Darmstädter Tagblatt 1782


18. Februar 1782

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den 18. Febr.
Anno 1782.
Mit Hochfuͤrſtl.
gnaͤdigſten
Darmſtaͤdti=
Anzeigungs=
zu
finden in der
Hof= und Canzley=

Num. F.

Heſſiſehem
Privilegio.
ſches Frag=und
viattgen
Hochfuͤrſtlichen
buchdruckerey.

Victualien
kr.
6
Ein 15 Ochſenfleiſch
1 Rindfleiſch
5
5
1 Kalbfleiſch
Hammelfleiſch = 16
4
Schaffleiſch
Schweinenfleiſch=
Schinken u. Doͤrrfl.112
14
Speck,
Nierenfett = = 12
= Hammelsfett; 10
Schweinenſchmalz 12
rin Kalbsgekroͤß = 8 a 10
12
Ein Kalbsgeluͤng
Ein Hammelsgeluͤng=
5
1E Ochſengelung =
3
2
= Suͤlzen
10
Bratwuͤrſt
Leber =u. Blutwuͤrſtſs
Eine geſ. oder ger. Ochſenzung:28
Ein Kalbskopf 8. 10 a 112
Ein Hammelskopf
5
1
Ein Kalbsfus =

Ein Malter Korn

Ein Malter Gerſten
Ein Malter Waizen
Ein Malter Spelzen=
Ein Malter Hafer =
Ein Malter Rockenmehl=
Ein Malter Weismehl =

fl.
3
2
4
2
1
3
6

2
2

und Marktpreis.
Pf. Ein Kumpf Hafermehl = =

Kpf geſchaͤlter Hirſen
Kpf grob geſch. Gerſte 3240
KpfkleingeſchaͤlterGerſten 64
Kumpf Erbſen
Kumpf Linſen
Maas Merz=oder Lagerbier
im Hauſe=
uͤber
die Straſe=3

ke.
28
32
48
80
24
24

3
24

Fuͤrſtl. Heſſiſche

1 Maas Jungbier im Haus= 13
und uͤber die Straſe=3
1 Maas Bierhefe
1 Maas Kuh=oder Geiſemilch 14
Pfund friſche Butter = 12 13
1 Pfund Handkaͤs der beſten 6
Die ubrige Handkaͤſe 4-5Stuͤck,4
Eyer 5-6 Stuͤck vor
Ein aufgeſetzter Kumpf Kartoffeln,6
Brodtaxe und Gewicht.
Pf.. L.2.
Vor2kr. Brod ſoll wiege 1 102
Vor4kr. dito
2 21
Vorskr. dito
4
kr. Vor1kr. Kuͤmelbrod oder
30
Gemiſchtesbrod
11
45lVor2 kr. dito
22
401Vor1 kr. Waſſerweck =
10
Vor1 kr. Milchweck

401 Vor1kr. Milchbrod
40 ſEin 5=pfuͤndiger Laib, ſogenanntes
36 Comiß=Brod ſoll gelten 7 Kr.
Volizeydeputation dahierz

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Bekanntmachung von allerhand Sachen,
ſo dem gemeinen Weſen noͤthig und nuͤglich ſind.
aaeed
Co.
I. Herrſchaftl. Policeypublicanda.
Darmſtadt. Nachdeme ſchon ſeit geraumer Zeit mißfaͤllig wahrzunehmen geweſen,
daß in vielen der hieſigen Strauß=Brandenwein= und Bierhaͤuſern halbe=und oft ganze
Naͤchte hindurch zum Verdruß, Unruh und ubelem Beyſpiel der wohlgeſitteten Einwoh=

