Die im Jahr 1555 unter dem Titel De libertate humanae voluntatis quaestiones quinque erschienenen Disputationsthesen müssen noch vor dem Jahresablauf den ernestischen Hofprediger erreicht haben. Er nahm sich ihrer an und erstellte die Gegenthesen noch vor dem Weimarer Konvent, der am 12. Januar 1556 tagte und an dem, außer , , , und teilnahmen.Vgl. zum Zeitpunkt der Erstellung der Gegenthesen . Vgl. zu dem Weimarer Konvent: ; ; . Auf der Seite der strikt an orientierten Theologen fiel somit in gewissem Sinne die Rolle des Vorreiters der schriftlichen Auseinandersetzung um die von vertretene Willenslehre an, die im Wesentlichen auf zurückging. Der Weimarer Konvent beschloss nämlich, die neuen Äußerungen zum freien Willen in ihrer philippistischen Form zu verdammen, und statt dessen den Satz einzuschärfen, dass das Ergreifen der Gnadenverheißungen der Vernunft und den menschlichen Kräften unmöglich sei.Vgl. . Damit folgte der Konvent der von eingeschlagenen Linie, die auf die Problematisierung der von entwickelten und von übernommenen Lehre hinauslief, dass bei der Bekehrung des Menschen drei Ursachen zusammenwirkten: der Heilige Geist, das Wort Gottes und der Wille des Menschen.Vgl. .
In politischer Hinsicht suchte jedenfalls in seinen Gegenthesen die von bezogene Positionierung als eine natürliche Folge des Augsburger und des sog. Leipziger Interim zu diffamieren. Er schloss seine Thesen mit der Feststellung, dass Festhalten an dem Mitwirken des freien Willens direkt auf die Aussagen der beiden Interims zurückzuführen sei und eine Art neuen Pelagianismus einführe (These 140). Veranlasst war diese Unterstellung wohl durch die Aussage , dass sich der menschliche Wille nicht wie ein Stein, eine Statue oder ein Felsbrocken verhalte.Vgl. . In den Augen der Gnesiolutheraner sah die Aussage einem Passus in dem von ihnen bekämpften Augsburger bzw. in dem sog. Leipziger Interim ähnlich, laut dem Gott mit dem Menschen nicht wie mit einem Klotz verfahre.Vgl. , und . Seine Thesen im Druck ausgehen zu lassen vermochte der Autor allerdings nicht mehr. In der Zeit der innerprotestantischen Ausgleichsbemühungen zwischen1 dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 und dem Wormser Religionsgespräch (1557) verhinderte zunächst die Polemiken im ernestinischen Herzogtum, und im Sommer 1556 verschied der Autor.Vgl. .
Die Drucklegung der Gegenthesen erfolgte erst gut zwei Jahre später, als mit ein Gesinnungsgenosse von und sein Nachfolger im Amt des ernestischen Hofpredigers sich des Werks annahm. Angesichts der 1558 erschienenen dritten Auflage der Disputationsthesen , setzte den Thesen von ein ausführliches, auf den 1. Oktober 1558 datiertes Vorwort voran, in dem er über die Zielsetzung sowie die Vorgeschichte des Werks berichtete und in dem er auch einen Ausschnitt aus den Akten des Weimarer Konvents vom 12. Januar 1556 zitierte. Der Ausgabe fügte außerdem eine ausführliche Refutatio von bei. In dieser Zusammensetzung erschien der Druck wohl noch im Herbst 1558 bei dem Jenaer Drucker , ohne freilich dessen Namen auf dem Titelblatt zu nennen. 2. Der Autor und der Herausgeber
2.1 Johann Stoltz
