Controversia et Confessio, Bd. 5


Etliche Schriften der Württembergischen Theologen (1564) – Einleitung

1. Historische Einleitung

Da die Weimarer Disputation 1560Vgl. ; . die theologischen Differenzen unter den ernestinischen Theologen nicht beendete und auch die Entlassung von und weiterer Theologen sowie Theologieprofessoren 1561 die Situation im nicht befriedete,Vgl. ; ; . unternahm , daraufhin einen weiteren Versuch zur Konsensbildung. Er sandte Dokumente, in denen und ihre Lehre darlegten, zur Begutachtung an verschiedene Reichsfürsten und den Straßburger Stadtrat.Vgl. . schlug daraufhin vor, dass zwei oder drei Theologen mit und persönliche Gespräche führen sollten. Diese Anregung griff auf und bat den Württemberger Herzog sowie die Herzöge und um die Entsendung von Delegierten. Im Mai 1562 verhandelten aber allein die Württemberger Theologen und mit , da der Rostocker Theologieprofessor aus gesundheitlichen Gründen nicht ins reisen konnte.Vgl. ; ; vgl. zudem oben die . Das Ergebnis dieser Verhandlungen stellte die Declaratio VictoriniEdiert bei . Vgl. . dar, die von den Württemberger Theologen als rechtgläubig anerkannt wurde.

meinte mit der Declaratio Victorini das Dokument zu besitzen, auf dessen Basis ein Konsens unter den Theologen seines Herzogtums hergestellt werden konnte. Er ordnete eine Kirchenvisitation an, in deren Rahmen alle Theologen seines Landes auf die Declaratio durch persönliche Unterschrift verpflichtet werden sollten. Dagegen erhoben zahlreiche Theologen Protest und verweigerten die Unterzeichnung, andere widerriefen nach kurzer Zeit ihre Zustimmung zu dem Dokument. reagierte mit Entlassungen und Zwangsmaßnahmen, da er den Widerstand als Angriff auf seine landesherrliche Autorität verstand.Vgl. ; .

Es war nicht zuletzt dieser breite Protest gegen die Declaratio, der dazu veranlasste, im Herbst 1562 ins zu wechseln und eine Professur in anzunehmen.Vgl. , 590–594, bes. 593; . Dort arbeitete er an einem Psalmenkommentar, der 1563 erschien und in dem er seine Position1 zur Willensfreiheit erläuterte.Vgl. . Ein Exemplar seines Kommentars sandte er im Mai 1563 an .Vgl. im . Der Herzog beauftragte daraufhin seine Theologen, eine Stellungnahme zu Position zu verfassen, auf die wiederum reagierte. Diesen Diskussionsprozess zwischen den Württemberger Theologen und machte die hier edierte Schrift öffentlich.

2. Der Herausgeber

Aufgrund des Aufbaus der Schrift – beginnend mit einer Vorrede und gefolgt vom Abdruck verschiedener Schriftstücke, ohne dazu eigene textkritische Anmerkungen mittels Einschüben oder Marginalien vorzunehmen – ist eher von einem Herausgeber als von einem Autor zu sprechen.

Der anonyme Herausgeber bringt in der hier vorliegenden Schrift Teile von Gutachten und Briefen der Württemberger Theologen und ihres Herzogs einerseits sowie andererseits zum Abdruck. In der Vorrede legt der Herausgeber seine Intention offen. Durch die Publikation der verschiedenen Stellungnahmen möchte er der Leserschaft Position zum freien Willen als Irrlehre und ihn selbst als nicht vertrauenswürdigen Verhandlungspartner der Württemberger präsentieren.

