Die vorliegende Arbeit ist im Rahmen des Teilprojektes »Fußballenthusi-
asmus: Die Anfänge des Fußballs in Lateinamerika als transnationales Phä-
nomen – Argentinien, Brasilien und Uruguay im Vergleich, 1867-1930«
der DFG-Forschergruppe 955 »Akteure der kulturellen Globalisierung,
1860-1930« entstanden. An erster Stelle danke ich meinem Betreuer Stefan
Rinke, der diese Arbeit und damit auch meinen Werdegang begleitet und
mir vorausschauend den Weg gewiesen hat. Bei allen Mitgliedern der
Forschergruppe möchte ich mich für die vielen Gespräche und anregenden
Diskussionen, die Kommentierung erster Ideen und späterer Entwürfe
bedanken. Das gilt auch den Teilnehmern des Forschungskolloquiums für
die Geschichte Lateinamerikas am Lateinamerika-Institut der Freien
Universität Berlin, die die Reifung dieser Arbeit ebenfalls begleitet haben.
Viele Personen haben mich aus diesem Umfeld unterstützt, besonders
genannt seien aber Georg Fischer, Nina Elsemann, Stefanie Gänger, Jochen
Meissner und Maria Moritz, denen ich für die kritische Lektüre von Teilen
des Manuskriptes und für viele Anregungen danke.
In Brasilien wäre die Arbeit ohne die Unterstützung zahlreicher Personen
nicht möglich gewesen. In Rio de Janeiro gilt mein Dank den Mitarbeitern
der Biblioteca Nacional
,
der Biblioteca Histórica do Itamaraty, des Ver-
einsarchives des Fluminense Football Club, den Mitgliedern des NEPESS-
Netzwerkes an der Universidade Federal Fluminense
;
in São Paulo und
Campinas den Mitarbeitern des Arquivo Público do Estado de São Paulo,
des Edgar-Leuenroth-Archivs, des Archivs des Clube Atlético Paulistano,
des Archivs des Esporte Clube Pinheiros, des Instituto Martius Staden, des
Instituto de Estudos Brasileiros und den Mitgliedern der Forschergruppe
Ludens
an der Universidade de São Paulo.
Viele weitere Menschen haben mich während der Bearbeitungszeit
begleitet, ich kann hier nur einige erwähnen: Alain El Youssef danke ich
für viele Gespräche zum Thema und seine Geduld. Für ihre bedingungslose
Unterstützung danke ich meiner Familie, besonders aber meinem Vater
Günther Peters für seine Gelassenheit und Ausdauer bei der Lektüre des
gesamten Manuskriptes.
1213
EINLEITUNG
Am 19. Januar 1920 veröffentlichte die Tageszeitung
A Gazeta
aus São
Paulo den Kommentar eines Korrespondenten aus Montevideo, Uruguay,
über eine Konferenz der Fußballverbände der im Ersten Weltkrieg neutral
gebliebenen Länder in Amsterdam. Anlass war ein Vorschlag des belgi-
schen Fußballverbandes, die besiegten Länder von den internationalen
Fußballbeziehungen der FIFA über eine Statutenänderung auszuschließen.1
Die Konferenzteilnehmer standen unter Druck: Die Siegerländer verlang-
ten, dass auch die neutralen Länder keine Spiele mehr mit deutschen,
österreichischen und ungarischen Mannschaften austragen sollten. Weil
sich das nicht durchsetzen ließ – die mehrheitlich neutralen Länder in der
FIFA wollten sich keine Vorschriften machen lassen –, trat Ende 1920 die
englische
Football Association
(FA) aus Protest aus der FIFA aus.2
Der Erste Weltkrieg und die aus ihm hervorgehenden Machtkonstellatio-
nen in Europa hatten einen erheblichen Einfluss auf den internationalen
Sport – entgegen den Prinzipien der sich ursprünglich als unpolitisch
einschätzenden internationalen Sportverbände.3Entsprechend hielt auch der
südamerikanische Journalist die Konferenz in ihren politischen Implikatio-
nen für ein bis dahin einzigartiges Ereignis der Fußballgeschichte und kam
nach einer Analyse der Argumente für und wider den Ausschluss der be-
troffenen Länder zu diesem Ergebnis: »[A]uf den diplomatischen, kommer-
ziellen und wissenschaftlichen Gebieten gibt es schon keine Möglichkeit,
die Deutschen auszuschließen, umso schwieriger wird dies auf dem beson-
ders internationalen Gebiet des Sports sein.«4
Der Zeitungsbericht zeigt mehrere Aspekte der Rolle des Fußballs zu
Beginn des 20. Jahrhunderts, die die vorliegende Studie an den Beispielen
Rio de Janeiros und São Paulos untersucht: Es bestand ein Bewusstsein für
die Globalität des Fußballs, brasilianische Sportjournalisten und Presse-
rezipienten nahmen den Fußball als »besonders international« wahr. Ja, der
Bericht führt vor Augen, dass die brasilianische Sportpresse selbst der
Internationalität des Fußballs entsprach, denn Korrespondenten berichteten
1
Vgl. »Football. A Guerra e o Football Internacional (Especial para a Gazeta,
Montevideo 1920)«,
A Gazeta
, 19.1.1920.
2
Vgl. E
ISENBERG
, Christiane/L
ANFRANCHI
, Pierre/M
ASON
, Tony/W
AHL
, Alfred
(Hg.),
FIFA 1904-2004. 100 Jahre Weltfußball
, Göttingen 2004, S. 66.
3
Vgl. K
EYS
, Barbara J.,
Globalizing Sport: National Rivalry and InternationalCommunity in the 1930s
, Cambridge, Mass. u.a. 2006, S. 38.
4
»Football. A Guerra e o Football Internacional«,
A Gazeta
, 19.1.1920. Diese und
alle folgenden Übersetzungen fremdsprachiger Zitate sind von der Autorin.
14
14
Einleitung
zu diesem Zeitpunkt regelmäßig und ausführlich über internationale Spiele,
über Fußballpolitik und mit dem Sport verbundene Themen aus anderen
Ländern. Und in für den lokalen oder nationalen Fußball relevanten Fragen
bezogen sich brasilianische Journalisten auf die Vorgänge im inter-
nationalen Fußball. Außerdem verweist die Quelle auf den Zusammenhang
von Fußball und Politik. Der internationale Sport lud Nationen dazu ein,
sich miteinander zu messen und nationalistischen Ansinnen Ausdruck zu
verleihen. Zugleich war Fußball enger mit Fragen der internationalen Poli-
tik verknüpft, als es die kosmopolitischen und friedenstiftenden Gründer-
väter der Olympischen Bewegung oder der FIFA beabsichtigt hatten.
Während die Diffusion des Sportes zu einer Uniformierung von Regeln und
Techniken führte, nutzten Nationalstaaten seine universalen Grundlagen,
um sich voneinander abzugrenzen. Universalisierung und Differenzierung
im Fußball waren interdependent.5
THESEN UNDFRAGESTELLUNG
Abgrenzungen über den Fußball fanden jedoch nicht nur auf einer nationa-
len Ebene statt. Die Internationalität des Fußballs ermöglichte Differenzie-
rungen auf ganz unterschiedlichen Identifikationsebenen. Auch regionale
und »rassische« Identitäten wurden über den Fußball unter transnationalen
Bezugnahmen konstruiert und bestärkt. Das ist der Grund, warum die vor-
liegende Studie auf einer Stufe unterhalb der nationalen Ebene ansetzt und
die beiden zu Beginn des 20. Jahrhunderts wichtigsten Sportzentren Brasi-
liens, Rio de Janeiro und São Paulo, untersucht.
Identitätskonstruktionen über den Fußball fanden zudem nicht in ge-
schlossenen Räumen statt und folgten nicht vorgegebenen unidirektionalen
Pfaden, vielmehr war der Fußball an der Konstruktion räumlicher Vorstel-
lungen und »rassischer«, nationaler und regionaler Identität beteiligt. Die
zentrale These ist: Brasilianische Sportakteure waren über den Fußball
schon früh in eine transnationale Sportgemeinschaft, hier als Diskursge-
meinschaft verstanden, eingebunden. Der internationale Sport bot ihnen
Gelegenheit, »rassische«, regionale und nationale Identitäten über den
Bezugspunkt der Nation hinaus zu verhandeln.
Folgende Fragen liegen der Studie zu Grunde: Welche Rolle spielte der
Fußball als transnationales Phänomen in den beiden Städten? Welchen
Raum bot er für Differenzierungen nach »rassischer«, regionaler und natio-
naler Zugehörigkeit? In welcher Beziehung standen die Kategorien
5
Vgl. K
EYS
,
Globalizing Sport
, S. 34-43.
15Einleitung
15
»Rasse«, Region und Nation zueinander? Inwieweit überlagerten sich diese
Identitätskonstruktionen oder interagierten sie miteinander?
Eine Grundannahme dieser Arbeit ist: Fußball als transnationales Phäno-
men half dabei, Differenzen herzustellen und Vorstellungen von Ausgren-
zungskategorien wie »Rasse« und regionale Überlegenheit zu entwickeln.
Es handelte sich nicht ausschließlich um Differenzen, die schon vor und
auch unabhängig von der »Ankunft« des Fußballs existierten. Aus dieser
Annahme ergeben sich weitere Fragen: Wie verorteten sich die hier behan-
delten Akteure über diese Identitätskonstruktionen in einem sich heraus-
bildenden transnationalen Sportraum? Bildete sich bei den Sportakteuren
über den Fußball ein Bewusstsein für Globalität heraus? Wo waren im Um-
kehrschluss auch Grenzen der Globalisierung des Fußballs bzw. wie
stellten Akteure diese Grenzen her und verfestigten sie?
Die vorliegende Studie ist eine Untersuchung der kulturellen Globalisie-
rung des Fußballs in Brasilien im Zeitraum zwischen 1894 und 1930. Der
Beginn des Untersuchungszeitraums ist aus einer transnationalen Pers-
pektive in der Dekade angelegt, in der erste Spiele nach den Regeln der
englischen
Football Association
nachgewiesen sind und Immigranten und
Brasilianer erste Klubs gründeten.6Das Ende des Zeitraums bildet aus der
hier eingenommenen transnationalen Perspektive die erste Weltmeister-
schaft in Lateinamerika, die 1930 in Montevideo, Uruguay, stattfand und
an der Brasilien mit einer nicht sehr erfolgreichen Auswahl teilnahm. Diese
Weltmeisterschaft ist dennoch ein Höhepunkt, an dem sich – wie noch
gezeigt wird – das Selbstbild und der Status Brasiliens im internationalen
Fußball grundlegend gewandelt hatten.
Die Erfolge südamerikanischer Nationalmannschaften bei den Olympi-
schen Spielen 1924 und 1928 in Europa, die ebenso erfolgreiche Reise
eines Klubs aus São Paulo nach Europa im Jahr 1925 und die seit dem
Ende des Ersten Weltkrieges wahrgenommene Schwäche und Zerstritten-
heit Europas untermauerten diese neue Rolle. Nach 1930 »exportierten«
südamerikanische Länder den berühmt gewordenen »südamerikanischen
Stil« über die Migration professioneller Fußballer – Anfänge eines profes-
sionellen Transfermarktes lassen sich hier erkennen.7Die 1930er-Jahren
6
Ausführlicher hierzu in Kapitel 1.
7
Vgl. hierzu: D
IETSCHY
, Paul, Football Players' Migration: A Political Stake, in:
Christiane EISENBERG/Pierre LANFRANCHI(Hg.), Football History: International
Perspectives/Fußball-Geschichte: Internationale Perspektiven, Special Issue/Sonderheft,
in:
Historische Sozialforschung/Historical Social Research
31, 2006, Nr. 1, S. 31-41;
KOLLER, Christian, Transnationalität: Netzwerke, Wettbewerbe, Migration, in:
DERS./Fabian BRÄNDLE(Hg.),
Fussball zwischen den Kriegen. Europa 1918-1939
,
16
16
Einleitung
waren gekennzeichnet von Institutionalisierungen und Konsolidierungen,
sowohl auf der internationalen Ebene, weil die FIFA mit einem festen Sitz
in Zürich und der Ausrichtung einer eigenen Meisterschaft mehr Aner-
kennung bekam, als auch auf der nationalen Ebene durch den brasiliani-
schen Präsidenten Getúlio Vargas, der den Fußball als Nationalsport für
sein politisches Zentralisierungsprojekt als »Chiffre« verwenden wollte.8
Diese Institutionalisierungen knüpften an vorangegangene Entwicklungen
an, die in hohem Maße mit der kulturellen Globalisierung des Fußballs seit
seinen Anfängen zusammenhingen.
THEORETISCHEEINORDNUNG
Wohl kaum ein anderes massenkulturelles Phänomen verbindet heute so
viele Menschen miteinander und weist dabei einen so hohen Organisati-
onsgrad auf wie der von globalen Organisationen gelenkte moderne Sport.9
Seine globale Bedeutung ist historisch angelegt: Sporthistoriker und –
historikerinnen argumentieren, moderner Sport, wie er im 19. Jahrhundert
in Großbritannien entstand und sich von dort in alle Weltregionen verbrei-
tete, habe eine herausragende Bedeutung und Funktion für moderne Gesell-
schaften, da er durch seine Regelhaftigkeit ein Instrument der Rationalisie-
rung und »Affektkontrolle« sei.10Zugleich aber, so die Historikerin
Christiane Eisenberg, lasse er Raum für Emotionen und Affekte und sei
beliebig genug, um zum Schauplatz für ganz verschiedene identitäre Aus-
Zürich/Berlin 2010, S. 37-63; L
ANFRANCHI
, Pierre/T
AYLOR
, Matthew,
Moving with theBall: The Migration of Professional Footballers
, Oxford u.a. 2001, S. 11-72.
8
Zur Konsolidierung der FIFA: Vgl. E
ISENBERG
, Christiane, Der Weltfußballver-
band FIFA im 20. Jahrhundert. Metamorphosen eines ›Prinzipienreiters‹, in:
Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte
2, 2006, S. 209-230; KEYS,
Globalizing Sport
,
S. 54 f. Zu Sportpolitik unter Vargas und zur Einrichtung eines CND (
ConselhoNacional de Desportos
): Vgl. MANHÃES, Eduardo Dias,
Política de esportes no Brasil
,
2. durchges. und erw. Aufl., Rio de Janeiro 2002, S. 29-98. Zum Fußball unter Vargas
als »Chiffre«: NEGREIROS, Plínio José Labriola de Campos, Futebol nos anos 1930 e
1940: construindo a identidade nacional, in:
História: Questões e Debates
20, jul/dez
2003, Nr. 39, S. 121-151. Siehe auch: AGOSTINO, Gilberto,
Vencer ou morrer: futebol,geopolítica e identidade nacional
, Rio de Janeiro 2002; DRUMOND, Maurício,
Naçõesem jogo: esporte e propaganda política em Vargas e Perón
, Rio de Janeiro 2008.
9
E
ISENBERG
, Christiane, Die Entdeckung des Sports durch die moderne Geschichts-
wissenschaft, in:
Historical Social Research
27, 2002, S. 4-21, hier 16 f.
10
E
LIAS
, Norbert/D
UNNING
, Eric, Die Suche nach Erregung in der Freizeit, in D
IES
.,
Sport und Spannung im Prozeß der Zivilisation
, Frankfurt am Main 2003, S. 135-140;
ELIAS, Norbert, Die Genese des Sports als soziologisches Problem, in: DERS./DUNNING,
Sport und Spannung
, S. 230-272, hier 265.
17Einleitung
17
drücke zu werden.11Inwieweit die Modernisierung von Gesellschaften und
die Entstehung des modernen Sports lange Zeit als untrennbar angesehen
wurden, beweist die rhetorische Frage, die Elias und Dunning in ihrer klas-
sischen Studie
Sport im Zivilisationsprozess
zur Entstehung des modernen
Sports in Großbritannien stellen: »Ließe sich nicht auch die Möglichkeit in
Betracht ziehen, dass beides, die Industrialisierung und die Entstehung des
Sports, interdependente Teilentwicklungen einer umfassenden Verände-
rung der Staatsgesellschaften der Neuzeit sind?«12
Während Elias und Dunning vor allem modernisierungstheoretische
Einordnungen des modernen Sports vornehmen und ihn auf diese Weise an
größere gesellschaftliche Wandlungsprozesse koppeln, betont Eisenberg,
dass zumindest dem Fußball als moderner Sportart ein »Eigenweltcharak-
ter« innewohne. In dieser »Eigenwelt« könne theoretisch jeder mit jedem
für einen vorübergehenden Moment in Konkurrenz stehen und sei dabei
nur den klaren Regeln des Spiels unterworfen.13Zugleich, und das sei eben-
falls ein besonderes Kennzeichen des modernen Sports, könne das
Vorübergehende und Beliebige einen Ewigkeitswert erhalten, wenn das
Ergebnis erinnert und in einen größeren, sinnstiftenden Zusammenhang
eingeordnet werde.14Verschiedene Sporthistoriker und -historikerinnen
meinen, die letztere Funktion prädestiniere den modernen Sport vor allem
für die Einordnung in den identitätsstiftenden Zusammenhang der Nation
und des Nationalen.15So weist Eisenberg in ihrer grundlegenden Studie
11
E
ISENBERG
, Christiane, Sportgeschichte. Eine Dimension der modernen Kultur-
geschichte, in:
Geschichte und Gesellschaft
23, 1997, Nr. 2, S. 295-310, hier 296. Vgl.
auch GUTTMANN, Allen,
Games and Empires: Modern Sports and Cultural Imperialism
,
New York 1994, 181 f.; HÜSER, Dietmar, Moderner Sport und Geschichte als
Wissenschaft – Zur politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verflechtung
eines massenkulturellen Phänomens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in:
NPL
51, 2006, Nr. 2, S. 223-263.
12
D
UNNING
, Eric/E
LIAS
, Norbert,
Sport im Zivilisationsprozess. Studien zurFigurationssoziologie
, Münster 1981, S. 13.
13
E
ISENBERG
, Christiane, Einführung, in: D
IES
. (Hg.),
Fußball, soccer, calcio
,
S. 7-21; EISENBERG, Christiane,
»English sports« und deutsche Bürger. Eine Gesell-schaftsgeschichte 1800-1939
, Paderborn u. a. 1999, S. 14. Auf den autonomen
Charakter des von ihm so genannten »Feldes sportlicher Praktiken« verweist auch
Pierre Bourdieu: Vgl. BOURDIEU, Pierre, Historische und soziale Voraussetzungen
modernen Sports, in: Gunter GEBAUER/Gerd HORTLEDER(Hg.),
Sport – Eros – Tod
,
Frankfurt am Main 1986, S. 91-112, hier 94-100.
14
E
ISENBERG
, Sportgeschichte, hier 296; D
IES
., Fußball als globales Phänomen.
Historische Perspektiven, in:
Aus Politik und Zeitgeschichte
26, 2004, S. 7-15, hier 10.
15
Vgl. E
ISENBERG
,
»English sports«
; D
YRESON
, Mark, Globalizing the Nation-
Making Process: Modern Sport in World History, in:
The International Journal of theHistory of Sport
20, 2003, Nr. 1, S. 91-106.
18
18
Einleitung
zum Transfer des englischen modernen Sports nach Deutschland darauf
hin, dieser diene auch der »Außendarstellung moderner Nationen« und
habe zugleich eine systemische Bedeutung für Gesellschaften, da er sich in
andere Bereiche, so in die Politik, übertragen lasse.16
Eisenbergs Annahmen sind grundsätzlich zuzustimmen. Es besteht aber
die Gefahr, modernen Sport, und hier den Fußball als modernen Sport
schlechthin, ausschließlich im abgeschlossenen Raum der Nation zu unter-
suchen, weil vorausgesetzt wird, der Fußball habe sich
wegen
dieser be-
sonderen Eignung als »Sinnstiftung« für moderne Gesellschaften verbrei-
tet. Auch in der Sichtweise von Elias und Dunning gibt es Verkürzungen:
Es könnte angenommen werden, Fußball sei eine Facette westlicher Mo-
dernisierung, ja könne mitunter auch als ihr Zeichen oder Symbol zu ver-
stehen sein. Wer die Diffusion des Fußballs auf diesem Erkenntnisweg
untersucht, neigt dazu, die globale Verbreitungsgeschichte des modernen
Sports als Modernisierungsgeschichte zu untersuchen, im Zuge derer er
von Sportbegeisterten begleitend zu Parlamentarisierung, Rationalisierung
und Industrialisierung in die Welt getragen wurde.
Dieser Ansatz ist als grundlegende Annahme auch bei Historikern zu
finden, die sich mit der Sportdiffusion auseinandergesetzt haben.17So bei
Allen Guttmann, der nach dem Zusammenhang zwischen Verbreitung des
Sports und Kulturimperialismus fragt. Er kommt zu dem Schluss, Kul-
turimperialismus gehe zu sehr von statischen Kulturräumen aus und vor
allem zu stark von Manipulationen durch Machthaber und deren Auf-
oktroyierungen kultureller Werte. Er entscheidet sich alternativ für den
Begriff der »kulturellen Hegemonie« nach Gramsci.18Doch geht er in
seiner Studie wenig auf Fallbeispiele und Differenzierungen ein, was auch
der breit angelegten Analyse anhand einzelner Sportarten geschuldet ist.19
Auch in Arbeiten, die spezifisch die Sportverbreitung in Lateinamerika
untersuchen, folgen Historiker diesem Analysepfad. So J.A. Mangan und
Joseph L. Arbena, doch auch sie bleiben bei diffusionstheoretischen An-
nahmen und stellen am Beginn ihrer Arbeiten die Frage: »Kulturimperia-
16
E
ISENBERG
,
»English sports«
, S. 13-15. Ähnlich G
UTTMANN
,
Games and Empires
,
S. 181 f. und DYRESON, Globalizing, S. 91-106.
17
Vgl. E
LIAS
/D
UNNING
,
Sport und Spannung
.
18
Vgl. G
UTTMANN
,
Games and Empires
, S. 178-181. Guttmann verweist u.a. auf die
Rolle, die Sport für Emanzipationsbewegungen spielte, weil Kolonialisierte zum Bei-
spiel ihre Kolonialherren im eigenen Spiel schlagen wollten. Ähnlich zum Beispiel
auch: BALE, John,
Sports Geography
, London u. a. 1989.
19
Vgl. G
UTTMANN
,
Games and Empires
.
19Einleitung
19
lismus – ja oder nein?«.20Ebenso lässt sich eine neuere Arbeit zur Sportver-
breitung von Großbritannien nach Brasilien dieser diffusionstheoretischen
Richtung zuordnen: Der Historiker Gregg Bocketti hat in einer verglei-
chend angelegten Studie nach dem Zusammenhang zwischen britischem
Kulturimperialismus und der Verbreitung des modernen Sportes in Brasi-
lien und Trinidad gefragt.21
Sporthistoriker und –historikerinnen und historisch arbeitende Sportgeo-
grafen und Sportsoziologen verstanden die Welt häufig als System aus
Zentrum und Peripherie, an die der Fußball gelangte und in der er als In-
strument kolonialer und imperialer Machtausübung fungierte.22Diffusions-
theoretiker, die mit solchen modernisierungstheoretischen und kulturimpe-
rialistischen Annahmen arbeiten, schließen aus der Vernetzung von Gesell-
schaften und aus der Globalisierung der Welt die Entstehung globaler kul-
tureller Gleichförmigkeit und Uniformität.23Der diffuse Begriff der
Globalisierung, wie er in den letzten Jahrzehnten zum allgegenwärtigen
Paradigma und auch Menetekel unserer Zeit wurde, ist in der allgemeinen,
nicht fachwissenschaftlichen Diskussion und selbst in Wissenschaftskrei-
sen allzu oft gleichgesetzt worden mit einer Einebnung von Unterschieden
in einer romantisierenden Vorstellung von autochthoner Kultur und Tradi-
20
Siehe Mangan, der seiner Analyse die Konzepte »kultureller Imperialismus, kultu-
relle Hegemonie und kulturelle Emulation« zu Grunde legt, sich dabei an Said und
Arbena orientiert und durchaus die »Macht der ›Einflusslosen‹« beachtet: MANGAN,
J.A., The Early Evolution of Modern Sport in Latin America: A Mainly English
Middle-Class Inspiration?, in: DERS./Lamartine P. DACOSTA(Hg.),
Sport in LatinAmerican Society. Past and Present
, London/Portland 2002, S. 9-42. Vgl. auch:
ARBENA, Joseph L., Sports Language, Cultural Imperialism, and the Anti-Imperialist
Critique in Latin America, in:
Studies in Latin American Popular Culture
14, 1995,
S. 129-141.
21
Vgl. B
OCKETTI
, Gregg P.,
The Creolization of British Sport in Trinidad and Brazil,1870-1940
, unveröffentl. Ph.D. Thesis, Tulane University 2004.
22
Die hier erfolgende Kritik an diffusionstheoretischen Sportstudien folgt:
CARRINGTON, Ben,
Race, Sport and Politics: The Sporting Black Diaspora
, London u.
a. 2010, S. 65 f.
23
M
AGUIRE
, Joseph,
Global Sport: Identities, Societies, Civilizations
, Cambridge
1999, S. 16-17. Vgl. für das Beispiel Lateinamerika: GIULIANOTTI, Richard, Football,
South America and Globalisation: Conceptual Paths, in: Rory M. MILLER/Liz CROLLEY
(Hg.),
Football in the Americas: Fútbol, Futebol, Soccer
, London u.a. 2007, S. 37-51,
hier 42 f. Die Verbreitung des modernen Sports vor allem als Prozess der Uni-
formierung zu sehen klingt auch bei Bayly an: Vgl. BAYLY, Christopher,
Die Geburtder modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780-1914
, Frankfurt/New York 2008, S.
35. Für eine kritische und diskursanalytische Auseinandersetzung mit dem
»Kulturimperialismus« als Forschungsperspektive: Vgl. TOMLINSON, John,
CulturalImperialism: A Critical Introduction
, London 1991.
20
20
Einleitung
tion.24Das soll hier nicht geschehen und die Warnung des Afrikahistorikers
Frederick Cooper ernst genommen werden, nicht einfach einen verdeckten
Revisionismus zu betreiben und Modernisierung durch Globalisierung zu
ersetzen. Mit Osterhammel und Petersson wird hier Globalisierung ganz
allgemein als »Aufbau, […] Verdichtung und […] zunehmende Bedeutung
weltweiter Vernetzung«25gefasst, wie sie seit dem letzten Drittel des 19.
Jahrhunderts besonders in wirtschaftlicher Hinsicht zunahm. Es soll hier
auch nach den Grenzen von Globalisierung gefragt werden, entsprechend
gilt es Globalisierung als Perspektive anzusetzen.26
Der Kulturgeograf Joseph Maguire war einer der ersten, der die diffusi-
onstheoretischen Annahmen für den Sport kritisch hinterfragt hat. In der
Erklärung der Sportdiffusion lehnt er sich an Arjun Appadurai und dessen
Theorie der »disjunctures« und »global flows« an, wenn er sagt, Globali-
sierungsprozesse seien nie uniform verlaufen, sondern gleichsam multidi-
rektional und deshalb folgten sie auch nicht zwingend Linien von
Machtrelationen.27Er will für die »unbeabsichtigten Dynamiken« und die
»nicht-westlichen Einflüsse auf den Westen« im Prozess der Sportglobali-
sierung sensibilisieren.28
Er nimmt ausgehend von diesen Annahmen auch einen Periodisierungs-
versuch von Sportglobalisierung vor. Eine solche haben die Soziologen
Richard Giulianotti und Roland Robertson für die Verbreitung des Fußballs
in Lateinamerika weiter ausdifferenziert, indem sie herausarbeiteten, dass
Lateinamerika in der Take-Off-Phase zwischen 1870 und 1920 vom Fuß-
ball erfasst wurde. Diese Phaseneinteilung entspricht anderen Perio-
disierungsvorschlägen jüngster historischer Globalisierungsstudien, in
denen die Zeit ab 1870/1880 bis 1914 oder sogar bis 1940 als erste Hoch-
24
Vgl. O
STERHAMMEL
, Jürgen/P
ETERSSON
, Niels P.,
Geschichte der Globalisierung
,
4. durchges. Aufl., München 2007, S. 7-15; Vgl. aus Sicht der Soziologie: BECK, Ulrich,
Was ist Globalisierung?
, Frankfurt am Main 2007, insbes. S. 80 ff.
25
O
STERHAMMEL
/P
ETERSSON
,
Geschichte der Globalisierung
, S. 24.
26
Vgl. C
ONRAD
, Sebastian/E
CKERT
, Andreas, Globalgeschichte, Globalisierung,
multiple Modernen: zur Geschichtsschreibung der modernen Welt, in: Sebastian
CONRAD/Andreas ECKERT/Ulrike FREITAG(Hg.),
Globalgeschichte. Theorien, Ansätze,Themen
, Frankfurt am Main 2007, S. 7-49; COOPER, Frederick, Was nützt der Begriff
der Globalisierung? Aus der Perspektive eines Afrika-Historikers, in: CONRADu. a.
(Hg.),
Globalgeschichte
, S. 131-161; OSTERHAMMEL/PETERSSON,
Geschichte derGlobalisierung
, S. 41-45.
27
M
AGUIRE
, Joseph,
Global Sport: Identities, Societies, Civilizations
, Cambridge
1999, S. 210 f.; APPADURAI, Arjun,
Modernity at Large: Cultural Dimensions ofGlobalization
, Minneapolis 1996, S. 90.
28
M
AGUIRE
,
Global Sport
, S. 31 f.
21Einleitung
21
phase einer nicht nur ökonomischen, sondern auch kulturellen Globalisie-
rung definiert wird.29Auch Giulianotti und Robertson warnen davor,
Sportdiffusion mit Modernisierungsprozessen gleichzusetzen und gehen in
ihrem »global globalization model« von dem Konzept der »multiple mo-
dernities« aus, also der Existenz diverser Modernisierungswege in den
Hemisphären, Gesellschaften und Kulturen.30
Ihre Kritik an diffusionistischen und eurozentrischen Modellen ist be-
deutend und die Verständnisversuche der Sportverbreitung sind unabding-
bar für alle weiteren Versuche, das Phänomen des modernen Sportes in der
Welt zu begreifen, jedoch können auch Giulianotti und Robertson regional
Spezifisches nur streifen.31
Eine umfassende Kritik leistet der Sportsoziologe Ben Carrington an den
existierenden Studien zur Verbreitung des modernen Sports. Er kritisiert,
sie betrachteten seine Verbreitung zu sehr aus der Perspektive des Westens
als Ursprungsort des modernen Sportes. Er meint, alle sportdiffusionisti-
schen Theorien nähmen an, die Idee des Sportes entspringe als etwas Mo-
dernes, Rationales dem kolonialen Moment und sei gegensätzlich zum
Irrationalen und Barbarischen, das zeitlich vor der Moderne und räumlich
außerhalb dieser liege.32Er konstatiert weiter:
29
Vgl. G
IULIANOTTI
, Richard/R
OBERTSON
, Roland,
Globalization & Football
, Los
Angeles u. a. 2009, S. 7-14; GIULIANOTTI, Richard, Fußball in Südamerika. Globalisier-
ung, Neoliberalismus und die Politik der Korruption, in: Michael FANIZADEH/Wolfram
MANZENREITER/Gerard HÖLDL/Rosa DIKETMÜLLER(Hg.),
Global Players. Kultur,Ökonomie und Politik des Fußballs
, Frankfurt am Main 2005, S. 159-181, hier 160-167;
DERS., Football, South America and Globalisation, S. 39 ff. Zu den umstrittenen
Periodisierungsfragen der historischen Globalisierung: Vgl. OSTERHAMMEL/PETERSSON,
Geschichte der Globalisierung
, S. 24-27 und für die Hochphase S. 63-86; BAYLY,
DieGeburt der modernen Welt
, S. 59-67; DERS., »Archaic« and »Modern« Globalization in
the Eurasian and African Arena, c.1750-1850, in: Antony G. HOPKINS(Hg.),
Globali-zation in World History
, London u. a. 2002, S. 47-73; Vgl. auch: CONRAD, Sebas-
tian/SACHSENMAIER, Dominic, Introduction. Competing Visions of World Order:
Global Moments and Movements, 1880s-1930s, in: Sebastian CONRAD(Hg.),
Compet-ing Visions of World Order. Global Moments and Movements 1830s-1930s
, New York
2007, S. 1-27, hier 4 f.
30
Vgl. G
IULIANOTTI
u.a.,
Globalization & Football
, S. 1 f. Das Konzept der
»multiple modernities« geht auf den Soziologen Shmuel N. Eisenstadt zurück:
EISENSTADT, Shmuel Noah, Multiple Modernities, in:
Daedalus
129, 2000,
Nr. 1, S. 1-29.
31
Giulianotti und Robertson arbeiten in einem »core-periphery«-Modell:
GIULIANOTTIu. a., Football, South America and Globalisation, S. 41.
32
C
ARRINGTON
,
Race, Sport and Politics
, S. 44 ff. Vgl. auch: T
AYLOR
, Matthew,
Global Players? Football, Migration and Globalization, c. 1930-2000, in: EISENBERG
u.a. (Hg.), Football History: International Perspectives, S. 7-30, hier 13 f. Die Kritik an
dichotomischen Gegenüberstellungen ist seit Saids Orientalism schon länger ein Thema
22
22
Einleitung
The ideological work necessary to produce a de-racialized and gender-
less liberal theory of citizenship is the same work undertaken to fabricate
sport as actually constituting a meritocratic and egalitarian space of ›fair
play‹ and ›level playing fields‹, conflating in its own way sporting myth
with universal truth, the myth of rationality for Modern Sport. Sport's
›power‹ comes as much from the ability of some to exclude others from
rightful participation and ownership as it does from its own ›intrinsic‹
rules and characteristics. The non-sporting ›primitive‹ turns out to be, in
the end, a fiction of the western imagination.33
Carrington kritisiert in diesem Sinne Guttmann, der in einer Studie über die
Entstehung und Konstituierung des modernen Sports grundlegende Eigen-
schaften als Maßstäbe definiert hat, anhand derer sich die »Modernität«
von Sport messen lassen könne.34Neben den Kategorien Säkularismus,
Bürokratisierung, Spezialisierung, Rationalisierung, Quantifizierung und
Rekordorientierung (»Obsession with Records«) legte er den Maßstab der
»Chancengleichheit« (»Equality« in seinem Buch
Games and Empires
) im
Sport zu Grunde, um moderne von prä-modernen Sportarten abzugrenzen.35
Guttmann setzt voraus, grundsätzlich jeder könne an Spielen teilnehmen,
eine Vorauswahl werde allein nach Leistung und Training getroffen, anders
als dies, nach seinem Dafürhalten, noch bei prä-modernen Sportarten ge-
der Geschichtswissenschaften. Die Anwendung Saids auf die Verbreitung des britischen
Sports als Prozess des »cultural borrowings« hat Mangan vorgenommen: Siehe:
MANGAN, The Early Evolution of Modern Sport in Latin America. Ein weiteres Beispiel
ist für den uruguayischen Fußball: BAYCE, Rafael, Cultura, identidades, subjetividades y
esterotipos: Preguntas generales y apuntes específicos en el caso del fútbol uruguayo,
in: ALABARCES, Pablo (Hg.),
Futbologías: fútbol, identidad y violencia en AméricaLatina
, Buenos Aires 2003, S. 163-177.
33
C
ARRINGTON
,
Race, Sport and Politics
, S. 45 f.
34
Die hier erfolgende Kritik an Guttmann folgt der Carringtons: Vgl. ebd., S. 65 f.
Vgl. GUTTMANN, Allen,
Vom Ritual zum Rekord
, Schorndorf 1979; DERS.,
Games andEmpires
.
35
Vgl. G
UTTMANN
, Vom Ritual zum Rekord, S. 35-45. Vgl. auch die Wiederholung
dieser Kategorien in seiner neueren Studie: GUTTMANN,
Games and Empires
, S. 2 f. Zur
Einordnung Guttmanns in die Entwicklung angelsächsischer Sporttheorien von einer
noch eher dependenztheoretischen und neo-marxistischen Perspektive hin zu einer
gramscianischen und dann schon post-strukturalistischen Ausrichtung in den 1990er-
Jahren: Vgl. CARRINGTON, Ben/MCDONALD, Ian (Hg.),
Marxism, Cultural Studies andSport
, London u. a. 2009. Ähnlich ist es bei DaMatta, der noch deterministisch
argumentiert, indem er die Verwirklichung eines politischen Ziels erwartet. Carrington
kritisiert deterministische Analysen allgemein. Er meint, in Sportstudien solle es darum
gehen, die Macht des Sportes für »(verkörperlichte) Emanzipation und Freiheit [zu
untersuchen], aber ohne irgendwelche endlichen Garantien hinsichtlich seiner politi-
schen Wirksamkeit«: Ebd., S. 16.
23Einleitung
23
schehen sei.36Diese Kategorien, so Carrington, begünstigten ein moderni-
sierungstheoretisches Narrativ der Diffusion des modernen Sportes, da sie
dazu einlüden, Regionen, in denen zum Beispiel »Chancengleichheit« nicht
durchgesetzt sei, als nicht modern zu bezeichnen, sie in einem als größer
gedachten System dichotomisch zu hierarchisieren und sie zugleich als
reine »Empfänger« von modernem Sport an die Peripherie eines Sender-
Empfänger-Modells zu stellen. Auf diese Weise träten vor allem auch die
Sender als historische Akteure in den Vordergrund.37
Auch wenn die vorgebrachte Kritik von Carrington an Guttmann richtig
ist, sollen Guttmanns Ansätze und die anderer, ähnlich argumentierender
Autoren hier nicht als unbrauchbar gekennzeichnet werden. Im Gegenteil,
sie schufen Einsichten gerade im Hinblick auf die Diffusion des Sportes im
Zusammenhang mit Machtbeziehungen. Jedoch disqualifiziert Carringtons
Kritik aus meiner Sicht eine Untersuchung der Verbreitung des Fußballs
nach Brasilien als Form des Kulturtransfers, da auf diese Weise zu stark
von fixen räumlichen Einheiten ausgegangen werden müsste, die darüber-
hinaus vergleichend nebeneinander gestellt werden müssten. Auch stünden
dann historische Akteure als Sender und Empfänger an einem Anfangs-
und Endpunkt im Vordergrund.38Die vorliegende Studie folgt den vorange-
gangenen Annahmen und Einordnungen, indem sie in den einzelnen Kapi-
36
G
UTTMANN
,
Vom Ritual zum Rekord
, S. 35-45; Guttmann beachtet selbstverständ-
lich Ausgrenzung nach »Race« und Genderkategorien, jedoch sagt er, dass »Ausschluß
wegen Schichtenzugehörigkeit […] offensichtlich eine Anomalie des modernen Sports«
ist, ebenso »Ausschluß wegen Rasse«: Ebd., S. 41.
37
C
ARRINGTON
,
Race, Sport and Politics
, S. 65 f.
38
Vgl. zur Kritik an vergleichenden Ansätzen: C
ONRAD
, Sebastian, Vergleich, Trans-
fer, transnationale und globalgeschichtliche Perspektiven. Geschichte der Geschichts-
schreibung jenseits des Nationalstaats (am japanischen Beispiel), in: Jan ECKEL/Thomas
ETZEMÜLLER(Hg.),
Neue Zugänge zur Geschichte der Geschichtswissenschaft
,
Göttingen 2007, S. 230-254. Conrad meint, die Transfergeschichte und die transnatio-
nale Geschichte seien nicht scharf voneinander zu trennen: Ebd., S. 251. Einer der
ersten, der die Nationalfixiertheit in der komparatistischen Sozialgeschichte kritisiert
hat, ist wohl Michel Espagne. Siehe dazu: PAULMANN, Johannes, Internationaler Ver-
gleich und interkultureller Transfer. Zwei Forschungsansätze zur europäischen
Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, in:
Historische Zeitschrift
, 1998, Nr. 267,
S. 649-685, hier 668-671. Zur Problematik der Festlegung von »Ausgangs- und End-
punkten« und Festschreibung nationaler Untersuchungseinheiten in der Transferge-
schichte s.: WERNER, Michael/ZIMMERMANN, Bénédicte, Vergleich, Transfer, Verflech-
tung. Der Ansatz der Histoire Croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in:
Geschichte und Gesellschaft
28, 2002, S. 607-636, hier 614 f. Für eine Kritik an
vergleichenden Ansätzen in der Sportgeschichte siehe: MELO, Victor Andrade de (Hg.),
História comparada do esporte
, Rio de Janeiro 2007.
24
24
Einleitung
teln einigen der existierenden Narrativen für die Ankunft und Verbreitung
des Fußballs in Brasilien kritisch nachspürt.39
Zugleich entspricht das geschilderte Verbreitungs-Narrativ der eigenen
Logik und Rede der hier im Fokus stehenden historischen Akteure: Fuß-
baller, Wissenschaftler, Sportjournalisten, Politiker und Sportfunktionäre
aus Rio de Janeiro und São Paulo betrachteten Anfang des 20. Jahrhunderts
den Sport zunehmend als ein Mittel, um Brasilien als Teil der »zivilisierten
Welt« Anerkennung zu verschaffen. Sportlicher Habitus (Amateurideal)
und die Befolgung sportlicher Regeln wurde von diesen Akteuren diskursiv
als Zeichen für Modernität und »Zivilisierung« konstruiert. Der Diskurs
diente als Grundlage für Ausgrenzungen und Hierarchisierungen, so zum
Beispiel in beiden Städten für soziale und rassistische Exklusion von Afro-
Brasilianern aus Fußballvereinen. Er diente der Verhandlung »rassischer«
Identität in Beziehung zu nationaler Identität. Paulistaner Sporteliten bot er
Argumente für eine regionale Hierarchisierung in der Darstellung São
Paulos als »weiß«, modern, fortschrittlich und überlegen gegenüber einem
»rückständigen« Rio de Janeiro oder gar anderen Regionen in Brasilien,
oder für die Repräsentation Brasiliens als »zivilisierter Nation« nach außen
bei internationalen Spielen.40Alle genannten Differenzierungsversuche
geschahen unter transnationalen Bezugnahmen.
Wenn die folgende Untersuchung in die Forschungsrichtung transnatio-
naler Geschichte eingebettet wird, erfolgt die Betrachtung des Untersu-
chungsgegenstandes aus der
Perspektive
sowohl von Transnationalität als
auch von Globalisierung. Beide Konzepte bilden keine Theorie-
Untersätze.41Hinsichtlich des Identitätsbegriffes wird eine Entstehung von
39
Für den brasilianischen Fall haben einige Autoren den Fußball als einen
gesellschaftlichen Bereich kategorisiert, in dem demokratische und egalitäre Werte
gültig seien, anders als in anderen gesellschaftlichen Bereichen in Lateinamerika. So der
Anthropologe Roberto DaMatta, der den Fußball, an seine emanzipatorische Wirkung
glaubend, sogar einmal als »Schule der Demokratie« bezeichnete: Vgl. DAMATTA,
Roberto, »O futebol é a maior escola de democracia« (Interview), in:
Revista deHistória da Biblioteca Nacional
1, Nr. 7, S. 42-47; DERS.,
A bola corre mais que oshomens: duas copas, treze crônicas e três ensaios sobre futebol
, Rio de Janeiro 2006,
S. 139; DERS., Antropologia do óbvio: um ensaio em torno do significado social do
futebol brasileiro, in:
Revista USP
,
Dossiê futebol
, São Paulo Juni/August 1994, Nr. 22,
S. 14-40. Kritisch hierzu: SUSSEKIND, Hélio Carlos,
Futebol em dois tempos: incluindouma breve história do futebol carioca e uma ficção; crônica póstuma inédita de NelsonRodrigues
, Rio de Janeiro 1996.
40
Vgl. Kapitel 2-4 der vorliegenden Arbeit.
41
Hierbei stütze ich mich auf folgende Ausführungen zum Ansatz der transnationalen
Geschichte als Perspektivenerweiterung: CONRADu.a., Globalgeschichte, Globalisie-
rung, multiple Modernen, S. 21 f.; CONRAD, Sebastian/OSTERHAMMEL, Jürgen, Einlei-
25Einleitung
25
Identitäten
durch
Austausch und globale Bezugnahmen angenommen.
Damit folgt die Studie der Kritik von Sebastian Conrad an den Methoden
der Vergleichsgeschichte und der »histoire croisée«: Bei beiden bestehe
»[…] die Gefahr, substantielle Identitäten vorauszusetzen, statt ihre perfor-
mative Entstehung in der Praxis der Interaktion zu lokalisieren.«42In Orien-
tierung an Kiran Patel wird außerdem davon ausgegangen, dass »trans-
nationale Geschichte« keine Perspektive bildet, die den Nationalstaat und
seine Bedeutung überwinden soll, vielmehr stehen Beziehungen und Ver-
flechtungen im Vordergrund, die über den Nationalstaat hinausgehen, im-
mer aber auch auf ihn Bezug nehmen oder sich von ihm abgrenzen, deren
Mittel- und Bezugspunkt der Nationalstaat also bleibt.43
Historiker und Historikerinnen sind sich inzwischen einig: Die Welt er-
lebte seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des
Ersten Weltkrieges eine vorher ungekannte Dichte globaler Verflechtung
und globalen Austausches, ermöglicht vor allem durch technologische
Revolutionen im Bereich des Personen- und Gütertransportes und der
Nachrichten- und Informationsübermittlung.44Für viele Menschen entfal-
tete sich diese Veränderung in einer wahrgenommenen Zeit- und
Raumkompression unter dem Eindruck, räumlich ferne Ereignisse hätten
direkte Auswirkungen auf ihr unmittelbares Umfeld. Erlebbar war diese
Verdichtung besonders für die Menschen, die Teil der großen transatlanti-
schen Migrationsströme waren, von denen viele aus Europa, Asien und
arabischen Ländern auch nach Brasilien kamen. Einen Teil dieses Austau-
sches bildete außerdem die Herausbildung internationaler, nicht-staatlicher
Organisationen, die normative Uniformierungen vornahmen, Dienstleistun-
gen anboten oder Wirtschaftsaktivitäten unternahmen. Ihre Mitglieder
tung, in: D
IES
. (Hg.),
Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt1871-1914
, Göttingen 2004, S. 7-27, hier 13 f.; PATEL, Kiran Klaus,
Nach derNationalfixiertheit. Perspektiven einer transnationalen Geschichte
, (Öffentliche
Vorlesungen der Humboldt-Universität zu Berlin 128, 12. Januar 2004) Berlin 2004;
Vgl. auch die Diskussionen auf der Online-Plattform H-Soz-u-Kult zu den
Möglichkeiten und Grenzen der transnationalen Geschichte: z. B. MEISSNER, Jochen,
Die Tradition der »Area Studies« und die Perspektiven neuer Formen transnationaler,
transkultureller, postkolonialer und globaler Geschichtsschreibung, in:
H-Soz-u-Kult
,
16.3.2005, URL: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/2005-03-003> (abgeru-
fen am: 25.3.2009); Siehe auch Coopers fundamentale Kritik an dem Begriff
»Globalisierung«: COOPER, Was nützt der Begriff der Globalisierung?
42
C
ONRAD
, Vergleich, Transfer, transnationale und globalgeschichtliche Perspekti-
ven, S. 250.
43
P
ATEL
,
Nach der Nationalfixiertheit
, S. 11.
44
Vgl. O
STERHAMMEL
/P
ETERSSON
,
Geschichte der Globalisierung
, S. 63-70.
26
26
Einleitung
entstammten unterschiedlichen regionalen Kontexten, wiesen oftmals aber
durch denselben spezifischen Tätigkeitsbereich große biografische Ge-
meinsamkeiten auf.45
Teil dieser institutionellen Globalisierung war der moderne Sport, so als
Baron Pierre de Coubertin und weitere adlige Europäer die olympische
Bewegung begründeten.46Auch die Gründer der FIFA im Jahre 1904 waren
europäische, weiße Männer, die von Paris aus mit dem Anspruch auftraten,
den Fußball und seine Regeln uniformieren und global lenken zu wollen.47
Beide Gründungen waren transnationale Organisationen; der durch die
Begründer ausgelöste Enthusiasmus, die damit einhergehenden Austausch-
beziehungen, eine transnationale Bewegung.
In einem weiteren Sinne wird in der vorliegenden Arbeit der Begriff ei-
ner »transnationalen Sportgemeinschaft« verwendet. Damit wird angenom-
men, brasilianische Sportler, Sportjournalisten und Sportfunktionäre waren
in eine über die Nation hinausgehende Diskursgemeinschaft eingebunden,
in der sie über die Presse mit dem Sport zusammenhängende Codes und
Symbole verhandelten. In dem Begriff ist gleichzeitig auch angelegt, dass
diese Diskurse niemals losgelöst von der lokalen, regionalen und nationa-
len Ebene geführt wurden.48
In zweifacher Hinsicht bestand eine Einbindung der genannten Akteure
in eine transnationale Sportgemeinschaft. Erstens organisatorisch über die
Einbindung brasilianischer Sportfunktionäre in internationale Sportorga-
nisationen, die auch als transnationale Nicht-Regierungsorganisationen
45
G
EYER
, Martin H., The Mechanics of Internationalism, in: D
ERS
./Johannes
PAULMANN(Hg.),
The Mechanics of Internationalism: Culture, Society, and Politicsfrom the 1840s to the First World War
, Oxford u. a. 2001, S. 1-25, hier 22.
46
O
STERHAMMEL
,
Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts
,
München 2009, S. 732. Zum IOC: Vgl. KEYS,
Globalizing Sport
, S. 28-35; EISENBERG,
Christiane, The Rise of Internationalism in Sport, in: GEYERu.a. (Hg.),
The Mechanicsof Internationalism
, S. 375-403.
47
K
EYS
,
Globalizing Sport
, S. 50 f.; E
ISENBERG
u.a. (Hg.),
FIFA 1904-2004
,
S. 58-62. Die FIFA trat mit einem Alleinvertretungsanspruch auf, war allerdings im
ersten Jahrzehnt in Bezug auf die Universalisierung der Fußballregeln von dem
britischen
International Football Association Board
abhängig. Erst die Zeit nach dem
Ersten Weltkrieg brachte der FIFA und anderen internationalen Sportverbänden eine
stärkere Machtposition. Gegenüber dem IOC trat die FIFA mit der Forderung auf, einen
eigenen Fußballwettbewerb auszurichten und verwirklichte dieses Anliegen 1930,
obgleich zu diesem Zeitpunkt weder von einer globalen Organisation noch von einem
globalen Wettbewerb gesprochen werden konnte: KEYS,
Globalizing Sport
, S. 44-45
und 51-52.
48
Auf diese Charakteristik des Hochleistungssportes in Abgrenzung zum Massen-
sport hat Barbara Keys hingewiesen: Vgl. KEYS,
Globalizing Sport
, S. 11 f.
27Einleitung
27
charakterisiert werden können.49Auch wenn der 1916 gegründete brasilia-
nische Nationalverband und die verschiedenen Lokalverbände, die an die
FIFA angeschlossen waren, personell stark mit der brasilianischen Regie-
rung und lokalen politischen Eliten verbunden waren, entstanden hier Dia-
loge und Austauschmechanismen, die über den Nationalstaat hinausgingen.
Zweitens manifestierte sich die Transnationalität des brasilianischen Fuß-
balls vor 1930 in der starken Interdependenz zwischen Fußballverbreitung
und -begeisterung und der sich ausdifferenzierenden und ausdehnenden
Medienlandschaft, also der Tagespresse und Zeitschriften.50
Die ersten Fußballenthusiasten waren nicht ausschließlich Söhne der
oligarchischen Eliten, die durch ihre traditionell in Europa absolvierte
Ausbildung mit dem Fußball in Kontakt gekommen waren, sondern auch
Angehörige einer langsam entstehenden, urbanen Mittelschicht. Sie waren
eine schon bedeutende, wenn auch Anfang des 20. Jahrhunderts in Bezug
auf Selbstwahrnehmung und Zusammengehörigkeitsgefühl sehr diffuse
Akteursgruppe für die Verbreitung kultureller Phänomene wie dem Fuß-
49
Vgl. zum politikwissenschaftlichen Verständnis transnationaler Organisationen:
CLAVIN, Patricia, Defining Transnationalism, in:
Contemporary European History
14,
2005, Nr. 4, S. 421-439, hier 425. Für eine begriffsgeschichtliche Herleitung und
Definition des Begriffes »transnational« siehe auch den Eintrag im »Dictionary of
Transnational History«: SAUNIER, Pierre-Yves, Transnational, in: Akira IRIYE/ Pierre-
Yves SAUNIER(Hg.),
The Palgrave Dictionary of Transnational History
, Basingstoke u.
a. 2009, S. 1047-1054; Zu transnationalen Nicht-Regierungsorganisationen siehe auch:
IRIYE, Akira,
Global Community: The Role of International Organizations in the Ma-king of the Contemporary World
, Berkeley u. a. 2004; BOLI, John/THOMAS, George M.,
Introduction, in: DIES. (Hg.),
Constructing World Culture: International Nongovern-mental Organizations Since 1875
, Stanford, Calif. 1999, S. 1-49. Die Gegenüber-
stellung von international und transnational und entsprechend von staatlich und nicht-
staatlich trügt jedoch, denn international meinte in der Historiografie lange auch schon
die Einbeziehung nicht-staatlicher Akteure: PATEL,
Nach der Nationalfixiertheit
, S. 7 ff.
Siehe auch im Band von Geyer: GEYERu.a. (Hg.),
The Mechanics of Internationalism.
Und da entsprechend für den Sport: EISENBERG, The Rise of Internationalism in Sport
.
Auch: HOBERMAN, John, Toward a Theory of Olympic Internationalism, in:
Journal ofSport History
22, 1995, Nr. 1, S. 1-37.
50
So zum Beispiel der Journalist Casper Líbero, der 1918 mit finanzieller Hilfe
wichtiger Politiker der Republikanischen Partei die Tageszeitung »A Gazeta« aus São
Paulo übernahm und die Grundsteine dafür legte, dass sie mit der
Gazeta Esportiva
zu
einer der bedeutendsten Sportmedien des 20. Jahrhunderts in Brasilien wurde. 1925
führte er zum Beispiel den jährlich stattfindenden Silvesterlauf nach französischem
Beispiel in São Paulo ein: Vgl. STYCER, Mauricio,
História do Lance!: projeto e práticado jornalismo esportivo
, São Paulo 2008; Vgl. auch EISENBERG, Christiane,
Medienfußball. Entstehung und Entwicklung einer transnationalen Kultur, in:
Geschichte und Gesellschaft
31, 2005, S. 586-609, hier 589 ff.
28
28
Einleitung
ball.51In ihrer Suche nach Abgrenzung nach unten gegen Arbeiter und zu-
gleich gegen die Gruppe der
bacharéis
– meist studierte Söhne reicher
Familien, die durch ihre Titel Privilegien und gesellschaftlichen Status
genossen und in die öffentliche Verwaltung strömten – bot der Fußball ein
exzellentes Orientierungsinstrument. In den sich neu gründenden Zeit-
schriften wetterten Journalisten und hygienisch und sozialdarwinistisch
argumentierende Schriftsteller und Mediziner gegen die »Körperlosigkeit«
der
bacharéis
im 19. Jahrhundert, gegen ihr rachitisches und krankes
Aussehen, und propagierten ein neues Körperbild des muskelgestählten,
gesunden und körperbewussten, zugleich aber geistvollen Mannes (und
auch der Frau). Nach unten gelang diese Abgrenzung anfangs über einen
expliziten Ausschluss von Arbeitern aus Klubs und Ligen, später über die
rigide Verteidigung des Amateurethos.52
Weil diese jungen Pioniere ein großes Interesse daran besaßen, ihre und
die gesellschaftliche Position des Sportes zu festigen, sich als rechtmäßige
Vertreter einer Sportart und ihrer Regelauslegung zu etablieren, kam ihnen
zugute, dass sich auf der anderen Seite auch die ausdifferenzierende Presse
in den großen Städten für dieses noch junge kulturelle Phänomen interes-
sierte.53Die hohe Affinität von Medien zum Sport, die sich laut Eisenberg
transnational seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts beobachten lässt, liegt
an dem hohen Unterhaltungswert, den Sport als alltägliches Phänomen
bot.54Ihn boten oftmals auch die jungen Sportler selbst, als bekannte Per-
sönlichkeiten der urbanen Elite.55Fußball war also zugleich ein idealer
51
Die Abgrenzung einer »Mittelklasse« von den traditionellen oligarchischen Eliten
auf der einen und Land- und Fabrikarbeitern auf der anderen Seite kann in den beiden
Städten Rio de Janeiro und São Paulo ab 1900 vorgenommen werden. Owensby spricht
hier von einer noch etwas diffusen und nicht unbedingt sich selbst als homogene Klasse
identifizierenden Gruppe von Stadtbewohnern, die nicht-manuellen Tätigkeiten nach-
ging (
colarinho-branco
), wie zum Beispiel Ladenbesitzern, einfachen kaufmännischen
Angestellten und aufstiegsorientierten Händlern sowie Studenten von Fächern der freien
Berufe. Sogar Industrielle konnten sich als Angehörige dieser diffusen Gruppe sehen:
Vgl. OWENSBY, Brian Philip,
Intimate Ironies: Modernity and the Making of Middle-Class Lives in Brazil
, Stanford, Calif. 1999, S. 26-35.
52
Vgl. P
EREIRA
,
Footballmania, S. 41-55
; O
WENSBY
,
Intimate Ironies
S. 22-26 und
31 ff. Zum
bacharelismo
s.: ADORNO, Sérgio,
Os aprendizes do poder: o bacharelismoliberal na política brasileira
, Rio de Janeiro 1988.
53
E
ISENBERG
, Medienfußball, S. 589 ff.; H
OLLANDA
, Bernardo Borges Buarque de,
O descobrimento do futebol: modernismo, regionalismo e paixão esportiva em JoséLins do Rego
, Rio de Janeiro 2004, S. 128-156.
54
E
ISENBERG
, Medienfußball.
55
Kurioserweise richteten sich die ersten größeren Sportmagazine in São Paulo und
Rio de Janeiro vor allem an Frauen. Neben Spielabläufen berichteten sie über das Leben
29Einleitung
29
Gegenstand für die Medienlandschaft Anfang des 20. Jahrhunderts in den
großen Städten, die einem sich stark verändernden Markt und Publikum ge-
recht werden und die Schnelllebigkeit des urbanen Raumes abbilden
wollte.56
Die Ausdifferenzierung der Medienlandschaft hing auch mit den tiefgrei-
fenden sozialen Umwälzungen in den Städten zusammen. Gerade die
Presse mit ihren neuen Genrebildungen bot sich für die Aushandlung von
Identitäten an. Am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts exis-
tierte keine homogene Vorstellung einer nationalen brasilianischen Identi-
tät, eher befanden sich unterschiedlichste gesellschaftliche und regionale
Gruppen in einem Prozess ihrer Verhandlung und Erfassung. Eine homo-
gene Identität, die einer europäischen ähnlich sei, war ein nie erreichtes
Ideal zumeist »weißer« Eliten, wie Jeffrey Lesser argumentiert.57Die Reali-
tät habe immer anders ausgesehen: Europäische und nicht-europäische Ein-
wanderer, ehemalige Sklaven, »mestiços« suchten Ende des 19. Jahrhun-
derts, zu dem Zeitpunkt an dem diese Studie ansetzt, einen Platz in der
Gesellschaft, oder Eliten versuchten, ihnen einen Platz zuzuweisen.58
Eine Bestandsaufnahme der bisherigen Studien zur brasilianischen Fuß-
ballgeschichte ergibt: Kaum eine Studie hat sich in einem über die Nation
hinausgehenden Kontext mit der Geschichte des Fußballs und der Ver-
handlung nationaler Identität befasst. Dabei zeigt sich schon bei einem nur
in den elitären Klubs und besondere gesellige Anlässe im Zusammenhang mit dem
Sport, wo sich die urbane Elite versammelte.
56
Zur Medienlandschaft in Brasilien Anfang des 20. Jahrhunderts: Vgl. B
ARBOSA
,
Marialva,
História cultural da imprensa: Brasil, 1900-2000
, Rio de Janeiro 2007,
S. 1-101; MARTINS, Ana Luiza/LUCA, Tania Regina de (Hg.),
História da imprensa noBrasil
, São Paulo 2008. Speziell zu Zeitschriften in São Paulo in der Ersten Republik:
MARTINS, Ana Luiza,
Revistas em revista: imprensa e práticas culturais em tempos derepública
,
São Paulo (1890-1922)
, São Paulo 2001; CRUZ, Heloisa de Faria,
São Pauloem papel e tinta: periodismo e vida urbana, 1890-1915
, São Paulo 2000. Zur
Entstehung der Sportchronik: RAMADAN, Maria Ivoneti B., Crônica de Futebol: um
subgênero, in:
Pesquisa de Campo
5, 1995, S. 45-68; BOTELHO, Da geral à tribuna.
57
L
ESSER
, Jeffrey Howard,
A negociação da identidade nacional: imigrantes,minorias e a luta pela etnicidade no Brasil
, São Paulo 2000, S. 17-35. Zur Konstruktion
nationaler Identität durch Intellektuelle und Schriftsteller der 1870er-Generation siehe:
OLIVEIRA, Lúcia Lippi,
A questão nacional na Primeira República
, São Paulo 1990.
