Controversia et Confessio, Bd. 5


Gallus, Dass der freie Wille nichts sei, Vorrede (1559) – Einleitung

1. Historische Einleitung

In seinen Loci communes aus dem Jahr 1521 hatte der göttlichen Vorherbestimmung eine eindeutige Vorrangstellung gegenüber dem menschlichen Willen zuerkannt.Vgl. : Quandoquidem omnia quae eveniunt, necessario iuxta divinam praedestinationem eveniunt, nulla est voluntatis nostrae libertas. Doch seit der secunda aetas der Loci communes aus dem Jahr 1535 verwies auf drei zusammenwirkende Ursachen bei der Bekehrung des Menschen, die drei causae concurrentes: 1. den Heiligen Geist, der durch 2. das Wort Gottes wirke, und 3. den Willen des Menschen, der zustimmend und nicht abweisend auf das ihn ansprechende Wort reagiere.Vgl. .

Den Anlass für diese Veränderung der Lehre stellte die altgläubige Kritik dar, die den Evangelischen einen Determinismus einerseits und – als Reaktion auf die unveränderliche Prädestination – einen Libertinismus andererseits vorwarf. Er wollte somit dem Eindruck entgegenwirken, die Evangelischen würden letztlich Gott auch für das Übel in der Welt verantwortlich machen sowie durch ihre Lehre von der Rechtfertigung sola gratia jegliche Verantwortlichkeit des Menschen für sein Tun und Lassen abweisen.Vgl. ; . Bereits in der Mitte der dreißiger Jahre hatte diese Veränderung in Lehre über den menschlichen Willen Kritik, insbesondere von , doch keinen öffentlichen Streit, hervorgerufen.Vgl. .

Das kaiserliche Religionsgesetz des Augsburger Interims aus dem Jahr 1548 formulierte dann, dass der Mensch die göttliche Barmherzigkeit lautter umbsunst, das ist, one seine [des Menschen] verdienst erlange, doch handlet der barmhertzig Gott nit mit eim mentschen wie mit einem todten plock, sondern zeucht ine mit seinem willen, wann er zu seinenn jaren khombt.. Im Zuge der Verhandlungen zwischen den Räten und Theologen in , wie man mit den Bestimmungen des Augsburger Interims vor dem Hintergrund der militärischen Überlegenheit nach dem Schmalkaldischen Krieg umgehen solle, ohne zugleich die evanglische Lehre aufzugeben, erstellten die kursächsischen Verhandlungspartner Ende 1548 mit der Leipziger Landtagsvorlage (Leipziger Interim) einen aus ihrer Sicht einigermaßen tragfähigen Kompromiss. In diesen floß auch ein maßgeblich von erstelltes Gutachten zur Rechtfertigung ein. Hier wurde der zitierte Gedanke aus dem Augsburger Interim zur Bedeutung des menschlichen Willens im Rechtfertigungsgeschehen fast wörtlich übernommen. Vgl. ; vgl. .1

Dagegen erhob bereits 1550 Einspruch, zum einen in der von ihm und besorgten Edition der Leipziger Landtagsvorlage,Vgl. . zum anderen im Magdeburger Bekenntnis, das wohl von federführend erstellt wurde.Vgl. . In der Folge sollte sich die öffentliche Auseinandersetzung jedoch weniger auf diese Frage, sondern vielmehr auf die Lehre von den Adiaphora sowie die These von der Notwendigkeit guter Werke konzentrieren.

Doch spätestens seit 1556 vermutete , dass wohl einen Angriff auf ihn plane. Denn sei der Ansicht, dass er Ausführungen in seiner Schrift De servo arbitrio nicht zustimme. Außerdem wurde zugetragen, dass seine Definition des freien Willens in den Loci communes ablehne.Vgl. dazu ; ; . Am 9. November 1556 richtete ein Schreiben an , in dem er dessen Nachgiebigkeit im Zuge der Verhandlungen von 1548 nach dem Augsburger Interim kritisierte und seine Lehre vom freien Willen in den Loci communes tatsächlich attackierte, indem er die Ansicht des Wittenbergers mit denen des verglich.Vgl. , Sp.895–902. konfrontierte daraufhin in einem Brief vom 1. Dezember 1556 mit der Frage, ob er denn etwas eine stoica necessitas (Determinismus) verteidigen würde. antwortete darauf seinerseits am 12. Januar 1557 mit einer umfänglichen Darlegung seiner Position.Vgl. dazu ; . Obwohl die Ausgleichsverhandlungen in im Februar 1557Vgl. dazu ; . zwischen und scheiterten, kam es zunächst zu keiner weiteren Konfrontation zwischen dem Flacius­Anhänger und .

