Controversia et Confessio, Bd. 5


Pfeffinger, De libertate voluntatis (1555) – Einleitung

Einleitung

1. Historische Einleitung

Mit seinen Disputationsthesen, die im Jahr 1555 unter dem Titel De libertate humanae voluntatis quaestiones quinque im Druck erschienen und unter nicht näher bekannten Umständen disputiert wurden, gab den Anstoß zum Synergistischen Streit. Vgl. hierzu ; ; ; . Lohse folgt allerdings der irrtümlichen Annahme Pregers, dass zwei Disputation zu demselben Thema veröffentlicht habe. Vgl. ; . Sich der Tatsache durchaus bewusst, dass er ein keineswegs unumstrittenes Thema anspreche, fasste in den Disputationsthesen im Wesentlichen die Willenslehre zusammen, wie sie von seit der 1535 veröffentlichten secunda aetas der Loci vertreten wurde. Das bedeutet, dass bei der Bekehrung des Menschen von drei zusammenwirkenden Ursachen, den drei causae concurrentes, sprach: 1. dem Heiligen Geist, der durch 2. das Wort Gottes wirke, und 3. dem Willen des Menschen, der zustimmend und nicht abweisend auf das ihn ansprechende Wort reagiere.Vgl. . Damit suchte auch dem Doppelanliegen gerecht zu werden, das dessen Theologie von derjenigen mit ihrer Betonung des strengen Prädestinationsgedankens einerseits und des unfreien Willens andererseits abhob. Ähnlich wie , betonte zum einen die Verantwortlichkeit des Menschen für sein Tun (Thesen 1 bis 5). Zum anderen drängte er darauf, dass Gottes Heiligkeit ihn unmöglich zur Ursache der Sünde machen könne: Dies wäre aber der Fall, wenn sich des Menschen Wille zur Verheißung Christi vollkommen passiv verhielte und Gott auf diese Weise ursächlich auch die Verstockung der Verdammten zu verantworten hätte (Thesen 17 bis 29).Vgl. zu diesem Doppelanliegen : .
Bei seiner positiven, an anknüpfenden Positionierung flocht auch die Aussage ein, dass sich der menschliche Wille nicht wie ein Stein, eine Statue oder ein Felsbrocken verhalte (Thesen 15 und 16). Da die Aussage in den Augen der strikt an der Theologie orientierten Theologen wie ein ähnlich klingender Passus aus dem von ihnen bekämpften Augsburger sowie dem sog. Leipziger Interim aussah, dass Gott mit dem Menschen nicht wie mit einem Klotz verfahre,Vgl. , und . war der Streit vorprogrammiert. Bereits auf dem Weimarer Konvent vom 12. Januar 1556, der von den Herzögen , und 1 einberufen wurde und an dem , , , und teilnahmen, einigte man sich auf eine Gegenreaktion. Unter Punkt 4 wurde beschlossen, dass die neuen Debatten über den freien Willen zu verdammen seien. Hingegen müsse gelehrt werden, dass das Be­ bzw. Ergreifen der Gnadenverheißungen Gottes der Vernunft und den menschlichen Kräften unmöglich sei: Der Heilige Geist erleuchte den Geist durch das Wort, ziehe, treibe, erneuere und heilige den Willen durch das Wort.Vgl. ; . Vgl. zu dem Weimarer Konvent auch .
Trotz des Beschlusses des Weimarer Konvents und der kurz zuvor erfolgten Erstellung der gegen gerichteten Gegenthesen durch kam es zum Ausbruch des Synergistischen Streits erst zwei Jahre später. Die schriftliche Auseinandersetzung wurde mit der von verantworteten Publikation der Gegenthesen von im Jahr 1558 und dem ebenfalls 1558 erschienenen Öffentlichen Bekenntnis des eingeläutet. Dies ist insoweit zu berücksichtigen, als , dem Verlauf der schriftlichen Auseinandersetzung entsprechend, den Text seiner Disputationsthesen erweiterte. Hatte er im Jahr 1558 den Text in einer größeren Sammlung der von ihm geleiteten Disputationen, den Utiles disputationes de praecipuis capitibus doctrinae christianae, noch in unveränderter Fassung neu drucken lassen, so sah er sich vor allem nach dem Erscheinen des Öffentlichen Bekenntnisses zu einer dritten Auflage genötigt. Diese erschien 1558 unter dem Titel Demonstratio manifesti mendacii und verfügte über eine neu abgefasste Ein­ sowie Ausleitung, in denen sich über die heftigen Angriffe seiner Gegner beklagte.
2. Der Autor