Entsprechend für die Konstruktion regionaler Identität durch intellektuelle Eliten in São
Paulo: FERREIRA, Antonio Celso,
A epopéia bandeirante: letrados, instituições,invenção histórica (1870-1940)
, São Paulo 2002.
58
L
ESSER
,
A negociação da identidade nacional
, S. 17-35
.30
30
Einleitung
oberflächlichen Blick auf die Quellen, dass selbst bei lokalen und nationa-
len Spielen Bezüge auf andere Länder und Regionen konstant waren.59
Zugleich spielte in Rio de Janeiro, mehr noch in São Paulo, die
Multiethnizität der brasilianischen Bevölkerung eine bedeutende Rolle für
den Fußball, da sich Klubs entlang ethnischer und »rassischer« Markierun-
gen gründeten. Auch hier entstanden im Zuge der Popularisierung Kon-
flikte und Kämpfe im Sportraum, die Aufschluss über identitäre Konstruk-
tionen in einer multiethnischen Gesellschaft geben können. In diesen
Verhandlungen über regionale und nationale Identität in der transnationalen
Sportgemeinschaft wurde immer auch die Kategorie »Rasse« mitverhan-
delt.
Die oben erfolgte Auswertung von Literatur aus der internationalen
Sportgeschichte stützt eine aus der Globalgeschichte informierte, räumlich
offene Herangehensweise, die neue Einsichten in die Konstruktion von
Identitäten bringen kann. Der Studie liegt ein Identitätsbegriff im Sinne
Bernhard Giesens zu Grunde, demzufolge Identitäten als konstruiert ver-
standen werden.60
59
Als Ausnahme macht der Historiker Gregg Bocketti die Ergiebigkeit einer
transnationalen Perspektive für die brasilianische Fußballgeschichte offensichtlich. Er
untersucht die fragile ethnische Identität von Söhnen italienischer Immigranten, die
Anfang 1931 Brasilien verließen, um als
rimpatriati
(eingebürgerte Italiener) für einen
römischen Verein als Profis zu spielen: BOCKETTI, Greg P., Italian Immigrants, Brazi-
lian Football, and the Dilemma of National Identity, in:
Journal of Latin AmericanStudies
40, 2008, S. 275-302.
60
Vgl. G
IESEN
, Bernhard,
Kollektive Identität
, Frankfurt am Main 1999. Über die
soziale Konstruiertheit von (nationalen) Identitäten besteht inzwischen weitestgehend
Konsens: Vgl. aus historischer Perspektive: HOBSBAWM, Eric J./RANGER, Terence
(Hg.),
The Invention of Tradition
, London 1985; ANDERSON, Benedict,
Die Erfindungder Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzeptes
, erw. Neuausg. Frankfurt am
Main 1996. Zur Konstruktion »rassischer« und ethnischer Identitäten in Lateinamerika
siehe etwa: WADE, Peter,
Race and Ethnicity in Latin America
, London 2010. Grundle-
gend zum Identitätsbegriff sind auch die Beiträge in einem Sammelband von Aleida
Assmann und Heidrun Friese: Vgl. insbes. STRAUB, Jürgen, Personale und kollektive
Identität. Zur Analyse eines theoretischen Begriffs, in: Aleida ASSMANN/Heidrun
FRIESE(Hg.),
Identitäten (Erinnerung, Geschichte, Identität, 3)
, Frankfurt am Main
1998, S. 73-104. Trotz vielfach geäußerter Kritik am Identitätsbegriff als wissenschaft-
lichem Analyseinstrument wird hier an ihm festgehalten. Zur Kritik: Vgl. NIETHAMMER,
Lutz,
Kollektive Identität. Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur
, Reinbek
bei Hamburg 2000. Vgl. auch die Sammelrezension von Uffa Jensen zu
Identitäten
:
JENSEN, Uffa, Rezension zu: Aleida ASSMANN/Heidrun FRIESE(Hg.), Identitäten.
Frankfurt am Main 1998, in:
H-Soz-u-Kult
, 19.11.2000, URL: <http://hsozkult.
geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=3959> (abgerufen am: 25.3.2009); DERS.,
Rezension zu: Niethammer, Lutz, Kollektive Identität. Heimliche Quellen einer
unheimlichen Konjunktur, Reinbek bei Hamburg 2000, in:
H-Soz-u-Kult
, 19.11.2000,
31Einleitung
31
Giesen sieht kollektive Identität so, dass Menschen soziale Situationen,
die sie als unveränderlich und oftmals selbst gar nicht als konstitutiv wahr-
nehmen, wie Rang, Status, Ressourcenverteilung, situationsabhängig kodi-
fizieren. Nach Giesen gibt es drei Codes nach denen Menschen Grenzen
ziehen, er unterscheidet zwischen primordialen, traditionalen und univer-
salistischen Codes. Mit situativen Bedingungen kollektiver Identität meint
er »Umstände, die jenseits der Verfügung der beteiligten Akteure liegen,
aber dennoch die gemeinsame Herstellung von Grenzen nachdrücklich
beeinflussen«.61Kollektive Identität werde aber nicht nach einem dieser
Idealtypen von Codes und Situationen konstruiert, sondern meistens
können mehrere dieser Typen zutreffend sein. Eine Gemeinschaft könne
sich also sowohl auf primordiale Merkmale wie Religion und Geschlecht
beziehen und zugleich auf eine gemeinsame Tradition oder sie könne eine
zukunftsverheißende universale Ordnung propagieren. Kollektive Identität
sei dabei weitaus fragiler als personale Identität, da, so Giesen,
»individuelle Personen ihre körperliche Existenz als selbstverständlich
gegeben betrachten können«, während »Grenzen zwischen Angehörigen
und Außenstehenden im Falle sozialer Bewegungen nur über die
Konstruktion kollektiver Identität bestimmbar« seien.62Es erscheint
naheliegend, im Folgenden von Identitäten statt Identität zu sprechen, um
dem Umstand gerecht zu werden, dass sich soziale Akteure situations-
abhängig ganz unterschiedlichen Gemeinschaften zurechnen können.63
Übertragen auf den Zusammenhang von Fußball und Identitäten lassen
sich Vorbehalte gegenüber einer zu leichtfertigen Annahme ausdrücken,
dass sich eine Gemeinschaft über den Fußball ausschließlich und homogen
zu einer bestimmten kollektiven Identität, nämlich zur Nation, bekennt und
der Fußball auf diese Weise diesem Kollektiv immer wieder dazu dient,
sich über sich selbst bewusst zu werden und wiederum anderen Kollektiven
(Nationen) dieses Selbstbewusstsein deutlich zu machen. Diese Annahme
würde darauf hinauslaufen, alle Selbstdarstellungen nach einem solchen
Entstehungsmuster nationaler kollektiver Identität zu untersuchen. Einmal
gefunden, wäre es zu leicht, alle Bezüge auf die Nation im Fußball immer
URL:<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=3959> (abgerufen
am:
25.3.2009).
61
G
IESEN
,
Kollektive Identität
, S. 69.
62
G
IESEN
,
Kollektive Identität
, S. 118.
63
Das legen die Beiträge im Sammelband von Aleida Assmann und Heidrun Friese
nahe. Vgl. etwa: BAUMANN, Gerd, Ethnische Identität als duale diskursive Konstruk-
tion. Dominante und demotische Identitätsdiskurse in einer multiethnischen Vorstadt
von London, in: ASSMANNu.a. (Hg.),
Identitäten
, S. 288-313.
32
32
Einleitung
auf diese eine angenommene kollektive Identität zurückzuführen und diese
damit gleichsam zu essentialisieren.64
Wir haben es im Untersuchungszeitraum und an den Untersuchungsorten
mit einer multi-ethnischen Gesellschaft zu tun, in der sich verschiedene
Gruppen auf der Suche nach nationaler, aber auch regionaler und »rassi-
scher« Identität befanden, mit den damit verbundenen unterschiedlichen
sozialen Situationen und Kodifizierungen. Diese Gruppen konnten sich in
ihren Äußerungen auf mehrere kollektive Identitäten gleichzeitig beziehen,
beispielsweise auf die Nation und die Region. Zugleich konnten verschie-
dene Gruppen unter der Herstellung völlig unterschiedlicher Bezüge, eine
»Vorstellung« derselben kollektiven Identität entwerfen. Im Hinblick auf
diese Schwierigkeiten ist es wichtig, auf die Offenheit der Kategorie Iden-
tität zu verweisen, die in der vorliegenden Untersuchung durch drei quer
durch die Arbeit verlaufende Analyseachsen berücksichtigt wird. Das sind
die Kategorien »Rasse«, Region und Nation.
FORSCHUNGSSTAND
Sport ist in den letzten Jahren häufig Gegenstand von globalhistorisch und
transnational angelegten Studien geworden, vor allem in den USA und
Großbritannien.65
Für die Geschichte des Fußballs in Brasilien existieren keine Studien, in
denen der Faden der hierzulande populären Globalgeschichte und transna-
tionalen Geschichte aufgenommen worden wäre.66Die vermehrt in den
letzten zwanzig Jahren entstandenen wissenschaftlichen historischen Ar-
beiten zum Fußball konzentrieren sich auf klassische sozialhistorische
Themen, auf die Frage nach »Rasse«, Klasse und Nation in einer nationalen
64
Eine neue Herausforderung für die Identitätsdebatte entsteht durch das Denken der
Konstruktion von transnationalen Identitäten und sogar transnationalen Öffentlichkei-
ten: Vgl. KAELBLE, Hartmut/KIRSCH, Martin/SCHMIDT-GERNIG, Alexander, Zur
Entwicklung transnationaler Öffentlichkeiten und Identitäten im 20. Jahrhundert. Eine
Einleitung, in: DIES. (Hg.),
Transnationale Öffentlichkeiten und Identitäten im20. Jahrhundert
, Frankfurt/New York 2002, S. 7-36.
65
Ein Beispiel ist die Studie der Historikern Barbara Keys, die in einer transnationa-
len Perspektive Sport als Mittel der Diplomatie und Außendarstellung in den 1930er-
Jahren durch die USA, die Sowjetunion und Deutschland unter dem Nationalsozialis-
mus betrachtet hat: Keys,
Globalizing Sport
.
66
Auch der brasilianische Sporthistoriker Victor de Melo plädiert für eine Berück-
sichtigung transnationaler und globalhistorischer Ansätze in der brasilianischen Sport-
geschichte und verweist auf Forschungsdesiderate: MELO(Hg.),
História comparada doesporte
, S. 17.
33Einleitung
33
oder lokalen Perspektive oder geben einen synthetisierenden Überblick.67
Vor allem der Zusammenhang zwischen Fußball und der Konstruktion
nationaler Identität war ein bevorzugtes Thema vergangener Forschung.68
Eine für die vorliegende Arbeit grundlegende Studie ist die Sozialge-
schichte des Fußballs in Rio de Janeiro von Leonardo Pereira, der die bis
dahin anekdotische, teilweise positivistische und wenig quellenbasierte
Geschichtsschreibung des Fußballs in Brasilien kritisierte und in einer
empirisch fundierten und differenzierten Verbindung von Kultur- und
Sozialgeschichte die Aneignung und Popularisierung des Fußballs in Rio
de Janeiro darstellte.69Tatsächlich haben bis in die 1990er-Jahre vor allem
Forscherinnen und Forscher der Sozialwissenschaften und Anthropologie
Fußball zum Forschungsgegenstand gemacht, dabei aber eher eine gegen-
wartsbezogene Perspektive eingenommen.70
Historische Darstellungen des Fußballs beschränkten sich lange auf sol-
che von Journalisten der großen Tageszeitungen aus São Paulo und Rio de
Janeiro, die über ihn in Form historischer Chroniken schrieben.71Diese
67
Vgl. C
ALDAS
, Waldenyr,
O pontapé inicial: memória do futebol brasileiro (1894-1933)
, São Paulo 1990; FRANCOJÚNIOR, Hilário,
A dança dos deuses: futebol, cultura,sociedade
, São Paulo 2007; FRANZINI, Fábio,
Corações na ponta da chuteira: capítulosiniciais da história do futebol brasileiro (1919-1938)
, Rio de Janeiro 2003; HOLLANDA,
O descobrimento do futebol
; Teixeira DASILVA, Francisco Carlos/SANTOS, Ricardo
Pinto dos (Hg.),
Memória social dos esportes – Futebol e política: a construção de umaidentidade nacional
, Rio de Janeiro 2006.
68
Vgl. nur einige Publikationen zur Geschichte des südamerikanischen Fußballs, wo
dies schon im Titel deutlich wird: ARCHETTI, Eduardo P., In Search of National
Identity: Argentinian Football and Europe, in: J. A. MANGAN(Hg.),
Tribal Identities:Nationalism, Europe, Sport
, London 1996, S. 201-219; BOCKETTI, Italian Immigrants;
DERS., Playing with National Identity: Brazil in International Football, 1900-1925, in:
Hendrik KRAAY(Hg.),
Negotiating Identities in Modern Latin America
, Calgary 2007,
S. 71-89; KARUSH, Matthew B., National Identity in the Sports Pages: Football and the
Mass Media in 1920s Buenos Aires, in:
The Americas
60, Juli 2003, Nr. 1, S. 11-32;
LEITELOPES, José Sérgio, Transformations in National Identity through Football in
Brazil: Lessons from Two Historical Defeats, in: MILLERu. a. (Hg.),
Football in theAmericas
, S. 75-93; ANTUNES, Fátima Martin Rodrigues Ferreira,
»Com brasileiro, nãohá quem possa!«: futebol e identidade nacional em José Lins do Rego, Mário Filho eNelson Rodrigues
, São Paulo 2004.
69
Vgl. P
EREIRA
,
Footballmania
.
70
Vgl. eine der ersten und grundlegenden Veröffentlichungen zum Fußball in
Brasilien: DAMATTA, Roberto/GUEDES, Simoni Lahud/FLORES, Luiz Felipe Baêta
Neves/VOGEL, Arno (Hg.),
Universo de Futebol
, Rio de Janeiro 1982. Siehe auch die
Beiträge in einer Sonderausgabe der
Revista USP
:
Revista USP
,
Dossiê futebol
, São
Paulo Juni/August 1994, Nr. 22. Siehe auch die soziologische Studie von LEVER, Janet,
Soccer Madness
, Chicago 1983.
71
F
IGUEIREDO
, Antônio,
História do Foot-Ball em São Paulo
, São Paulo 1918;
SANT'ANNA, Leopoldo,
Supremacia e decadência do futebol paulista
, São Paulo 1925;
34
34
Einleitung
Darstellungen dienen heute als Quellen. Spärlich waren lange historisch
fundierte Beiträge, die meisten bezogen sich unkritisch auf diese histo-
rischen Texte oder das Buch des Journalisten Mário Filho
O Negro nofutebol brasileiro
,72arbeiteten eher unsystematisch oder wenig mit Primär-
quellen oder sind im Bereich der populärwissenschaftlichen Literatur anzu-
siedeln.73Andere wiederum beschäftigten sich mit einzelnen Klubs.74Zu
den hauptsächlich in den Sozialwissenschaften und der Anthropologie
verorteten Studien, kamen in den letzten Jahren eine Reihe von kritischen
historischen Arbeiten.75Darüber hinaus zeugt eine Fülle von kürzlich
erschienen Dissertationen und Magisterarbeiten von der Anerkennung
modernen Sports als Forschungsgegenstand und von der Lebendigkeit des
Forschungsbereiches Fußballgeschichte.76Ein Beispiel für eine verglei-
M
AZZONI
, Thomaz,
História do futebol
, São Paulo 1950; F
ILHO
, Mário,
O negro nofutebol brasileiro
, 4. Aufl., Rio de Janeiro 2003 (1947).
72
Vgl. F
ILHO
,
O negro no futebol brasileiro
. Kritisch und ausführlicher hierzu:
Hollanda,
O descobrimento do futebol
, S. 144-149 und SOARES, Antônio Jorge, História
e a invenção de tradições no futebol brasileiro, in:
Revista Estudos Históricos
13, 1999,
Nr. 23: Esporte e Lazer, S. 119-147.
73
Es gibt unzählige populärwissenschaftliche Bücher, vor allem von Journalisten.
Ein Beispiel in deutscher Übersetzung: BELLOS, Alex,
Futebol: Fussball - Die brasilia-nische Kunst des Lebens
, Berlin 2004. Erste historische und wissenschaftlich fundierte
Ansätze lieferte der Historiker Robert M. Levine: Vgl. LEVINE, Robert M., Sport as a
Dramaturgy for Society: A Concluding Chapter, in: Joseph L. ARBENA(Hg.), Sport and
Society in Latin America: Diffusion, Dependency and the Rise of Mass Culture,
London u. a. 1988, S. 137-146; DERS., Sport and Society: The Case of Brazilian
»futebol«, in: Luso-Brazilian Review 17, 1980, Nr. 2, S. 233-252.
74
So etwa: A
RAÚJO
, José Renato de Campos, Imigração e futebol. O caso Palestra
Itália, São Paulo 2000; NEGREIROS, Plínio José Labriola de Campos,
Resistência erendição: A gênese do Sport Club Corinthians Paulista e o futebol oficial em SãoPaulo
, 1910-1916, unveröffentl. dissertação de mestrado em História, Pontifícia
Universidade Católica de São Paulo, São Paulo 1992.
75
Siehe S
ILVA
, Carlos Leonardo Bahiense da, Sobre o negro no futebol brasileiro, de
Mário Filho, in: TEIXEIRADa SILVAu. a. (Hg.),
Memória social dos esportes
,
S. 287-312; SOARES, Antônio Jorge, Futebol brasileiro e sociedade: a interpretação
culturalista de Gilberto Freyre, in: ALABARCES(Hg.),
Futbologías
, S. 145-162; DERS.,
O Racismo no futebol do Rio de Janeiro nos anos 20: uma história de identidade, in:
Ronaldo HELAL/Antônio Jorge SOARES/Hugo LOVISOLO(Hg.),
A invenção do país dofutebol: mídia, raça e idolatria
, Rio de Janeiro 2001, S. 101-122.
76
Vgl. G
ONÇALVES
J
ÚNIOR
, René Duarte,
Friedenreich e a reinvenção de São Paulo:o futebol e a vitória na fundação da metrópole
, unveröffentl. dissertação de mestrado
Universidade de São Paulo, São Paulo 2008; NEGREIROS, Plínio José Labriola de
Campos,
A nação entra em campo: futebol nos anos 30 e 40
, unveröffentl. dissertação
de doutorado, Pontíficia Universidade Católica de São Paulo, São Paulo 1998;SOUZA,
Denaldo Alchorne de,
O Brasil entra em campo!: construções e reconstruções daidentidade nacional (1930-1947)
, Rio de Janeiro 2008. Vgl. auch die Arbeiten des
historisch arbeitenden Geografen Gilmar Mascarenhas zu Fußball in Rio Grande do Sul:
35Einleitung
35
chende und über die Nation hinausblickende Arbeit über den Fußball in
Südamerika ist die historische Studie von Tony Mason, der allerdings die
südamerikanischen Länder ohne Verknüpfungen nebeneinander stellt.77
Auch der US-amerikanische Historiker Gregg Bocketti hat vergleichend
über die Entstehung und Verbreitung des Sports in Brasilien gearbeitet und
neue Perspektiven auf den Fußball geöffnet.78
Die vorliegende Studie stützt sich in Teilen auf die in den Dissertationen
und Vereinsstudien sowie den grundlegenden Arbeiten von Leonardo
Pereira zusammengetragenen Daten und Einordnungen, grenzt sich aller-
dings in der transnationalen Perspektive und im Blick über die Grenzen von
ihnen ab. Die Herangehensweise an die Konstruktion von Identitäten über
den Fußball bringt divergierende Formen der »Sinnstiftungen« an die Ober-
fläche. Die Vereinnahmungen für divergierende, auch regionale Identitäts-
konstruktionen zeigen, wie politisch Fußball im Untersuchungszeitraum
schon war.
Wie die Arbeiten von Leonardo Pereira für Rio de Janeiro veranschau-
lichen, war Fußball schon vor 1930 äußerst populär und wurde zunehmend
als Nationalsport angesehen. Er weist auch nach, dass Getúlio Vargas 1930
leicht an diese Entwicklungen anknüpfen konnte, um den Fußball politisch
für sein nationales Zentralisierungsprojekt zu nutzen.79Ähnlich argumen-
tiert der Historiker Plínio Negreiros: So habe zum Beispiel die Regierung
die Weltmeisterschaft 1938 in Frankreich als einen »Test der brasiliani-
schen Nation in Europa« betrachtet.80Fußball habe in der Vargas-Ära als
»Bindeglied der nationalen Einheit« fungiert.81
Die vorliegende Studie nimmt hier weitere Differenzierungen vor, denn
schon vor 1930 erkannten Eliten – Journalisten, Sportfunktionäre und
Sportler und selbst das immer größer werdende Publikum – eine politische
M
ASCARENHAS
, Gilmar de Jesus, O futebol da »canela preta«: o negro e a modernidade
em Porto Alegre, in:
ANOS 90. Revista do Programa de Pos-Graduação em História
11, 1999, S. 144-161; DERS.,
A bola nas redes e o enredo do lugar. Uma geografia dofutebol e de seu advento no Rio Grande do Sul
, unveröffentl. dissertação de doutorado
em Geografia Humana, Universidade de São Paulo, São Paulo 2001.
77
R
INKE
, Stefan, Historias del fútbol en América Latina – historias de sociedades y
culturas, in: RIBEIRO, Luiz (Hg.),
Futebol e Globalização
, Jundiaí 2007, S. 187-209,
hier 189; DERS., La última pasión verdadera? Historia del fútbol en América Latina en
el contexto global, in:
Iberoamericana
7, Nr. 27 2007, S. 85-100. Vgl. MASON,
Passionof the People?
78
B
OCKETTI
,
The Creolization
; D
ERS
., Playing with National Identity.
79
Vgl. P
EREIRA
,
Footballmania
, insbes. S. 338.
80
N
EGREIROS
, Futebol nos anos 1930 e 1940, S. 130.
81
Ebd., S. 143.
36
36
Einleitung
Bedeutung des Fußballs. Es waren zwar überwiegend nicht-staatliche Ak-
teure, die im Fußball eine Darstellungsform »nationaler Einheit« oder auch
regionaler Überlegenheitsansprüche sahen, doch waren ihre Handlungen
deshalb nicht weniger politisch. Die brasilianische Regierung unterstützte
Sportfeste und Reisen von Vereinsmannschaften finanziell und über per-
sönliche Verbindungen zwischen der Regierung und diesen nicht-staatli-
chen Akteuren. Und die Medien spielten hier eine Schlüsselrolle, da sie
Fußball einordneten, ihm Sinn zuschrieben und ihn im transnationalen
Kontext verorteten. Das Verständnis des Fußballs als »Bindeglied der
nationalen Einheit« trat also schon weit vor 1930 auf und auch internatio-
nale Fußballbegegnungen fungierten schon seit dem Ende des Ersten Welt-
krieges als Testfelder für die brasilianische Nation oder für regionale Vor-
stellungen nationaler Identität.
Auch das Projekt der Formierung eines »neuen brasilianischen Men-
schen« unter Vargas hat Vorläufer in der Idee der Schaffung einer harmo-
nischen, uniformen
raça brasileira
(»brasilianische Rasse«) über den Fuß-
ball, wie sie vor allem seit dem Ersten Weltkrieg vermehrt formuliert
wurde.82Politische Eliten der Vargas-Ära »erfanden« keine völlig neuen
Zugriffsweisen auf den Sport und die Ideen der Formation eines »neuen
brasilianischen Menschen« und der politischen Nutzung des Sports waren
nicht aus dem Nichts gegriffen. Vielmehr bestand hier eine Kontinuität zu
Entwicklungen und Ideen der 1920er-Jahre, die anschlussfähig für das
Vargas-Regime waren und die Sportfunktionäre in den 1930er-Jahren in-
stitutionell umsetzten.83Die Kontinuität ging über Ideen hinaus und bezog
sich auch auf Akteure, die in den 1930er-Jahren eine Schlüsselrolle im
Zentralisierungs- und Politisierungsprojekt Vargas‘ spielen sollten.
Allerdings gab es hier auch Diskontinuitäten. Das politische Projekt, das
Vargas auch über den Fußball verfolgte, richtete sich in großen Teilen auch
gegen die dezentralen Kräfte der Ersten Republik.84In der vorliegenden
82
Für das Konzept der
raça brasileira
in der ausgehenden Ersten Republik und des
»neuen brasilianischen Menschen« unter Vargas: Vgl. DÁVILA, Jerry,
Diploma debrancura: política social e racial no Brasil 1917-1945
, São Paulo 2006, S. 47-93. Zur
Idee des »neuen brasilianischen Menschen« in Bezug auf Sportpolitik ab 1934: Vgl.
JACKSON, Gregory, The New Brazilian Man: Football, Eugenics and Public Policy,
1934-1946, in: Christina PETERS/Stefan RINKE(Hg.),
Global Play: Football betweenRegion, Nation, and the World in Latin American, African, and European History
,
Stuttgart 2014, S. 143-170.
83
Vgl. J
ACKSON
, The New Brazilian Man.
84
Zu Vargas und Regionalismen siehe: G
OMES
, Ângela Maria de Castro (Hg.),
Regionalismo e centralização política: partidos e constituinte nos anos 30,
Rio de
37Einleitung
37
Studie wird deshalb untersucht, wie Paulistaner Eliten über den Fußball den
Anspruch verfolgten, eine nationale brasilianische Identität nach außen und
innen unter Paulistaner Vorzeichen darzustellen und zu formulieren. Ob-
gleich Vargas gegen diese Fliehkräfte arbeitete und mit der Zentralisierung
eine solche Paulistaner Anspruchsverwirklichung aushebelte, so ist doch
ein wichtiges Ergebnis, dass für die langfristige und nachhaltige diskursive
Konstruktion einer regionalen Paulistaner Überlegenheit der Fußball eine
zentrale Rolle spielte.85
Der letzte Themenbereich kann auch deshalb hier herausgearbeitet wer-
den, weil Quellen aus Rio de Janeiro und São Paulo berücksichtigt werden.
In vorherigen Studien stand oftmals Rio de Janeiro im Vordergrund, was
eine Einschränkung bedeutet, da die Internationalisierung des Fußballs
entschieden auch von Paulistaner Fußballakteuren vorangetrieben wurde.
Es existieren kaum auf ausreichendem Quellenstudium basierende histori-
sche Studien des frühen Fußballs in São Paulo, zumindest keine Arbeit, die
mit Pereiras Sozialgeschichte zu Rio de Janeiro vergleichbar wäre.86Indem
der Blick auf Rio de Janeiro
und
São Paulo gerichtet wird, erfolgt eine
Erweiterung des Zugriffs.
QUELLEN UNDMETHODE
Die weiter oben skizzierte Interdependenz zwischen Presse und Fußball-
diffusion bildet Ausgangspunkt der hier verwendeten Methode. Die Tages-
zeitungen, in denen Sportnachrichten einen immer größeren Platz einnah-
men, und die sportspezifischen Zeitschriften bildeten Sprachrohre sportbe-
geisterter sozialer Akteure aus den Städten Rio de Janeiro und São Paulo.
Janeiro 1980; H
ENTSCHKE
, Jens R. (Hg.),
Vargas and Brazil: New Perspectives
, New
York u.a. 2006.
85
Vgl. zur diskursiven Konstruktion einer Paulistaner Identität in dieser Zeit:
WEINSTEIN, Barbara, Racializing Regional Difference. São Paulo versus Brazil, 1932,
in: Nancy P. APPELBAUM/Karin Alejandra ROSEMBLATT/Anne S. MACPHERSON(Hg.),
Race and Nation in Modern Latin-America
, London 2003, S. 237-262. Siehe auch ihr
kürzlich erschienener Aufsatz zu einer »paulistaner transnationalen Mittelschichtsiden-
tität«: WEINSTEIN, Barbara, Weiß, männlich, Mittelschicht: Regionalismus, Transnatio-
nalismus und Klassenidentität im São Paulo des frühen 20. Jahrhunderts, in: Georg
FISCHER/Christina PETERS/Stefan RINKE/Frederik SCHULZE(Hg.),
Brasilien in der Welt.Region, Nation und Globalisierung 1870-1945
, Frankfurt am Main 2013, S. 320-347.
86
Waldenyr Caldas arbeitet zu São Paulo und Rio de Janeiro, greift jedoch sehr stark
sportpolitische Fragestellungen auf und konzentriert sich vor allem auf die Einführung
des Profi-Fußballs: Vgl. CALDAS,
O pontapé inicial
. Für eine kulturhistorische
Einordnung des Fußballs im São Paulo der 1920er-Jahre siehe: SEVCENKO, Nicolau,
Orfeu extático na metrópole: São Paulo, sociedade e cultura nos frementes anos 20
,
São Paulo 1992, S. 24-73.
38
38
Einleitung
Die Inhalte der Pressetexte gingen weit über Ankündigungen und Berichte
über Spiele hinaus. Mit der zunehmenden Ausdifferenzierung der Presse
und der Popularisierung des Fußballs gab es nun Hintergrundberichte,
Interviews mit Sportlern und – gerade in den 1920er-Jahren – eine viel-
schichtige Berichterstattung über den Zusammenhang von Sport und
Hygiene sowie Sport und Medizin. In Leitartikeln erörterten die wichtigs-
ten Sportjournalisten, angesehene Wissenschaftler und Schriftsteller die
gesellschaftliche Bedeutung des Fußballs, seinen Nutzen und seinen Scha-
den. In Diskussionen, an denen auch Leser teilnahmen, debattierten Sport-
begeisterte über Auswahlen für anstehende Spiele und verhandelten auf
diesem Wege über Vorstellungen, wie ihre Stadt, die Region oder Brasilien
nach außen auftreten und dargestellt werden sollte. Die Presse war damit
weit mehr als Vermittler und Sprachrohr.
Entsprechend sind die Debatten in der Sportpresse nicht nur als Linse zu
sehen, durch die auf andere gesellschaftliche Bereiche geschaut werden
kann. Ausgehend vom Verständnis des Sports als »Eigenwelt« und der
Interdependenz von Presse und Sport durch die starken personellen Ver-
knüpfungen der Akteure, ist die Presse als diskursprägend einzuordnen, das
heißt, sie ordnete, normierte, stiftete Sinn und stellte Dinge in einen Zu-
sammenhang.87Dabei spielten transnationale Bezüge eine beträchtliche
Rolle, wie sich in den anschließenden Kapiteln zeigen wird.
Die Arbeit ist jedoch keine klassische linguistische Diskursanalyse, in
der zum Beispiel der Häufigkeit von Begriffen und der Regelhaftigkeit
ihrer Verwendung nachgegangen wird. Vielmehr soll ermittelt werden, wie
Akteure gerade über die Sportpresse Identitätsvorstellungen durch Bezüge
auf transnationale Ereignisse diskursiv herstellten und prägten.
Der Diskursbegriff, der dieser Arbeit zugrundeliegt, knüpft an die Arbeit
Frank Beckers an, der die »Amerikanisierung« in der Weimarer Republik
als einen »Interdiskurs« des Sports als Alternativangebot zu einem »Inter-
diskurs« der Militarisierung untersucht hat, mit dem Intellektuelle eine
Modernisierung von Politik, Ökonomie und Kultur nach amerikanischem
Modell für diese Epoche vorschlugen.88Becker zufolge existieren in moder-
nen, arbeitsteiligen Gesellschaften Spezialdiskurse, die zur Verständigung
eines vermittelnden »Interdiskurses« bedürfen. Demzufolge repräsentiere
87
Mit dem Konzept der »Eigenwelt« und der »Sinnstiftung« orientiere ich mich im
Folgenden an Christiane Eisenberg: EISENBERG, »
English sports«
, S. 12-16; siehe auch:
EISENBERG, Medienfußball.
88
Vgl. B
ECKER
, Frank,
Amerikanismus in Weimar. Sportsymbole und politische Kul-tur 1918-1933
, Wiesbaden 1993, zugl. Diss. phil., Münster 1992.
39Einleitung
39
der »Interdiskurs« »einen
einheitlichen Bildraum
[Hervorh. im Original]«,
in dem »die Divergenz der Spezialdiskurse durch den Rückbezug auf ein-
heitliche Bilder« aufgehoben werde. Auf diese Weise geschehe eine Ein-
bindung in eine ȟbergreifende und damit einheitsstiftende diskursive
Ordnung«.89Solche einheitlichen Bilder hat Becker als Symbole untersucht,
die Intellektuelle diskursiv über eine »Vertextung« in Zeitschriften, Zeitun-
gen und Literatur herstellten und deuteten, um dem neuen und populär
werdenden Phänomen des Sports einen Sinn zu geben.90
Auch der vorliegenden Studie liegt ein ähnlicher Quellenkorpus zu-
grunde, über den Journalisten, Schriftsteller und Sportfunktionäre vor allem
Sinnstiftungen vornahmen und auf diese Weise wiederum selbst zur Popu-
larität des Fußballs beitrugen. Analog zum »Interdiskurs« einer Moder-
nisierung nach amerikanischem Vorbild gilt für den Sportdiskurs in den
beiden Städten Rio de Janeiro und São Paulo in erster Linie die Vermitt-
lung einer Modernisierung nach europäischem Vorbild. Über den Fußball-
diskurs bildeten die Akteure außerdem andere Spezialdiskurse ab. Das war
zuerst das Amateurethos, das sie sich aneigneten, um auf diesem Wege
Vorstellungen eines »zivilisierten« und später auch nationalen, also
brasilianischen,
sportsman
zu vermitteln. Weiterhin interagierte der
Fußballdiskurs mit Spezialdiskursen über »rassische« Identität, über eine
regionale Überlegenheit und einen regionalen Repräsentationsanspruch São
Paulos und mit nationalen Differenzierungen gegenüber Argentinien, Uru-
guay und europäischen Ländern.
In Verbindung mit den weiter oben gemachten Ausführungen zur Trans-
nationalität der Medien ist noch einmal zu betonen, dass die Diskurse in
ständiger Bezugnahme und unter Verweis auf Beispiele in anderen Län-
dern, also nicht selbstverständlich in einem geschlossenen Raum produziert
wurden: Die Grenzziehung von Räumen selbst war eine diskursive Praxis.91
Im hier zugrundeliegenden Diskursverständnis werden neben Texten
auch körperliche Handlungen von Akteuren als diskursives Handeln aus-
89
Ebd., S. 20 f.
90
Ebd.
91
C
ONRAD
u.a., Globalgeschichte, S. 28. Zum neuen Raumverständnis im Zusam-
menhang mit dem für die Transnationale Geschichte wichtigen »spatial turn« siehe:
LAMBERT, David/LESTER, Alan (Hg.),
Colonial Lives Across the British Empire: Impe-rial Careering in the Long Nineteenth Century
, Cambridge 2006; LÖW, Martina,
Raum-soziologie
, 1. Aufl., Frankfurt am Main 2001. Kritisch zur Annahme einer völligen
Entgrenzung: HAUSBERGER, Bernd, Globalgeschichte als Lebensgeschichte(n), in:
DERS. (Hg.),
Globale Lebensläufe. Menschen als Akteure im weltgeschichtlichenGeschehen
, Wien 2006, S. 9-27, hier 20.
40
40
Einleitung
gelegt.92Damit verhält sich der zugrundegelegte Diskursbegriff auch offen
gegenüber kommunikativen Handlungen, wie zum Beispiel der körper-
lichen und damit materiellen Inszenierung von Identitätsvorstellungen.93
Für beide Städte wurden die wichtigsten und größten Tageszeitungen der
Zeit mit Sportteilen anhand ausgewählter wichtiger Schlüsseldaten, vor
allem internationaler Spielbegegnungen, und den Schlüsselkategorien der
drei Untersuchungsachsen »Rasse«, Region und Nation ausgewertet. Für
São Paulo war dies für den Zeitraum 1918 bis 1930 vor allem die Ta-
geszeitung
A Gazeta.
Sie hatte sich nach der Übernahme durch Casper
Líbero 1918 zur wichtigsten Sportzeitung im Staat São Paulo entwickelt.
Und sie berücksichtigte im Gegensatz zur zweiten ausgewerteten Tages-
zeitung
O Estado de São Paulo
auch die kleineren Klubs aus den Vororten.
O Estado de São Paulo
, als repräsentatives Medium der Elitenakteure,
wurde als eine der wichtigsten Tageszeitungen mit Sportberichterstattung
ebenso nach diesen Schlüsseldaten ausgewertet, dies geschah ergänzend zu
der vorhandenen Zusammenstellung aus dieser Zeitung im Archiv des
Sportklubs C. A. Paulistano (hier von 1901-1930). Für Rio de Janeiro
wurde nach oben genannten Kriterien die Zeitung
Gazeta de Notícias
(1906, 1908, 1917-1930) untersucht, die ebenfalls eine der ersten Zei-
tungen mit differenzierter Sportberichterstattung war, und komplementär
dazu die Zeitungen
O Imparcial
,
O Paiz
und
Correio da Manhã
. Einen
weiteren Quellenkorpus bildeten die zahlreichen Sportzeitschriften, von
denen einige ab den 1920er-Jahren sogar täglich erschienen. Die wich-
tigsten darunter:
Supplemento Sportivo D’O Imparcial
(Rio de Janeiro,
1921-1922),
Rio Sportivo
(Rio de Janeiro, 1909 und 1926-1930),
VidaSportiva
(Rio de Janeiro, 1917-1921).94Zusätzlich ausgewertet wurden
einzelne Ausgaben der Zeitschriften
A Cigarra Sportiva
(São Paulo),
Sport
92
Vgl. L
ANDWEHR
, Achim,
Historische Diskursanalyse
, Frankfurt am Main 2008,
S. 92-95.
93
Vgl. zur Kritik an einer Begrenztheit der diskursanalytischen Untersuchung von
Identitätskonstruktionen und ihrer hypothetischen Ausblendung von kommunikativen
Handlungen: JENSEN, Rezension zu: Aleida ASSMANN/Heidrun FRIESE(Hg.), Identitä-
ten, 2000. Zum hier zugrunde gelegten Diskursbegriff und der Einbeziehung von
Materialitäten: Vgl. LANDWEHR,
Historische Diskursanalyse
, S. 95. Zum Begriff der
Inszenierung: Vgl. MARTSCHUKAT, Jürgen/PATZOLD, Steffen, Geschichtswissenschaft
und »performative turn«. Eine Einführung in Fragestellungen, Konzepte und Literatur,
in DIES. (Hg.)
, Geschichtswissenschaft und »performative turn«. Ritual, Inszenierungund Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit
, Köln 2003, S. 1-31.
94
Die Daten in Klammern beziehen sich auf die jeweiligen Auswertungszeiträume,
die sich bei den Zeitschriften weitestgehend mit den Erscheinungszeiträumen über-
schneiden.
41Einleitung
41
Illustrado
(Rio de Janeiro),
Sports
(São Paulo) und
Sports Magazine
(Rio
de Janeiro). Auch in Rio de Janeiro konnte auf Sammlungen von
Zeitungsartikeln im Archiv des Sportklubs Fluminense F.C. zugegriffen
werden.
Einen zweiten Quellenkorpus stellen die schon oben erwähnten Veröf-
fentlichungen namhafter Sportjournalisten der Zeit dar, die im Untersu-
chungszeitraum oder kurz danach schon Geschichten des Fußballs verfass-
ten.95Die Akteursperspektive konnte auch durch die Auswertung von
Nachlassdokumenten eines Journalisten bzw. durch die Berücksichtigung
der Publikation eines Fußballspielers erweitert werden.96Ergänzt wurden
die beiden Quellenkorpora durch Dokumente aus diversen Archiven in Rio
de Janeiro (
Arquivo Nacional
,
Biblioteca Histórica do Itamaraty
) und São
Paulo (
Instituto de Estudos Brasileiros
/
USP
,
Arquivo Municipal Washing-ton Luís
,
Arquivo Público do Estado de São Paulo
,
Instituto MartiusStaden
) und durch Dokumente aus Fußballklubs selbst, soweit diese über
Archive verfügten (Fluminense F. C., C.A. Paulistano, E.C. Pinheiros [ehe-
mals S.C. Germânia]).
Aus Interesse am Zusammenhang zwischen Fußball und Politik oder
Diplomatie waren gerade die Dokumente aus dem brasilianischen Außen-
ministerium und aus Fußballklubs hilfreich, zumal letztere als nicht-staatli-
che Akteure internationale Begegnungen organisierten. Mit Hilfe dieser
Dokumente ist eine Rekonstruktion transnationaler Beziehungen möglich,
die über den Nationalstaat hinausgingen und in denen eine lokale mit einer
globalen Ebene verbunden war.
In der Auswahl der Quellen ist jedoch auch eine Begrenztheit angelegt:
Die frühe Sportpresse wurde von Angehörigen der urbanen Eliten heraus-
gegeben und ihre Zielgruppe war die alphabetisierte Stadtbevölkerung.
Auch die Erweiterungen des Quellenkorpus um Dokumente aus Elite-
Fußballklubs, aus Nachlässen und Veröffentlichungen von Sportlern und
Sportjournalisten können diese soziale Begrenztheit kaum auflösen.97Aus
95
Vgl. F
IGUEIREDO
,
História do Foot-Ball;
M
AZZONI
,
História do futebol
;
SANT'ANNA,
Supremacia
. Von Mazzoni auch die ab 1928 jährlich herausgegebenen
Almanache zum Sport: MAZZONI, Thomaz,
Almanaque Esportivo (1° anno)
, São Paulo
1928.
96
Nachlass von Afonso Vasconselos Varzea, cod: IW, cx. 14, pac. 2, AN; C
ORRÊA
,
Floriano Peixoto,
Grandezas e misérias do nosso futebol
, Rio de Janeiro 1933.
97
Arbeiterklubs haben keine eigenen Archive hinterlassen oder ein Zugang war nicht
möglich. Ein Grund für die schwierige Quellensituation ist, dass einige große Klubs der
Zeit vor 1930 nach Einführung des Profi-Fußballs nicht mehr weiter existierten oder
sich aus dem Fußball zurückzogen.
42
42
Einleitung
diesem Grund konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf Elitenakteure
und auf Angehörige der neu entstehenden Mittelschichten, die besonders
stark am Sport interessiert waren. Wo es möglich ist, wird die Position von
subalternen Akteuren berücksichtigt; dies geschieht allerdings eher aus
Berichten über sie.
Die Auswahl Rio de Janeiros und São Paulos für die Untersuchung liegt
darin begründet, dass die beiden Städte Ende des 19. und Anfang des 20.
Jahrhunderts die Sportzentren Brasiliens waren, von denen aus lokale und
nationale Verbände in Verbindung zu anderen nationalen Verbänden und
zur FIFA standen und in denen im Untersuchungszeitraum die ersten und
meisten internationalen Spiele stattfanden. Im Zusammenhang werden
beide Städte als Sportraum konzeptualisiert. Das hier zugrunde liegende
Sportraum-Verständnis geht auf Andrei S. Markovits und Steven L.
Hellermanns Studie zu Fußballentwicklung in den USA zurück.98Wie Mar-
kovits u.a. an anderer Stelle ausführten, ist Sport in einem räumlichen Ver-
ständnis als »contested cultural territory« zu sehen.99Durch diese
Betrachtungsweise können die konstanten Aushandlungen von Machtposi-
tionen und hegemonialer Dominanz untersucht werden. Dieser Sportraum
bestehe nicht nur aus materiell-physischen Manifestationen sportlicher
Aktivität, wie Klubanlagen, Stadien, Sportstätten, sondern er sei vor allem
»culturally constructed«.100In ihm sei eine Sportart dominant und diese Do-
minanz werde kulturell immer wieder reproduziert. Es handle sich also
nicht um einen statischen Raum, der a priori vorhanden und von Gruppen
besetzt sei, er werde erst durch die Aushandlung und den Kampf um die
Hegemonie der sozialen Akteure kulturell konstruiert.101
Auch in brasilianischen Städten erhoben schon Anfang des 20. Jahrhun-
derts verschiedene soziale Gruppen Anspruch auf den öffentlichen Raum
und damit auch auf die Ausübung des Sports.102Sowohl Rio de Janeiro als
98
Vgl. M
ARKOVITS
, Andrei S./H
ELLERMAN
, Steven L.,
Offside: Soccer and AmericanExceptionalism
, Princeton u.a. 2001 und MARKOVITS, Andrei S./TOMLINSON,
Alan/YOUNG, Christopher, Mapping Sports Space, in:
American Behavioral Scientist
46, 2003, S. 1463-1475, insbes. S. 1470-1471.
99
M
ARKOVITS
u. a., Mapping Sports Space, S. 1471.
100
Ebd., S. 1470.
101
Ebd., S. 1471. Die Annahmen von Markovits u. a. beziehen sich auf Pierre Bour-
dieu, der als erster die Existenz eines Sportraumes bzw. eines »Feld[es] der Sport-
praktiken« beschrieben hat, das »Schauplatz von Kämpfen« sei: BOURDIEU, Pierre,
Sport and Social Class, in:
Social Science Information
17, 1978, Nr. 6, S. 819-840, hier
826; BOURDIEU, Historische und soziale Voraussetzungen modernen Sports, S. 98 f.
102
H
ERSCHMANN
, Micael/L
ERNER
, Kátia,
Lance de sorte: o futebol e o jogo do bichona Belle Époque Carioca
, Rio de Janeiro 1993, S. 19-20.
43Einleitung
43
auch São Paulo erlebten seit dem Ende des 19. Jahrhunderts grundlegende
Transformationen: Ein rasantes Bevölkerungswachstum, die Gleichzeitig-
keit unfreier und freier Arbeit mit dem Beginn einer kapitalistischen
Marktwirtschaft, den Zustrom europäischer und nicht-europäischer Im-
migranten und von Arbeitern und ehemaligen Sklaven aus dem Hinterland,
Diskontinuitäten und Kontinuitäten in der politischen Ordnung im abrupten
Übergang vom Kaiserreich zur Republik. Diese Transformationen drückten
sich unter anderem in städtebaulichen Reformen aus, wie der»Haussman-
nisierung« Rio de Janeiros unter Pereira Passos und der damit einherge-
henden sozialräumlichen Marginalisierung der armen Bevölkerungsteile.103
In dieser sich wandelnden räumlichen Ordnung, so meinen Kátia Lerner
und Micael Herschmann, kämpften Angehörige unterschiedlicher sozialer
Schichten um ihren Platz in der Stadt. Spiele hätten dabei eine wichtige
Rolle eingenommen: Sie hätten dazu gedient, neue Werte und Codes darzu-
stellen und auch dazu, genau gegen eben diese Widerstand zu leisten und
vor ihnen zu fliehen.104Zugleich habe das Spiel eine Möglichkeit darge-
stellt, etwas zu leben, für das in den modernen Beziehungen kein Platz
mehr war.105
In beiden hier untersuchten Räumen, São Paulo und Rio de Janeiro, bil-
deten Eliten in den neu gegründeten Klubs überholte Hierarchien ab, indem
sie durch Statuten, Codes und streng regulierte Umgangsformen andere
Schichten ausgrenzten.106Schon in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts
gründeten Arbeiter, Afro-Brasilianer und Immigranten in den Vororten von
103
Vgl. B
ENCHIMOL
, Jaime,
Pereira Passos: um Haussmann tropical – a renovaçãourbana da cidade do Rio de Janeiro no início do século XX
, Rio de Janeiro 1992;
HAHNER, June Edith,
Poverty and Politics: The Urban Poor in Brazil, 1870-1920
,
Albuquerque 1986; MEADE, Teresa A.,
»Civilizing« Rio: Reform and Resistance in aBrazilian City, 1889-1930
, University Park, Pa. 1997; PORTOROCHA, Oswaldo,
A eradas demolições: cidade do Rio de Janeiro, 1870-1920
, Rio de Janeiro 1995. Zu den
Transformationen in São Paulo siehe auch: SEVCENKO,
Orfeu extático
.
104
H
ERSCHMANN
u. a.,
Lance de sorte
, S. 19 f.
105
Ebd., S. 23. In der Zeit der Ersten Republik entstanden vielfältige alternative
kulturelle Ausdrucksformen, deren Ausübende sich dem disziplinierenden Zugriff der
Eliten und des Staates entzogen, darunter der Samba und Capoeira: Vgl. HOLLOWAY,
Thomas H.,
Policing Rio de Janeiro: Repression and Resistance in a 19th-century City
,
Stanford 1993; Zu alternativen Klubgründungen durch Afro-Brasilianer: BUTLER, Kim
D.,
Freedoms Given, Freedoms Won: Afro-Brazilians in Post-Abolition São Paulo andSalvador
, New Brunswick u.a. 1998, S. 78-87; Für den Fußball auch: PEREIRA,
Leonardo Affonso de Miranda, O jogo dos sentidos: os literatos e a popularização do
futebol no Rio de Janeiro, in: DERS./Chalhoub, Sidney (Hg.),
A história contada:capítulos de história social da literatura no Brasil
, Rio de Janeiro 1998, S. 195-231.
106
Vgl. P
EREIRA
,
Footballmania
.
44
44
Einleitung
Rio de Janeiro und São Paulo zahlreiche Vereine, die durchaus auch als
Formen des Widerstandes gegen hegemoniale Kulturpraktiken gesehen
werden können und nicht ausschließlich als Nachahmung.107Ende der
1910er-Jahre veröffentlichten sie Spielergebnisse, Berichte über regelmä-
ßige Treffen und das Klubleben in den Sportrubriken lokaler Zeitungen.
Diese wiederum wiesen zunehmend eine differenzierte Sportberichterstat-
tung auf und repräsentierten nicht mehr ausschließlich die Elite-Klubs.
Vereine waren also Organisationen für die unterschiedlichen gesellschaftli-
chen Gruppen, die Söhne urbaner Elitenangehöriger, Angehörige der neu
entstehenden Mittelschicht und Arbeiter, die zum einen Formen des Wider-
stands bilden, in denen aber auch demokratische Strukturen eingeübt wer-
den konnten, da ihr interner Aufbau nach demokratischen Grundmustern
geregelt war.108
Die Durchsetzung dieser Prinzipien kann auch auf eine Verbindung meh-
rerer Ebenen über die nationale Ebene hinaus zurückgeführt werden: Natio-
nale und lokale Sportverbände fungierten an jeweiliger Stelle als Überwa-
chungsinstitutionen für Regeln, die die englische FA oder die FIFA auf
internationaler Ebene aufstellten.109Unmittelbare Vermittler dieser Regeln
und Wächter über ihre Durchsetzung waren meistens Journalisten und
Klubvorsitzende und die lokalen Ligen.
Hier liegt ein weiterer Grund, warum es sinnvoll ist, den oben gestellten
Fragen in einem transnationalen Zusammenhang nachzugehen. Diese lo-
kalen Sportler waren es auch – dabei füllten sie oft mehrere gesellschaftli-
che Funktionen gleichzeitig aus –, die modernen Sport als eine kulturelle
Praxis definierten, mit deren Hilfe sich die Bevölkerung in den Städten und
im Landesinneren in sozialreformerischer Denkweise zum Positiven trans-
formieren und Brasilien »zivilisiert« würde.110Oftmals übergingen diese
Eliten die nationale Ebene, indem sie sich direkt an Vorgaben der FIFA
oder solchen anderer Länder orientierten. Das war ebenfalls ein Weg, wie
107
Vgl. ebd; H
ERSCHMANN
u.a.,
Lance de sorte
, S. 21.
108
Vgl. H
ERSCHMANN
u. a.,
Lance de sorte
. Siehe hierzu für den argentinischen Fall:
FRYDENBERG, Prácticas y valores en el proceso de popularización del fútbol. Buenos
Aires 1900-1910, in:
Entrepasados
6, Nr. 12, 1997, S. 7-29.
109
E
ISENBERG
, Der Weltfußballverband FIFA, S. 211. Eisenberg macht drei
Funktionen als »Transmissionsriemen« in der Durchsetzung der FIFA als Weltverband
aus, darunter die gegenseitige Anerkennung von Vertretungsmonopolen: Ebd.
110
Vgl. zum Sport als Teil einer Bewegung der öffentlichen Gesundheit und Hygiene
zur »Aufweißung« der brasilianischen Bevölkerung: DÁVILA,
Diploma de brancura
,
S. 51. Siehe auch: HERSCHMANNu. a.,
Lance de sorte
, S. 36-39.
45Einleitung
45
brasilianische Akteure aus dem Sport in eine transnationale Sportgemein-
schaft eingebunden waren.
AUFBAU DERARBEIT
Die Gliederung der Arbeit folgt den thematischen Gesichtspunkten
»Rasse«, Region und Nation, die sich jeweils quer durch den Untersu-
chungszeitraum ziehen. Die Arbeit gliedert sich in vier Kapitel. Im an-
schließenden ersten Kapitel erfolgt in einer Verknüpfung sozial- und kul-
turhistorischer Ansätze eine Untersuchung des Übergangs des Fußballs in
Rio de Janeiro und São Paulo vom elitären Amateur- zu einem populären
Massensport. Im Vordergrund steht dabei das Amateurethos, das brasiliani-
sche elitäre Fußballakteure in dieser Übergangsphase in einem transnatio-
nalen Kontext verhandelten.
Die Kategorie »Rasse« ist Gegenstand des zweiten Kapitels. Lange Zeit
wurde der brasilianische Fußball in der populärwissenschaftlichen und
auch sozialwissenschaftlichen und historischen Literatur zur Fußballge-
schichte in Brasilien als eine soziale Aufstiegsmöglichkeit für afro-brasili-
anische Spieler dargestellt. Diese Analysen bezogen sich vor allem auf
Mário Filhos Monografie
O Negro no futebol brasileiro
, die dem Fußball
eine harmonisierende Wirkung zuschrieb, der ethnische Unterschiede auf-
hebe und es letztlich vermöge, das Ideal der
democracia racial
zu verwirk-
lichen, in der unterscheidbare ethnische Herkünfte keine Rolle mehr spiel-
ten.111Damit einher ging die Herausarbeitung körperlicher Merkmale, die
vermeintlich ethnisch-kulturell determiniert sind und zur Ausprägung eines
eigenen spezifischen brasilianischen Fußballstils geführt hätten.112Die Ent-
faltung dieser Harmonisierung wird in der Historiografie zeitlich mit der
Vargas-Ära zusammengelegt, in der die ethnische Exklusion durch die Po-
pularisierung und durch die »Nationalisierung« des Fußballs aufgehoben
worden sei.
In diesem Kapitel wird gezeigt, dass die Inklusion afro-brasilianischer
Spieler unter anderem dadurch erfolgte, dass Afro-Brasilianer als selbstver-
ständlicher Teil brasilianischer Geschichte betrachtet wurden, die einen
wichtigen Beitrag zur Nationenbildung geleistet hätten. Rezipienten der
Sportpresse und afro-brasilianische Fußballspieler selbst hierarchisierten
schon Ende der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts Nation und »Rasse«,
sahen afro-brasilianische Spieler als Brasilianer und ordneten damit ihre
111
H
OLLANDA
,
O descobrimento do futebol
, S. 149; S
OARES
, Futebol brasileiro e
sociedade, S. 145-162.
112
S
OARES
, Futebol brasileiro e sociedade, insbesondere S. 150 f.
46
46
Einleitung
ethnische Herkunft der Gemeinsamkeit einer historischen Vergangenheit
unter. In dieser Hierarchisierung von Nation und »Rasse« wurde von den
afro-brasilianischen Spielern die Übernahme »weißer« Eigenschaften und
Verhaltensweisen erwartet, Fußball also als eine Möglichkeit des
embranquecimento
gesehen. Die Umkehrung und Herausstellung typisch
afro-brasilianischer Eigenschaften, die in der historischen Literatur auch als
erwachendes Selbstbewusstsein und Darstellung von brasilianischer Iden-
tität nach außen interpretiert wurde, markierte den Beginn der Konstruktion
des »schwarzen Athleten« in einem globalen Kontext.113
Das Kapitel 3 analysiert aus der Perspektive der Region São Paulo, wie
Fußballakteure regionale Identitäten über den Fußball in einem globalen
Kontext verhandelten. Im zugrunde gelegten Zeitraum entstand zwischen
Rio de Janeiro und São Paulo eine ausgeprägte Rivalität im Fußball. Die
Differenzierungsdiskurse bezogen sich auf Topoi wie »Rasse«, »Zivilisie-
rung« und »Rückständigkeit«. Über den Fußball drückten die hier
untersuchten Akteure, Sportjournalisten, Klubfunktionäre und Spieler nicht
nur regionale Identitätsvorstellungen aus, sie stellten sie über den Fußball
auch her. Der sich immer stärker internationalisierende Fußball bot einen
Rahmen für diese Aushandlungen. Die vertikale Untersuchungskategorie
»Rasse« spielt auch hier eine bedeutende Rolle, da die regionalen Unter-
schiede gerade von den Paulistas in Differenz zu Rio de Janeiro und ande-
ren Regionen auch »rassialisiert« wurden.
In zwei Dimensionen wird in Kapitel 4 gezeigt, in welchem Ausmaß
auch die Aushandlung nationaler Identität in einem transnationalen Kontext
stattfand. Eine Dimension bildet dabei die Verbindung Brasiliens zu den
beiden südlichen Nachbarländern Argentinien und Uruguay, die von Fuß-
ballakteuren gerade am Anfang des Fußballaustausches ab 1908 als »zivili-
sierter« und moderner wahrgenommen wurden. Dazu trugen auch die Er-
folge argentinischer und uruguayischer Fußballteams in Europa bei. Im
Vordergrund stehen Debatten um die Beteiligung an den
Campeonatos Sul-Americanos
ab 1916, die im Kontext der politischen Beziehungen zwischen
den drei Ländern Konfliktpotential boten und zeigen, wie sehr auch in
Brasilien Fußball politisiert war und welche Rolle Fußball außerdem als
Mittel der Diplomatie spielte.
Die zweite Dimension des Kapitels umfasst die Verbindung des brasilia-
nischen Fußballs zu Europa. 1925 unternahm der Paulistaner Klub
113
Das Konzept des »schwarzen Athleten« stammt von Carrington, der seine
Konstruktion Anfang des 20. Jahrhunderts in einem transatlantischen Raum nachzeich-
net: CARRINGTON,
Race, Sport and Politics
, S. 76-82.
47Einleitung
47
C. A. Paulistano eine Reise nach Europa – nach Frankreich, in die Schweiz
und nach Portugal –, um dort den Fortschritt des brasilianischen Fußballs
vor europäischem Publikum zu zeigen. Die Paulistas sahen sich dabei als
Vertreter ganz Brasiliens, also eines nationalen Stils und legten alles daran,
das Land als kulturell und wirtschaftlich fortschrittlich, modern und »weiß«
zu repräsentieren. Gleichzeitig leiteten die Brasilianer aus ihrem Erfolg und
dem argentinischer und uruguayischer Fußballmannschaften in Europa ab,
sie seien, zumindest im Fußball, zukunftsweisend und moderner als die
Europäer selbst. Dreh- und Angelpunkt blieben jedoch hier weiterhin euro-
päische Konzepte und Vorstellungen von Moderne und »Zivilisation«.
4849
1. ANEIGNUNG IM GLOBALEN KONTEXT
Eine Erzählung des Schriftstellers P. Totisone Toti aus dem Jahr 1922 hat
folgenden Handlungskern: Der Friseur Bifano besitzt einen eigenen Salon
in der Stadt Uberaba im Landesinnern des Staates Minas Gerais und ist
begeisterter Fußballfan. Er kennt immer die neuesten Ergebnisse, seine
Wohnung ist dekoriert mit Bildern von nationalen und internationalen
Fußballgrößen, so von einem Helden seiner Zeit, dem »pé de ouro«
(»Goldfuß«) Arthur Friedenreich.1Eines Tages betritt ein junger Mann den
Friseursalon, den der alternde Friseur unweigerlich für einen Carioca hält,
denn er ist sportlich und verkörpert eine moderne Männlichkeit, die Bifano
mit der Großstadt verbindet. Doch zu seiner Überraschung stammt der
Sportler ebenfalls aus dem Landesinneren von Minais Gerais. Er hat durch
sein jugendlich-sportliches Aussehen Erfolg bei den Frauen und entspricht
dem Ideal eines guten
esportista
(Sportler
)
: Täglich liest er die Sportnach-
richten, kleidet sich ordentlich, hält immer zu seiner Mannschaft und ist
darüber hinaus ein guter Patriot. Die beiden Männer entwickeln eine
Freundschaft und besuchen gemeinsam mit zwei jungen Damen Fußball-
spiele.2
Die erste fiktionale Erzählung in Brasilien, in der Sport thematisch im
Mittelpunkt steht, macht den Blick frei auf verschiedene Aspekte der Ent-
wicklung des brasilianischen Fußballs bis in die 1920er-Jahre: Erstens eine
regional ungleiche Verbreitung und Entwicklung des Fußballs – die Prota-
gonisten schauen zum Fußball der Großstädte Rio de Janeiro und São Paulo
auf und bewundern die dort produzierten Fußballhelden. Zweitens hat sich
Sport als Freizeitbeschäftigung etabliert und damit einhergehend ein mo-
dernes, körperliches Männlichkeitsideal auch im »Hinterland« durchge-
setzt. Drittens wird das Ideal eines
sportsman
,3das sich Anfang der 1920er-
Jahre in Brasilien schon breit durchgesetzt hatte, mit einer patriotischen
Grundeinstellung in Verbindung gesetzt.4Und es nehmen viertens in der
Erzählung selbstverständlich auch Frauen als Zuschauer an den Fuß-
ballspielen teil.