ner dergeſtalt uͤbermaßig getrunken, gelermet und geſpielet worden, daß nicht ſelten die
Paſſanten auf der Straße behindert und von betrunkenen Leuten inſultiret worden; die=
ſem
aͤuſſerſt aͤrgerlichen und unleidentlichen Betragen aber laͤngerhin nicht nachgeſehen
werden ſoll: Als wird nach denen hierunter retro erlaſſenen Verfuͤgungen hierdurch be=
kohlen
und verordnet, daß kein Strauß=Brandenwein= und Bierwirth keinem threr
Gaͤſte, die etwa habende Fremde ausgenommen, Wein, Brandenwein, oder Bier des
Abends nach 10. Uhr verabreichen, ſondern ſolche beym Glockenſchlag 10. nach Hauſe ge=
hen
heißen ſollen, widrigenfalls ſich die Wirthe und Gaͤſte zu gewaͤrtigen haben, daß ſie
von denen zur deßfalſigen Viſitation inſtrutrt und abgeſchickt werdenden Patrouillen ſo=
gleich
arretret werden wuͤrden. Sign. Darmſtadt, den 18. Januar. 1782.
Fuͤrſtl. Beſſ. Policepdeputation. daſelbſt.
Nachdeme ſeit geraumer Zeit von denen hieſigen Stadtlaternen faſt alle Nacht etliche
muthwillia= frech= und boßhafter Weiſe rutniret und entzwey geſchlagen, ja ſogar viele
Lichter aus denſelben entwendet worden; dieſem unerwarteten, hoͤchſt ſtrafbaren, zum

offenbaren Schaden der Laternencaſſe und des Publici gereichenden Unweſen aber kuͤnftig=
bin
durchaus nicht mehr nachgeſehen werden kann; als wird vor dieſem Unfug jederman
gewarnet, und zugleich hierdurch oͤffentlich bekannt gemacht, daß der= oder diejenige,
welche eine Stadtlaterne irgend beſchaͤdigen, oder aus ſolcher ein Licht entwenden wer=
den
, zum Schrecken und Exempel anderer mit empfindlicher Gefaͤngniß=Zuchthaus=oder
andern Leibesſtrafen ohnfehlbar belegt werden ſollen. Wie man dann auf jene Frech=
und Boßhafte fleiſig invigiltren= und ſolche im Betrettungsfall auf der Stelle gefaͤnglich
einziehen laſſen wird. Signatum Darmſtadt den 18ten Jenner 1782
Fuͤrſtl. Beſſ. Policepdeputation daſelbſt.
Nachdeme bishero mehrmalen angezeigt worden, daß viele Leute ihre Dungſtaͤt=
fen
verbottswidrig allzufruͤh und oft allſchon um ſieben, adr und neun Uhr des A=
bends
ausfegen, und nicht nur die Dunge, ſondern auch den im Hauſe geſammleten
Unrath vor ihre Haͤuſer auf die offene Straſſen, ohne vorhero an das Haus zur Beleuch=
tung
ein Licht geſtellt zu haben, ausbreiten, und vor der Zeit Pfuhl auslaufen laſſen;
dieſem eingeriſſenen Unweſen aber um ſo weniger kuͤnftighin nachgeſehen werden kann=
als
hierdurch bey ſo fruͤher Abendszeit der unausſtehlichſte und der Geſundhett hoͤchſt
ſchaͤdliche Geruch verantaßt, die Paſſanten auf offener Straſſe behindert, und nicht ſel=
ten
zum eigenen Abſcheu und Alteration verunreiniget werden: als wird hierdurch zu
endlicher Beſeitlgung dieſes Scandals ernſtgemeſſenſt verordnet, daß kuͤnftighin des
Nachts vor zwoͤlf Uhr keine Dunge, Kummer, Unrath aus irgend einem Hauſe getra=
gen
, noch Pfuhl ausgelaſſen, ſondern ſolches erſt des Nachts nach zwoͤlf Uhr derge=
ſtalt
vorgenommen werden ſoll, daß jedesmalen eine Laterne mit einem bremnenden Licht
an denjenigen Ort oder Haus geſtellet werde, wohin dergleichen Unrath geleget wird.
und dieſer des Morgends darauf bey früher Tageszeit ſogleich vor die Thoren der Stadt=
gefahren
werde. Wornach ſich alſo um ſo mehr zu achten, als auf die Uebertretter die=
ſer
Verordnung nach der hierunter bereits getroffenen Verfuͤgung fleiſig invigiliret= und
ein jeder mit etner ohnnachlaͤßigen Strafe von fuͤnf Gulden ohnfehlbar belegt werden
ſolle. Sign. Darmſtadt den 11. Jan. 1782. Fuͤrſtl. Zeſſ. Politerdeputation daſelbſt.
II. Sachen, ſo zu verkaufen.
Darmſtadt. Nachdeme auf Hochfürſtl. Regierungsverordnung zu nochmahniger
Subhaſtatton des von Maldißiſchen Hauſes und Hofratthe zu Großhaußen, Amts Jaͤgers=
burg
=