Vgl. zum Folgenden: ; Heinz Scheible, Art. Stoltz, Johann, in: RGG4 7 (2004), 1747. wurde um das Jahr 1514 in Wittenberg geboren. Hier begann er auch sein Studium und wurde 1539 zum Magister Artium promoviert. Anschließend zum Diakon in Jessen ordiniert, wirkte Stoltz als Prinzenerzieher am albertinischen Hof. 1540 setzte er sein Studium in Wittenberg fort, bis man ihn im Jahr 1544 zum Professor am Pädagogium bestellte. 1547 wich Stoltz vor dem Schmalkaldischen Krieg nach Weimar aus, wo er zum Hofprediger am ernestinischen Hof bei den Söhnen Johann Friedrichs berufen wurde. Stoltz beteiligte sich an dem Weimarer Gutachten über das Interim 1549 und war darüber hinaus einer der Theologen, welche die Stellungnahme zu dem inzwischen im Herzogtum Preußen ausgebrochenen Osiandrischen Streit verfassten. In diesem Zusammenhang reiste er auch im Jahr 1552 nach Königsberg, um an den vergeblichen Ausgleichsverhandlungen teilzunehmen. 1554/55 führte er die Visitation in Thüringen durch und wirkte maßgeblich bei der Konzeption der Jenaer Ausgabe der Werke Luthers mit. Mit seiner Widerlegung der Thesen Johann Pfeffingers zum freien Willen gab Stoltz den Anstoß zur Auseinandersetzung um die von dem Leipziger Theologen vertretene philippistische Position. Stoltz starb jedoch schon am 15.7.1556 in Weimar, so dass seine Gegenthesen erst postum im Jahr 1558 erschienen. 2.2 Johann Aurifaber
Johann AurifaberVgl. zum Folgenden: Aurifaber, Johannes, in: Controversia et Confessio Digital. Herausgegeben von Irene Dingel. <http://www.controversiaetconfessio.de/id/ca4440991a1743d59ec02261612706a2>. (Zugriff am 22.10.2017); Helmar Junghans, Art. Aurifaber, Johannes, in: TRE 4 (1579), 752–755. wurde im Jahr 1519 in Weimar oder Mansfeld geboren. 1537 begann er mit dem Studium in Wittenberg, das von Graf Albrecht von Mansfeld gefördert wurde. Im Jahr 1540 zum Lehrer zweier Mansfelder Prinzen in Wittenberg bestellt, fungierte Aurifaber 1544/45 als Feldprediger Volrads von Mansfeld in Frankreich. 1545 nach Wittenberg zurückgekehrt, lebte er in Luthers Haushalt, dessen letzter Famulus er wurde. In dieser Zeit begann Aurifaber, Schriften Luthers zu sammeln und seine Predigten und Vorlesungen mitzuschreiben. Im Schmalkaldischen Krieg war er Feldprediger Johann Friedrichs von Sachsen, nach dessen Inhaftierung er als Adjunkt des Hofpredigers Johann Stoltz nach Weimar kam. Zusammen mit Stoltz gehörte Aurifaber zu den Unterzeichnern des Weimarer Gutachtens vom 28. Juli 1548 gegen das Augsburger InterimVgl. unsere Ausgabe Bd. 1, Nr. 6 (Christlich Bedenken auf das Interim, 1548), bes. S. 202,1. und wirkte an der Stellungnahme zum Osiandrischen Streit mit. Als Unterstützer der Gnesiolutheraner stand er hinter deren Berufung an die Universität Jena und verantwortete mit Matthias Flacius Illyricus das Weimarer Konfutationsbuch. Darüber hinaus brachte Aurifaber die Jenaer Lutherausgabe bis 1558 zu Ende. Nach der Absetzung der Gnesiolutheraner im Jahr 1561 ging er nach Eisleben, wo er die 1566 im Druck erschienene Ausgabe der Tischreden Luthers vorbereitete. Seit 1566 als Pfarrer an der Predigerkirche in Erfurt tätig, wurde Aurifaber im Jahr 1572 Senior des dortigen geistlichen Ministeriums. Er starb 1575 in Erfurt. 3. Inhalt
In dem an den Leser gerichteten Vorwort verweist Johann Aurifaber zunächst auf die Gefahr, dass die von Luther, dem dritten und letzten Elias, wiederentdeckte wahre evangelische Lehre verlorengehen könne, wenn man die von Melanchthon und seinen Gesinnungsgenossen vertretene Auffassung von der Mitwirkung des freien Willens bei der Bekehrung übernähme. Als konkretes Negativbeispiel hierfür könnten die Disputationsthesen Pfeffingers aus dem Jahr 1555 benannt werden, gegen die seinerzeit Johann Stoltz, der wahre Bewahrer des Erbes Luthers, die Gegenthesen aufgestellt habe. Anschließend sei die von Pfeffinger vertretene Position auf dem Weimarer Konvent verdammt worden, und auch die enestinische Delegation habe bei dem Wormser Religionsgespräch des Jahres 1557 gegen derartige Lehren protestiert. Die jüngst erschienene Neuausgabe der Disputationsthesen Pfeffingers, denen er eine Ein und Ausleitung beigefügt habe, erfordere nun allerdings eine öffentliche Widerlegung von dessen Irrtümern.