1
Toti, P. Totisone,
O grande esportista
, Uberaba 1922, S. 16-17.
2
Vgl. ebd., S. 5-25.
3
Der Begriff
sportsman
ist den Quellen entnommen, wo er allerdings nicht immer
einheitlich verwendet wurde, die Autoren schrieben sowohl »sportsman« als auch
»sportman« (Sg.) bzw. »sportmen« oder »sportsmen« im Plural. Hier wird die korrekte
Schreibweise
sportsman
bzw.
sportsmen
verwendet.
4
Dies schlug sich in der Erzählung auch in einer sprachlichen »Nationalisierung«
nieder: So sprach Toti nicht vom
sportsman
, sondern schon vom
esportista
.
50
50
Aneignung
Anhand der Gegenüberstellung des alternden Friseurs Bifano und des
jungen
esportista
ist eine Auseinandersetzung mit dem Männlichkeitsbild
zu erkennen. Im weiteren Verlauf dieser Erzählung wird Fußball zudem als
kommerzielles Spektakel dargestellt. Es entstehen Interessenkonflikte
zwischen profitorientierten Klubverantwortlichen und Fans.5Die Erzählung
Toti schreibt somit zentrale Parameter des Fußballs fort, an denen er sich
bis zum Ende der 1910er-Jahre entwickelt hatte.
Zwischen 1894 und 1930 vollzog sich im Fußball in Brasilien ein um-
greifender sozialer Wandel: In den ersten 10 Jahren des genannten Zeit-
raums war der Fußball ein Sport, den Angehörige urbaner Eliten in exklu-
siven Vereinen ausübten, aus denen sie durch verschiedene Exklusions-
mechanismen, von hohen Mitgliedsbeiträgen über sprachliche Codes und
Kleiderordnungen bis hin zu expliziten Ausschlusskriterien in den Vereins-
statuten, Angehörige unterer sozialer Schichten ausgrenzten. Wie Leonardo
Pereira für Rio de Janeiro herausfand, gründeten ab circa 1907 Arbeiter
und Angehörige einer entstehenden Mittelklasse in urbanen Vororten eige-
ne Vereine, von da an besuchten Zuschauer aus allen sozialen Schichten
Fußballspiele in Stadien. Eine soziale Ausdifferenzierung fand also sowohl
bei den Ausübenden des Fußballs als auch bei den Zuschauern statt.6
Im 19. Jahrhundert hatte der Fußball verschiedene Eintrittswege in Bra-
silien: Fußballhistoriker und –historikerinnen nehmen an, das erste Spiel
nach den Regeln der 1863 in England gegründeten Football Association
(FA) habe 1894 zwischen einem Team aus britischen Eisenbahnarbeitern
der
São Paulo Railway
und britischen Mitarbeitern der Paulistaner Gas-
gesellschaft und der
London Bank
stattgefunden. Doch schon davor, so
berichten es auch Zeitgenossen, konnten Fußball spielende Matrosen aus-
ländischer Schiffe in brasilianischen Häfen beobachtet werden und auch an
den Eliteschulen im Landesinneren der Bundesstaaten Rio de Janeiro und
São Paulo entwickelte sich das Spiel zu einer beliebten Freizeitbeschäfti-
gung und einem Unterrichtsinhalt.7In den 1880er-Jahren hatte eine natio-
5
Vgl. ebd., S. 8-9 und S. 17.
6
Vgl. P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 57-107.
7
Vgl. V
ARZEA
, George,
Literatura do Futebol
, Datum unbekannt: Nachlass Afonso
Vasconselos Varzea, cod.: IW, cx. 6, pac. 2, AN; PEREIRA, Leonardo Affonso de
Miranda,
Footballmania: uma história social do futebol no Rio de Janeiro, 1902-1938
,
Rio de Janeiro 2000, S. 21 f.; Siehe Nachweise anderer Anfänge: ANTUNES, Fátima
Martin Rodrigues Ferreira, Futebol nas fábricas, in:
Revista USP
,
Dossiê futebol
, São
Paulo Juni/August 1994, Nr. 22, S. 102-109; BUCHMANN, Ernani,
Quando o futebolandava de trem: memória dos times ferroviários brasileiros
, Curitiba 2004; CALDAS,
Waldenyr, Brasilien, in: EISENBERG, Christiane (Hg.),
Fußball, soccer, calcio. Einenglischer Sport auf seinem Weg um die Welt
, München 1997, S. 171-184, hier 172.
51Aneignung
51
nale Erziehungsreform zur Einführung moderner sportlicher Praktiken vor
allem in jesuitischen Schulen geführt, die an den Erziehungseinrichtungen
Europas ausgerichtet waren. Bereits damals wurden dort Schülern Spielre-
geln vermittelt, die denen des modernen Fußballs sehr glichen, wie der
Historiker José Moraes dos Santos Neto herausfand.8Zusammen mit immi-
grierten Bahnarbeitern begannen sie den Sport auf offenen Plätzen auszu-
üben, so an den sich im Bau befindenden Bahnstrecken.9
Ein weiterer Weg waren Immigranten aus Europa, die dort schon Fußball
gespielt hatten und in Brasilien Klubs gründeten. So der deutsche Bank-
kaufmann Hans Nobiling, der 1907 berichtete, bei seiner Ankunft in São
Paulo im Jahr 1897 sei der Fußball in São Paulo und in ganz Brasilien
»wirklich vollständig unbekannt« gewesen, einzig die Mitglieder des São
Paulo Railway Cricket Club und des São Paulo Athlétic Club hätten jähr-
lich jeweils eine Partie Fußball und Rugby ausgetragen.10Nobiling hatte
zuvor im Hamburger Klub S.C. Germania gespielt und brachte Regel-
handbücher und weitere Fußballrequisiten mit nach São Paulo, wo er mit
anderen Immigranten unterschiedlicher Herkunft den Klub Internacional
gründete und später den deutschen Immigrantensportverein Germânia.11
Der Fußball nach den Regeln der FA kam also durch junge spezialisierte
Fachkräfte und Bahnarbeiter aus Großbritannien und anderen europäischen
Ländern nach Brasilien, über die jungen Söhne elitärer Familien, die im
europäischen Ausland studiert hatten und über die Einführung europäischer
Erziehungsmethoden an Schulen. In vielen Studien und im populären Ge-
dächtnis beginnt der Fußball jedoch erst mit seinen beiden »Vätern« Oscar
Cox und Charles Miller, die den Fußball nach Rio de Janeiro beziehungs-
weise São Paulo gebracht hätten und über die die Verbreitung des Fußballs
auch im Zuge des britischen Imperialismus erklärt wird. Cox lernte das
Spiel während seiner Studienzeit in Lausanne auf dem Collège de la Ville,
von dort kam er 1897 nach Rio de Janeiro, wo er an mehreren Klubgrün-
dungen beteiligt war und in den Anfangsjahren eine bedeutende Rolle im
8
N
ETO
, José Moraes dos Santos,
Visão do jogo. Primórdios do futebol no Brasil
, São
Paulo 2002.
9
Vgl. ebd.
10
»Relatorio do veterano esportista Hans Nobiling. Fundador do S.C. Germania.
Sobre a origem do futebol em São Paulo«, 15.8.1907, G IV, n° 19/137, IMS. Vgl. auch:
CARDIM, Mário,
Resumo histórico da vida esportiva de São Paulo
, in: Jubiläumsschrift
zum 25-jährigen Bestehen des Vereins Germania S. C., ECP.
11
Vgl. C
ARDIM
,
Resumo histórico da vida esportiva
, S. 2.
52
52
Aneignung
lokalen Sport einnahm.12Miller wiederum war der Sohn eines britischen
Konsuls, der – üblich für Elitesöhne – mit neun Jahren zur Schulausbildung
nach England ging und bei seiner Rückkehr im Jahr 1894 allerlei Fußball-
requisiten mitbrachte.13
Sicherlich existiert weiterhin ein Erkenntnisinteresse daran, wer, wann
und wo genau das erste Mal gegen einen Ball trat. Wie Leonardo Pereira
schreibt, ist jedoch die Frage nach der »Logik, die die Konsolidierung der
Bedeutungen antrieb, die vor einiger Zeit den ersten Jahren des Fußballs
zugeschrieben wurden«, von ungleich größerer Anziehungskraft. Beide
genannten »Väter« waren für die Konstituierung des Fußballs jedenfalls
bedeutend und Teil einer »europhilen« Elite, jedoch, so Pereira, »handelten
sie in einem größeren Kontext, der zuließ, dass ein einfacher Zeitvertreib
sich in ein wahres Phänomen verwandelte.«14
Fußball begann überhaupt erst ab circa 1900 eine größere gesellschaftli-
che Rolle zu spielen, davor waren andere Sportarten populärer und Fußball
bestenfalls eine Randnotiz in den Zeitungen wert.151901 spielte das erste
Mal in Rio de Janeiro eine Mannschaft aus brasilianischen Spielern gegen
die britischen Mitglieder des Payssandu Cricket Club, danach gründeten
brasilianische junge Männer Vereine, die nur dieser Sportart nachgingen.16
In den folgenden Jahren, angeregt auch durch erste internationale Spiele,
12
A
QUINO
, Rubim Santos Leão de,
Futebol: uma paixão nacional
, Rio de Janeiro
2002, S. 27.
13
Ebd.; P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 22; C
ALDAS
, Brasilien, S. 172.
14
P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 23.
15
Vgl. B
OTELHO
, André Ricardo Maciel, Da geral à tribuna, da redação ao
espectáculo: a imprensa esportiva e a popularização do futebol (1900-1920), in:
TEIXEIRADASILVAu.a. (Hg.),
Memória social dos esportes
, S. 313-333; BRUHNS,
Heloisa Turini,
Futebol, carnaval e capoeira: entre as gingas do corpo brasileiro
,
Campinas 2000, S. 62; MELO, Victor Andrade de,
Cidade esportiva: primórdios doesporte no Rio de Janeiro
, Rio de Janeiro 2001; PEREIRA,
Footballmania
, S. 23 f.
Allgemeiner zur Interdependenz von Presseentwicklung und modernem Sport als
Medieninhalt in einem transnationalen Zusammenhang: Vgl. EISENBERG, Medien-
fußball.
16
Vgl. P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 28 f. So die Vereine Fluminense Football Club
(1902), Botafogo Football Club (1904), América Football Club (1904) und Bangú
Athletic Club (1904) in Rio de Janeiro: Vgl. ebd., S. 28-35. Die vier Klubs gründeten
1905 zusammen mit den Vereinen Football and Athletic Club und dem Sport Club
Petrópolis einen Verband, die
Liga Metropolitana de Futebol
, später
LigaMetropolitana de Desportes Terrestres
(METRO): Vgl. AQUINO,
Futebol
, S. 28. In São
Paulo gründeten schon 1901 die Elitevereine Internacional (1899), São Paulo Athletic
(1888), S.C. Germânia (1899), Mackenzie College (1898) und C. A. Paulistano (1900)
eine eigene Liga, die
Liga Paulista de Football
: Vgl. MASON,
Passion of the People?Football in South America
, London/New York, 1995, S. 11.
53Aneignung
53
wandelte sich der Fußball in Rio de Janeiro und São Paulo zur beliebtesten
Sportart mit Anhängern in allen Bevölkerungsschichten, die wiederum
eigene Vereine gründeten.17Darunter waren ganz unterschiedliche Typen,
wie zum Beispiel der im April 1904 von britischen Technikern der Textil-
fabrik
Companhia Progresso Industrial
gegründete Fabrikverein Bangú
Athletic Club, der anfangs nur gelernte Fabrikarbeiter, kurze Zeit später
schon ungelernte Arbeiter in den Mannschaften akzeptierte und aus diesem
Grund als einer der ersten Vereine gilt, die den sozialen und rassistischen
Exklusionscharakter des frühen Carioca-Fußballs aufbrachen.18Die
Popularisierung ging einher mit einer Differenzierung der Sportmedien,
aber auch mit Konflikten, die sich im Kontext der internationalen Spiele
um soziale und ethnische Repräsentation, Amateur- und Profitum drehten.
Obwohl seit Mitte der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts viele Klubs
schon Spieler – vor allem aus unteren Schichten – als Halb-Profis anstell-
ten, führten die brasilianischen Sportverbände den Profi-Fußball erst 1933
unter Vargas offiziell ein.19
Im gesamten hier behandelten Zeitraum hatten jedoch Eliten-Akteure
eine hegemoniale Position inne, weiterhin lenkten sie den Fußball admi-
nistrativ in Klubs und Verbänden auf lokaler, nationaler und regionaler
Ebene.20Ihre Hegemonie manifestierte sich auch in ihrer diskursiven Domi-
nanz in der Sportpresse, in der sie dem Fußball »einen Sinn stifteten« und
festlegten, wie Angehörige unterer sozialer Schichten Sport auszuüben
hatten.
Diese »Sinnstiftung« geschah innerhalb eines über die Nation hinausge-
henden Kontextes, indem die Eliten-Akteure Bezüge auf Diskurse in einem
transnationalen Sportraum nahmen. Ein zentrales Wertebündel, das diese
urbanen Eliten sich aneigneten, war das Ideal des Amateursportlers bzw.
17
Vgl. P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 57-68.
18
Vgl. ebd., S. 32 f.; C
ALDAS
, Brasilien, S. 174; L
EITE
L
OPES
, José Sérgio, Classe,
etnicidade e cor na formação do futebol brasileiro, in: Cláudio H. M.
BATALHA/Alexandre FORTES/Fernando Teixeira da SILVA(Hg.),
Culturas de classe
,
Campinas 2004, S. 121-163, hier 130-133. 1907 entstand in Rio de Janeiro auch schon
eine
Liga Suburbana de Futebol
mit Vereinen aus den subúrbios (Vororten) Rio de
Janeiros: Vgl. AQUINO,
Futebol
, S. 38.
19
C
ALDAS
, Brasilien, S. 178.
20
Die Anwendung des Hegemoniebegriffes nach Gramsci auf die Beziehung zwi-
schen Sport und Machtbeziehungen stammt aus der inzwischen klassischen Studie von
John Hargreaves zur soziokulturellen Entwicklung des Sports in Großbritannien im 19.
und zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Vgl. HARGREAVES, John,
Sport, Power andCulture
, Cambridge 1989. Zum Konzept des »umkämpften Raumes«, zurückgehend auf
Bourdieu, siehe: MARKOVITSu. a., Mapping Sports Space, S. 1471.
54
54
Aneignung
des
sportsman
. Sie übertrugen dieses Ideal in einem spezifischen elitären
Verständnis in den brasilianischen Kontext, obwohl beispielsweise in der
Vorbildregion für Fußball, Großbritannien, schon seit den 1890er-Jahren
Profi-Ligen existierten und der Fußball dort schon ein Arbeiter- und
Massensport war.21Die Konstruktion des Amateurideals in Brasilien und
seine Rechtfertigung ist im Zusammenhang mit spezifischen Entwicklun-
gen in Brasiliens urbanen Zentren zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu sehen.
Ein Teil dieser Eliten nutzte das Ideenbündel vor allem, um den Fußball-
Sportraum gegen das Vordringen unterer sozialer Gruppen zu verteidigen.
Je populärer der Fußball wurde, umso schärfer formulierten und stärker
konstruierten elitäre Sportler, Erzieher und Journalisten dieses Ethos und
nutzten es als Form der Abgrenzung oder als Vorgabe, wie sich subalterne
Gruppen in dem Sportraum zu verhalten hatten und wie sie Sport praktizie-
ren sollten.
Im vorliegenden Kapitel werden diese Entwicklungen beschrieben und
damit auch klassenspezifische Bedeutungszuweisungen an den Fußball
abgehandelt. In den ersten drei Teilen (1.1, 1.2 und 1.3) wird ausgeführt,
wie das Amateurethos im globalen Kontext entstanden ist und welche spe-
zifische Ausprägung und Konnotationen es in Brasilien erfahren hat. Vor
allem hier wird dargelegt, dass Fußball in Verbindung mit dem Amateur-
ideal von Anbeginn weit mehr war als sinnfreies Sporttreiben. Anhänger
der aufkommenden Hygienebewegung wie Erzieher und Journalisten, aber
auch Sportler und Sportfunktionäre aus den Elitevereinen stifteten dem
Fußball einen Sinn, im Zuge dessen das Amateurideal zu einem moralisie-
renden Instrument für die eigene Schicht und für Angehörige anderer sozi-
aler Gruppen wurde.
Die folgenden Teilkapitel (1.4, 1.5 und 1.6) verdeutlichen ein komplexes
Zusammenspiel lokaler und globaler Herausforderungen, auf die die ge-
nannten Elitenakteure mit dieser Sinnstiftung reagierten. Das waren im
lokalen Rahmen vor allem die Entstehung von Klubs in den Arbeitervor-
orten der beiden Städte Rio de Janeiro und São Paulo und seine Populari-
sierung. Seine Verbreitung brachte die Einführung des Halb-Profitums mit
sich, das von nicht wenigen Spielern aus unteren sozialen Schichten als
Aufstiegsmöglichkeit gesehen wurde. Es wurde versucht, der Popularisie-
rung des Fußballs das Amateurideal entgegen zu stellen. Es war für die
21
Vgl. H
OLT
,
Sport and the British
; P
FISTER
, Gertrud, Wem gehört der Fußball? Wie
ein englisches Spiel die Welt eroberte, in: Michael FANIZADEH/Wolfram MANZEN-
REITER/Gerard HÖLDL/Rosa DIKETMÜLLER(Hg.),
Global Players. Kultur, Ökonomieund Politik des Fußballs
, Frankfurt am Main 2005, S. 37-56, hier 40.
55Aneignung
55
Eliten Herrschaftsinstrument und es sollte bestehende soziale Strukturen
festigen und erwünschte Verhaltensweisen fördern. Die Verbreitung des
Fußballs als sinnfreie Ausübung konnte dadurch nicht aufgehalten werden.
1.1. DASAMATEURETHOS: BEGRIFF UND GLOBALERKONTEXT
Das Fußballspiel und das Amateurethos beschrieben die brasilianische
Sportpresse bis in die 1920er-Jahre vor allem als britische Traditionen, als
feste Bestandteile eines britischen Charakters.22Die Entstehung des Ethos
stellten Sportjournalisten und Sportler in einen Zusammenhang mit der
Modernisierung und Industrialisierung in Großbritannien. Als Wiege des
modernen Fußballs und des
sportsman
galten die
public schools,
dort hät-
ten die Briten nach vorherrschender Meinung über Jahrzehnte virile, dis-
ziplinierte und patriotische Männer ausgebildet. Unter anderem hätten sie
von dieser Vorbereitung im Ersten Weltkrieg profitiert. Überhaupt sei die
Machtstellung Großbritanniens seit dem 19. Jahrhundert zu einem guten
Teil durch die sportliche Erziehung seiner Jugend zu erklären. Ver-
schiedentlich wurde in der Sportpresse hervorgehoben, in Brasilien sei eine
Reproduktion dieses Menschenbildes möglich, hierzu sei eine Institutiona-
lisierung des Sports an den Schulen notwendig, dort müsse Charakterbil-
dung in den Vordergrund gestellt werden.23
Tatsächlich hatte sich der moderne Fußball nach den Regeln der
Foot-ball Association
an den englischen
public schools
im 19. Jahrhundert
herausgebildet, dort erlernten ihn englische Elitensöhne und zunehmend
Söhne der Mittelklasse. Die gewalttätigen Formen des Fußballspiels, die
22
Dies geht aus unzähligen Artikeln hervor, die modernen Sport als genuin englisch
oder britisch darstellen, so zum Beispiel aus den Artikeln des Sonderkorrespondenten
Jack Watson, der für
A Gazeta
regelmäßig über die neuesten Sportereignisse in Groß-
britannien berichtete und auch die Rolle des Sports in der britischen Gesellschaft
beurteilte. Vgl. etwa: »Notas Inglezas. O Football na Inglaterra«,
A Gazeta
, 26.11.1919;
»Football. Notas Inglezas«,
A Gazeta
, 13.1.1920; »Football. Notas da Inglaterra«,
AGazeta
, 21.1.1920; »Football. Football na Grã-Bretanha. Foram prohibidas as
gratificações extraordinarias aos jogadores«,
A Gazeta
, 28.2.1920; »O Football
Britannico. Um Club de Profissionaes em Apuros por falta de rendimentos«,
A Gazeta
,
3.3.1920.
23
Vgl. »O Exeter City joga amanha contra os inglezes do Rio. O que e’ a Foot-ball
Association e o profissionalismo na Inglaterra«,
Correio da Manhã
, 17.7.1914;
»A verdadeira origem do Football«,
Vida Sportiva
, Nr. 103, 16.8.1919; »Football.
A Origem do Football. E a sua introdução em França e Hespanha«,
A Gazeta
,
28.1.1920; »Rapido Historico do Football Association«,
Vida Sportiva
, Nr. 133,
13.3.1920; »O Exeter City e o profissionalismo no foot-ball – Os vencimentos de cada
›player‹ e as especulações«,
OESP
, 24.7.1914.
56
56
Aneignung
bis dahin zwischen Mannschaften in den Dorfgemeinden stattfanden,
schränkten Kontrollinstanzen nun durch klare Regeln und zentrale Über-
wachung ein.24Dunning und Elias zufolge fand ein »Zivilisierungsprozess«
statt, der lokal divergierende Formen des Sportspiels anglich.25Von einer
sich von Ort zu Ort stark unterscheidenden Ausübung wandelte sich der
Fußball zu einer zentral kontrollierten, vereinheitlichten Sportpraxis.
In der fortschreitenden »Modernisierung« und »Zivilisierung«
26
des Fuß-
ballspiels schälte sich das Amateurethos als ein Bündel von Werten und
Praktiken heraus, das bis weit in das 20. Jahrhundert hinein Gültigkeit
besaß.27Der Sporthistoriker Richard Holt definiert das Amateurethos, wie
es in Großbritannien seit dem mittelviktorianischen Zeitalter entstanden
war, folgendermaßen:
Amateurism was many things: a belief in a new kind of vigorous physi-
cal culture based on reforming old games and exercises; an organizing
principle based on voluntary association and the creation of representa-
tive national structures; a written and unwritten code of conduct to pro-
mote the competitive principle; and an aesthetic of sport itself. It was a
complex phenomenon with complex causes.28
Wie Christiane Eisenberg darlegt, stammte das Amateurideal ursprünglich
aus der britischen Aristokratie und beinhaltete vor allem den Gedanken,
jeglicher Tätigkeit ohne Denken an Vergütung nachzugehen, kein allzu
großes Leistungsstreben an den Tag zu legen und ein
allrounder
zu blei-
ben, der verschiedene Tätigkeiten ausüben könne (
disinterestedness
).29Im
späten 19. Jahrhundert habe, so zeigen Norman Baker und Richard Holt,
die aufsteigende britische
middle class
das Ideal adaptiert, da ihre Söhne
gemeinsam mit Adligen
public schools
und Universitäten besuchten. Um-
gekehrt wurden in den
public schools
auch die englischen Oberschichten
mit Mittelklasse-Idealen vertraut gemacht. Aus dieser gegenseitigen Beein-
flussung habe sich eine Reformulierung des Amateurideals und seine An-
24
E
LIAS
u.a.,
Sport und Spannung
, S. 481.
25
Ebd.; H
ARGREAVES
,
Sport, Power and Culture
, S. 16-37.
26
Beide Begriffe aus: E
LIAS
u.a.,
Sport und Spannung
, S. 481.
27
B
AKER
, Norman, Whose Hegemony? The Origins of the Amateur Ethos in
Nineteenth-Century English Society, in:
Sport in History
24, 2004, Nr. 1, S. 1-15,
hier 1.
28
H
OLT
, Richard, The Amateur Body and the Middle-class Man: Work, Health and
Style in Victorian Britain, in:
Sport in History
26, 2006, Nr. 3, S. 352-369, hier 353.
29
E
ISENBERG
, »
English sports«
, S. 62 f.; B
AKER
, Whose Hegemony?, S. 1 f.
57Aneignung
57
passung an Mittelklasse-Werte ergeben.30Die Ablehnung von Gewinnerzie-
lungsabsichten sei mit der Übernahme von
middle class
-Idealen stärker
hervorgetreten. In der Folge habe sich das Amateurethos, so Eisenberg,
auch gegen Adlige gerichtet, die im 19. Jahrhundert in Wettspielen eben
gerade auch hohe Geldsummen investiert hatten.31In den Vordergrund sei
das
fair-play
gerückt, das allgemein als Devise für den gesellschaftlichen
Umgang miteinander in den Klassen-Beziehungen ausgegeben wurde.32
Ursprünglich umfasste das Ethos der
sportsmanship
, und darin einge-
schlossen das Amateurethos, die Werte Disziplin, Teamgeist, Fairness und
Unterordnung unter den Willen der Gruppe bzw. die
Leadership
des Mann-
schaftskapitäns, so definieren es verschiedene Autoren. Das Aufkommen
des Profi-Sports führte zu einem Selbstverständnis des Amateurs als Ge-
gensatz zum Profi-Sportler. Deshalb wurde die Ablehnung profitorientier-
ten Wettkampfes erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zentral, ge-
nutzt vor allem von der Mittelklasse als moralisches Instrument gegen
Profis jedweder sozialen Herkunft.33Vor allem Richard Holt hebt darauf ab,
wie sehr sich das – dann auch internationalisierte – Amateurethos im
urbanen London im Umfeld einer neuen
middle class
herausschälte, die
Büroarbeit ausübte, stark vom Leistungsgedanken geprägt war und sich
Gedanken über einen gesunden Freizeitausgleich machte. Dieser wurde im
Amateursport gesucht.
Das ist auch für den brasilianischen Kontext von Bedeutung, denn wie
zu zeigen sein wird, war gerade dieser Faktor – Sportausübung ohne Profit-
interesse – ein Anlass für Angehörige der urbanen Mittelklasse, den Fuß-
ball gegen eine angenommene »Demoralisierung« durch Einführung des
Profitums zu verteidigen.
30
B
AKER
, Whose Hegemony?, S. 4; Vgl. H
OLT
, The Amateur Body, S. 353.
31
E
ISENBERG
, »
English sports«
, S. 65.
32
B
AKER
, Whose Hegemony?, S. 5. Christiane Eisenberg zeichnet nach, wie sich die
Haltung der
disinterestedness
und damit auch des
fair play
aus der ökonomischen
Theorie des
doux commerce
des 17. Jahrhundert entwickelte. Als gesellschaftlich
strukturiender Leitgedanke sei diese in den sportlichen Wettkampf und das Ideal der
sportmanship
der englischen
middle class
eingegangen. Daraus entwickelte sich ihr
zufolge auch eine moralische Verurteilung von Profitinteresse und zugleich die
Zentralität des Amateurideals: EISENBERG, »
English sports«
, S. 56-69.
33
Vgl. zu der Konstruktion dieses Gegensatzes und zu den Werten des
Amateurethos: BAKER, Whose hegemony?. Auch: EISENBERG, »
English sports«
, insbes.
S. 62-69; HARGREAVES,
Sport, Power and Culture
, S. 39 ff.; Holt, Sport and the British,
S. 98-103, DERS., The Amateur Body; DERS., Amateurism and its Interpretation. The
Social Origins of British Sport, in:
Innovation
5, 1992, Nr. 4, S. 19-31.
58
58
Aneignung
Das zur
sportsmanship
gehörende Ethos wurde zwar schon zum Ende
des 19. Jahrhunderts durch die Gründung von Profi-Ligen in Nordengland
und durch die Wandlung des Fußballs zum zentralen Sport in der Arbeiter-
klasse herausgefordert, doch behielt es, trotz der Kommerzialisierung des
Sports, für die Eliten und die Mittelklasse bis weit in das 20. Jahrhundert
hinein eine herausragende Bedeutung als Identifikationsmittel.34Auch im
Ausland identifizierten Sportler und Sportjournalisten den britischen Sport
mit diesem Ethos. Das hatte auch damit zu tun, dass sich die englische FA
im Bereich der internationalen Fußballbeziehungen mit großer Beharrlich-
keit auf das Amateurideal bezog und sich etliche Male aus den Sportbezie-
hungen zurückzog, weil die FIFA den Amateurstatus nicht so eng aus-
legte.35Die Auseinandersetzungen zwischen der FA, der FIFA und dem
IOC nahm auch die brasilianische Sportpresse kurz nach dem Ersten Welt-
krieg als Machtkonflikte zwischen den ehemaligen Kriegsparteien wahr,
wobei der FIFA insgesamt eine wenig machtvolle Position zugeschrieben
wurde, da diese sich nicht über nationale Interessen hinwegsetzen könne.36
Das Amateurideal spielte eine bedeutende Rolle in dem sich ab dem
Ende des 19. Jahrhunderts ausbildenden transnationalen Sportraum. Pierre
de Coubertin berief sich darauf mit seiner Idee einer Olympischen Bewe-
gung. Bei den Olympischen Spielen und anderen internationalen Sportver-
anstaltungen propagierten die Begründer der Sportbewegung das Ethos und
ein damit verbundenes Menschenbild.37Die Verbreitung der Ideale des
Amateurethos fand im Zuge der vor allem schriftlichen Übernahme von
Spielregeln statt, die Sportler, Erzieher und Sportjournalisten aus dem
Englischen in andere Sprachen übersetzten.
In der historischen Forschung wurde die Entstehung dieses Ethos in der
britischen Gesellschaft meistens als Parallele oder in Interdependenz zu
34
Vgl. zum Wandel zum Arbeitersport in Großbritannien: H
OLT
,
Sport and theBritish
, S. 148-179. Zum Amateurethos als Identifikationsmittel: Vgl. BAKER, Whose
hegemony?, S. 1-15.
35
E
ISENBERG
, Christiane, Playing the Market Game: Cash Prizes, Symbolic Awards
and the Professional Ideal in British Amateur Sport, in:
Sport in History
31, 2011, Nr. 2,
S. 197-217, hier 211.
36
Vgl. »Football Internacional. Um protesto contra a exclusão da Allemanha e
Austria-Hungria da Federação Internacional de Football Association«,
Vida Sportiva
,
13.3.1920, Nr. 133, S. 22. Besonders die Sportsektion der Zeitung »O Imparcial«, die
von 1926-1928 der Journalist Afonso Varzea leitete, blickte mit großem Interesse und
Genauigkeit auf die in den 1920er-Jahren andauernden Auseinandersetzungen der
englischen FA mit der FIFA: Vgl. Ohne Titel,
O Imparcial
, 7.1.1928, Nr. 6032, S. 9;
Ohne Titel,
O Imparcial,
24.2.1928, Nr. 6072.
37
K
EYS
,
Globalizing Sport
, S. 30-35.
59Aneignung
59
Industrialisierung und Urbanisierung im 19. Jahrhundert erklärt.38Der
Sporthistoriker Richard Holt unterscheidet zwei Perspektiven, aus denen
die Herausbildung des Amateurethos von Historikern und Historikerinnen
aufgezeigt wurde: Zum einen eine sozialhistorische und teilweise neo-
marxistische Perspektive, aus der heraus es als Mittel zur Klassensegrega-
tion und als Aufoktroyierung bürgerlicher Werte wie Patriotismus und
Konkurrenzdenken bestimmt wurde.39Zum anderen aus einer diffusions-
historischen Perspektive, aus der heraus man es als Mittel zur Erziehung
und Moralisierung im Zuge eines kulturellen Imperialismus im britischen
Empire betrachtet habe.40
Ähnlich sehen auch die Erklärungsansätze für den Transfer des Amateur-
ethos und den Beginn des Fußballs als Elitensport in Südamerika aus: Auch
hier gibt es die Erklärung, das Ethos sei im Zuge eines Kulturimperialismus
von britischen Akteuren an die Grenzen eines »informal empire«41getragen
worden, das neben Argentinien und Chile auch Brasilien eingeschlossen
habe.42Im Rahmen einer sozialgeschichtlichen Darstellung beschrieben
diese Ansätze, wie brasilianische Akteure in ihrem Land das Amateurethos
38
Vgl. als klassische Interpretation hierzu E
LIAS
u.a.,
Sport und Spannung
. Vgl.
weiterhin: BAKER, Whose Hegemony?; HARGREAVES,
Sport, Power and Culture
; HOLT,
The Amateur Body; LOWERSON, John,
Sport and the English Middle Classes,1870-1914
, Manchester 1993; MANGAN, J.A.,
Athleticism in the Victorian andEdwardian Public School
, Cambridge 1981. Für den brasilianischen Fall hat sich der
Anthropologe José Sérgio Leite Lopes mit dem Amateurethos als Ideal der Eliten
befasst: Vgl. LEITELOPES,
Classe, etnicidade e cor
.
39
H
OLT
, The Amateur Body, S. 352.
40
Ebd., S. 353. In Bezug auf die kulturimperialistische These kritisiert Holt hier vor
allem den Autor J.A. Mangan: MANGAN,
Athleticism
.
41
Vgl. den Ursprung des Begriffs bei Gallagher und Robertson: G
ALLAGHER
,
John/ROBINSON, Ronald, Der Imperialismus des Freihandels, in: Hans-Ulrich WEHLER
(Hg.),
Imperialismus
, Köln 1970, S. 183-200. Die Bestätigung dieser These bei Cain
und Hopkins: Vgl. CAIN, Peter J./HOPKINS, Antony G.,
British Imperialism, 1688-2000
,
2. Aufl., New York 2001, insbes. S. 243-274. Siehe auch: GRAHAM, Richard, Sepoys
and Imperialists: Techniques of British Power in Nineteenth Century Brazil, in:
Inter-American Economic Affairs
23, 1968, S. 23-37; OSTERHAMMEL, Jürgen, Gentleman-
Kapitalismus und Gentleman-Charakter: Eine neue Gesamtdeutung des britischen Impe-
rialismus, in:
NPL
39, 1994, Nr. 1, S. 5-13.
42
Vgl. zum Beispiel Mangan, der sich auf den argentinischen Fall bezieht. Er be-
greift Argentinien als Teil des britischen »informal empire« und arbeitet mit einem an
Edward Said angelehnten Transferverständnis. Eine besondere Rolle komme den
publicschools
als »Außenstellen« des britischen Imperialismus‘ in Argentinien zu: MANGAN,
The Early Evolution of Modern Sport in Latin America, S. 21 und S. 36. Auch: GUTT-
MANN,
Games and Empires
, besonders S. 56-63.
60
60
Aneignung
adaptierten und darüber den Fußball als exklusiven Raum nach unten
verteidigten.43
Beide Ansätze schauten sowohl auf britische als auch auf brasilianische
Elitenakteure, trotzdem ist nicht deutlich geworden, warum das Ama-
teurethos im Fußball in Brasilien eine so starke Ausstrahlungskraft hatte.
Außerdem ist in diesen Erklärungen der Fokus zu sehr auf die Nachahmung
eines von britischen Akteuren vorgegeben Wertebündels gelegt worden,
ohne dass sein Wandel herausgearbeitet wurde. Dabei wird ausgeblendet,
dass sich die Akteure permanent mit dem Amateurideal in einem transnati-
onalen Kontext auseinandersetzten und es entsprechend rekonfigurierten.
Auch ist noch nicht hinreichend deutlich geworden, welche sozialen Ak-
teure an dieser Aneignung und Aushandlung des Amateurethos beteiligt
waren und welche Bedeutung sie ihm zuschrieben.
Auch für das Verständnis der Fußballverbreitung in Brasilien können die
weiter oben genannten Faktoren, die Holt anführt, von Bedeutung sein.
Auch dort fand ein Wandel in der Wahrnehmung von Gesundheit, Arbeit
und männlicher Ästhetik statt. In Brasilien vollzog sich dieser Wandel
ebenfalls im Kontext der Entstehung einer urbanen Mittelklasse und den
Herausforderungen durch Urbanisierung und Industrialisierung zu Beginn
des 20. Jahrhunderts. Mit diesen erweiterten Untersuchungsparametern im
Blick rücken stärker soziale Akteure in das Blickfeld, die im Wandel der
Zeit für die Adaptation des Fußballs verantwortlich waren, also nicht nur
britische Einwanderer und elitäre Sportpioniere, sondern Mittelschichtsan-
gehörige und Arbeiter. Deutlich wird so auch, dass das Amateurideal kein
fixes Wertebündel war, das unverändert nach Brasilien transferiert wurde,
sondern das in einem spezifischen Kontext angeeignet und modifiziert
wurde. Für das Verständnis der kulturellen Globalisierung des Fußballs, die
eben nicht einfach eine Uniformierung von Werten bedeutete, ist das ein
entscheidender Aspekt.44
43
Vgl. zu der Diffusions- und Kulturimperialismusthese insbesondere: S
HIRTS
,
Matthew G., Futebol no Brasil ou Football in Brazil? in: José Sebastião WITTER(Hg.),
Futebol e cultura: coletânea de estudos
, São Paulo 1982. Vgl. zu der sozialhistorischen
Interpretation und Entstehung als Wertesystem an britischen
colleges
in Brasilien:
CALDAS, Brasilien.
44
Selbstverständlich kann der Transfer des Amateurethos auch im Rahmen des
Wissenstransfers von Europa nach Lateinamerika im 19. Jahrhundert betrachtet werden,
so im Kontext der Herausbildung einer staatsnahen Europa-orientierten »Intelligenzija«
in »ciudades letradas«: Vgl. RAMA, Ángel,
La ciudad letrada
, Santiago de Chile 2004.
Auf die Problematik der Adaptation des Konzeptes der »ciudad letrada« für São Paulo
hat Woodard verwiesen: Vgl. WOODARD, James P.,
A Place in Politics: São Paulo,Brazil, from Seigneurial Republicanism to Regionalist Revolt
, Durham u.a. 2009,
61Aneignung
61
Das Amateurethos im Sinne der Werte des
fair play
, des kollektiven
Denkens, des Betreibens von Sport um des Sportes willen war Grundlage
der neu gegründeten Vereine brasilianischer Eliten. Auch die Sportver-
bände schrieben es fest und die Sportpresse befasste sich ausdauernd damit,
es genauer zu definieren. Allerdings hat sich die Sportpresse explizit erst
mit dem Amateurethos und der Bedeutung von
sportsmanship
befasst, als
der Fußball sich zu einem Massensport wandelte und Spieler auftraten, die
mit ihm Geld verdienten. Davor wurde es selbstverständlich vorausgesetzt.
Das Amateurethos war bereits Motor für die Gründung von Vereinen, die
ersten Sportpraktizierenden bezogen sich darauf. Doch erst mit der Popula-
risierung, Professionalisierung und Kommerzialisierung des Fußballs ge-
wann es eine moralisierende und erzieherische Komponente, die die Sport-
presse verbreitete. Abgrenzung spielte also eine herausragende Rolle für
seine Definition.
Wer waren diese Akteure, die den Fußball und das Amateurethos als
erstes propagierten? Und aus welchen Motiven handelten sie? Eine erste
Gruppe waren Angehörige der urbanen Eliten. In São Paulo beispielsweise
die Familie Prado, die unmittelbar wichtig für die Sportentwicklung zum
Ende des 19. Jahrhunderts und in den ersten beiden Dekaden des 20. Jahr-
hunderts in dieser Stadt war. Besonders tat sich Antônio Prado Júnior her-
vor, der Sohn des gleichnamigen Paulistaner Kaffeeoligarchen und Politi-
kers. Er war selbst begeisterter Sportler, wie viele seiner Brüder und andere
Familienmitglieder, und fungierte in São Paulo als Sportmäzen.45Er und
andere soziale Akteure seiner Generation und Herkunft verstanden den
Sport als ein exklusives Refugium von Eliteangehörigen oder von Perso-
nen, die in der Lage gewesen waren, sich den Sport als kulturelles Kapital
anzueignen. Das schlug sich in unterschiedlichen Abschottungsversuchen
durch Reglementierungen, institutionellen Ausschluss und vor allem als
diskursive Art der Exklusion über die Formulierung des Amateurethos
nieder. Auf Dauer mussten Akteure wie Prado erkennen, dass die Populari-
sierung und der damit verbundene Wandel sportlicher Werte und Formen
S. 30 f., auch: S. 252, Fußnote 62. Ich untersuche im Folgenden die Aneignung des
Amateurethos nicht vordergründig im Anschluss an Formen des Wissenstransfers im
19. Jahrhundert, denn mir geht es um die spezifische Aneignung im Kontext der
Entstehung einer transnationalen Sportgemeinschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
45
Zur Familie Prado: L
EVI
, Darrell E.,
The Prados of São Paulo, Brazil: An EliteFamily and Social Change, 1840-1930
, Athens u. a. 1987.
62
62
Aneignung
seiner Ausübung unaufhaltsam waren. Bei einem Teil dieser Akteure führte
dies zu einer Abwendung und zu einem Rückzug vom Sport.46
Eine zweite Gruppe von Akteuren waren Sportler, Journalisten, Erzieher
und Reformer, die zum Teil auch einer neu entstehenden urbanen Mittel-
klasse zuzurechnen waren. Auch sie gehörten dem Umfeld der Eliteklubs
an, hatten dort Fußball spielen ge- und die Werte des Amateurethos erlernt.
Anders jedoch als angesichts der Popularisierung den Rückzug zu suchen,
begriffen und nutzten sie Sport und speziell Fußball als eine Möglichkeit,
Menschen anderer sozialer Schichten im Einklang mit den Werten des
Amateurethos zu erziehen. Sie waren es, die das Amateurethos etablierten,
schärfer definierten und auch in der Sportpresse reproduzierten. Die Ange-
hörigen dieser Gruppe überschnitten sich auch mit Anhängern der zu Be-
ginn des 20. Jahrhunderts populären Hygienebewegung und Befürwortern
von Reformen im Erziehungswesen und der Militärausbildung. Im Unter-
schied zu Sportpionieren wie Prado Júnior waren sie oftmals auch von der
Popularität des Sports direkt abhängig, zum Beispiel als Journalisten, und
profitierten von seiner vertikalen Verbreitung.
Diese beiden Gruppen führe ich im Folgenden begrifflich häufig zu-
sammen und bezeichne sie als Elite, auch wenn viele von ihnen als Journa-
listen, Erzieher und Reformer im Selbstverständnis und in bestimmten
Forderungen, Attributen und ihrer Lebensweise der sich herausbildenden,
noch diffusen urbanen Mittelschicht angehörten. Ich bin mir der Debatte
um eine historische Mittelschicht und ihre Identität in Brasiliens Städten
dabei durchaus bewusst und reflektiere diese mit, indem ich an bestimmten
Punkten diese Akteure mit einem Selbstverständnis einer modernen Mittel-
schichtsidentität gegen die traditionellen und eher aristokratischen Akteure
abgrenze.47
Als Elite werden sie hier allerdings auf Grund ihres Einflusses und ihrer
Hegemonie, beispielsweise in der Presse, im Erziehungssystem und spezi-
fischer in den Sportklubs und -verbänden bezeichnet, worin sie von einer
letzten Gruppe abzugrenzen sind, nämlich den Angehörigen nicht-elitärer
sozialer Schichten, die die Hegemonie der Eliten herausforderten und sich
in suburbanen Klubs und Ligen organisierten. Die Popularisierung des
Fußballs bedeutete auch, dass sich Spieler dieser sozialen Herkunft auf der
46
Vgl. P
EREIRA
, Leonardo Affonso de Miranda, Pelos campos da nação: um
goalkeeper
brasileiro nos primeiros anos do futebol brasileiro, in:
Estudos históricos
10,
1997, Nr. 19, S. 23-40.
47
Vgl. hierzu W
EINSTEIN
, Weiß, männlich, Mittelschicht, S. 320-326 und 330-332.
Siehe auch OWENSBY,
Intimate Ironies
.
63Aneignung
63
Basis der universalen Regeln an den elitären »Pionieren« messen konnten.
Potenziell bot damit der Fußball auch die Funktion eines sozialen Auf-
stiegs, der vor allem über das Halb-Profitum möglich zu sein schien. Dazu
war es notwendig, das Amateurethos zu adaptieren. Diejenigen allerdings,
die diesen sozialen Aufstieg nicht anvisierten und die zum reinen
Vergnügen Fußball spielten, forderten die Gültigkeit und die Universalität
des Wertebündels des Amateurethos heraus und stellten es in Frage. Denn
sie spielten und organisierten Fußball womöglich völlig anders, nach
eigenen Vorstellungen und nicht im Rahmen der von den Eliten ge-
wünschten Regeln und Wertevorgaben.
Die von den Elitenakteuren gegründeten Klubs und die von ihnen
herausgegeben Zeitschriften oder geleiteten Sportredaktionen hielten das
Ideal eines Sportlers aufrecht, der den Sport in seiner Freizeit auszuüben
hatte und ansonsten einer geregelten Arbeit nachgehen sollte; der sich beim
Ausüben des Sports und auch im restlichen Alltag wie ein
Gentleman
ver-
halten und seinem Verein treu sein sollte; der auf dem Sportplatz Werte
wie Mannschaftsgeist und Disziplin über Individualismus und Egoismus zu
stellen hatte.48
1.2. DIE»NATIONALISIERUNG«DESAMATEURETHOS INBRASILIEN
Eine Form der Aneignung war, den Fußball und das Amateurethos als
nationale historische Tradition zu erfinden. Das ging einher mit einer ver-
änderten Sportberichterstattung mit Beginn des Ersten Weltkrieges. Schon
vergangene Siege einzelner Klubs und der Nationalmannschaften bereitete
die Presse auf und erzählte sie als patriotische Heldentaten wieder. Daraus
wob sie einen narrativen Stoff, indem sie Fußballereignisse als Traditionen
von Klubs, der Stadt, der Region oder gar der brasilianischen Nation erfan-
den.49Ab circa 1915 publizierten die Zeitungen auch Spielerbiografien. Die
vorgestellten Spieler stellten sie als Vertreter einer besseren, glänzenden
Vergangenheit des Fußballs dar, in der alle Fußballer pure Amateure
waren.
Ein Beispiel für dieses Narrativ ist eine Interviewreihe, die am 28.2.1918
die Tageszeitung
A Gazeta
mit »Meistern und Veteranen« (»Campeões e
48
Vgl. Moraes, Jorge de, »A Edução Physica«,
Vida Sportiva
, Nr. 107, 13.9.1919,
S. 17-19, hier 19.
49
Vgl. hierzu auch die Geschichte der Sportkolumne, die Hollanda als Genre be-
schreibt, in dem Autoren den Fußball als Tradition »erfinden«: HOLLANDA,
Odescobrimento do futebol
, S. 140 und S. 192 ff.
64
64
Aneignung
Veteranos«) des nationalen Fußballs begann. Darin kamen Spieler zu Wort,
die an bedeutenden internationalen Spielen teilgenommen, zum Großteil
ihre Fußballkarriere aber schon hinter sich hatten. Sie gehörten zur »Pio-
niergeneration« des Paulistaner Fußballs, waren Amateursportler und hat-
ten Anfang des 20. Jahrhunderts in einem der gerade gegründeten Elitever-
eine, wie dem Klub des Mackenzie Colleges begonnen oder hatten selbst
einen Verein gegründet.
Die Zeitung stilisierte die Spieler dieser Generation nun zu Helden. Das
verstärkte die Reihe durch eine ikonografische Darstellung der Spieler,
zum Beispiel durch Fotografien der Spieler bei wichtigen Spielzügen.
Durch die Aufnahmen war der Leser plötzlich mitten im Spiel und erlebte
den Moment des Tors oder der Vorbereitung des Tors noch einmal mit.
Auch fingen die Fotografien ein neues Männlichkeitsbild ein und entwarfen
es zugleich, um es dann mit erfundenen nationalen und lokalen Traditionen
zu verknüpfen.50
Dies geschah auch in einer der ersten historischen Veröffentlichungen
zum Fußball, die der angesehene Sportjournalist Antônio Figueiredo 1918
verfasste. Er schrieb bei der Tageszeitung
O Estado de São
Paulo bzw.
beim
Estadinho
, seiner Abendausgabe. In seiner »Geschichte des Fußballs
in São Paulo« (»História do Foot-Ball em São Paulo«) erzählt er die Ent-
wicklung des Fußballs als eine Erfolgsgeschichte des Bundesstaates São
Paulo, vor allem in Abgrenzung zu Rio de Janeiro. Er stellt sie als
Modernisierungspfad dar, auf dem sich der Paulistaner Fußball technisch
vor allem durch die Begegnung mit ausländischen Teams entwickelt habe.51
Für Figueiredo bedeutete die Einführung des Sports auch die Entstehung
eines neuen Menschentypus, der geistige und körperliche Fähigkeiten in
sich vereine. Ähnlich sei dies im antiken Griechenland gewesen, zu dem er
eine historische Linie zog und auf diese Weise den sich herausbildenden
neuen Menschentypus in eine historische Tradition stellte. Um seine Ar-
gumentation zu stärken, bezog er sich auch auf die USA nach der Präsi-
50
Die Veränderung der Sportchronik und fotographischer Darstellung ergab sich
schon früher als lange angenommen. Zur Fotografie in der Sportberichterstattung: Vgl.
BOTELHO, Da geral à tribuna, S. 325. In der historischen Literatur zur Entwicklung der
Sportberichterstattung ist eine Veränderung oft erst mit dem Journalisten Mário
Rodrigues Filho in Verbindung gebracht worden: Vgl. HOLLANDA,
O descobrimento dofutebol
, S. 144-147. Hollanda meint, Filho habe die Sportchronik modernisiert und
lebendiger und umgangssprachlicher gemacht. Doch auch er weist darauf hin, dass die
Pionierrolle für die Modernisierung der Sportchronik durch einige Historiker kürzlich
relativiert worden sei, unter Verweis auf ähnliche Entwicklungen in São Paulo seit ca.
1915: Ebd., S. 149.
51
Vgl. F
IGUEIREDO
,
História do Foot-Ball
, S. 39-45 und S. 80 f. und 177 f.
65Aneignung
65
dentschaft Monroes, wo er anscheinend eine solche glückliche Vereinigung
und Herausbildung eines neuen Menschentypus verwirklicht sah. Auf dem
Weg zu einem modernen Land, so Figueiredo, spiele der Sport, besonders
der Fußball, eine herausragende Rolle:
Der Sport […] muss für dieses Ziel eingesetzt werden, denn er bereichert
die neuen Generationen, er macht sie gesund, bereitet sie auf den Frie-
den und den Krieg vor, adelt sie, vergrößert sie. Die Spiele unter freiem
Himmel zu vergessen, die in den letzten beiden Dekaden das Vergnügen
der Jugend waren, wäre ein Fehler, vielleicht sogar ein Verbrechen.52
Figueiredos Einordnung des Sports ist im zeitlichen Kontext zu sehen:
Dass er sich auf die USA als »Sportnation« beruft, hat mit einer Abwen-
dung brasilianischer Eliten von Europa zu tun, das sich in Folge des Ersten
Weltkriegs in einer kulturellen Legitimationskrise befand, da spätestens
jetzt sein spezifisches Fortschritts- und Moderneparadigma als verfehlt
wahrgenommen wurde. Zugleich nahmen Sportmedien die USA in den
1920er-Jahren durch die vermehrt stattfindenden internationalen Sport-
großveranstaltungen als sportlich erfolgreiche Nation wahr, wie durch die
vom amerikanischen Militär und dem YMCA 1919 im französischen Per-
shing-Stadion organisierten
Inter-Allied Games
.53Weiterhin sahen Paulista-
ner Intellektuelle in den USA ein Vorbild für die Entwicklung ihres
eigenen Staates, vor allem in der Figur des
Selfmademan
.54
52
Ebd., S. 7.
53
Vgl. D
YRESON
, Globalizing, S. 97 ff.; »A Olympiada de Anvers. A Participação
dos Sportsmen Brasileiros, Chilenos, Argentinos e Italianos«,
A Gazeta
, 8.1.1920. Das
widerspricht der These von Keys, die USA hätten erst in den 1930er-Jahren im Sport
eine Anziehungskraft ausgeübt: Vgl. KEYS,
Globalizing Sport
, S. 75. José Murilo de
Carvalho sagt, dass im Zeitraum zwischen 1870 und 1914 im Zuge des
Fortschrittsparadigmas urbaner Eliten eine Orientierung an amerikanischen
Erziehungsmustern zunahm, dazu zählt er auch Leibeserziehung. Der
sportsman
habe
den »[f]rankophilen Dandy mit seinem
belle-époque
-Stil [Hervorh. im Original]«
abgelöst: Vgl. CARVALHO, José Murilo de, Brazil 1870-1914: The Force of Tradition,
in:
Journal of Latin American Studies
24, 1992, S. 145-162, hier 147. Die Idee des
sportsman
als Idolfigur kam sicherlich vor allem noch aus dem britischen und
kontinentaleuropäischen Kontext, jedoch existierte ab der Zwischenkriegszeit auch
schon eine globale Ausstrahlung der US-amerikanischen Sportkultur. Vgl. zur mit dem
Ersten Weltkrieg veränderten Wahrnehmung des Sports als missionarische Möglichkeit
der Verbreitung amerikanischer Werte beim US-Militär: POPE, S. W.,
Patriotic Games:Sporting Traditions in the American Imagination, 1876-1926
, New York/Oxford 1997,
besonders S. 139-155. Vgl. auch »O futeból Norte-Americano. O caracter guerreiro des-
se jogo e o seu preparo scientifico. Uma victoria do amadorismo«,
Sports
, 20.5.1921.
54
F
ERREIRA
,
A epopéia bandeirante
, S. 114 und 324. Obgleich einflussreiche Paulis-
taner Intellektuelle in einer ufanistischen Strömung Ende des 19. Jahrhunderts den
66
66
Aneignung
Die Historisierung des modernen Sports als antike Tradition hängt auch
mit einer im transnationalen Sportkontext vorherrschenden neo-
hellenistischen Bewunderung antiker Vorläufer des Sports zusammen.55
Bestes Beispiel ist Pierre de Coubertin, der die Olympischen Spiele be-
wusst als antike Tradition erfand und wiederbelebt sehen wollte, um einen
neuen Menschentypus zu formen. Coubertin selbst inspirierte sich bei sei-
ner Erfindung der Olympischen Spiele bei den britischen modernen Sport-
arten und wollte diese internationalisieren.56Die Aneignung von Sport für
Projekte nationaler Erneuerung und Moralisierung wiesen somit eine ge-
wisse globale Gleichförmigkeit auf. Zwar verfolgten Autoren wie Figuei-
redo nationale Vorhaben, allerdings konnten sie erst vor dem Hintergrund
eines transnationalen Austauschs von Ideen, Körperbildern und der Inter-
aktion von Sportlern sinnvolle Zusammenhänge schaffen.
Auch Figueiredo idealisierte in seiner
História do Foot-Ball em SãoPaulo
den Amateursportler: In der ersten »goldenen« Phase des Fußballs
zwischen 1902 und 1904 hätten Fußballamateure vor einem eleganten und
auserwählten, begeisterten Publikum gespielt. Der Fußball habe sich zwar
seitdem vor allem technisch weiterentwickelt, trotzdem sei er in der ersten
Phase besonders ursprünglich und zugleich besonders amateurhaft gewe-
sen.57Die Spieler hätten kaum ihre Positionen eingehalten, sondern das
gesamte Feld bespielt:
[B]estimmte Verteidiger – stellt Euch vor! – durchliefen das Feld von
einer Seite zur anderen, indem sie täuschten; einige Torhüter, um sich
zur Schau zu stellen, entfernten sich von ihrem Posten, blieben im
Raum, täuschten auf allen Seiten die Stürmer, die wütend zu ihnen auf-
schlossen!!58
Der Fußballspieler musste anscheinend in dieser frühen Phase keine beson-
ders ausgefeilte Technik beherrschen, nicht so stark an der Einhaltung der
Regeln interessiert und auch weniger diszipliniert sein.59Er war das, was
für den britischen Amateursport als
allrounder
beschrieben ist und sowohl
Einfluss der USA in Lateinamerika kritisierten: Vgl. O
LIVEIRA
,
A questão nacional
,
S. 105-109.
55
In Bezug auf den Neo-Hellenismus im britischen Amateurethos berufe ich mich
auf Holt, The Amateur Body, S. 364.
56
K
EYS
,
Globalizing Sport
, S. 30 f.
57
Vgl. F
IGUEIREDO
,
História do Foot-ball
, S. 77 f.
58
Ebd., S. 78.
59
Vgl. ebd.
67Aneignung
67
die Spielposition auf dem Fußballplatz als auch die gesamte Lebensein-
stellung umfasste.60In seinen Grundzügen hingen auch brasilianische Fuß-
ballspieler und Klubs aus der frühen Amateurphase diesem Vorbild des
allrounders
an.61Beispielhaft sind hier Elitenangehörige wie der schon
erwähnte Antônio Prado Júnior, der mehrere Sportarten ausübte, Motor-
sport- und Tennisvereine gründete und Mitte der 1920er-Jahre einen Rück-
zug seines Klubs C.A. Paulistano aus dem Fußball anstieß, als eine offizi-
elle Einführung des Profi-Fußballs absehbar war.62Die Klubgründer des
C.A. Paulistano legten von Beginn an Wert darauf, dem Fußball keinen
Vorzug vor anderen Sportarten zu geben.63
Der Wandel von der Vorstellung des Amateursportlers als
allrounder
hin
zum spezialisierten Fußballer spiegelte sich in der Art und Weise, wie
Zeitungen und Sportzeitschriften Sportler darstellten (Bild 1 und Bild 2).
Auch darauf verweist die bereits erwähnte Interviewreihe »Meister und
Veteranen«.64Die Reihe stellte die interviewten
sportsmen
als Vertreter
eines im Niedergang befindlichen Ideals dar. Neben den oft ganzseitigen
Interviewtexten zeigte sie in den meisten Fällen Porträtfotos der Spieler, oft
inszeniert als typische
gentlemen
: Die Sportbekleidung erinnerte an soziale
Kleidung als Ausdruck ihres Status, sie trugen einen Anzug und manchmal
eine Krawatte. Ihre gesellschaftliche Position war Voraussetzung für den
Zugang zum exklusiven Sportraum. Zunehmend setzten sich jedoch Fotos
von Spielzügen durch, die zum einen den Fortschritt technischer Möglich-
60
Das Verständnis des Amateurs als
allrounder
entstammt Baker zufolge der engli-
schen Oberschicht des 19. Jahrhunderts, die den Amateursportler als jemanden sah, der
vorausschauend sein sollte, demzufolge mehrere Positionen im Sport und in der Gesell-
schaft insgesamt ausfüllen konnte, der also auch
Leadership
-Qualitäten hatte. Der
allrounder
war außerdem weder auf eine einzelne Sportart noch überhaupt im Leben
auf Sport an sich spezialisiert. Damit, so Baker, intendierten die englischen Vertreter
des Amateurethos eine Abgrenzung gegen professionelle Sportler. Sie bezogen sich
damit auf Professionalität im Sinne von Spezialisierung insgesamt, verkörpert im
Facharbeiter oder im spezialisierten Angestellten: BAKER, Whose hegemony? S. 9 f.
61
Ebenso Marcos Mendonça, eine Torwart des Elite-Klubs Fluminense F. C., der auf
dem Höhepunkt seiner Karriere 1919 den Rückzug aus dem Fußball antrat, da er die
Zunahme gewaltsamer Ausschreitungen beanstandete: Vgl. PEREIRA, Pelos campos da
nação; DERS.,
Footballmania
, S. 109 ff.
62
Vgl. »Antônio Prado Júnior: O Presidente«, in:
Club Athletico Paulistano: umclube que cresceu com a cidade
, São Paulo 1970, S. 134 ff.
63
Vgl. Bericht über die Generalversammlung des C. A. Paulistano, 28.11.1904, in:
Album 1901-1904, S. 220-223, CAP.
64
Die interviewten
sportsmen
waren die Sportler Hugo de Moraes, Sylvio Lagreca,
Francisco de Nascimento Pinto, Adolpho Millon, Mario de Macedo, Dr. Luiz Alberto
Pannain, Alencar Mouth, Antonio Picagli, Juan Bertone und Demosthenes de Sylos.
68
68
Aneignung
keiten demonstrierten, aber auch eine veränderte Wahrnehmung und
veränderte soziale Herkunft des Sportlers.65
Doch auch Fotos vom Platz transportierten Werte des Amateurideals:
Wie die Geste des
fair-play
auf dem Foto unten (Bild 3), auf dem der Spie-
ler Sylvio Lagreca dem uruguayischen Spieler Ángel Romano der gegneri-
schen Mannschaft Nacional aus Montevideo die Hand reicht.
Bild 1: Der Spieler Francisco Bueno Netto
von Fluminense F. C. Quelle:
SportIllustrado
, Nr. 7, 18.9.1920.
Bild 2: Der Spieler Rubens Salles in
einem vornehmen Trikot seines Vereins
C. A. Paulistano. Quelle:
A Gazeta
,
20.6.1918.
65
Vgl.
Botelho
, Da geral à tribuna, S. 325-328. Fotografien waren noch teuer und
aufwändig, entsprechend demonstriert ihre Zunahme die Bedeutung des Fußballs in der
Berichterstattung: Vgl. ebd.
69Aneignung
69
Bild 3: Der brasilianische Spieler Sylvio Lagreca und der uruguayische Spieler Ángel
Romano des Klub Nacional, Montevideo bei einer Begegnung im Jahr 1917. Quelle:
AGazeta
, 7.3.1918.
