Beilage
Darmſtädter Frag=
zum
L. 32.
Dienſtag den 11. Auguſt
1868
Das Frag= und Anzeige=Blatt, die Beilage hierzu, ſowie das Verordnungs=Blatt für den Kreis Darmſtadt erſcheinen woͤchentlich: Erſterrs Camftags, die Beilaſe
Vienſtags und Letzteres Bonnerſtags. Jahres=Abonnement der drei Blätter zuſammen 2 fl. Auswaͤrts kann man bei allen Poſtämtern abonniren. In Darmſtadt
bei der Expedition Rheinſtraße, Nr. 23 neu
Vieh=Verſteigerung.
Donnerſtag den 13. d. Mts. Vormittags 91 Uhr
werden auf der Martinsmühle zu Darmſtadt (Frankfurterſtraße 51) 15 Stück Kühe,
theils friſchmelkend, theils tragend, 5 Ninder, ſämmtliches Vieh meiſt Schweizer=Raçe,
gegen baare Zahlung öffentlich verſteigt.
4937)
M. Neuſtadt, Hof=Taxator.
Verſteigerung vonl Werkzeuͤgen.
Freitag den 14. d. Mts. Vormittags 9 Uhr
werden die zum Nachlaſſe des verſtorbenen Mechauikus Herrn Adam Möſer gehörigen
Werkzeuge (Langegaſſe im Hauſe des Herrn Schuhmachermeiſter Keſting), als: 1 eiſerne
Paralell=Drehbank, 3 eiſerne Drehbänke verſchiedener Größe, 1 Blasbalg, 1 Ambos,
2 Schraubſtöcke, kleines Werkzeug, Modelle, Brückenwaagen, 1 Rollwägelchen, ferner
1 Ordonnanzſtutzen ꝛc. gegen baare Zahlung öffentlich verſteigert.
4939)
M. Büetſtadt, Hof=Taxator.
5042)
Bekanntmachung.
Die im Wochenblatt auf Dienſtag den 11.
d. Mts. Waldſtraße Nr. 20 angekündigte
Ver=
ſteigerung wird eingetretener Hinderniſſe halber
nicht abgehalten.
Darmſtadt, den 10. Auguſt 1868.
Großherzogliches Ortsgericht Darmſtadt.
Der Vorſteher:
Berntheiſel.
5013)
Bekanntmachung.
Die zum Schuldenweſen des Hof=
Möbelfabri=
kanten J. Heberer auf Donnerſtag den 13.
Au=
guſt l. J. angekündigte Mobilien=Verſteigerung
wird an dieſem Termin nicht abgehalten und ſtatt
deſſen auf Mittwoch den 19. d. Mts.
Vormittags 9 Uhr verlegt.
Hierbei wird bemerkt, daß auch Kleider,
Weiß=
zeug, Bettwerk und allerlei ſonſtiger Hausrath
zur Verſteigerung kommt.
Darmſtadt, den 10. Auguſt 1868.
Großherzogliches Ortsgericht Darmſtadt.
Der Vorſteher:
Verntheiſel.
5014) Werkholz=Verſteigerung.
Montag den 17. d. Mts. Vormittags
10 Uhr ſollen in dem weſtlichen Hof der Reiter=
Caſerne dahier 14 Akazienſtämme von 10 Fuß
Länge und 10 bis 15 Zoll Durchmeſſer gegen
gleich baare Zahlung öffentlich verſteigt werden.
Darmſtadt, den 9. Auguſt 1868.
Die Maſſe=Verwaltung der Großherzoglichen
Reiter=Brigade.
Frhr. v. Bouchenroeder.
Feikgebotenes.
5047) Gute Frühkartoffeln ſind zu haben
Bleichſtraße Nr. 17 bei Gerlach.
4655) Gut erhaltene Einmachfäſchen,
ſowie zu andern Zwecken dienliche Gebiden in
allen Größen, ferner vollſtändige Einrichtung einer
Küfer=Werkſtälte zu verkaufen. Beſſunger
Carls=
ſtraße Nr. 399.
4703)
Nr. 13.
B..
CfgarrOn
10
15.
9.
Ambrosia pr. Mille 24 flpr. St.
Cubana „ „ 24 „ 1½ kr.
G. L. Kriegk,
20 „ 5 St. 6kr.
Rheinſtr.
4149) Kapeten von 8 kr. per Stück an,
Roulenuz 10 kr. per Stück
empfiehlt
H. Traiser.
4954) Frühäpfel. Sommerkarthäuſer und
Fallobſt wird abgegeben auf den
Karlshof bei Fr. Peter Pitthau.
44
LRPAALTNRRAAATUTARAANN
K 4962) Eine Kelter nebſt Aepfelmühle
8 mittlerer Größ= ſteht billig zu verkaufen
E im Gaſthaus „zur Roſe=
444NNN R444 NNNAr Nnn AnAc
4958)
Neue Vollhäringe
bei
G. Li Hrieshi.
Neue große Linſen der Kumpf 1 fl.
„
das Mäschen 4kr.
„
Grünekernden 3 Ctr.fl. 2. 15kr.
554
Emanuel Fuld, Markt.
501)
Für Möbelſchreiner!
Einige Tauſend ⬜Fuß trockenes Pappelholz
11 5 1½ und 21 werden billig
abge=
geben bei, Schreinermeiſter Fr. Bretſch
in Arheilgen.