Vgl. zu der Person und seinem Wirken: , 252–254; , 413–416; , 1231; . wurde am 27. Dezember 1493 in geboren. Bereits ab 1499 besuchte er die Lateinschule in . In den Jahren 1515 bis 1518 erhielt er in die niederen Weihegrade eines Akolythen und Subdiakons, denen bald die Weihe zum Diakons folgte. Unter Dispens von der Vorschrift des Lebensalters zum Priester geweiht, verwaltete die Pfarrstellen in Reichenhall und anschließend in . 1521 trat er die Stiftspredigerstelle in an. Als Sympathisant der Lehre geriet im Jahr 1523 in den Verdacht der Ketzerei, woraufhin er sich nach begab und an der dortigen Universität am 15. November 1524 immatrikuliert wurde. 1527 bekam seine erste Pfarrstelle als evangelischer Prediger in Sonnewald, wo er 1528 heiratete und bis zu seiner Vertreibung durch den Bischof von Meißen im Jahr 1530 wirkte. Als nächste Station folgte die Predigerstelle am kurfürstlichen Kloster Eicha, die er zwei Jahre lang verwaltete. 1532 zum Pfarrer in bestellt, beteiligte sich an der Einführung der Reformation in am Pfingstfest 1539: Er hielt am Pfingstdienstag die erste evangelische Predigt in der Nikolaikirche und wurde im August des darauffolgenden Jahrs Superintendent von .
Im Jahr 1541 erwarb den akademischen Grad eines Baccalaureus, dem sich 1543 der eines Licentiaten anschloss. Am 10. Oktober 1543 wurde er zum Doktor der Theologie an der Universität Leipzig promoviert. Im März 1544 begann er mit seiner Tätigkeit als Theologieprofessor, bei der er meist über die von ihm hochgeschätzten Loci las. Während seiner universitären Tätigkeit bekleidete siebenmal das Amt des Dekans der Theologischen Fakultät und fungierte zweimal als Vizekanzler der Universität. 1544/45 gehörte er zu den Theologen, die von zusammengerufen wurden, um eine Kirchenordnung für das Herzogtum zu erstellen. In den Jahren 1548/49 stets zu den Beratungen über den Umgang mit dem Augsburger Interim hinzugezogen, war einer der Hauptbeteiligten an den Verhandlungen im Herbst 1548, die zur Erstellung der Leipziger Landtagsvorlage führten. Damit wurde er zu einer der wichtigsten Figuren in den anschließend ausgebrochenen nachinterimistischen Auseinandersetzungen. Ab dem Jahr 1555 Professor primarius an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig, nahm bis zuletzt Anteil an Entwicklungen im . Er starb am 1. Januar 1573 und wurde in der Nikolaikirche beigesetzt.
3. Inhalt