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burg, beſtehend in einem zweyſtöckigen Wohnhaus, einer geraͤumlichen wohl eingerichte=
ten
Scheuer, Keller, Stallung, Holzſchoppen; ſodann einem an der Weſchnltz liegenden
fruchtbaren Garten und Gartenhaus, ſo mit der Hofraithe verbunden ſind, und die mit
dem Hausplatz 125. Ruthen 4. Schuh enthalten, terminus auf Mittwoch den 20ten dieſes
in loco Großhauſen anberaumet worden; ſo wird ſolches dem kaufluſtigen Publico mit
dem Anhang hierdurch bekannt gemacht, daß ſothanes Haus und Hofraithe dem Meiſt=
bietenden
alsdann, ohne Vorbehalt einer hoͤhern Rattfication zugeſchlagen werden ſolle.
Darmſtadt, den 6. Febr 1782. Ex Cammiſſione Hofmann, Fuͤrſtl. Reg. Secretar.
Nachdeme von Hochfuͤrſtl. Hochloͤbl. Regterung gnaͤdigſt verordnet worden, daß der
von Lahrbuſiſche Garten nochmalen oͤffentlich aufgeſtecket, und dem Meiſtbietenden uͤber=
laſſen
werden ſolle, und dann hierzu Montags den 18ten hujus terminus Nachmittags
2. Uhr im Gaſthaus zum rothen Ochſen anberaumet worden; ſo wird ſolches denen Kauf=
luſttragenden
hiermit bekannt gemacht, damit ſich dieſelbe in præfizo termino einfinden,
die Conditlones vernehmen, und nach Gefallen mitbieten koͤnnen. Sign. Darmſtadt,
Von Commiſſions wegen.
J. F. Miltenberg.
den 7. Febr. 1782.
Nachdeme des allhieſigen Burgers und Schuhmachermeiſters Matthaͤus Kohlen in der
Schloßgaß gelegene Wohnhaus, befurcht Wagner Wuͤrtenberger und Schuhmacher Tray=
ſer
, dringender Schulden halber, naͤchſtkuͤnftigen Baͤttag auf allhieſigem Rathhaus aber=
mals
öffentlich aufgeſteckt und dem Meiſtbietenden uͤberlaſſen werden ſoll; als wird ſol=
ches
zu dem Ende hiermit nochmals bekannt gemacht, damit die Luſttragenden ſich als=
dann
einfinden und mitbieten moͤgen. Darmſtadt, den 8. Febr. 1782.
Fuͤrſtl. Heſſiſches Gberamt daſelbſt.
Das in der alten Vorſtadt gelegene Zickwolfiſche freye Haus, mit einem Seitenbau,
Schener, Stallungen und Garten, ſo dermalen die verwittwete Frau Pfarrer Rooſen
bewohnet, und welches bey der Landesbrandaſſecurationscaſſe mit 3330 fl. verſichert iſt,
ſoll den 27ten dieſes Monats, mittelſt freywilligen Verſteigerung, im Gaſthaus zum
Ochſen verkauft werden; daher die Liebhaber ſelbigen Tags, Nachmittags um 2. Uhr,
ſich in bemeldtem Gaſthaus einzufinden belieben wollen.
Des verſtorbenen Burger und Zinngieſer Vierlings Wittitb iſt willens, ihr in der Lan=
gengaß
gelegenes Wohnhaus aus freyer Hand zu verkaufen, und koͤnnen bie Liebhaber ſich
bey ihr ſelbſten melden.
III. Vermiſchte Nachrichten.
In des Bierbrauer Oßmanns Behauſung in der Viehhofsgaſſe iſt ein Logis, welches in
einer Stube, Stubenkammer, noch einer andern Kammer, verſchloſſenen Kuͤche und Holz=
platz
beſtehet, zu vermiethen, und kann ſogleich bezogen werden.
In der Schloßgaſſe iſt ein gewoͤlbter Keller zu verlehnen, und kann ſich deßfalls in der
Buchdruckerey im Lottohaus gemeldet werden.
Am vergangenen Mittwoch iſt im Birngarten ein ſilberner Sporn gefunden worden.
Der Eigenthuͤmer hat ſich in allhieſiger Buchdruckerey zu melden.
Bey der mit bekannter guter Ordnung und den veſtgeſetzten Solennttaͤten vollzogenen
108ten Ziehung der Hochf. Heſſen=Darmſtaͤdtiſchen gnaͤdigſt garantirten Zahlen=Lotterie,
60.
7. 40. 32.
12
ſind dieſe Nummern:
aus dem Gluͤcksrade gezogen worden. Die r75te Ziehung in Caſſel geſchiehet den 20. Febr.
Die 39te Ziehung in Marburg den 27. Febr. Die 109te Ziehung in Darmſtadt den 6. Maͤrz,
und ſo fort von 3 zu 3 Wochen. Darmſtadt, den 13. Febr. 1782.
General=Direction der Hochfuͤrſtl. Heſſen=Darmſtäͤdtiſchen
gnaͤdigſt garantirten Jahlen=Lotterie.
Angekommene fremde Herrn Paſſagiers.
Vom 9 bis den 16. Febr. 1782.
Herr von Malditz, Capitain von Uſingen. Herr von Guͤnderode, Cammerherr von Baa=
den
. Herr von Duͤrlng, Lieutenant in Hannoͤveriſchen Dienſten. Herr von Sep=
penburg
, Capitatn in Kayſerl. Dienſten. Herr Stubenvol, Virtuos aus Eichſtaͤdt.
Herr Reicherk, Oberſchultheiß von Bechtheim. Herr Georgt, Stadtſchreiber von
Roßbach, log. im Trauben.