5048) Marienplatz Nr. 4 wird feinſter
Oſthofer Weineſſig zum Einmachen per
Maas 16 kr. über die Straße verabreicht.
Neue breite Linſen
von ausgezeichneter Qualität ſind eingetroffen
bei
Carl Hanek,
5049)
obere Eliſabethenſtraße Nr. 6.
Selbſtthätige norwegiſche Kochapparate.
Erſtaunliche Leiſtungen, enorme Erſparung au Zeit u. Geld.
In allen Größen, von 7 fl. an.
4915)
L. W. Moeſer Marienplatz 7).
Lapetonn
4947)
in guter Qualität, zurückgeſetzt, werden noch ca. für 100 Zimmer abgegeben.
W. Schmidt, Ludwigsplatz 9.
5050) Mehrere geſpielte 5ö octavige Claviere
ſind bei mir billig zu verkaufen.
A. Struth, Ludwigsſtraße 12. 2 Treppen-
Vermiethungen.
3937) Riedeſelſtraße 42 ein möblirtes
Zim=
mer zu vermiethen.
A. Falkner.
4510) Ein Logis zu vermiethen bei
G. Dietrich am Sporerthor.
4793) Soderſtraße Nro. 33 iſt die
Man=
ſarde, beſtehend aus 1 Zimmer, 2 Cabinetten,
Küche u. allem ſonſtigen Zugehör, zu vermiethen.
Nähere Auskunft, ſowie die Einſicht vom Logis
ertheilt Schloſſermeiſter Ludwig, Carlsſtraße 8.
4661) Eine elegant möblirte Wohnung
an Frmde zu vermiethen. Wo? ſagt die Exp.
4851) Eliſabethenſtraße Nr. 34 die 2. Etage,
beſtehend aus 7 Zimmern u. Cabinetten, Küche,
Keller, Holzplatz, Mitgebrauch der Wiſchküche,
nebſt Pferdeſtall für 2 Pferde, Burſchenſtube u.
Nemiſe; beziehbar den 15. October d. J.
4491) Ein moͤbintes Zinmer ddbdd D
beziehbar, zu vermiethen.
Holzhofſtraße Nr. 14.
4908) Eine freundliche Manſarde, beſtehend
aus 3 Zimmern, Küche ꝛc., ſogleich beziehbar.
Rheinſtraße Nr. 16.
120
440.
N4 NUU NNNUALNuuNuanrauagn
4 49,8) Ludwigſtraße Nr. 5. Ein freundlich
4 ſchön möblirtes Zimmer iſt billig zu ver=
E miethen und gleich zu beziehen.
4öN RINEI½NNA UIn AAVUun5
4197
Mühlſtraße Nr. 25.
Ein Logis, beſtehend in Zimmer, Kabinet, Küche
und ſonſtiger Bequemlichkeit iſt an eine ſtille
Familie zu vermiethen.
5051) Nro. 19 Schuſtergaſſe iſt ein leines
Logis zu vermiethen und gleich beziehbar.
Adam Hein.
5052) Im Schloßgraben Nr. 3 ein Logis zu
vermiethen u. baldigſt zu beziehen. Fr. Hauff.
5033) Ein kleines Logis Gardiſtenſtraße 16
gleich zu beziehen.
Vermiſchte Nachrichten.
3 Du meinem Unterricht im Zuſchneiden und
a) Anfertigen von Damenkleidern können
wieder täglich Schülerinnen eintreten.
Marie Struth. Ludwigsſtraße 12. 2 Treppen.
5055) Für eine Filz= und Seidenhut=
Fabrik in Norddeutſchland wird ein ſchon älterer,
erfahrener, mit guten Zeugniſſen verſehener Commis
für's Lager und Expedition, der auch zugleich
Aufſicht in der Fabrik mit zu führen hat, unter
günſtigen Bedingungen bis zum 1. October zu
engagiren geſucht. — Solchen, die in ähnlichen
Geſchäften bereits thätig waren, wird der
Vor=
zug gegeben. Neflectirende wollen ihre franco
Offerten unter der Aufſchrift P. L. 382 an die
Herren Haaſenſtein u. Vogler in
Frank=
furt a. M. gelangen laſſen.
116) Ein junger Mann mit den nöthigen
Vorkenntniſſen kann in einem Waarengeſchäfte
als Lehrling eintreten. Rheinſtraße 8 nen.
4563) Einige ſtarke Jungen können in meiner
Steindruckerei anhaltende Beſchäftigung finden.
Eduard Waguer, lith.=geogr. Anſtalt.
5056)
Verloren
wurde ein ſchildkrotenes Portemonnaie mit
dem Inhalt von 3-4 fl. Der redliche Finder
wolle daſſelbe Rheinſtraße Nro. 33 abgeben und
erhält als Belohnung alles enthaltende Geld.
M.32.
Fahrteuplänz des Commerdieuſtes 1568
der Main=Rhein=Bahn, — Main=Neckar=Bahn, — Main=Weſerbahn,— Maximiliansbahn,
Offenbacher=Bahn, — Frankfurt=Homburger=Bahn, - Hanauer=Aſchaſſenburger Bahn,
Taunus=Bahn, - Jad. Bahn, — Naſſauiſche Staatsbahn, — Württemberg. Staatsbahn,
Heſſiſchen u. Pfälziſchen Ludwigsbahn, — Rhein=Nahe=Bahn, — der Paris=Straßburger=
Bahn, — Badiſchen Odenwald=Bahn, — Linksmainiſchen Bahn, — Gießen=Deutzer=
Bahn, - in Briefformat, zu 5 kr. das Stück ſind in der G. Jonghaus'ſchen
Hofbuchhandlung, ſowvie auf unſerem Comptoir zu haben.