Die Erfüllung des Amateurethos forderten die interviewten
sportsmen
auch
in Begegnungen mit ausländischen Teams ein. Sie verglichen das Ver-
halten von Spielern unterschiedlicher ausländischer Teams und am besten
beurteilten sie die Spieler Argentiniens und Uruguays. Ein Großteil der in
der oben erwähnten Interviewreihe zu Wort kommenden Spieler hatte 1914
an einem Spiel gegen den englischen Profi-Klub Exeter City teilge-
nommen. Während die Spieler von Exeter mit ihrer brutalen Spielweise
dieses Ethos kaum verkörperten, seien die argentinischen und uruguay-
ischen Spieler zumeist vorbildhafte
sportsmen
.66Aber nicht nur das Verhal-
ten auf dem Spielfeld, sondern auch die Art und Weise wie das gegnerische
Team im Land empfangen und behandelt wurde, gehörte zum Habitus des
sportsman
.67Kurioserweise rangierten in dieser internationalen Hierarchie
die Briten nur noch weit unten. Die Einführung des Profi-Fußballs in Groß-
britannien sah die Sportpresse als eine negative Entwicklung, weil sie einer
nunmehr eigenen Tradition widersprach, der des brasilianischen oder im
weiteren Sinne lateinamerikanischen
sportsman
. Dahinter steht ein Männ-
66
Vgl. »Campeões e Veteranos III. Francisco do Nascimento Pinto«,
A Gazeta
,
15.3.1918.
67
Vgl. ebd.
70
70
Aneignung
lichkeitsbild, für das das Amateurideal zentral war, ein Mann, der Interesse
an verschiedensten Sportarten hatte, aber auch an Literatur und Hochkultur.
Autoren wie Antônio Figueiredo und die Darstellungsweisen in der Sport-
presse hatten einen bedeutenden Anteil an der Konstruktion dieses Typus.
Sie schufen dieses Bild in der Auseinandersetzung mit der europäischen
und US-amerikanischen Sportkultur. Sie eigneten es jedoch für den
brasilianischen Kontext nicht unhinterfragt und unverändert an und fügten
es zum Beispiel mit regionalistischen Identitätskonstruktionen zusammen.
1.3. FUSSBALL ALSINSTRUMENT ZUR»ZIVILISIERUNG«UNDSCHAFFUNG EINERRAÇA BRASILEIRA
Eine bedeutende Rolle im Prozess der Verbreitung und Popularisierung des
Fußballs spielten Übersetzungen europäischer Fußballregeln, Lehrwerke,
Handbücher und Fachliteratur zu Leibesertüchtigung und Sport. Die Über-
setzer und Autoren schufen auf diese Weise Wissen über das Spiel und
verbreiteten es. Sie orientierten sich dabei aber nicht ausschließlich an
Großbritannien; auch Frankreich, das traditionelle kulturelle Vorbild
brasilianischer Eliten, und andere Länder sahen sie als »Sportnationen«.68
Schon zum Ende des 19. Jahrhunderts tauchte Sport als Thema in neu
gegründeten Illustrierten und Magazinen auf, zunächst noch als elitäres
gesellschaftliches Vergnügen eingestuft und auf der gleichen Stufe mit
Theater und Varieté stehend. Berichtet wurde vorwiegend von den bei den
urbanen Eliten beliebtesten Sportarten, also von Pferderennen und Ruderre-
gatten – Fußball war ein Randgeschehen. Die Artikel beschränkten sich
meistens darauf, Spiele anzukündigen und die Mannschaftsaufstellungen zu
publizieren. Auf ein Spiel verwiesen sie eingehender, wenn es im Rahmen
eines Festes stattfand. Auch in den noch relativ kleinen Sportsektionen der
Tageszeitungen war das so.69
Ab dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts entwickelte Fußball sich
zur zentralen Sportart in Brasilien und gewann einen größeren kulturellen
Stellenwert. Erzieher, Wissenschaftler und Journalisten waren an dieser
Sinnausweitung beteiligt, sie wollten über den Fußball eine homogene
raça
68
Auch in Europa ist die Fußballverbreitung nicht genuin Großbritannien zuzuschrei-
ben, wie Matthew Taylor meint: TAYLOR, Global Players?, S. 13 f.
69
Vgl. M
ELO
,
Cidade esportiva
, S. 187-192.
71Aneignung
71
brasileira
formieren. Ziel war es auch, eine angenommene »Degeneration«
Brasiliens aufzuhalten und diese umzukehren.70
Was war der Hintergrund für dieses Denken? Mit dem Ende des Kaiser-
reichs und dem Beginn der Ersten Republik sollte das Land umfassend
sozialpolitisch reformiert werden. Hinter der »Degenerations«-Theorie
standen die Ende des 19. Jahrhunderts in Europa und auch in Brasilien
populären »Rassentheorien«, die grundsätzlich davon ausgingen, dass
unterscheidbare »Rassen« existierten und eine Mischung dieser »Rassen«
zum »Niedergang« der gesamten Bevölkerung führe. Obwohl die »Ras-
sentheorien« in Europa und auch Brasilien ab 1915 unpopulär wurden, hielt
sich die Theorie der »Degeneration« und eines »sozialen Evolutionismus«
bis in die 1930er-Jahre.71Neben der Förderung europäischer Immigration
setzten politische und wirtschaftliche Eliten auch auf sozialpolitische Maß-
nahmen, um der angenommenen »Degeneration« entgegenzuwirken.72
Dahinter stand auch die Berufung der Reformer auf neo-lamarckianische
Theorien, wie allgemein in den Ländern Lateinamerikas mit multiethni-
schen Bevölkerungen Anfang des 20. Jahrhunderts üblich. Im Gegensatz zu
den in Europa verbreiteten Mendelschen Erb-Theorien gingen Neo-
Lamarckianer in Lateinamerika unter Berufung auf den französischen Bio-
logen Jean-Baptiste de Lamarck davon aus, von einer Generation zur
nächsten vererbte Eigenschaften könnten auch durch Umwelteinflüsse
verändert werden.73Die Mendelschen Gesetze als Grundlage der Ende des
19. Jahrhunderts entstandenen »Rassentheorien« in Europa hingegen nah-
men an, die Erbinformationen seien nur durch Kreuzung und Selektion
veränderbar, nicht aber durch äußere Einflüsse. Mit der neo-
larmackianischen Interpretation tat sich eine große Bandbreite sozialrefor-
merischer Instrumente auf, mit denen sich die hypothetische »Rassen-
formation« angeblich auch von außen durch die Umwelt steuern lasse.
Entsprechend sprachen die intellektuellen Vertreter dieser Richtung auch
70
Vgl. »CLUB ATHLETICO«,
Correio Paulistano
, 2.12.1900, in: Album 1901-
1904, CAP. Zum Konzept der
raça brasileira
Vgl. DÁVILA,
Diploma de brancura
,
S. 47-93.
71
B
ORGES
, Dain, »Puffy, Ugly, Slothful and Inert«: Degeneration in Brazilian Social
Thought, 1880-1940, in:
Journal of Latin American Studies
25, 1993, Nr. 2, S. 235-256,
hier 249.
72
D
ÁVILA
,
Diploma de brancura
, S. 55.
73
S
TEPAN
, Nancy Leys, »
The Hour of Eugenics«: Race, Gender, and Nation in LatinAmerica
, Ithaca/London 1991, S. 39 und 73 ff. Auch: SCHWARCZ, Lilia,
O espectáculodas raças: cientistas, instituições e questão racial no Brasil 1870-1930
, São Paulo
1993, S. 47-66.
72
72
Aneignung
nicht mehr von mehreren »Rassen«, sondern von der Entstehung einer
»brasilianischen Rasse«.
Auch Sport konnte damit als Teil eines sozialen Reformprogramms ge-
dacht und entsprechend sollte Sporterziehung national verbreitet werden.74
Gerade Fußball war aus Sicht dieser Reformer eine prädestinierte Sportart,
um den modernen Mann auf die Herausforderungen einer modernen, in-
dustrialisierten und urbanen Gesellschaft, auch auf das Leben in einer
durch zunehmende Auseinandersetzungen zwischen Nationalstaaten ge-
prägten Welt vorzubereiten.75
So sah es zum Beispiel Fernando de Azevedo, der den Fußball aus
psycho-sozialer Sicht für eine der vollendetesten Sportarten hielt, um einen
»neuen Menschen« auszubilden, vor allem auch weil er ein Interesse an
Leibeserziehung bei denen wecke, die sich sonst nicht dafür interessieren
würden.76Azevedo war Erzieher und Soziologe und von 1927 bis 1931
Diretor da Instrução Pública
(Leiter des Erziehungswesens) im Bundes-
distrikt Rio de Janeiro. Unter ihm baute die Stadt 16 neue Schulen und
reformierte die
Escola Normal
(Ausbildungsschule), die Lehrpersonal vom
Kindergarten bis zur Universität ausbildete.77Er war zudem einer der
prominentesten Eugeniker der 1920er-Jahre und fungierte unter anderem
als Sekretär der 1918 gegründeten
Sociedade Eugênica de São Paulo
.78
In einer Veröffentlichung von 1920 plädierte er für die Systematisierung
der Leibeserziehung in Brasilien nach dem Vorbild west- und nordeuropäi-
scher Länder und der USA. Er war für eine umfassende Sozialreform vor
allem im urbanen Raum, für den Bau öffentlicher Sporteinrichtungen, wie
Schwimmbäder und Sportplätze, in denen sich Arbeiter von Krankheiten
(auch biologischen Erbkrankheiten), negativen Auswirkungen der Stadtluft
und der Fabrikarbeit regenerieren sollten.79
74
Vgl. B
ORGES
, »Puffy, Ugly, Slothful and Inert«, S. 248-249; D
ÁVILA
,
Diploma debrancura
, S. 55.
75
Vgl. C
ARDIM
, Mário, A educação physica na Argentina e no Uruguay, in:
Annuario do ensino do Estado de São Paulo
, 1918, p. 186-211, hier 189.
76
A
ZEVEDO
, Fernando de,
Da educação physica: o que ella é – o que tem sido – oque deveria ser
, São Paulo/Rio de Janeiro 1920, S. 230-237.
77
Vgl. H
ERSCHMANN
, Micael/K
ROPF
, Simone/N
UNES
, Clarice,
Missionários doprogresso: médicos, engenheiros e educadores no Rio de Janeiro, 1870-1937
, Rio de
Janeiro 1996, S. 184-189.
78
D
ÁVILA
,
Diploma de brancura
, S. 54. Dávila beschreibt ihn als einen der wesentli-
chen Akteure, die Ende der 1920er-Jahre die Eugenik aus dem begrenzten wissen-
schaftlichen Umfeld in öffentliche Politik einbrachten.
79
Vgl. A
ZEVEDO
,
Da educação physica
, S. 286-287.
73Aneignung
73
In dieser neuen Auslegung physischer Aktivität definierten Akteure wie
Azevedo und auch der weiter oben genannte Figueiredo den Fußball um:
Von einem exklusiven sozialen Raum für Eliten zu einem sozialen Raum
für möglichst viele Menschen. Doch selbst eher aristokratische Sportpio-
niere der ersten Stunde, wie der aus einer illustren Industriellenfamilie Rio
de Janeiros stammende Arnaldo Guinle, betrachteten Sport als Möglichkeit,
eine
raça brasileira
zu schaffen. Das war auch die Idee hinter einer Veröf-
fentlichung, die er als Präsident des Elitefußballklubs Fluminense F.C. aus
Rio de Janeiro zusammen mit dem Präsidenten des Brasilianischen
Fußballverbandes CBD und Gründer der ACE (
Associação dos ChronistasEsportivos
), Mario Pollo, publizierte.80Sie verfassten ein Handbuch für
Erzieher zur Leibeserziehung auf Grundlage der Theorien Lamarcks. Ein
begeisterter Rezensent von
A Gazeta
hielt zur Grundthese des Buches fest:
[…W]ir können schlussfolgern, dass von gut ausgeführten Arbeitsbewe-
gungen nicht nur die Kraft, sondern auch die Gestalt des Körpers ab-
hängt. Im Anblick der eurythmischen Schönheit einer griechischen Sta-
tue sehen wir nichts anderes als die Gesundheit und Harmonie, die in
aufeinanderfolgenden Generationen erreicht wurden durch die langsame
Modellierung auf den stimulierenden athletischen Festen Athens. […]
Und jetzt, wo von der Wiederaufrichtung der Rasse gesprochen wird, wo
man über bedeutende Probleme der Eugenik, einer Methode, die auf
wissenschaftlichen Beobachtungen beruht, nachdenkt, wird eine prakti-
sche Methode körperlicher Arbeit notwendig, da Studien dieser Art in
unseren Büchereien fehlen. Diese Lücke füllt das Büchlein der Herren
A. Guinle und Mario Pollo.
81
Die Grundidee des Buches war, dass Sport und Leibeserziehung einer für
wissenschaftlich gehaltenen Methode entsprächen, nämlich der Eugenik,
die der »Regeneration« der brasilianischen Bevölkerung diene. Aus dem
hygienischen Verständnis von Sport ließ sich ableiten, dass seine Verbrei-
tung in allen sozialen Schichten positiv sei, da erst so die mit ihm verbun-
dene Erziehungsmission erfüllt werden könne.
80
Die Gesamtausgabe von 1920,
Guia Pratico da Educação Physica: calcado nomethodo adoptado no Centro de Instrucção Physica de Joinville-Le-Pont
, war leider,
soweit meine Recherche ergab, in Archiven und Bibliotheken nicht erhältlich. Zu Mario
Pollo als Gründer der
Associação dos Chronistas Esportivos
: Vgl. BOTELHO, Da Geral à
tribuna, S. 329 f.
81
»Um Livro sobre Educação Physica pelos Sr.s Drs. Arnaldo Guinle e Mario Pollo
(Rio)«,
A Gazeta
, 9.3.1920.
74
74
Aneignung
Allerdings löste die zunehmende Popularisierung des Fußballs auch
Bedrohungsgefühle bei den Eliten aus, die ihn über die Klubs und Ligen
lenkten: Die soziale Hierarchie der Gesellschaft, in der sie bislang fast
natürlicherweise die Spielregeln bestimmt hatten, geriet Anfang des 20.
Jahrhunderts ins Wanken. Man reagierte auf diese Bedrohungsgefühle,
indem man die Sportregeln dahingehend auslegte, dass die mit der Sport-
ausübung verbundenen Werte definiert und geschärft wurden. Damit ver-
suchte man, die gegebene Hierarchie im Sportraum zu konsolidieren und zu
rechtfertigen. Die Schärfung der Idee des Amateurs und der
sportsmanship
gehörte dazu – hierüber gelang es Angehörige unterer Schichten auszu-
grenzen und von oben auszulegen, wie diese Sport zu praktizieren hatten.82
Die Akteure, die dem Fußball diesen moralischen, über einen reinen
Zeitvertreib hinausgehenden, Sinn verliehen und Teil der Hygienebewe-
gung waren, vereinten oftmals mehrere gesellschaftlich wichtige Funkti-
onen. So waren sie selbst oft Sportler und gründeten oder traten Klubs bei,
sie arbeiteten oftmals zugleich als Erzieher oder Journalisten oder standen
Kommunikationsmedien nahe, über die sie ihre Ansichten verbreiten kon-
nten. In vielen Fällen waren sie beruflich mit dem Sport derart verquickt,
dass sie von seiner Verbreitung und Popularität finanziell und statusmäßig
abhängig waren.83Sie waren eher Vertreter einer neu entstehenden leis-
tungsorientierten urbanen Mittelschicht als einer aristokratischen Ober-
schicht.
Außerdem hatten sie Verbindungen zu der sich herausbildenden transna-
tionalen Sportgemeinschaft, weil sie sich auf Autoren und Spezialisten aus
anderen Ländern bezogen, um ihre Position stark zu machen, und auch weil
sie mit den internationalen Sportorganisationen und ihren Ideen vertraut
waren, so mit der Olympischen Bewegung. Oftmals waren sie selbst auf
Reisen das erste Mal mit Sport in Berührung gekommen. Diese Akteure
fungierten an einer Schlüsselstelle zwischen einer sich herausbildenden
transnationalen Sportgemeinschaft und einer nationalen Reformelite.84
82
Dieses Argument stützt sich auf: H
ARGREAVES
,
Sport, Power and Culture
,
S. 57-93. Zum Bedrohungsgefühl, ausgelöst durch gesellschaftlichen Wandel, wie
Urbanisierung und Industrialisierung in Brasilien: Vgl. CARVALHO, José Murilo de,
Osbestializados: o Rio de Janeiro e a república que não foi
, São Paulo 1987.
83
Vgl. P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 42-87; Siehe auch: D
ÁVILA
,
Diploma debrancura
, S. 52-57 und STEPAN, »
The Hour of Eugenics«
, S. 73 ff. und 91 f.
84
Dieser Funktion kommt auch deshalb eine so große Bedeutung zu, weil in Brasi-
lien zu diesem Zeitpunkt der Staat noch keine einflussreiche Position in der Lenkung
und Organisation des Sports einnahm. Vgl. zur Verbindung von Persönlichkeiten wie
Arnaldo Guinle mit der Internationalen Olympischen Bewegung: NETO-WACKER,
75Aneignung
75
Beispielhaft ist der Lehrer, Journalist, Erziehungsreformer und Sportler
Mário Cardim, der sich im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts für eine
Reform des brasilianischen Erziehungswesens und damit einhergehend der
Verbreitung des Sports einsetzte. Cardim war Chefredakteur für Auslands-
nachrichten bei
O Estado de São Paulo
, wo er 1907 die erste eigenständige
Sportredaktion einer brasilianischen Tageszeitung leitete, und Chefredak-
teur der Paulistaner Tageszeitung
A Noite
war.85In diesen Funktionen
berichtete er auch über Fußballspiele und publizierte 1906 einen
Guia deFootball
(Fußballhandbuch), für den er die erste Übersetzung der Regeln
der englischen
Football Association
in das Portugiesische vornahm.861918
führte Cardim eine Studie in Argentinien und Uruguay zur dortigen Ent-
wicklung der Leibeserziehung durch, auf der sehr wahrscheinlich auch
seine spätere Veröffentlichung von 1929 mit dem Titel
Die Leibeserzie-hung in der modernen pädagogischen Praxis
beruhte.87Mit seinen Veröf-
fentlichungen prägte er nachhaltig die Form der Sportberichterstattung der
nächsten Jahre und beeinflusste andere große Sportjournalisten des frühen
Fußballs, wie Leopoldo Sant’Anna, Antônio Figueiredo und Paulo
Varzea.88
In den späten 1920er-Jahren beauftragte ihn der Bürgermeister Rio de
Janeiros, Antônio Prado Júnior, mit der Leitung seines Sekretariats im
Hauptstadtdistrikt Rio de Janeiro. Damit stand Cardim in Verbindung zu
einem Dreigespann aus Paulistanos, die in dieser Zeit in Rio de Janeiro
maßgeblich das Erziehungswesen reformierten.89Diese Gruppe bestand aus
dem weiter oben erwähnten Erzieher Fernando de Azevedo, aus Antônio
Prado Júnior, der seit 1927 Bürgermeister Rio de Janeiros war, und dem
Marcia de Franceschi, Brasilien und die Olympische Bewegung von 1896 bis 1925, in:
Stadion
25, 1999, S. 131-137.
85
Vgl. »Cardim, Mário«, aus: C
OUTINHO
, Afrânio,
Brasil e brasileiros de hoje
, 2
Vols., 1961, S. 239, nach: World Biographical Information System Online, URL:
<http://erf.sbb.spk-berlin.de/han/474383180/db.saur.de/WBIS/biographicMicrofiche
Document.jsf> (abgerufen am: 15.8.2011); R
IBEIRO
, André,
Os donos do espectáculo:histórias da imprensa esportiva do Brasil
, São Paulo 2007, S. 33.
86
C
ARDIM
, Mário,
Guia de Football
, São Paulo 1906.
87
Vgl. C
ARDIM
, A educação physica, S. 186-211. Leider war seine Veröffentlichung
A educação physica na moderna prática pedagógica
(
Die Leibeserziehung in der mo-dernen pädagogischen Praxis
) von 1929 nicht in brasilianischen Archiven zugänglich.
88Vgl. RIBEIRO,
Os donos do espectáculo
, S. 39-43.
89
Vgl. V
IDAL
, Diana Gonçalves (Hg.),
Reforma da instrução pública no DistritoFederal (RJ) 1927-1930
, Arquivo Fernando de Azevedo, Instituto de Estudos
Brasileiros, Universidade de São Paulo, URL: <http://www.usp.br/niephe/publicacoes/
index.asp> (abgerufen am: 7.9.2011).; Vgl. HERSCHMANNu.a.,
Missionários do pro-gresso
, S. 184-189.
76
76
Aneignung
brasilianischen Präsidenten Washington Luís. Sie alle verband eine beson-
dere Affinität zum modernen Sport.90
Im Rahmen seiner Studie von 1918 hatte er in Argentinien und Uruguay
die Adaptation europäischer Methoden der Gymnastik, des Sports und der
Leibesertüchtigung beobachtet und nachvollzogen. Daraus leitete er Mo-
delle für Brasilien ab.91Die beiden Länder, so Cardim, verfügten über einen
höheren zivilisatorischen Standard als Brasilien. Argentinien sei Pionier in
der Aufnahme von Sport in die Unterrichtscurricula:
Der große Drang des Fortschritts und der sozialen Vollendung, der alle
Leidenschaften der öffentlichen Männer und der ganzen Masse des Vol-
kes dieses Landes dominiert und der die überlegene Bedeutung der ar-
gentinischen Nation über alles andere stellt, führt dazu, dass dieses Land
als eines der ersten in dieser Welt eine modellhafte Einstellung in Sa-
chen Leibeserziehung übernommen hat.92
Cardim lobte die Robustheit und gute Gesundheit der Bevölkerung beider
Länder und führte sie auf die Einführung der Leibeserziehung in den
Schulen zurück. Die Uruguayer seien wegen der modernen Anwendung der
Leibeserziehung sogar von besonders schönem Aussehen.93
Sportliche Erziehung bewertete er als eine staatliche Aufgabe; die argen-
tinischen und uruguayischen Regierungen stählten ihre Staatsbürger auf
öffentlichen Sportplätzen in den Städten Buenos Aires und Montevideo,
auch in den zahlreichen Sportklubs und Schulen.94Nach ihrem Vorbild
forderte Cardim 1918 für Brasilien die Einrichtung einer Ausbildungsstätte
für Sportlehrer und einer nationalen Aufsichtsbehörde, der
Escola Normal
90
Zu Azevedo: Vgl. B
ORGES
, Dain, »Azevedo, Fernando de«, in:
Latin AmericanLives
, nach:
World Biographical Information System Online
, URL: <http://erf.sbb.spk-
berlin.de/han/474383180/db.saur.de/WBIS/basicTextDocument.jsf> (abgerufen am:
29.1.2010). Zu der Gruppe in Rio de Janeiro: Vgl.
Reforma da instrução pública noDistrito Federal,
vgl. vorherige Fußnote. Ihre Sportaffinität ist hier dokumentiert: »O
Circuito de Itapecerica - Berço do Automobilismo Paulista«,
OESP
, 28.11.1952, in: CPJ
Pacote 32 40, Pasta »Notas para o livro ›História dos Esportes em São Paulo‹«, SpUEB;
P. Luis an Dr. Raul Leme Monteiro, 14.4.1945, in: CPJ Pacote 32 29, Pasta: »Notas
para o livro ›História dos Esportes em São Paulo‹«, SpUEB.
91
Es ist zu vermuten, dass einige Ausführungen aus Azevedos Studie von 1920 auf
der Studie von Cardim beruhen, so Azevedos Äußerungen zum zivilisatorischen Fort-
schritt Argentiniens und Uruguays in der nationalen Systematisierung der Leibeserzie-
hung in der Einleitung zur zweiten Auflage von 1920: Vgl. AZEVEDO,
Da EducaçãoPhysica
, S. 9.
92
C
ARDIM
,
A educação physica na Argentina e no Uruguay
, S. 210.
93
Ebd.
94
Ebd., S. 202.
77Aneignung
77
Superior de Educação Physica
und der
Inspectoria Estadual de EducaçãoPhysica
– Einrichtungen, die erst in der Ära Vargas entstanden.95Zuvor war
die Ausbildung vor allem an französischen Methoden orientiert und in der
Hand des Militärs.96
Schon in seinem 1906 veröffentlichten
Guia de Foot-Ball
berief sich
Cardim auf Beispiele aus in sportlicher Hinsicht als »zivilisiert« geltenden
Ländern, um seine Sportmoral auszuführen. Neben den übersetzten Fuß-
ballregeln referierte er in dem Handbuch die »physischen und moralischen
Qualitäten der Fußballspieler«. Seine Ausführungen beruhten auf einer
Studie des zu dieser Zeit für den Bereich der Leibesertüchtigung äußerst
populären französischen Autors E. Weber.97Über die Fußballregeln hinaus
brachte die Studie dem brasilianischen Fußballspieler die Tugenden eines
britischen
sportsman
näher. Fußball schule die Eigenschaften des moder-
nen Mannes: Disziplin, Fairness und Unterordnung des Individuums unter
ein Kollektiv.
Cardim kritisierte, in den Fußballklubs in São Paulo seien diese Ziele
nicht verwirklicht, die Spieler setzten noch zu stark das »Dribbling« als
Ausdruck des Individualspiels ein. Sogar das Publikum fordere bei den
Spielen, diese Form brasilianischen Spiels zurückzunehmen.98Die Spiel-
form des »Dribbling«, also das Mitführen des Balles ohne Abspiel an einen
Mitspieler, identifizierte die Presse in Anleitungen zum richtigen Spiel in
den Anfangsjahren des Fußballs als typisch brasilianisch und als generellen
Ausdruck eines kulturell determinierten Charakterzugs, sich individuell
darzustellen und nicht an das Kollektiv und eine gemeinsame Sache zu
denken.
95
Vgl. L
INHALES
, Meily Assbú,
A escola e o esporte: uma história de práticasculturais
, São Paulo 2009, S. 208-250; ARANTES, Ana Cristina, A história da educação
física escolar no Brasil, in:
Educación Física y Deportes
,
Revista Digital
13, 2008,
Nr. 124, URL: <http://www.efdeportes.com/efd124/a-historia-da-educacao-fisica-esco
lar-no-brasil.htm> (abgerufen am: 14.9.2014). Zu brasilianischen Erziehungsreformen
unter Vargas im Vergleich zur Ersten Republik allgemein: Vgl. HENTSCHKE, Jens R.,
Reconstructing the Brazilian Nation: Public Schooling in the Vargas Era
, Baden-Baden
2007, S. 53-73.
96
Vgl. T
ERRET
, Thierry, French Gymnastics in Brazil: Dissemination, Diffusion and
Relocalization, in:
The International Journal of the History of Sport
26, 2009, Nr. 13,
S. 1983-1998.
97
E. Weber war ein französischer Autor, dessen Buch »Sports atléticos« 1907 ins
Portugiesische übersetzt und neun Mal aufgelegt wurde: Vgl. PEREIRA,
Footballmania
,
S. 37 f.
98
C
ARDIM
,
Guia de Football
, S. 55.
78
78
Aneignung
Im
Guia de Football
legte Cardim fest, was modern sei und unterwies
potenzielle Fußballspieler darin, wie sie diesen fortschrittlichen Status auf
dem Fußballplatz und darüber hinaus in ihrem gesamten Wesen und Leben
erreichen könnten. Er interpretierte die Fußballregeln und die mit ihm ver-
bundenen moralischen Werte als europäisches Wissen, mit deren Umset-
zung – der genauen Einhaltung weniger und übersichtlicher Regeln eines
enorm regulierten Spiels – auch eine Transformation des brasilianischen
Menschen gelingen würde.
Die Veröffentlichung Mário Cardims lässt sich in einen Literaturkanon
weiterer zeitgleicher Veröffentlichungen einreihen, die alle eine Form von
sportlicher »Zivilisierungsmission« miteinander verband.99Die Schriften
und Übersetzungen dieser Autoren waren Ausdruck einer allgemeinen
Suche nach wissenschaftlich probaten Mitteln und modernen Erkenntnis-
sen, wie der Mensch auf die Herausforderungen der modernen Gesellschaft
vorbereitet werden könne; wie er zu einem »zivilisierten« Menschen erzo-
gen werden könne, in einer Gesellschaft, die sich selbst am Übergang von
einer traditionellen zu einer modernen Gesellschaft sah; wie er zu einem
modernen, wehrhaften Staatsbürger geformt werden könne; und wie dieser
Mensch gleichzeitig den Prototypen einer »neuen Rasse« darstellen
könne.100
Der Radius der sportlichen »Zivilisierungsmission« Cardims war jedoch
auf eine elitäre Zielgruppe beschränkt, wie es generell auf Veröffentlichun-
gen zu Sport in Büchern und in der Presse in diesem Zeitraum zutraf. Dies
lag nicht nur an der Verwendung englischer Fachausdrücke, sondern auch
99
Der Begriff der »Zivilisierungsmission« als deutscher Neologismus geht auf einen
Tagungsband zurück, herausgegeben von Jürgen Osterhammel und Boris Barth: Vgl.
insbes. OSTERHAMMEL, Jürgen, »The Great Work of Uplifting Mankind«. Zivilisie-
rungsmission und Moderne, in: Boris BARTH/Jürgen OSTERHAMMEL(Hg.),
Zivilisierungsmissionen
, Konstanz 2005, S. 363-425. Auch der Historiker José Murilo
de Carvalho verwendet ihn für die Vielfalt an durchgeführten Modernisierungsversu-
chen, also den Erziehungs-, Reform-, Hygiene- und Urbanisierungsprojekten brasiliani-
scher Politiker und Reformer Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in Brasi-
lien: Vgl. CARVALHO, Brazil 1870-1914, S. 148. Jeffrey Needell charakterisiert alle
staatlichen Reformversuche und Reformerfolge des brasilianischen Staates des 19. und
beginnenden 20. Jahrhunderts als Zivilisierungsmissionen: NEEDELL, The Domestic
Civilizing Mission. Zur »Zivilisierung« Rio de Janeiros in der Ersten Republik und
Widerständen durch Subalterne: Vgl. MEADE,
»Civilizing« Rio
, besonders S. 17-44.
100
Beispiele sind frühere Publikationen zur Leibeserziehung, die sich an der
»zivilisierten Welt« orientieren und hygienisch für eine staatliche Förderung argumen-
tieren: Vgl. VERÍSSIMO, José,
A educação nacional
, 2. edição augmentada de uma
introducção e de um capítulo novos, Rio de Janeiro 1906, S. 74-86; Vgl. NASCIMENTO,
Domingos,
O homen forte: gymnastica domestica – natação – esgrima – tiro ao alvo
,
Curitiba 1905, S. V- XVI.
79Aneignung
79
an den Zugangsmöglichkeiten zu diesem Buch, die schon alleine auf Grund
der Lesefähigkeit begrenzt waren.101Im Grunde richtete sich der
Guia defootball
an die Mitglieder der im Buch aufgeführten und schon existieren-
den Klubs, also an praktizierende Fußballer aus der urbanen Oberschicht.
Wenn es seine Absicht war, dem Fußball neue Spieler zuzuführen, dann
verfolgte er diese kaum außerhalb des Radius dieses sozialen Umfelds.102
Tatsächlich hatten zu den Klubs mit ihren exklusiven Ausstattungen nur
wenige Menschen Zutritt, in erster Linie nur, wer sich für diesen eleganten
Rahmen angemessen kleidete und verhielt. Im Handbuch und in den Zei-
tungen manifestierte sich die Exklusivität schon sprachlich: Die Fußballre-
geln, die Anleitung für Schiedsrichter, die Handreichungen und auch die
ersten Spielankündigungen in der Presse verwendeten englische Fach-
ausdrücke für die Spielerpositionen, -regeln und -techniken, wie »half-
back«, »touch-Linie« und »kick-off«, ohne sie zu übersetzen.103
Exklusiv waren auch die strengen Aufnahmeregeln der Eliteklubs und
ihres 1901 gegründeten Verbandes, der
Liga Paulista de Football
. Die LPF
verlangte von den Klubs einen einmaligen Eintrittsbeitrag von 50$000
réis
und den Besitz eines Fußballfeldes nach den international normierten Ma-
ßen.104Gerade die zweite Auflage, der Erwerb eines Grundstückes zum Bau
einer Klubanlage mit einem Fußballfeld, war für die meisten Klubs auf-
wändig und kostspielig.
Der Klub Germânia erhob zum Beispiel einen einmaligen Eintrittsbeitrag
von 10$000
réis
und 2$000
réis
Monatsbeitrag. Wie Pereira für Rio de
Janeiro anführt, war ein solcher Monatsbeitrag nicht so hoch, dass er Ar-
beitern den Zutritt unerschwinglich gemacht hätte.105Viele der Klubs legten
101
Botelho stellt zwar heraus, Anfang des 20. Jahrhunderts hätten öffentliche Lesun-
gen in den großen Städten Zeitungsinhalte über den Radius der Alphabetisierten hinaus
verbreitet, allerdings waren Form und Ausdrucksweise eindeutig ein Exklusionsmecha-
nismus: Vgl. BOTELHO, Da geral à tribuna, S. 317-324.
102
Vgl. hierzu auch T
OLEDO
, Luiz Henrique de,
Lógicas no futebol: dimensõessimbólicas de um esporte nacional
, unveröffentl. dissertação de doutorado em
Antropologia Social, Universidade de São Paulo, São Paulo 2000, S. 43-50.
103
Vgl. C
ARDIM
,
Guia de Football
, S. 28 und 63.
104
»Estatutos da Liga Paulista de Foot-Boll (sic!)«,
Diário Official
, 26.5.1915,
APESP.
105
Vgl. Sport-Club Germania, São Paulo, Satzungen, S. 9. Pereira vergleicht die
Eintrittsbeiträge der ersten Klubs in Rio de Janeiro, von denen der des Klub Fluminense
mit 5$000
réis
am exklusivsten war: Vgl. PEREIRA,
Footballmania
, S. 33. Im Kaufkraft-
vergleich zeigt sich für São Paulo, dass zum Beispiel ein erwachsener männlicher
Arbeiter in der Textilindustrie im Jahr 1920 am Tag durchschnittlich 5$729
réis
verdiente: Vgl. HAHNER,
Poverty and Politics
, S. 197. Der Mitgliedsbeitrag in einem
Klub wie Germânia hätte weniger als die Hälfte seines Tageslohnes umfasst.
80
80
Aneignung
jedoch fest, dass nur Zugang habe, wer durch ein Klubmitglied empfohlen
und daraufhin durch eine Kommission ausgewählt wurde.106In dieser Hin-
sicht waren die ersten Klubs eher an einem aristokratischen Klubmodell
orientiert, in dem sich alle untereinander kannten.107Die aufgeführten
Exklusionsmechanismen bildeten zusammen genommen eine große Hürde.
In einigen der existierenden Elite-Klubs war die volle Mitgliedschaft zu-
sätzlich ethnisch beschränkt, so legten die Satzungen des deutschen Im-
migrantenklubs Germânia fest, ein vollwertiges Mitglied müsse der deut-
schen Sprache mächtig sein.108Diese Einschränkung wurde zwar in einer
Nationalisierungskampagne in Folge des Ersten Weltkrieges aufgehoben,
da gerade deutsche Institutionen in dieser Zeit Sanktionen erfuhren.109Der
Klub Germânia berief sich allerdings auch in den folgenden Jahren stark
auf eine gemeinsame Ethnizität und stellte sich als Bewahrer des »Aus-
landsdeutschtums« dar.110
Auch der 1914 von italienischen Immigranten gegründete Klub Palestra
Itália legte in seinen Statuten fest, ein Mitglied solle »von gutem morali-
schem Verhalten sein und nicht von Notbehelfen oder der Herumtreiberei
leben.«111Dieser Satz war frei auslegbar und so ist es wahrscheinlich, dass
er recht willkürlich angewendet wurde.
Die Idee, über den Fußball starke, virile und gesunde Männer zu erzie-
hen, war bevormundend. Mit dem Ziel der Schaffung einer
raça brasileira
unterwarfen die Reformer die Sportler einem missionarischen Anliegen.
106
Das geht zum Beispiel aus den Statuten des S.C. Germânia und des Palestra Itália
hervor: Vgl. Sport-Club Germania, São Paulo, Satzungen. Angenommen in der Gene-
ral-Versammlung vom 10. Dezember 1904, São Paulo 1905, S. 4, ECP; Vgl. Statuten
des Klubs Palestra Itália, Art. 5 a), Sociedade Civil n°440 A, Sociedade Palestra Itália,
15 de dezembro de 1914, APESP. Auch in den Vereinssitzungen des C. A. Paulistano
wurde die Aufnahme von Neumitgliedern meistens auf Empfehlungen vorgenommen:
Vgl. »Atas da Diretoria«, in: Album »1916-1927«, CAP.
107
Vgl. zur Abgrenzung zwischen einem aristokratischen und bürgerlichen Klubideal
in Großbritannien: EISENBERG,
»English Sports«
, S. 61 f.
108
Vgl. Sport-Club Germania, São Paulo, Satzungen, S. 3.
109
Vgl.
Esporte Clube Pinheiros
,
Albúm do Centenário, 1899-1999
, S. 34, ECP; Vgl.
zur Nationalisierungskampagne: »Football. Os Sports na Câmara Municipal«,
A Gazeta
,
2.2.1920; »A isenção de impostos dos clubs sportivos brasileiros«,
A Gazeta
, 9.2.1920.
110
Das geht insbesondere aus den Veröffentlichungen anlässlich der Klubjubiläen
hervor: Vgl.
25 Jahre Sport Club Germania, 1899-1924
, 1924;
30 Jahre Sport-ClubGermania. São Paulo, 7. September 1899-1929
, September 1929. Beide: ECP. Vgl.
auch: »Der Sportclub Germania in São Paulo. Ein Stützpunkt des Deutschtums in
Brasilien«,
Hamburger Nachrichten
, 25.8.1932, in: G IV f, n° 19/18, IMS.
111
Vgl. Statuten des Klubs Palestra Itália Art. 5 b). Der Klub hatte ein eher exklusi-
ves Profil, ihm gehörten eher italienische Mittelklasseangehörige und Unternehmer an
als Arbeiter: LEITELOPES, Classe, etnicidade e cor, S. 141 f.
81Aneignung
81
Sie überließen ihnen nicht, wie sie den Sport ausüben wollten. Sie nahmen
an, ihnen den Weg des brasilianischen »Fortschritts« und der »Modernisie-
rung« weisen zu müssen.112Ihren Vorstellungen entsprachen in erster Linie
männliche Angehörige der urbanen Ober- und Mittelschicht. Vereine und
Fußballanhänger, die nicht in dieses von den Eliten vorgegebene Profil
passten und sich den Fußball auf ihre eigene Weise aneigneten und ihn
ausübten, gründeten eigene Klubs. Sie bildeten eigene Stile und eigene
Formen heraus, dieses Spiel zu praktizieren. Diesen Prozess nahmen die
hygienisch argumentierenden Eliten als Popularisierung wahr und verhan-
delten darüber in der Sportpresse. Weniger neutral bezeichneten sie ihn als
»Dekadenz« und als »Niedergang« des Fußballs.113
1.4. »DEKADENZ«-DISKURSE UND»NATIONALISIERUNG«DESFUßBALLS
Die Popularisierung des Fußballs, also seine sozial vertikale Verbreitung in
den späten 1910er und den 1920er-Jahren, löste unter Schriftstellern, Er-
ziehern, Politikern und Sportlern Diskussionen über einen möglichen Nie-
dergang des Fußballsports aus. Die Entstehung immer neuer Fußballvereine
in den Vororten der großen Städte und das erhebliche Anwachsen des Pub-
likums bei Spielen zwischen großen Klubs konfrontierte die oben genann-
ten Eliten und Mittelschichtsreformer mit Ausübenden und Zuschauern, die
ihre zivilisationsmissionarischen und sozialreformerischen Ideen nicht
teilten und im Fußball mitunter etwas völlig anderes sahen. Viele Spieler
dieser neuen sozialen Schichten verdienten außerdem mit dem Fußball
ihren Lebensunterhalt, indem große Klubs sie in einem ausgeklügelten
System des damals sogenannten
profissionalismo marron
[wörtliche Über-
112
Dieses Argument ist auch angelehnt an das Konzept der »bestializados«, mit dem
der Historiker José Murilo de Carvalho den Politikstil und die Idee von Modernisierung
und Fortschritt der politischen Eliten der Ersten Republik dargestellt hat: Vgl.
CARVALHO,
Os bestializados
.
113
Der Begriff »Popularisierung« ist den Quellen entnommen. In den Sportteilen der
Tageszeitungen oder den Sportzeitschriften bezeichneten die Autoren damit eine
massenhafte Verbreitung des Fußballs vor allem unter Bewohnern der ärmeren Stadt-
teile und Vororte, bei Arbeitern und Afro-Brasilianern, sowohl als Ausübenden als auch
als Zuschauern. Sie konnotierten den Begriff dabei meistens negativ, das heißt als
Gegensatz zu einer kultivierten Ausübung. Allgemein zur konnotativen Aufladung von
»populär« als gegensätzlich zu »culto«/»erudito« vgl. GARCÍACANCLINI, Néstor,
Culturas híbridas: estrategias para entrar y salir de la modernidad
, Buenos Aires
1992, S. 13-25.
82
82
Aneignung
setzung: »brauner Professionalismus«, Halb-Profitum] alimentierten.114Die
Sportenthusiasten der ersten Stunde reagierten unterschiedlich auf diese
Entwicklung: Entweder erklärten sie den Fußball zu einem geeigneten
Mittel, auf diese neuen sozialen Gruppen Einfluss zu nehmen, oder sie
sahen darin ausschließlich eine Bedrohung und weitere Verrohung des
ursprünglich elitären Sportes.
In dieser Debatte schälten sich verschiedene Gruppen heraus. Die erste
Gruppe sah in der Popularisierung auch eine »Nationalisierung« des Fuß-
balls. Galt der Fußball bis in die 1910er-Jahre noch als europäischer, ja
britischer Sport, so symbolisierte die Ausübung des Sports durch Angehö-
rige aller sozialen Klassen für sie nun seine Entwicklung zu einem brasilia-
nischen Kulturgut. Den negativen Begleiterscheinungen der Popularisie-
rung, also Zuschauerausschreitungen und unsportliches Verhalten, könne
Einhalt geboten werden, indem sie von oben gesteuert werde. In der Aus-
breitung des Sports, dem »wachsenden Enthusiasmus« für den »liebsten
Sport«, sahen sie also auch Chancen.115Die zweite Gruppe sah die Zu-
nahme von Gewalt, die Regelmissachtungen und Verstöße gegen die sport-
lichen Codes vor allen Dingen als Bedrohung und Zeichen des unaufhalt-
samen Niedergangs eines ehemals kultivierten Sports.
Im Folgenden werden beide Seiten berücksichtigt und dabei der Diskurs
der »Dekadenz« des Fußballs innerhalb der reformerischen und intellektu-
ellen Eliten dargestellt. Im darauffolgenden Kapitel werden diese
Auseinandersetzungen dann auch aus der Perspektive der an ihnen betei-
ligten Klubs und Spieler betrachtet.
Die Debatten sind auch im Kontext des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs
zu sehen, der auch in abseits des Kriegsgeschehens liegenden Ländern ei-
nen »nationalistischen Ausbruch«116verursachte und, wie schon gesagt, eine
Abwendung von Europa als unumstrittenem kulturellen Vorbild.117Der
Erste Weltkrieg hatte zugleich eine transnationale Katalysatorfunktion für
die Popularisierung des Fußballs, die auch in der brasilianischen Sport-
presse dieser Zeit spürbar ist.118Der Fußball wurde nun in Brasilien als ein
114
Vgl. A
NTUNES
, Futebol nas fábricas, S. 102-109; C
ALDAS
,
O pontapé inicial
,
S. 37-73.
115
»A Resurreição dos musculos«,
A Gazeta
, 17.11.1919.
116
G
EYER
, The Mechanics of Internationalism, S. 6.
117
Vgl. A
LBERT
, Bill,
South America and the First World War: The Impact of theWar on Brazil, Argentina, Peru and Chile
, Cambridge 1988, S. 313-319.
118
Auf die Popularisierungswirkung des Weltkriegs für den Fußball in Europa, sogar
durch freundschaftliche Spiele zwischen britischen und deutschen Soldaten zwischen
den Schützengräben und als Mittel zu Erhaltung der Kampfmoral, haben Fußballhistori-
83Aneignung
83
Sport wahrgenommen, der nicht nur »als Leibesertüchtigung an den Tagen
der Vorbereitung auf das Leben in den Schützengräben genutzt wurde,
sondern der auch als Stärkung der Nerven derjenigen diente, die jeden
Moment dem Tod die Stirn bieten mussten.«119Insgesamt ließen die
Kriegserfolge Englands, Frankreichs und der USA als Resultat sportlicher
Ausbildung in diesen »Sportnationen« eine positive Sicht der Popularisie-
rung des Fußballs zu. Diskurse um Popularisierung und »Dekadenz« des
Fußballs fanden nur vermeintlich in einem nationalen oder gar lokalen
Rahmen statt, vielmehr nahmen die moralisierenden Mittelschichtsangehö-
rigen Bezug auf internationale Geschehnisse und die Bedeutungszunahme
sportlicher Großveranstaltungen in der Zwischenkriegszeit. In dieser Hin-
sicht wandten sich die Eliten also nicht einfach von Europa ab, weil sie
doch weiterhin auf die Siegermächte England und Frankreich blickten.
Auf der einen Seite der Debatte für und wider den Fußball standen dabei
Verfechter, die ähnlich wie Antônio Figueiredo argumentierten und den
Sport als Mittel sahen, ein neues, harmonisches Menschenbild zu schaffen.
Fußball war hier Mittel zum Zweck und erfüllte die Aufgabe einer diszipli-
nierenden Praxis, die sich komplementär zu geistiger Tätigkeit verhielt.
Auf der anderen Seite standen Schriftsteller und Journalisten, die nicht
daran glaubten, der Fußball könne diesen Zweck erfüllen und die gerade
auf Grund der jüngsten Entwicklungen der Professionalisierung und
Popularisierung Bedenken hatten. Sie vermuteten hier eher eine kulturelle
Bedrohung für Brasiliens sozio-kulturelle Entwicklung.120
Am meisten Aufsehen erregte eine zwischen 1919 und 1921 von dem
Schriftsteller Lima Barreto und dem Journalisten und Anwalt Carlos Süsse-
kind de Mendonça geführte Debatte, die sich unter anderem in einem offe-
nen Briefwechsel über ihre gemeinsame Ablehnung des Sports auseinan-
dersetzten. Die Briefe von Mendonça wurden Ende 1921 als Buch unter
dem Titel
Porque o esporte está deseducando a nossa mocidade
veröffent-
ker und –historikerinnen verschiedentlich hingewiesen: Vgl. K
OLLER
, Transnationalität;
auch LANFRANCHI, Pierre, Frankreich und Italien, in: EISENBERG(Hg.),
Fußball, soccer,calcio
, S. 41-64, hier 51 ff. EISENBERG, Christiane, Deutschland, in: DIES. (Hg.),
Fuß-ball, soccer, calcio
, S. 94-129, hier 103 ff.
119
»Inicio da Temporada Britannica. Bellas Consequencias da Guerra - Muitos
Aficionados estreiam; Grande Enthusiasmo - Concorrencia Avultada; Augmento das
Localidades«,
A Gazeta
, genaues Datum unbekannt, vermutlich zwischen 7. und
12.11.1919.
120
L
INHALES
,
A escola e o esporte
, S. 46 f.
84
84
Aneignung
licht.121Er behauptete, die Annahme geistiger und körperlicher Harmonie
durch Sport sei ein Trugschluss eines inzwischen intellektuellen
Mainstreams. Seine Kritik setzte an drei Schlüsselargumenten an, die die
Befürworter einer Basis-Sporterziehung an den Schulen anführten: Sport
halte die Menschen von Lastern ab, wie zum Beispiel dem Trinken und
Glücksspiel, er stelle eine Sublimierung sexueller Triebe dar und er erziehe
zur Solidarität.122
Das vorherrschende Credo des
mens sana in corpore sano
, das Hygieni-
ker wiederholt als Ausdruck für die körperlich-geistige Harmonie kolpor-
tierten, lehnte er ab: Gerade durch die Popularisierung des Fußballs näh-
men die beschriebenen Missstände noch zu, denn sie führe dazu, dass im-
mer mehr Menschen passive Anhänger und keine aktiven Sportler wür-
den.123Auch die Ausübenden entwickelten sich nicht automatisch zu besse-
ren Menschen, wenn die Klubs mit ihrem Profitinteresse falsche Grundla-
gen legten. Gegen den modernen Sport spreche außerdem, so Mendonça,
dass er eine fremde kulturelle Praxis sei, die mit den klimatischen Bedin-
gungen Brasiliens und den Eigenschaften der Brasilianer nicht überein-
stimme. Die Übernahme fremder kultureller Praktiken erschwere eine
brasilianische Identitätsfindung.124
Mit seinen Äußerungen stellte Mendonça sich gegen wesentliche Ver-
treter des Sportjournalismus, die zu dieser Zeit argumentierten, der Sport
und vor allem der Fußball hätten einen besonders hohen moralischen und
deshalb pädagogischen Wert für die Jugend Brasiliens. Nun behaupteten
Autoren das Gegenteil. Während Mendonça den Sport als ein den Brasilia-
nern fremdes Kulturprodukt ansah, das brasilianischen Traditionen wider-
spreche, argumentierte Lima Barreto gegen den Fußball aus einer sozialen
Perspektive.125Fußball distinguiere sozial und diskriminiere. Lima Barreto
klagte unter anderem auch einen ihm innewohnenden rassistischen Charak-
ter an, nachdem 1921 das Gerücht umging, der Präsident Epitácio Pessoa
121
Ebd., S. 46 f.; Vgl. den Abdruck von Auszügen aus dem Buch in »Varias. Um
ataque contra o Esporte. Como Sussekind de Mendonça ataca o esporte nacional,
especialmente o futebol«,
Sports
, 21. August 1923, Anno IV, 21.8.1923.
122
Zitiert nach: L
INHALES
,
A escola e o esporte
, S. 46 f.
123
Zitiert nach: L
INHALES
,
A escola e o esporte
, S. 49- 61. Als Beispiel für das Credo
im Zusammenhang mit dieser Debatte: Vgl. Souza, A. de, »Mens sana in corpore
sano!«,
Vida Sportiva
, Nr. 87, 26.4.1919, S. 16.
124
Zitiert nach: L
INHALES
,
A escola e o esporte
, S. 49- 61.
125
Vgl. ebd., S. 43-61. Vgl. auch P
EREIRA
, O jogo dos sentidos, S. 206-224; D
ERS
.,
Sobre confetes, chuteiras e cadáveres: a massificação cultural no Rio de Janeiro de
Lima Barreto, in:
Projeto História
, 1997, Nr. 14, S. 231-241; BOTELHO, Da geral à
tribuna, S. 330-333; ANTUNES, »
Com brasileiro, não há quem possa!«
, S. 22.
85Aneignung
85
hätte persönlich dafür gesorgt, dass keine afro-brasilianischen Spieler in
der brasilianischen Nationalmannschaft nach Argentinien reisten.126Er
gründete, die Fußballbewegung ironisierend, eine »Liga gegen den Fuß-
ball« (»Liga contra o foot-ball«).127
In der Zeitschrift
Sports
, einem seit 1919 herausgegeben und von der
APEA mitfinanzierten Sportmagazin,128nahm auch der Journalist, Politiker
und Fußballspieler Alexandre Barbosa Lima Sobrinho ausführlich Stellung
zu der Veröffentlichung von Mendonça.129Lima Sobrinho wog die Argu-
mente für und wider den Fußball ab. Er glaubte, der Fußball beeinflusse In-
tellekt, Physis und Moral eines Menschen positiv:130
Der Fußballspieler benötigt Entscheidungsqualitäten. Die Entwicklung
des Spiels bringt ihn oftmals in besondere Situationen, die ihn zu un-
mittelbaren Entschlüssen zwingen. Daher rührt der Habitus der schnellen
Entscheidungen, was in den anstrengenden Kämpfen eines der besten
Elemente für den Sieg ist.
Außerdem ist der Fußball ein Gemeinschaftsspiel. Die beste Taktik ist
die der Kombination, in der die Spieler verschwinden und sich auflösen
zum Wohle und zum Vorteil der Gruppe, eine Einstellung der Entsagung
ist ein hoher Ausdruck von Solidarität.
Auch lehrt der Fußball die Disziplin, eine seltene Eigenschaft in unse-
rem Land des lächerlichen, nutzlosen und verhassten ›es geht nicht‹.
Denn die diskrete Autorität des Kapitäns und des Schiedsrichters erhebt
126
P
EREIRA
, O jogo dos sentidos, S. 215 ff. Vgl. auch Kapitel 4.1.2, S. 251 der
vorliegenden Arbeit.
127
Vgl. P
EREIRA
, O jogo dos sentidos, S. 206-209; Vgl. »A Liga contra o football«,
Vida Sportiva
, Nr. 102, 9.8.1919, S. 22; SANT’ANNA, Leopoldo, »O Momento«,
AGazeta
, 18.03.1919.
128
Diese Zeitschrift wurde laut den Angaben im Editorial von dem einflussreichen
und sportenthusiastischen Schriftsteller Henrique Coelho Netto und von Thorwald
Rasmussen, mit einer längeren Unterbrechung zwischen April 1921 und Mai 1923, seit
1919 herausgegeben und seit Anfang 1920 mit einem monatlichen Zuschuss von
150$000
réis
von der lokalen Liga APEA gefördert:
Sports
, 20.5.1923; »Associação
Paulista de Sports Athleticos«,
A Gazeta
, 9.2.1920. Zu Coelho Netto: PEREIRA, O jogo
dos sentidos.
129
»Lima Sobrinho, Barbosa«, in:
Dicionário Histórico-Biográfico Brasileiro
, URL:
<http://www.fgv.br/cpdoc/busca/Busca/BuscaConsultar.aspx>(abgerufenam:
14.9.2014).
130
Lima Sobrinho, Barbosa, »A utilidade do Futeból. Os tres aspectos da questão -
intellectual, moral e physico - O professionalismo disfarçado como o elemento mais
desprestigiador do esporte bretão«,
Sports
, 21.8.1923, Anno IV, S. 28 ff.
86
86
Aneignung
sich als unwiderstehliches Prinzip über die Macht und unterwirft das
Rebellentum der Kraft ihrer Willkür.
Seit seiner »Demokratisierung« werde der Fußball aber vor allem von
»Herumtreibern« (»vagabundos«) ausgeübt, so Lima Sobrinho, die die
Werte Solidarität, Unterordnung unter einen Mannschaftskapitän und
Disziplin nicht respektierten und sogar schlechten Einfluss auf die Jugend
ausübten. Die jüngste Entwicklung des Fußballs zeige seine Veränderung
zum Massensport – die Veranstalter von Spielen interessiere nur noch
Profit. Da die Massen, so Lima Sobrinho, immer mit dem gewinnenden
Team hielten, bildeten die Klubs die Spieler nur noch für dieses Ziel aus:
Die erste Konsequenz ist, dass seine Mitglieder nicht mehr ausgesucht
werden. Jeder, der spielen kann, nützt dem angestrebten Ziel. Und weil
die Herumtreiber mehr Muße haben, können sie besser trainieren und
sich auf diesem Wege verbessern, in kurzer Zeit werden sie die Mehrheit
auf den Spielplätzen darstellen und die Wohlerzogenen fernhalten, die
durch den Kontakt mit ihnen in höchste Verlegenheit geraten. Wer die
Entwicklung des Fußballs mitverfolgt, beobachtet unter seinen Tenden-
zen eine zur exzessiven Demokratisierung. Er kam aus den Eliteschich-
ten zu denen des Abschaums durch die Mobilisierung der
Herumtreiber.
131
Lima Sobrinho stützte in seiner radikalen Argumentation Mendonças An-
griffe gegen den Sport. Eine erzieherische Wirkung des Fußballs sei nicht
garantiert, es komme zu sehr darauf an, wer ihn ausübe. Besonders deutlich
unterschied Lima Sobrinho, wie auch Mendonça, zwischen dem Fußball als
erzieherisches Mittel an den Schulen und dem Fußball als Spektakel für
Zuschauermassen in Stadien, denn »sobald er in die luxuriösen Stadien
geht, pervertiert und schadet er, indem er seine Spieler gegenüber den
Profis einebnet.« Lima Sobrinho beschrieb den Fußball als Massen-
spektakel wie folgt:
Da er ein Spiel ist, zieht er leicht die Massen in seinen Bann und verur-
sacht brennenden Enthusiasmus, Grund für seine Entstellung. Es bilden
sich ›clubs‹, die die Legionen von Anhängern anziehen; an den Ein-
gangstoren der geschlossen Spielfeldern werfen die Einnahmen genü-
gend für die Finanzierung der Spieler ab.132
131
Ebd.
132
Ebd.
87Aneignung
87
Der Profi-Spieler, den Lima Sobrinho hier beschrieb, stand im Widerspruch
zum Amateur. Ihn zeichne nicht die angestrebte harmonische Vereinigung
von Intellekt und physischer Kraft aus, sondern
die Brutalität, die Unhöflichkeit und Ungebildetheit, wenn nicht sogar
pedantische und anmaßende Dummheit, was noch schlimmer ist. […] Im
Spiel will der Professionelle um jeden Preis gewinnen, um den Lohn,
den er erhält, zu rechtfertigen. Dazu verwendet er alle niederträchtigen
Methoden, unredlichen Tricks, wie Beinstellen und sogar Schläge und
Tritte, oftmals verkrüppelt er seinen Gegner dabei für immer. Er ordnet
sich den Entscheidungen des Schiedsrichters nicht unter und es macht
ihm nichts aus, den Schiedsrichter als Gauner zu bezeichnen und ihm
das bei Gelegenheit sogar zu sagen. Er verliert völlig die Vorstellung
von Gerechtigkeit […].133
Lima Sobrinho beschrieb einen Wandel von puren Amateuren zu
profitorientierten Spielern, die die Ideale des Amateurethos aus den Augen
verlieren und gewalttätig werden.
Schon 1918 hatte der Journalist Marcio Vidal in der Zeitschrift
VidaSportiva
, dem offiziellen Organ der ACE, sich abschätzig über
halbprofessionelle Spieler geäußert. Er bezog sich auf zwei Fälle, in denen
Spieler aus Klubs der
Liga Metropolitana
zu suburbanen Klubs gewechselt
waren. Er wolle in seinen Ausführungen nicht so weit gehen zu sagen, Geld
habe eine Rolle bei dieser Entscheidung gespielt, aber dennoch sei es in-
zwischen zur Gewohnheit geworden, Spieler nach ihrer Leistung auszu-
wählen. Diese seien keine wahren
sportsmen
. Das seien diejenigen, die
den Sport um des Sportes willen praktizieren; die den Stolz besitzen auf
ihren Schultern die Insignien des Klubs zu tragen, zu dem sie gehören;
die ihren Klub mit Hingabe verteidigen, dafür jedwede Art von Opfer
auf sich nehmen; für die es keine Versuchung gibt, die sie dazu bringen
könnte, ihre Kollegen zu verlassen; die ihren Klub als sportliches
Heimatland betrachten […].«134
Einen echten
sportsman
mache »die sportliche Disziplin, die Liebe zur
Flagge, die er angenommen hat und der Opfergeist […]« aus.135Er betonte,
die Vereine sollten Vorkehrungen treffen, um keine »fremden Elemente« in
die Klubs zu lassen, diese seien »Pfröpflinge, die schlechte Früchte geben,
133
Ebd.
134
»A Prata da Casa«, Anno II, Nr. 50,
Vida Sportiva
, 3.8.1918, S. 1.
135
Ebd.
88
88
Aneignung
Parasiten, die die Bäume töten, an die sie sich anhängen, wenn sie nicht
rechtzeitig vernichtet werden.«136Diese drastische Ausdrucksweise richtete
sich gegen die Aneignung des Fußballs von unten und weist darauf hin, wie
stark Fußballer aus der Elite die Popularisierung auch als Bedrohung emp-
fanden.
Der Wechsel des Vereins widersprach grundlegend dem Ideal des
Amateursportlers, das führte zum Beispiel der Schriftsteller Henrique
Coelho Netto aus. Netto war eines der ersten Mitglieder des Elitevereins
Fluminense F.C. in Rio de Janeiro und gleichzeitig einer der erbittertsten
Verfechter des Amateursports. Er formulierte seine Position zum Amateur-
sport kurz vor dem anstehenden
Campeonato Sul-Americano
1918, das in
Rio de Janeiro stattfinden sollte:
Es ist nicht gerecht, das unter den Mitgliedern einige weiterhin die kor-
rekten Normen befolgen und nur Amateure anstellen, während andere,
mit Skandal und unter generellem Protest, Spieler aufnehmen, die per
Vertrag angestellt werden, die Söldner sind und die sich den Klubs nicht
aus Liebe zu ihrer Fahne anschließen, sondern aus dem Interesse, wel-
ches sie ihm abgewinnen können.137
Weiter meinte er: »Der Klub sollte für den Spieler wie eine kleine Heimat
sein, der er sich widmet und für die er sich freien Herzens aufopfert ohne
ein anderes Interesse als das des Sieges.« Er verglich Profi-Spieler mit
Söldnern in der Antike, die nicht mit regulären Soldaten eines kriegeri-
schen Heeres zu vergleichen gewesen seien. Zudem könne ein Klub, der
mit Profi-Spielern ein Spiel gewinne, nicht stolz auf diesen Sieg sein, denn
»er gewinnt nicht wegen der Anstrengung seiner Mitglieder, sondern we-
gen der Pflicht seiner Angestellten […].«138
Gehäuft berichteten die Zeitungen Ende der 1910er- und zu Beginn der
1920er-Jahre über aufgedeckte »Skandale« von Halb-Profitum in den gro-
ßen Klubs Rio de Janeiros und São Paulos. Sie sollten den Lesern als
Lehreinheiten dienen, wie ein idealer Amateurspieler auszusehen habe.
