Seit dem Jahr 1556 schien eine Konfrontation zwischen und in der Frage des freien Willens möglich zu werden. Jedenfalls vermutete , dass einen Angriff auf ihn plane, da er Position in der Schrift De servo arbitrio angeblich nicht zustimme. Der Wittenberger Professor erfuhr durch sein weitgespanntes Korrespondenznetz außerdem, dass seine Definition des freien Willens in den Loci communes ablehnte.Vgl. dazu ; ; . Am 9. November 1556 kritisierte dann in einem Schreiben an tatsächlich dessen Nachgiebigkeit während der Verhandlungen von 1548 nach dem Augsburger Interim und Ausführungen über den freien Willen in den Loci communes. Er verglich Ansicht mit der des .Vgl. . Der Wittenberger attackierte Gallus seinerseits in seinem Antwortschreiben vom 1. Dezember 1556, indem er Gallus die Frage stellte, ob er denn eine stoica necessitas verteidigen wolle. Gallus antwortete darauf am 12. Januar 1557 mit einer umfänglichen Darlegung seiner Position.Vgl. dazu Kolb, Critique, 92; Kolb, Bound Choice, 108f. Obwohl die Ausgleichsverhandlungen in Coswig im Februar 1557Vgl. dazu Preger, Flacius II, 1–62; Olson, Flacius, 309–317. zwischen Flacius und Melanchthon scheiterten und die Differenzen fortbestanden, wurde dieser Streit zunächst nicht weitergeführt.
Im Jahr 1558 brachte die Disputation Johann Pfeffingers über den freien Willen das Thema wieder auf die theologische Agenda.Vgl. dazu unsere Ausgabe Nr. 1–6. In dieser veränderten Situation hielt es Gallus offenbar für sinnvoll und notwendig, Luthers Schrift De servo arbitrio in der Übersetzung durch Justus Jonas mit einem von ihm verfassten Vorwort neu zu veröffentlichen, um so die Autorität Luthers für sich und seine Gesinnungsgenossen gegen die Vertreter eines Vermögens des menschlichen Willens in geistlichen Angelegenheiten zu beanspruchen. Überdies eröffnete sich ihm so die Möglichkeit Melanchthons Position zu attackieren, ohne ihn direkt mit Namen nennen zu müssen.
Doch Gallus berief sich keineswegs nur auf Luther allein. Die hier edierte Schrift stellt eine durch Gallus erarbeitete Kollektion von aus seiner Sicht autoritativen Aussagen verschiedener evangelischer Theologen gegen die Möglichkeit der Mitwirkung des Menschen an seiner Bekehrung dar. Die Autorität der angeführten Theologen versuchte Gallus für sich zu nutzen, um1 sich und seine Lehre in eine Traditionslinie mit ihnen zu stellen und so seine seine eigene Rechtgläubigkeit zu erweisen.
2. Der Autor
Nikolaus GallusZu ihm vgl. Voit, Nikolaus Gallus, 17–61; Gerhard Simon, Art. Gallus, Nikolaus, in: TRE 12 (1984), 21–23; Heinz Scheible, Art. Gallus, Nikolaus, in: RGG4 3 (2000), 462. gehörte seit 1548 zu den entschiedensten Gegnern der Wittenberger Theologen, da er sie für zu konziliant gegenüber dem kaiserlichen Religionsgesetz des Augsburger Interims hielt. Von Magdeburg aus, wohin er an die Ulrichskirche berufen worden war, führte er seit 1549 seinen publizistischen Kampf gegen jegliche Form der Kompromissbereitschaft in der theologischen Lehre, da sie für ihn lediglich zu Verfälschungen von Luthers reformatorischem Erbe führte. So attackierte er die Wittenberger Theologen allgemein wegen deren Lehre von den Adiaphora und Georg Major speziell für seine These von der Notwendigkeit guter Werke. Gegenüber Melanchthon beharrte Gallus auf der Feststellung eines unfreien menschlichen Willens, um so jegliche Möglichkeit des Menschen zur Mitwirkung im Rechtfertigungsgeschehen auszuschließen. Im Jahr 1553 kehrte Gallus in die Reichsstadt Regensburg zurück, die er wegen seines Widerstands gegen das Augsburger Interim hatte verlassen müssen. Nachdem die Korrespondenz zwischen Gallus und Melanchthon 1556/57 nicht zu einem Einlenken de Wittenberger Professors geführt hatte und stattdessen Pfeffingers Ansichten in dieser Angelegenheit seit 1558 heftig diskutiert wurden, veröffentlichte Gallus seit 1559 mehrere Schriften, in denen er seine Position unmissverständlich darlegte.Vgl. Kolb, Critique, bes. 93, mit Anm. 24–26.