Über die Person des Herausgebers können nur Vermutungen angestellt werden.Gehrt scheint als den Herausgeber anzusehen, da er die hier edierte Schrift in einem Atemzug mit der von verfassten () nennt, ohne dafür jedoch nähere Gründe anzuführen. Vgl. . Diese Überlegung ist a priori durchaus nachvollziehbar, da im Zuge der unterschiedlichen nachinterimistischen Streitigkeiten verschiedentlich Dokumente Dritter publizierte. Es könnte sich allerdings auch um eine andere Person gehandelt haben. Denn anders als die wird bei der hier edierten Schrift nicht nur der Name des Verfassers/Herausgebers, sondern zusätzlich auch der Druckort verschwiegen. Dies deutet darauf hin, dass hier jeglicher Hinweis auf die Entstehung der Schrift peinlich vermieden werden sollte. Dies wäre plausibel, wenn der Herausgeber im Umfeld des ernestinischen Herzogs verorten würde, und zwar als ein Betroffener, der mit den religionspolitischen Entscheidungen unzufrieden war, da er eventuell im Zuge der Verhandlungen zur Declaratio Victorini und der Visitation im Herzogtum 1562 entlassen wurde, und mittels der vorliegenden Publikation nun die Politik des Herzogs zu torpedieren versuchte. Zu denken wäre hier z.B. an , der im selben Jahr der hier edierten Schrift federführend an einer Veröffentlichung mitwirkte, in der das Vorgehen im Herzogtum scharf kritisiert wurde. Diese Schrift erschien ebenfalls anonym und ohne Angabe des Druckorts, vgl. . In jedem Fall war er ein Akteur, der die Streitigkeiten intensiv verfolgte, höchstwahrscheinlich selbst involviert und gut vernetzt war. Ansonsten wäre es ihm kaum möglich gewesen, Kenntnis von den bis dahin nicht veröffentlichten Gutachten und Briefen zu erlangen.

3. Inhalt

In diesem Druck werden eine Reihe von Gutachten und Briefen publiziert, die als direkte Reaktion auf die Veröffentlichung von Psalmenkommentar verfasst wurden. Es handelt sich dabei um (1.) ein Schreiben an , (2.) ein Gutachten der Württemberger Theologen zu zwei Stellen aus Psalmenkommentar, (3.) Antwort auf Schreiben, (4.) seine Entgegnung auf das württembergische Gutachten und (5.) ein von zu seiner Verteidigung nach gesandtes Schreiben an , schließlich (6.) um einen Teilabdruck einer Disputation, die 1563 in über den freien Willen unter Vorsitz von abgehalten wurde.

Zunächst stellt der Herausgeber in einer Vorrede jedoch seine Beweggründe für die Veröffentlichung der genannten Texte dar. Der Leser soll die Württemberger Position kennenlernen, die diese im Streit über den freien Willen eingenommen haben. wird als eine nicht vertrauenswürdige Person charakterisiert, mit der daher keine Diskussionen über Lehrfragen geführt werden könne. Denn alle Einigungsbemühungen mit Theologen, die ihre Meinung änderten und drehten, seien zum scheitern verurteilt.

Der Herausgeber verleiht sodann seiner Ansicht Ausdruck, dass seine synergistische Irrlehre niemals widerrufen werde. Dieser zitiere in großem Umfang aus den Werken , um seine falsche Lehre zu stützen, obwohl er wissen müsste, dass er aus derselben Quelle widerlegt werden könne. habe sich zwar bereit erklärt, sich der Kritik seiner Kollegen zu stellen, beweise im Falle der Württemberger Theologen jedoch auf schändliche Weise das Gegenteil.

Als erste Quelle wird daraufhin der Brief an vom 14. Juli 1563 veröffentlicht. In diesem Schreiben dankt der Herzog für das Exemplar des Psalmenkommentars und deutet an, dass ihn Wechsel von nach befremdet. Der Herzog erkennt darin nämlich die Möglichkeit zu neuen Spaltungen. Er habe seinen Theologen den Auftrag erteilt, die Auslegung des 95. und 119. Psalms zu prüfen, da auf diese beiden Stellen besonders hingewiesen habe, weil er dort seine Lehre vom freien Willen erneut dargelege. Eine Kopie des Gutachtens seiner Theologen liege dem herzoglichen Schreiben bei. Vor dem Hintergrund dieses Gutachtens vermutet der Herzog, dass die erzielte Einigung nicht länger einhalten wolle, was er sich jedoch sehr wünschen würde.