Auch hier orientierten sich die Zeitungen, hinsichtlich der Reformen der
Statuten und des rechtlichen Umgangs mit Regelverstößen im Umfeld der
Ligen, stark am Ausland – entweder indem sie Präzedenzfälle zitierten oder
136
Ebd.
137
»O Profissionalismo«,
Vida Sportiva
, 28.9.1918, Anno II, N. 58, S. 3.
138
Ebd.
89Aneignung
89
auf dort bereits durchgeführte Reformen verwiesen.139Es gab Wechselwir-
kungen lokaler und internationaler Entwicklungen im Fußball.
Über die Presse nahmen auch die Leser selbst Vergleiche und Abgren-
zungen vor. Als 1928
O Estado de São Paulo
seine Leser aufrief, sich zur
Einführung des Profitums zu äußern, meldete sich ein Leser, der einen
entscheidenden Unterschied zwischen Europa, Nordamerika und Brasilien
sah. In Europa und Nordamerika gäbe es keinen Mangel an Arbeitskräften,
der Profi-Fußball entziehe sie nicht dem Arbeitsmarkt, Arbeit stelle dort
zudem ein »Grund des Stolzes« dar. Anders in Brasilien, wo ein »Fußball-
fieber« herrsche und Arbeit für viele eine »Schande« sei; hier benötige der
Arbeiter den Fußball nicht zum Zeitvertreib, die »parasitären Klassen«
sollten sich ausruhen statt Sport zu treiben.140
Wiederholt beschrieben Journalisten die Zunahme von Gewalt als eine
Begleiterscheinung der Popularisierung des Fußballs. Fußball hatte sich in
der zweiten Dekade des 20. Jahrhunderts in ein Massenphänomen verwan-
delt, Journalisten erfassten ihn explizit als Sport der »Massen«.141Doch
nicht alle kamen zu solch negativen Urteilen wie Lima Barreto, Mendonça
oder Lima Sobrinho. Der leitende Sportredakteur von
A Gazeta
, Leopoldo
Sant’Anna, sah die Unterstützung von Fußballklubs durch die Regierung,
die Lima Barreto ebenfalls kritisierte, als begrüßenswert, denn so zumin-
dest würden die abgeführten Steuern an das Kollektiv zurückgegeben, an
alle sozialen Klassen, und landeten nicht in den Taschen der »Familien und
[…] Freunde und Angestellten der Bosse.« Den Fußball beschrieb er als
139
Vgl. zum Beispiel eine Forderung nach einer Reform der Statuten der APEA am
Beispiel europäischer Ligen: »Football. O Momento«,
A Gazeta
, 23.7.1919. Vgl. auch
zum Profitum im Ausland, vor allem in Spanien und Uruguay: »Football. Notas
Hespanholas. O Football - O Professionalismo - O Suborno - A Temporada de Outubro
- Um Interessante Commentario do ›Figaro‹ sobre o Profissionalismo«,
A Gazeta
,
31.12.1919; »Football. Notas Uruguayas. A Familia Brown - O Professionalismo agita o
Mundo Sportivo - Jogadas Famosas - Viagens que Fracassam«,
A Gazeta
, 8.3.1920;
»Quando chegara' a nossa vez? O Professionalismo no Exterior«,
A Gazeta
, 13.2.1922.
140
»A questão do professionalismo. O inquerito do ›Estado‹ -- Um ponto de vista
curioso«,
OESP
, 6.3.198, S. 9. In der Interviewreihe des
O Estado de São Paulo
äußerten sich bekannte lokale
sportsmen
aus São Paulo, so auch Charles Miller. Er habe
ein Spiel der Profi-Liga in England verfolgt, das im Vergleich zu Amateurspielen
langweilig gewesen sei: »Esporte. Futebol. A questão do professionalismo«,
OESP
,
9.3.1928, S. 7.
141
Sant’Anna, »O Momento«,
A Gazeta
, 18.3.1919. Dass der Wandel der
Kommunikationsmedien stark mit der Entstehung einer»Massenkultur« zusammenhing
und sie reflektierte, ist in ganz Lateinamerika in den 1920er-Jahren beobachtbar. Vgl. zu
Chile: RINKE, Stefan,
Cultura de masas, reforma y nacionalismo en Chile
, Santiago de
Chile 2002.
90
90
Aneignung
eine eigene Welt, in der der Mensch seine »Schulden, seinen Ärger« für
einen Augenblick vergessen könne.142
Die Sportpresse beklagte Ende der 1920er-Jahre nicht nur den sozialen
Wandel des Publikums und der Zuschauer. Sie kritisierte, die Vereine und
Ligen würden mehrheitlich von sogenannten »cartolas« (wörtlich: »Zylin-
dern«) gelenkt, die kaum mehr Interesse am Sport an sich hätten und denen
es vor allem darum gehe, an den Stadionkassen Geld einzunehmen und die
Fußballklubs zu profitablen Unternehmen auszubauen.143Sie rekrutierten
talentierte Fußballspieler aus suburbanen Klubs oder Fabrikklubs, wie dem
Vorortverein Bangú, und alimentierten sie in einem ausgeklügelten System
des Halb-Profitums. Die Spieler gaben sich nach außen als Amateure, da
nach den offiziellen Regeln die Bezahlung von Spielern verboten war und
sanktioniert wurde, lebten in Wahrheit aber vom Fußball.
Zu dieser Entwicklung trugen auch die Zunahme internationaler Sport-
wettkämpfe und der Erfolg bei Olympischen Spielen bei.144Die Sportler
und Mannschaften galten als Helden, sie standen symbolisch für die Nation
oder Region. Entsprechend wurde der Zuschauer am Spielfeldrand zu einer
wichtigen Komponente des Geschehens – nicht nur weil er Eintrittsgeld
zahlte, auch weil er durch seinen Jubel die Spieler dazu anstachelte, bis an
die Grenzen des körperlich Leistbaren zu gehen.
Das Amateurethos definierten seine überzeugtesten Vertreter just dann
stärker, schärften und verteidigten es, als sie mit dem Auftreten von Halb-
Profis und einem sie stützenden und auf Profit aufbauenden System ihre
142
Sant’Anna, »O Momento«,
A Gazeta
, 18.3.1919.
143
Vgl. »As autoridades do Futebol e a imprensa«,
OESP
, 24.5.1930; »Futebol. A
Crise de Jogadores. A escolha de campeões«,
OESP
, 30.5.1930. Der Wandel der ad-
ministrativen Führung der Klubs wird zum Beispiel von Paulo Varzea in seinem Vor-
wort zum Buch von Floriano Peixoto Corrêa beschrieben, in dem er prinzipiell
profitorientierten Klubvorständen die Schuld am »falso amadorismo« (»falsches
Amateurtum«) gibt: Vgl. CORRÊA,
Grandezas e misérias
, S. 17-50. An der adminis-
trativen Spitze der Fußballligen gab es weitestgehend eine Kontinuität urbaner Eliten,
wie zum Beispiel die Herkunft der gewählten Mitglieder zum Vorstand des lokalen
Fußballverbandes São Paulos, APSA, im Jahr 1920 zeigte, die alle aus freien Berufen
und der lokalen Kaffeeelite stammten: »A Assembléa Geral da A. P. de S.A. A sua nova
directoria – importantes resoluções«,
A Gazeta
, 23.1.1920. Der Begriff »cartolas« ist in
Brasilien noch heute die geläufige und abschätzige Bezeichnung für profitorientierte
Vereinsmanager.
144
1928 war Fußball bei den Olympischen Spielen in Amsterdam die bei Weitem po-
pulärste Disziplin mit dem höchsten Zuschaueranteil von 250.347 Zuschauern: Vgl. IXe
Olympiade Amsterdam 1928, Rapport Officiel, Annexe IV: Diagramme du nombre
total des spectateurs payants pour les différents sports et pour la séance d’ouverture,
FFC.
91Aneignung
91
gesellschaftliche Position bedroht sahen. Mit seinem Wandel zum Geschäft
kam dem Fußball in ihren Augen sein moralischer Sinn abhanden. Diese
Entwicklung, die Ausrichtung des Fußballs nach anderen Prinzipien, be-
deutete für die Eliten einen Kontrollverlust über diesen Sport. Er unterlag
nicht mehr den Wertevorgaben, die die Fußballpioniere in den Handbü-
chern festgelegt hatten und die sich darüber hinaus in kulturellen Verhal-
tenscodes spiegelten, sondern den Regeln eines gewinnorientierten Marktes
und den Vorstellungen der sich ihn aneignenden sozialen Gruppen. Den
Reformern und Sporteliten entglitt der Fußball als ein Instrument, mit dem
sich soziale Kontrolle ausüben und eine
raça brasileira
formen ließ. Dies
mündete teilweise in einen Rückzug einiger Sportpioniere aus dem Fußball
oder aber in weiteren Versuchen der Exklusion oder der hegemonialen
Kontrolle.145Wie Leonardo Pereira argumentiert, vereinte die reformeri-
schen Befürworter und die Gegner des Fußballs, dass sie im Fußball einen
moralischen Sinn sahen – so unterschiedlich ihre Schlussfolgerungen auch
waren, wie die Popularisierung des Fußballs sich auswirken würde.146
1.5.FUTEBOL DE VÁRZEAUNDPOPULARISIERUNG
Tatsächlich hatte sich in Rio de Janeiro und São Paulo seit dem ersten Jahr-
zehnt des 20. Jahrhunderts eine alternative Klublandschaft herausgebildet,
zum großen Teil als Reaktion auf die Exklusion aus den elitären Verei-
nen.147Arbeiter und Angehörige der Mittelschicht gründeten Vereine und
füllten die wenigen freien Stunden zwischen Arbeit und häuslichen Ver-
pflichtungen mit Freizeitaktivitäten. Sport wurde immer populärer und seit
dem ersten Jahrzehnt bis in die 1920er-Jahre vervielfachte sich die Anzahl
der Sportklubs in den urbanen Arbeitervierteln und Vorstädten (
subúrbios
)
Rio de Janeiros und São Paulos.148
Alle Arten von Sport waren in ihrem Spektrum vertreten, doch bei wei-
tem am Populärsten war der Fußball, er entwickelte sich zum wichtigsten
Zeitvertreib der Arbeiterschaft. Diese Vereine entstanden unter prekäreren
145
Vgl. P
EREIRA
, Pelos Campos da Nação; D
ERS
., O jogo dos sentidos.
146
Vgl. P
EREIRA
, O jogo dos sentidos, S. 217-224.
147
B
UTLER
,
Freedoms Given
, S. 78-87.
148
In Rio de Janeiro wuchs die Einwohnerzahl in der Nordzone der Stadt und den
außerhalb des Zentrums liegenden Vorstädten während und nach den Sanierungsmaß-
namen von 1906 überproportional an: Vgl. MEADE,
»Civilizing« Rio
, S. 121-125. São
Paulo verzeichnete ebenso ein Anwachsen der Industrievororte im ersten Drittel des 19.
Jahrhunderts: Vgl. LOVE, Joseph LeRoy,
São Paulo in the Brazilian Federation,1889-1937
, Stanford, Calif. 1980, S. 26.
92
92
Aneignung
Konditionen als die Klubs der Elite mit ihren mondänen Klubhäusern auf
weit angelegten Grundstücken mitten in der Stadt. In São Paulo spielten sie
ihn entlang der Flussufer (
várzea
) auf brachliegenden Grundstücken, daher
stammt der Begriff
futebol de várzea
, der sich in der zeitgenössischen Lite-
ratur als allgemeiner Begriff für nicht-elitären, urbanen Fußball durchge-
setzt hat.149
So erwähnt der Historiker Joseph Love in seiner Regionalstudie zu São
Paulo ausdrücklich den
futebol de várzea
als Freizeitaktivität in São Paulos
Arbeitervierteln Brás und Belenzinho. Er sei eine Adaptation des elitären
Fußballs, im Gegensatz zu diesem aber besonders gewalttätig gewesen:
»The working-class version was rough, and some players even went armed
to the matches. Italian, Spanish, and Portuguese immigrants participated,
often basing their teams on the factories where they worked.«150Mit dieser
Bewertung nimmt Love Urteile über den
várzea
-Fußball auf, die Paulista-
ner Sportjournalisten und die oben beschriebenen Reformer und Sportler
gefällt hatten: Sie beschrieben ihn als besonders gewaltvoll und werteten
ihn gegenüber dem Fußball der Eliteklubs ab.
In Rio de Janeiro, wie Pereira nachweist, gründeten Arbeiter und Ange-
hörige der urbanen Mittelschicht alleine im Jahr 1907 mehr als 40 neue
kleinere Fußballklubs, so dass die sechs Elitevereine der 1905 gegründeten
Liga Metropolitana
von da an nur noch in der Minderzahl waren.151Diese
Zahlen entnimmt Pereira den Polizeiakten der Stadt Rio de Janeiro, da
Neugründungen von der Polizei registriert und erlaubt werden mussten.
Aus diesen Akten lässt sich in Grenzen auch etwas über das soziale Profil
ihrer Mitglieder sagen, da die Klubvorsitzenden teilweise ihre Berufe an-
gaben oder im Aktenvorgang der zuständige Polizeiangestellte das Profil
der Vorsitzenden beschrieb. Aus den Akten geht eine starke Ablehnung
gegenüber Personen hervor, die keiner geregelten Beschäftigung nachgin-
gen und sich der »Herumtreiberei« (»vagabundagem«) verdächtig machten.
Die Polizei überwachte und disziplinierte das Klubleben, um Vereini-
gungen aufzulösen, in denen die Mitglieder verbotenen Spielen wie dem
damals populären
jogo do bicho
nachgingen oder Samba tanzten. Wie an
den Anmerkungen in den Eingaben bei der Polizei abzulesen ist, standen
149
Vgl. zur Definition
futebol de várzea
: A
RAÚJO
,
Imigração e futebol
, S. 62.
150
L
OVE
,
São Paulo
, S. 89.
151
Vgl. P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 70-73. Pereira weist nach, dass in Rio de Janeiro
1920 circa 13.000 Spieler an einen Verband angebunden waren, bei 1.157.873 Einwoh-
nern mit 598.307 Männern seien das damit 2 von 100 Einwohnern gewesen. Insgesamt
waren zu diesem Zeitpunkt 91 Vereine bei der Polizei registriert; die Zeitungen führten
sogar 300 auf: Vgl. ebd., S. 126.
93Aneignung
93
gerade Angehörige unterer sozialer Schichten unter dem Verdacht, Sport-
vereine nur als Vorwand zu gründen, um das Spielverbot zu umgehen.152
Positiv registrierte die Polizei, wenn die Mitglieder ein »gutes Betragen«
zeigten, wie im Falle des 1912 von Arbeitern gegründeten Alliança Foot-
Ball Club.153Die soziale Herkunft der Mitglieder war zwar auch bei der
Registrierung dieses Vereins von Bedeutung, die meisten Mitglieder waren
aber Arbeiter oder Angehörige einer neu entstehenden urbanen Mittel-
schicht.154Insgesamt ist jedoch davon auszugehen, dass die Polizei Vereine
dieser sozialen Gruppen stärkeren Kontrollen unterzog.155
In Rio de Janeiro ist die Gründung dieser Vereine unter anderem als
Reaktion auf die weiter oben schon beschriebenen Exklusionsmechanismen
in den großen Eliteklubs zu sehen. Die Ablehnung richtete sich explizit auf
soziale Merkmale: Pereira schreibt, der Klub Botafogo habe zum Beispiel
in seine Statuten die Klausel aufgenommen, die Mitglieder dürften keiner
körperlichen Arbeit nachgehen. Andere Klubs wiederum schotteten sich ab,
indem sie die Mitgliedsbeiträge hochsetzen.156
Leider liegen keine genauen Zahlen darüber vor, wie viele dieser Klubs
in den Arbeitervierteln und Vororten São Paulos zu verschiedenen Zeit-
punkten existierten und welches Mitgliederprofil sie aufwiesen; für São
Paulo lassen sich ähnliche polizeiliche Registrierungen wie in Rio de
Janeiro nicht finden. Trotzdem gibt es Hinweise auf rapide zunehmende
152
Vgl. ebd. Ganz ähnlich war das Vorgehen bei den Karnevalsklubs, die ebenfalls in
dieser Zeit von Arbeitern und Angehörigen der Mittelschicht in der ganzen Stadt ge-
gründet wurden und die teilweise auch mit den Fußballklubs verbunden waren: Vgl.
SILVA, Zélia Lopes da,
Os carnavais de rua e dos clubes na cidade de São Paulo:metamorfoses de uma festa (1923-1938)
, São Paulo u.a. 2008, S. 70. Zu afro-brasiliani-
schen Klubgründungen als Reaktion auf die Exklusion von Afro-Brasilianern aus ande-
ren Klubs: Vgl. BUTLER,
Freedoms Given
, S. 78-87. Zur »Zivilisierung« des Sambas
seit den 1890er-Jahren und zur damit einhergehenden Kriminalisierung des afrikani-
schen
batuque
durch weiße Eliten in Salvador Bahia: Vgl. ebd., S. 171-189
.
153
»Alliança Foot-Ball Club«, GIFI 6 C 365, AN.
154
So waren die Mitglieder der Klubs Internacional Football Club (1912), Riachuelo
Foot-Ball Club (1913), des Sport Club Amazonas (1916), des Terra Nova Foot-Ball
Club, des Commercio Foot-Ball Club (1918) zum Beispiel Zahnärzte, Studenten, Metz-
ger, Schuhmacher, Mechaniker, Typografen, Buchbinder, Erdarbeiter, Angestellte im
öffentlichen Dienst, überwiegend jedoch Handelsangestellte und Händler: Vgl. GIFI 6
C 368; GIFI C 432; Série Justiça IJ6 597; Série Justiça IJ6 597; Série Justiça IJ6 645:
Sociedades-Clubs-Grupos etc. 1918, AN.
155
Siehe zum Beispiel die Registrierung des Klubs Associação Athletica do Rio. Der
zuständige Polizeikommissar äußerte den Verdacht, in den Räumlichkeiten des Klubs
spielten die Mitglieder verbotene Glücksspiele: Vgl. »Sociedades Carnavalescas durante
o anno de 1912«, GIFI 6 C 367, AN.
156
P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 62-63.
94
94
Aneignung
Klubgründungen in São Paulo in den 1910er-Jahren und auf eine Blütezeit
des Fußballs auf improvisierten Plätzen, eben den
várzeas
.157Gloria Lanci
und Matthew Brown haben kürzlich für eine zweite Gründungsphase von
Fußballklubs in São Paulo ab circa 1906 insgesamt sechs solcher populärer
Klubs gezählt.158Es dürften weit mehr gewesen sein. Bei diesen sechs
Klubs – Clube Atlético Ypiranga, Sport Club Corinthians Paulista, Palestra
Itália, Associação Portuguesa de Desportos, Crespi Football Club, São
Paulo da Floresta – handelt es sich um Klubs, die später in die Eliteliga
APEA aufgenommen wurden und ihre offiziellen Turniere mitspielen durf-
ten. Die vielen anderen Klubs hatten eigene Ligen oder waren vermutlich
einfach Nachbarschaftsvereine, die keine regularisierten Turniere austru-
gen.
In einem von Ecléa Bosi für seine Sozialgeschichte São Paulos durchge-
führten Interview berichtete der Sohn venezianischer und toskanischer
Einwanderer Amadeu [Nachname unbekannt], dass er ungefähr 1915 be-
gonnen habe, Fußball zu spielen und es zu diesem Zeitpunkt ein äußerst
reges Klubleben in den
várzeas
in São Paulo gab:159
Ich habe mit neun Jahren begonnen zu spielen. Zu der Zeit gab es mehr
als tausend várzea-Felder. In Vila Maria, in Canindé, in Várzea do
Glicério, jedes Viertel hatte mehr oder weniger 50 Fußballfelder. Penha,
da kannst du fünfzig annehmen. Barra Funda, Lapa, zwischen zwanzig
und 25 Felder. Ipiranga zusammen mit Vila Prudente, da kannst du fünf-
zig drauf tun. Vila Matilde, so zwanzig.160
Auch wenn der Umgang mit diesen Aussagen einer gewissen Vorsicht
bedarf, da sie keinen gesicherten Rückschluss auf eine genaue Anzahl der
Klubs zulassen, geben sie doch ein Bild von der Lebendigkeit des
futebolde várzea
in den Vororten und Arbeitervierteln São Paulos.
Amadeu berichtete weiter, die Anhänger verteilten sich über die Stadt,
um Spiele anzuschauen, statt wie später zu einem großen Stadion zu strö-
men.161Das bedeutet im Vergleich zur Gegenwart, es gab viele kleine
157
G
ONÇALVES
J
ÚNIOR
,
Friedenreich e a reinvenção de São Paulo
, S. 37-42.
158
Vgl. B
ROWN
, Matthew/L
ANCI
, Glória, A Transnational Investigation of Football
and Urban Heritage in São Paulo, 1890 to 1930, in: PETERS/RINKE(Hg.),
Global Play
,
S. 17-39, hier 30-34.
159
Den Hinweis auf die Erwähnung des
futebol de várzea
bei Bosi entnehme ich
GONÇALVESJÚNIOR,
Friedenreich e a reinvenção de São Paulo
, S. 41.
160
B
OSI
, Ecléa,
Memória e sociedade: lembranças de velhos
, 4. Aufl., São Paulo
1995, S. 138.
161
Ebd., S. 138 f.
95Aneignung
95
Klubs, denen die Arbeiter anhingen, deren Spiele sie am Wochenende
besuchten – der populäre Fußball war also äußerst differenziert, lokal
orientiert und lebendig.162
Die soziale und ethnische Zusammensetzung der Klubs in São Paulo war
stark durch die europäische Immigration geprägt. Schon die Namen der
unterschiedlichen Vereine verweisen teilweise auf die soziale oder ethni-
sche Herkunft ihrer Mitglieder oder auf einen gemeinsamen Arbeitgeber.163
Die Klubnamen spiegelten die Vielfalt des multiethnischen São Paulo
wider, vor allem offenbaren viele Namen, wie Italo-Luzitano F.C. und
Juvenil Torino F.C., dass Italiener die größte Immigrantengruppe waren.
Oftmals übernahmen die Klubs auch Namen bekannter Vereine aus
anderen Städten, wie zum Beispiel América nach dem Klub in Rio de
Janeiro, oder erinnerten an ausländische Mannschaften, die in Brasilien
gespielt hatten, wie im Falle des South Africa F.C
.
Bekanntestes Beispiel
ist der Arbeiterklub Corinthians, der später einer der größten
Fußballvereine Brasilien werden sollte und den Arbeiter 1910 in
Erinnerung an den englischen Klub Corinthian F.C. gründeten, der in
diesem Jahr Brasilien besucht hatte.164Während Arbeiter in den
várzeas
ihre eigenen Klubs gründeten, schloss das die gleichzeitige Anhängerschaft
eines der großen Elitevereine der Stadt nicht aus.
In den 1920er-Jahren berichtete auch die Tagespresse regelmäßig über
das Leben der
clubes de várzea
. Die Klubs wählten eines der großen
Presseorgane, kündigten darüber Spiele an und verbreiteten Spielergeb-
nisse. Besonders viele der kleineren Vereine aus den
subúrbios
meldeten
sich bei der Tageszeitung
A Gazeta
, die unregelmäßig die bei ihr re-
gistrierten Klubs auflistete. Anfang 1920 führte die
A Gazeta
93 »Sportzu-
sammenschlüsse« auf. Der große Teil dieser Sportklubs waren Fußball-
klubs.165Im Januar 1922, so berichtete
A Gazeta
von sich selbst, war sie das
162
Darauf weist ein Bericht in der Zeitschrift
A Cigarra Sportiva
hin, der darüber
berichtet, suburbane Klubs würden ständig entstehen und wieder aufgelöst, sie hätten
ein sehr kurzes Leben: Vgl. »O Sport popular«,
A Cigarra Sportiva
, Nr. 5, 7.7.1917,
S. 1.
163
Vgl. hierzu auch P
AOLI
, Célia M., Working-class São Paulo and its Representa-
tions, 1900-1940, in:
Latin American Perspectives
14, 1987, Nr. 2, S. 204-225,
hier 215 f.
164
Vgl. M
ASON
,
Passion of the People?
, S. 13; N
EGREIROS
,
Resistência e rendição
.
165»A ›Gazeta‹ é Orgam Official das Seguintes Agremiações Sportivas«,
A Gazeta
,
5.3.1920, S. 3. Die folgenden Ausgaben des Jahres weisen darauf hin, dass ihre Zahl
kontinuierlich zunahm: Vgl. die Ausgabe vom 7. April 1922.
96
96
Aneignung
»offizielle Organ fast aller Fußball-Klubs von São Paulo, die ihren Sitz
außerhalb der APEA haben«, also außerhalb des lokalen Eliteverbandes.166
Die
clubes de várzea
waren also inzwischen als feste Institution des
kulturellen Alltags der Stadt akzeptiert. Trotzdem vertrat
A Gazeta
sie nicht
in der gleichen Weise wie einen der großen Klubs. Eher berichtete sie
herablassend und geringschätzig über die
clubes de várzea
und ihre Anhän-
ger und Mitglieder. So verfassten die Redakteure die Spielberichte in einem
völlig anderen sprachlichen Duktus als die über die Eliteklubs der APEA.
Die Ausdifferenzierung des Fußballs durch die immense Anzahl an
Klubgründungen in den
subúrbios paulistas
registrierte die Presse nicht nur
als numerisches Ereignis, darüber hinaus machte sie sie zum Mittelpunkt
einer Debatte über die Veränderungen, die die Popularisierung des Fußballs
mit sich brachte. Sie sah die Entwicklung in erster Linie mit Sorge, be-
richtete oftmals in drastischer Sprache von den Spielen als Orte des Chaos
und der Gewalt und leitete daraus ab, der Fußball in São Paulo befände sich
in einer Phase des Niedergangs im Vergleich zu den ersten Jahren der
Prosperität, als die Neugründungen vor allem Elite-Klubs waren. Sie setzte
die Vereine, ihre Spieler und Anhänger konstant mit der Zunahme von
Gewalt und einer allgemeinen Verrohung im Fußball in Verbindung.167
166
»A ›Gazeta‹ e os ›seus‹ clubes… Uma conflagração entre o Pinga, H. Das
Chammas, Caramuru’ e Onze…«,
A Gazeta
, Januar 1922 (genaues Datum unbekannt).
Die
Associação Paulista de Sports Athléticos
(APSA) nannte sich ab 1917
AssociaçãoPaulista de Esportes Atléticos
(APEA).
167
Tatsächlich ist mit der Popularisierung des Fußballs Ende der 1910er-Jahre eine
zunehmende Nachfrage nach Polizeiüberwachung bei Fußballspielen zu verzeichnen.
Für das Jahr 1918 finden sich in den Polizeiakten der Stadt Rio de Janeiro vermehrt
Gesuche von Klubs für Polizeipatrouillen. Anscheinend setzte die Polizei dabei so viele
Männer ein, dass der Dienst einiger Polizeikommissariate dadurch vorübergehend
eingeschränkt war. Das geht aus einem internen Gesuch hervor, weniger Polizisten für
Fußballspiele abzustellen: Vgl. Série Justiça IJ6 645, AN.
97Aneignung
97
Bild 4: Gewalt im Fußball: Die Karikatur illustriert die gewandelte Wahrnehmung von
Fußballspielen in den 1920er-Jahren als chaotisch und gewaltsam. Quelle: »A Semana
Sportiva«,
A Gazeta
, 20.3.1922.168
Der leitende Sportredakteur von
A Gazeta
, Leopoldo Sant’Anna, gab neben
dem Halb-Profitum die Schuld an der angenommenen »Dekadenz«, die
sich in einer Missachtung traditioneller Werte äußerte, »neuen« und uner-
fahrenen Personen, die die Klubs leiteten und deren vorrangiges Interesse
am Fußball ökonomisch sei. Sie sähen ihn vor allem als Geschäft und seien
mit »finanziellem Kapital« (»capital-dinheiro«) statt mit einem eher im-
materiellen »Kapital des Talentes« (»capital-aptidão«) ausgerüstet. Sie
interessierten sich, so Sant’Anna, nicht für das Spiel an sich, sondern sähen
darin eine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Vor allem eine Gruppe hob
Sant’Anna hervor: Es seien vor allem Personen »die noch nicht unter uns
aufgewachsen sind und die von einem Tag auf den anderen hohe
Klubpräsidenten werden.«169Sant’Anna bezog sich damit unmissver-
ständlich auf Immigranten, von denen einige in São Paulo im Zuge der
Urbanisierung und Industrialisierung zu Geld gekommen waren, wie zum
Beispiel der italienisch-stämmige Unternehmer Francisco Matarazzo. In
São Paulo schlug diesen teilweise von den alten, aristokratischen Eliten
168
»Die sportliche Woche«, »Ein üblicher Stammkunde in der Gegend«.
169
S
ANT
'A
NNA
,
Supremacia
, S. 155. Er bezeichnet die Immigranten als »fremde
Elemente« (»elementos extrangeiros«).
98
98
Aneignung
Verachtung entgegen, oftmals wurden sie als »neureich« verunglimpft.170
Die »Europhilie« der Eliten hatte an diesem Punkt Grenzen, die sich auch
im Kontext der Popularisierung des Fußballs äußerte.171Ähnliche
Ressentiments bestanden in Rio de Janeiro, so Bernardo Hollanda, gegen
den von portugiesischen Händlern gegründeten Immigrantenklub Vasco da
Gama, der in den 1920er-Jahren zu einem der erfolgreichsten Klubs mit
einer großen Anhängerschaft aufstieg. Da auch er durch die Einrichtung
eines Profi-Ausbildungssystems nicht-elitärer Fußballer die traditionellen
Werte des Amateurtums missachtete, begegnete er in der Presse und in den
Sportlern der Elitevereine einem starken Anti-Lusitanismus.172
Es ist kein Zufall, dass die Presse gerade um 1920 die Popularisierung
des Fußballs – vor allem in den Immigrantenvierteln São Paulos – als be-
drohlich für eine bestehende Ordnung beschrieb.173Hintergrund ist sicher-
lich die große und anhaltende Streikbewegung, die São Paulo in der Zeit
zwischen 1917 und 1920 erlebte und deren eindrucksvoller Beginn ein
Generalstreik von circa 40.000 Arbeitern im Jahr 1917 war.174Die Streiks
weiteten sich von São Paulo auf Rio de Janeiro aus. Auch wenn um 1920
die Ordnung nach massiven Repressionen gegen die Streikenden durch
Arbeitgeber und die Polizei wieder hergestellt schien, hinterließen die
Ereignisse in den Jahren 1917 bis 1920 einen nachhaltigen Eindruck. Es
war ein ausgeprägteres Klassenbewusstsein entstanden. Im Zuge der
Streikbewegung hatten sich Teile der Arbeiterschaft organisiert, sie for-
derten eine Ausweitung ihrer Rechte, stellten Partizipationsansprüche, so-
wohl politisch als auch kulturell.175
Die Streikwelle stellte die bis dahin positive Einstellung von Arbeitge-
bern, staatlichen Behörden und Politikern zu europäischen Immigranten auf
den Kopf.176Hatten sie bis dahin europäische gegenüber brasilianischen
Arbeitskräften, zumeist ehemaligen Sklaven, positiv als arbeitsam, fleißig
170
Vgl. L
OVE
,
São Paulo
, S. 86 f.
171
Der Begriff der »Europhilie« im Fußball ist Bocketti entnommen: Vgl. B
OCKETTI
,
The Creolization
, S. 125-142; DERS., Italian Immigrants, S. 283.
172
H
OLLANDA
,
O descobrimento do futebol
, S. 200.
173
Vgl. »BILHETES PRETOS. ›AS TORCEDORAS DEVEM OU NÃO PAGAR A
ENTRADA?‹ [Majuskeln im Original]«,
A Gazeta
, 7.12.1921.
174
Vgl. F
AUSTO
, Boris, Conflito social na república oligárquica: a greve de 1917, in:
Estudos CEBRAP
10, 1974, S. 79-109.
175
Vgl. zu Arbeiterbewegung und -kultur in São Paulo: H
ARDMAN
, Francisco Foot,
Nem pátria, nem patrão: memória operária, cultura e literatura no Brasil
, 3. erw. u.
durchges. Aufl., São Paulo 2002. Für Rio de Janeiro: Vgl. CHALHOUB,
Trabalho, lar ebotequim
.
176
Vgl. A
NDREWS
, Black and White Workers, S. 499-502.
99Aneignung
99
und gehorsam abgegrenzt, verdächtigten sie sie nun als Aufrührer, die mit
aus Europa importierten anarchistischen und anarchosyndikalistischen
Ideologien in Brasilien für Unruhe sorgten.177Hieraus resultierten der
Wunsch nach Aufrechterhaltung der Ordnung und eine Suche nach Mög-
lichkeiten der Disziplinierung der Arbeiterschaft.178
Im Zusammenhang mit dem Thema Immigration wird einmal mehr
deutlich, dass Fußball regionale und nationale Identitätszuschreibungen auf
sehr differenzierte Weise und unter transnationalen Bezugnahmen heraus-
forderte. Fußball wurde sehr stark verbunden mit einem Idealtypus eines
vermeintlich in Europa existierenden Amateursportlers, den Eliten in Bra-
silien in den 1920er-Jahren schon inkorporiert zu haben glaubten. Abwei-
chende Formen der Ausübung dieses Sports wurden hingegen abgelehnt,
unterdrückt oder zu regulieren versucht. Diese abweichenden Formen
konnten durchaus auch von europäischen Immigranten getragen sein, wur-
den deshalb aber nicht automatisch als nachahmenswert anerkannt.
Der Fußballdiskurs diente dazu, »Gewalt« und »Dekadenz« mit seiner
Popularisierung in den 1920er-Jahren zu verbinden. Beispielhaft für das
Verständnis von Fußballklubs als Institutionen der Disziplinierung von
Arbeitern und Bewohnern der urbanen Vororte durch die Presse ist die
Presseberichterstattung, die nach einem Mordfall eintrat, der sich im Okto-
ber 1921 während eines Spiels von
clubes de várzea
im Eliteviertel
VilaCerqueira César
in São Paulo ereignete. Die Tötung eines Anhängers
durch einen anderen Fan löste in der lokalen Sportpresse eine intensive
Diskussion über den
futebol de várzea
aus. Wie die Berichterstattung in
OEstado de São Paulo
nahelegt, war die lokale Presse überwiegend der Mei-
nung, der
futebol de várzea
müsse auf Grund seiner zunehmenden Gewalt-
tätigkeit verboten werden, der Mord sei ein Resultat einer schon länger
andauernden Entwicklung.179
Der Mordfall war der Höhepunkt einer insgesamt negativen Berichter-
stattung über einen längeren Zeitraum. Die Auseinandersetzung Ende des
Jahres 1921 ist von großem Interesse, weil sich unter anderem Anhänger
177
Ebd.
178
In den 1920er-Jahren begannen sich Industrielle und Wissenschaftler für US-
amerikanische Systeme zur Ausbildung von Arbeitern und Steuerung von Arbeits-
prozessen zu interessieren, wie dem Taylorismus. Mit diesen sollte anstelle repressiver
Praktiken in den paternalistischen Arbeitsbeziehungen in Fabriken die Arbeiterschaft
diszipliniert und so »sozialer Frieden« hergestellt werden: Vgl. WEINSTEIN, Barbara,
For Social Peace in Brazil: Industrialists and the Remaking of the Working Class inSão Paulo, 1920-1964
, Chapel Hill u.a. 1996.
179
Vgl. »O FUTEBOL NAS VÁRZEAS«,
OESP
, 7.10.1921.
100
100
Aneignung
und Spieler von
clubes de várzea
in Leserbriefen zu Wort meldeten und sie
einen seltenen Zugang zu den Anhängern der
clubes de várzea
vermittelt,
wenn auch beschränkt und gefiltert über die Elite-Presse.180
In der Debatte äußerten sich Vertreter mehrerer Gruppen. Die eine war
für ein stärkeres Eingreifen der Polizei bei Spielen der
várzea
. Sie sah in
dem Mordfall eine große Gewaltbereitschaft der Spieler und Anhänger
dieser Vereine bestätigt. Ihretwegen befände sich der Fußball in den letzten
Jahren im Niedergang. Auf der anderen Seite standen aber auch Sportjour-
nalisten, die die
clubes de várzea
verteidigten, da sie gerade in ihnen eine
Möglichkeit sahen, gegen eine angenommene »Dekadenz« des Fußballs
und der Gesellschaft insgesamt anzugehen und, ganz im Sinne der Hygie-
ne-Bewegung, den Fußball als erzieherisches Mittel einzusetzen. So
verteidigte der Autor eines Leitartikels auf den Sportseiten von
A Gazeta
die
clubes de várzea
gegen die gegnerischen Stimmen, indem er meinte
»die kleinen Klubs haben dasselbe Recht auf Leben wie die großen«. Wei-
ter meinte er: »Wenn sie ein Brandherd von Kriminalität wären, wären die
großen das nicht weniger. Jedes Spiel weckt natürlicherweise Leiden-
schaften. Und man soll nicht sagen, das sei nur im Fußball so.«181Auch die
Spiele der Eliteklubs in der lokalen Eliteliga APEA seien gewaltvoll, im
Gegensatz allerdings zu den Spielen der
clubes de várzea
würden sie poli-
zeilich überwacht.182
Hervorzuheben für den Kontext dieses Kapitels ist, dass der Autor seine
Argumente durch Hinweise auf gewaltvolle Ausschreitungen des Publi-
kums bei Sportveranstaltungen im Ausland unterlegte, so während eines
Boxwettkampfes in Nordamerika. Auch in New York, Paris und London,
Metropolen von als »zivilisiert« geltenden Ländern, endeten Sportveran-
staltungen regelmäßig in Tumulten. Das Phänomen war seiner Meinung
nach also eher nicht kulturspezifisch brasilianisch.
Die
clubes de várzea
seien außerdem für die Arbeiter »das einzige Ver-
gnügen, dass sie an Sonntagen besitzen.« Das Verbot dieser Klubs wäre ein
erster Schritt in Richtung des Niedergangs des Fußballs, »denn es sind
diese clubes de várzea, aus denen die großen Spieler kommen.«183Erst sie
180
Der Historiker José Sebastião Witter wies noch 2003 darauf hin, es existiere zum
Phänomen
futebol de várzea
keine Studie, obwohl der »informelle Fußball« ihm zufolge
immer noch existiere und den Fußballalltag Brasiliens ausmache: Vgl. WITTER, José
Sebastião, Futebol: um fenômeno universal do século XX, in:
Revista USP
, São Paulo
Juni/August 2003, Nr. 58, S. 161-168, hier 162.
181
»Os clubs de varzea e os clubs da Apea«,
A Gazeta
, 3.10.1921.
182
Ebd.
183
Ebd.
101Aneignung
101
trügen zum »intensiven Fußballleben São Paulos und in allen großen Städ-
ten« bei.184Der Journalist spielte auf die wichtige Funktion der
clubes devárzea
in der lokalen Fußballgemeinschaft als Ausbildungsstätten für junge
Spieler an und als Möglichkeit für junge Männer aus der Arbeiterklasse
überhaupt erst mit dem Fußball in Kontakt zu treten. Die großen Vereine
rekrutierten einen erheblichen Teil ihrer besten Spieler aus den Vorort-
klubs.185
Kurze Zeit später hieß es in
A Gazeta
, der Polizeihauptkommissar São
Paulos, João Baptista de Souza, habe auf Grund des Mordfalles empfohlen,
Spiele der
clubes de várzea
im Stadtbezirk zu verbieten.
O Estado de SãoPaulo
druckte die Empfehlung des Kommissariats im Wortlaut ab:
In Übereinstimmung mit den dieser Polizeieinheit bekannt gewordenen
Informationen über kontinuierliche Streitigkeiten und Ausschreitungen
auf Grund von Fußballspielen in dieser Hauptstadt, aus denen sogar
Verbrechen rühren, empfehle ich, in Eurem Bezirk Vorkehrungen zu
treffen, damit diese Spiele in den várzeas und auf brachliegenden
Grundstücken, wo sich hauptsächlich sonntags Individuen treffen, die
nicht zu den gut organisierten Gesellschaften gehören, nicht mehr er-
laubt werden. Auf diese Weise soll der Wiederholung oben aufgezeigter
Vorkommnisse vorgebeugt werden.
186
Die Empfehlung illustriert die Kriminalisierung der Fußballspieler als
Angehörige nicht »gut organisierter Gesellschaften«. Hier manifestierte
sich die seit dem 19. Jahrhundert bei brasilianischen Eliten verbreitete
ideologia da vadiagem
. Sie war dem Historiker George Reid Andrews
zufolge zwar vornehmlich eine rassistische Ablehnung der »schwarzen«
und »gemischten« Bevölkerung aus dem Glauben an ihre »angeborene
Faulheit und Verantwortungslosigkeit«, vor allem auf dem Arbeitsmarkt in
Brasiliens ökonomisch schnell wachsendem Staat São Paulo.187Sie beinhal-
tete für den Zeitraum der Ersten Republik jedoch auch eine Kriminalisie-
rung kultureller Praktiken subalterner Stadtbewohner insgesamt, die nicht
den Elite-Idealen europäischer und »zivilisierter« Lebensweisen und Vor-
stellungen von der Nutzung des entstehenden urbanen Raumes entsprachen.
184
Ebd.
185
»O Sport Popular«,
A Cigarra Sportiva
, Nr. 5, 7.7.1917, S. 1.
186
Vgl. »O FUTEBOL NAS VÁRZEAS [Majuskeln im Original]«,
OESP
,
7.10.1921.
187
A
NDREWS
, George Reid, Black and White Workers: São Paulo, Brazil, 1888-1928,
in:
HAHR
68, 1988, Nr. 3, S. 491-524, hier 495.
102
102
Aneignung
Unter diese nicht »zivilisierten« Praktiken fielen zum Beispiel auch entste-
hende Tanzklubs, Capoeira und Glücksspiele wie das
jogo do bicho
. Ent-
sprechend unterwarfen Eliten und Mittelklasse-Reformer auch diese Prak-
tiken sozialpolitischen Reformmaßnahmen, die dazu dienen sollten, das
Land zu »reinigen«, zu ordnen, eben zu »zivilisieren«.
Auch Gewaltausbrüche im
futebol de várzea
sahen sie in diesem Sinne
vor allem als ein Problem der Störung öffentlicher Ordnung, weniger als
soziales Problem. Der Historiker Sidney Chalhoub erklärt, die politischen
Eliten des Kaiserreichs und der Ersten Republik hätten das Gesellschafts-
system als integral verstanden, in dem an unterster Stelle Kriminelle und
kurz darüber »Müßiggänger« (»ociosos«) standen, also Menschen, die
zugleich mit Armut und mit einer Ablehnung eines geltenden ȟbergeord-
neten Gesetzes der Arbeit« assoziiert wurden. Chalhoub meint, gerade die
Konstruktion des »Müßiggangs« und des Verbrechens als integraler und
eben nicht als marginaler Teil des Gesellschaftssystems, hätten einen Nut-
zen für die Eliten, auf diese Weise erst könnten sie Kontroll- und
Unterwerfungsmechanismen rechtfertigen.188Auch der hier dargestellte
Diskurs ist vor dem Hintergrund dieses Verständnisses zu sehen: Die kon-
stante Assoziation des
futebol de várzea
mit Gewalt diente nicht dazu, die
Ausübenden zu marginalisieren, sondern sie im bestehenden System
kontrollieren und eine bestehende Ordnung rechtfertigen zu können.
Entsprechend konnten Journalisten die Spiele der
clubes de várzea
auch
im Sinne einer solchen Zivilisierungs- und Erziehungsfunktion verteidigen,
und zwar unter Bezugnahme auf die »zivilisierte Welt« – Europa – und der
Vorstellung von der dortigen Funktion des Sports:
Die várzea-Spiele und die Spiele auf den brachliegenden Plätzen sind
verboten. Es ist, als ob sie in Paris die Picknicks an den Ufern der Seine,
die Bootsausflüge, die gesunden Übungen verbieten würden, die den
Arbeiter von den dunklen Tavernen der großen Hauptstadt fernhalten. In
einer Epoche, in der die Wohlfahrtsorganisationen versuchen, die Laster
durch Übungen, Spiele, Vergnügungen, Ablenkungen zu ersetzen, ist in
São Paulo der einzige Zeitvertreib des armen Arbeiters verboten, der die
ganze Woche in der giftigen Umgebung der Fabriken erstickt, der leidet,
ohne eine Linderung für seine Arbeit während der sechs beschwerlichen
Tage zu finden. […] Die Vergnügen an freier Luft sind notwendig für
188
C
HALHOUB
, Sidney,
Trabalho, lar e botequim: o cotidiano dos trabalhadores noRio de Janeiro da belle époque
, 2. Aufl., São Paulo 2001, S. 78-80.
103Aneignung
103
die Arbeiter der Industrie. Es ist eine Ungerechtigkeit, ihnen den einzi-
gen Zeitvertreib wegzunehmen.189
Auch nachdem das Verbot zurückgenommen wurde, wiederholte derselbe
Verfasser seine Argumentation unter Bezug auf Europa: Die Spiele zu
verbieten sei gegen die »übernommenen Gewohnheiten in den ausländi-
schen Hauptstädten, wo der Arbeiter von den Spelunken der Laster fernge-
halten wird, um sich den hygienischen Übungen auf den Plätzen zuzu-
wenden.« In Folge eines Verbotes »würden sich die Verbrechen
multiplizieren.«190
Noch stärker anzutreiben schien den Autor eine Anhäufung von Moti-
ven, die zu einer generelleren Unzufriedenheit im »Proletariat« führen und
sich letztlich in einer größeren Bewegung gegen die Regierung richten
könnten. Der Autor sah die Funktion der
clubes de várzea
entsprechend als
Sublimierung affektiver Regungen und sogar als eine Form, Streikbewe-
gungen oder gar massivere Formen sozialer Umwälzungen zu vermeiden:
[…D]ie Tat der geschätzten Autorität wäre nicht nur unpopulär für den
Polizeihauptkommissar, sondern sogar für die Regierung, die ihn ausge-
wählt hat. Unser Proletariat, das jetzt in einer friedlichen Epoche lebt,
würde die Ungerechtigkeit jetzt vielleicht ins Innerste des Herzens ver-
drängen. Doch eines Tages würde die Unzufriedenheit sich ausbreiten
und die gesamte Klasse beherrschen. Dazu wären ein oder zwei deutli-
chere Verfügungen ausreichend, die den Klassenunterschied betonen,
die die Verachtung der Kleinen durch die Großen aufdecken […].191
Sportjournalisten brachten Sport in Verbindung mit der Entstehung von in
ihren Augen »zivilisierten« Gesellschaften, wie der europäischen, und
befanden ihn für ein Instrument der »Affektkontrolle«, mit dem sich auch
gesellschaftliche Widerstände zurückdrängen ließen.192Das hier zugrunde
gelegte Verständnis des Sporttreibens war paternalistisch, so wie Norbert
Elias die Spiele im 19. Jahrhundert in Großbritannien als »ideologisch
legitimiert« bezeichnet, da sie »teils als Ausbildungsstätten für den Krieg,
teils unter dem Aspekt ihrer Verwendung bei der Erziehung militärischer
und politischer Führer für Großbritanniens wachsendes Weltreich und teils
189
»Os clubs de varzea. E' prohibido divertir-se«,
A Gazeta
, 8.10.1921.
190
»O FUTEBOL NAS VÁRZEAS. Não é prohibido divertir-se [Majuskeln im
Original]«,
A Gazeta
, 12.10.1921.
191
Ebd.
192
Der Begriff der »Affektkontrolle« geht auf Norbert Elias und Eric Dunning zu-
rück: Vgl. ELIASu.a.,
Sport und Spannung
, insbes. S. 121-229.
104
104
Aneignung
als Mittel, um ›Männlichkeit‹ einzuimpfen und zum Ausdruck zu bringen«,
gesehen wurden.193Der kulturelle Nutzen der Vereine und des Spiels lag
darin, die Arbeiterschaft zu disziplinieren. Die Vereine und Verbände boten
außerdem die Möglichkeit eines staatlichen Zugriffs, dem sich andere kul-
turelle Praktiken entzogen, die nicht so gut wie der Fußball organisiert
waren.
Der zum Ausdruck gebrachten Angst, der
futebol de várzea
könne sich
dem Zugriff entziehen, entsprach auch die häufige Gleichsetzung des Fuß-
balls mit dem urbanen Phänomen der Capoeira.194Das Spiel und die
Kampf- und Selbstverteidigungstechnik vor allem afrikanischer und brasi-
lianischer Sklaven und Freigelassener und später auch portugiesischer
Immigranten verfolgte die Polizei seit Beginn des 19. Jahrhunderts arg-
wöhnisch in Rio de Janeiro. Die sogenannten
capoeiras
wurden vor allem
ab 1889 mit jungen, männlichen Angehörigen der Unterschicht assoziiert.195
Capoeiras
etablierten einen »sozialen Raum«, der sich teilweise der Kon-
trolle der Polizei und anderer Autoritätspersonen, wie Arbeitgebern und im
Kaiserreich auch noch den Sklavenhaltern, entzog.196
Mit der Gleichsetzung machten die Jounalisten deutlich, dass sie in der
Popularisierung des Fußballs, der sich in ihren Augen einer als kriminell
und unorganisiert wahrgenommenen kulturellen Praxis anglich, eher eine
negative Form von »Nationalisierung« sahen.
In den 1920er-Jahren setzten Politiker den Sport deshalb auch auf ihre
politische Agenda. Das zeigt beispielsweise das Programm des Paulistaner
Politikers Washington Luís von der regional zu der Zeit in São Paulo regie-
renden Partei
PRP
(
Partido Republicano Paulista
). 1919 kandidierte der
ehemalige Bürgermeister São Paulos für das Amt des Staatsgouverneurs
São Paulos und wurde 1920 gewählt. Sein Regierungsprogramm stellte vor
allem die Stärkung und den Schutz der Paulistaner Kaffeewirtschaft und
193
Ebd., S. 481.
194
Vgl. zum Beispiel ein Bericht über ein Spiel zwischen den nicht-elitären Klubs
Mangueira und Vasco da Gama in Rio de Janeiro: Ohne Titel,
Correio da Manhã
,
29.7.1924. Vgl. auch: »BILHETES PRETOS. ›AS TORCEDORAS DEVEM OU NÃO
PAGAR A ENTRADA?‹«,
A Gazeta
, 7.12.1921.
195
Vgl. R
ÖHRIG
-A
SSUNÇÃO
, Matthias,
Capoeira: the History of an Afro-BrazilianMartial Art
, London u. a. 2005, S. 70-95; auch: HOLLOWAY, Thomas H., »A Healthy
Terror«: Police Repression of Capoeiras in Nineteenth-Century Rio de Janeiro, in:
HAHR
69, 1989, Nr. 4, S. 637-676, hier 643.
196
Vgl. H
OLLOWAY
, »A Healthy Terror«, S. 646; B
UTLER
,
Freedoms Given
,
S. 186-189.
105Aneignung
105
der Industrie in den Mittelpunkt.197Aber auch der Sport spielte darin eine
Rolle. Das geht aus Zeitungsberichten hervor, in denen Luís betonte, Lei-
beserziehung sei mindestens genauso wichtig wie der Bau von Schulen. Er
hob darin die Bedeutung des Sports für die Vorbereitung der Menschen auf
das Leben in der modernen Gesellschaft hervor:
Es ist notwendig, die Intelligenz des Mannes zu entwickeln und zu um-
säumen, um ihn auf die aktuellen Kämpfe vorzubereiten, die in höheren
Sphären als früher ausgefochten werden; aber es ist notwendig, ihn phy-
sisch für alle Kämpfe des Lebens vorzubereiten, selbst für die intellektu-
ellen.198
Deshalb, so Luís, sei es die Pflicht jedes Brasilianers, Schulen zu bauen
und Sportvereine zu unterstützen, »damit sie sich in allen Städten, in allen
Dörfern und auf allen Fazendas multiplizieren.« Ganz im Zeitgeist der
1920er-Jahre dachte Luís den Sport als ein umfassenderes kulturelles Pro-
jekt für eine Gesellschaft im Übergang in die Moderne und appellierte:
»Stärken wir und vor allem brasilianisieren wir den Brasilianer.«199
Es gab auch von anderer Seite lokalpolitische Versuche, den Sportverei-
nen finanziell und politisch mehr Anerkennung zu verschaffen, die aber
alle in dieselbe Richtung wiesen. Ende 1919 reichte der republikanische
Abgeordnete und
sportsman
Armando Prado200einen Gesetzesvorschlag im
Rathaus der Stadt São Paulo ein, mit dem in der Stadt ansässige Sportver-
eine von städtischen Steuern und Abgaben befreit werden sollten. Bedin-
gung war eine »Nationalisierung«, eine
abrasileiramento
(Brasilianisie-
197
Vgl. »Washington Luís Pereira de Sousa«, in:
Dicionário Histórico-BiográficoBrasileiro
, URL: http://www.fgv.br/CPDOC/BUSCA/Busca/BuscaConsultar.aspx (ab-
gerufen am: 14.2.2012).
198
»O Dr. Washington Luis e os Desportos«,
A Gazeta
, 27.1.1920. Vgl. auch: »Do
Sport«,
A Gazeta
, 30.1.1920.
199
»O Dr. Washington Luis e os Desportos«,
A Gazeta
, 27.1.1920 .
200
Armando Prado war Gründungsmitglied und Präsident der LPF und Mitglied in
mehreren Paulistaner Sportklubs. Außerdem verteidigte er als Anwalt Sportvereine in
Rechtsfragen: Nachlass Armando Prado: Caixa 1, Subsérie »Esportes« und Caixa 3,
Grupo: Particular XIX, Armando Prado, Grupo: Atividade Profissional, Sub-Grupo:
Serviço Publico, Série: Correspondencia, Envelope 11, 1928 Janeiro-março, in: Arquivo
Municipal Washington Luís/São Paulo. Armando Prado war einer der wenigen
»schwarzen« Angehörigen der Paulistaner Elite. Sein Vater war ein Mitglied der Fami-
lie Prado, ein Cousin Antônio Prados, der laut Darrell Levi mit zwei afro-brasiliani-
schen Frauen zusammenlebte: LEVI, Darrell E.,
The Prados of São Paulo: An EliteBrazilian Family in a Changing Society, 1840-1930
, Ph.D. Yale University, Ann Arbor
1974, S. 128 ff. Vgl. auch ANDREWS, George Reid,
Negros e brancos em São Paulo,(1888-1988)
, Bauru 1998, S. 226.
106
106
Aneignung
rung) der Sportvereine. Davon sollten ausschließlich die Vereine profitie-
ren, deren Geschäftssprache Portugiesisch sei und »die aus Gründen der
Nationalität kein Hindernis für den Eintritt von Brasilianern in ihre
Mannschaften als Mitglieder und im Zugang zu irgendeinem sozialen Amt
schaffen.« Außerdem müssten sie jährlich ein Fest zugunsten einer lokalen
karitativen Einrichtung veranstalten.201
Auch eine sprachliche »Nationalisierung« des Fußballs dominierte eine
zeitlang die Sportpresse, vor allem in Rio de Janeiro: Philologen, Fußball-
spieler und Journalisten diskutierten über eine Umbenennung des »foot-
ball« in »pébola« oder »ballipodo«, um »verunstaltende Vokabeln auszu-
merzen« und seiner Aneignung als brasilianischem Nationalsport gerecht
zu werden.202In diesen Debatten um die Erhaltung der »Sprachreinheit«
stellten sie das verwendete englische Vokabular als »barbarisch« in Kon-
trast zu den vorgeschlagenen brasilianischen Neologismen.203Sie sahen den
Fußball inzwischen als »brasilianische Gewohnheit« und als »brasiliani-
schen Sport«204und so befanden einige Teilnehmer der Debatte gerade
»Hybridismen« für besonders verunstaltend.205Diese Einschätzung übertru-
gen elitäre Fußballanhänger auch auf den Sprachgebrauch durch Angehö-
rige unterer sozialer Schichten, die unfähig seien, die Begriffe richtig aus-
zusprechen oder ihre Bedeutung nachzuvollziehen. Mit einer Übersetzung
der englischen Termini wollte zum Beispiel der Verband der Sportjourna-
listen in São Paulo ACE der Popularisierung des Fußballs gerecht wer-
den.206Dafür hielt er sogar Faltblätter zur »Nationalen Sportterminologie«
bereit, die Vereinsmitglieder im Hauptsitz der ACE abholen und als
Grundlage für ihre Veröffentlichungen nutzen konnten.207Redakteure von
Sportzeitschriften nahmen die Initiative begeistert auf und setzten sie so-
gleich um.208
201
»Football. Os Sports na Camara Municipal«,
A Gazeta
, 2.2.1920; »A isenção de
impostos dos clubs sportivos brasileiros«,
A Gazeta
, 9.2.1920.
202
»Foot-ball ou ballipodo?«,
Vida Sportiva
, Nr. 38, 11.5.1918, S. 1.
203
»Conversas pébolisticas«,
Vida Sportiva
, , Nr. 74, 25.1. 1919, S. 13.
204
»Neologismos versus Barbarismos«,
Vida Sportiva
, Nr. 76, 8.2.1919.
205
L
IMEIRA
, João Silva, »O vocabulario do football (Collaboração)«,
Vida Sportiva
,
Anno II, Nr. 57, 21.9.1918, S. 27.
206
»Terminologia sportiva«,
Vida Sportiva
, 7.8.1920.
207
»Terminologia Esportiva. Com os Srs. Secretarios de Clubes«,
A Gazeta
,
22.3.1922, S. 2.
208
So die Redaktion der Zeitschrift »Sport Illustrado« in Rio de Janeiro, die den Titel
kurz danach in »Esporte illustrado« umbenannte: »O ›Sport Illustrado‹e a terminologia
esportiva paulista«,
Sport Illustrado
, Nr. 35, 2.4.1921.
107Aneignung
107
Die anvisierten politischen Fördermaßnahmen sind im Kontext der ver-
änderten Einschätzung von Sport in den 1920er-Jahren zu sehen: Erstens
als Möglichkeit, auch durch Sport erfolgreich und wirkungsvoll eine ange-
nommene »Degeneration« der brasilianischen »Rasse« zu bekämpfen. Hier
diente Europa als Vorbild, wo nach dem Ersten Weltkrieg der Körper, also
der energetische, gesunde und disziplinierte Körper, »zum Signum urbanen
Lebens schlechthin« geworden sei, wie Michael Cowan und Kai Marcel
Sicks es ausdrücken.209Das gilt vor allem für São Paulo und für eine sich
dort herausbildende Mittelschicht, die sich in den Umbrüchen und Trans-
formationen des urbanen Lebens zurechtfinden will, die Abgrenzungen
vornimmt zwischen in ihren Augen überkommenen, traditionellen und mit
der alten politischen Ordnung verbundenen Lebensformen gegenüber mo-
dernen, fortschrittlichen, urbanen und an Europa orientierten Entwürfen.210
Zweitens bedeutete die Kampagne zur »Nationalisierung« des Sports die
Ablehnung alternativer und subalterner Formen seiner Aneignung. Gewalt-
ausschreitungen im Zuge der Popularisierung sahen die sportbegeisterten
Reformeliten und Politiker als Problem der öffentlichen Ordnung und be-
gegneten ihnen entsprechend auch mit Repression und polizeilicher Über-
wachung. Washington Luís zum Beispiel war bekannt dafür, die Situation
der Arbeiterschaft nicht als soziale Frage, sondern als Problem öffentlicher
Ordnung anzugehen, entsprechend ordnete er eine äußerst repressive Vor-
gehensweise gegen die Streikenden von 1917 an.211
Diese Vereinnahmung des Sports durch den Staat für eine Nationalisie-
rungskampagne lag, wie weiter oben dargestellt wurde, auch an einer ver-
änderten Einschätzung, wie sich »Degeneration« und »Dekadenz« bekämp-
fen ließen. Es ist bemerkenswert: Nun wurden nicht mehr nur ehemalige
Sklaven und indigene Bevölkerungsteile als Ursache für die »Degenera-
tion« ausgemacht, sondern auch europäische Immigranten. Die Streikerfah-
rungen, die Umbrüche der 1920er-Jahre und die Erfahrung des Ersten
Weltkriegs, in dem Europa plötzlich als Hort der »Barbarei« statt der »Zi-
vilisation« erschien, trugen dazu bei, »Degeneration« mehr als soziales
denn als »rassisches« Problem wahrzunehmen.
209
C
OWAN
, Michael/S
ICKS
, Kai Marcel, Technik, Krieg und Medien. Zur Imagina-
tion von Idealkörpern in den zwanziger Jahren, in: DIES. (Hg.),
Leibhaftige Moderne.Körper in Kunst und Massenmedien 1918 bis 1933
, Bielefeld 2005, S. 13-29, hier 20.