3. Inhalt
Dieser Druck stellt eine Sammlung von Zitaten aus verschiedenen Bekenntnissen zur Thematik des freien Willens dar, durch die der Regensburger Superintendent Nikolaus Gallus seine theologische Übereinstimmung mit den meisten evangelischen Kirchen unterstreichen möchte. Er lässt zu diesem Zweck die Teile des maßgeblich von Johannes Aepin erstellten Bekenntnisses der Hansestädte aus dem Jahr 1548, der Confessio Wirtembergica von 1552 sowie von deren Apologie aus dem Jahr 1558, außerdem Teile des Weimarer Konfutationsbuchs von 1559 sowie der Schwabacher Artikel Luthers von 1529/30 erneut abdrucken, die von der Willensfreiheit des Menschen handeln. Die Zitate werden im Text durch Herausgebervermerke in eckigen Klammern kenntlich gemacht.
Zunächst zitiert Gallus aber das Augsburger Interim, um den Beweis zu führen, dass der Streit um den freien Willen seine Wurzel in den Ausführungen des kaiserlichen Religionsgesetzes habe, zumal darin dem menschlichen Willen eine gewisse Beteiligung an der Rechtfertigung zugesprochen werde, da der Mensch ja nicht ein unempflindlicher und unbeweglicher Block sei.
Gegen diese Definition führt Gallus als erstes das maßgeblich von Johannes Aepin erstellte Bekenntnis der Hansestädte aus dem Jahr 1548 an,Vgl. unsere Edition Bd. 1, Nr. 11, S. 287–479. nach dem im nicht wiedergeborenen Menschen der Wille als unfrei und widerstrebend in der Rechtfertigung zu beurteilen sei. In dem Bekenntnis wird ausgeführt, dass die Erbsünde den Menschen seiner iustitita originalis beraubt habe; in ihm sei nichts Gutes oder Gottgefälliges mehr zu finden. Alle Gerechtigkeit, Gottgefälligkeit und Liebe im wiedergeborenen Menschen sei der Gnade Gottes zuzuschreiben, keinesfalls hingegen dem menschlichen Willen. Der durch die Sünde geknechtete Wille sei auch nicht in der Lage zu einer Vorbereitung auf die göttliche Gnade. Die Interimisten aber lehrten, dass die Annahme der Gnade mit im menschlichen Willen begründet sei. Damit aber sprächen sie dem Sünder die Möglichkeit zu, sich zu entscheiden, ob er die göttliche Gnade annehmen wolle oder nicht. Der freie Wille des Menschen müsse demnach der göttlichen Gnade nachhelfen, damit der Mensch gerechtfertigt werden könne. Dagegen sei mit Joh 6,44 daran festzuhalten, dass nur, wenn der Vater die bösen und blinden Sünder durch seinen Geist bewege, ihre unwiderstrebenden Willen gut und mit Gottes Willen eins würden. Die ganze menschliche Weisheit sei als Rebellion und Aufstand gegen Gott zu beurteilen. Wenn Gott nicht den ersten Schritt in der Rechtfertigung tue, so sei der Mensch verloren. Dennoch verhalte sich der Mensch keineswegs wie ein Block im Rechtfertigungsgeschehen, denn Gott verwandle seinen Willen aus einem unwilligen in einen willigen.