L. C. Wittich'ſche Hofbuchdruckerei.
Für benachbarte Landwirthe!
Wir beginnen jetzt mit dem Bau unſerer Gruben, zwiſchen hier und
Arheilgen, woſelbſt die Landwirthe die Jauche mit ihren ſeither in Gebrauch
habendeu Fäſſern, ohne jede Aenderung derſelben, holen können. Bis zur
Vollendung der Gruben ſtehen unſere Fäſſer unentgeldlich zur Verfügung.
Der Ausſchuß
der Geſellſchaft für die geruchloſe Grubenreinigung.
Nähere Auskunſt, Beſtellungen, Aufträge bei dem Geſchäftsführer
L. H a h u , Wilhelminenſtraße Nr. 13.
5059)
420in ein Buch vorſtellendes Me-
2 Bee Anillon mit 5 Photogra=
G, phien iſt verloren gegangen. Der
2
redliche Finder wird gebeten, ſolches
gegen gute Belohnung Rheinſtraße 22
abzugeben.
1058) Sonntag Nachmittag wurde auf dem
Weg Promenadeſtraße, Grafen=, Rhein=,
Wil=
helminen=bis zur oberen Hügelſtraße ein Battiſt=
Schuupftuch, C. V. 6 gezeichnet, verloren.
Der redliche Finder wolle es gegen Velohnung
Promenadeſtraße 52 abgeben.
5029) Hunde werden zu kaufen geſucht.
Mathildenplatz Nr. 3.
5060) Ein Kinderwägelchen wird zu
kaufen geſucht. Eliſabethenſtraße 39.
Die Sammlungen des Grossherzoglicher
Museuuis sind
Sonntags von 10-1 Uhr,
Dienstags, Hittwochs. Donuerstags u. Freitags
von I- Uhr
geöffnet.
Aus dem Voſ ſi e.
1. Herr Wunderlich.
Ei das ſind doch Normalmeuſchen, die mit der Vorausſicht ſelbſt auf
die Welt gekommen ſcheinen! Meuſchen, die ſchon in ihrer Jugend den
von einem Stück Kuchen, das ſie ſich verſagten, erſparten Groſchen für
ihr hülfsbedürftiges Alter zurücklegen; Menſchen, die die Concerte im
Freien deshalb lieben, weil ſie auch außerhalb des zu entrichtenden Entree's
hörbar ſind: Menſchen, die gegen die Pariſer Moden deshalb opponiren,
weil dieſe einen öftern Wechſel der Garderobe bedingen.
Herr Wunderlich iſt einer dieſer Exemplariſchen, die vielleicht Diogenes
mit der Laterne ſuchte. Herr Wunderlich fürchtet die Liebe, weil ihre
Aeußerungen zuweilen koſtſpielig ſind. Er glaubt an keine Freundſchaft,
weil die Freundſchaft zuweilen kleine Anleihen macht. Er bleibt
unver=
heirathet, weil er fürchtet, Frau und Kinder könnten bei ihm um die
Freude ihres Daſeins kommen, letzteres hinderte ihn jedoch nicht, daß er
ſich eine Haushälterin nahm.
Herr Wunderlich iſt calculirendes Mitglied beim Steuerwejen. Er
hat es bis zum Obereinnehmer gebracht. Madame Wätmſtein die ihm
das Hausweſen führt, iſt eine Wittwe in ihren wenn nicht beſten, doch
beſſern Jahren, die gern ihre Treue für ibren ſelig dahingeſchiedenen
Wärmſtein geopfert hätte, wenn der Obereinnehmer hätte — Ernſt machen
wollen. Als die Hoffnung, Frau Obereinnehmerin zu werden, noch wie
Morgenroth an ihrem Lebenshimmel ſtand, war auch ungetrübteſter
Son=
nenſchein im Leben des Obereinnehmers. Jeden Morgen, an dem er ſich
aus Morpheus Umarmung wand, umgankelte ihn die ſchöne Wirklichleit
ſchon bereiteten Frühſtücks und bereits geſtopfter Pfeife; Mittags ſtand zur
Minute, da er eintrat, auch ſchon das Mittagseſſen mit dem
unvermeid=
lichen Leibgericht bereit, und wenn er nach des Tages Laſt und Hitze am
Abend nach Hauſe kam, kam ihm der Schlafrock wie von ſelbſt entgegen,
die Hausſchuhe hüpften ihm an die Füße und nie war der Stiefelauszieher
verlegt. Madame Wärmſtein hatte damals das aufmerkſamſte Ohr für
alle Vorkommniſſe in der Kanzlei oder die aus einem Expeditionszimmer
ins andere ſich fortpflanzenden Mittheilungen von dieſer oder jener
pri=
vaten Angelegenheit der Vorgeſetzten. Sie war immer bereit, Herrn
Wunderlich nach Schluß der Expedition, wenn er der Bewegung bedurfte,
bis auf eins der nächſtgelegenen Dörfer zu begleiten und zu dem dort um
einen Pfennig per Seidel billiger zu genießenden einfachen Viere die
zu=
gehörigen ſonſtigen Erfriſchungen im Strickörbchen mitzutragen. Sie
ſorgte jederzeit dafür, daß der Obereinnehmer ſchon gefrühſtückt hatte,
wenn das geſammte Subalternperſonal ſeines Departements, ihn an der
Spitze, ſich ganz in der Morgenfrühe die Baumblüthe oder den erſten
Maikäfer betrachten wollte, und hatte jederzeit eine Taſſe Bouillon bereit,
wenn Herr Wunderlich nach einer genoſſenen Sonntagspredigt doch noch
vor dem Kalbsbraten der Stärkung bedurfte. Aber eben dieſe
Bequem=
lichkeit, dieſes Sichbehaglichfühlen war es, was den Obereinnehmer einmal
gerade zu dem Bekenntniß einer unbewachten Stunde beſtimmte: „Madame
Wärmſtein! Sie bleiben ewig bei mirl Ich heirathe - nie!
