Die Widerlegung der 1555 zum ersten Mal im Druck erschienenen Disputationsthesen zum freien Willen durch entstammt der Zeit, in der dieser den größten Einfluss am ernestinischen Hofe genoss und die theologische Ausrichtung am unmittelbarsten bestimmen durfte.Vgl. . Nach dem Antritt der Theologieprofessur an der Jenaer Universität und dem Scheitern der innerprotestantischen Ausgleichsbemühungen auf dem Wormser Religionsgespräch Anfang Oktober 1557 deckte sich jedenfalls der von eingeschlagene Kurs der Abgrenzung von den philippistisch Gesinnten mit dem Kurs der Konfessionspolitik : Nach einer Phase der Zurückhaltung zwischen 1555 bis 1557 beförderte der Herzog nunmehr die Polemiken seiner Theologen, die ihrerseits seine Konfessionspolitik auf Reichsebene wie auch im Kontext seiner politischen Rivalitäten unterstützten. In diesem Zusammenhang galt es zum einen, die Standfestigkeit der ernestinischen Theologie zu betonen, die sie bei der Bewahrung des wahren Erbes an den Tag gelegt hätten. Zum anderen suchte man die angebliche Abweichung von diesem Erbe hervorzuheben, die, so die Lesart der Gnesiolutheraner, vor allem zu verantworten habe und in der die albertinischen Theologen ihrem Meister gefolgt seien. spielte hierbei insofern eine herausragende Rolle, als er sich in den Jahren 1558 und 1559 mit eigenen Schriften in praktisch alle bedeutenden Kontroversen einbrachte.Vgl. .
Da die von in den Disputationsthesen vorgetragene, sich an Theologie orientierende Lehre vom freien Willen in der Tat Differenzen zu derjenigen aufwies, beteiligte sich auch an der von dem Hofprediger veranstalteten Ausgabe der Refutatio von mit einem eigenen Beitrag gleichen Titels.Vgl. . Damit knüpfte er zugleich an die von inaugurierte Linie an, die darauf abzielte, die philippistische Position in diesem Punkt als Irrlehre zu brandmarken und auszuscheiden. Dank seines theologischen Einflusses bei Hofe konnte bedeutende Erfolge erzielen, die freilich nicht von langer Dauer waren. So übernahm er nach Tod im November 1558 die Überarbeitung des Weimarer Konfutationsbuchs und formulierte scharf den theologischen Gegensatz zu den Wittenberger und Leipziger Theologen: Ihre Lehre vom freien Willen wurde als synergistisch und sie selber namentlich verworfen.Vgl. ; ; . Eine einheitliche Positionierung ernestischer Theologen in sei1nem Sinne vermochte allerdings nicht zu erreichen. Mit seiner profiliertscharfen Vorgehensweise forderte er vielmehr den Widerstand an der eigenen Fakultät heraus, der ihm in Form des Widerspruchs durch den Kollegen bald entgegenschlagen sollte.Vgl. . Die Refutatio des nimmt die künftigen Auseinandersetzungen mit insofern thematisch vorweg, als sich in der Schrift auch die für typische Auffassung der Erbsünde als Substanz des postlapsarischen Menschen ankündigt. 2. Der Autor
Vgl. zum Folgenden: ; Oliver K. Olson, Art. Flacius, Matthias, in: RGG4 3 (2000), 151f; Luka Ilić, Matthias Flacius Illyricus, in: Dingel/Leppin (Hg.), Das Reformatorenlexikon, 116–122. wurde im März 1520 in der venezianischen Stadt Albona geboren und besuchte zunächst die humanistisch ausgerichtete Schule an San Marco in Venedig. Nach Studienaufenthalten in Basel und Tübingen kam er im Jahr 1541 nach Wittenberg, wo er in engen Kontakt zu Luther und Melanchthon trat. 1544 berief man ihn auf die Professur für Hebräisch an der Leucorea, bevor er 1546 den Grad eines Magisters erlangte. Als die Universität Wittenberg in Folge des verlorenen Schmalkaldischen Kriegs 1547 vorübergehend geschlossen werden musste, hielt Flacius Vorlesungen am Paedagogium in Braunschweig. 1548 versuchte er vergeblich, die Wittenberger Fakultät gegen das Augsburger Interim und den Leipziger Landtagsentwurf zu positionieren. Enttäuscht vor allem von dem Verhalten Melanchthons, verließ Flacius die Leucorea und ging nach Magdeburg. Von dort aus leistete er zusammen mit Nikolaus von Amsdorf, Nikolaus Gallus und Erasmus Alber kompromisslosen Widerstand gegen das Interim.