Danach folgt der Abdruck der Confessio Wirtembergica aus dem Jahre 1552 sowie von deren Apologie aus dem Jahr 1558.CONFES= || SIO PIAE DOCTRI= || NAE, QVAE NOMINE ILLV= || strissimi principis ac domini D. CHRI= || STOPHORI Ducis VVirtembergen= || sis & Teccensis, ac Comitis Montisbe= || ligardi, per legatos eius die XXIIII. || mensis Ianuarij, Anno M. D. LII. con= || gregationi Tridentini Conci= || lij proposita est. || [Tübingen: Ulrich Morhart d.Ä., 1552] (VD 16 W 4470); APOLOGIAE || Confessionis Illustriss.|| Principis ac Domini, d.|| Christophori Du=||cis Vuirtenber=||gensis &c.|| PERICOPE PRIMA.|| AVTORE IOANNE || BRENTIO.|| [Frankfurt/Main: Peter Braubach, 1558] (VD 16 B 7487). Darin wird die Meinung vertreten, dass der freie Wille des Menschen gestorben, tot und widerstrebend und nicht dazu in der Lage sei, etwas Gottgefälliges zu tun. Die Rechtfertigung des Menschen sei einzig und allein in Gottes Erwählung zu verorten. Gottes Erwählungs und Verdammungsratschluss sei unveränderlich. Der menschliche Wille sei daher für die Rechtfertigung irrelevant, da er ein Gefangener des Satans sei. Doch bleibe in ihm die Anlage, sich ändern zu lassen, die ihn von einem Block unterscheide.
Sodann lässt Gallus eine Passage aus dem Weimarer Konfutationsbuch von 1559 abdrucken,Vgl. unsere Ausgabe Nr. 9, S. 421,30–431,22. das betont hatte, dass das Herz des Sünders – einem Stein gleich – sich nicht aus sich selbst heraus ändern könne. Nur Gott sei dazu in der Lage, die steinernen Herzen in fleischerne zu verwandeln (Jer 31). Nach seiner Wiedergeburt werde der Mensch aber zum Mitarbeiter Gottes, in dem der Heilige Geist wirke.
Als letzter Referenztext werden die Schwabacher Artikel Luthers aus dem Jahr 1529/30 angeführt,Vgl. WA 30III, 178–182. in dem dieser mit Blick auf die Bedeutung der Erbsünde jede Möglichkeit des Menschen aus eigenen Kräften (z.B. mit guten Werken, oder durch die Kraft des eigenen Willens) zur Rechtfertigung beizutragen kategorisch ausschließt.
Abschließend beruft sich Gallus gegen die Adiaphoristen auf seine Lehrübereinstimmung mit der Position Luthers, die ihren Ausdruck vor allem in dessen Schrift De servo arbitrio gefunden habe.
4. Ausgaben
Nachgewiesen werden kann eine Ausgabe:
A: Erklerung vnd Con= || sens vieler Christlicher Kirchen / der || Augspurgischen Confession / auff die || newe verfelschung der Lehre vom Freyen wil= || len / Wie die aus dem JNTERJM || von etlichen noch gefuͤrt || vnd verteidigt || wird. || Gedruckt zu Regenspurg / durch || Heinrichen Geißler. || Anno / M. D. Lix. Jar. || [15] Blatt 4° (VD 16 G 271).
Vorhanden in:
Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: 1 an: Be 2670, 15 in: Dg 2 R, 19 in: Dm 3 R, Dm 1768 Erfurt, Universitätsbibliothek, Depositum Erfurt (ehemals Stadt- und Regionalbibliothek): 05 - Pe. 8 00350 (10) Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: If 3603(12) Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek: If 3603(12) LutherstadtWittenberg, Lutherhalle: Ag 4 246h München, Bayerische Staatsbibliothek: 4 Polem. 1088 [benutztes Exemplar] Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 172.2 Quod.(13), 189.18 Theol.(3), 231.106 Theol.(2), 235.27 Theol.(8), 342.2 Theol.(11), 500.10 Theol.(5), 513.24 Theol.(30), C 229.4 Helmst.(5), J 173.4 Helmst.(7), Ts 408(12)