Vgl. zu Körperdiskursen in Europa vor dem Ersten Weltkrieg: SARASIN, Philipp,
Reiz-bare Maschinen: eine Geschichte des Körpers 1765-1914
, Frankfurt am Main 2001.
210
Vgl. zu São Paulo in den 1920er-Jahren S
EVCENKO
,
Orfeu extático
. Siehe auch:
WEINSTEIN, Weiß, männlich, Mittelschicht.
211
Vgl. »Washington Luís Pereira de Sousa«, in: DHBB.
108
108
Aneignung
Sozialreformerische Maßnahmen wurden ergriffen, um die angenom-
mene »Degeneration« der als
einer
erdachten »brasilianischen Rasse«
aufzuhalten.212Die Sportpresse äußerte sich deshalb dankbar, als die Polizei
ein Verbot des
futebol de várzea
»für das gute Gewissen des zivilisierten
Staates und für den geschwächten physischen Körper Jecas« abgewendet
hatte.213
Die Presse verstärkte die Popularisierung, indem sie die Spiele mit Sinn
füllte und so zur ihrer Inszenierung als Spektakel beitrug.214Dadurch
weckte sie Interesse weit über den engen Kreis elitärer Anhänger hinaus.
Konstant stiegen die Zuschauerzahlen, 1917 zum Beispiel zählte ein aus-
verkauftes Spiel von Brasilien gegen Uruguay in São Paulo 8.000-10.000
Zuschauer, das ausverkaufte Endspiel Brasilien gegen Uruguay beim
Cam-peonato Sul Americano
in Rio de Janeiro 1919 verfolgten schon 25.000
Zuschauer, bei einer Einwohnerzahl von angeblich 1.157.873 (1920).215Die
212
Vgl. B
ORGES
, »Puffy, Ugly, Slothful and Inert«.
213
»Os Attilas do Esporte. Na terra onde o principe da Gran Ventura encontrou… o
Paraizo perdido! – o futebóla endemoniado…«,
A Gazeta
, 3.1.1922.. Mit Jeca bezog
sich der Autor auf eine der bekanntesten literarischen Figuren der 1920er-Jahre, Jeca
Tatu, den der Schriftsteller Monteiro Lobato schuf, als Prototyp des brasilianischen
Hinterlandbewohners, der aus schierem Unwissen krank, schwach und faul ist, also
durch Sozialreformen und den Segen der Wissenschaft heilbar: ANTUNES, »Com
brasileiro, não há quem possa!«, S. 33; BORGES, »Puffy, Ugly, Slothful and Inert«,
S. 250.
214
Vgl. E
ISENBERG
,
Medienfußball
, S. 589 ff. Zum »Spektakel« in modernen, indus-
trialisierten Gesellschaften siehe ganz allgemein Guy Debords klassische Studie, in der
er Spektakel als »Ergebnis und Zielsetzung der bestehenden Produktionsweise« der
industrialisierten Gesellschaft bezeichnet und als »allgegenwärtige Behauptung der
bereits getroffenen
Wahl in der Produktion und der von ihr untrennbaren Konsumtion
[Hervorh. im Original]«: DEBORD, Guy,
Die Gesellschaft des Spektakels
, 1. Aufl.,
Berlin 1996, S. 14 f. Debords marxistisches Verständnis ist heute sicher kritisch zu
sehen. Zu einem kritischen Umgang mit Debord und einer Einordnung von Sportveran-
staltungen als Spektakel siehe: GEBAUER, Gunter,
Sport in der Gesellschaft des Spekta-kels
, Sankt Augustin 2002. Gebauer versteht den Sport als »eine soziale Repräsentation
[…], in der sich die ganze Gesellschaft wiedererkennen lässt.« Er sei ein Medium, das
»[…] Beziehungen zwischen den Beteiligten [erzeugt], indem e[s] sie miteinander
verbindet (als Partner), aber auch trennt (als Gegner) oder ihnen eine Teilhabe ermög-
licht (als Zuschauer).« Gebauer ist der Auffassung, es gäbe keine so direkte Repräsen-
tationsform von Gesellschaften wie den Sport, deshalb sei beispielsweise das Theater in
seiner Funktion in modernen Gesellschaften nicht mit dem Sport zu vergleichen: Vgl.
ebd., 156-171. Wörtliche Zitate: S. 160 und 161. Zum Fußball entsprechend: S. 172-
187. Siehe auch die anthropologische Deutung des Fußballspiels als »Ritual« und der
Mannschaften als »Stämme«: MORRIS, Desmond,
Das Spiel: Faszination und Ritual desFußballs
, München 1981.
215
»Football. Os uruguayos em São Paulo. Commentarios sobre o match de ante-
hontem«,
Gazeta de Noticias,
16.01.1917. PEREIRA,
Footballmania
, S. 137.
109Aneignung
109
Vereine trugen diesem Prozess durch den Bau immer größerer Stadien
Rechnung, wie zum Beispiel 1919 der Klub Fluminense mit dem
Estádiodas Laranjeiras
, das 25.000 Zuschauern Platz bot oder 1927 der portugie-
sische Immigrantenklub Vasco da Gama mit dem Bau des
Estádio SãoJanuário
mit einem Fassungsvermögen von 40.000 Menschen.216
Die Zuschauer erwarteten wiederum erregende Spiele mit gut ausgebil-
deten Spielern. Auch durch die Internationalisierung nach dem Ersten
Weltkrieg fanden immer häufiger Spiele in kürzerer Folge statt.217All diese
Faktoren forderten von den Klubmanagern, dauerhaft auf gut trainierte
Mannschaften zurückgreifen zu können. Die Fußballspieler traten in eine
größere Konkurrenz zueinander. Sie probierten neue Trainingsmethoden
aus, stellten ausländische (europäische) Trainer ein und elaborierten konti-
nuierlich ihre Trainingssysteme.218Hierin war langfristig angelegt, dass das
Amateurprinzip nicht mehr aufrechterhalten werden konnte und eine Profi-
Liga eingeführt werden musste.
1.6. AUF DEMWEG ZUMPROFI-FUßBALL
In den 1920er-Jahren geriet das brüchige Amateursystem, auf dem der
Fußball in Rio de Janeiro und São Paulo basierte, zunehmend in Kritik. In
beiden Städten formierten sich Bewegungen für die Einführung eines Profi-
Systems. Ihre Anhänger bezogen sich auf Mitteleuropa, da dort in einigen
Ländern der Profi-Fußball schon eingeführt war. In Großbritannien gab es
schon seit den 1880er-Jahren Profi-Ligen. Auch in Argentinien und Uru-
guay diskutierten Sportpresse und Vereine über die offizielle Zulassung
von Profi-Spielern.219Zudem waren der Amateurstatus und seine Auslegung
eines der wichtigsten Themen bei den Zusammenkünften von FIFA und
IOC in den 1920er-Jahren.220Die brasilianische Sportpresse reflektierte
216
Vgl. G
AFFNEY
, Christopher Thomas,
Temples of the Earthbound Gods: Stadiumsin the Cultural Landscapes of Rio de Janeiro and Buenos Aires
, Austin 2008, S. 50-68;
PEREIRA,
Footballmania
, S. 136. Vasco da Gama ist ein von portugiesischen Händlern
1898 in Rio de Janeiro gegründeter Ruderverein, der 1915 auch die Sportart Fußball
aufnahm. Erst mit dem Stadionbau im Jahr 1927 konnte er das Stigma eines »fremden
Klubs« bei den lokalen Elitevereinen überwinden, das aus einem starken Antilusitanis-
mus resultierte: Vgl. HOLLANDA,
O descobrimento do futebol
, S. 200.
217
Zur Internationalisierung: Vgl. E
ISENBERG
, The Rise of Internationalism.
218
So die Eliteklubs Fluminense (Charles William 1911) und C. A. Paulistano (John
Hamilton 1906/1907): Vgl. BOCKETTI,
The Creolization
, S. 191-195.
219
Vgl. E
ISENBERG
u.a. (Hg.),
FIFA 1904-2004
, S. 25 f.; C
ALDAS
,
Pontapéinicial
, S. 60.
220
Vgl. E
ISENBERG
u. a. (Hg.),
FIFA 1904-2004
, S. 68.
110
110
Aneignung
diese Entwicklungen und Debatten. Sie hatte dabei weit mehr Einfluss auf
die Transformationen des Amateursystems, als zum Beispiel der Historiker
Waldenyr Caldas ihr zuschreibt, wenn er meint, die Sportpresse sei vor den
1930er-Jahren noch »unbedeutend im Fußball« gewesen.221
In Brasilien waren es zunächst einzelne Fußballklubs, die für ein Pro-
fitum eintraten, so in Rio de Janeiro die Vereine América und Vasco da
Gama, die inoffiziell schon ein Profi-System ausgebildet hatten.222Aber
auch die betroffenen verdeckten Profispieler hatten ein Interesse an der
Offizialisierung ihres Status. Von den Verbänden durch rigide und oftmals
willkürliche Regeln und Maßnahmen kriminalisiert und von den Vereinen
oft abhängig und ausgebeutet, sahen sie in der offiziellen Einführung eines
Profi-Systems die Lösung ihrer Probleme.
Der Lokalverband in Rio de Janeiro zum Beispiel ging gerade in den
1920er-Jahren mit umfassenden Untersuchungen und Befragungen gegen
das Halb-Profitum vor. So hatten Spieler ab 1924 alle 90 Tage einen Be-
schäftigungsnachweis zu erbringen, der beweisen sollte, dass sie nicht
hauptsächlich vom Fußball lebten. Außerdem mussten sie Auskünfte geben
über Schreib- und Lesefähigkeit, zum Familienstand, zur Nationalität und
zum Studien- und Arbeitsort.223Die Aufnahme in die erste Liga des Verban-
des war an die Größe des Klubs und seine Infrastruktur gebunden, das
waren weitere Exklusionsmechanismen. Hinzu kam eine Stimmgewich-
tung, die den Eliteklubs mehr Macht zuwies. Auf dieser Grundlage konnten
die Eliteklubs kurz vor wichtigen Begegnungen Spieler sperren und so die
Siegchancen kleinerer Klubs aus den Vororten mindern. Dahinter stand der
Gedanke, auf diesem Wege den Fußball zu »moralisieren« und das Ama-
teurethos wieder als Leitgedanken zu etablieren.224
Es ging jedoch auch um Macht und Gewinn im inzwischen rentablen
Fußball. Die Lokalverbände nahmen in Rio de Janeiro seit 1908 und in São
Paulo seit 1913 Eintritt, mit der Zunahme an Zuschauern in den späten
1910er- und den 1920er-Jahren war Fußball inzwischen äußerst lukrativ.225
Dass hinter der Diskriminierung der kleineren Klubs und ihrer Spieler auch
wirtschaftliche Interessen standen, davon zeugt zum Beispiel die Regelung
221
C
ALDAS
,
O pontapé inicial
, S. 62.
222
Ebd., S. 67-78.
223
Ebd., S. 61 und S. 84.
224
Ebd., S. 82-86.
225
Ebd., S. 38; Vgl. D
ERS
., Aspectos Sociopolíticos do Futebol Brasileiro. Um breve
histórico, in: DERS.,
Temas da cultura de massa: música, futebol, consumo
, São Paulo
2001, S. 99-111, hier 103.
111Aneignung
111
des Lokalverbandes von Rio de Janeiro, die Spiele der größeren Klubs an
Sonntagen abzuhalten – dem Wochentag mit den höchsten Zuschauerzah-
len – und die der kleinen Klubs an Samstagen, an denen viele Spieler und
Fußballanhänger arbeiteten.226
Die Sportpresse ging mit dem Thema unterschiedlich um. Caldas, der die
Geschichte der Einführung professioneller Fußballligen in São Paulo und
Rio de Janeiro darstellt, meint, Sportjournalisten hätten fast immer die
Position der verdeckten Profi-Spieler unterstützt.227Einige Presseorgane
kritisierten die willkürliche Vorgehensweise der Eliteklubs im Lokal-
verband und sprachen die Exklusionsmechanismen offen an. Dahinter stand
jedoch oft weniger Solidarität mit den Spielern als vielmehr eine Ab-
lehnung der Doppelmoral der Eliteklubs, die nach außen den Amateur-
gedanken bewahrend auftraten, im Grunde jedoch Fußball als Geschäft be-
trachteten. Die Haltung der Presse ist zum Teil mit ihrer Verknüpfung mit
den Elitevereinen zu erklären, so war zum Beispiel seit 1921 Macedo
Soares, der Präsident des nationalen Sportverbandes CBD, den die lokalen
Eliteklubs in Rio de Janeiro lenkten, zugleich auch Chefredakteur der im
Sport einflussreichen Zeitung
O Imparcial
.228
Im Zuge der immer weiter fortschreitenden Internationalisierung des
Fußballs ließ sich die Aufrechterhaltung eines Amateursystems immer
weniger legitimieren. Von verschiedenen Seiten im transnationalen Sport
wurde das Amateursystem herausgefordert. So stellten die Diskussionen
über den Amateurstatus Ende der 1920er-Jahre zwischen der FIFA und
dem IOC eine institutionelle Herausforderung dar. Wie Barbara Keys
darstellt, war die FIFA in der Amateurfrage selbst unschlüssig, während
das IOC relativ streng an dem Amateurstatus festhielt. Die FIFA überließ
es den Nationalverbänden ihn zu definieren, im Gegensatz zum IOC. Die
FIFA war auf Grund dieser Meinungsverschiedenheit mit dem IOC dafür,
ein von den Olympischen Spielen unabhängiges internationales
Sportturnier zu organisieren und die Einnahmen durch die Zuschauer zu
finanzieren. Es zeichnete sich ab, dass der Fußball auch im Rahmen der
internationalen Sportturniere zur kommerziell wichtigsten Sportart wurde.
Aus diesem Grund konnte und wollte das IOC, obwohl es ideologisch
gegen den kommerziellen Status war, 1928 den Fußball von den
Olympischen Spielen nicht ausschließen.229
226
Vgl. S
ILVA
, Sobre o negro no futebol brasileiro, S. 306 f.
227
C
ALDAS
,
O pontapé inicial
, S. 62; Vgl. D
ERS
., Brasilien, S. 176 ff.
228
Vgl. P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 175.
229
K
EYS
,
Globalizing Sport
, S. 51-54.
112
112
Aneignung
Diese Impulse aus der transnationalen Sportgemeinschaft zeigen, dass
sich Transformationen im brasilianischen Fußball nicht alleine aus dem
nationalen Gefüge heraus verstehen lassen. Hier entstanden »Vereinheitli-
chungseffekte«230in einem transnationalen Kontext, zum einen institutionell
über die nationalen Sportverbände, zum anderen diskursiv über die Sport-
presse.
Diese »Vereinheitlichungseffekte« durch die Medien brachten mittel-
fristig auch die Einführung des Profi-Fußballs in Brasilien voran. Sport-
journalisten einer jüngeren und professioneller arbeitenden Generation
verfügten über Kontakte zu Sportlern, Journalisten, Fußballspielern und
Vereinen in anderen Ländern und bezogen sich auf sie. Zuletzt, Anfang der
1930er-Jahre, gaben migrierende Fußballspieler den letzten Anstoß, den
Profi-Fußball einzuführen, weil sie Brasilien auf der Suche nach besseren
Arbeitsbedingungen verließen.231Die brasilianischen Sportfunktionäre aus
den Klubs und den Verbänden mussten sich über kurz oder lang diesen
Veränderungen fügen.
Das geschah bereits auf einer 1925 in Prag abgehaltenen FIFA-Konfe-
renz, auf der die Sportfunktionäre aus den Mitgliedsnationen über den
Amateurstatus diskutierten. Die FIFA gab später einen Fragebogen an die
Nationalverbände heraus, in dem sie unter anderem wissen wollte, ob es
»notwendig sei, den verdeckten Professionalismus zu bekämpfen« und
welche Maßnahmen sie vorschlügen, um einen ökonomisch motivierten
Transfer von Spielern zwischen Ländern zu vermeiden.232Die CBD machte
in ihrer Antwort deutlich, dass sie den »verdeckten Professionalismus««
nicht dulde und ihn vor allem als »Entkräftung […] der guten sportlichen
Normen« betrachte. Sie schlug Maßnahmen im nationalen Rahmen vor und
lehnte die Organisation einer »internationalen Kontrollkommission« wegen
der schwierigen Entscheidungsfindung ab. Außerdem empfahl sie ein rigi-
des Transfergesetz: Spieler, die zwischen zwei Ländern wechselten, sollten
über drei Jahre für die Teilnahme an offiziellen Spielen gesperrt werden.
Impulse für eine Lockerung des Amateurstatus kamen also nicht aus dem
institutionellen Kontext des transnationalen Fußballs. Es war eher das En-
gagement von Journalisten und von vom ausbeuterischen Halb-Profisystem
betroffenen Fußballspielern, das mittelfristig Impulse für ein Aufbrechen
230
E
ISENBERG
, Der Weltfußballverband FIFA, S. 210.
231
Vgl. C
ALDAS
, O pontapé inicial, S. 61 ff.; Vgl. L
ANFRANCHI
u.a.,
Moving with theBall
; DIETSCHY, Football Players' Migration, S. 33 f.
232
»Amadorismo e profissionalismo. A confederação Brasileira em Praga«,
A Gazeta
, 11.5.1926.
113Aneignung
113
des rigiden Amateursystems brachte. Auch sie agierten in einem transnati-
onalen Kontext.
Im Jahr 1933 veröffentlichte der Fußballspieler Floriano Peixoto Corrêa
eine Autobiografie mit dem Titel
Pracht und Elend unseres Fußballs
.233
Darin beschrieb er den schwierigen Übergang vom Amateursystem zum
Profitum. Interessant ist das Buch vor allem deshalb, weil es das erste auto-
biografische Zeugnis eines Fußballspielers aus der Frühzeit des brasiliani-
schen Fußballs darstellt. Der Journalist Paulo Varzea verfasste die
Einleitung zur Autobiografie. Darin kritisierte er heftig das elitäre Ama-
teursystem, seine Doppelmoral und die Ausbeutung der Spieler durch den
verdeckten Professionalismus: »Der Fußball wurde durch einen Professio-
nalismus heimgesucht, aber durch einen Banditen-Professionalismus, usur-
patorisch, schwindlerisch, betrügerisch, der nur den Leitern Geld gab und
die Spieler mit Trinkgeldern ausbeutete.«234
Schon 1927 hatte Corrêa sich in einem Interview in der Zeitung
RioSportivo
zum Profitum bekannt. Seine Aussagen bauschte die lokale Sport-
presse zum Skandal auf, obwohl schon seit dem Ende der 1910er-Jahre
regelmäßige Berichte über die Praxis des verdeckten Profitums existier-
ten.235Aber ein offenes Bekenntnis eines Fußballspielers hierzu war unüb-
lich.
Corrêas Autobiografie zeigt, wie die Karriere eines nicht-elitären Spie-
lers aussehen konnte. Er kam mit dem Fußballsport in der Stadt Itapecerica
in Minas Gerais in Kontakt. Mit 16 ging er nach Porto Alegre auf die
Militärschule, wo er bald beim dortigen Klub Internacional spielte. 1924
wechselte er auf die Militärschule an der Praia Vermelha in Rio de Janeiro,
dort engagierte ihn ein Sportfunktionär für den Eliteklub Fluminense. Der
Verein integrierte Corrêa in sein Halb-Profi-System, stellte ihm eine
Unterkunft bereit und befreite ihn später vom Militärdienst. Die
Klubvorsitzenden versprachen dem Spieler eine Anstellung, vertrösteten
ihn zugleich aber immer wieder.236
Mitte der 1920er-Jahre waren feste Anstellungen von Spielern bei Klub-
Mitgliedern längst üblich – dies war nur eine Form, um den Überprüfungen
233
C
ORRÊA
,
Grandezas e misérias
.
234
Ebd., S. 26 f.
235
Vgl. Floriano Peixoto Corrêa an Afonso Varzea, 11.5.1933: Nachlass von Afonso
Vasconselos Varzea, cod: IW, cx. 13, pac. 2, AN. Siehe die Berichte zum Profitum:
»Futebol. Dinheiro haja! O interesse monetario no futebol. A questão é de bom actores
ou de bons… futebolistas«,
A Gazeta
, 29.12.1921; »O Professionalismo«,
A Gazeta
,
26.5.1922.
236
C
ORRÊA
,
Grandezas e misérias
, S. 58-72.
114
114
Aneignung
durch den lokalen Sportverband zu begegnen.237Corrêa berichtete, was es
bedeutete, Halb-Profi zu sein: Er wurde häufig für Spiele und Trainings
aufgestellt, die er wegen seiner finanziellen Abhängigkeit selten absagen
konnte, während er gleichzeitig nach außen den Habitus eines Amateur-
sportlers zu bewahren hatte. Letzteres umfasste einen Lebensstil, den er
finanziell kaum bestreiten konnte, wie Kleidung, gesellschaftliche Ver-
pflichtungen oder Besuche von geselligen Anlässen und Festen der Elite.
Er verschuldete sich und geriet nur noch stärker in eine direkte Abhängig-
keit von den Klubvorsitzenden und von seiner eigenen sportlichen Leis-
tung, die ihm letztlich seine Position garantierte.238Die Autobiografie
Corrêas beschreibt keinen Einzelfall, sie steht exemplarisch für das System,
auf dem der Fußball in den 1920er-Jahren beruhte.
Auch von Austauschbeziehungen berichtete Paulo Varzea in der Einlei-
tung zu Corrêas Autobiografie. So habe es in den 1910er-Jahren einen re-
gen Spielertransfer zwischen Rio de Janeiro und São Paulo, den beiden
Sportzentren und anderen größeren Städten in Brasilien gegeben, aber auch
zwischen Brasilien, anderen Staaten Südamerikas und Europa. Mehrere
Spieler der Paulistaner Elitevereine Palmeiras, Paulistano, Mackenzie und
São Paulo Athlétic wurden des Profitums beschuldigt, so die Spieler Alvaro
Rocha, Tutú Miranda und Asburry. Sie hätten pro Spiel 50$000, 100$000
oder 200$000
réis
erhalten.239Die Sportvereine Germânia und São Paulo
Athlétic hätten Spieler aus Deutschland und England geholt und als Profis
beschäftigt.240Vermutlich bezog sich Paulo Varzea auf den Fußballspieler
und Leichtathleten Hermann Friese.241Besonders hob er den Klub S.C.
237
Es war für das Halb-Profisystem üblich, den Fußballspielern offiziell als Alibi
eine Anstellung zu verschaffen, zum Beispiel bei einem Händler oder Fabrikanten, der
auch Klubmitglied war. Inoffiziell waren die Spieler aber von der Arbeit freigestellt und
konnten so den ganzen Tag trainieren: LEITELOPES, Classe, etnicidade e cor,
S. 133-142.
238
C
ORRÊA
,
Grandezas e misérias
, S. 66-71. Corrêa berichtete in diesem, biograf-
ischen, Teil seiner Arbeit, dass man von ihm erwartet habe, dass er sich entsprechend
kleide und bei gesellschaftlichen Ereignissen im Smoking erscheine, den er sich sogar
teilweise habe ausleihen müssen.
239
C
ORRÊA
,
Grandezas e misérias
, S. 22. Nimmt man in der Hauptsaison mehrere
Spiele im Monat an, konnten alleine diese Einnahmen ein besseres Einkommen
darstellen, als ein durchschnittlicher Arbeiter monatlich verdiente: Siehe den
Kaufkraftvergleich in Fußnote 105.
240
C
ORRÊA
,
Grandezas e misérias
, S. 20-24.
241
Herrmann Friese kam 1903 direkt vom Hamburger Sportklub Germania zu dem
deutschen Immigranten-Klub. Er war erfolgreicher Fußballspieler und auch Leichtath-
let: »25 Jahre Sportclub Germania São Paulo. Der Bruderverein des Sportclubs
Germania-Hamburg«, 6.11.1924, in: G IV f, n° 10/2, IMS.
115Aneignung
115
Americano hervor, dieser hätte ein ganzes Team aus Profi-Spielern be-
schäftigt und habe sogar »einen Schlafsaal in seinem Hauptsitz« in Rio de
Janeiro improvisiert.242
Corrêa erwähnt im Zusammenhang eine »campanha profissionalista«
(»Professionalisierungs-Kampagne«), die Sportjournalisten starteten, um
sich für die offizielle Einführung und Legalisierung des Profi-Fußballs
einzusetzen.243Besonders stellt er Paulo Varzea heraus. Der hatte die Auto-
biografie von Corrêa initiiert und ihn bei seiner Anklage gegen die Klub-
und Verbandsvorsitzenden unterstützt. Varzea arbeitete für den Klub
América in Rio de Janeiro. Zusammen mit seinem Bruder, Afonso Varzea,
führte er die »campanha profissionalista« an.244Der Klub América, so
schreibt Varzea selbst in der Einleitung, sei ein »Bollwerk der Legali-
sierung des Professionalismus« gewesen.245Die Brüder Varzea hätten Kon-
takt zu anderen Klubvorsitzenden aufgenommen, so zu dem Vorsitzenden
von Fluminense. In der Sache des Professionalismus empfahlen sie ihm,
sich an Billy Sudel, den Bürgermeister von Preston in England, zu
orientieren. Der hatte Ende des 19. Jahrhunderts in England ein halb-
professionelles System für den Klub Preston North End eingeführt und
sich, als sein Tun publik wurde, für die Anerkennung und Einführung des
Profitums bei der englischen FA eingesetzt.246Ähnlich sollte auch der Klub
América sein Profi-System offenlegen.247Später, zu Beginn der 1930er-
Jahre, hätte die Migration erster Profi-Fußballer aus Brasilien nach Italien
und Spanien eine Debatte in der Presse ausgelöst und ein Handeln nahe-
gelegt.248
Es erscheint wichtig, auf die Brüder Varzea gesondert einzugehen: Die
Brüder Paulo und Afonso Varzea spielten für die Entwicklung der Sport-
presse eine besondere Rolle. Auch sie sind Beispiele dafür, dass die ersten
Fußballenthusiasten nicht ausschließlich Söhne der aristokratischen Eliten
waren, die durch ihre traditionell in Europa absolvierte Ausbildung mit
dem Fußball in Kontakt gekommen waren, sondern auch Angehörige einer
langsam entstehenden urbanen Mittelschicht. Sie kamen das erste Mal bei
Spielen in den
várzeas
von São Paulo mit dem Fußball in Berührung und
242
C
ORRÊA
,
Grandezas e misérias
, S. 23.
243
Ebd., S. 119 ff.
244
Ebd., S. 141. Siehe auch S. 48 f.
245
Ebd., S. 48.
246
Vgl. C
ALDAS
,
O pontapé inicial
, S. 68; C
ORRÊA
,
Grandezas e misérias
, S. 152 f.
247Vgl. CORRÊA,
Grandezas e misérias
, S. 48 f.
248
Vgl. ebd., S. 123.
116
116
Aneignung
durch den vielgereisten Vater, einen Schriftsteller aus Santa Catarina, der
die Söhne zu den ersten großen internationalen Fußballspielen Brasiliens
mitnahm.249
Afonso Varzea arbeitete als Geschichts- und Geografielehrer und setzte
sich für Bildungsreformen im brasilianischen Schulwesen ein. Er begann
1914 mit 17 Jahren als Kriminalreporter bei der Zeitung
A Noite
in Rio de
Janeiro eine Journalistenkarriere und durchlief später mehrere wichtige
brasilianische Zeitungen. Ab 1927 leitete er die Sportsektion der Zeitung
OImparcial
und reformierte diese maßgeblich. Ab 1927 erschien, neben der
täglichen Sportsektion von
O Imparcial
, zweimal wöchentlich eine mehr-
seitige Beilage über Sport.250
Afonso Varzeas Rolle in der Sportredaktion von
O Imparcial
widerlegt
auch die Pionierrolle des Journalisten Mário Filho bei der Sportzeitung
»Jornal dos Sports« in den 1930er-Jahren, die ihm die historische For-
schung lange Zeit zuwies.251Die Veränderungen, die Afonso Varzea dort
einleitete, demokratisierten die Berichterstattung, weil er den Fußballsport
nicht mehr als einen Raum der Elite erfasste, den diese gegen andere sozi-
ale Schichten zu verteidigen hatte, sondern als eine Sportart, die inzwi-
schen von Angehörigen unterschiedlicher sozialer Schichten ausgeübt
wurde. Er sah in seiner Berichterstattung die Popularisierung des Fußballs
als durchweg positiv.
Die Modernisierung geschah zum Beispiel über die Stärkung von Hinter-
grundinformationen, so durch Interviews mit Spielern, einer stärker kom-
mentierenden Berichterstattung, insgesamt einer Verbreiterung der Bericht-
erstattung auch auf recherchierte Ereignisse im Ausland. Afonso Varzea, so
lässt sich aus seinem Privatnachlass rekonstruieren, hatte durch seine
Funktion als Sportredakteur und später auch als Trainer zahlreiche Verbin-
dungen zu Sportexperten, zu Journalisten und Trainern in Großbritannien
und den USA. Von dort erhielt er direkt Informationen und diese Kontakte
scheinen auch bedeutend gewesen zu sein für das Vorhaben, das Profitum
in Brasilien einzuführen.252
249
Varzea, George, Literatura do Futebol, Datum unbekannt: Nachlass von Afonso
Vasconselos Varzea, cod: IW, cx: 6, pac. 2, AN.
250
Nachlass von Afonso Vasconselos Varzea, cod: IW, cx. 14, pac. 2, AN.
251
Vgl. A
NTUNES
, »Com brasileiro, não há quem possa!«, S. 35 ff. Ausführlich zu der
Relativierung dieser lange zugewiesenen Rolle durch neuere Arbeiten: HOLLANDA, O
descobrimento do futebol, S. 144 ff.
252
C
ORRÊA
., S. 21 ff. Eine Gesamtschau der Sportpresse Ende der 1920er-Jahre zeigt
eine Zunahme von Auslandsberichterstattung. Siehe etwa: »Pagina dos Redactores.
Sports-Magazine e sua apresentação. Voltemos ao seio da Confederação Sul-
117Aneignung
117
Mit der Modernisierung der Sportberichterstattung verabschiedete sich
Varzea nicht von der Idee eines erzieherischen Auftrags des Fußballs. Die
Sportseiten unter seiner Redaktionsleitung waren weiterhin darauf bedacht,
den Sportlern festgelegte moralische Werte zu vermitteln bzw. in einem
weiteren Sinne mitzuteilen, wie man regelgetreu zu spielen hatte. Ausdruck
dessen war zum Beispiel die Herausgabe eines erzieherischen Fußballre-
gelheftes unter dem Pseudonym David Jack, das in einer hohen Auflage
gedruckt wurde, und im Titel betonte, auch für arme Fußballspieler er-
schwinglich zu sein.253Im Vorwort zu diesem Heft bezog er sich auf den
britischen Schiedsrichter J.R. Schumacher, der die Verbreitung schlecht
übersetzter Fußballregeln in der Welt beklagt hatte, denn, so Varzea, »das
Gesetz nicht zu kennen verursacht eine Menge Vorfälle und gibt Spielraum
für eine Reihe von Unannehmlichkeiten.«254Deshalb sah er vor, die 17
gültigen Regeln direkt aus dem Text des britischen
International Board
ohne Anmerkungen zu übersetzen.
Die emanzipatorische Botschaft ging jedoch nicht so weit, dass Afonso
Varzea ein traditionelles Amateurideal verteidigte. Vielmehr setzte er sich
mit anderen für die Einführung einer Profi-Liga und die gerechte Entloh-
nung und Anerkennung der bisherigen Scheinamateure ein.
1.7. ZUSAMMENFASSUNG
Neben den sozialen Wandlungsprozessen, die sich über die Biografie
Corrêas darstellen lassen, gibt seine Biografie auch Auskunft über Inter-
aktionen zwischen lokalen und globalen Entwicklungen im Fußball, hier im
Bereich der Einführung einer Profi-Liga in Brasilien. Tatsächlich einge-
führt wurde der Profi-Fußball offiziell erst 1933 unter Vargas. Er sah im
Fußball ein wichtiges Instrument zur Erreichung seiner politischen Ziele.255
Die Rechercheergebnisse zeigen, wie brasilianische Eliten, Sportfunkti-
onäre, Journalisten und auch Angehörige einer reformorientierten urbanen
Mittelschicht schon vor den 1930er-Jahren den Fußballdiskurs nutzten, um
alternative Aneignungen von unten mit »Dekadenz« und Gewalt in Verbin-
Americana. O eterno feminino«,
Sports Magazine
, 1.5.1928. Im Jahr 1928 wurde auch
die Sonderausgabe von
A Gazeta
,
Gazeta Esportiva
, aufgelegt.
253
Vgl. V
ARZEA
, Afonso (Pseudonym: Jack, David),
As regras do Futebol. Aoalcance de toda gente tiradas directamente do texto inglês
, Rio de Janeiro 1929: Nach-
lass von Afonso Vasconselos Varzea, AN.
254
Vgl. ebd., S. 1.
255
P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 338-344. Vgl. auch N
EGREIROS
,
A nação entra emcampo
, S. 184.
118
118
Aneignung
dung zu bringen und darüber hinaus politische Projekte zu formulieren. Sie
setzten dabei an einem Amateurideal an, das sie sich aus einem transnatio-
nalen Kontext für ihre Ideen einer »Zivilisierungsmission« der brasiliani-
schen Gesellschaft aneigneten. Schon nach dem Ersten Weltkrieg
formulierten sie die Idee, über den Sport eine
raça brasileira
zu schaffen.
Ein Vorhaben, dem sich Vargas im
Estado Novo
dann mit größerer Effizi-
enz und durch praktische Umsetzung stellte, indem er tatsächlich Sportmi-
nisterien und Ausbildungsinstitutionen einrichtete.256
In den 1920er-Jahren handelte es sich bei der Schaffung einer
raçabrasileira
zwar noch nicht um ein nationales politisches Programm. Aber
Elitenangehörige, die später unter Vargas zu Schlüsselfiguren für eine Um-
setzung dieser Ideen werden sollten, formulierten sie hier bereits.257Der
sich wandelnde Fußballdiskurs im Zeichen der Popularisierung zeigt, unter
welchen Bedingungen Popularisierung akzeptiert wurde. Eliten eigneten
sich mit dem Fußball verbundene Ideale an, wie das Amateurethos, indem
sie es mit spezifischen brasilianischen Diskursen wie dem Hygienediskurs
verbanden. Auf diese Weise wollten sie Probleme einer Gesellschaft ange-
hen, die eine Phase politischer, sozialer und wirtschaftlicher Krisen und
Umbrüche erlebte, in der neu entstehende soziale Schichten in den Städten
um ihren Platz im sozialen und politischen Raum kämpften und gleichzei-
tig aristokratische Eliten ihren angestammten Platz in der Gesellschaft
bewahren wollten. Der Fußballdiskurs diente diesen Eliten dazu, diese
Hierarchien zu rechtfertigen und die Popularisierung des Fußballs nach
ihren Vorstellungen zu gestalten, um zum Beispiel Arbeiter zu disziplinie-
ren. Zugleich war der Fußball auch eine kulturelle Praxis, um diese Zu-
griffe und Hierarchien von unten in Frage zu stellen.
Auch über den Ersten Weltkrieg hinaus orientierten sich brasilianische
Eliten im Vorhaben der Schaffung einer »brasilianischen Rasse« an Europa
und der »zivilisierten« Welt, obwohl sie zugleich eine »Nationalisierung«
des Fußballs forderten. Vor allem vor dem Hintergrund der globalen Po-
pularisierung des Fußballs in Folge des Ersten Weltkriegs und der zuneh-
menden Kontakte durch internationale Spielbegegnungen nahmen die Aus-
einandersetzung und der Dialog mit Europa und, in geringerem Maße, den
USA eher zu. Das wird später noch zu zeigen sein. So sind die Debatten
256
Vgl. N
EGREIROS
,
A nação entra em campo
. Negreiros Hauptthesen sind auch in
einem veröffentlichten Aufsatz nachzulesen: NEGREIROS, Futebol nos anos 1930 e 1940.
Siehe auch: DÁVILA,
Diploma de brancura
, S. 107-114; JACKSON, The New Brazilian
Man.
257
Vgl. J
ACKSON
, The New Brazilian Man.
119Aneignung
119
um den Amateurstatus und die Einführung des Profi-Fußballs nicht ohne
die Auseinandersetzungen mit den Vorgaben der FIFA und den
Entwicklungen in anderen Ländern zu verstehen.
Im Zusammenhang des Diskurses um eine »brasilianische Rasse« ent-
stand Anfang des 20. Jahrhunderts eine weitere Herausforderung für die
brasilianische Gesellschaft, nämlich die Rolle von Afro-Brasilianern im
Sport. Für den Fußball bedeutete das: Rassistische Exklusion und »rassi-
sche« Identitäten wurden im Verlauf seiner Ausbreitung mitverhandelt.
120121
2. »RASSE«: RASSISMUS UND DIE VERHANDLUNG»RASSISCHER« IDENTITÄTEN
Es scheint, als habe der Weltkrieg, der so schlimme Auswirkungen auf
den Fortgang der Nationen hatte, in keinster Weise die sportlichen
Traditionen der Länder ins Wanken bringen konnte. […] Die aktuelle
Epoche ist die des Sportes. Und glücklicherweise entwickeln sie sich in
unserer Heimat und verbreiten sich in alle sozialen Klassen. Und das ist
eine viel verheißende Nachricht, denn der Sport ist die große Kraft, die
den Namen einer Rasse erhebt und verewigt. […] Kämpfen wir für den
Sport. Lasst uns den großen Wert der Leibeskultur begreifen. Und nach
dieser ungeheuerlichen und großartigen Anstrengung wird Brasilien
dann das große Eldorado, das Gelobte Land sein, das uns der größte
Denker der lateinischen Rasse – Olavo Bilac – mit seinem Feuerwort
vorausgesagt hat […].1
Der enthusiastische Appell des Autors dieser Zeilen verdeutlicht die verän-
derte Einschätzung des Sports nach dem Ersten Weltkrieg als ein Instru-
ment zur allgemeinen Mobilmachung, Stärkung und fortschrittlichen
Entwicklung der Brasilianer. Besonders stark offenbart er ein im Zusam-
menhang spezifisches Verständnis der »brasilianischen Rasse« als
eineraça
, die jeden unabhängig von der sozialen und ethnischen Herkunft ein-
zuschließen schien. Was hatte sich zu einem vorherigen Verständnis verän-
dert und welche Möglichkeiten bot der Fußball »rassische« Identitäten
auszuhandeln? Waren es ausschließlich intellektuelle Eliten, wie der
Schriftsteller Olavo Bilac, die diese Einschätzung teilten und betonten?2
In diesem Kapitel rückt die Kategorie »Rasse« in den Vordergrund und
damit eine weitere Form von Inklusion und Exklusion aus dem »sozialen
Raum« des Fußballs.3In einer diskursanalytischen Herangehensweise wird
dargelegt, wie Sportjournalisten, Zeitungsleser und afro-brasilianische
Fußballspieler »Rasse« im Verhältnis zur Nation verhandelten und hierar-
chisierten und wie Fußball dazu beitrug, »Rasse« zu »materialisieren«.4Als
transnationales Phänomen spielte er eine nicht zu unterschätzende Rolle in
1
Jonh (sic!) Brow, »Lutemos pelo sport«,
SSOI
, 21.5.1921.
2
Vgl. zum Verhältnis brasilianischer Intellektueller zum Fußball: A
NTUNES
, »
Combrasileiro, não há quem possa!«
, S. 21 ff.
3
Zum Fußball als »sozialer Raum«: Vgl. B
OURDIEU
, Sport and Social Class;
BOURDIEU, Historische und soziale Voraussetzungen modernen Sports.
4
Zur
Materialisierung
von »Rasse«-Vorstellungen über den modernen Sport siehe
CARRINGTON,
Race, Sport and Politics
.
122
122
»Rasse«
der Aushandlung »rassischer« Identitäten und für die Vergleiche von
Rassismen.
»Rasse« ist eine sozial und diskursiv konstruierte Kategorie, die jegli-
cher wissenschaftlichen Grundlage entbehrt.5Allerdings kommt dem Be-
griff »Rasse« analytisch eine Bedeutung zu, weil er – unabhängig von dem
zeitlich höchst unterschiedlichen Verständnis – eine Referenzkategorie dar-
stellt, die historische Akteure vor allem seit dem 18. Jahrhundert mit
wissenschaftlichem Anspruch nach ästhetischen Merkmalen konstruierten,
um soziale Hierarchien und Machtansprüche zu rechtfertigen.6In der Ent-
stehung eines aus diesen Hierarchisierungen hervorgehenden, wissenschaft-
lich begründeten Rassismus seit dem 18. Jahrhundert waren
Schädelform, Hethiternase, Haut- oder Haarfarbe […] immer nur opti-
sche Hilfskonstruktionen für das, worum es eigentlich ging: um die
Anthropologisierung und Biologisierung sozialer Unterschiede, die da-
mit dem sozialen Wandel entzogen werden. Rassismus tritt daher nie
alleine auf, sondern stets in Verbindung mit antiegalitären,
antidemokratischen und antiliberalen Einstellungen und Doktrinen.7
Auch im frühen brasilianischen Fußball spielte Rassismus eine bedeutende
Rolle, da Eliteklubs afro-brasilianische Spieler nach »rassischen« Katego-
rien ausgrenzten und auf diese Weise auch Machtansprüche durchsetzen
und erhalten wollten.
2.1. EUGENIK,EMBRANQUECIMENTOUNDDEMOCRACIA RACIAL: MÁRIOFILHO UND DIEINTERPRETATIONEN VONRASSISMUS IM FRÜHENBRASILIANISCHENFUßBALL
Auf lange Sicht stellte die sozialwissenschaftliche und historische Literatur
in Brasilien Fußball als eine soziale Aufstiegsmöglichkeit für afro-brasilia-
5
Vgl. C
AVALLI
-S
FORZA
, Luigi L./M
ENOZZI
, Paolo/P
IAZZA
, Alberto,
The History andGeography of Human Genes
, Princeton NJ 1994, S. 19 f. Ich danke Oliver Gliech für
diesen Hinweis.
6
Vgl. M
OSSE
, George L.,
Rassismus. Ein Krankheitssymptom in der europäischenGeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts
, Königstein/Taunus 1978, S. 23-38. Siehe
auch: GEULEN, Christian,
Geschichte des Rassismus
, München 2007, S. 13-16;
PRIESTER, Karin,
Rassismus. Eine Sozialgeschichte
, Leipzig 2003, S. 11-16. Zum
»Rasse«-Begriff als sozial konstruierte Kategorie aus Sicht der Sportsoziologie siehe:
HYLTON, Kevin, »
Race
«
and Sport: Critical Race Theory
, London 2009, S. 6-9.
7
P
RIESTER
,
Rassismus
, S. 15.
123»Rasse«
123
nische Spieler dar.8Diese Analysen legten vor allem die Publikation des
Journalisten Mário Filho
O negro no futebol brasileiro
(»Der Schwarze im
brasilianischen Fußball«) von 1947 zu Grunde. Er beschrieb den Fußball
vor 1930 als geprägt von starkem Rassismus gegenüber afro-brasili-
anischen Spielern. Gleichzeitig sprach er dem Fußball eine Harmoni-
sierungswirkung zu, der ethnische Unterschiede aufhebe und es zuletzt
vermöge, das Ideal einer
democracia racial
(»Rassendemokratie«) zu
verwirklichen.9In dieser »Rassendemokratie«, als deren Vordenker
maßgeblich der Soziologe Gilberto Freyre gilt, sollten unterscheidbare
»rassische« Merkmale und Herkunft keine Rolle mehr spielen. In
Verwirklichung dieses Konzeptes in einem brasilianischen Fußballstil
kämen hingegen spezifische körperliche Merkmale zum Ausdruck, die
»rassisch«-kulturell determiniert seien.10Freyre, und letztlich auch Filho,
legte vorherige negative Assoziationen mit einer »Rasse« ab und betonte
ihren positiven Beitrag zu »einem rassisch und kulturell hybriden
Brasilien«.11
Sich später auf Filho beziehende Autoren legten die Entfaltung dieser
Harmonisierung zeitlich mit der Vargas-Ära zusammen, in der die
Popularisierung, »Nationalisierung« und Professionalisierung des Fußballs
die »rassische« Exklusion endgültig aufgehoben habe.12Daran beteiligt
gewesen seien vor allem Sportjournalisten, allen voran Filho selbst, der in
der Zeitung »Jornal dos Sports« die Fußballberichterstattung modernisierte,
darin afro-brasilianische Spieler zu Stars aufbaute und ein sozial heteroge-
nes Publikum in Form und Aufbau der Berichterstattung ansprach.13
Auf Mário Filho beruht auch ein Narrativ, in dem die Rolle einzelner
Klubs für den sozialen Aufstieg von Afro-Brasilianern in der brasiliani-
8
Vgl. D
A
M
ATTA
, Antropologia do óbvio; Vgl. H
ELAL
u.a.,
A invenção do país dofutebol
. Vgl. auch die Kritik an DaMattas These des Fußballs als »soziale Versöhnung«:
SUSSEKIND,
Futebol em dois tempos
.
9
H
OLLANDA
,
O descobrimento do futebol
, S. 149.
10
Vgl. zum Beispiel die Beschreibung dieses Stils durch den Anthropologen Roberto
DaMatta in einem der ersten geisteswissenschaftlichen Sammelbände zur Fußball-
geschichte in der
Revista USP
: DAMATTA, Antropologia do óbvio, S. 28 f.
11
F
RY
, Peter,
A persistência da raça: ensaios antropológicos sobre o Brasil e aÁfrica austral
, Rio de Janeiro 2005, S. 15.
12
Vgl. etwa: S
ANTOS
, Ricardo Pinto dos, Uma breve história social dos esportes, in:
TEIXEIRA DASILVAu. a., (Hg.),
Memória social dos esportes
, S. 33-54; FRANZINI,
Cora-ções na ponta da chuteira
, S. 125. Zur Kritik daran: SOARES, Futebol brasileiro e
sociedade.
13
Vgl. L
EITE
L
OPES
, José Sérgio, A vitória do futebol que incorporou a pelada, in:
Revista USP
,
Dossiê futebol
, São Paulo Juni/August 1994, Nr. 22, S. 64-83.
124
124
»Rasse«
schen Gesellschaft stark mythologisiert wurde. Für die Zeit vor 1930
schrieben Autoren diese pionierhafte Aufgabe der sozialen und »rassi-
schen« Inklusion einzelnen Klubs zu, allen voran den Vereinen Vasco da
Gama und Bangú A.C. in Rio de Janeiro. Beide nahmen früh afro-
brasilianische Spieler auf und waren zugleich Mitglieder im lokalen Eliten-
verband der Stadt.14Weil die Historiografie immer stark auf Exklusions-
mechanismen in den Elitevereinen in Rio de Janeiro blickte, neigte sie
zudem dazu, bestimmte Ereignisse nahezu mythisch zu verklären.15Das
geschah im Falle des Aufstiegs von Vasco da Gama in Rio de Janeiro in die
erste Liga des Verbandes im Jahr 1923. Die Eliteklubs protestierten gegen
den Aufstieg des besonders in den Vororten äußerst populären Vereins und
gründeten einen neuen Verband, aus dem sie Vasco da Gama ausschlossen.
Sie begründeten den Ausschluss vor allem mit der weithin bekannten Tat-
sache, dass der Verein Fußballspieler unter der Hand in einem Halb-
Profisystem ausbildete. Dass Vasco da Gama die etablierten Hierarchien im
Fußball herausforderte und es letztlich schaffte, sich in der ersten Liga als
gleichwertiger Klub neben den Elitevereinen zu etablieren, wurde lange als
bedeutender Markstein für einen Aufstieg afro-brasilianischer Spieler über
den Fußball gesehen.
Eine ähnliche Rolle schrieben Fußballhistoriker dem Klub Bangú zu, der
als Fabrikverein ebenfalls früh afro-brasilianische Spieler aufnahm und in
der Eliteliga akzeptiert wurde. Auch der Fall des Spielers Carlos Alberto
von Fluminense F.C., dem Fans des Gegners »pó-de-arroz« (»Reispuder«)
zuriefen, um darauf aufmerksam zu machen, dass er sich mit Reispuder
schminkte, um seine Haut künstlich aufzuhellen, galt als Kristallisations-
punkt für einen Wandel in den sportlichen »Rasse«-Beziehungen.16
In den letzten Jahren kam es um die gängige Interpretation des Umgangs
mit dem Buch Mário Filhos zu einer Debatte unter Fußballhistorikern und
Sportwissenschaftlern in Brasilien. Der Sportwissenschaftler Antônio
Soares ging soweit, in Frage zu stellen, ob es sich bei den Exklusionsme-
chanismen in den 1920er-Jahren in Rio de Janeiro überhaupt um Formen
von Rassismus gehandelt habe und es nicht vielmehr darum gegangen sei,
14
Vgl. G
ORDON
, Cesar Jr., História social dos negros no futebol brasileiro, in:
Pesquisa de Campo
, 1995, Nr. 2, S. 71-90; LEITELOPES, A vitória do futebol.
15
Ausnahmen bilden hier vor allem die Arbeiten von Gilmar Mascarenhas, der
Exklusion und Inklusion nach »Rasse« in Porto Alegre herausgearbeitet hat und dabei
auch fundamentale Unterschiede im Vergleich zu Rio de Janeiro durch die sich
unterscheidenden ethnischen Relationen in Südbrasilien feststellte: Vgl. MASCARENHAS,
O futebol da »canela preta«.
16
Vgl. L
EITE
L
OPES
, A vitória do futebol, S. 70; P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 119.
125»Rasse«
125
dass der Fußball seine aristokratische und amateurhafte Basis zu verlieren
drohte.17
Dabei erfolgten die Debatten um Exklusion und Inklusion afro-brasilia-
nischer Spieler auch im Kontext anderer Ereignisse und vor allem auch in
der Sportpresse. Die Historiografie hat diese Debatten und diskursiven
rassistischen Konstruktionen noch zu wenig beachtet. Bisher stand außer-
dem weitestgehend Rio de Janeiro im Mittelpunkt historischer Arbeiten
zum Zusammenhang von Rassismus und Fußball in der Zeit vor 1930.
Deshalb werden im Folgenden verstärkt auch Debatten in der Sportpresse
in São Paulo untersucht.
Der in sozialer Ausgrenzung schon implizierte Rassismus ist charakte-
ristisch für den frühen Fußball. Die überwiegende Zahl der Autoren sugge-
riert, im Grunde habe es sich um soziale Exklusion im Sinne des »racial
escape hatch« gehandelt, dem zufolge in Brasilien eine größere soziale
Mobilität als zum Beispiel in den USA bestand und Afro-Brasilianer über
das Aneignen bestimmter sozialer Eigenschaften dem »Schwarzsein« ent-
kommen und sozial aufsteigen könnten.18Damit wird Rassismus zu einem
ökonomisch begründeten, historisch vorübergehenden Prozess sozialer
Exklusion.19Die Autoren, die Rassismus und die Konstruktion der Katego-
rie »Rasse« im Fußball untersuchten, schließen sich auf diese Weise, ob
bewusst oder unbewusst, einer der beiden in Brasilien entstandenen Schu-
len zur Untersuchung von »Rasse«-Beziehungen an, die der Soziologe
Edward Telles voneinander historisch unterscheidet.20Entweder sie bezie-
hen sich auf die Arbeiten von Gilberto Freyre und argumentieren kultura-
listisch, die Entstehung eines nationalen Fußballstils nehme Elemente der
unterschiedlichen »Rassen« ineinander auf und vereine diese, so dass dar-
aus etwas Neues und spezifisch Brasilianisches entstehe. Oder sie rekurrie-
ren auf die Erklärung von Rassismus als Problem, das vor allem auf sozio-
ökonomischer Ungleichheit beruhe in Rückgriff auf die von der UNESCO
17
Vgl. S
OARES
, O Racismo no futebol do Rio de Janeiro. Siehe vor allem auch seine
grundlegende Kritik an der bisherigen Geschichtsschreibung zu Rassismus im brasilia-
nischen Fußball: DERS., Futebol brasileiro e sociedade.
18
Zum »racial escape hatch« (»rassischer Notausgang«): W
INANT
, Howard,
Rethinking Race in Brazil, in:
Journal of Latin American Studies
24, 1992, Nr. 1,
S. 173-192, hier 177 f.
19
Ebd.
20
Vgl. T
ELLES
, Edward,
Racismo à brasileira: uma nova perspectiva sociológica
,
Rio de Janeiro 2003, S. 20; Vgl. hierzu auch: GUIMARÃES, António Sérgio Alfredo,
Preconceito de cor e racismo no Brasil, in:
Revista de Antropologia
47, 2004, Nr. 1,
S. 1-43.
126
126
»Rasse«
beauftragten Studien der 1950er-Jahre um Florestan Fernandes, die zum
ersten Mal den Mythos der »Rassendemokratie« in Frage stellten.21Auf die
entstandenen Studien zu Rassismus im Fußball lässt sich Winants kritische
Anmerkung aus den 1990er-Jahren zu Studien zu »Rasse« in Brasilien
übertragen, dass sie
trotz ihrer bemerkenswerten Stärken, […] an einer Reihe von schwä-
chenden Problemen [litten], darunter eine Missachtung der diskursiven
und kulturellen Dimensionen von Rasse, ein übertriebener Glaube an die
Allmacht von Eliten, was rassische Verwaltung betrifft, und eine Ten-
denz, die Spannungen und Konflikte herunterzuspielen, die mit brasilia-
nischen rassischen Dynamiken einhergehen.22
Dies hängt mit dem spezifischen brasilianischen Rassismus zusammen, der
keine ausdrücklichen Exklusionsmechanismen kennt, wie dies zum Bei-
spiel in den USA der Fall sei.23In den USA, so haben die vergleichenden
Rassismus-Studien festgehalten, entschied die Herkunft darüber, ob jemand
als »schwarz« oder »weiß« gegolten habe, während in Brasilien Benehmen,
Erziehung und Reichtum ausschlaggebend für seine Zuordnung gewesen
seien.24
Ein Großteil der entstandenen Studien zur Entstehung des Rassismus in
Brasilien erklärt ihn im Vergleich zum Rassismus in den USA.25Erst in den
letzten Jahren haben Autoren ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass ver-
gleichende Perspektiven in Bezug auf die historische Entstehung von
Rassismus auch zu problematischen Schlussfolgerungen und Ergebnissen
führen könnten, da Vergleiche immer von geschlossenen räumlichen und
diskursiven Einheiten ausgingen, in denen zum Beispiel rassistische Exklu-
sion von vor allem nationalen Akteuren verhandelt werde. So hat zum
Beispiel Micol Seigel in einer transnational angelegten Studie darauf hin-
gewiesen, wie afro-brasilianische Eliten über Rassismus und Anti-Rassis-
21
Vgl. T
ELLES
,
Racismo à brasileira
, S. 20; F
ERNANDES
, Florestan,
O Negro nomundo dos brancos
, São Paulo 1972. Als Überblick zu Freyre und Fernandes auch:
ANDREWS,
Negros e brancos
, S. 24-34.
22
W
INANT
, Rethinking Race in Brazil, S. 183.
23
Vgl. hierzu F
RY
,
A persistência da raça
, S. 212 f.; S
KIDMORE
, Thomas E.,
Blackinto White: Race and Nationality in Brazilian Thought
, Durham/London 1993, S. 55 f.
24
Vgl. S
KIDMORE
,
Black into White
, S. 56. Skidmore macht für die Besonderheit in
Brasilien verantwortlich, dass dort schon vor der Abolition viele »schwarze« Männer
frei waren und außerdem bis zu der einsetzenden Massenimmigration aus Europa und
später Asien »Weiße« auch im Zentrum und im Süden Brasiliens in der Minderheit
gewesen seien: Vgl. ebd., S. 56.
25
Vgl. ebd., S. 209.
127»Rasse«
127
mus in einem grenzüberschreitenden Austausch diskutierten.26Sie verdeut-
licht am Beispiel der afro-brasilianischen Gemeinschaft in São Paulo in den
1920er-Jahren, wie diese im Prozess der Emanzipation und der Bewusst-
machung rassistischer Exklusion stark mit Bezügen auf die USA arbeitete.
Seigel argumentiert:
Notions of national racial ideologies of the United States and Brazil get
nation wrong and race wrong, and they get the specifics wrong too. That
is, the perfectly opposed guiding myths of racial purity in the United
States and racial harmony in Brazil reference social systems that have an
awful lot in common.27
Angehörige der afro-brasilianischen Gemeinschaften in Städten der beiden
Länder hätten sich in Räumen imaginiert, die größer oder kleiner als der
Nationalstaat gewesen seien und dabei Bezug auf soziale Identitäten in
anderen Räumen genommen.28Afro-Brasilianer und Afro-Amerikaner
hätten selbst Vergleiche angestellt, zu diesem Zeitpunkt wäre ihnen die
Vergleichsperspektive schon hinderlich gewesen für das Verständnis von
Rassismus beim jeweils anderen. Sie hätten zwar Rassismus im jeweils
anderen Raum durchaus wahrgenommen, doch zugleich gebrauchten sie
auch das Beispiel des anderen als positive Abgrenzung für ihren eigenen
Kampf gegen Rassismus und übersahen dabei bestimmte Formen der Aus-
grenzung.29
Auch im Fußball spielten die transnationalen Bezüge eine Rolle, sie sind
den im »nationalen Container« verhafteten und vergleichenden Studien
bisher entgangen. Diese Studien haben zwar wertvolle Einsichten geschaf-
fen, auf welche Weise institutionelle Exklusionsmechanismen von Verbän-
den und Klubs eingerichtet wurden. Sie betrachteten diese Mechanismen
bislang jedoch zu stark teleologisch rückwärtsgewandt aus einer Auflösung
rassistischer Exklusion in den 1930er-Jahren unter Vargas und auch zu
späteren Zeitpunkten. Wie Filho und andere später argumentierten, habe
die Popularisierung und Professionalisierung und die dadurch entstehende
ökonomische Angleichung im Fußball die rassistische Exklusion aufgelöst
bzw. ihr ihre Schärfe genommen. So äußert zum Beispiel Leite Lopes,
26
Vgl. S
EIGEL
, Micol,
Uneven Encounters: Making Race and Nation in Brazil andthe United States
, Durham u.a. 2009. Seigel bezieht sich in ihrer Studie stark auf die
Ansätze jüngster Diaspora-Studien.
27
Ebd., S. xii.
28
Ebd.
29
Ebd., S. 237.
128
128
»Rasse«
Filho habe in der Professionalisierung eine Implementierung eines regu-
lierten, auf klaren Wettbewerbsregeln basierenden Fußballs gesehen. Profi-
Fußball habe durch die Popularität und durch die gleichmachenden Krite-
rien Fußballer ökonomisch von Klubs und vom gesellschaftlichen Druck
unabhängig gemacht. Auch das habe zu einer »Nationalisierung« des Fuß-
balls beigetragen.30
Die Erklärung rassistischer Exklusion aus nationaler Perspektive ge-
schieht – wie gesagt – teleologisch rückwärtsgewandt vom Endpunkt der
»Nationalisierung« des Fußballs in den 1930er-Jahren aus, an dem sich
rassistische Ungleichheit auflöste. Außer Acht gelassen wird dabei, dass
die Konstruktionen und Zuschreibungen von »rassischen« Eigenschaften
gerade im Fußball in einem größeren Rahmen als dem nationalen stattfan-
den.
Entsprechend bot gerade er Bezugspunkte, anhand derer »rassische«
Identität in einem transnationalen Rahmen ausgemacht werden konnte. Ein
Subjekt dieser Aushandlung ist der über den Sport materialisierte Körper
des »schwarzen Athleten«, wie es der Kultursoziologe Ben Carrington
darstellt.31Carringtons Analyse dreht die Argumentation um, die den meis-
ten sporthistorischen Studien in Bezug auf Exklusionsmechanismen nach
»Rasse«, Klasse und Geschlecht zu Grunde liegt. Ihm zufolge gingen diese
Studien fälschlicherweise davon aus, im Sport herrsche Gleichheit oder er
stelle Gleichheit her und Exklusionen oder Ungleichheiten seien
Ausnahmeerscheinungen.32Er glaubt, es sei »nützlich,
Sport als ein rassi-sches Projekt zu denken
[… Hervorh. im Original].«33Das gilt auch für
Brasilien. Afro-brasilianische Fußballspieler, wie die Mitglieder des Klubs
Vasco da Gama, stellte die Literatur als begabt dar,
weil
sie »schwarz«
waren. Ihr Aufstieg, so lautet eine immer noch verbreitete Ansicht, habe
zur Entstehung eines neuen, spezifisch brasilianischen Fußballstils geführt,
dessen bester Ausdruck die Bewegung der brasilianischen
Ginga
sei.
Bezeichnend hierfür ist die Gegenüberstellung eines dionysischen und
eines appolinischen Fußballstils, wie ihn Gilberto Freyre in seinem Vor-
wort zu der Ausgabe von Mário Filhos Buch von 1947 vornimmt. Er ver-
glich den afro-brasilianischen Spieler Domingos da Guia, einen Fußballstar
30
L
EITE
L
OPES
, A vitória do futebol, S. 75.