Gott, ſo war dieſe Frau verſtanden worden! Das ſind nun dieſe
Mißverſtändniſſe der Erde, die kein Kant, kein Schopenhauer jemals löſen
wird! Doch gab Madame Wärmſtein darum die Hoffnung noch immer
„.
nicht auf, daß eines Morgens, vielleicht unter dem Eindruck eines ſchweren
Traumes, Herr Wunderlich ihr doch noch Herz und Hand antragen
würde. Manchmal läßt ſie etwas von „Veränderung= „Gelegenheit haben”
jallen, Worte, die plötzlich eine Morgenpfeife erkalten laſſen können und
ein Gericht Linſen mit Speck unverdaulich machen. Doch mit der Zeit
beruhigt ſich ſein Athem und ſein Magen. Auf die von Madame
Wärm=
ſtein dann angebahnte Poeſie der Liebe als Zündmittel für ſein Herz, auf
die Sprache der Sterne und Blumen, auf die Porträtirkunſt der
Silber=
wellen mit widerſpiegelndem geliebten Gegenſtande, auf den Zauber ſtiller
Mondnächte und über ähnliche Seufzerbrücken ging Herr Wunderlich mit
ſtarken Nerven ruhig hinüber. Eine Bratwurſt, eine ſaure Gurke - und
Madame Wärmſtein ſcheiterte wieder an dem Manne der Vorſicht
dem unverbeſſerlich Exemplariſchen.
Aber ſiehel Die Götter ſenden dem Duldenden ein freundliches
Ge=
ſchick! Herr Wunderlich erkältet ſich und ſinkt aufs Krankenlager. Nun
iſt Herr Wunderlich verfallen. Jetzt öffaet und ſchließt Madame
Wärm=
ſtein die Fenſter, jetzt kocht ſie Thee, jetzt legt ſie Senfteige, ſetzt ihm
Blutegel, ſie beweiſt ihm, daß ſie ein Herz hat. Oft ruſt der Kranke
den Tod, ihn zu erlöſen von ſo viel unverdienter Güte. Er gibt ſich
ſchon ſelbſt auf; wie von Grabeshöhe ſchaut er zurück auf ein Leben, das
ihm jetzt Stoff zu Betrachtungen liefert. „Madame Wärmſtein! Ich werde
ſterben! Sollt ich aber geneſen
Bedeutungsvolle Pauſel . . . Frau Wärmſtein ſchluchzt . .. dann
aber erröthet ſie über den Händedruck des Fieberkranken der
ofſen=
bare Antrag verwirrt ſie ſie möchte laut ausrufen: „Er iſt geliefert!
aber ſie beſinnt ſich, daß die Wünſche und Hoffnungen des weiblichen
Herzens immer verſchleiert gehen müſſen und ſchlägt das Auge nieder!
„Ach, Herr Wunderlich lispelt ſie leiſe, „was Sie da ſagen! Liegen
Sie auch weich? Herr Wunderlich iſt zu angegriffen, um erwidern zu
können, auch verwehrt ihm die ſchämige Wittwe das Sprechen. Sie weiß
jal Es lag ja deutlich in ſeinen Zügen! Sie weicht nicht mehr von
ſeinem Lager, und wenn ſie doch auf den Markt muß, um das feinſte
Obſt, das kräftigſte Bouillonfleiſch, die zarteſten Gartengemüſe ſelbſt für
ihren Herrn auszuſuchen, da ſetzt ſie doch Dorchen, ein Mädchen von
nebenan, das ſeine Exiſtenz mühſam mit der Nadel friſtet, an's
Kranken=
bett. Dorchen iſt ein gutherziges Kind, das der Nachbarin gern gefällig
iſt, dem Kranken mit Stadtneuigkeiten die Zeit kürzt, ihm auch den Kopf
weicher legt, ihm auch den Thee einſchenkt und neben ihrer, an's
Kranken=
bett mitgebrachten Arbeit, tauſend kleine Hülfsleiſtungen reicht, bis
Ma=
dame Wärmſtein wiederkommt und mit der Zärtlichkeit der künftigen
Gattin an das Bett des Kranken eilt und dieſen mit Zuvorkommenheiten
überſchüttet.