Die darauffolgenden Thesen von Stoltz schärfen als Erstes die Sündhaftigkeit des Menschen ein, dessen Wille nach dem selbstverschuldeten Sündenfall vor allem hinsichtlich des Reichs Gottes nichts von sich aus auszurichten vermöge. Dabei seien selbst die natürlichen Tugenden, die zu allen Zeiten bei allen Völkern und Menschen in Bezug auf das menschliche Zusammenleben angetroffen werden könnten, nicht ohne Mitwirkung Gottes zu denken (Thesen 1 bis 10). Beim Disputieren über den freien Willen des Menschen müsse man daher stets von seiner postlapsarischen Beschaffenheit ausgehen, die in der Kirche unterschiedlich bewertet worden sei. Einige hätten die willentliche Mitwirkung des Menschen an seiner Erlösung komplett abgelehnt, einige bejaht und einige eine vermittelnde Position eingenommen. Auf jeden Fall gelte es den Standpunkt der scholastischen Theologen zu vermeiden, der mit seinem philosophischen Einschlag und prinzipiellen Festhalten an der postlapsarischen Unverdorbenheit der natürlichen Kräfte Adams die wahre Lehre der Kirche schrecklich verunstaltet habe (Thesen 11 bis 21).
Als Zweites wendet sich Stoltz gegen die berühmte Formulierung Melanchthons, dass der Wille das Vermögen sei, sich an die Gnade Gottes zu wenden, die er in die Tradition des Sentenzenwerks von Petrus Lombardus einordnet und als unbiblisch problematisiert. Die Heilige Schrift verstehe den ganzen erlösungsbedürftigen Menschen als Fleisch bzw. als alten Menschen, wovon sie weder seinen Intellekt noch Willen ausnehme. Daher sei es auch klar, dass nach dem Fall in dem Menschen nichts geblieben sei, das ihm zur Aneignung der Gnade verhelfen könnte: Christus lehre ja, dass man aus Wasser und Geist wiedergeboren werden müsse, um in das Himmelreich zu gelangen (Joh 3,3.6). Jene Wiedergeburt erfolge aber durch Evangelium und Sakramente, durch die der Heilige Geist die Menschen rufe, lehre, erleuchte, belebe und neu schaffe. Hieraus erhelle, dass sich der menschliche Wille nicht von sich aus der Gnade zuwenden könne, sondern nur dank des Handelns Gottes die rettende Verheißung Christi zu ergreifen vermöge. Die entsprechende Beweisführung untermalt Stoltz mit zahlreichen Bibelzitaten (Thesen 22 bis 83).