In ihrer ursprünglichen Fassung, die im Jahr 1555 im Druck erschien, beginnt die Disputation mit einem Vorwort, in dem über die Zielsetzung einer Disputation reflektiert wird. Hier würden Thesen zur Diskussion gestellt, die in der anschließenden Disputation, anders als in Vorlesungen, von den Beteiligten infrage gestellt und kontrovers ausdiskutiert werden dürften. Dabei sei die Frage nach dem freien Willen an sich schon immer umstritten gewesen, und man könne die beste Antwort nur dann erlangen, wenn man ausgewogen verfahre und den mittleren Weg einschlage. hofft, dass er, trotz aller Bedenken, in seinen Thesen eine solche Antwort geben könne. Die darauffolgenden 41 Disputationsthesen beschäftigen sich thematisch mit fünf Fragen zum Thema des freien Willens bei dem Menschen.
I. (Thesen 1 bis 5) Im weltlichen Bereich verfüge der Mensch über die Freiheit des Willens. So sei er auch in vollem Umfang für seine Straftaten verantwortlich zu machen, da er sich auch anders hätte entscheiden können. Auch der nicht wiedergeborene Mensch sei dazu in der Lage, in ziviler Gerechtigkeit mit anderen Menschen zu leben und die im Gesetz gebotenen Werke zumindest teilweise zu erfüllen.
II. (Thesen 6 bis 10) Aufgrund der angeborenen Sündhaftigkeit, die den inneren Gehorsam im Herzen verhindere, könne die menschliche Natur allerdings das Gesetz Gottes nicht vollständig erfüllen. Der Mensch verfüge weder über eine Möglichkeit, sich von seiner Sünde zu befreien, noch könne er dem Tod entrinnen. Aus diesem Grund sei Gott selber Mensch geworden und habe das Gesetz für die Menschen erfüllt. Wenn der Mensch auch zur äußeren Erfüllung des Gesetzes teilweise in der Lage sei, so könne er doch niemals Gott mit innerem Gehorsam lieben. Er bedürfe darum der göttlichen Gnade, die ihm das Verdienst Christi mitteile.
III. (Thesen 11 und 12) In geistlichen Angelegenheiten verfüge der menschliche Wille über keine Freiheit, Bewegungen hin zu Gott zu entwickeln, wenn der Heilige Geist nicht zu Hilfe komme. Darum dürfe der Mensch dem Heiligen Geist nicht widerstreben, der den menschlichen Geist und das Herz bewege, sondern müsse ihm zustimmen. Denn der Heilige Geist werde nur von denen empfangen, die ihn begehren, ihm nicht widerstünden und mit Seufzen auf seine Hilfe warteten.
IV. (Thesen 13 bis 36) Der menschliche Wille verhalte sich also in der Bekehrung nicht rein passiv, sondern der Heilige Geist bewege durch das Wort Gottes den denkenden Geist und den menschlichen Willen, so dass dieser nicht widerstrebe, sondern dem bewegenden Geist Gottes gehorsam sei und die Hilfe Gottes erbitte. Die menschliche Zustimmung und das Verstehen fänden zeitgleich mit dem den Willen und das Herz entzündenden Wirken des Heiligen Geistes statt. In diesem Zusammenhang bringt die Zitate der altkirchlichen Theologen Basilius, Chrysostomus und Augustinus vor, die er vorwiegend Loci entnimmt.Vgl. u. S. 33, Anm. 21–23. Würde sich der menschliche Wille in seiner Bekehrung wie ein Felsblock oder eine Statue verhalten, wie die Gegner behaupteten, so gäbe es keinen Kampf um die Bewahrung des Glaubens und keine Anfechtungen. Würde sich der menschliche Wille in seiner Bekehrung rein passiv verhalten, dann wäre kein Unterschied zwischen den Frommen und den Gottlosen, zwischen den Erwählten und den Verdammten. Gott würde zum Urheber der Sünde gemacht, hänge doch allein an seiner Erwählung das menschliche Heil. Man müsste so in Gott zwei miteinander im Streit liegende Willen behaupten, was im Gegensatz zum Schriftzeugnis stünde.
Aus diesen Gründen müsse der Grund, aus dem einige Gott zustimmen und andere nicht, im Menschen selber gesucht werden. Die göttliche Gerechtigkeit bestehe darin, dass er mit allen Menschen nach festen, offenbarten Regeln umgehe: Er verdamme die Sünde in allen und gebe seinen Sohn als Versöhnung für alle. Gottes Wille sei nirgendwo anders zu suchen als in seinem geoffenbarten Wort. Die Frage nach der Erwählung sei nicht außerhalb des Wortes Gottes und außerhalb der Rede von Christus zu stellen, sondern nur a posteriori. So könne man behaupten, dass alle diejenigen erwählt seien, welche die Barmherzigkeit Gottes um Christi willen im Glauben annähmen. Wer aber diese zurückweise, der sei nicht erwählt. Darum müsse zum Handeln des Heiligen Geistes im Wort die menschliche Annahme der Verheißung und die Erkenntnis Christi hinzukommen. Deswegen seien die biblischen Aussagen über die Verstockung im Sinne eines Zulassens Gottes zu verstehen, keinesfalls jedoch als eine Tätigkeit Gottes, die die Menschen ins Unheil stürze. Der Grund für die Verwerfung sei nicht der Wille Gottes, sondern die Sünden der Menschen. Die Erwählung liege in der durch den Kreuzestod Christi erworbenen Barmherzigkeit des versöhnten Willens Gottes begründet, und der Grund für den Unterschied zwischen den Erwählten und den Verdammten sei in deren Willen zu suchen. Während die einen den Verheißungen Gottes widerstrebten, nähmen die anderen sie mit dankbarem Herzen an. Daraus folge schließlich, dass der menschliche Wille bei der Bekehrung nicht untätig sei oder sich wie ein Stein oder Amboss verhalte. Auch wenn die Gegner behaupteten, das Wirken des Heiligen Geistes würde durch eine Beteiligung des menschlichen Willens geschmälert, so werde doch der Leser schnell verstehen, dass die Synergie des menschlichen Willens in Zustimmung und Verstehen die Hilfe des Heiligen Geistes nicht schmälere. Denn das Wirken des Heiligen Geistes sei die Voraussetzung jeder menschlichen Zustimmung.
V. (Thesen 37 bis 41) Gott bewirke nicht das Unheil, die Sünde oder das Böse. Er lasse es nur zu. Laut stimmt die in dieser Disputation vorgetragene Lehre mit der biblischen Lehre exakt überein. Zum weiteren Unterricht verweist er seine Studenten auf die Bücher seines eigenen Lehrers .
In dem Vorwort, das der dritten Ausgabe des Textes im Jahr 1558 vorangestellt und an alle Leser gerichtet hat, beklagt er sich über die heftigen Angriffe seiner Gegner. Vor allem habe ihm in seinem Öffentlichen Bekenntnis (1558) unberechtigte und schlecht durchdachte Vorwürfe gemacht. Daher sehe er sich veranlasst, seine Disputation noch einmal im Druck ausgehen zu lassen. Dies ist auch der Grundtenor der ausleitenden Passage, mit der die dritte Ausgabe schließt und in der den biblischen Charakter seiner Lehre nochmals unterstreicht.
4. Ausgaben