31
Vgl. C
ARRINGTON
,
Race, Sport and Politics
, S. 76-82. Carrington spricht von ei-
nem »Sporting Black Atlantic« und führt die dortige Präsenz »schwarzer Athleten« vor
allem auf ihre Präsenz im Film zurück: Vgl. ebd., S. 82-88.
32
Ebd., S. 65.
33
Ebd.
129»Rasse«
129
der 1930er-Jahre, in einer Gegenüberstellung apollinischer und dionysi-
scher Werte mit dem brasilianischen Schriftsteller Machado de Assis. Ob-
wohl beide in ihrer Kunst stark europäisch geprägt seien, so Freyre, könne
ein Beobachter
mit Sicherheit in den Wurzeln der beiden ein wenig Samba, ein wenig
bahianische Verspieltheit und sogar etwas pernambucanische
capoeiragem sowie malandragem aus Rio finden, die ihnen brasiliani-
sche Authentizität geben. Mit diesen Residuen hat sich der brasilianische
Fußball von seinem wohlgeordneten britischen Ideal entfernt, um zu
dem Tanz voller irrationaler Überraschungen und dionysischer Vielfalt
zu werden, der er heute ist.34
Rezipienten der Sportpresse und Anhänger suburbaner Klubs betrachteten
Afro-Brasilianer schon im Jahr 1918 als selbstverständlichen Teil brasilia-
nischer Geschichte: Sie hätten einen wichtigen Beitrag zur Nationswerdung
geleistet und sollten deshalb auch Fußball spielen. Die Debatte, in der diese
Auffassung zu finden ist, wird weiter unten ausführlicher behandelt. Zwei
markante Punkte sind herauszustellen: Erstens verstanden Rezipienten der
Sportpresse Fußball schon 1918 als
das
nationale Spiel und zweitens
hierarchisierten sie die Kategorie »Rasse« gegenüber der nationalen Zuge-
hörigkeit. Das hieß in ihren Augen, Afro-Brasilianer sollten Fußball spielen
dürfen,
weil
sie Brasilianer waren und nicht
obwohl
sie »negros« waren.
Brasilianische Eliten setzten sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts mit
ihrer nationalen Identität, Brasiliens nationalem Selbstverständnis und den
Beziehungen zwischen den von ihnen angenommenen unterscheidbaren
»Rassen« und ihrer »Mischung« auseinander. Gerade die in Brasilien statt-
gefundene
miscigenação
sahen sie, informiert durch europäische Rasse-
theorien, im ausgehenden 19. Jahrhundert als problematisch an. Anders als
in den USA existierte in Brasilien keine bi-»rassische« Einteilung der
Gesellschaft. Im Gegenteil: Es gab schon seit dem 19. Jahrhundert, Thomas
E. Skidmore zufolge, eine stabile Schicht von »libertos« und armen »Wei-
ßen« zwischen Sklaven und Herren. Zu ihr gehörten auch Nachkommen
aus sexuellen Beziehungen zwischen »Weißen« und »Schwarzen«.35
34
F
REYRE
, Gilberto, Prefácio à 1ª Edição, O negro no futebol brasileiro, in: F
ILHO
,
Onegro no futebol brasileiro
, S. 24-26, hier 25.
35
Vgl. S
KIDMORE
,
Black into White
, S. 38-77. Das war in den USA nicht anders,
auch in den Südstaaten gab es trotz Ächtung und Verboten sexuelle Kontakte zwischen
Sklavinnen und »weißen« Herren, jedoch ging die Elite mit ihren Nachkommen anders
um. Sie ordneten sie der Gruppe der »Schwarzen« zu und schloss sie von Privilegien
130
130
»Rasse«
Durch die spezifische Ausgangslage in Brasilien bei Ankunft und in der
Hochzeit der europäischen »Rassentheorien« im letzten Drittel des 19.
Jahrhunderts fanden Intellektuelle und Wissenschaftler zu neuen Interpre-
tationen der aus europäischer Sicht degenerativen
miscigenação
.36Eine
populäre Annahme war bald, durch die Mischung mit »weißen« Nordeuro-
päern sei eine Aufhellung, ein
embranquecimento
, der gesamten Bevölke-
rung möglich, die auf diese Weise langfristig »weiß« werde.37Hinzu kam in
den 1920er-Jahren der Glaube an die Beeinflussung vererbbarer Eigen-
schaften innerhalb einer Generation durch sozialpolitische und medizini-
sche Maßnahmen.38
In den 1930er-Jahren entwickelte sich aus diesem spezifischen Umgang
mit »Rasse« in Brasilien die Ansicht, gerade die Mischung sei positiv.
Gilberto Freyre als prominentester und am nachhaltigsten wirkender
Ideengeber arbeitete in diesem Sinne die Idee der
democracia racial
her-
aus, die den »Mestizen« oder den »Mulatten« zur »Ikone« der brasiliani-
schen Nation gemacht habe.39Die Idee der aus »Rassenmischung«
entstehenden »brasilidade« beinhaltete die Vorstellung, in ihr würden sich
alle zuvor unterschiedenen »Rassen« aufheben und etwas Übergeordnetes,
Neues, Besseres könnte daraus entstehen. Sérgio Costa weist darauf hin,
dass diese Vorstellung im Grunde aber immer noch eine rassistische
Komponente enthielt, da sie weiterhin die Idee eines
embranquecimento
und eine Geringschätzung eines Bevölkerungsteils beinhaltete, der als
und Zugang zu politischen Ämtern, Bildung und allen anderen staatsbürgerlichen Privi-
legien aus: Ebd., S. 69 ff.
36
Vgl. ebd. Aus Sicht der europäischen »Rassentheorien« standen Nachkommen aus
sexuellen Kontakten zwischen »Weißen« und »Schwarzen« auf der untersten »rassi-
schen« Hierarchiestufe, so galten sie als unfruchtbar und »degeneriert«. In den USA
führte diese Überzeugung nahezu zu einer Furcht vor »Rassenmischung« (in Brasilien:
miscigenação
). Sie sahen Vertreter der Rassentheorien als irreparables Problem für die
Entwicklung einer Bevölkerung und damit der Nation an, die damit unweigerlich dem
Untergang geweiht sei: Vgl. ebd., S. 53 ff.
37
»Embranquecimento« (»Aufweißung«) bezeichnet, Skidmore zufolge, eine bei bra-
silianischen Eliten zwischen 1889 und 1914 akzeptierte Theorie, der zufolge »Weiße«
als »Rasse« anderen »Rassen« überlegen seien. Zudem würde die schwarze
Bevölkerung zahlenmäßig abnehmen und
miscigenação
könne die Bevölkerung
aufhellen und damit einer angenommenen »Degeneration«, die als Idee aus den
»Rassentheorien« des 19. Jahrhunderts stammte, entgegengewirkt werden. Die Förde-
rung europäischer Immigration stand ganz im Zeichen dieser Theorie: Ebd., S. 64-69.
38
Vgl. D
ÁVILA
,
Diploma de brancura
, S. 55. Vgl. auch Kapitel 1.3 der vorliegenden
Arbeit.
39
S
CHWARCZ
, Lilia, Gilberto Freyre: adaptação, mestiçagem, trópicos e privacidade
em Novo Mundo nos trópicos, in: Joshua LUND/Malcolm MCNEE(Hg.),
GilbertoFreyre e os estudos latino-americanos
, Pittsburgh 2006, S. 305-334, hier 311 ff.
131»Rasse«
131
»schwarze Rasse« definiert wird und in den anderen durch Mischung auf-
gehen sollte.40
Sport sahen Intellektuelle und Wissenschaftler im Zuge der Begeisterung
für Eugenik als Instrument zur Heilung und Rettung schwacher, kranker
und in der Entwicklung »rückständiger« Teile der Bevölkerung an. Ende
der 1920er-Jahre kamen Journalisten obendrein zu der Ansicht, es ent-
wickle sich ein spezifischer brasilianischer Fußballstil, der auf die »Ras-
senmischung« zurückzuführen sei. Mário Filho vertrat diese Idee in seinem
Werk »O Negro no futebol brasileiro«.41Der Fußball biete zudem Afro-
Brasilianern soziale Aufstiegsmöglichkeiten, ökonomische Ungleichheit
könne überwunden werden. Nicht umsonst nennt der Sporthistoriker
Bernardo Buarque de Hollanda das Werk Mário Filhos, in Anspielung an
Gilberto Freyres berühmt gewordenes Buch von 1933, das »Casa Grande e
Senzala« der Fußballgeschichte.42
Elitäre Fußballanhänger erwarteten von afro-brasilianischen Spielern in
der Zeit vor 1930 die Übernahme »weißer« Eigenschaften und Verhaltens-
weisen, soweit Wissenschaftler, Erzieher und Politiker Fußball als ein
Mittel des
embranquecimento
sahen. Sporadisch existierte auch in den
1920er-Jahren schon das Denken, als afro-brasilianisch angesehene Eigen-
schaften, die also »rassisch« determiniert seien, könnten den Fußball berei-
chern und sollten in einen nationalen Spielstil integriert werden, was dann
revidiert wurde, wenn solche Spieler durch ein Fehlverhalten, also durch
Verstöße gegen geltende Regeln, Missachtung kodifizierter Verhaltenswei-
sen oder einfach durch Erfolglosigkeit »auffielen«.43
40
C
OSTA
, Sérgio, A construção sociológica da raça no Brasil, in:
Estudos Afro-Asiáticos
24, 2002, Nr. 1, S. 35-62, hier 43 f.
41
Vgl. F
ILHO
,
O Negro no futebol
, S. 129-228
42
H
OLLANDA
,
O descobrimento do futebol
, S. 149.
43
Dies war zum Beispiel noch 1950 der Fall, als Brasilien nach längerer Zeit wieder
an der Weltmeisterschaft teilnahm, die in diesem Jahr im eigenen Land ausgerichtet
wurde. Die Öffentlichkeit bereitete sich auf einen Titelgewinn der brasilianischen Elf
vor, im Team waren mehrere afro-brasilianische Spieler. Als Brasilien im Endspiel
gegen Uruguay eine Niederlage erlitt, war das, so beschreibt es die Forschungsliteratur,
ein nationales Trauma, das kurzfristig alle Erwartungen an den davor so enthusiastisch
gefeierten brasilianischen, kreolischen Stil enttäuschte und nun zu einer erneuten
Infragestellung der brasilianischen
miscigenação
führte, da der afro-brasilianische
Torwart Barbosa und der Spieler Bigode für die Niederlage verantwortlich gemacht
wurden: ANTUNES, »Com brasileiro, não há quem possa!«, S. 39; KOLLER,
Christian/BRÄNDLE, Fabian,
Goal!: Kultur- und Sozialgeschichte des modernenFussballs
, Zürich 2002, S. 122-125; MOURA, Gisella de Araujo,
O Rio corre para oMaracanã
, Rio de Janeiro 1998, S. 144-147. Filho berücksichtigte den hier zu Tage
132
132
»Rasse«
Die Herausstellung als »typisch« angesehener afro-brasilianischer Ei-
genschaften markierte eine veränderte Wahrnehmung von Afro-Brasilia-
nern über den Sport insgesamt und auch des Beitrags Brasiliens zur diskur-
siven und transnationalen Konstruktion des »schwarzen Athleten«. Wie
Carrington zeigt, wandelten sich Anfang des 20. Jahrhunderts durch den
Sport als transnationales Phänomen körperliche »rassische« Vorstellungen.
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, in der Hochzeit des Imperialismus,
hätten noch Vorstellungen von der nicht nur intellektuellen, sondern auch
physischen Überlegenheit des »weißen« Mannes dominiert, während zu-
gleich in diesem Diskurs »Schwarze« effeminiert worden seien. Das Bild
vom »schwarzen« Körper habe sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewan-
delt: Diesem hätten »weiße« Athleten, Journalisten und Sporttrainer
Eigenschaften wie übernatürliche Wesenszüge, besondere körperliche
Eignung für Athletismus und Sport, Animalität und Ursprünglichkeit
zugeschrieben und auf diese Weise »Rasse« körperlich materialisiert.44
Zugleich allerdings hätten sich »Weiße« weiterhin als diejenigen gesehen,
die durch rationale Trainingsmethoden, durch eine Überlegenheit in Intel-
lekt und Wissen als einzige in der Lage seien, den »schwarzen Athleten« zu
trainieren und auszubilden.45
2.2. RASSISTISCHEEXKLUSIONEN UNDPOPULARISIERUNG INRIO DEJANEIRO UNDSÃOPAULO
Seit 1913 führten Elitevereine in São Paulo eine Debatte, ob sich der Elite-
verband für andere soziale Schichten öffnen sollte. Kern des Konflikts war
der Eintritt des nicht-elitären Klubs Clube Atlético Ypiranga in die LPF im
Jahr 1913. Das veranlasste einige der alteingesessenen und elitären Mit-
glieder, wie den C. A. Paulistano, die Associação Atlética Palmeiras und
den Klub Mackenzie aus der LPF auszutreten und einen eigenen Sportver-
band zu gründen, die
Associação Paulista de Sports Athleticos
.46Sie woll-
ten dort ihre bisherige elitäre und exklusive Vereinskultur fortsetzen, die
tretenden Rassismus, indem er einer späteren Ausgabe von
O negro no futebolbrasileiro
zwei Kapitel hinzufügte: SOARES, Futebol brasileiro e sociedade, S. 147.
44
Vgl. C
ARRINGTON
,
Race, Sport and Politics
, S. 66-82. Siehe auch: K
EYS
,
Globalizing Sport
, S. 81.
45
C
ARRINGTON
,
Race, Sport and Politics
, S. 81.
46
Vgl. »Associação Paulista de Sports Athleticos«,
OESP
, 30.4.1913, in: Album
»1913«, CAP; FRANCOJÚNIOR,
A dança dos deuses
, S. 66-67; Hilário gibt als
Sezessionsjahr 1911 an, dies stimmt jedoch nicht mit den Quellen überein, die Spaltung
ereignete sich erst 1913.
133»Rasse«
133
auf dem Habitusideal des
sportsman
fußte. Gleich im ersten Spiel der neu
geschaffenen Liga sollte der Einsatz von Polizisten »Ausschreitungen«
vermeiden und »den Eintritt von Personen verhindern, die für unangemes-
sen befunden werden.«47
Die Aufspaltung in zwei Verbände währte bis 1917 und die Sportpresse
deutete sie allgemein als Ausdruck einer nachhaltigen Krise des Fußballs in
São Paulo. Ein anderer Antagonismus beendete dann 1917 die Spaltung.
São Paulo und Rio de Janeiro setzten sich zunehmend über die Führungs-
rolle im nationalen Fußball auseinander. Die Vertreter der großen lokalen
Sportverbände beanspruchten jeweils den Hauptsitz eines nationalen Sport-
oder Fußballverbandes und die Anerkennung durch internationale Sport-
verbände, wie durch die FIFA und das IOC.48Um diesen Anspruch
durchzusetzen, war ein geschlossenes Auftreten nur eines Verbandes aus
São Paulo förderlich. Außerdem war es auf Dauer organisatorisch nicht
möglich, zwei Meisterschaften auszutragen – die Vereine konnten das
Publikum nicht für zwei Stadtmeisterschaften in einem Jahr begeistern. Die
1912 und 1913 in die LPF aufgestiegenen populären Klubs hatten eine
besonders große Anhängerschaft, vor allem aus Arbeitern, wie beispiels-
weise der Fußballklub Corinthians.49Den Eliteklubs wurde diese Anhänger-
schaft immer wichtiger, da sie zunehmend kommerziell orientiert waren
und die Spiele an den Wochenenden Einnahmequellen darstellten.50
1917 vereinigten sich beide Ligen wieder unter dem Namen und mit den
Statuten der neueren APSA. Im Gegenzug übernahmen sie die Abteilungen
des älteren Verbandes LPF. Kurz darauf gab sich der Verband den
brasilianischen Namen
Associação Paulista de Esportes Atléticos
(APEA).
In der APEA waren nun auch Klubs aus den Arbeitervierteln São Paulos
organisiert.51Sie befanden sich zwar zum Großteil in der zweiten oder
dritten Liga des Verbandes, aber der Verband bildete die soziale Heteroge-
nität des Fußballs in São Paulo nun besser ab.
Eine ganz ähnliche Entwicklung nahm die institutionelle Festschreibung
der Popularisierung des Fußballs in Rio de Janeiro, allerdings einige Jahre
später. Die elitären großen Klubs im lokalen Fußballverband
Liga Metro-
47
Vgl. »Associação Paulista de Sports Athleticos. Campeonato de 1913«,
OESP
,
11.5.1913, in: Album »1913«, CAP.
48
Vgl. hierzu Kapitel 3.1.3 der vorliegenden Arbeit.
49
Vgl. N
EGREIROS
,
Resistência e rendição.
50
Vgl. B
OTELHO
, Da geral à tribuna, S. 326-330; F
RANCO
J
ÚNIOR
,
A dança dosdeuses
, S. 67.
51
Vgl. S
ILVA
, Sobre o negro no futebol brasileiro, S. 305.
134
134
»Rasse«politana
strebten im Jahr 1923 eine Reform der Statuten und damit der
Zugangsmöglichkeiten kleinerer, finanziell schlecht ausgerüsteter Klubs
an. Sie waren bestrebt, ihre hegemoniale Machtposition innerhalb des Ver-
bandes aufrechtzuerhalten und zu stärken. Im Hintergrund dieses Bemü-
hens stand, dass seit circa 1917 kleinere Klubs durch erfolgreiche
Trainingssysteme die Dominanz der großen Vereine herausforderten und
nun zunehmend auch Tribut für diese Erfolge in den Sportverbänden for-
derten.52Die Eliteklubs schlugen eine restriktivere Zusammensetzung des
Vorstandes des Verbandes vor und forderten außerdem, in die erste Liga
sollten nur solche Vereine aufsteigen können, die noch andere Sportarten
vertraten. Die großen Eliteklubs waren nicht nur auf Fußball spezialisiert
und damit im Vorteil, die Reformvorschläge waren entsprechend ein
»Machtprojekt der großen Klubs«.53Nachdem die kleineren Vereine die
Vorschläge blockiert hatten, traten die großen aus Protest aus und gründe-
ten den Verband
Associação Metropolitana de Esportes Athléticos
(AMEA). Die AMEA, so stellte sich schon bald heraus, war weiterhin die
dominierende Stadtliga, zu der auch alle anderen Klubs gehören wollten, da
sie über die beste Sportinfrastruktur und finanzielle Ausstattung verfügte.
In dem Sezessionskonflikt ging es vor allem aber um den Klub Vasco da
Gama, der zur portugiesischen Immigrantengemeinde Rio de Janeiros ge-
hörte und der im Jahre 1923 die lokalen Meisterschaften gewann und damit
in die erste Liga aufstieg. Vasco da Gama wies laut Leite Lopes ein neues
Internat-ähnliches Trainingssystem auf. Er argumentiert, der Klub habe
durch seine Zusammensetzung aus vor allem afro-brasilianischen Vorort-
Bewohnern Rio de Janeiros den Fußball proletarisiert. Weil die aus dem
lokalen Handel stammenden Klubleiter Fußball als lohnende Investition
betrachteten und utilitaristische Werte einführten, forderten sie die alten
Elite-Klubs zusätzlich heraus. Letztere gaben in dieser Zeit noch vor, aus
reiner Spielfreude Sport zu treiben.54
52
Vgl. P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 112-134.
53
S
ILVA
, Sobre o negro no futebol brasileiro, S. 305.
54
L
EITE
L
OPES
, Classe, etnicidade e cor, S. 134 f. Den Einzug utilitaristischer Werte
diskutierte die Sportpresse sehr breit. Dabei standen Leiter aller Vereine in der Kritik,
sich finanziell am Fußball bereichern zu wollen und dafür insgeheim das für diesen
Zweck nützliche System des Halb-Profitums zu fördern, in dem Vereine keine arbeits-
rechtlichen Pflichten gegenüber den Spielern übernehmen mussten, die hingegen ganz
der Willkür der Klubs ausgesetzt waren und deren Förderung einzig von ihrem Erfolg
abhing: Vgl. »Futebol. Dinheiro Haja! O Interesse monetario no futebol. A questão é de
bom actores ou de bons...futebolistas«,
A Gazeta
, 29.12.1921.
135»Rasse«
135
In den Jahren 1923/1924 sieht Leite Lopes zwei Formen der Exklusion
in Rio de Janeiro: Zum einen auf infrastruktureller Ebene, da Vasco da
Gama lange kein Stadion besaß. Auf dieses Ausschlusskriterium reagierte
der reiche Klub im Jahr 1927 mit dem Bau eines Stadions für 40.000 Men-
schen.55In diesem Exklusionsmechanismus lag ihm zufolge also auch ein
Anreiz für eine weitere Popularisierung des Sports, da mit dem Stadionbau
noch mehr Menschen zuschauen konnten. Zum anderen gab es eine morali-
sche Exklusion: Der Verband prüfte die Spieler durch einen »Schulbil-
dungstest« (»teste de escolaridade«) auf ihre Schreibfähigkeit und eine
Überprüfungskommission (»commissão de syndicancia«), bestehend aus
Angehörigen der Elitevereine und Journalisten, überprüfte ihre Arbeits-
stelle, um auszuschließen, dass sie Fußballprofis und nur auf dem Papier
bei einer Firma angestellt wären.56
Leite Lopes unterscheidet die Exklusionsversuche und die dabei ver-
wendeten Kategorien in São Paulo und Rio de Janeiro. Er kommt zu dem
Schluss, in Rio de Janeiro sei es dabei stärker um die Kategorie der
»Rasse« gegangen, während in São Paulo »Klasse« im Vordergrund ge-
standen habe. In Rio de Janeiro wandte sich die Exklusion gegen die im
Klub Vasco da Gama spielenden afro-brasilianischen Spieler, die durch die
geltenden Verbandsregeln in die erste Liga aufgestiegen wären. Diese
These führt Leite Lopes auf Mário Filho zurück, der wiederum in dem
Konflikt in den Jahren 1923/1924 um den Klub Vasco da Gama den Ras-
sismus im Fußball während der Ersten Republik gebündelt sieht.57In São
Paulo hingegen habe sich die Exklusion zwar auch implizit gegen
»jogadores de côr« gewandt, vor allem aber auch gegen italienische und
spanische Immigranten, gegen Arbeiter aus den Vororten der Stadt.58
Zu einem anderen Urteil kommt George Reid Andrews, der darlegt,
Afro-Brasilianer seien in der Ersten Republik aus jeglichen Freizeitver-
einen der »Weißen« ausgegrenzt worden und hätten deshalb alternative
Vereine gegründet. Er führt diese dezidierte Segregation auch für Sportver-
eine an.59
55
Siehe auch Kapitel 1.5, S. 109 der vorliegenden Arbeit.
56
Vgl. L
EITE
L
OPES
, Classe, etnicidade e cor. In der Überprüfungskommission war
auch ein Journalist der Zeitung
Correio da Manhã
vertreten: Vgl. ebd.
57
Vgl. F
ILHO
,
O negro no futebol brasileiro
, S. 120-177 (vor allem im Kapitel:
Arevolta do preto
).
58
L
EITE
L
OPES
, Classe, etnicidade e cor, S. 139 f.
59
A
NDREWS
,
Negros e brancos
, S. 218-228, insbesondere S. 222. Die Quellenbasis
Andrews‘ für diesen Aspekt ist allerdings äußerst dünn, er bezieht sich ausschließlich
auf Zeitungsartikel, die nach 1930, teilweise in den 1980er-Jahren, erschienen sind.
136
136
»Rasse«
Es ist wichtig, an dieser Stelle noch einmal die in Kapitel 1 dargestellten
klassenbezogenen Bedeutungszuweisungen, Disziplinierungsversuche und
Vereinnahmungen über den Fußball, die Hygieniker seit den 1910er-Jahren
vornahmen, abzugrenzen von den in diesen oftmals enthaltenen, an anderer
Stelle aber auch explizit geäußerten, rassistischen und »Rasse«-bezogenen
Exklusionsmechanismen und Vereinnahmungen.Es soll hier deutlich wer-
den, dass rassistische Exklusion über den Fußball nicht immer mit sozialer
Exklusion deckungsgleich war, dass rassistische Exklusion nicht allein
soziale Beweggründe hatte. Das würde im Umkehrschluss nämlich weiter-
hin die These unterstützen, dass der Fußball einen Weg für sozialen Auf-
stieg ebnete, auf dem eine Überwindung von Rassismus möglich sei. Hier
soll vielmehr auf die Subtilität und Spezifizität von »rassischen« und
rassistischen Diskursen über den Fußball hingearbeitet werden. Erstens
wird deutlich, dass über den Fußball soziokulturelle Wertvorgaben als
Ansprüche geäußert wurden, unter deren Einhaltung eine Inklusion mehr
oder weniger »geduldet« wurde und die einem, auch transnational formu-
lierten, Ideal eines
sportsman
entsprachen. Zweitens zeigt sich, dass Aus-
handlungen »rassischer« Identität und von Rassismus über den Fußballdis-
kurs in einen transnationalen »Rasse«-diskurs eingebettet waren. Das
ermöglichte eine grenzüberschreitende Verhandlung und auch Offenlegung
von Rassismus, zudem waren »schwarze Athleten« über die transnationale
Presse erstmals in einer als positiv wahrgenommen gesellschaftlichen Rolle
sichtbar.60Doch wurde dadurch auch ein körperlich bestimmtes Bild eines
»schwarzen Athleten« von Brasilien aus mitdefiniert.
Die Presse beklagte Ende der 1910er und zu Beginn der 1920er Jahre
den Wandel des
torcedor
(»Fan«) vom eleganten
sportsman
zum emotional
unbeherrschten und gewaltbereiten Anhänger, der die Regeln des Spiels
nicht beherrsche. Von diesem Wandel zeugen auch Karikaturen. Die Popu-
larisierung als Veränderung des
torcedor
(Bild 5), der nun in zerrissener
Kleidung, mit einem Knüppel statt Gehstock in der einen und einer
Schusswaffe in der anderen Hand zu allem bereit schien, wurde hier als
Wandel der »rassischen« Zusammensetzung der Zuschauer und Spieler
illustriert. In ihren Zeichnungen verbanden Karikaturisten »Schwarzsein«
mit Kriminalität und Gewalt und grenzten dagegen
sportsmen
als »weiß«
ab.
60
Vgl. K
EYS
,
Globalizing Sport
, S. 13-14.
137»Rasse«
137
Bild 5: Der Wandel des Publikums: Die Karikatur macht
die zunehmende Gewaltbereitschaft des Fußballpublikums
zum Thema, sie illustriert sie als »rassisches« Problem.
Quelle: »Torcida«,
Sport Illustrado
, Nr. 31,
3.5.1921, S. 6.
61
Zugleich wurden, wie schon weiter oben ausgeführt, in den 1920er-Jahren
Sportklubs und Verbände zunehmend als ein Netzwerk eingeschätzt, über
das sich leicht alle Teile der Bevölkerung für hygienische und erzieherische
Maßnahmen erreichen ließen und ebenjene Gewalt und damit in Verbin-
dung gebrachte Charakterisierungen, wie »Müßiggang« und eine allge-
meine »Dekadenz«, angegangen werden könnten. Auch erhielt Sport eine
patriotische Einschätzung und diese legte auch nahe, Afro-Brasilianer nicht
mehr von dem Projekt der einen
raça brasileira
auszuschließen. Wenn
Brasilien durch den Sport zum »gigantische[n] Eldorado« und zum »Heili-
gen Land« werden sollte, wie es ein Autor festhielt, dann gelte es in erster
Linie, die »Klasse von unnützen und effeminierten Jungen« zu schmälern.
Dieses gewandelte Körperbild in Kombination mit sozialreformerischen
Ideen schloss prinzipiell niemanden mehr von der angenommenen morali-
sierenden Kraft des Sports aus.62
Die Vergleiche zu England verwiesen auf eine als vorbildlich geltende
Erziehung und Durchdringung der englischen Gesellschaft durch Sport.
61
»So war ich… Und dann wurde ich so…«
62
Jonh (sic!) Brow, »Lutemos pelo sport«,
SSOI
, 21.5.1921.
138
138
»Rasse«
Auslandskorrespondenten sahen sie als unmittelbare Ursache für eine rela-
tive Gewaltlosigkeit bei den Ligaspielen in England. Nicht per se nahmen
die Hygieniker soziale Heterogenität als Ursache für Gewalt und »Deka-
denz« an: Dass in England schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine
Einteilung in eine Amateurliga und eine professionelle Liga existierte und
Fußball dort ein Arbeitersport war, war in Brasilien bekannt. Das Problem
sahen sie vielmehr in der »rassischen« Zusammensetzung der brasiliani-
schen Bevölkerung. Als Lösung sei eine Sporterziehung ähnlich wie die in
England einzuführen, dann gäbe es auch in Brasilien weniger Gewalt bei
den Spielen, sowohl die Spieler als auch das Publikum verhielten sich dann
»zivilisierter«. Denselben Vergleich stellten die Journalisten und Experten
auch mit den USA, Frankreich, Belgien, mit Argentinien und Uruguay
her.63
Nachdem im Mai 1919 die Brasilianer das
Campeonato Sul-Americano
in Rio de Janeiro gewonnen hatten, gab sich der brasilianische Dichter
Menotti Del Picchia hoffnungsvoll, dass auch Brasilien den Weg dieser
Vorbilder beschreiten könne. In einem triumphierenden, emphatischen Text
lobte der nationalistische und später der Modernismus-Bewegung São
Paulos angehörende Dichter den Fußball als eugenisches Instrument
schlechthin. Wie Joffre und andere Journalisten sprach er bezeichnender-
weise von einer einzigen »Rasse«. Damit entsprach er dem Zeitgeist, keine
sich voneinander unterscheidenden »Rassen« zu differenzieren:
Der Fußball, brutal und episch, war der Eugenisator der Rasse. Und des-
halb, und aus einem viel subtileren Grund, als der emotionale Applaus
des Kampfes hergibt, sollte dem virilisierenden Sport applaudiert wer-
den. Es ist das Geheimnis des Triumphes einer Nationalität, ein Volk
von Starken zu sein. Die ›Yankees‹ haben verstanden, dass dies die
Formel des Weltsieges ist. Zum Glück beginnt Brasilien dies zu verste-
hen. Jeca Tatu […] setzt seine übereinandergeschlagenen Beine in Be-
wegung und kommt vom Feld herunter. Langsam erweitern sich seine
genötigten Muskeln, die Brust, keuchend, wölbt sich […]. Der Fußballer
Jeca Tatu ist die Wiedergeburt des Vaterlandes.
64
Jeca Tatu
,
der stilisierte Hinterlandbewohner aus dem 1918 erschienenen
Roman des Schriftstellers Monteiro Lobato, tauchte in dem Diskurs um die
63
Vgl. Picchia, Menotti Del, »A Nossa Victoria«,
A Gazeta
, 30.5.1919; Vgl. »A
Olympiada de Anvers. A Participação dos Sportsmen Brasileiros, Chilenos, Argentinos
e Italianos«,
A Gazeta
, 8.1.1920.
64
Picchia, Menotti Del, »A Nossa Victoria«,
A Gazeta
, 30.5.1919.
139»Rasse«
139
»Zivilisierung« des Sportes wiederholt auf. Ihn stellten die Autoren dem
Idealtypus des »weißen« und »zivilisierten«
sportsman
gegenüber, als
Prototyp des noch nicht vom Sportenthusiasmus erfassten Hinterlandbe-
wohners Brasiliens und als ein Resultat der
miscigenação
, so Fátima
Antunes.65In einer späteren Ausgabe seines Buches habe Lobato ihn als
durch gezielte Hygieneprogramme veränderbaren und entwicklungsfähigen
Menschen dargestellt.66
Doch nicht nur Intellektuelle und Politiker maßen dem Sport eine so
hohe Bedeutung zu. Die sozialreformerische Botschaft kam auch bei
Sportenthusiasten im verzweigten Vereinsnetz und in den suburbanen
Klubs an. Das zeigen die Zuschriften, die die Sportteile der Tageszeitungen
und Zeitschriften in den 1920er-Jahren erhielten. Hier äußerten sich Leser,
wer Brasilien nach außen bei Sportveranstaltungen repräsentieren sollte.
Sie debattierten hier auch über die »rassische« Repräsentation Brasiliens
und über Rassismus im Fußball.
2.3. REZEPTION DERDISKURSE: DIEHIERARCHISIERUNG VON»RASSE«UNDNATION
Die Sportberichterstattung begriff in den 1910er- und 1920er-Jahren im
Kontext der Hygiene-Bewegung Spiele nicht nur als sportliche Ereignisse,
ihre Aufgabe sah sie als weit darüber hinausgehend: Regelmäßig erschie-
nen Berichte über den Zusammenhang von Hygiene und Sport, zwischen
Sport und Erziehung und ab dem Ersten Weltkrieg auch zwischen Krieg
und Sport. Fotos von Spielsituationen umrahmten Darreichungen zur Tech-
nik des Spiels. Spielergebnisse und Spielberichte waren eingebettet in
historische Abhandlungen zu seiner Herkunft, in Interviews mit Spielern, in
Kommentare von internationalen Korrespondenten oder in meinungsorien-
tierte Leitartikel. Von ursprünglich wenigen Spalten dehnte sich die Be-
richterstattung in den Tageszeitungen auf eine ganze Seite aus.67
65
A
NTUNES
, »Com brasileiro, não há quem possa!«, S. 33; Vgl. Leopoldo Sant’Anna,
»O Momento«,
A Gazeta
, 20.3.1920. Menotti Del Picchia verfasste, wahrscheinlich in
Reaktion auf Lobatos »Urupês«, das Gedicht »Juca Mulato«: Vgl. PICCHIA, Menotti
Del,
Juca Mulato
, São Paulo 1965. Siehe zur Begeisterung del Picchias für den Fußball
auch: HOLLANDA, Bernardo Borges Buarque de, Gols de Letra, in:
Nossa História
1,
abr. 2004, Nr. 6, S. 45-49, hier 47.
66
Vgl. A
NTUNES
, »Com brasileiro, não há quem possa!«, S. 22-28 ; B
ORGES
, »Puffy,
Ugly, Slothful and Inert«, S. 250 f.
67
Vgl. H
OLLANDA
,
O descobrimento do futebol
, insbes. S. 144-149; B
OTELHO
, Da
geral à tribuna, S. 328-330; BRUHNS,
Futebol, carnaval e capoeira
, S. 62.
140
140
»Rasse«
Die Ausdifferenzierung der Sportberichterstattung seit Mitte der ersten
Dekade des 20. Jahrhunderts umfasste auch Berichte über kleinere Klubs
aus der 2. Liga und Spiele in den Arbeitervierteln. Und an die Zeitungen,
so ist den Quellen zu entnehmen, schrieben zunehmend Leser, um sich zu
strittigen Themen zu Wort zu melden. In den meisten Fällen äußerten sie
sich in dieser entstehenden Öffentlichkeit zu Aufstellungen von Mann-
schaften für anstehende Lokalderbys oder überregionale und internationale
Begegnungen. Sie nahmen ein Team als eine Auswahl von Personen wahr,
die eine größere, als zusammengehörig gedachte Gruppe, wie die Stadt,
Region oder Nation, repräsentieren sollte. Entsprechend viel Konflikt- und
Diskussionspotenzial bot die Mannschaftsaufstellung für Journalisten und
Leser in einer Zeit, als in Brasilien die Fragen nach dem »Wer sind wir?«
und »Wer wollen wir sein?« hohe Bedeutung hatte. Die Leserbriefdebatten
zeigen, wie sich Rezipienten dieser seit der Mitte der ersten Dekade des 20.
Jahrhunderts umfangreichen und diversifizierten Presse in diese Diskurse
zur Repräsentation von Identität einschrieben, sie weiterführten oder ihnen
eine neue Richtung gaben.
Eine Debatte im Jahr 1918 über die Zulassung afro-brasilianischer Spie-
ler des suburbanen Klubs Argentino zur 2. Liga des lokalen Fußballverban-
des APEA in São Paulo verdeutlicht, wie Leser der Sportseiten und An-
hänger von nicht-elitären Fußballklubs »Rasse« und »brasilidade«
miteinander verbanden und wie sie »Rasse« und Nation hierarchisierten.
Die Leser lassen sich drei Gruppen zuordnen: Wenige waren Anti-
Rassisten, die eine kategorische Unterscheidung zwischen »Schwarzen«
und »Weißen« vollständig ablehnten und nicht mehr zwischen verschiede-
nen »Rassen« unterschieden, sondern alle als Brasilianer und
eine
»Rasse«
ansahen; einige vertraten die
embranquecimento
-Theorie, die ebenfalls von
einer einzigen brasilianischen »Rasse« ausging. Jedoch banden sie die
Zugehörigkeit an soziokulturelle Bedingungen, die Afro-Brasilianer erfül-
len sollten, um Teil dieser Einheit zu werden. Die dritte Gruppe forderte,
Afro-Brasilianer von »Weißen« zu segregieren.
In den 1910er-Jahren forderte der Fußballverein Argentino die Systema-
tik der bis dahin bestehenden »rassischen« und sozialen Exklusion im
Lokalverband heraus. Der Klub, der 1918 sein zehnjähriges Jubiläum feier-
te, bestand vornehmlich aus »Arbeiterjungen«, wie dem kurzen Bericht
über dieses Ereignis zu entnehmen ist.68Über die Zeitspanne von zehn
Jahren, so geht aus dem Bericht hervor, konnte er sich nur erhalten, weil
68
Vgl. »O anniversário do Argentino Football Club«,
A Gazeta
, 22.11.918.
141»Rasse«
141
einige »vornehme Personen« ihn finanziell unterstützen;69so der ehemalige
Fußballspieler und Ehrenvorsitzende des Klubs, Luiz Pannain, der gleich-
zeitig Ehrenvorsitzender in 47 weiteren Fußballvereinen, in 13 Tanzklubs
und Mitglied des C. A. Paulistano, des Internacional und Palestra Itália
war.70Pannain stammte aus der Paulistaner Elite und gehörte zur ersten
Generation Paulistaner Fußballspieler. 1905 begann er seine Karriere im
Sport Club Idéal und spielte dann für mehrere Eliteklubs der LPF in São
Paulo und später in Buenos Aires für den Verein Estudiantes. Im Jahr 1918
gehörte er schon zu den »Veteranen« des Paulistaner Fußballs.71
Pereira zufolge befanden sich in den suburbanen Klubs in Rio de Janeiro
immer einige Männer mit lokaler Reputation im Vorstand, um den Verei-
nen zum Beispiel vor der Polizei mehr Legitimität zu geben, die kleine
Fußballklubs, wie in Kapitel 1 ausgeführt, kriminalisierte.72Das galt
vermutlich auch für die
clubes de várzea
in São Paulo. Jedenfalls ist klar,
dass auch das Bestehen des Vereins Argentino an die Förderung durch
wohlmeinende Sportmäzene gebunden war. Selbstverständlich profitierten
beide Seiten davon, der Klub und der Förderer. Für Letzteren bedeutete die
Mitgliedschaft in möglichst vielen Vereinen Anerkennung und mitunter
auch Unterstützung bei Wahlen zu politischen Ämtern, so Pereira.73
Wie andere Arbeiterklubs spielte der Argentino eine wichtige Rolle für
die Entdeckung und Ausbildung talentierter Fußballspieler in den
várzeas
,
die dann später in Eliteklubs wechselten. Wahrscheinlich verdienten auch
einige seiner Spieler mit dem Fußball ihren Unterhalt. Leider befänden
sich, so schrieb der Sportjournalist zum Ende seines Artikels, Mannschaf-
ten des Klubs derzeit »im Niedergang«, das sei »gewissen Gesellschaften
unseres Vorortes geschuldet, die keine Scham haben und nicht die ›Gesetze
des Amateurtums‹ kennen.«74
Aus dem Bericht anlässlich des Jubiläums 1918 selbst geht nicht hervor,
welche Personen mit der Bezeichnung »gewisse Gesellschaften« gemeint
waren und damit für den Abstieg verantwortlich gemacht wurden. Doch
legt eine wenige Monate vorher entstandene Leserbriefdebatte nahe, dass
dies vor allem afro-brasilianische Spieler waren. Auf den Sportseiten von
A
69
Ebd.
70
Vgl. ebd.; »Campeões e Veteranos VII Dr. Luiz Alberto Pannain«,
A Gazeta
,
19.4.1918.
71
Vgl. »Campeões e Veteranos VII Dr. Luiz Alberto Pannain«,
A Gazeta
, 19.4.1918.
72Vgl. PEREIRA,
Footballmania
, S. 246-257.
73
Vgl. ebd.
74
»O anniversario do Argentino Football Club«,
A Gazeta
, 22.11.1918.
142
142
»Rasse«Gazeta
hatten mehrere Leser und Besucher der Spiele des Argentino heftig
über den moralischen Zustand des Klubs diskutiert – die Debatte drehte
sich um den geplanten Aufstieg des Klubs in die 2. Liga des lokalen
Verbandes und die Präsenz afro-brasilianischer Spieler in den Mannschaf-
ten des Klubs. Die Leser brachten den Niedergang des Fußballs und die
Präsenz afro-brasilianischer Spieler in einen Zusammenhang: Die
Multiethnizität lokaler Vorortklubs und die Popularisierung des Fußballs
bei nicht-elitären Bevölkerungsteilen mündete in eine Debatte über Inklu-
sion und Exklusion afro-brasilianischer Fußballspieler.
Die Leserbriefauseinandersetzung ist aus zwei Gründen wichtig für die
Beantwortung der übergeordneten Fragestellung dieser Arbeit: Erstens
bezogen sich die Leser in ihrer Wahrnehmung von Rassismus auf andere
Länder und zeigten ein Bewusstsein für den Fußball als eine kulturelle
Praxis in einem über die Nation hinausgehenden globalen Zusammenhang.
Zweitens wurde eine Debatte um »rassische« Identität geführt, in der Per-
sonen zu Wort kamen, deren Meinung ansonsten in den Quellen nicht vor-
zufinden ist. Sie ist ein seltenes Dokument historischer Rezeptions-
geschichte für den lokalen Fußball in São Paulo aus dieser Zeit. In der
Debatte bündeln sich Meinungen für und gegen die Inklusion afro-
brasilianischer Spieler in Fußballklubs in São Paulo und, allgemeiner, zum
Umgang der lokalen Gesellschaft mit ihrer Multiethnizität. Nicht klar ist,
ob und wie die Betroffenen, also afro-brasilianische Spieler selbst, diese
Diskriminierung wahrnahmen. Die Leser, die hier zu Wort kamen, waren
jedenfalls Teil einer alphabetisierten Schicht, die regelmäßig die Tages-
zeitung und den Sportteil las, die aber auch Fußballspiele in den Paulistaner
Vororten besuchte.75
Die Debatte umfasste insgesamt siebzehn Leserbriefe, die
A Gazeta
an
neun Tagen zwischen März und Mai 1918 veröffentlichte und die an diesen
Tagen einen großen Teil der tagesaktuellen Sportnachrichten ausmachten.
Die meisten Leserbriefe kommentierte die Redaktion einführend. Auf diese
Weise machte sie deutlich, dass sie rassistische Exklusion im Fußball nicht
billigte.76
75
Im Jahr 1920 waren laut June E. Hahner 64,5% der männlichen und 52,1% der
weiblichen Bevölkerung von São Paulo alphabetisiert: Vgl. HAHNER,
Poverty andPolitics
, S. 90. Spezifisch zur Sportpublizistik siehe: BOTELHO, Da geral à tribuna,
S. 323.
76
Die Zeitung
A Gazeta
stellte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zusammen mit
OEstado de São Paulo
in São Paulo eine der bedeutendsten Tageszeitungen mit einem
eigenen Sportteil dar: RIBEIRO,
Os donos do espectáculo
, S. 26.
143»Rasse«
143
Den Disput selbst löste der Brief eines Lesers im März 1918 aus. Er
schrieb, er sei »regelmäßiger Besucher« von Spielen der 2. Liga und habe
die Spiele der APEA im Stadion des
Parque Antârctica
besucht. Dort sah
er zu seiner Überraschung, »ein antretendes Team mit nicht weniger als
sieben schwarzen Spielern.«77Die Spieler seien zwar »vornehm« gewesen,
jedoch habe er den Statuten der APEA entnommen, dass »farbige Spieler
nicht an ihr angeschlossenen Mannschaften teilnehmen können.« Er argu-
mentierte weiter: Wenn die APEA die Aufnahme eines Teams mit
»schwarzen« Spielern in die 2. Liga gewährte, so bestünde sie in Kürze nur
noch aus Mannschaften mit afro-brasilianischen Spielern. Der Verband
verstoße damit gegen seine Regeln und würdige sich selbst herab. Der
Leser war für eine Segregation in Fußballklubs: Zwar seien »wir Weißen
nicht besser […] als einige Schwarze«, es habe aber »immer eine gewisse
Distinktion zwischen Schwarzen und Weißen« gegeben.
Tatsächlich knüpften lokale Elitevereine hohe Anforderungen an die
Aufnahme von Mitgliedern. Der erste Lokalverband São Paulos LPF verbot
die Teilnahme von »professionellen Spielern oder Spielern, die keine gute
Erziehung oder einen rechtschaffenen Beruf haben, sowie solche von
zweifelhafter Reputation.«78Obwohl schwammig, waren die von den Klubs
verwendeten Termini und Kategorien der Exklusion im historischen
Kontext relativ eindeutig gegen bestimmte Personengruppen gerichtet. Wie
schon weiter oben dargestellt, drückte sich in der pejorativen Bezeichnung
»vagabundo« (»Herumtreiber«) die seit dem 19. Jahrhundert bei brasiliani-
schen Eliten verbreitete
ideologia da vadiagem
aus.79Deshalb, und bestärkt
durch den Sozialdarwinismus und die kursierenden »Rassentheorien«,
förderten die Paulistaner Eliten die europäische Immigration.80Die ange-
führten negativen Eigenschaften dienten als Erklärung für die Rückstän-
digkeit ganzer Regionen und Landstriche.81
Auch in Rio de Janeiro unterschieden Sportklubs zwischen »vornehmen«
und »nicht-vornehmen« Personen. Entsprechend führten die ersten Fuß-
ballklubs in ihren Klauseln einen Absatz ein, die Mitglieder sollten einer
77
Vgl. »Os Players de Cor na A.P. de Sports Athleticos«,
A Gazeta
, 21.3.1918.
78
»Liga Paulista de Football«, 26.5.1915, Sociedade Civil nº 452, APESP.
79
Vgl. A
NDREWS
, Black and White Workers, S. 495; Vgl. auch: S
KIDMORE
,
Blackinto White
, S. 64.
80
Vgl. ebd.
81
Vgl. A
NDREWS
, Black and White Workers, S. 495; B
ORGES
, »Puffy, Ugly, Slothful
and Inert«; GREENFIELD, Gerald Michael, The Great Drought and Elite Discourse in
Imperial Brazil, in:
HAHR
27, 1992, Nr. 3, S. 375-400.
144
144
»Rasse«
nicht-manuellen Arbeit nachgehen.82Die »rassische« Ausgrenzung erfolgte
also nicht ausdrücklich, sondern indem die Klubs bestimmte Tätigkeiten
und Verhaltensweisen mit »Rasse« verbanden. Einzig der lokale Verband
Liga Metropolitana
in Rio de Janeiro schloss im Jahr 1907 ausdrücklich
Afro-Brasilianer über die Statuten aus, zumindest von den Spielen in der
ersten Liga.83Die These, es habe einen weniger starken Rassismus im
frühen Fußball in São Paulo gegeben, ist vermutlich deshalb entstanden,
weil es in Rio de Janeiro im Gegensatz zu São Paulo von 1907 bis 1915
eine explizite Exklusion von Afro-Brasilianern aus einem Verband gab,
während sie in São Paulo indirekt über soziale Ausgrenzung erfolgte.84
Der genannte Brief löste eine hitzige Debatte aus, in der sich Fußballan-
hänger der Spiele der 2. Liga, Luiz Pannain und die Zeitungsredaktion
äußerten. Die Leser waren verunsichert, ob die Statuten die Aufnahme
afro-brasilianischer Spieler verboten. Einer der Leser war dieser Meinung,
fragte jedoch auch: »Hat ein brasilianischer schwarzer Brasilianer, Sohn
von Brasilianern, nicht das Recht zu wählen, ein öffentliches Amt auszu-
üben, Senator etc. zu sein? Ich glaube schon.«85Folglich dürfe ein über
staatsbürgerliche Rechte definierter Brasilianer auch an offiziellen Fußball-
spielen teilnehmen. Afro-Brasilianer hätten dazu sogar mehr Recht als
nicht-brasilianische Fußballspieler, denn
[w]enn an offiziellen Spielen ausländische Spieler teilnehmen können,
ohne auch nur naturalisiert zu sein, dann, glaube ich, hat ein Brasilianer
(auch wenn er schwarz ist, von schwarzer Farbe, aber weiß in seinen
Handlungen) mehr Recht dazu. [...] In Uruguay, wo, es ist unvermeidlich
dies zu bekennen, der Sport entwickelter ist als in unseren Breiten, ist
82
Vgl. P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 62 f. (für den Klub Botafogo) und 66 (für den
Lokalverband
Liga Metropolitana
). Um diese Klauseln zu umgehen, gründeten Arbeiter
eigene Klubs in den Vororten: Vgl. hierzu ebd. und Kapitel 1.3 und 1.5 der vorliegen-
den Arbeit.
83
P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 66.
84
Vgl. ebd., S. 66-115.
85
»Os players de côr nos jogos da A.P.S. A. - Considerações sensatas de um leitor da
›Gazeta‹«,
A Gazeta
, 23.3.1918. Es ist im Übrigen bemerkenswert, dass bis in die
1920er-Jahre hinein anscheinend, so legen es Auswertungen des Historikers Jerry
Dávila nahe, aus ärmeren Verhältnissen stammende Afro-Brasilianer zum Beispiel als
Lehrer an Primarschulen sehr stark präsent waren, während ihre Präsenz im Zuge einer
sozialpolitisch gedachten Eugenik in den 1940er stark abnahm: Vgl. DÁVILA,
Diplomade brancura
, S. 149-162.
145»Rasse«
145
die Aufnahme schwarzer Spieler erlaubt. Als Beispiel dient uns der her-
vorragende Gradín (el negrito), der unserem Publikum wohlbekannt ist.86
Der Leser nahm eine Abstufung vor zwischen Afro-Brasilianern und
Immigranten oder importierten Spielern aus Argentinien und Uruguay, die
dank eines internationalen Transfersystems zu der Zeit schon in Paulistaner
Vereinen vertreten waren. Als Vorbild diente das als fortschrittlich bewer-
tete Uruguay, wo afro-uruguayische Spieler in der Nationalmannschaft
spielten. Die Aufnahme afro-brasilianischer Spieler, so der Leser weiter,
bedeute einen Vorteil für die Mannschaften, es gäbe in Brasilien einige
»Romanos und Orlandos«, womit er sich auf zwei weitere erfolgreiche
afro-uruguayische Spieler bezog, die die bestehenden Teams verstärken
könnten. Isabelino Gradín, Ángel Romano und Orlando spielten beim
Campeonato Sul-Americano
1917 in der uruguayischen Nationalmann-
schaft und waren auch in Rio de Janeiro und São Paulo durch die Fußball-
internationalisierung in Südamerika bekannt geworden.87Die an ihrem
Beispiel geführte anti-rassistische Argumentation dieses Lesers, seine
Befürwortung einer Inklusion afro-brasilianischer Spieler in lokale Mann-
schaften macht deutlich: Lokale Fußballenthusiasten begriffen den Fußball
als eine Möglichkeit, Anti-Rassismus transnational zu diskutieren. Die
Bezüge auf Uruguay als ein Land, in dem keine »rassischen« Vorurteile
bestünden – ob das nun der Wahrheit entsprach oder nicht – dienten dem
Leser dazu, lokalen Rassismus zu benennen und anzugreifen.88Sportjour-
nalisten bezogen sich, wie der Leser hier, auf Uruguay immer als Land, das
in sportlicher Entwicklung der »zivilisierten Welt« zugehörte – ein Status,
den Brasilien noch erreichen wollte.
Der Leser verband die beiden Diskurse »Zivilisiertheit« und Abwesen-
heit von
preconceito de côr
(wörtlich: »Farbvorurteil«) und definierte Anti-
Rassismus als eine Eigenschaft sportlich »zivilisierter Länder«. Er nahm
nicht wahr, dass in Uruguay die Inklusion afro-uruguayischer Spieler nicht
gleichbedeutend war mit Abwesenheit rassistischer Diskriminierung. Arti-
kel aus uruguayischen Zeitungen belegen das Gegenteil: Journalisten
schrieben Spielern, wie Isabelino Gradín und José Leandro Andrade,
spezifische Eigenschaften zu und trugen damit zu einer »rassischen« Kon-
86
»Os players de côr nos jogos da A.P.S. A. - Considerações sensatas de um leitor da
›Gazeta‹«,
A Gazeta
, 23.3.1918.
87
Vgl. P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 174.
88
Zu Rassismus gegen Afro-Uruguayer in Uruguay: Vgl. A
NDREWS
, George Reid,
Blackness in the White Nation: A History of Afro-Uruguay
, Chapel Hill, 2010.
146
146
»Rasse«
struktion des »schwarzen Athleten« im Sinne Carringtons bei.89Auch die
brasilianischen Zeitungen waren teilweise sehr eindeutig in der Zuschrei-
bung von Eigenschaften, die »rassisch« determiniert seien, an afro-
uruguayische Spieler und übernahmen die pejorativen Bezeichnungen aus
der uruguayischen Presse, wie zum Beispiel »el negrito« [»Das Negerlein«]
für Gradín oder »a maravilha negra« [»das schwarze Wunder«] für
Andrade.90
Ein weiterer Leser mit dem Namen Faria ordnete den Fußball und die
Kategorie »Rasse« in einen Weltkontext ein. Unabhängig vom Inhalt der
Statuten hätten »Schwarze« als Brasilianer das Recht, an einem Fußball-
turnier teilzunehmen, wie dies in der ganzen Welt der Fall sei.91Fußball,
der als global verbreiteter Sport empfunden wurde, bot scheinbar eine
Möglichkeit zu vergleichen, wie in anderen Ländern mit »rassischer«
Differenz umgegangen wurde. Hier drückt sich ein Empfinden für Globa-
lität aus, das die Sportpresse durch ihre Vergleichsmöglichkeiten förderte.
Zugleich drückten die Leser aber auch aus, dass sie ethnische Differenz,
Multiethnizität und Fragen nach »rassischer« Identität im Verhältnis zu
nationaler Identität als spezifisch brasilianisches Problem wahrnahmen.92
Die Inklusion von Afro-Brasilianern in Fußballklubs der Elite geschah
zu einem Zeitpunkt, als der bereits ausgeführte Diskurswandel in der Frage
89
Vgl. etwa »Las Langostas de Gradín y los sillones de los consejeros«,
El Gráfico
Nr. 498, 19.1.1929.
90
Vgl. »Campeões Uruguayos«,
Vida Sportiva
, Anno II, Nr. 62, 2.11.1918;
»Gradín«,
Vida Sportiva
, 16.8.1919, Nr 103;
Vida Sportiva
, Nr. 105, 30.8.1919, »Uma
torcida negra«,
O Imparcial
, S. 3, 7.5.1919; »Manteiga estrangeira«,
SSOI
, Nr. 10,
7.5.1921.
91
Vgl. »Ainda sobre a questão que está sendo debatida nesta folha, por alguns dos
nossos leitores, relativamente à inclusão de players de côr em clubs que concorreram às
vagas abertas na 2ª. divisão da A. P. de S.A., recebemos as seguintes cartas, pró e
contra:«,
A Gazeta
, 1.4.1918.
92
Natürlich betraf die Frage nach Inklusion und Multiethnizität im Fußball nicht
Brasilien alleine. Vor allem in Ländern mit einem »bi-rassischen« Gesellschaftssystem,
wie Südafrika und USA, spielte Sport für die Materialisierung von »Rasse«-Kategorien
eine große Rolle und die Frage nach Inklusion des »schwarzen« Bevölkerungsteils
wurde dort immer wieder aufgeworfen, weil »schwarze« Athleten besonders erfolgreich
waren bzw. als solche konstruiert wurden. In anderen außereuropäischen Regionen hatte
Sport eine hohe Bedeutung im Kontext kolonialer Herrschaft und Machtstrukturen. Die
Machthaber nutzten Sport zur Verbreitung kolonialer Werte und Ordnung, Sport wurde
aber auch bedeutend für anti-kolonialen Widerstand und subalterne Formen des Aus-
drucks: Vgl. für Afrika: ALEGI, Peter,
African Soccerscapes: How a Continent Changedthe World's Game
, London 2010; DOMINGOS, Nuno, Football and Colonialism, Domi-
nation and Approbiation: The Mozambican Case, in:
Soccer & Society
8, 2007, Nr. 4,
S. 478-494. Vgl. auch: CARRINGTON,
Race, Sport and Politics
.
147»Rasse«
147
der »Rassenbeziehungen« bei brasilianischen und lateinamerikanischen
Eliten insgesamt stattfand. Auch wenn die 1920er-Jahre noch sehr stark
von der Idee des
embranquecimento
und der eugenischen Beseitigung
gewisser, einer »Rasse« zugeschriebenen Eigenschaften bestimmt waren,
bestätigen internationale Erfolge schon in dieser Zeit eine Stilbildung, die
sich auf eine »Rassenmischung« zurückführen ließ.93Es ist anzunehmen,
dass diese vermeintlich determinierten Eigenschaften gar nicht verloren
gehen sollten. Denn je erfolgreicher Brasilien dank afro-brasilianischer
Sportler im internationalen Sport war, um so mehr hoben Eliten auf Eigen-
schaften ab, die vermeintlich »rassisch« determiniert waren, wie eine be-
sondere »Beweglichkeit« und »Animalität« afro-lateinamerikanischer
Männer.94
Die meisten Leser der Auseinandersetzung allerdings erwarteten ein
embranquecimento
als Zugangsvoraussetzung zum Fußball: Sportlichkeit
definierten sie als »weißes« Handeln. Über die Aneignung dieses »weißen«
Habitus war eine Zugehörigkeit zu einer Sportgemeinschaft möglich, die
ihre Mitglieder nicht mehr nach »rassischen«, sondern nach sozialen
Kategorien auswählte. Auch der Redakteur der Zeitung
A Gazeta
befand,
im Sport »darf es keine Vorurteile gegen die Hautfarbe, noch die Rasse
oder die sozialen Verhältnisse« geben.95Von den Spielern zu erwarten
seien allerdings »gute Erziehung, Anstand, Respekt gegenüber der Autori-
tät, gegenüber allen letztlich.«96Auch in dieser Äußerung war angelegt,
dass zum Sport nur Personen mit zuvor als »weiß« und elitär definierten
Eigenschaften Zugang hätten.
Dies bestätigte expliziter der Leser Archimedes Pereira dos Santos: Er
argumentierte, »weiße« Spieler würden nicht »schwarz«, wenn sie mit
»schwarzen« Spielern zusammen spielten. Die Spieler, auf die sich die
anderen Briefe bezögen, seien wohlerzogen und Angehörige der »hohen
Gesellschaft«, zu der er selbst gehöre, schätzten sie: »Ihr einziger Mangel
ist, dass sie schwarz sind.« Auch er definierte »schwarz« als eine veränder-
liche Kategorie, die Hautfarbe als ein Kontinuum. Auch dos Santos sah
einen Zusammenhang zwischen sozialem Status und Hautfarbe. So habe es
in der nicht mehr existierenden Eliteliga LPF durchaus »schwarze Spieler«
gegeben, doch habe sich niemand beschwert, da sie reich waren.
93
Zum
embranquecimento
: Vgl. S
KIDMORE
,
Black into White
, S. 64-69.
94
Siehe Kapitel 4.1.2 und 4.2.1.
95
»Os players de côr«,
A Gazeta
, 25.3.1918.
96
Ebd.
148
148
»Rasse«
Der Leser Faria hingegen, der weiter oben definierten Gruppe von Anti-
Rassisten zuzurechnen, entlarvte genau diese Art des Rassismus im Pau-
listaner Fußball. Er konstatierte, es gäbe eine Verbindung von Reichtum
und Aufstiegsmöglichkeiten. Die Diskriminierung von Afro-Brasilianern
beruhe auf sozialen Kategorien. Er führte dies auf eine lokale gesellschaft-
liche Situation zurück – in São Paulo regierten Luxus und Eitelkeit. Die
afro-brasilianischen Spieler hingegen seien »armes Arbeitervolk« und die
Elite grenze sie sozial aus.97Anders sei dies in Rio de Janeiro, wo es in dem
Lokalverband
Liga Metropolitana
Spieler gebe, die so akzeptiert würden,
»als seien sie Söhne reicher Familien und weißer Hautfarbe […]«.
Insgesamt hob Faria hervor, die Teilnahme in São Paulo hänge von Reich-
tum und sozialem Status und weniger von der Hautfarbe ab.
Deutlich wird an den Äußerungen auch erneut, wie sehr Sport als
Disziplinierungs- und Moralisierungsinstrument gesehen wurde gegenüber
Personen, denen brasilianische Eliten im Sinne der
ideologia da vadiagem
Undiszipliniertheit und Verantwortungslosigkeit zuschrieben.