Auf diesen Brief folgt der Abdruck des Württemberger Gutachtens vom 10. Juli 1563. Die Württemberger Theologen prüften den Psalmenkommentar dahingehend, ob die Auslegung der Psalmen 95 und 119 mit der von im Mai 1562 verfassten und von Württemberger Seite approbierten Declaratio Victorini übereinstimme. beginne mit der zutreffenden Aussage, dass die menschliche Seele und der menschliche Wille sich in der Bekehrung passiv verhielten, bevor sie durch den Heiligen Geist verwandelt würden. Er scheine mit diesen Worten dem nicht wiedergeborenen Willen alle Kräfte abzusprechen, mit denen er sich auf de Gnade vorbereiten oder sich an sie annähern könne. In Anschluss an ein Augustinzitat stelle er fest, dass sogar das Glauben-Wollen durch Gott im Menschen bewirkt werde und die Barmherzigkeit in allen Dingen dem menschlichen Wollen zuvorkomme. Doch gebrauche im weiteren Verlauf seiner Darlegungen zweideutige Vokabeln. Dies sei sehr zu bedauern, da in einem Streit die höchstmögliche Präzision erforderlich sei. So schreibe in seiner Auslegung des Psalms 95, dass der menschliche Wille in der Bekehrung weder untätig noch widerspenstig sei. Der Wille und das Herz widerstrebten nicht der göttlichen Handlung, sondern würden des göttlichen Trosts bedürfen, mit dem ihm durch den Heiligen Geist geholfen werde. Es sei nach festzuhalten, dass der Glaube zwar ein Geschenk Gottes sei, das aber nur den Hörenden und Zustimmenden geschenkt werde. Diese Aussage widerspreche allerdings der vorigen, in der dem nicht wiedergeborenen Willen alle Kräfte zur Bekehrung abgesprochen habe. Denn er unterscheide so zwischen Glauben und Zustimmung und hebe damit die Identifizierung der beiden Größen in seiner Declaratio wieder auf. Auch in seiner Auslegung des Psalms 119 widerspreche seiner Erklärung von 1562, indem er die These vertrete, dass die Gottesebenbildlichkeit des Menschen durch den Sündenfall nicht vollständig zerstört worden, sondern insofern erhalten geblieben sei, als der Mensch mit Vernunft begabt wäre. Die Konstitution des menschlichen Wesens durch Seele und Körper werde von keinem Theologen in Frage gezogen. Strittig sei jedoch die Frage, ob die Seele oder der Wille das Gute noch wollen oder den Verheißungen zustimmen könne. Auf diese Frage gebe die Schrift eine Antwort, indem sie bei dem nicht wiedergeborenen Menschen von einem, bei dem wiedergeborenen Menschen hingegen von zwei Willen spreche. Der nicht Wiedergeborene sei völlig zum Bösen verkehrt. Er könne nicht zustimmen und gehorsam sein und sei ein Feind des göttlichen Wortes. In dem Wiedergeborenen seien zwei miteinander im Streit liegende Willen zu finden, der alte und der neue (Röm 7, Gal 5). gebe nun in seiner zweideutigen Auslegung nicht an, von welchem Willen des Wiedergeborenen er rede.

Es folgt dann der Abdruck der Antwort vom 1. September 1563 auf das Württemberger Gutachten. Hierin betont zu Beginn, dass er niemals Lust am Streit gehabt habe. Er halte die Eintracht unter den Theologen für ein hohes Gut. Mit seinem Wechsel von nach habe er dem Frieden dienen wollen. Darum bedauere er die Unzufriedenheit des Herzogs mit seinen Ausführungen. Als Beilage zu diesem Brief übersende er einen Brief des an ihn, in dem seine Auslegung als dem Wort Gottes gemäß bezeichnet werde.

In seiner Replik auf das Württemberger Gutachten zeigt er sich zunächst enttäuscht. Er habe kein so hartes Gutachten aus erwartet, da doch zwischen den Württemberger Theologen und ihm die Einigkeit festgestellt worden sei. Die bleibende Gottebenbildlichkeit werde durch zahlreiche Stellen bestätigt. Auch die Zustimmung des menschlichen Willens zum Wort Gottes stützt durch Augustinzitate ab. Der Mensch verfüge über keinen Willen, mit dem er sich zum Empfang der Gnade vorbereiten oder sein Heil verdienen könne, aber sehr wohl über einen Willen, der in der Lage sei, die Wohltaten Gottes anzunehmen.

