.
Von änem ſchleſichen Juſizbeamten.
(Fortſetzung.)
Die Unterſuchung nahm inzwiſchen ihren regelmäßigen Fortgang. Am
andern Tage wurde der junge Bauernſohn Johann Pfenning in die Stadt
beordert und vernommen. Seine Ausſage mußte den Angeſchuldigten noch
ſchwerer graviren. Der Zeuge hatte, aus der Stadt kommend, kurz nach
2 Uhr im Walde 2 raſch aufeinanderfolgende Schüſſe gehört, darauf aber
nicht geachtet, weil er die Schüſſe einem Jäger zugeſchrieben, und war

ruhg ſeines Wegs gegangen. Erſt nach zehn Minuten etwa war er an
dem Orte der That angekommen und hatte dort nur den jungen Burſchen
angetroffen, der ſtumm und händeringend am Boden gelniet und einen
Schrei um Hülfe ausgeſtoßen hätte. Er hätte ihn gefragt, ob er den
Schützen geſehen?' und auf ſeine Bejahung, warum er ihn nicht ver=
folgtZu
hätte er nur mit dem Kopfe geſchüttelt, und ohne auf ihn weiter
zu achten, hätte ſich der Pole wieder auf die Erde geworfen und geſchrieen-
Und wiſſen Sie genau, daß ſie etwa um ½3 Uhr den Schuß ge=
hörtzu
fragte der Aſſeſſor.

[ ][  ][ ]

N. 32.

Ich hatte kurz vorher nach meiner Uhr geſehen' entgegnete der
Zeuge, und wie ich an die Mordſtätte kam, war es noch nicht drei
Viertel
Sahen Sie dann wieder nach der Uhr? Warum ſo oft?
och - ſehe oft nach meiner Uhr', entgegnete der Zeuge beſchämt,
Sein Verhör war geſchloſſen. Er wurde vereidet und entlaſſen.
Den inzwiſchen wieder vorgeführten Angeklagten ſuchte der Aſſeſſor
jetzt durch ein Kreuzfeuer geſchickt entworfener Fragen völlig in die Enge
zu treiben. Der Burſche war heute noch vorſichtiger als geſtern Abend.
Er blieb bei ſeinen einfachen Antworten, die durch ſein unfertiges Deutſch
etwas Unſchuldiges enthielten. Er war weder einzuſchüchtern, noch zum
Geſtändniß zu bringen. Das ſonſt ſo kühle Blut des jungen Criminal=
richters
begann heiß zu wallen. Dieſe verſtockte Bosheit, dieſe ausge=
zeichnete
Scheinheiligkeit bei ſolcher Jugend empörte ihn aufs äußerſte.
Hätte der jugendliche Verbrecher ſeine Schuld bekannt und ſich ihm reuig
zu Füßen geworfen, er würde ihm das größte Mitleid, die wärmſte Theil=
nahme
geſchenkt haben. Jetzt ſollte er ſeine ganze richterliche Strenge fühlen.
Der Aſſeſſor ſchrieb an die Behörde des Orts, aus dem Jablonſth
gebürtig war. In Hinſicht des ſichern und meiſterhaften Schuſſes fragte
er an, ob über die Schießfertigkeit des Inculpaten irgendetwas, und rück=
ſichtlich
der gefundenen Doſe, ob er als Schnupfer bekannt wäre. Zugleich
wurde in öffentlichen Blättern die Aufforderung erlaſſen: Wer über die
im Gerichtszimmer ausgeſtellte Doſe und ihren letzten Beſitzer oder über=
haupt
irgendeine auf den vorgefallenen Doppelmord bezügliche Auskunft
zu geben vermöge, ſolle ſchleunigſt Anzeige machen.