Wie ſehr muß ſie erſchrecken, als Herr Wunderlich nachdem er
wiederhergeſtellt iſt, ihr eines Morgens ſagt: „Madame Wunderlich.
Tiefes Erröthen.... „Meine Krankheit. „O½.. „Ich lag, ich
träumte, ein Engel ſaß an meinem Lager. „Bitte, Herr
Wunder=
lich 10. „Ein Engel, ſo ſchön, ſo lieb, ſo holdſelig.. „Ach, Herr
Wunderlich! „Sein Blick hielt das ſchon im Fliehen begriffene Leben
zurück, ſein Athem wehte mir Geſundheit zu. . „Herr Wunderlich!
„Und dieſer Engel.... „Dieſer Engel?u.. „War - Dorchenl.
„Was? Dorchen2u.. „Unmöglich!u.. „Ich bin nicht undankbar!
Hier haben Sie 20 Thaler, Madame Wärmſiein! Leben Sie wohl
und gedenken Sie zuweilen freundlich Ihres ewigen Freundes.
Herr Wunderlich verſchwindet aus ſeiner Thür hinaus in die
gegen=
überliegende hinein und läßt „Madame Wunderlich1 in einer Stimmung
zurück, die ſich einigermaßen am Anblick des in ihren Händen befindlichen
Zwanzigthalerſcheins, den ſie zu den doch möglich gewordenen Erſparniſſen
im Haushalt des Herrn Wunderlich beiſeite gelegt, mildert.
Herr Wunderlich hat während ſeiner Krankheit überlegt, daß er
Madame Wärmſtein, die ſchon oft zuweilen einem für alle Fälle
zuſam=
mengeſetzten Lebenselixir zuſprach, doch wohl bald zu begraben gehabt und
ihre ſchon zuweilen herabgeſtimmten Nerven bald ein Dienſtmädchen mit
jährlich 16 Thalern Lohn, wöchentlich einem Näpfchen Butter und
alljähr=
lich fünf weihnachtlichen Thalern und einer blauen Schürze, nöthig gemacht
haben würden, er heirathet lieber gleich Dorchen, die ein längeres Leben
in Ausſicht ſtellt, die ohne Unterſtützung mit dem Hausweſen allein fertig
wird und die nebenbei noch ihre Nadel zum beſten der nun gemeinſamen
Haushaltung noch immer thätig ſein laſſen kann.
O. ihr Exemplariſchen! Diogenes, der einen Menſchen ſuchen wollte,
wo iſt deine Laterne ?
11 Ein neuer Nodke.
Ein Rock und ein Gott! heißt der Titel eines kleinen Luſtſpiels, in
welchem ſich zwei Studenten in einen einzigen Frack theilen, der ihnen
allein zu Gebote ſteht.
32
121
Aber ein einiger Frack läßt noch eine Pileſche, einen Jagdrock, einen
gewöhnlichen Gehrock, einen Ueberzieher, einen Mantel zu.
re.n
Aber ein einziger Ueberrock als ganze Garderobel..
Da iſt allerdings die Frage eines neuanzuſchaffenden Rocks eine
Staats= und Cabinetsfrage.
Niemand kann den Eindruck eines neuen Nocks auf den innern
Men=
ſchen und die durch ihn gehobene Stimmung und erhöhtere
Selbſtwerth=
ſchätzung ſo begreifen, als wer nur einen einzigen Rock beſitzt. Nur ein
ſolcher wird es ganz verſtehen, daß es für den Bruder Mecklenburger
ein bedeutungsvoller Tag war, als er von ſeinem Meiſter das letzte
Wochenlohn empfing, das nebſt einigen von früheren Wochenlöhnen
ge=
machten Erſparniſſen eben hinreicht, zu einem neuen Rocke den Stoff
zu kaufen.
Sämmtliche Geſellen der Werkſtatt, iu welcher der Bruder
Mecklen=
burger arbeitet, der Bruder Schleſier und der Bruder Hannoveraner, der
Bruder Baier und der Bruder Würtemberger verlaſſen Schraubſtock und
Ambos, um den Bruder Mecklenburger zu begleiten und beim Einkauf
des Tuches ihr deutſch=einheitliches Gutachten abzugeben.
Daß der Bruder Schleſier ſich für grün, der Bruder Baier für blau,
der Bruder Hannoveraner für melirt und der Bruder Würtemberger ſich
für ſchwarz entſcheidet, beſtimmt den Bruder Mecklenburger, braun zu
wählen.
Als das Tuch abgeſchnitten bereits unterm Arme des Eigenthümers
ruht, iſt man mit der Wahl deſſelben einverſtanden und verläßt in Pleno
das Verkaufsgewölbe.
Draußen vor demſelben betrachtet der Inhaber des künftigen Rocks
mit ſeinen Kameraden ſich den Einkauf noch einmal, indem er das Tuch
auseinanderrollt und es weſtlich gegen die Sonne und öſtlich gegen den
Schatten ſpielen läßt, bis ein vier Treppen auf dem Blumenbret
ſtehen=
der überfeuchteter Nelkenſtock einige mahnende Tropfen auf das nene
Tuch fallen läßt, das der Bruder Mecklenburger unter lautem Proteſt
gegen Blumenbreter ſäubert, zuſammenrollt und wieder unter den
Arm nimmt.