Der Text kann in drei Druckausgaben nachgewiesen werden:
A:DE LIBERTA= || TE VOLVNTATIS || HVMANAE, QVAESTIO= || NES QVINQVE. || D. Johannes Pfeffinger. || LIPSIAE || EDITAE IN OFFICINA || GEORGII HANTSCHI. || 1555. [12] Bl. 8° (VD 16 P 2327)

Vorhanden:
Jena, Universitätsbibliothek: 8 Diss. theol. 6 (2), 8 Art. lib. VII,2 (13)
München, Bayerische Staatsbibliothek: Polem. 1026#Beibd. 1 [benutztes Exemplar]

B:DE LIBERTATE VO­ || luntatis humanæ, Quæstio­ || nes quinque., enthalten in: In hoc Libello || CONTINENTVR VTILES DISPV= || tationes de praecipuis capitibus || doctrinae Christianae, quae || propositae fuerunt in || academia Li- || psica, à || IOANNE PFEFFINGERO, DO= || ctore Theologiae, et eiusdem Ec= || clesiae pastore. || Typis editae anno || M. D. LVIII. [103] Bl. 8° (VD 16 P 2356), G 3r–H 5v.

Vorhanden:
München, Bayerische Staatsbibliothek: Polem. 2101

Wittenberg, Lutherhaus: Ag 8° 631

Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 1173.1 Theol. (11)

C:DEMONSTRA­ || TIO MANIFESTI MEN­ || DACII, || QVO INFAMARE CONA= || TVR DOCTOREM IOHANNEM || PFEFF. LIBELLVS QVIDAM MALE= || dicus & Sycophanticus germanicè editus titu= || lo Nicolai ab Amsdorff, Necessaria propter || Veritatis assertionem & auersionem Scan= || dali, & tuendam existimationem || sinceræ doctrinæ. || Psalm. 140. || Acuerunt linguas suas sicut serpentes, uenenum || aspidum sub labijs eorum. || VVITEBERGÆ || 1558. [16] Bl. 4° (VD 16 ZV 12421)

Vorhanden:

Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dm 1578

Göttingen, Niedersächsische Staats­ und Universitättsbibliothek: 8 TH POLEM 134/65 (4)

Leipzig, Universitätsbibliothek: Kirchg. 1108/8

Sieht man von den Differenzen im Titel, dem unterschiedlichen Satz und den der Ausgabe C beigefügten neuen ein­ und ausleitenden Passagen ab, ist der Textbestand in allen drei Varianten identisch. Der vorliegenden Edition liegt die Ausgabe A zugrunde, die um das Vorwort und die ausleitende Passage der Ausgabe C ergänzt wird (in etwas kleinerer Type im Haupttext gesetzt, um den Apparat zu entlasten).