Die Auskunft über den Charakter Jablonſiy's erfolgte raſch. Sie
war, wie ſolche Dorfatteſte ſind, höchſt oberflächlich. Er hatte ſich bis=
her
ordentlich geführt und war wegen eines Verbrechens noch nicht zur
Unterſuchung gezogen und beſtraft worden. Vom Schnupfen des jungen
Burſchen wußte man nichts. Bedeutend wichtiger war die Nachſchrift,
Jablonſky gälte unter den jungen Burſchen als beſter Schütze
Als der Aſſeſſor dieſe Notiz geleſen, ging er in höchſter Aufregung
im Zimmer auf und ab Schon bekämpfte er ſich, dem Beweisgrunde
gegen Jablonsky nicht zu raſch zu folgen
Da ſollte noch ein anderer Umſtand für den Angeklagten verhängniß=
voll
werden. Die Ermordung der beiden Händler hatte in der Umgegend
großes Aufſehen gemacht und beſonders Furcht und Schrecken unter den
reiſenden Viehhändlern verbreitet. Sie ſind meiſt als wohlhabende viel
Geld bei ſich führende Leute bekannt und ein Doppelmord dieſer Art
machte für ſie die Landſtraße nicht wenig unſicher. Alle beſtrebten ſich,
zur Aufhellung der Sache irgendwie beizutragen. Den jungen Jablonſky
konnten faſt alle dort herumreiſende Händler aber die meiſten zweifelten
an ſeiner Schuld; er war noch ſo jung, ſo gutmüthig - ſie munkelten
unter ſich von einer ganz andern Perſönlichkeit, die den Mord ausgeführt
haben könnte
Die beiden Händler waren trotz des erſten Gerüchts Deutſche ge=
weſen
und allgemein geachtete Männer. Sie hatten jahrelang ihr Ge=
ſchäft
in Compagnie getrieben und waren dabei zu leidlichem Vermögen
gekommen. Der Todte, Friedrich Pannitzkh, hatte keine Familie, der an=
dere
, Jgnaz Hubert, war erſt ſeit einem Jahre verheirathet und ſeine
junge Frau kam auf die Unglückspoſt augenblicklich an das Krankenlager
ihres Mannes. Es war eine reſolute, tüchtige Frau, die das Unglück
nicht niedergebeugt ſondern nur zu Haß und Wuth gegen den elenden
Morder aufgeſtachelt hatte. Als ſie von der Verhaftung des jungen Ja=
blonskhy
hörte, ſagte ſie; Nein, der iſt es nicht, aber ich hab einen an=
dern
Verdacht! Sie eilte von dem Krankenlager aufs Gericht und ließ
ſich die Doſe zeigen. Ja, meine Ahnung hat mich nicht getäuſcht! ſagte
ſie aufgeregt. Die Doſe habe ich bei dem Bruder des jungen Jablonſly
geſehen! Stephan Jablonſkh! Das iſt der Mörder
Wie? Wiſſen Sie das gewiß ?o rief der Aſſeſſor.
Der tückiſche Bube hat meinen Mann und den Pannitzky erſchof=
ſen
! Aus Rache hat er's gethan! Er wurde von ihnen aus dem Dienſte gejagt!
Dann ſchließt ſich die Kette ſeltſam'' bemerkte der Aſſeſſor. Hm!
Nun iſt mir alles klarl Der Mann am Hofthor war der Bruber und
der Mord ein von beiden Geſellen ſorgfältig angelegter und gemeinſchaft=
lich
ausgeführter-
Nun mußte er des ältern Jablonſth ſo ſchnell wie möglich habhaft
werden und erließ die dahin zielenden Requiſitionen an die betreffenden
Gerichte. Acht Tage ſpäter wurde der zweite Verbrecher, Stephan Ja=
blonsky
, unter Escorte eingebracht. Er hatte ſich zum erſten Mal nach
längerer Zeit wieder in ſeinem Heimathsorte ſehen laſſen und war augen=
blicklich
ergriffen worden. Seine Behorde hatte zugleich über ihn berich=
tet
, daß der Arreſtant ein wilder, rachſüchtiger Menſch wäre - nur wäre
er in Handhabung von Schußwaffen, wie hier allgemein bekannt, nicht
bewandert. An Geld waren nur wenige Groſchen bei ihm gefunden wor=
den
. Der ſchlaue Burſche mußte daher den Raub ſorgfältig verbor=
gen
haben.