Daß fünf Menſchen kommen und Tuch zu einem einzigen Rocke
bringen, hat für den Schneider nichts Auffälliges. Meiſter Scheermann
ſteht noch nicht auf dem Standpunkte akademiſchen Künſtlerthums, hält
keinen Laden mit ſich täglich vergrößernden, geſchliffenen Glasſcheiben und
Rechnungen und führt noch das alte, ſeit lange überwundene, papierne
Maß, in welches er die nur von Eingeweihten ganz enträthſelten
geheim=
nißvollen Einſchnitte macht. Er arbeitet mit Frau und Tochter ohne alle
Trigonometrie und iſt ganz der Vertrauensmann für Leute wie der Bruder
Mecklenburger, die in Bezug auf die langen Rechnungen, welche den
fertigen Rock auch damit documentiren, daß ſie mit liebenswürdigſter
Naivetät aus der Seitentaſche herausſchauen, für alademiſche Standpunkte
der neuzeitlichen Kleiderkünſtler nicht eingenommen ſind.
Beim Maßnehmen wiederholt ſich die deutſche Einheit in der
Ver=
ſchiedenheit der Anſichten über Façon, Futter und Knöpfe. Der Bruder
Baier begutachtet eine weite, der Bruder Schleſier eine gemüthlich enge
Taille, der Bruder Hannoveraner ſchlägt blanke und der Bruder
Würtem=
berger überſponnene Knöpfe vor. . . Meiſter Scheermann, der ſeine
Nadel wie ſein Talent zur unumſchränkten Verfügung ſtellt, hat immer
nur unmaßgebliche, einem Pariſer Modeblatt vom vorigen Jahre
ent=
nommene Anſichten die aber doch zuletzt die beſtimmenden bleiben, der
Rock erhält einen weiten Leib damit die Natur des Bruder
Mecklen=
burger ſich nicht zu geniren braucht, wenn ſie ſich entwickeln will, und lange
Schöße für die Wechſelfälle, die auch die Exiſtenz der „Unausſprechlichen”
erſchüttern und dieſen ein ſtill „beſchauliches: Leben unterm Schutze
langer Rockflügel zum Bedürfniß machen können.
Ueber Form von Kragen und Aermel, Stoff des Unterfutters, Größe
der Knöpfe, Länge der Taille - und die hundert Gleichgewichtsfragen
eines civiliſirten Rocks wird noch des breitern verhandelt, einige
Abnor=
mitäten, die ſich die Natur bei der Schöpfung des Bruder Mecklenburger
zu Schulden kommen ließ, werden mit einem Auflug erröthender
Ver=
legenheit eingeſtanden damit Kunſt und Watte nachhelfend ausgleichen
können und allendlich, nachdem alles gegenſeitig ſchon oft genug
Beſpro=
chene und Gewünſchte noch einmal repetirt wurde verfügen ſich die
ver=
einigten Deutſchen auf die Herberge, um den beſtellten Rock wie eine
ge=
ſchehene große That zu betrinken.
Der nächſte Tag iſt zwar ein Sonntag, aber der Bruder
Mecklen=
burger ſtreicht ihn aus ſeinem Leben. Es iſt für ihn der „Sylveſter”
des alten Rocks, den er mit einer gewiſſen Indignation anlegt, ſich ſelbſt
wundernd, wie dieſer Rock bis heute in der Geſchichte der Civiliſation
und er in dieſem Rocke habe exiſtiren können. Der Bruder
Mecklen=
burger beſucht an dieſem Sonntage weder den von ihm ſonſt
frequen=
tirten Tanzſaal, noch die Herberge. Alle neuen Röcke ſind hohe Feſt=
und Feiertagserſcheinungen und nächſten Sonntag iſt Oſtern. Er ſucht
ſeine verwandtſchaftlichen Empfindungen für eine „alte Muhmel auf und
122
M32.
erneuert mit ihr bei einer Taſſe Kaffee mit nur Sonntags und bei
ſelte=
nen Beſuchen gebräuchlichem Weißbrod und Zucker ſtatt Shrups die
Er=
innerungen an ſeine ſelige Mutter und ihren eigenen ſeligen Mann.
Vom Montag an hat der Bruder Mecklenburger die beruhigende
Empfindung, daß der Rock in Arbeit iſt. Nach einigen Tagen fragt er
bei Meiſter Scheermann an, wie weit der Rock vorgeſchritten und kommt
eben zurecht, um ihn anzuprobiren. Daß der Rücken zu breit, der Kragen
zu hoch, die Aermel zu lang, findet der Meiſter nicht auffallend; er kann
nachhelfen, corrigiren und den Wuchs des Bruders Mecklenburger noch
einmal wie Winckelmann die Antike ſiudiren.
Nachdem der Bruder Mecklenburger noch einmal wegen des Futters,
das andere mal wegen der Knopflöcher und endlich noch wegen
wieder=
holten Anprobirens den Schneider beſucht, kommt endlich der
verheißungs=
volle Sonnabend. Der Schneider, der Rock und die von der
Schneiders=
tochter geſchriebene Rechnung, die dem Broder Mecklenburger, unbeſchadet
ſeiner Verehrung für das ſchöne Geſchlecht, doch zu hoch erſcheint, alles
trifft, wie erwartet, ein.