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Herr von Langwerth, Hofgerlchtsrath in Kayſerl. Dlenſten. Herr von Hedersdorf,
Lieutenant in Wuͤrzburgiſchen Dienſten, log. in der Poſt.
Frau Maͤußlein aus Wuͤrzburg, log. in dem froͤhlichen Mann.
Auſſer den Gaſthaͤuſern logiren:
Herr Purgold, Reſident von Frankfurt, log. bey dem Herrn Hauptmann de Neufolle.
Ab= und durchgereiſte Herrn Paſſagiers.
Herr Milius, Kaufmann von Stuttgart, den 11ten. Herr Klosmann, Kaufmann
von Strasburg, den 15ten. Herr Lauer, Rechnungsprobator aus Stuttgart, eod
Gebohrene, Getaufte, Copul. u. Verſtorbene in voriger Woche.
Gebohrene und Getaufte.
Den 10. Febr., dem Burger und Hofſporer, Georg Chriſtian Dieterich, ein Soͤhnlein.
Den 11. dem Burger und Ackermann, Joh. Peter Gelfius, ein Soͤhnlein.
Den 12. dem Reitknecht bey Ihro Hochfuͤrſtl. Durchlaucht dem Herrn Erbprinzen,
Johannes Seipel, ein Toͤchterlein.
Den 13. dem Burger und Metzgermeiſter, Joh. Peter Haſſold, ein Soͤhnlein.
Eod. dem Burger und Kiefermeiſter, Joh. Nicolaus Buͤrger, ein Toͤchterlein.
Ferner: dem Silberdiener bey Ihro Hochfuͤrſtl. Durchlaucht dem Prinzen Georg Wilhelm,
Hn. Joh. Henrich Herzog, ein Soͤhnlein.
Den 16. Febr., dem Fürſtl. Kriegsſecretarius,Herrn Carl Friedr. Froſch, ein Soͤhnlein.
Copulirte.
Den 14. Febr., Mſtr. Henr. Phil. Dreſſel, Burger und Metzger allh., weil. Johannes Dreſſels, geweſenen Ge=
meind
smanns und Metzgermeiſters zu Großzimmern, nachgelaſſener ehel. Sobn, und Catharina Eliabetha,
weil. Joh. Wendel Külzets, geweſenen Bürgers und Metzgermeiſters allhier; nachgelaſſene ehel. Lochter.
Geſtorbene und Beerdigte.
Des Zimmergeſellens, Lorenz Heiſers Ehefrau iſt aus der Armeneaſſe bezraben worden, 33Fahre all. Dea
13. Febr., dem Burger und Seilermeiſier, Johannes Heyn, ein Soͤhnlein,2 Jahre ,¾. M. und 8. Tage alt.
Den 16 Febr., dem Burger und Metzgermeiſter, Joh. Michael Enes, ein Toͤchterlein, 1. Jahr, 1. Monath
und 5. Tage alt. Cod. der Hoſpitulit Bißinger7 75. Jahre alt
Beſchluß, der in Nro 3. abgebrochenen Erzaͤhlung.
Sie ſtiegen bis unter das Dach hinauf, und der Knabe oͤffnete ihm endlich eine Thuͤr, durch
welche er in ein reinliches Zimmer trat. Ein Frauenzimmer in ihren beſten Jahren ſaß in et=
nerſchlechten
, aber doch ſaubern Kleidung, an einem Tiſche; auf den Arm geſtuͤtzt, verbar.
ſie ihr Geſicht mit der linken Hand, und in der rechten, die nachlaͤſſig auf dem Schoos
lag, hielt ſie ein Strickzeug. Vor ihren Füſſen ſaß ein kleines Maͤdchen auf einem
Stuͤhlchen, den Kopf an ihre Knie gelehmt, und ſchlief ganz ſanft. Sie war über Aga=
thons
Gegenwart erſchrocken, und ſtand mit einer zitternden Bewegung auf. Bleibe Sie
ſitzen, meine gute Frau, redi' er ſie an; ich will mich einen Augenblick zu ihr ſetzen und
hoͤren, ob ich ihr in etwas dienen kann. Der Knabe da, der vermuthlich ihr Sohn iſt,
hat mir geſagt, ſie habe kein Brod, und ich komme, ihr wenigſtens fuͤr heut und noch
fuͤr einige Tage Brod zu bringen. Ich bin nicht reich genug, oder bei Gott' ſie ſollte
fuͤr ſich und ihre Kinder genug haben. Das kleine Kind war erwacht, da ſeine Mut=
ter
anfſtand. Mit weinenden Augen hob es beide Haͤnde zur Mutter empor, und ſagte:
mich hungert. Auf der Tafel meines Freundes war heute noch ſo viel uͤbrig, dachte
Agathon, und indem zog der Knabe ein Milchbrod hervor, das er von dem Gelde,
das er ihm gegeben, gekauft, und gab es mit einer zufriedenen Miene ſeiner Schweſter.
und haͤtte Agathon nur noch eine einzige Thraͤne gehabt, ſo haͤtt' er ſie hier uͤber
die Gutherzigkeit des Knaben weinen muͤſſen.
Sie iſt; wie es ſcheint, fremd hier in der Stadt, ſagts er zur Mutter. Eine kurze
Erzählung threr Geſchichte wuͤrde mich vtelleicht in den Stand ſetzen, Ihr auch bei mei=
nen
Freunden einige Huͤlfe zu verſchaffen. Wenn es kein Geheimmiß iſt - Ach! mein
Herr, rief ſie mit einer wehmuͤthigen Stimme aus, wie gern wuͤnſcht' ich, daß meine
Geſchichte ein ewiges Geheimniß bleiben moͤgte; aber die Armuth preßt mir das Geſtaͤnd=
niß
meines Ungluͤcks aus. Ich bin die Tochter eines angeſehenen Koͤniglichen Be=
dienten