121
Stephan wurde dem Richter vorgeführt Eine kleine, gedrungene
Geſtalt mit einem finſtern, heimtückiſchen Geſicht, aus dem ſtechende Augen
hinter buſchigen Augenbrauen vorſichtig und mißtrauiſch hervorlugten.
Sein ſchwarzes ſtruppiges Haupt= und Barthaar gab ihm vollends ein
wildes Ausſehen. Er erſchien als der vollſte Gegenſatz ſeines jüngern
Bruders und dies trat bei ſeiner Vernehmung noch ſchroffer und deut=
licher
hervor. Der jüngere, Stanislaus Jablonſky, hatte bei all ſeinen
Verhören wenig geſprochen und ſelten ſeine Unſchuld zu betheuern gewagt
- der ältere dagegen fügte jeder Antwort mit flaviſcher Zugengewandt=
heit
hinzu, daß er bei ſeiner Seligkeit unſchuldig ſei wie ein neugebornes
Kind. Er war des Deutſchen vollkommen mächtig und ſprach es mit
großer Fertigkeit; nur hatte er die Gewohnheit, erſt einzelne Worte pol=
niſch
zu ſagen, um ſie dann deutſch zu wiederholen. Im Anfang ſeines
Verhörs leugnete er alles. Die aufgefundene Doſe erkannte er nach eini=
gem
Ueberlegen für die ſeinige an, behauptete aber, daß ſie ihm acht
Tage vorher in einer Dorfſchenke geſtohlen worden und daß er ſich ſchon
am folgenden Tage eine andere hätte kaufen müſſen, die er vorzeigte.
Er nannte dabei den Namen des Kaufmanns, der, ſpäter vernommen,
ſich auf die Zeit des Kaufs nicht mehr ganz genau beſinnen konnte, dem
es aber doch däuchte, als ob es einige Tage vor dem Raubmord geſchehen.
Ein anderes Zugeſtändniß machte der Angeklagte nicht. Er wollte zur
Zeit des Mords gar nicht in dieſer Gegend geweſen ſein. Zwei Zeugen
ſtraften ihn Lügen. Die Scholzenfrau und ein Händler, der ihn am
Morgen des Mordanfalls in einem zwei Stunden entfernten Dorfe ge=
ſehen
. Beide Zeugen wurden ihm gegenübergeſtellt. Die kleine Scholzeu=
frau
behauptete aufs entſchiedenſte: Das iſt das Geſicht, welches ich am
Hofthor geſehen, und auch die Figur paßt! Denn er ragte nur mit dem
ſchwarzen Kopfe hervor, als er leiſe mit ſeinem Bruder ſprach!
Procze, ich bitte, Panna hat mich verkannt!u entgegnete der Pole
ruhig
Gott bewahre! Panna hat ſehr gute Augen=, erwiderte die Frau,
Panna ſieht alles!
Als aber auch der Händler ihm gegenübertrat und ihm ſagte, an
welchem Tiſch er geſeſſen und was er gefrühſtückt, da ſchien der kecke
Burſche zuſammenzubrechen und dennoch wiederholte er: Ach ja bieduy
Calowiek! O ich Armer! Ich bin doch unſchuldig!
Du biſt unſchuldigIu entgegnete der Aſſeſſor. Aber ſage mir
wenigſtens, was du mit deinem Bruder geſprochen!