Meiſter Scheermann erwidert noch kein Wort. Mit dem Schweigen
des Künſtlerbewußtſeins zieht er dem Bruder Mecklenburger nur die
Ar=
beitsjacke herunter und den neuen Rock an. Wie nur erſt der Geſell in
den Rock hinein iſt, ſtellt ihn der Schneider in die Mitte der Werkſtatt
zur allgemeinen Anſicht auf und wirft nur einen Blick eines über alle
Kritik erhabenen Kunſtbewußtſeins um ſich. Die Schraubſtöcke ruhen,
Hammer und Ambos feiern, der Blaſebalg ſchweigt erwartungsvoll.
Gegenüber den„ Unausſprechlichen: der Werkſtatt, die der Bruder
Mecklen=
burger nicht ablegen konnte, einer im Herunterkommen begriffenen Weſte
und des Bulkangeſichts, erhält der Rock ein hohes Feſt= und
Feiertags=
anſehen. Der Bruder Mecklenburger empfindet ſchon jetzt ſolche
Anwand=
lungen einer erhöhten Sonntagsſtimmung, daß ſeine gegen die ſehr
gründ=
liche Rechnung aufgeſtellten Monita ſchon bedeutend an Schärfe und
Gründlichkeit verlieren. Als der Meiſter nun noch das ſchöne Tuch und
den hübſchen Wuchs des Geſellen lobt, dem der Rock wie jangegoſſen!
ſitzt, da hat der Widerſtand des Bruder Mecklenburger gegen die
Rech=
nung ſeine Kraft verloren und der Meiſter entfernt ſich, den vollen
Be=
trag derſelben minus einiger nur die Abrundung der Summe hindernden
Neugroſchen in der Taſche, mit dem frommen Wunſche: „Zerreißen Sie
den Rock geſund!
Der erſte Gang des Bruders Mecklenburger am nächſten Sonntag
morgen iſt in die Kirche.
Die Sitte, neue Kleider zuerſt für die Kirche anzuziehen, hat man
ſchon bei den alten Germanen beobachten wollen. Unter dem brennenden
Kronleuchter wird auch in der That der Glanz ſeines neuen Nocks für
die Umſtehenden erſt recht bemerkbar, bis, gerade bei der Stelle, wo der
Prediger die fünf thörichten Jungfrauen ſchildert, die das Oel vergeſſen
haben, ihm jemand bemerkt, daß er dafür die Anfänge zu einem
Wachs=
licht auf dem Kragen ſeines neuen Rocks trägt.
Daß dann auf der Stroße ein Vorübereilender die lange Aſchenſpitze
ſeiner Cigarre am neuen Rocke abſtößt; daß in einer Reſtauration ein
Billardſpieler als alter Freund die Freude des Wiederſehens am neuen
Rocke mit fünf Kreidefingern abdrückt; daß ein auf dem ſchlechten Pflaſter
der Straße Ausgleitender ſich im Fallen an die Schöße des neuen Rocks
anklammert und die Plötzlichkeit ſeines Falles dadurch hindert, daß die
Schöße, an einer glücklicherweiſe verſteckten Stelle, langſam aus den Nähten
gehen - das ſind jene unangenehmen Berührungen mit dem Leben, die
uns da am öfterſten kommen, wenn wir uns am meiſten dafür ſchützen
wollen.
Die aufgegangene Naht wird von der Meiſterin ſelbſt
wiederherge=
ſtellt, der Rock wird gereinigt, und ſo iſt der Bruder Mecklenburger, als
er Nachmittags den Tanzſaal betritt, wieder der „Retten und„ Schmucke”
der es ſchon wagen kann, ein bereits engagirtes Mädchen, das bei,
Hof=
raths: dient, naufzuziehen:
Der eigentliche Tänzer des Mädchens aber, ein Tiſchler, der, um
eine Erfriſchung zu holen, abſeits gegangen war, kommt eben zurück. Der
Bruder Mecklenburger iſt im luſtigen deutſchen Walzer mit Hofraths
Chriſtel. Wie der Tiſchler dem Bruder Mecklenburger zornentbrannt ein
Bein ſtellt und dieſer im 3⁄₈ Takt durch den Saal hinſchießt immer mit
der Naſe am Fußboden und Hofraths Chriſtel hinterdrein und ſich dieſe
Roheit des Tiſchlers wiederholt, da iſt gleich das Signal zum allgemeinen
Aufſtande gegeben. Der Bruder Mecklenburger gibt dem Tiſchler eine
Ohrfeige. Leider erhält er zwei dafür zurück. . . . Eine bleibt Reſt.
Was iſt zu thun? Um das Saldo auszugleichen, prügeln ſich beide
ſummariſch. Ein Dritter kommt hinzu und arbeitet zuerſt auch am
Tiſch=
ler, ein vierter aber am Mecklenburger, ein Fünfter am Dritten und ein
Sechster am Vierten. Der Wirth hämmert dann friedeſtiftend auf alle
mit nachahmungswerther Unparteilichkeit ein, bis er ſelbſt Prügel bekommt,
die Muſici ſchweigen und „die Patrouille kommt.... Allgemeine
Er=
ſtarrung.. . Aber die Muſici ſpielen geiſtesgegenwärtig plötzlich einen
Walzer, das wirkt wie Hüon's Horn, der Bruder Mecklenburger und
Tiſchler, die ſich eben an den Haaren haben, ſpringen vom Boden auf
und tanzen in dieſer Situation vor, ein Schuſter folgt mit einem
Schnei=
der, den er noch abklopft; hierauf ein Bäcker, der einen Blaufärber als
Teig behandelte und ſo fort, bis endlich der Wirth ſolo den Reihen
be=
ſchließt und die Ordnung hergeſtellt iſt. Die Patrouille entfernt ſich. Es
iſt das ſtillſte Local der Stadt.