In den Jahren 1551/52 beteiligte sich Flacius am Majoristischen, 1552/53 am Osiandrischen Streit und bekämpfte ab 1553 den Spiritualismus des Schlesiers Caspar Schwenckfeld von Ossig. Alle Versuche, eine Einigung zwischen Flacius und Melanchthon im Vorfeld des Wormser Religionsgespräches 1557 zu erreichen, erwiesen sich als erfolglos. Die ernestinische Delegation um Flacius verließ aufgrund von Differenzen mit den Wittenbergern im Oktober 1557 das Religionsgespräch vorzeitig. Noch 1557 als Professor für Neues Testament nach Jena berufen, erreichte Flacius den Widerspruch seines neuen Landesherrn, Herzog Johann Friedrichs des Mittleren, gegen den Frankfurter Rezess von 1558, dem er mit dem Weimarer Konfutationsbuch 1559 einen Gegenentwurf zur Seite stellte. 1558 trat Flacius in den synergistischen Streit mit Johann Pfeffinger ein, der sich bald aufgrund seiner Auseinandersetzung mit Victorinus Strigel auch auf die Jenaer Fakultät erstreckte. Herzog Johann Friedrich reagierte auf den Streit an seiner Fakultät mit der Gefangensetzung Strigels und des Jenaer Superintendenten Hügel von März bis September bzw. November 1559.
Nach deren Freilassung konnte Flacius die Veranstaltung einer Disputation mit Strigel erreichen, die vom 2.–8. August 1560 in Weimar stattfand. Obwohl der Herzog befand, dass Flacius in dieser Frage richtig lehrte, beließ er auch Strigel in seinem Amt. Mit dem im Juli 1561 in Weimar eingerichteten Konsistorium überwarf sich Flacius über die Frage der Zensur und wurde im Dezember 1561 seiner Professur enthoben. Seit dem Februar 1562 hielt er sich in Regensburg auf, wo sein Freund Gallus inzwischen als Superintendent amtierte. Seine Bemühungen, eine lutherische Gelehrtenakademie in Regensburg zu gründen, scheiterten. Von Oktober 1566 bis Februar 1567 wirkte Flacius als Berater der lutherischen Gemeinde in Antwerpen. Durch den aufkommenden Krieg zum Verlassen Antwerpens gezwungen, floh er nach Straßburg, wo er die Unterstützung Johann Marbachs fand. Ein förmliches Gericht, dem Flacius schriftliche Erklärungen einreichen musste, verurteilte ihn freilich am 28. März 1573 öffentlich der manichäischen Ketzerei und verwies ihn der Stadt. Seine letzte Zuflucht fand Flacius im Weißfrauenkloster in Frankfurt am Main, wo ihn die Priorin Katharina von Meerfeld gegen den Willen des Stadtrats aufnahm. Hier erkrankte er schwer und starb am 11. März 1575. 3. Inhalt
Flacius beginnt seine Widerlegung der Disputationsthesen Pfeffingers mit der Betonung der Notwendigkeit des Kampfes gegen die von Satan gestreuten Irrlehren. Einen Ursprung für die Irrlehren erblickt er in der Verwendung der Philosophie in theologischen Belangen, die diese im Fall der rechten Beurteilung des Willensvermögens des Menschen verunstalten würde. Dabei grenzt sich Flacius insbesondere von der Habituslehre der Nikomachischen Ethik des Aristoteles, aber auch von der stoisch geprägten Tradition Ciceros ab. Die Verwendung der Philosophie in der Theologie sei zwar bereits von Kirchenvätern wie Justinus Martyr und Origenes praktiziert worden, doch habe dies nur zur Verdunkelung der rechten biblischen Lehre geführt. So habe denn auch Pelagius jene Entwicklung vollendet, indem er von der Unversehrtheit der menschlichen Kräfte nach dem Sündenfall ausgegangen sei und dadurch die Einwirkung des Heiligen Geistes gänzlich geleugnet habe. Erst mit dem antipelagianischen Widerspruch des Augustinus sei die wahre Lehre von dem menschlichen Willen wieder zum Vorschein gekommen, und an Augustinus habe auch Martin Luther sowie der junge Philipp Melanchthon in der ersten Fassung seiner Loci (1521) angeknüpft. In den späteren Jahren sei Melanchthon allerdings mit seiner Auffassung, dass sich der menschliche Wille an die Gnade Gottes wenden könne, von der rechten Lehre abgewichen – eine Entwicklung, die von dem Augsburger und dem Leipziger Interim beschleunigt und von Pfeffinger in seinen Disputationsthesen vollendet worden sei.