002 Was? Mit dem Stas?u - polniſcher Diminutiv für Sta=
nislaus
- Nichts, gnädiger Herrlu entgegnete der Pole lebhaft. Ich
wollte ihn nur einmal ſprechen; wir hatten uns lange nicht geſehen
Und warum mußteſt du dich hinterm Thor verkriechen und leiſe
mit ihm ſprechenzu entgegnete der Aſſeſſor= und plözlich den Ton ändernd
und ſein großes, klares Auge forſchend auf den Angeklagten heftend, ſetzte
er hinzu: Sei nur ruhig! Dein Bruder hat bereits Geſtändniſſe ge=
macht
und auf deren Grund biſt du eingezogen worden
Ein jäher Schreck zuckte über des Polen Antlitz. Er trat, wie von
einer Schlange geſtochen, einen Schritt zurück und murmelte einen unver=
ſtändlichen
polniſchen Fluch. Dann ſetzte er, wie ſich beſinnend, hinzu:
Nun, er kaun nichts ſagen! Es iſt alles Lüge!
Hal Er hat dich als Anſtifter des Mords angegeben! entgegnete
der Aſſeſſor -
Der Schurke lu rief der Angeklagte, alle ſeine bisher gezeigte Be=
ſonnenheit
verlierend. Er iſt ſelbſt der Mörder, ich nichtl fuhr er in
größter Heftigkeit fort, und ſein armer Bruder ſoll für ihn leiden? Er
hat geſchoſſen, denn er kann ſchießen wie der beſte Jäger! Aber ich hab,
bei Gott! in meinem Leben noch nie eine Flinte in der Hand gehabt!
Du haſt nicht geſchoſſen, aber den Ermordeten berauben helfen und
die Geldlaſſe beiſeite geſchafftl
Gnädiger Herr, nicht die Hand angerührt! Das hat der Schurke
allein gethan!
Nicht gut möglich, denn zehn Minuten nachher ſind Leute gelommen
und du allein haſt die Ermordeten beraubt! In ſolcher Schnelligkeit
konnte dein Bruder nicht mit allem fertig werden
O, er iſt ſchnelll entgegnete der Inculpat mit faſt komiſcher Hef=
tigkeit
. Alles hat er gemacht und das Geld wird ſich finden im Walde!
7Du wirſt uns die Stelle zeigen!
Barmherzigkeit! Nie umiem Pann poviedaiesl Ich weiß es Ih=
nen
nicht zu ſagen!
Und dein Bruder ſoll in zehn Minuten den Ermordeten beraubt,
das Geld vergraben und das Gewehr wieder ſorgfältig gereinigt haben ?
Nein, nein, das können nur vier Hände und die deinen ſind dabei im
Spiel geweſen! Geſtehe es nurl Ein offenes Geſtändniß erleichtert deine
Strafel Und weil du nicht geſchoſſen, kommſt du ja mit ein paar Jah=
ren
davon
Der finſtere Burſche blickte bei dieſen Worten düſter vor ſich hin.
Man ſah es, wie die widerſprechendſten Gedanken in ſeinem Hirn arbeite=

[ ][  ]