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dtenten in D. Ich hatte das Ungluͤck - nein, mein Herr, ich wollte nicht ſagen
Ungluͤck Ungluͤck? Gott, du weißt es! Ein koͤniglicher Offzier fand etwas
an mir, das ihm geſiel, und ich ich fand noch viel mehr an im, das mich unwi=
derſtehlich
fuͤr ihn einnahm. Mein Vater wollte, ich weiß nicht aus was fuͤr Urſachen,
in unſte Verbindung nicht einwilligen, und mein Geliebter hatte bei ſeiner vornehmen
Familie noch weit mehr Schwierigkeiten zu uͤberwinden Alle Vorſtellungen, anch ſo
gar Erniedrigungen von beiden Seiten, waren vergeblich Ich will ihnen keinen
weitlaͤuftigen Roman erzahlen, mein Herr! Die Liebe, vielleicht aber noch mehr die Un=
bedachtſamkeit
der Jugend, verleitete uns, einen Schritt zu thun, den ſchon ſo Viele
por uns gethan und bereuet haben. Wir lieſſen uns heimlich durch die Hand eines Geiſt=
lichen
verbinden. Es konnte dieſes nicht lang verſchwiegen blelben; mein Vater ver=
ſtieß
mich, und die Freunde meines Gatten machten einen ſolchen Lerm darüber, daß es
endlich zu den Ohren des Koͤnigs gelangte; und die Folge davon war ſein Abſchied=
Da er aber ſelbſt einiges Vermoͤgen zu ſeiner freyen Verwaltung hatte, ſo waren wir
vor dem Mangel geſichert; und in vier gluͤcklichen Jahren, die wir auf einem kleinen
Landgute zubrachten, war die Welt ein Paradies fuͤr mich.
Als ich mit dieſem kleinen Kinde miederkam, glaubt ich zum erſtenmal einen ver=
druͤßlichen
Zug in ſeinem ſonſt immer heitern, immer mit Sanſtmuth und Liebe gegen
mich angetullten Geſichte zu bemerken. Ich fragt' ihn um die Urſache; ſeine Antworten
waren aber kurz, und in ſolchen zweideutigen Ausdruͤcken abgefaßt, daß ich vor lauter
Angſt und Schrecken nicht weiter in ihn dringen mogte. Er ſagte mir bald hernach,
daß er auf einige Tage verreiſen werde. Kurze Abweſenheiten war ich von ihm bereits
gewohnt, weil er in der Nachbarſchaft einen vertrauten Freund hatte, den er zu Zeiten
auf einige Tage beſuchte; aber diesmal blieb er uͤber ſeine gewoͤhnliche Zeit aus. Ich
befand mich wieder ſo weit hergeſtellt, daß ich meine haͤuslichen Geſchaͤfte ſelbſt beſorgen
konnte. Voller Unruhe uͤber das lange Auſſenbleiben meines Mannes, ſandrs ich einen
Boten an ſeinen Freund, um Nachrichten von ihm zu erhalten. Der Bote kam wieder,
und brachte mir zwar einen Brief von der Hand meines Liebſten, aber auch zugleich die
Nachricht, daß er ſchon ſeit ſechs Tagen von dort abgereiſet ſey, und dieſen Brief zuruck=