In dem Schreiben an vom 12. Juni 1563 dankt der Herzog zunächst für die Übersendung des Psalmenkommentars. Es handele sich bei dem Kommentar um eine verdienstvolle Arbeit. Der Herzog ist erfreut über die der Erbauung dienende Auslegung und lässt ihm 100 Taler zukommen. Auch die Lehre vom freien Willen in der Auslegung der Psalmen 95 und 119 sei dem Wort Gottes gemäß.

An diesen Brief schließt sich der Abdruck verschiedener Thesen einer Disputation in an, die unter Vorsitz von Schwager, , gehalten wurde. In den Thesen wird die Position noch einmal deutlich und unmissverständlich abgelehnt.

4. Ausgaben

Nachgewiesen werden können zwei Ausgaben:
A: Etliche Schrifften || vnd handlungen der Wirtenbergischen || Theologen vnnd Victorini Strigelij / Anno || 1563. geschehen / daraus zusehen / Was || sie von seiner Pelagianischen Syner= || gia halten / sehr nuͤtzlich zu erfor= || schung der warheit / || zu lesen. || [s.l. 1564] [15] Bl. 4° (VD 16 E 4079)

Vorhanden in:
Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dm 2234 [benutztes Exemplar]

Erfurt, Universitätsbibliothek, Depositum Erfurt (ehemals Stadt- und Regionalbibliothek): 13 - Ef. 8 00051b (13)

Gotha, Forschungsbibliothek: Th 713/160R
Lutherstadt Wittenberg, Evangelisches Predigerseminar: LC464/8
Regensburg, Staatliche Bibliothek: 999/4Theol.syst.781
Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek: Aut.III(166)
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 156.22 Theol.(18); 418.7 Theol.(11); 422.1 Theol.(6); K 62.4 Helmst.(3)

B:Quaedam scri­ || pta theologorum VVir­ || tenbergicorum et Victorini Strigelij, || unde liquet, quid illi de ipsius || Papistica Synergia sentiant. || Rom. 7. || Reperio igitur per legem uolenti mihi facere bo­ || num, quod mihi malum adiunctum sit. Delectat e­ || nim me lex Dei secundum interum hominem: sed || uideo aliam legem in membris meis rebellantem le­ || gi mentis meae, et captiuum reddentem me legi pec­ || cati, quae est in membris meis. Miser ego homo, || quis me liberabit ex hoc corpore mortis? Gratias || ago Deo per Iesum Christum dominum nostrum. || Itaque idem ego MENTE quidem seruio legi || Dei, CARNE uero legi peccati. || En habes liberum arbitrium carnalis naturae ac || rationis in renato: Quam bonam quaeso putas es­ || se eius Synerigam in non renatis? || [s.l., 1564] (VD 16 Q 16)

Vorhanden in:
Augsburg, Staats­ und Stadtbibliothek: Th H 1929 [benutzes Exemplar]
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 1179.4 Theol.(7).

Die lateinische Ausgabe B unterscheidet sich insofern deutlich von der deutschen Ausgabe A, als die Titelblattgestaltungen erheblich abweichen und die in A vorhandene Vorrede in B vollständig fehlt. Auch unterscheidet sich der Sprachstand beider Schriften. Während A eher an der sächsischen Kanzleisprache orientiert ist, so lässt sich bei B ein eher süddeutscher Kontext vermuten. Überdies enthält Ausgabe A einen Brief , der in B nicht abgedruckt wird. Dies könnte dafür sprechen, dass B nach A erschienen ist. Denn in B fehlte somit der Text eines Dritten, der Partei zugunsten ergriff. Für die Annahme, dass A vor B erschien, sprechen auch Korrekturen und Verbesserungen innerhalb der Texte.

Ausgabe B gibt wie Ausgabe A exakt die Texte des Württemberger Herzogs und seiner Theologen sowie in deutscher bzw. lateinischer Sprache wider. Auf einen Parallelabdruck beider Ausgaben in dieser Edition konnte daher verzichtet werden. Zum Abdruck in unserer Edition gelangt Ausgabe A, da diese durch die dort vorhandene Vorrede sowie durch den Brief umfänglicher ist als Ausgabe B. Vorhandene sprachliche Abweichungen und Korrekturen zwischen den beiden Ausgaben werden im textkritischen Appart angezeigt.