Vor diesem geschichtlich skizzierten Hintergrund benennt Flacius anschließend den blasphemischen Hauptirrtum der Philippisten: Sie würden die Vorstellung, dass der postlapsarische Mensch von sich aus Gott gehorchen und die Versöhnung mit ihm erreichen könne, nicht verneinen. Damit würden sie aber dem Menschen gewisse Reste natürlicher Kräfte zubilligen, kraft derer der Mensch auch in geistlichen Belangen etwas ausrichten könne, wie etwa Gottes Wort verstehen und der dargelegten Lehre zustimmen. Besonders hart ins Gericht geht Flacius mit dem von Pfeffinger behaupteten Zusammenwirken von drei Ursachen für die Bekehrung des Menschen – Heiliger Geist, Wort Gottes, menschlicher Wille –, worin er eine Synergie des nicht wiedergeborenen Menschen beim Erlangen der Wirkung des Heiligen Geistes erblickt. Dies sei nichts anderes als ein Abfall von der Lehre Luthers und die Wiedereinführung des Pelagianismus, denen man nur mittels der biblischen Lehre beikommen könne.
In positiver Hinsicht beginnt Flacius die Beweisführung für seine Position mit der Aufgliederung der rationalwillentlichen Tätigkeit des Menschen in vier Bestandteile: die Erkenntnis der Lehre, die Überlegung hinsichtlich ihrer Umsetzung in die Praxis, das Wollen und das Vollbringen. Mit Berufung auf I Kor 2,14, II Kor 3,5 und Phil 2,13 verneint er die Möglichkeit, dass der natürliche Mensch alle vier Aktionen selbst vollbringen könne. Auf dieser Basis lehnt er auch die Mitwirkung des menschlichen Willens bei der Bekehrung ab. Der postlapsarische Mensch, dessen Wesen böse sei und der in seinen Taten das Abbild des Teufels darstelle, verfüge nur über einen vom Teufel geknechteten und des Guten absolut unfähigen Willen. Selbst der Wiedergeborene unterliege oft den Versuchungen. Bei der Bekehrung verhalte sich also der Mensch rein passiv, was denn auch die genuine Lehre Luthers in seiner Schrift De servo arbitrio sei.Vgl. Luther, WA 18, 600–787. Die Lehre der Philippisten vom freien Willen und deren Behauptung, dass der Mensch kein Stein oder Klotz sei, schmeichele nur dem Verstand des Menschen. Sie verstoße gegen solche Biblelstellen, die, wie etwa Ez 11,19, 36,26, Jes 48,4, vom steinernen Herzen oder von der ehernen Stirn des Menschen sprechen. Durch die Ursünde sei der Mensch eben nicht nur eines Teils der ursprünglichen Gaben und der Gottesebenbildlichkeit verlustig gegangen, sondern er habe an deren Stelle sogar eine diabolische Deformität angenommen, so dass er zum Abbild Satans geworden sei. Flacius stützt seine Beweisführung abschließend mit zahlreichen Zitaten aus den antipelanischen Werken des AugustinusVgl. unten S. 131f, Anm. 72–78. und Verweisen auf die Genesisvorlesung sowie den Galaterbriefkommentar Luthers.Vgl. unten S. 142, Anm. 128f. Die Philippisten, die von ihm durchgehend als Adiaphoristen und bisweilen als Interimisten bezeichnet werden, rückt er in die Nähe der päpstlichen Theologen. Die Schrift endet mit einem Appendix, in dem Flacius sich zu den Vorwürfen äußert, er habe die für die Magdeburger Zenturien vorgesehenen Mittel veruntreut. 4. Ausgaben