gelaſſen
, Um mir ſolchen, ſobald ich mein Kindbett ganz wurde uberſtanden haben, zu
ſenden. Zitternd oͤffnete ich das ungluͤckliche Blatt. - O. mein Herrl erſparen ſie mir
den Schmerz, Ihnen den Inhalt dieſes Briefs ganz zu ſagen. Er enthielt die bitter=
ſten
aber GOtt weiß es! unverdienteſten Vorwuͤrfe, die ſich auf einen Argwohn
gruͤndeten, den nur ein boßhafter Menſch ihm eingefloͤßt haben konnte. Kurz, er hatte
mich verlaſſen, und wollte mich nie wiederſhen. Er ſtelle' es mir frey, ob ich auf dem
Gute bleiben, und von einer maͤſigen Penſion die er mir ausgeſetzt, leben, oder ob ich
mich anders wohin begeben wollte. Seinem Freunde hatt' er aufgetragen, unſern Sohn
zu ſich zu nehmen. Einige Tage lang war ich ganz unfaͤhig, einen Entſchluß zu faſſen.
Ich ſchlummerte dieſe Zeit gleichſam in einem Zuſtande hin, worin ich mich meiner kaum
bewußt war. Endlich aber brach der Kummer mit ſeiner voͤlligen Gewalt aus. Ich
muß ihn wiederſehen, ſagt' ich; ich will thn ſuchen und von meiner Unſchuld uͤberfuͤhren,
thm meine Kinder bringen, und dann, wenn er mich ſtrafbar findet, von ſeiner Hand
ſterben. In der Angſt und unter der Laſt des Jammers, der mich ganz zu Boden
druͤckte, machts ich ſehr wenig Entwürfe, in Abſicht der zu Ausfuͤhrung dieſes Vorha=
bens
noͤthigen Mittel. Das Haus war mir nun zu enge; ich befurchtete, ihn mit jeder
Minute weiter von mir entfernt zu ſehen. Ohne Ueberlegung, ohne Abſicht auf meinen
zukuͤnftigen Zuſtand, rafft? ich in der Eil zuſammen, was mir in die Haͤnde fiek, nahm
meine zwey Kinder, und ließ mich durch einen vertrauten Mann aus unſerm Orte bey
Nachtzeit in die naͤchſte Stadt bringen, wo ich Nachricht von ihm zu finden hoffte! und
da ich ſie hier uicht fand, gieng ich weiter, und ſo bin ich nach und nach innerhalb vier
Jahren einen groſen Theil von Deutſchland durchreiſet, immer von einer Stadt zur an=
dern
, in der Hoffnung ihn endlich trgendwo in einem Winkel der Welt zu entdecken.
Mein baares Geld reichte bey einer kaͤrglichen Haushaltung einige Jahre: denn ich hatte
mir von den Geſchenken, die ich ſeit unſrer Verheirathung von meinem Liebſten erhalten,
das mehrſte geſpart, und einige Tage nachher, als ich den fatalen Brief bekam, zahlte
mir ſetn Freund, die beſtimmte Penſion fuͤr ein ganzes Jahr zum voraus. Er wollte
damals auch meinen Sohn mitnehmen; auf vieles Bitten aber ließ er ihn mir noch auf
eine