Vor diesem Hintergrund wendet sich Stoltz gegen die Thesen Pfeffingers, dem er ein ungebührliches Verständnis des freien Willens in geistlichen Dingen unterstellt. Besondere Kritik zieht die von Pfeffinger vorgetragene Lehre von drei zusammenwirkenden Ursachen bei der Bekehrung des Menschen – Heiliger Geist, Wort Gottes und menschlicher Wille – auf sich. Diese Lehre weise dem Menschen die Fähigkeit zu, zwischen Glauben und Unglauben wählen zu können. Dies aber sei eine philosophisch ausgerichtete Position und widerspreche den biblischen Einsichten. Auch Augustinus habe ein gegenteiliges Willensverständnis vertreten, ohne gleich zu behaupten, dass Gott mit dem Menschen wie mit einem Stein oder Klotz umgehe. In diesem Zusammenhang zitiert Stoltz ausgiebig aus den antipelagianischen Werken des Kirchenvaters.Vgl. unten Anm. 92–99. Alles, was aus der Wirkung des Heiligen Geistes stamme, sei eben der Gnade Gottes und nicht der Freiheit des menschlichen Willens zuzurechnen (Thesen 84 bis 109). Folgerichtig liege auch die Unterscheidung von Erwählten und Verworfenen nicht in deren Willen und Handeln begründet, sondern in der Gnade Gottes. Die Tiefen dieser göttlichen Entscheidung könne man allerdings nicht ergründen, sondern müsse Gott für die rettende Verkündigung des Evangeliums dankbar sein. Pfeffinger hingegen führe einen Pelagianismus ein. Seine Behauptung der Freiheit des Willens entstamme dem Augsburger und dem Leipziger Interim (Thesen 105 bis 140). 4. Ausgaben
Der Text kann in zwei Druckausgaben nachgewiesen werden:
A:M. IOANNIS STOLSII || CONCIONATORIS AVLICI || Ducum Saxoniae Refutatio propositionum Pfeffin= || geri de Libero arbitrio, cum Praefatione || M. Ioannis Aurifabri. || MATTH: FLA: ILLYRICI DE || eadem controuersia. || Ezech. 36. || Ego Dominus dabo uobis COR NOVVM, || & Spiritum NOVVM ponam in praecordia uestra: || auferam cor LAPIDEVM de carne uestra; & da || bo uobis cor CARNEVM. Inferam Spiritum || MEVM in interiora uestra & efficiam ut ambuletis in || statutis meis, & iudicia mea custodiatis atque faciatis: || EGO uos saluabo ab omnibus immundicijs uestris. Sic & || Ieremias inquit Cap. 31. et Thren. 5. CONVERTE || nos Domine et CONVERTEMVR ad te. || Hinc apparet, an ACTIVE aut PAS= || SIVE nos habeamus. || Anno M. D. LVIII. [44] Bl. 4° (VD 16 S 9267)
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: H 139 B (10). 4° Helmst.; S 211.4° Helmst. (22); 184.27 Theol. (9); S 224.4º Helmst. (4)
B:PROPOSITIONES M. IOHAN= || NIS STOLSII CONTRA PFEFFIN= geri disputationem.,enthalten in: DISPVTATIO DE || ORIGINALI PECCATO ET LI || BERO ARBITRIO, INTER MATTHIAM || Flacium Illyricum, & Victorinum Strigelium, publicè || Vinariæ per integram hebdomadam, præsentibus Illus || striss. Saxonię Principibus, Anno 1560. initio men || sis Augusti, contra Papistarum & Synergista || rum corruptelas habita: || Cum Præfatione, in qua & Disputationis huius utilitas, || & editionis causæ exponuntur. Cui || succedunt || Rationes, cur necessaria sit cognitio doctrinæ & Di || sputationis de Libero arbitrio: & Discri || mina ueræ ac falsæ senten || tiæ. || ACCESERVNT eiusdem argumenti & alia quædam Diuersorum scripta, eiusdem Disputationis occa || sione, ac illustrandæ ueritatis gratia composita: quo || rum alia quidem antea quoq; edita fuere, alia uerò nūc || primùm in lucem prodeunt: Omnia triplo, quàm an || tea edebantur, nunc auctiora, lectuq; dignißima, || & nostro præsertim seculo ad formandum || rectius de præsentibus controuer || siis iudicium utilißima || cognitu. || Anno Domini M. D. LXIII. || Mense Martio. [14] Bl., 606 [= 608] S. 4° (VD16 F 1354), 354–366.
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: A: 54 Theol. (1); H: S 67b.4° Helmst. (1)
Abgesehen von dem unterschiedlichen Satz und den Differenzen im Titel, ist der Textbestand in beiden Ausgaben identisch. Dieser Edition liegt die Ausgabe A zugrunde.