Der Text kann in zwei Druckausgaben nachgewiesen werden:
A:M. FL. ILLYRICI RE= || FVTATIO PROPOSITIO= || num Pfeffingeri de Libero arbitrio., enthalten in:M. IOANNIS STOLSII || CONCIONATORIS AVLICI || Ducum Saxoniae Refutatio propositionum Pfeffin= || geri de Libero arbitrio, cum Praefatione || M. Ioannis Aurifabri. || MATTH: FLA: ILLYRICI DE || eadem controuersia. || Ezech. 36. || Ego Dominus dabo uobis COR NOVVM, || & Spiritum NOVVM ponam in praecordia uestra: || auferam cor LAPIDEVM de carne uestra; & da || bo uobis cor CARNEVM. Inferam Spiritum || MEVM in interiora uestra & efficiam ut ambuletis in || statutis meis, & iudicia mea custodiatis atque faciatis: || EGO uos saluabo ab omnibus immundicijs uestris. Sic & || Ieremias inquit Cap. 31. et Thren. 5. CONVERTE || nos Domine et CONVERTEMVR ad te. || Hinc apparet, an ACTIVE aut PAS= || SIVE nos habeamus. || Anno M. D. LVIII. [44] Bl. 4° (VD 16 S 9267), D4v–L4v.
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: H 139 B (10). 4° Helmst.; S 211.4° Helmst. (22); 184.27 Theol. (9); S 224.4º Helmst. (4)
B:M. FL. ILLYRICI REFVTATIO PRO= POSITIONVM PFEFFINGERI || DE LIBERO ARBITRIO, enthalten in: DISPVTATIO DE || ORIGINALI PECCATO ET LI || BERO ARBITRIO, INTER MATTHIAM || Flacium Illyricum, & Victorinum Strigelium, publicè || Vinariæ per integram hebdomadam, præsentibus Illus || striss. Saxonię Principibus, Anno 1560. initio men || sis Augusti, contra Papistarum & Synergista || rum corruptelas habita: || Cum Præfatione, in qua & Disputationis huius utilitas, || & editionis causæ exponuntur. Cui || succedunt || Rationes, cur necessaria sit cognitio doctrinæ & Di || sputationis de Libero arbitrio: & Discri || mina ueræ ac falsæ senten || tiæ. || ACCESERVNT eiusdem argumenti & alia quædam Diuersorum scripta, eiusdem Disputationis occa || sione, ac illustrandæ ueritatis gratia composita: quo || rum alia quidem antea quoq; edita fuere, alia uerò nūc || primùm in lucem prodeunt: Omnia triplo, quàm an || tea edebantur, nunc auctiora, lectuq; dignißima, || & nostro præsertim seculo ad formandum || rectius de præsentibus controuer || siis iudicium utilißima || cognitu. || Anno Domini M. D. LXIII. || Mense Martio. [14] Bl., 606 [= 608] S. 4° (VD16 F 1354), 367–397.
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: A: 54 Theol. (1); H: S 67b.4° Helmst. (1)
Abgesehen von dem unterschiedlichen Satz und dem fehlenden Appendix am Ende des Textes in der Ausgabe B, ist der Textbestand in beiden Ausgaben identisch. Dieser Edition liegt die Ausgabe A zugrunde.