M. 32.

123
ten. Plötzlich warf er ſich dem Aſſeſſor zu Füßen, Thraͤnen ſtürzten aus
ſeinen dunklen Augen und unter Schluchzen ſtieß er heftig hervor: O,
das zſt die Strafe für meine Gedanken! Ich will alles bekennen und Gott
möge mich blind machen, wenn ich nicht die Wahrheit ſpreche! Es iſt
wahr, ich habe meinen früheren Herren gegrollt, weil ſie mich aus dem
Dienſte geſchickt, und ich wollt's ihnen gedenken= und er machte da=
bei
eine drohende Bewegung -; aber todtſchießen - nein, und wenn
ſie mich wie einen Hund hinausgepeitſcht, ich mag keinem Thier den
Kopf abſchlagen - und Menſchen - Er hielt erſchöpft einen Augen=
blick
inne und fuhr dann aufgeregt fort: Da mußte mich der Teufel
dort hinführen zur Schenke und ich ſagte zum Stas: Wenn ſie hent
durch den Wald fahren, prügl' ich ſie durch, daß ſie kein Glied mehr
rühren können; denn ſie ſind doch betrunken1 Und der Schurke, der
Stas, bat und jammerte, ich ſoll's nicht thun; das wäre niederträchtig
und könnte mir ſchlecht bekommen. Ich mußte es ihm verſprechen, ſie
ruhig fahren zu laſſen, denn er weinte, und es war doch mehr zum Spaß
mein ganzes Drohen. Und nun iſt er hingegangen und hat ſie todtge=
ſchoſſen
! Weil er gewußt, daß er's auf mich bringen kann - und das
iſt der Bruder! Er hat ſtets geſagt, daß er mir alles zu Liebe thun
würde O, ich könnte ihn - den Schurken! Er drückte in höchſter
Wuth ſeine geballten Hande an die heißpochende Stirn
Es war wie ein Strom von den Lippen des Polen gefloſſen= und
der Aſſeſior hatte ihm ohne Unterbrechung zugehört-
Und du biſt nicht in den Wald gekommenzu fragte er äußerlich
ruhig, obwohlder im Innerſten empört war über die neue Komödie, die
ber verſchlagene Burſche mit größter Gewandtheit aufgeführt
Ich mußte hindurch, aber ich bin gar nicht auf die Hauptſtraße ge=
kommen
, da ich die Waldwege kenne; und als ich von dem Mord hörte,
ahnte mir nichts Gutes, weil ich in der Nähe geweſen und weil ich ſelbſt
böſe Gedanken gehabt. Und nun muß ich dennoch leiden für meine böſen
Gedanken ſogar! Aber ich bin unſchuldig, ſo wahr die Sonne am Him=
mel
ſcheint
Er verſchwor ſich ſchon wieder ſo heftig, daß es ihn erſt recht ver=
dächtigen
mußte. Sei ohne Sorge! entgegnete der Aſſeſſor auf dieſe
feurigen Exclamationen und fuhr mit Betonung fort und jede Fiber ſeines
Antlitzes ins Auge faſſend: Du haſt recht, die Sonne wird es an den
Tag bringen! Denn Ignaz Hubert iſt nicht todt; er lebt noch und in
wenigen Tagen wird er ſo weit hergeſtellt ſein, die Mörder zu nennen!
Der Pole blickte einen einzigen Moment zweifelnd auf den Aſſeſſor,
als wollte er ſich vergewiſſern, daß es nicht blos eine richterliche Fiction
war. Aber das Antlitz ſeines Inquirenten war dabei ſo ſtreng, ſo zum
Glauben zwingend, daß der Angeklagte von der Wahrheit jener Aeußerung
überzeugt wurde. In ſeinem wilden, düſtern Antlitz blitzte es freudig auf
und als falle ihm eine fürchterliche Laſt vom Herzen, entgegnete er leiden=
ſchaftlich
erregt: Dann wird er ſagen, daß ich unſchuldig! O Gott, laß
ihn nicht ſterben, daß ich wieder frei werde und nicht ein Mörder bleibe!
Dabei faltete er wie zum Himmel flehend die Hände.
Es lag bei alledem eine ſo tiefe Inbrunſt und Wahrheit in dem
letzten Benehmen des Angeklagten, daß jeder andere als der Aſſeſſor in
der Meinung ſeiner Mitſchuld wankend geworden wäre. Dieſer erblickte
darin nur jene unerſchrockene Feſtigkeit, die ſich durch nichts erſchüttern
läßt. Angewidert! von ſo großartiger Heucheleil ließ er den Ange=
klagten
ins Gefängniß zurückführen, nachdem er die Ausſagen deſſelben
ſorgfältig zu Protocoll hatte nehmen laſſen. Jedenfalls war der Aſſeſſor
mit dieſem halben Geſtändniß des ältern Bruders der Aufklärung der
Sache einen bedeutenden Schritt näher gekommen. Wohl hatte ihm in
letzter Zeit der Doctor Hoffnung gemacht, daß der Verwundele noch ein=
mal
ſo weit hergeſtellt werden würde, um ein Zeugniß abzulegen, aber
er ſetzte ſeine Ehre darin, auch ohne dieſes zum Ziele zu kommen und
beide Angellagte ſo ſehr in die Enge zu treiben, daß ihnen kein Ausweg
als der des offenen Geſtändniſſes übrig blieb.