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eine kurze Zeit. Als das baare Geld ein Ende nahm, mußr ich nach und nach das beßte
von meinen Sachen verkaufen, und jetzt bin ich endlich ſo weit gekommen, daß mir
nichts mehr uͤbrig iſt, als die Hoffnung, meinen Ariſt jemals wiederzuſehen, gaͤnzlich
aufzugeben, und mit meinen Kindern Hungers zu ſterben.
Ariſt! ſagte Agathon, und ſprang vom Stuhl auf. Sollte das etwa unſer
ſchwermuͤthiger Ariſt ſeyn? Ja, er iſt es gewiß!
Sie hatte weder ſeine Bewegung, noch das was er geſagt, bemerkt: denn bey ihren
letzten Worten floß ein Strom von Thraͤnen uͤber ihre Wangen. Ihre beiden Kinder
hielt ſie in ihren Armen eingeſchloſſen und weinte uͤber ſie hin.
Agathon ließ ihr einige Minuten Zeit. Das iſt ſehr traurig, ſagt' er endlich, und
wiſchte ſich ein Paar Thraͤnen ab, die er mit aller Muͤhe nicht zuruͤckhalten konnte.
Aber meine liebe Frau, ſind Sie wohl Ihrer Unſchuld gewiß? und getrauten Sie ſich
wirklich, wenn das Gluͤck Ihnen Ihren Ariſt wieder zufuͤhrte, ohne Schamröthe,
mit dem voͤlligen Bewußtſeyn Ihrer Tugend, vor ihm zu erſcheinen ? Ach, mein
Herr, rief ſie mit der heftigſten Gemuͤthsbewegung aus, ſo gewiß bin ich dies im Stande
aͤls ich dereinſt vor dem Richter der Welt mit dem Bewußtſeyn meiner Unſchuld zu er=
ſcheinen
gedenke.
Schon gut, erwiederte Agathon, indem er ſie bei der Hand nahm, wir wollen jetzt
nicht mehr davon reden. Kommen Sie mit mir, ich will Sie zu einem meiner Freunde
fuͤhren, woſelbſt Ste fuͤrs erſte aufgehoben ſeyn ſollen. Fuͤrchten Sie nichts; ich bin zu
bekannt hier in der Stadt, als daß Ste unter meinem Schutz in Gefahr ſeyn ſollten.
Sie nahm ihr kleines Kind auf den Arm, reichte ihm die andere Hand, und ſo giengen
ſie, in Begleitung des kleinen Knaben, gerades Weges nach der Wohnung des Cimon.
Es war ſchon ſpaͤt, und man hatte gezweifelt, ob Agathon zum Abendeſſen wie=
derkommen
moͤgte. Die ganze Geſellſchaft ſaß bereits zu Tiſche. Er ließ die arme Frau,
die an ſeiner Hand zitterte, mit ihren Kindern in ein Nebenzimmer gehen, waͤhrend der
Zeit er ſich zur Geſellſchaft verfuͤgte. Mein Freund, ſagt' er zu Cimon, wuͤrden Ste
wohl ungehalten werden, wenn ich unſre Geſellſchaft noch durch einige Perſonen ver=
mehrte
, deren Bekanntſchaft ihnen vielleicht nicht unangenehm ſeyn wird ? Mir iſt
E.