Als aber im Jahre 1558 die Kontroverse um die Aussagen über den freien Willen ausbrach,Vgl. dazu . scheint es für notwendig erachtet zu haben, die Schrift De servo arbitrio mit seinem hier edierten Vorwort 1559 erneut zu veröffentlichen. Damit versuchte er die Autorität für die eigene Lehre und gegen diejenige ins Feld zu führen sowie zugleich indirekt denjenigen zu adressieren, den er seit Jahren für den eigentlichen Wortführer in dieser Angelegenheit hielt: . den er als seinen Praeceptor offensichtlich nicht namentlich attackieren wollte.

2. Der Autor

Zu ihm vgl. ; , 21–23; , 462. wurde im Jahr 1516 als Sohn des fürstlich-anhaltischen Rats und Bürgermeisters und dessen Ehefrau in Köthen geboren. Im Juni 1530 immatrikulierte er sich an der Universität Wittenberg und wurde dort 1537 zum Magister artium promoviert. Seine theologischen Studien an der Universität Wittenberg beendete er am 24. Januar 1540 mit einer Disputation über die Erbsünde.

Nach etwa dreijähriger Tätigkeit als Rektor der Stadtschule in wurde am 11. April 1543 von in ordiniert, um im Mai 1543 seinen Dienst als Diakon in anzutreten. Zusammen mit , der zur selben Zeit die Stelle des Superintendenten in übernahm, baute er dort das evangelische Kirchenwesen mit auf. Da der Rat der Reichsstadt unter dem militärischen Druck des Kaisers 1548 das Augsburger Interim bedingungslos annahm, verließ am 1. Juli 1548 gemeinsam mit den anderen evangelischen Predigern aus Protest . Nach einer kurzen Phase unsteter Wanderschaft, die ihn unter anderem nach , , , und geführt hatte, siedelte er nach über. Dort vertrat er zunächst den erkrankten Schlossprediger und führte nach dessen Tod den Predigtauftrag zunächst weiter, außerdem hielt er Vorlesungen an der Universität.

Im Oktober 1549 wurde als Pfarrer an die Ulrichskirche der mittlerweile geächteten Stadt berufen, schlug jedoch das damit verbundene Amt eines Superintendenten aus. Aufgrund seiner zunehmenden Enttäuschung über die aus seiner Sicht allzu große Kompromissbereitschaft und der übrigen Wittenberger Theologen, übersiedelte mit seiner Familie am 11. November 1549 ganz nach . Von hier aus führte er zusammen mit , und einen publizistischen Kampf gegen das kaiserliche Religionsgesetz und die Kompromisslinie der Wittenberger.

Nach dem Passauer Vertrag 1552 konnte im darauffolgenden Jahr als Superintendent nach zurückkehren. Auch von aus nahm er weiterhin an den theologischen Kontroversen seiner Zeit teil. So schrieb er gegen die Rechtfertigungslehre Vgl. . und unterstützte im Kampf gegen in der Frage der Geltung des äußeren Schriftsinns. In der Erbsündenlehre stimmte er allerdings nicht mit überein. Besonders intensiv engagierte sich jedoch in den Auseinandersetzungen mit den Wittenberger Theologen, sowohl in der Frage der AdiaphoraVgl. ; ; ; . als auch im Streit um die Notwendigkeit guter WerkeVgl. . und die Rolle des freien Willens.Vgl. ; ; . Nachdem er sich dazu entschlossen hatte, gegen die von vertretene Postion einer Möglichkeit des menschlichen Willens bei der Bekehrung öffentlich Widerspruch zu erheben, sollte das hier edierte Vorwort zur Neuauflage der Jonas­Übersetzung von De servo arbitrio. keineswegs die einzige Publikation von in dieser Kontroverse bleiben. Fast zeitgleich veröffentlichte er im Jahr 1559 und auch noch im darauffolgenden Jahr weitere Schriften gegen die Lehre vom freien Willen.Vgl. .

blieb bis zu seinem Tod als Superintendent in . Er verstab in am 17. Juni 1570.

3. Inhalt

beginnt seine Argumentation mit einer Gegenüberstellung der Heiligen Schrift sowie der Kraft Gottes einerseits und der menschlichen Vernunft sowie der Philosophie andererseits. Die Lehre vom freien Willen werde nicht aus der Heiligen Schrift abgeleitet, sondern aus menschlicher Vernunft und der Philosophie. verweist auf , der gelehrt habe, dass der Mensch sich aufgrund seines freien Willens zur Seligkeit bereiten und diese annehmen oder ablehnen könne. Diese Lehre habe in seine Loci übernommen, und auch im Augsburger Interim werde diese Ansicht verbreitet.

wendet sich gegen diese Position, indem er das völlige Unvermögen des Menschen im Rechtfertigungsgeschehen betont und eine unversöhnliche Dichotomie zwischen den Positionen des sowie einerseits und seiner Ansicht andererseits, welche die wahre Lehre darstelle, konstatiert. Da die falsche Lehre gegen die Confessio Augustana und gegen stehe und dennoch unbemerkt unter den Evangelischen grassiere, müsse dagegen Stellung bezogen werden. Darum habe er, , es für nötig befunden, die Übersetzung von Werk De servo arbitrio ins Deutsche erneut herauszugeben.