Der Aſſeſſor ſchritt noch einmal zum Verhör des jungen Jablonſth
und ließ ihm die Ausſage ſeiues Bruders langſam und deutlich vorleſen.
Der junge Burſche ſchien ſich das Anſehen geben zu wollen, als habe er
das Vorgeleſene nicht verſtanden, oder hatte er es wirklich nicht? Leuten
ſeines Schlags und Standes fällt es ſchwer, Vorgeleſenes zu faſſen. Es
iſt ihnen ein dumpfes, verworrenes Geräuſch, aus dem ſie nur einzelne
Worte hören. Damit entſteht für dieſe mit ſchwächern Faſſungskräften
Begabten oft viel Unheil und Verdruß. Sie haben bei der meiſt zu
raſchen Verleſung eines Protokolls ſelten etwas verſtanden, unterſchreiben
und ſind gefangen
Der Angellagte hatte nur ſo viel begriffen, daß ſein Bruder ihn
tiefer in die Unterſuchung verwickelt und über das noch immer kindlich=
ruhige
Geſicht flog ein düſterer Schatten. Sein Benehmen ſowohl im
Gefängniß wie bei den Verhören war untadelhaft. Er betheuerte nicht
jeden Augenblick wie ſein Bruder ſeine Unſchuld, verſchwor ſich nie, aber

ſeine Stimmung wurde foͤrmlich eine gehobenere, wie die ein es unſchuldig
Angeklagten, der gewiß iſt, daß ihn der Himmel nicht verlaſſen und ſeine
Unſchuld an den Tag bringen wird. Ueber ſein jugendlich weiches Ge=
ſicht
hatte ſich ſeit ſeiner Unterſuchungshaft ein tiefer Ernſt gebreitet. Es
war, als ob dieſe düſtern, fürchterlichen Tage den harmloſen Jüngling
zum Manne gereift und alle Friſche, alle Kindlichkeit aus ihm verbannt
hätten. Es lag kein Trotz mehr in ihm, nur eine ſille, faſt hoffnungs=
loſe
Ergebenheit in ſein düſieres Schickſal, die rührend von ſeiner Un=
ſchuld
überzeugen mußte.
(Fortſetzung folgt.)

Darmſtädter hiſtoriſche Rleinigkeiten.
Mitgetheilt von M.

81. Die Malerei in Darmſtadt.
(Fortſetzung.)
Ludewig I. Liebe zur Kunſt und Wiſſenſchaft, welcher Darmſtadt ſo
unendlich viel verdankt, ließ auch der Malerei ihren Antheil zukommen.
Für das neugegründete Muſeum wurden ebenſo Gemälde geſammelt, wie
andere Gegenſtände der Kunſt und wie Antiquitäten und Naturalien. Die
Gemäldegallerie vergrößerte ſich theils durch Einzelkäufe, theils durch
Ankäufe von ganzen Gemäldeſammlungen. Aus den Cabinetsrechnungen
können wir Beiſpielehalber folgende Poſten anführen, die zugleich ein
Intereſſe bieten in Beziehung auf die damaligen Preiſe von Gemälden.