ein jeder Gaſt willkommen, antwortete ihm Cimon, den mir ein ſo lieber Freund, als
Sie, mitbringt. Agathon dankte ihm und oͤffnete zugleich die Thuͤr zu dem Neben=
zimmer
, aus welchem er die ungluͤckliche Mutter mit ihren Kindern herausfuͤhrte.
Ein geſchickter Maler wuͤrde dieſen Auftritt mit ſeinem Pinſel beſſer ausdrucken koͤnnen,
als die geſchickteſte Feder ihn beſchreiben kann. Verwunderung, Neugier, Erſtaunen,
das waren ungefaͤhr die Hauptausdruͤcke auf jedem Geſichte. Ariſt ſaß da wie eine
Bildſaͤule mit ſtarren Blicken auf ſeine Gattin geheftet, die in dem Augenblicke, da
Agathon ſie hereinfuͤhrte, mit ihren Kindern auf ihn zulief, und ohnmaͤchtig zu ſeinen
Fuͤſſen ſank. Eine allgemeine Stille, und eine gewiſſe unauszudruͤckende Empfindung=
welche
die ganze Geſellſchaft durchſchauerte, machte den Auftritt ſo feierlich, daß keiner
ſich erinnerte, jemals in ſeinem Leben ſo etwas geſehn oder gefuͤblt zu haben. Ariſt
war der erſte, der wieder ein Zeichen des Lebens von ſich gab. Die Natur ſiegte uͤber
die ſchon durch die Zeit geſchwaͤchte Eiferſucht. Mit beiden Armen umfing er ſeine Gat=
tin
und ſeine Kinder, weinte lang an ihren Buſen, und nachdem er ſich endlich erman=
net
, ſtand er auf lief auf den Agathon zu, und druckte ihn an ſeinen Hals. O.
mein Freund, rief er aus, Sie geben mir entweder heute mein Leben wieder, oder Sie
laſſen mich noch eines weit ſchrecklichern Todes ſterben. Seyn Sie ruhig, Ariſt,
ſprach Agathon; entweder iſt dieſe Frau das ſtrafbarſte Geſchoͤpf, das jemals der
Erdboden getragen, oder ſie iſt unſchuldig, und ihrer ganzen Liebe werth. Ich behaupte
das letzte; das moͤgen Sie aber mit ihr unter vier Augen ausmachen.
Jetzo erhob ſich auf einmal ein lautes Gemurmel in der ganzen Geſellſchaft. Ein je=
der
nahm die Parthie von Ariſts unglücklichen Gattin, und ſie ſetzten ſich endlich Alle
zu Tiſche. Von der ganzen Geſchichte erfuhren ſie nur ſo viel, daß Ariſt durch ſeinen
Freund zu dieſem Schritt verleitet worden, und aus dem Wenigen, was geſprochen
wurde, ſchloß man, daß eben dieſer Freund einen Anſchlag auf die verlaſſene Frau ge=
habt
. Die Geſellſchaft brachte den uͤbrigen Theil des Abends, und ſogar noch einen
Theil der Nacht ſehr vergnuͤgt zu; und noch war Agathon in ſeinem Leben nicht ſo
luſt g aus einer Geſellſchaft nach Hauſe gegangen, als diesmal von dem Schmauſe des
Etmon.