Aber der neue Rock!
Während der rechte Aermel griechiſch offen, iſt der linke ſpaniſch
ge=
ſchlitzt. Der rechte Flügel hat die Kürze eines altdeutſchen Waffenrocks
und der linke die Facon eines Frackſchoßes aus der Zopfzeit. Der Rücken
iſt ſanft auseinander gegangen und am Kragen ſchaut die graue
Unter=
lage zwiſchen dem Tuche hervor.
Der Bruder Mecklenburger, als ihm ein ſchmaler Pfeilerſpiegel ſein
Bild reflectirt, ſteht ſehr betroffen.. . Die Wünſche der beſten
Men=
ſchen laſſen doch ſonſt ſo lange auf ſich warten, wenn ſie ſich überhaupt
erfüllen, und dieſer gutgemeinte Wunſch des Schneiders „Zerreißen Sie
den Rock geſundlu wie ſchnell hat er ſich verwirklicht!
Man lächelt darüber..
Aber ein neuer Rock, die Frucht einer Jahreserſparuiß, iſt im
Volke mehr als ein neues Pferd das man eben für 100 Louisdor kaufte
und einige Tage darauf, weil es ſtätiſch iſt, um 20 wieder abgeben muß;
mehr als ein türkiſcher Shawl, der im Foyer der Oper vergeſſen wurde
und gegen eine noch ſo angemeſſene Belohnung von keinem ehrlichen
Finder zurückgebracht wird.
Der Bruder Mecklenburger bedarf mindeſtens ein halbes Jahr, um
mit ſeinem Daſein als civiliſirter Menſch des 19. Jahrhunderts wieder
zufrieden zu ſein.
Gortſebung ſolgt)
Darmſtädter hiſtoriſche Kleinigkeiten.
Mitgetheilt von V.
62. Hof=Speiſe=Ordnung im Jahr 1628.
„Unſer von Gottes Gnaden Georgen Landgraffen zu Heſſen ꝛc. Speiß=
Ordnung, Wie die in unſere Geſind=Saal ſolle gehalten werden:
1. ſoll uff der Hauß Officirer und Muſicanten=Tiſch alle Malzeit
uffgeſetzt werden, 6 Eſſen, nemblich 4 Eſſen Fleiſch, 2 Zugemüß und der
Keeß, und ſoll ein jegliche Perſon dazu haben 1 Maaß Bier, 1 Echtmaß
Wein und 2 Hofbrodt.
2. ſoll über einen jeden Scribenten=, Trommeter= und Mägde=Tiſch
alle Morgen=Malzeit aufgeſetzet werden 6 Eſſen, nemblich 4 Eſſen Fleiſch,
2 Zugemüß und der Keeß, zur Nachtmahlzeit 3 Eſſen Fleiſch, 2 Zugemüß
und der Keeß, und ſoll jede Mahlzeit ein jegliche Perſon dazu haben
1 Halbmaß Bier und 1 Echtmaß Wein und 2 kleine Hofbrodt.
3. über des Burggraffen Einſpenniger, Werckleuthe und Sattelknecht
und dergleichen Tiſch ſollen uffgeſetzt werden zur Morgen=Mahlzeit 5 Eſſen,
nemblich 3 Eſſen Fleiſch, 2 Zugemüß und der Keeß, zur Nacht=Mahlzeit
4 Eſſen, 2 Eſſen Fleiſch und 2 Zugemüß und der Keez, und auch einer
jeden Perſon 1 Halbmaß Bier und 1 Echtmaß Wein und 2 kleine Brodt.
4. über einen gemeinen Geſind Tiſch ſollen aufgeſetzet werden 4 Eſſen,
nemblich 2 Eſſen Fleiſch, 2 Zugemüß zur Morgen=Mahlzeit; des Abends
aber nurten 1 Eſſen Fleiſch, 2 Zugemüß und der Keeß und über jedern
Tiſch 4 Maß Vier.
5. ferner ſoll den Officieren jedern des Tags über die 4 klein Brodt,
o ſie zu beiden Mahlzeiten empfangen, noch ein klein Brodt ſtatt der
Suppen gereicht werden.
6. ingleichen ſoll den Trommetern und Einſpennigern ihr Suppen=
Brodt, wie den Officieren gereicht werden.
7. ſollen über des Burggraffen Werkleuthe, Sattelknecht und derſelbigen
Tiſchgehörigen Perſonen tägliches über ihr Mahlzeit Brodt noch ein klein
Suppen=Brodt durch's ganze Jahr und jederm ein klein Vesper=Brodt
von Oſtern bis auf Ulichaelis gereicht und geliejert werden.
An den Sonntägen und andern hohen Feſten und Fehertagen, da
Predigten gehalten werden, ſoll keinem, er ſeh wer er wolle, das Suppen=
Brodt gefolget werden.
Signatum Darmbſtatt den 30. Tag Augusti 1628.
Redaction und Verlag: L. C. Wittich'ſche Hofbuchdruckerei.