verwirft sodann die Möglichkeit, dass von seiner Lehre in De servo arbitrio später abgefallen sein könnte. Und selbst wenn dies der Fall gewesen sei, so werde man die Lehre vom unfreien Willen dennoch nicht aufgeben, da sie mit der Heiligen Schrift zu beweisen sei. Ja, man würde sich dann selbst gegen richten, sollte dieser jetzt auferstehen und etwas anderes lehren. betont jedoch, dass und andere – vermutlich meint er damit sich selbst sowie diejenigen, die gegen das Augburger Interim öffentlich Position bezogen hatten – stets die wahre Lehre verkündigt hätten, während andere – eine wenig verhohlene Anspielung auf und die kursächsischen Theologen – wankelmütig ihre Positionen verändert hätten.

Daraufhin verwehrt sich in vier Punkten vehement gegen den Vorwurf, die Verfechter der Lehre des unfreien Willens würden eine stoica necessitatas vertreten, da sie mit ihrer Lehre zwangsläufig Gott auch für das Böse in der Welt verantwortlich machen würden: Erstens bezöge sich die Lehre vom unfreien Willen allein auf das Verhältnis des Menschen zu Gott und auf das Rechtfertigungsgeschehen. Es gehe nicht um die Möglichkeiten des Menschen in anderen Lebensbereichen. Zweitens habe bereits diesen Vorwurf in seiner Schrift gegen umfänglich entkräftet. Drittens werde zwar von Gott alles vorhergesehen, auch das Böse, doch sei Gott nicht Urheber und Täter des Bösen. Vielmehr wirke er im Menschen die Bekehrung, bevor dieser es selbst bemerke. Dies wiederum heiße nicht, dass der Mensch sich nach der Bekehrung in einer falschen Sicherheit wiegen dürfe, ohne sich um das Wort Gottes, die Sakramente, Gebete usw. zu bekümmern. Viertens verweist in der Frage, warum Gott in seiner Vorhersehung nicht alle Menschen gleich behandele, auf den unergründlichen Ratschluss Gottes. Um seine Ansicht zu untermauern, führt die verschiedenen Textstellen aus De servo arbitrio an, um den Vorwurf der stoica necessitatas mit eigenen Worten zu widerlegen.

Anschließend wirft den Verfechtern des freien Willens vor, die Lehre von der Erbsünde, der Buße und Vorhersehung sowie das reformatorische sola gratia aufzugeben bzw. zu verfälschen. Außerdem werde den Christen die Hoffnung auf Gottes Hilfe in Anfechtungen genommen. Weiterhin sie er die Gefahr, dass in dem Bestreben, einen ein kleinen StoicismumVgl. . zu vermeiden, die Häresie eines neuen Pelagianismus eingeführt werde.

Gegen Ende seiner Ausführungen bietet an, wenn nötig seine Position noch weiter darzulegen. Die Leser sollten sich mit der Hauptsache, dass der freie Wille vor Gott nichts Gutes wirken könne, sodann mit der Frage der Prädestination und dem Vorwurf der stoica necessitate beschäftigen und erkennen, dass Gottes Wort weit schwieriger zu verstehen sei und doch mehr gelte als alle menschliche Vernunft und Philosophie.

Zum Schluss verweist er mit Blick auf die gegenwärtige Situation auf die Ankündigung Christi und der Apostel, dass falsche Lehrer kommen würden und dass Gott im Alten und Neuen Testament sowie der Kirchengeschichte immer wieder Personen gesandt habe, um die wahre Lehre zu verteidigen. Dieses Wissen solle den Lesern zum Trost in diesen Zeiten gereichen.

4. Ausgabe

Nachgewiesen werden kann eine Ausgabe:
A:

Das der freÿe || Wille nichts seÿ. || Antwort / D. Martini || Lutheri / an Erasmum Roteroda= || mum / Verdeudscht durch D. Justum || Jonam / Zuuor niemals al= || lein im Druck aus= || gangen. || Mit einer nutzlichen notwendi= || gen Vorrede. || Gedruckt zu Regenspurg / durch || Heinrichen Geißler. || Anno / M. D. Lix. || [212] Blatt 4° (VD 16 L 6675).

Berlin, Halle, Jena, Lutherstadt Wittenberg, München,
Bibliothek der St. Nikolai Kirche Spandau: 4/0427
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: Ib 3483
Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek: 4 Theol.XXXIV,7(3)
Lutherstadt Wittenberg, Lutherhalle: SS 1494
München, Bayerische Staatsbibliothek: 4 Exeg. 504#Beibd.2 [benutztes Exemplar], 4 Polem. 1941
Rostock, Wolfenbüttel, Zwickau,
Universitätsbibliothek: Fg 1264-1
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 251.34 Theol.(1)
Zwickau, Ratsschulbibliothek: 9.6.18.(3), 9.6.25.(3)