Im Jahr 1806 wurden Gemälde, darunter ein Rugendas von Rath
Wunderlich für 700. fl., und die Gemäldeſammlung des Oberſt Stockmar
für 1160 fl. gekauft; im Jahr 1807 die Perglas'ſche Sammlung für
1484 fl.; im Jahr 1808 Gemälde aus der Sammlung der Frau v. Trips
in Heppenheim für 953 fl., andere von Banquier Reber in Baſel, andere
von Rath Wunderlich, darunter das jüngſte Gericht von M. Angelo für
119 fl., 2 Bilder von Morgenſtern zu 528 fl. das Stück; im Jahr 1810
durch Hofmaler Schmidt in Neapel 3 Gemälde von Perin del Vago und
Palidaro für 1822 fl.; im Jahr 1810 Schönberger's Mittag und Abend
1320 fl., und ein Bild von Martin Schön zu 198 fl.; im Jahr 1812
die ganze Truchſeß'ſche Gallerie für 37000 fl., und Schönberger's Mond=
ſcheinlandſchaft
und Sonnenuntergang 660 fl.; 1814 Luc. Cranach's
Stammbuch durch Hofrath v. Mechel für 132 fl.; 1815 eine Madonna
von Caraccio für 220 fl. u. ſ. w.
War durch die Gemäldegallerie den Künſtlern die Möglichkeit ihrer
weiteren Ausbildung nach den großen Vorbildern, die ſich darin fanden,
gegeben, ſo erhielten ſie auch eine Aufmunterung durch die Aufgaben, die
ihnen geſtellt wurden, ſowie durch die Unterſtützung, die ihnen die fürſt=
liche
Freigebigkeit gewährte. Es war natürlich, daß, wo ſolches Vorgehen
eine Entfaltung der Malerei erhoffen ließ, Luſt zur Erlernung der Kunſt
in Einheimiſchen erwachte und fremde Künſtler gerne ihren Aufenthalt
hier nahmen. In Folge deſſen iſt unter der Regierung Ludewigs einer
Anzahl von Künſtlern zu gedenken, deren mehrere eine hervorragende
Stellung in der Geſchichte der Malerei einnehmen. Wir wollen einzelner
darunter etwas ausführlicher gedenken.
Heinrich Schmidt, Cabinetsmaler, geb. um 1740 bei Saarbrück
und in Italien zum Künſtler herangebildet, wo er auch die größte Zeit
ſeines Lebens zubrachte und für die Darmſtädter Gallerie thätig war,
beſonders in Rom und Neapel. In Göthe's Winckelmann und dann in
der Zeitſchrift Italien! von Hirt und Moriz. 1788, werden einige ſeiner
Werke gerühmt, wie: Adam und Eva, Artemiſea, Diana und Caliſto.
Dieſe Bilder befinden ſich mit noch anderen in der hieſigen Gemälde=
Gallerie. Schmidt malte vorzugsweiſe Hiſtorienbilder, aber auch Land=
ſchaften
mit romantiſcher und geſchichtlicher Staffage. In der hieſigen
Gallerie finden ſich 2 Landſchaften von ihm. Das oben erwähnte Bild
der Artemiſea wurde von C. Felſing geſtochen. Schmidt ſtarb um's
Jahr 1818.
Joh. Georg Primavefi, Hoftheatermaler, geb. 1776 zu Heidel=
berg
. Er widmete ſich mit Vorliebe der Landſchaftsmalerei und ſuchte
deßhalb maleriſche Gegenden auf, um Zeichnungen zu entwerfen und Stoff
zu Oelbildern zu gewinnen. Seinen Bildern wird ein tiefes Studium
der Natur und richtige Perſpectivzeichnung nachgerühmt, ſowie man ihm
auch einen reinen Sinn für Form und Farbe, und die glückliche Gabe,
die Erſcheinungen des Lichts und Schattens zum effectvollen Bilde zu
feſſeln, anerkannte. Dann gehört Primaveſi auch zu den vorzüglichſten
Kupferſtechern, und hat eine große Zahl von Stichen geliefert, wie z. B.
die Burg Frankenſtein in einer Anzahl von Bildern, den Rheinlauf in
24 Blättern u. a. m. Die Gemälde=Gallerie beſitzt von ihm 2 Land=
ſchaften
.

Redaction und Verlag: L. C. Wittich'ſche Hofbuchdruckerei.