Einen ähnlichen in diesen Diskurs einzuordnenden Fall von Rassismus
kommentierte die Sportpresse in Rio de Janeiro und São Paulo im Novem-
ber 1918. Angeblich hatte für ein interregionales Spiel in der 2. Liga ein
Klub aus Campinas in São Paulo einige afro-brasilianische Spieler nicht
aufgestellt, »weil diese nicht mit ›heller Haut‹ geboren wurden«, wie die
Zeitschrift
Vida Sportiva
auseinandersetzte. Der Autor Fradique Mendes
zitierte die Kritik des Paulistaner
Estadinho
und kommentierte:
Diese Sache, die Mannschaft nicht ›färben‹ zu wollen, ist ein banales
Vorurteil. Wie bei der Auswahl, die die Liga Metropolitana repräsen-
tierte, in der der Kapitän Monteiro, ohne Zweifel der beste Mann des
Carioca-Teams, nicht gerade von der Farbe des Tagesanbruchs ist, was
ihn nicht daran hindert, ein überaus vornehmer Junge zu sein, der jeden
Respekt verdient, so dass man ihn sogar zum Kapitän des Teams seiner
Stadt ernannte. Ohne mal von den anderen Mitgliedern des Carioca-
Teams zu sprechen. Wir stimmen völlig mit dem Estadinho überein,
denn, vorausgesetzt das ›dunkle‹ Mitglied hat die notwendige sportliche
Erziehung, so kann man ihm in einem demokratischen Land wie dem
unseren nicht das Recht absprechen, die Einheit zu repräsentieren, der er
97
»Ainda sobre a questão que está sendo debatida nesta folha, por alguns dos nosso
leitores, relativamente à inclusão de players de côr em clubs que concorreram às vagas
abertas na 2ª. divisão da A.P. de S.A., recebemos as seguintes cartas, pró e contra:«,
A Gazeta
, 1.4.1918.
149»Rasse«
149
angehört. Die Männer erkennen sich nicht auf Grund der Farbe an, son-
dern auf Grund der Verhaltensweise.98
Auch hier wird deutlich, dass ein spezifischer Rassismus wirkte, der sich in
der eigenen Wahrnehmung weniger auf die Hautfarbe bezog – entspre-
chend war auch immer von
preconceito de côr
die Rede – als auf
charakterliche Eigenschaften und sozialen Status. Darüberhinaus macht
auch diese Quelle deutlich, wie sehr Fußballvereinen selbst die Funktion
zugesprochen wurde, diese Eigenschaften zu unterrichten und somit sozia-
len Aufstieg zu ermöglichen. Die Autoren setzten Fußballvereine mit allen
anderen gesellschaftlichen und öffentlichen Institutionen gleich.
Diese Ansicht vertrat auch Luiz Pannain als Ehrenvorsitzender des Ar-
gentino: Die Statuten der APEA schlössen ihm zufolge afro-brasilianische
Spieler nicht per se aus, sondern professionelle Spieler oder solche Spieler,
die »keine gute Erziehung und keinen ehrlichen Beruf« hätten.99Später
äußerte er erneut, »Rasse« dürfe keine Bedeutung im Sport haben, ebenso
wenig Nationalität, Armut und Reichtum.100Aus diesem Grunde führe der
Verband Untersuchungen durch und nähme schon eine Vorauswahl nach
den oben genannten Kriterien vor. Es gebe demnach keinen Grund, diese
Spieler nicht in die 2. Liga aufzunehmen. Um seine Argumentation zu
stützen, führte er den Fall des italienischen Einwandererklubs Palestra
Itália an, dem er selbst angehörte.101Auch gegen ihn hätten vor seiner Auf-
nahme in den Lokalverband Vorurteile bestanden und er sei nun einer der
erfolgreichsten Vereine in der Liga.
Tatsächlich bestanden auf Seiten der Elitevereine anfangs Vorurteile ge-
gen den Einwandererklub. Dass der Verband ihn trotzdem gerne aufnahm,
lag, so argumentiert der Historiker Gregg Bocketti, an der starken »Euro-
philie« der Paulistaner Elite in der Ersten Republik und vermutlich auch an
dem eher elitären Profil des Vereins, der aus Angehörigen der italienischen
Mittelschicht und Unternehmern bestand.102Auch für Pannain mag die
soziale Herkunft von Spielern ausschlaggebend gewesen sein.
98
Mendes, Fradique, »Campinas não ›colorio‹ seu scratch e ... perdeu para o de São
Paulo«,
Vida Sportiva
, 30.11.1918.
99
»Os players de côr«,
A Gazeta
, 25.3.1918.
100
Vgl. »Football. Os players de côr«,
A Gazeta
, 2.4.1918.
101
»Os players de côr«,
A Gazeta
, 25.3.1918. Im August 1914 gründeten italienische
Immigranten und Söhne italienischer Einwanderer den Sportverein Palestra Itália, ein
Jahr später wurde er in den Lokalverband aufgenommen, Vgl. »Palestra Italia: Socie-
dade Palestra Italia«, 15.12.1914, Sociedade Civil nº 440 A, APESP.
102
B
OCKETTI
, Italian Immigrants, S. 282 f. Siehe auch A
RAÚJO
,
Imigração e futebol
,
S. 131-143; LEITELOPES, Classe, etnicidade e cor, S. 141 f. Bocketti meint, der
150
150
»Rasse«
Ebenso bezog sich Pannain positiv auf Argentinien, Uruguay und Rio de
Janeiro, wo es üblich sei, afro-lateinamerikanische Spieler in der ersten
Liga spielen zu lassen. Im Vergleich zwischen Rio de Janeiro und São
Paulo kam er zu dem Schluss, Rassismus im Fußball spiele in Rio de
Janeiro eine geringere Rolle. Wie er, nahmen mehrere Leser die Debatte
zum Anlass, auch innerhalb Brasiliens Vergleiche anzustellen – hier
zwischen Rio de Janeiro und São Paulo. Einer bemerkte, selbst in Rio habe
die Eliteliga einen Spieler nicht aufgenommen, der zwar kein »Hemetério
Lopes«103gewesen sei, der aber »weit davon entfernt [war] mit einem rei-
nen Sohn des edlen Albion verwechselt zu werden.«104
Bis hierher widerlegt der Verlauf der Leserbriefdebatte die Annahme, in
São Paulo habe rassistische Exklusion von Afro-Brasilianern eine geringere
Rolle gespielt als ethnische Exklusion von Immigranten.105Sie zeigt ein
differenzierteres Bild: Selbst im
futebol de várzea
waren rassistische
Vorurteile weit verbreitet. Elitenangehörige, aber auch Fußballenthusiasten,
die vermutlich nicht zur lokalen Oberschicht gehörten, sahen Fußballver-
eine als eine gesellschaftliche Institution, in der ein
embranquecimento
stattfinden könne.106Möglicherweise sahen auch Afro-Brasilianer Fußball
als einen »Assimilationspfad« an, der sozialen Aufstieg brächte.107Damit
hätten Fußballvereine eine ähnliche Funktion eingenommen wie andere
afro-brasilianische Vereine und afro-brasilianische Medien dieser Zeit.
Kim Butler sieht die zu dieser Zeit in São Paulo entstandenen Klubs und
Zeitungen als Ort, an denen Afro-Brasilianer »etablierte soziokulturelle
Standards« erlernten und sich aneigneten.108Auf das Verständnis der Ver-
eine als »Assimilationspfad« verweisen auch Äußerungen afro-brasiliani-
scher Spieler, wie zum Beispiel
Manteigas
, der weiter unten behandelt
ebenfalls nach europäischem Vorbild gegründete Klub Corinthians habe eher aus
Arbeitern aus den
várzeas
und Vororten São Paulos bestanden, die keine Europäer
waren.
103
Es ist unklar, auf wen sich der Autor hier bezieht; vermutlich aber auf einen oder
mehrere bekannte Afro-Brasilianer der Zeit der Ersten Republik, wie Hemetério dos
Santos und Monteiro Lopes: Vgl. DANTAS, Carolina Vianna, Monteiro Lopes (1867-
1910), um »líder da raça negra« na capital da república, in:
Afro-Ásia
, 2010, Nr. 41,
S. 167-209, hier 173, Fußnote 23.
104
»Football. Os players de côr«,
A Gazeta
, 26.3.1918.
105
Vgl. L
EITE
L
OPES
, Classe, etnicidade e cor.
106
Vgl. B
UTLER
,
Freedoms Given
, S. 82 f. Siehe zu afro-brasilianischen Klubgrün-
dungen auch: ANDREWS, George Reid,
Afro-Latin-America 1800-2000
, Oxford 2004,
S. 126.
107
B
UTLER
,
Freedoms Given
, S. 96
.
108
Ebd.
151»Rasse«
151
wird, oder auch Beispiele von afro-brasilianischen Klubgründungen in
anderen Städten aus dieser Zeit, so in Porto Alegre.109
Wie stark Rassismus im lokalen Fußball São Paulos in der zweiten und
auch ersten Liga verbreitet war, zeigt auch ein Brief des Lesers Jaques
Cordovil. Er meinte, die Statuten schlössen keine Spieler aus, allerdings
verursache »die Aufnahme dieser Spieler einen schlechten Eindruck in den
wenigen Familien, die unsere Plätze frequentieren.«110Fans beleidigten
afro-brasilianische Spieler wegen ihrer Hautfarbe mit Bezeichnungen wie
»tisiu, macaco, tição«. »Macaco« (Affe), »tição« (Asche) und »tiziu«
(Kohle) waren verbreitete pejorative Bezeichnungen afro-brasilianischer
Menschen, die den changierenden Farbwahrnehmungen und Aushand-
lungen von »Rasse«-Kategorien in Brasilien entsprachen.111
Der Leser Cordovil befürchtete, die Präsenz afro-brasilianischer Spieler
könnte schlimmstenfalls Gewalt auslösen und zu einer Konfrontation zwi-
schen »schwarzen« und »weißen« Fans führen, auch wenn die Spieler
»vornehm« (»distinctos«) seien: »Und die schwarzen Fans? Diese, die
selbstverständlich beleidigt sein werden angesichts der ›Freundlichkeiten‹,
die man ihresgleichen an den Kopf wirft, werden Anlass geben, dass die
Polizei aus ihrer gewohnten Starre ausbricht.«112Schon beim letzten Spiel
zwischen Rio de Janeiro und São Paulo hätte das lokale Publikum in São
Paulo die »schwarzen« Spieler der gegnerischen Mannschaft beschimpft,
da diese aber glücklicherweise eine Niederlage erlitt, sei die Situation nicht
eskaliert.113Cordovils Brief weist für die Zeit typische Argumentations-
muster auf, wenn er den Afro-Brasilianern selbst die Schuld an ihrer Aus-
grenzung und Diskriminierung gibt. Dieses Muster findet sich auch bei
109
Der Kulturgeograf Gilmar Mascarenhas schrieb diese Funktion den Fußballklubs
in der in den 1920er-Jahren sehr stark »rassisch« segregierten Stadt Porto Alegre zu.
Dort hätten sich aufstiegswillige »Mulatten«, die beruflich in Kontakt mit »Weißen«
standen, in den von ihnen gegründeten Klubs einem
embranquecimento
unterworfen:
Vgl. MASCARENHAS, O futebol da »canela preta«, S. 154.
110
»Os Players de Cor – Ainda a proposito dos players de côr que jogam nos clubs
que concorrem aos logares creados na 2ª. Divisao da A. P. S.A. Recebemos a seguinte
carta«,
A Gazeta
, 23.3.1918.
111
In der elitären Sportberichterstattung finden sich immer wieder ähnliche Bezeich-
nungen, so beschimpfte zum Beispiel in einer Erzählung in der Zeitschrift
Vida Sportiva
die Menge eine afro-brasilianische Fußballanhängerin als »Macacão« (»Riesenaffe«),
aus anderen Berichten ging hervor, wie Fans den Spielern der gegnerischen Mannschaft
zuriefen: »Spiel doch mit den Schwarzen«: Vgl. »Futibó«,
Vida Sportiva
, Nr. 57,
21.9.1918, S. 1; »Público«,
SSOI
, 13.8.1921.
112
»Os players de cor«,
A Gazeta
, 23.3.1918.
113
Vgl. ebd.
152
152
»Rasse«
afro-brasilianischen Eliten selbst, die sich ab 1915 in eigenen Zeitungen
artikulierten, wie Kim Butler belegt. Darin gaben sie ihr zufolge sich selbst
die Schuld an ihrer Ausgrenzung und individualisierten auf diese Weise das
Problem. Als Lösung sollten sie »weiße« kulturelle Eigenschaften erlernen
und versuchen, sozial aufzusteigen. Lange Zeit habe dieses Denken der
Formierung einer afro-brasilianischen emanzipatorischen Bewegung entge-
gengestanden.114
Neben den moralisierenden Appellen fanden sich in der Leserbriefde-
batte auch Beispiele für eine Materialisierung von »Rasse« über den Fuß-
ball. Eine Leserin schickte eine Zuschrift, in der sie ebenfalls den afro-
brasilianischen Spielern selbst die Schuld an ihrer Ausgrenzung zuwies.
Anstatt sich angegriffen zu fühlen, sollten die Spieler »de côr« bestimmte
Verhaltensweisen vermeiden und »versuchen zu beweisen, dass sie die
Fähigkeit besitzen, moralisch und sozial mit den erhabenen Veteranen der
Paulicéa [verbreitete Bezeichnung für São Paulo, d. Verf.] mitzuhalten.«115
Von größerer Bedeutung sei aber, dass die Spieler »de côr« insgesamt
»stärker und agiler« seien. »Weiße« Spieler fürchteten den Verlust ihres, in
den Augen der Leserin, wohlverdienten Prestiges durch Niederlagen gegen
die körperlich überlegenen »Schwarzen«. Die Leserin drückte hier determi-
nistische Annahmen über eine besondere körperliche Verfassung »schwar-
zer« Spieler aus, die einmal mehr illustrieren, dass es weit mehr als aus-
schließlich sozio-ökonomisch begründete Vorurteile waren, die afro-
brasilianischen Spielern im frühen brasilianischen Fußball begegneten.
Ähnlich rassistisch sprach sich der Leser Amoroso Berga gegen die Auf-
nahme afro-brasilianischer Spieler in die APEA aus. Er berief sich auf
seine Erfahrungen während Spielen zwischen den Zweitligisten União
Brasil und União Lapa und zwischen Argentino und dem italienischen
Immigrantenklub Pró-Vercelli
.
Er habe dort Fußballanhänger »de côr«
(»farbig«) gewalttätig und »bis unter die Zähne bewaffnet« erlebt. Die
Polizei habe eingreifen müssen und die Spiele frühzeitig beendet.
»Schwarze« fügten den Spielen Schaden zu, umso mehr da Frauen fern-
blieben, die ansonsten immer zum »Glanz« der Sportfeste beigetragen
hätten. Er habe kein Verständnis dafür, wie Pannain so emphatisch den
Klub Argentino verteidigen könne, denn sein Zutritt zur zweiten Liga be-
deute, dass auch »Nachkommen von Afrikanern oder gar afrikanische
114
B
UTLER
,
Freedoms Given
, S. 94. Vgl. auch A
NDREWS
,
Negros e brancos
,
S. 203-218.
115
»Football. Os players de côr«,
A Gazeta
, 5.5.1918.
153»Rasse«
153
Staatsbürger« in der ersten Liga spielen könnten.116Berga unterschied
»Schwarze« von »Weißen« also auch über ihre Herkunft, sie waren nicht
selbstverständlich brasilianischer Staatsangehörigkeit.
Der Leser Brenno Brasiliense war in diesem Punkt ganz anderer Mei-
nung: Er setzte in seinem Beitrag »Rasse« und »brasilidade« zueinander in
Beziehung. Brasiliense, der sich schon öfter beschwert hatte, war empört
über den Verlauf der Debatte: »[E]s müssen mit mir alle echten Brasilianer
der Meinung sein«, dass es keinen Grund gebe, die »schwarze Rasse«
herabzuwürdigen. Sie seien »schwarze Brasilianer«, alle gehörten zu einer
Nation.117Er betonte ihren Beitrag in der Geschichte Brasiliens, die Nation
gründe ihre Stärke unter anderem auf Heroen und »wahre Sterne, die von
der schwarzen Rasse abstammen.«118Gleichzeitig argumentierte Brasiliense
binär, indem er zwischen »uns«, den »Weißen«, und einer »demütigen
Rasse« unterschied: »Lasst uns die wahren Brasilianer vereinen, mein
lieber Redakteur, geben wir der unterworfenen Rasse einen starken Arm,
die dieselben Rechte genießen wollen und sollen wie wir, rufen wir sie auf,
damit sie mit uns auf den Sportplätzen ihre Muskeln trainieren und ihren
Charakter veredeln […].«119Brasiliense sah die Möglichkeit, dass Afro-
Brasilianer über den Sport ihrem historischen Erbe der Unterwerfung ent-
kommen und später das Vaterland durch sportliche Leistung ehren könnten
wie ein »Weißer«.
Auch Pannain drückte seine nationalistische Auffassung von Sport und
vor allem seinen Glauben an Sport als ein Mittel zur eugenischen Verbesse-
rung der Bevölkerung Brasiliens aus. Sport sei
eine unumstößliche Notwendigkeit, die das Land ohne Unterscheidung
der Rasse beansprucht. Und der Fortschritt der Völker kann nicht er-
reicht und nicht einmal vorgestellt werden ohne die Unterstützung der
Kraft, die den Jungen in den Übungen ihrer Leibeserziehung militärische
Disziplin gibt, denn genau von der Liebe und Brüderlichkeit dieser in
116
»Ainda sobre a questão que está sendo debatida nesta folha, por alguns dos nossos
leitores, relativamente à inclusão de players de côr em clubs que concorreram às vagas
abertas na 2ª. divisão da A. P. de S.A., recebemos as seguintes cartas, pró e contra:«,
A Gazeta
, 1.4.1918.
117
»Football. Os players de côr«,
A Gazeta
, 26.3.1918. Zwischen Cordovil und
Brasiliense entstand ein regelrechter Streit, vermutlich kannten sich beide. In den Brie-
fen meinte Cordovil Brasiliense als Elitevertreter zu entlarven, der vermutlich selbst
»schwarze« Hausangestellte beschäftige, die ihn mit »›schwarzen‹ Ideen« beeinflusst
haben könnten.
118
Ebd.
119
Ebd.
154
154
»Rasse«
den Sportvereinen Eingeweihten hängt die Vergrößerung unserer Heimat
ab.120
Pannain betrachtete Hautfarbe als sozial und charakterlich determiniert und
damit veränderbar. Eine »Aufhellung« sei gezielt durch sportlichen Habitus
herbeizuführen, durch die, wie er später in seinem Brief ausführte, Soziali-
sierung in Sportvereinen. Sport könne zu einer Herausbildung eines homo-
genen brasilianischen »Volkes«, ja einer »Rasse« führen.
An dieser Stelle ist noch einmal darauf hinzuweisen, auf welche Weise
der Erste Weltkrieg die Sichtweise der »Rassenfrage« bei brasilianischen
Eliten wandelte, insbesondere der Kriegseintritt Brasiliens im Jahr 1917.
Die Verbindung von Eugenik, Patriotismus und Wehrbereitschaft war
kennzeichnend für eine Politik, die sich jetzt um generelle Mobilisierung
und Ausbau und Stärkung des Militärs drehte.121Der Widerhall in den
Sportzeitschriften war groß. Journalisten und Wissenschaftler priesen in
Zeitschriften und Sportteilen der großen Tageszeitungen Sport als Mög-
lichkeit der Regeneration und zugleich als Vorbereitung auf den Kriegs-
dienst. Die elitäre, nationalpatriotische und frankophile Sportzeitschrift
Vida Sportiva
aus Rio de Janeiro zum Beispiel widmete eine ganze Serie
der deutschen Vorbereitung des Ersten Weltkrieges durch Sport und veröf-
fentlichte in den Kriegsjahren Hintergrundberichte zur sportlichen Vorbe-
reitung der am Krieg teilnehmenden Nationen, vor allem aus England. Die
Vida Sportiva
forderte auch für Brasilien eine Mobilmachung durch
flächendeckende Sportangebote und Wettbewerbe. Ihre Argumentation war
von einem nationalpatriotischen Sprachgebrauch durchzogen.1221917 legten
die Herausgeber der populären Zeitschrift
A Cigarra
eine eigene Sportzeit-
schrift mit dem Titel
A Cigarra Sportiva
in São Paulo auf.123Die Redaktion
120
»Os players de côr«,
A Gazeta
, 2.4.1918.
121
Vgl. S
KIDMORE
,
Black into White
, S. 149-192; S
TEPAN
, »
The Hour of Eugenics«
,
insbes. S. 73 ff.
122
Siehe die zahlreichen Übersetzungen von Berichten aus Frankreich über die
sportliche Ausbildung der Bevölkerung in Europa: Daçay, Jean (übersetzt durch
Azurita), »Das Olympiadas a Guerra. O musculo allemão e a anti-guerra. – O que
aprendemos – Nosso dever futuro«, Nr. 27, 23.2.1918; und zum Beispiel die Serie über
Fußball an der Front: Rozet, George (übersetzt durch Azurita T.A.), »O Foot-ball no
front«,
Vida Sportiva
, Anno II, Nr. 28, 2.3.1918; Ders., »O Foot-ball no front«,
VidaSportiva
, Anno II, Nr. 29, 9.3.1918; Vgl. auch die Serienveröffentlichung »Um allemão
aos allemães« eines ehemaligen Redakteurs der Berliner Morgenpost, Dr. Hermann
Rösemeier, der später nach Frankreich emigrierte und Pamphlete gegen den Krieg
verfasste: »Um allemão aos allemães«,
Vida Sportiva
, 26.1.1918.
123
Vgl. M
ARTINS
,
Revistas em revista
, S. 347 f.
155»Rasse«
155
stellte die Gründung der Zeitschrift in einen direkten Zusammenhang mit
dem Kriegseintritt Brasiliens 1917, es sei der Moment für eine Zeitschrift,
»deren Hauptmotiv es ist, die Leibeserziehung in allen Bereichen der
menschlichen Aktivität zu bewerben, damit durch sie wagemutige und
starke Generationen entstehen, die morgen die Nationswehr ausmachen
müssen.«124Sie setzte sich für einen verpflichtenden Militärdienst ein, eine
besondere Rolle, so die Redaktion, falle dem Sport als Vorbereitung der
»Jungen unseres Hinterlandes« zu: »Die Leibeserziehung durch den Sport
aller Arten ist die Präambel, die vorbereitende Wirkkraft der Kasernen-
erziehung.« Hier setze die Zeitschrift an, es ginge darum, »starke Men-
schen, von reichem Blut, mit Titanmuskeln« vorzubereiten.125
Die Katalysatorfunktion des Ersten Weltkrieges für die Popularisierung
des Fußballs, die schon im ersten Kapitel dieser Arbeit thematisiert wurde,
strahlte auch auf die Aushandlung »rassischer« Identität aus. In dem Zuge,
in dem nun Eliten den Sport als Mittel zur Massenmobilisierung entdeck-
ten, bezogen sie in ihre neue Vorstellung von Nation auch Afro-Brasilianer
ein. Auf den Sportplätzen konnten Afro-Brasilianer, so suggerierten es die
Artikel und auch die Leserbriefe, ihren Nutzen für die Nation sowohl erler-
nen als auch unter Beweis stellen.126
Neben dem Ersten Weltkrieg gab es auch endogene Ursachen für die
Aufwertung und Einbeziehung der Afro-Brasilianer in die Vorstellung von
der brasilianischen Nation und in die Geschichtsschreibung. Der General-
streik in São Paulo, in dem 1917 circa 50.000 Menschen ihre Arbeit nie-
derlegten, führte zu einer »Entzauberung« europäischer Arbeitskraft und zu
einer Hinwendung zu nationalen Arbeitskräften, also vor allem Afro-
Brasilianern.127Zu einer Verbesserung ihrer Lage führte das nicht. Eine
Solidarisierung der Arbeiter über Rassenschranken hinweg war unter ande-
rem deshalb nicht möglich, weil Arbeitgeber Afro-Brasilianer, so Andrews,
124
»O Nosso Sucesso«,
A Cigarra Sportiva
, São Paulo, Nr. 2, 16.6.1917.
125
Ebd.
126
Die sich wandelnden Vorstellungen von »Rasse« im Verhältnis zu Nation bei
brasilianischen Eliten werden auch in den Zensus deutlich, die die DGE (
DirectoriaGeral da Estatística
) zwischen 1890 und 1920 durchführte und in denen sie, so Mara
Loveman, nach und nach in den Kategorisierungen die Vergangenheit der Sklaverei
auslöschte und vor allem eine »aufgeweißte« Bevölkerung dokumentierte: LOVEMAN,
Mara, The Race to Progress: Census Taking and Nation Making in Brazil, 1870-1920,
in:
HAHR
89, Aug. 2009, Nr. 3, S. 435-470.
127
Vgl. F
AUSTO
, Boris, Society and Politics, in: Leslie B
ETHELL
(Hg.),
Brazil:Empire and Republic, 1822-1930
(The Cambridge History of Latin America),
Cambridge 1889, S. 257-307, hier 288 f.; ANDREWS, Black and White Workers,
S. 499-502.
156
156
»Rasse«
als Streikbrecher einsetzten. Diese waren auch bereit, für einen noch gerin-
geren Lohn zu arbeiten als Immigranten.128
Zurück zur Leserbriefdebatte: Caio de Oliveira e Sousa, der letzte Leser,
der sich in dieser Debatte äußerte, verdeutlicht die Bandbreite an Haltungen
zur rassistischen Ausgrenzung im lokalen Fußball. Seine Aussagen machen
noch einmal klar, dass Auseinandersetzungen um nationale Identität in
Bezug zu »rassischer« Identität Ende der 1910er-Jahre nicht ausschließlich
Diskurse von Intellektuellen, Schriftstellern und Politikern waren, sondern
von einem breiteren Publikum geführt wurden. Die Gewichtung des Briefes
von Sousa zeigt auch, auf welcher Seite die Redaktion der Zeitung stand.
Insgesamt zweieinhalb Spalten der Sportsektion nahm der Brief ein. Sousa
erinnerte an die Beerdigung des Gründers der Republikanischen Partei von
São Paulo, Francisco Glycerio, und an die Stimmungsmache gegen ihn in
der Presse auf Grund seiner Hautfarbe. Glycerio gehörte als Kaffeepflan-
zer, Anwalt und Politiker zur Paulistaner Oberschicht und war einer der
wenigen »schwarzen« Eliteangehörigen Brasiliens.129Auf die historische
miscigenação
verweisend, meinte Sousa, ein »geborener Brasilianer« sei
»mit Sicherheit […] ein Mestize«.130Zur Schärfung seiner Argumentation,
mit der er den Rassismus Cordovils und der anderen Leser angriff, zitierte
er außerdem in voller Länge ein Gedicht des radikalen Abolitionisten Luis
Gama, das die zeitgenössische brasilianische Suche nach dem »Wer bin
ich?«, so der Titel des Gedichts (»Quem sou eu? «), angesichts der
vorherrschenden Multiethnizität zum Thema machte und zu dem Schluss
fand, alle seien gleich.131
Insgesamt thematisierte die Presse seit 1915 im Zusammenhang mit der
Popularisierung des Fußballs auch die neue »rassische« Zusammensetzung
der Fußballklubs und charakterisierte sie als einen Prozess der »Nationali-
sierung« und »Kreolisierung« des Fußballs.132Das spiegeln etliche
Karikaturen wider, in denen Zeichner die Popularisierung zum Beispiel als
Gegenüberstellung von »schwarzen« und »weißen« Spielern darstellten
(Bild 6).
128
A
NDREWS
, Black and White Workers, S. 499-502.
129
Vgl. L
OVE
,
São Paulo
, S. 106-115.
130
»Os players de côr«,
A Gazeta
, 4.4.1918.
131
Vgl. ebd. Zu Luis Gama: L
OVE
,
São Paulo
, S. 104; S
KIDMORE
,
Black intoWhite
, S. 17.
132
»Kreolisierung« wird hier im Sinne Eduardo Archettis als »Aneignung bestimmter
Handlungsweisen, die ursprünglich mit einer anders definierten sozialen Gruppe assozi-
iert worden waren« verstanden: ARCHETTI, Eduardo P., Argentinien, in: EISENBERG
(Hg.),
Fußball, soccer, calcio
, S. 149-170, hier 152 f.
157»Rasse«
157
Bild 6: »Ein nationaler Sieg«: Die »Nationalisierung« des Fußballs in den Augen der
Sportpresse: Die Karikatur illustriert die Popularisierung und »Kreolisierung« des
Fußballs durch ein Spiel portugiesischer Immigranten gegen Afro-Brasilianer. Quelle:
»Uma Victoria Nacional«, Anno I, Nr. 2,
Sports
, 14.8.1915.133
Um die »Nationalisierung« des Spiels auszudrücken, ließ der Karikaturist
die Spieler die englischen Termini so aussprechen, wie des Englischen
nicht Mächtige sie anscheinend verstanden: Der «ground« wurde zum
«grunde«, der «referee« zum «rifiri« und der
sportsman
zum »ixportima«.
Auch 1919, nach dem Sieg der brasilianischen Mannschaft bei dem
Campeonato Sul-Americano
in Rio de Janeiro, berichtete die Presse über
den angeblich besonders ausgeprägten Patriotismus der afro-brasilianischen
Bevölkerung. In dem Artikel »Der Patriotismus des Negers« (»O patrio-
tismo do Negro«) im Jahr 1921 führte der Autor der Zeitung
SupplementoSportivo D’O Imparcial
aus Rio de Janeiro das Beispiel überaus patrioti-
133
»(Auszug aus einer Beschreibung des Spiels, unter Beibehaltung der offiziellen
englischen Termini der Gegend) – der rosige Manduca [wahrscheinlich bezogen auf
Spieler des Klubs Bangú, die zu dieser Zeit in der Sportpresse oft als »mulatinhos
rosados« bezeichnet wurden, d. Verf.],
centri-fôe
[Center-forward] bringt das realisierte
Spiel mit einem verdammten
krique
[Kick] zur Entscheidung, auf dem wunderbaren
grunde
[ground] der Alliança-Straße. Der Sieg geht an die
alvi-negros
[weiß-scharzen]
des ›Pombarrola F.C.‹ gegen die
equipio
[equipe] der Portugiesen, Söhne von Herrn
Custodio, dem Metzger. Als
rifiri
[referee] diente der kompetente
ixportima
[sports-
man] Prinz, der an der Ecke sehr respektiert wird.
158
158
»Rasse«
scher Vororteinwohner an, um sie angeblich unpatriotischen Paulistanos
gegenüberzustellen. Er berichtete, nach einem Fußballspiel dem Gespräch
zweier Arbeiter in der Straßenbahn gelauscht zu haben, einer von beiden
sei »schwarz« gewesen. In Erinnerung an sein Erlebnis des brasilianischen
Sieges habe dieser ausgerufen: »Es gibt, mein Freund, es gibt kein schö-
neres und stärkeres Land als Brasilien!«134Der Autor war positiv überrascht
von den patriotischen Äußerungen des afro-brasilianischen Arbeiters, was
zeigt, dass die Einbeziehung von Afro-Brasilianern noch nicht selbstver-
ständlich schien, ihr aber eine die Nation einigende Kraft zugesprochen
wurde.
Ähnlich dachten 1927 die Organisatoren eines Fußballpokalwettbewerbs
in Erinnerung an die Abolition, der den Namen »Taça Isabel« erhielt. Der
Staat São Paulo führte den Wettbewerb zwischen einem »weißen« und
einem »schwarzen« Team der lokalen Liga ein, dessen Einnahmen teil-
weise an afro-brasilianische Vereine, wie die »Associação dos Homens de
Côr« (»Vereinigung der farbigen Männer«), gehen sollten.135Die Einrich-
tung des Pokals, so berichtete
O Estado de São Paulo
, sei mit »einstimmi-
gem Applaus der öffentlichen Meinung« begrüßt worden.136Das Turnier
richteten die Veranstalter aus Protest gegen aktuelle rassistische Exklusion
in bestimmten Sportarten aus:
Das Motiv für die Sympathie, die die heute in dieser Hauptstadt durch
die Vorsitzenden der Liga eingeführte Erinnerung gefunden hat, liegt
nicht so sehr im Gefühl der Brasilianer, die im Grunde Distinktionen von
Familie und Hautfarbe feindlich gegenüber stehen und die sich stärker
nach dem Grad individuellen Verdienstes richten. Vielmehr bietet sich
hier eine Chance, den wenigen Sportlern eine indirekte, aber scharfe und
treffende Antwort zu geben, die vor allem bei Wassersporttreffen ver-
sucht haben, eine hassenswerte Exklusivität herzustellen: Sie versuchten
Regeln aufzustellen, die die an den Rand drängen, die versuchen, in un-
serem Staat Rudersport zu betreiben und nicht das Glück haben, eine
tadellose kaukasische Pigmentation zu besitzen…
134
»O patriotismo do Negro. Aos ›players‹ paulistas«,
SSOI
, 23.7.1921.
135
Vgl. »Uma taça offerecida pelo presidente do Estado«,
OESP
, 11.5.1927;
»Futebol. A commemoração da Lei Aurea«,
OESP
, 12.5.1927; »Liga de Amadores de
Futebol«,
OESP
, 8.5.1927. Zur feierlichen Begehung des 13. Mai siehe auch:
ANDREWS,
Negros e brancos
, S. 333 f.
136
»Futebol. A commemoração da Lei Aurea«,
OESP
, 12.5.1927.
159»Rasse«
159
Weiter hieß es in der Ankündigung des Wettbewerbs, die Liga kenne Ras-
sismus nicht, doch trotzdem habe
der heutige Wettkampf [...] eine außerordentliche Bedeutung, denn wenn
sich in irgendeiner anderen Aktivität das verhasste Vorurteil nicht recht-
fertigen lässt, dann darf es umso weniger im Sport toleriert werden, wo
das farbige Element mehr als genügend Energie bewiesen hat, sei es im
Athletismus oder Fußball, wo ein höherer Koeffizient von Negern be-
steht.137
Bezeichnend in der binären Aufteilung war, dass die Organisatoren den
afro-brasilianischen Spieler Arthur Friedenreich für das »weiße« Team auf-
stellten. In der »weißen« Mannschaft befanden sich ausschließlich Spieler
der offiziellen Erstligaauswahl des Verbandes aus den Eliteklubs, im
»schwarzen« Team Spieler aus der 2. Liga und Spieler aus dem Landes-
inneren São Paulos.138Auch individualisierte der Kommentator von
OEstado de S
ã
o Paulo
die Ausgrenzung ganz ähnlich wie einige der oben
zitierten Leser: »Weiße« Hautfarbe galt ihm immer noch als tadellos, als
Ideal. Auch hier materialisierte sich erst in der Gegenüberstellung von zwei
Teams die Kategorie »Rasse« und erst auf diese Weise konnten die Au-
toren auf körperliche Unterschiede aufmerksam machen, die hier zum Bei-
spiel das Stereotyp untermauerten, Afro-Brasilianer seien besonders starke
Spieler, denn das »schwarze« Team gewann in dem Jahr.
Rassistische Exklusion und das Verhältnis von Nationalität zu »Rasse«
spielte nicht nur im lokalen Fußball eine bedeutende Rolle. Wichtig war die
Frage nach der ethnischen Repräsentation Brasiliens nach außen für Politi-
ker und Eliten, die glaubten, Sport sei ein Zeichen für Ordnung und Fort-
schritt und das Ausmaß der Sportverbreitung und Sportlichkeit der Bevöl-
kerung ein Symptom für den Grad der »Zivilisation« eines Landes. Dieser
Diskurs gewann erst mit der Häufung internationaler Sportveranstaltungen
nach dem Ende des Ersten Weltkrieges eine größere Bedeutung.
Nicht nur politische und intellektuelle Eliten, auch lokale Sportenthusi-
asten waren mit den sozialreformerischen Ideen der sportlichen »Regene-
ration« der
raça brasileira
schon früh vertraut. Sie forderten, dieses Pro-
gramm in Verbänden und kleinen Klubs durchzusetzen. Vorherrschend war
dieses Thema dann zum Beispiel 1920 beim Besuch des belgischen Königs
in Brasilien, dem zu Ehren lokale Sportfunktionäre Spiele organisierten,
137
Ebd.
138
Vgl. »Futebol. A commemoração da Lei Aurea. Combinado branco vs. combinado
de homens de côr«,
OESP
, 14.5.1927.
160
160
»Rasse«
dann bei den
Campeonatos Sul-Americanos
und auch bei dem Besuch des
Paulistaner Klubs C. A. Paulistano in Europa 1925, wie später noch gezeigt
wird. Diese Versuche, ein »weißes« und »zivilisiertes« Brasilien zu zeigen,
kollidierten mit der Außenwahrnehmung eines multiethnischen Brasiliens.
2.4. »HELDEN«UND»BÖSEWICHTE«139: AFRO-BRASILIANISCHESPIELERUND DIEAUSHANDLUNG»RASSISCHER« IDENTITÄT
Einige der berühmtesten brasilianischen Fußballspieler, die in der 1930er-
Jahren auch im internationalen Fußball Aufmerksamkeit erlangten, hatten
in Klubs wie dem Argentino ihre Karriere begonnen, so auch der Afro-
Brasilianer Fausto dos Santos. Erster Höhepunkt seiner Karriere war die
Teilnahme an der Weltmeisterschaft 1930 in Uruguay. Leite Lopes be-
schreibt ihn als einen Spieler, noch gefangen in der Umbruchzeit zwischen
Amateurfußball und Profitum.140Er konnte vom Spielen nicht leben und
war außerdem mit kontinuierlicher rassistischer Ausgrenzung konfron-
tiert.141Fausto begann 1926 bei Bangú A.C., wechselte später zu Vasco da
Gama und blieb 1932 nach einer Tour des Vereins in Europa in Spanien,
um ein Jahr später in die Schweiz zu gehen. Nach seiner Rückkehr 1933
nach Brasilien fand er nicht zu seinem bisherigen Erfolg zurück und starb
1939 verarmt an Tuberkulose.142Seine Entscheidung, ins Ausland zu gehen,
habe prinzipiell damit zusammengehangen, dort mit dem Fußball Geld zu
verdienen.143
Ähnlich war das Schicksal des afro-brasilianischen Spielers Arthur
Friedenreich, der durch seine herausragende Teilnahme an dem
Campeona-to Sul-Americano
(Südamerikanische Meisterschaften) 1919 auch inter-
national auffiel. Auch er wechselte mehrere Male den Verein, spielte aber
immer in Eliteklubs. Friedenreich gilt für den hier bearbeiteten Zeitraum in
der Sekundärliteratur als die populärste Figur des frühen brasilianischen
Fußballs. Er war Sohn eines deutschen Immigranten, der Ende des 19.
139
Diese Bezeichnungen sind angelehnt an die von Fabian Brändle und Christian
Koller herausgearbeitete Konstruktion von »Helden« und »Schurken« im Fußball:
BRÄNDLEu.a.,
Goal!
, S. 122-125.
140
L
EITE
L
OPES
, A vitória do futebol, S. 73 f.
141
Zum Beispiel 1930, als das Gerücht auftauchte die CBD stelle Fausto auf Grund
seiner Hautfarbe nicht auf: Vgl. »Questão de Côr…«,
A Gazeta
, 27.5.1930.
142
Vgl. L
EITE
L
OPES
, A vitória do futebol, S. 73 f.
143
Vgl. ebd. Unklar ist die, häufig nicht rekonstruierbare, Biografie anderer Spieler,
wie zum Beispiel des Afro-Brasilianers Bisôca aus São Paulo, der ebenso Ende der
1920er-Jahre herausragend spielte.
161»Rasse«
161
Jahrhunderts nach São Paulo kam, und einer afro-brasilianischen Wäsche-
rin. 1909 begann er das Fußballspiel beim Clube Atlético Ypiranga, bei
dem er, bis auf einen kurzen Wechsel zum Eliteklub Mackenzie College,
bis 1917 blieb. Dann wechselte er zum C. A. Paulistano, wo er eine
internationale Karriere begann.144
Insgesamt besprach die Sportpresse Friedenreichs Leistungen äußerst
positiv. Er galt zu Lebzeiten als einer der besten Fußballspieler. Am Ende
seiner Karriere, Friedenreich war 31 Jahre alt, veranstaltete die lokale
Amateurliga São Paulos LAF ihm zu Ehren ein Fest und erwies ihm ihre
Anerkennung durch das Überreichen einer »bedeutenden Erinnerung« -
vermutlich eines Geldgeschenks.145
Sein Ruhm verblasste allerdings schnell. Es lässt sich ein Vergleich zu
den afro-brasilianischen Spielern nach der Fußballweltmeisterschaft 1950
ziehen, die nach der überraschenden und für Brasiliens Fußballanhänger
schmerzhaften Niederlage noch über Jahre für die erlittene Schmach
verantwortlich gemacht wurden. Die Spieler von 1950 waren allerdings
Profis, Friedenreich offiziell Amateur. Doch auch von ihm erwarteten
Publikum und Presse immer Erfolge, nicht zuletzt wegen der steigenden
wirtschaftlichen Bedeutung des Fußballs. Die Ansprüche an ihn hingen
auch mit seinem Status zusammen: Es ist davon auszugehen, dass er einer
der vielen Halb-Profis war, die von ihren Klubs über eine fingierte Anstel-
lung alimentiert wurden. Überhaupt brachte die Sportpresse den Status des
Halb-Profis eher mit afro-brasilianischen Spielern in Verbindung.
Schon in seinem Erfolgsjahr 1919 wandte sich die Sportpresse gegen
Friedenreich. Mehrere Zeitungen verdächtigten ihn des Profitums, weil er
zusammen mit zwei weiteren Spielern Geldzahlungen von der CBD für die
Reise zum
Campeonato Sul-Americano
nach Rio de Janeiro erhalten hatte.
Eigentlich hätte das
Campeonato Sul-Americano
im Jahr 1918 stattfinden
sollen, fiel aber auf Grund des Ausbruchs der Pandemie der »Spanischen
Grippe« im gleichen Jahr aus und die Organisatoren verlegten das Turnier
auf 1919. Das bereits ausgezahlte Geld, mit dem die Spieler die Kosten
wegen des langen Arbeitsausfalls 1918 decken sollten, zahlten sie nicht an
die CBD zurück.146
144
»No Campo do Palmeiras. O festival da Laf em homenagem a Friedenreich«,
OESP
, 8.5.1927.
145
Ebd.
146
»Ainda o Caso Paulista«,
Vida Sportiva
, Nr. 72, 11.1.1919; »Rio- São Paulo. A.P.
de Sports Athleticos, com altivez, devolveu hontem o officio malcreado que lhe havia
enviado a Federação Brasileira. A Associação dispensou os seus representantes no Rio -
162
162
»Rasse«
Erneut kam der Profi-Verdacht im Jahr 1923 auf. Die CBD stellte
Friedenreich wiederholt für das Nationalteam für das
Campeonato Sul-Americano
in Rio de Janeiro auf. Weil eine dreimonatige Abwesenheit der
Nationalspieler aus São Paulo notwendig war, zahlte die CBD eine Auf-
wandsentschädigung für entstehende Einkommensausfälle. Friedenreich
beschwerte sich in einem Interview mit der Zeitung
Correio da Manhã
,
dass die CBD ihm nicht auch Kinobesuche und Ausflüge erstattet habe.
Das empfand die Presse in Rio de Janeiro als Anmaßung: Die
Jornal doBrasil
meinte, dass »das berühmte Interview mit dem nicht weniger be-
rühmten Mittelstürmer nicht mehr ist als eine Anhäufung von Lügen.«147
Friedenreich sei kein wahrer
sportsman.
Der schnelle Verdacht verdeutlicht, wie fragil der Ruhm der Amateur-
spieler war und wie sehr sie den Launen der Presse ausgesetzt waren. Dar-
über hinaus zeigt er auch einen latenten Rassismus, da die Urteile über ihn
schnell zwischen einer Einordnung als »Held« und einem physisch deka-
denten und zugleich auch unfairen Fußballer wechselten.148
Die Quellen legen nahe, dass Journalisten und Verbandsfunktionäre
»schwarze« Spieler sehr viel schneller des illegalen Profitums verdächtig-
ten als »weiße« Spieler, da sie die Hautfarbe mit dem sozialen Status ver-
banden. Auch bei Friedenreich war das in bestimmten Momenten seiner
Karriere der Fall. Ebenso tauchten einige Male Anfeindungen gegen ihn
auf, in denen die Presse vorschnell ein Ende seiner Karriere beschloss und
fragte, ob er sich körperlich »im Niedergang« befinde. Auch hier kann von
einem rassistischen Hintergrund ausgegangen werden: Solange Spieler wie
Friedenreich erfolgreich spielten, waren Presse und Leserschaft ihnen
wohlgesonnen, wenn sie schlecht spielten, kam es schnell zu Anfeindungen
und böswilligen Gerüchten.149
Friedenreich, Neco e Amilcar jogarão domingo, embora suspensos pela C. B. de D.T.«,
A Gazeta
, 20.12.1918.
147
Jornal do Brasil
, 15.11.1922.
148
Vgl. etwa »Sports. O 3° Campeonato Brasileiro«, 16.9.1925,
Gazeta de Notícias
;
»Football, Com Vistas A' Directoria da Associãçao Paulista de Sports Athleticos. O
Incidente Bartho-Friedenreich. Uma Grave Denuncia«,
A Gazeta
, 11.12.1919; »A
Technica Carioca«,
OESP
, 2.1.1930. Vgl. zum Narrativ von »Helden« und
»Bösewichten« im brasilianischen Fußball: COSTA, L. M.,
A trajetória da queda: asnarrativas da derrota e os principais vilões da seleção brasileira em Copas do Mundo
,
unveröffentl. dissertação de doutorado, Faculdade de Letras, Universidade do Estado do
Rio de Janeiro 2008. Zu Narrativen von »Helden« und »Schurken« allgemein: Vgl.
BRÄNDLEu.a.,
Goal!
, S. 122-125.
149
Ein Beispiel ist die Empörung über den Verdacht, der afro-brasilianische Spieler
Epaminondas sei ein Profi: »Football. O Momento«,
A Gazeta
, 11.7.1919.
163»Rasse«
163
Die Pressefotos zeigen Friedenreich meist als eleganten
Gentleman
, der
einen Smoking trug und sich im sozialen Umfeld der Eliteklubs wohl zu
fühlen schien. In der Sekundärliteratur ist er vor allem als Beispiel für
einen der ersten Afro-Brasilianer zitiert worden, der es über den Fußball
schaffte, in die Elite aufzusteigen, gerade weil er sich wie ein »Weißer«
verhielt.150Die Presse idealisierte ihn als perfekten Spieler, vor allem nach
dem Erfolg 1919. Er galt als jemand, der Krankheiten und Verletzungen
schnell überwinden konnte, der sich dem körperlichen Verfall entgegen-
stellte – er wies eine überdurchschnittlich lange Karriere auf – und der,
ohne dass das explizit ausgesprochen wurde, das Ideal der
miscigenação
repräsentiere.
Insgesamt ist es schwierig, eine Meinung oder Haltung von Friedenreich
selbst zu diesen Dingen herauszulesen. Aus wenigen Interviews und aus
einem 1933 veröffentlichten Vorwort zu einer Biografie eines anderen
Fußballspielers wird deutlich, dass er sich für das Profitum im Fußball
Brasiliens einsetzte und ein starkes Bewusstsein für die soziale Marginali-
sierung von Fußballspielern aus den Arbeitervierteln und
várzeas
entwi-
ckelt hatte. Nach dem Ende seiner Fußballerkarriere geriet er in Vergessen-
heit. Für sein Auskommen im Alter war anscheinend kaum gesorgt.151
Die Sportpresse nahm afro-brasilianische Spieler hinsichtlich ihrer Haut-
farbe höchst unterschiedlich wahr. Friedenreich, der schon am Beginn
seiner Karriere in Eliteklubs spielte und den die Sportpresse in seinem
Habitus auch als Eliteangehörigen wahrnahm, referenzierten Journalisten
äußerst selten in »rassischen« Kategorien. Es ist durchaus möglich, dass
sich der Verfasser einer der obigen Leserbriefe auf Spieler wie
Friedenreich bezog, als er anführte, in dem ersten Lokalverband LPF habe
es durchaus »jogadores de côr« gegeben, doch sie seien eben reich gewe-
150
C
URI
, Martin,
Friedenreich. Das vergessene Fußballgenie
, Göttingen 2009, S. 8.
Martin Curi sieht in seiner nicht an ein akademisches Publikum gerichteten Biografie in
Friedenreich einen »Revolutionär«, der als erster die »Rassenschranken« im Fußball
überwunden habe, da in den Elitevereinen keine Afro-Brasilianer hätten spielen dürfen.
151
Vgl. »Com 1329 gols, êle não tinha nem casa«,
OESP
, 7.9.1969; »Esta janela
esconde um rosto do passado«,
OESP
, 18.1.1969; »E quem se lembra do velho Fried?«,
Quelle unbekannt, IMS, G IV b n° 414; CORRÊA,
Grandezas e misérias
, S. 15 und 122.
In Todesanzeigen wurde außerdem berichtet, Friedenreich habe seit 1938, nach Beendi-
gung seiner Fußballkarriere, bei der
Companhia Antárctica
als Vertreter (
inspector-viajante
) gearbeitet. Die fehlende legale Grundlage für eine Fußballkarriere habe dazu
geführt, dass er relativ verarmt und in Abhängigkeit von Almosen seines ehemaligen
Klubs starb: Vgl. »Artur Friedenreich morre aos 77 anos«,
Folha de São Paulo
, Sep-
tember 1969, S. 31, »Friedenreich deixa uma bandeira«,
OESP
, 7.9.1969, S. 39.
164
164
»Rasse«
sen. Eher nahmen ausländische Presseorgane Friedenreich als »Mulatten«
wahr.152
Vorschnelle Urteile und latente Kriminalisierung erfuhr zum Beispiel
auch der afro-brasilianische Spieler Epaminondas, der angeblich für ein
Spiel einer Auswahl Rio de Janeiros im Juli 1919 gegen eine Auswahl São
Paulos Geld verlangt habe.153Offensichtlicher war die Exklusion, die er
zwei Jahre später erlitt: Epaminondas und andere Spieler schloss der
Nationalverband 1921, wahrscheinlich auf Anordnung des brasilianischen
Präsidenten Epitácio Pessoa, von der Teilnahme an den südamerikanischen
Meisterschaften aus, nachdem zuvor die argentinische Presse afro-
brasilianische Spieler als Affen karikiert hatte und die brasilianische Regie-
rung ihr Projekt der Repräsentation eines »weißen« und »zivilisierten«
Brasiliens gefährdet sah.154
Von der Teilnahme schloss die CBD 1921 auch den vielversprechenden
und talentierten Spieler Antônio Muniz aus, der unter dem Spitznamen
Manteiga
bekannt war. In Rio de Janeiro sorgte im Jahr 1921 seine Auf-
nahme in den Eliteklub América F.C. für Aufregung in der lokalen Presse.
Muniz stammte aus dem Bundesstaat Bahia und hatte in Rio de Janeiro
eine Ausbildung bei der Marine absolviert. Dort und in mehreren suburba-
nen Klubs Rio de Janeiros spielte er Fußball und zeigte sich als äußerst
talentiert. In dieser Zeit gewann er auch seinen Spitznamen
Manteiga
(Butter), den er laut eigener Aussage erhielt »auf Grund der Leichtigkeit
[…] nicht nur im Dribbling, sondern vor allem darin, den Körper zu ›kni-
cken‹, um ihn vor den gewalttätigen ›Fouls‹ der Gegner zu schützen, für
die ich immer das beliebteste Ziel war.«155
Mário Filho, und andere Autoren nach ihm, führte dieses zur Namensge-
bung gewordene Verhalten bei afro-brasilianischen Spielern generell auf
152
Das war allerdings in der brasilianischen Sportpresse selten der Fall und nie
benannten Journalisten Friedenreich so explizit unter »rassischer« Bezugnahme wie
zum Beispiel den uruguayischen Spieler Isabelino Gradín als »das Negerlein« (»el
negrito«) oder die Spieler des Fabrikklubs Bangú als »rosige Mulattchen« (»mulatinhos
rosados«). Wenige Male, kennzeichneten Journalisten Friedenreich als »Schwarzen«, so
1927 in einem Artikel, der eine Zunahme »schwarzer« Spieler in São Paulos Erst-
ligaklubs feststellte: »Os pretos no futebol paulista«,
O Imparcial
, zitiert nach:
AGazeta
, 1.7.1927; und 1930 vor der Weltmeisterschaft, als sie ihn mit dem afro-brasi-
lianischen Spieler Fausto verglichen, über den das Gerücht auftauchte, er sei auf Grund
seiner Hautfarbe nicht für die Nationalauswahl aufgestellt worden: Vgl. »Questão de
Côr...«,
A Gazeta
, 27.5.1930.
153
Sant’Anna, Leopoldo, »Football. O Momento«,
A Gazeta
, 11.7.1919.
154
Siehe hierzu Kapitel 4.1.2 der vorliegenden Arbeit, S. 251.
155
»Uma entrevista com o afamado player Muniz (Manteiga)«,
SSOI
, 2.4.1921.
165»Rasse«
165
einen alltäglich erfahrbaren und körperlich umgesetzten Rassismus auf den
Spielfeldern zurück. In dieser Zeit subtiler Ausgrenzung und erhöhter
Aggressivität hätten afro-brasilianische Spieler ein äußerst defensives und
deeskalierendes Spiel und die Verwandlung aggressiver Angriffe ins Spie-
lerische erlernt. Daraus sei auch ein spezifischer Stil entstanden: Das fast
tänzerische, leichte Spiel mit dem gekonnten Umspielen des Gegners, das
den brasilianischen Fußball ausmache. Die Taktik des Ausweichens sei
eine Reaktion auf rassistische Vorurteile und daraus hervorgehende
Aggressionen gewesen.156Die Spieler hätten der Brutalität ausweichen und,
wichtiger noch, Anhaltspunkte für negative Stereotypisierungen, wie
besondere Aggressivität und Brutalität, und Konfrontationen vermeiden
wollen.157
Später sei
Manteiga
, so erzählte er selbst in einem Interview, von einem
Marinefunktionär zum Spiel in den Klub América F.C. eingeladen worden,
er arbeitete zu diesem Zeitpunkt als Handelsangestellter bei der Firma
Cardoso & Cia
. Zu vermuten ist jedoch, dass der Klub
Manteiga
als pro-
fessionellen Spieler anheuerte und die Anstellung bei der Handelsfirma nur
ein Alibi war.158
Die lokale Presse berichtete häufig über den neuen Spieler. Schon kurz
nach dem ersten Spiel für seinen neuen Verein tauchten Gerüchte auf,
Manteiga
sei bestechlich. In dem Spiel gewann der América F.C. 5:3 ge-
gen Fluminense F.C
.
Die Zeitung
Supplemento Sportivo D’O Imparcial
,
berichtete daraufhin, von
Manteiga
selbst und einem weiteren Spieler
erfahren zu haben, der gegnerische Spieler Lais habe ihn vorher darum
gebeten, nicht mit aller Stärke zu spielen, im Gegenzug würde er eine
finanzielle Belohnung erhalten.159Afro-brasilianische Spieler wie
Manteiga
wurden also besonders schnell mit dem Stigma versehen, zum Beispiel
durch finanzielle Anreize beeinflussbar zu sein und darüber hinaus zu
Falschaussagen zu neigen. Was im ersten Moment eher den Spieler Lais in
ein schlechtes Licht stellte, traf bald vor allem
Manteiga
. Schon in der
nächsten Ausgabe berichtete
O Imparcial
, diese Nachricht habe einen
156
Vgl. F
ILHO
,
O negro
, S. 72-126. Kritisch zu diesen Erklärungen der Entstehung
eines brasilianischen Stils: SOARES, História e a invenção de tradições no futebol
brasileiro, S. 135; DERS., Futebol brasileiro e sociedade, S. 145-162.
157
Vgl. F
ILHO
,
O negro
, S. 72-126; L
EITE
L
OPES
, A vitória do futebol, S. 70.
158
Vgl. »Uma entrevista com o afamado player Muniz (Manteiga)«; C
ORRÊA
,
Grandezas e misérias
, S. 24; Vgl. FILHO,
O negro
, S. 72-126.
159
Vgl. »Quizeram dar uma gorgeta ao Manteiga?«,
SSOI
, 23.4.1921; »Quizeram dar
uma gorgeta ao Manteiga? Testemunhos de Raul Loureiro Filho e Gentil Monteiro«,
SSOI
, 30.4.1921.
166
166
»Rasse«
kleinen Skandal verursacht, der Spieler Lais habe versucht,
Manteiga
mit
einem vorgefertigten Brief zu einem Dementi zu bewegen.
Manteiga
unter-
schrieb die Erklärung und Lais veröffentlichte sie in einer Abendausgabe
von
A Noite
.160
Die Redaktion von
O Imparcial
war vor allem empört über den Wankel-
mut
Manteigas
und warf ihm vor, aus Geltungssucht an die Presse herange-
treten zu sein und es wie viele Spieler mit der Wahrheit, »in Sachen sagen
und widerrufen«, nicht so genau zu nehmen.161Um nun
Manteiga
der
Falschaussage zu überführen, lud die Redaktion zwei Zeugen, die mit ih-
rem Ehrenwort bestätigten, dass Lais
Manteiga
das Angebot gemacht habe.
Was auf den ersten Blick als eine für
Manteiga
positive Berichterstat-
tung erscheint, war im Grunde eine rassistische Zuweisung von Eigen-
schaften wie Wechselhaftigkeit, Neigung zur Lüge und Beeinflussbarkeit,
von denen hier angenommen werden kann, dass sie als »rassisch« determi-
niert galten. Unterstützend kamen weitere rassistische Diskriminierungs-
muster hinzu, wie die Gegenüberstellung zweier »weißer« Zeugen, denen
mehr Glauben geschenkt wurde und auch die indirekte Zuweisung von
funktionalem Analphabetismus, da
Manteiga
den vorgefertigten Brief ohne
zu lesen einfach unterschrieben habe.
Schon in der Ausgabe zuvor erschien ein von
Manteiga
selbst verfasster
Artikel, in dem er sein Debüt im Klub in dem Spiel América gegen
Fluminense wiedergab. Er berichtete vor allem von seinem Versuch, sich
möglichst wenig in den Vordergrund zu stellen, als Stürmer möglichst kein
Einzelspiel zu entwickeln und den Ball rechtzeitig an einen freien Mitspie-
ler abzugeben, um so ein Tor vorzubereiten. Vor allem durch die gegneri-
schen Spieler Lais und Sylvio Lagreca habe er eine starke Manndeckung
erlebt, er habe sich ihnen gegenüber verhalten »als wäre ich ein Offizier
und hätte die beiden tricolores [bezieht sich auf die Spieler von
Fluminense, d. Verf.] als Ordonnanzen.«162
Manteiga
wiederholte bei der
Gelegenheit, er habe in der Marine eine äußerst korrekte Spielweise erlernt,
ohne Verstöße gegen Regeln. Wie um mögliche stereotype Zuweisungen
vorwegzunehmen, sagte er, er sei ein »wohlerzogener und fleißiger Kerl
und ein treuer Spieler im Umgang mit seinen Kollegen, immer bereit, blind
160
Vgl. »Quizeram dar uma gorgeta ao Manteiga? Testemunhos de Raul Loureiro
Filho e Gentil Monteiro«,
SSOI
, 30.4.1921.
161
Ebd.
162
»O forward Muniz (Manteiga) conta como o America F. C. venceu o Fluminense
por 5x3«,
SSOI
, Nr. 8, 23.4.1921.
167»Rasse«
167
den Gesetzen zu folgen.«163
Manteiga
verteidigte sich gegen mögliche Vor-
würfe, nicht offensiv genug gespielt zu haben, erneut mit der ihm zuteil
gewordenen Manndeckung. So habe er bei seinem Spieldebüt keine
Möglichkeit gehabt, ein Tor zu schießen und nur Tore vorbereiten können.
Er klagte in seinem Bericht, die Gegner würden einen »Krieg« gegen ihn
führen, ihn besonders unnachgiebig und brutal decken und foulen.164
Manteiga
glaubte nicht an einen Zusammenhang mit seiner Marine-
erfahrung, denn »die Marine ist heute wie eine Armee, eine anständige
Körperschaft, in der es sehr kultivierte und wohlerzogene Soldaten gibt.«165
Er führte als Beweis für die Anerkennung von Seeleuten ihre Aktivitäten in
Rudervereinen und anderen Fußballvereinen an. Etwas anderes müsse also
die Abneigung von Gegnern und sogar Mannschaftskollegen auslösen, er
vermutete, es sei »die Frage der Hautfarbe«.166
Eine derartige, obgleich auch vorsichtige und defensive Benennung
rassistischer Ausgrenzung im Fußball durch einen betroffenen Spieler
selbst in einer Sportzeitung gab es bis dahin nicht. Darüber hinaus ist be-
merkenswert, dass er die Situation in Brasilien mit der in den USA und in
Uruguay verglich: »Die Vereinigten Staaten, die ›Neger‹ nicht tolerieren,
schickten, wie jeder weiß, 1919 zu den Inter-Alliierten Spielen als ihren
Repräsentanten im Weitsprung Sol Bluter [sic!], einen pechschwarzen
Schwarzen der übrigens der Held des Wettkampfes war.«167Auch Uruguay
»schließt aus seiner Mannschaft weder Gradín aus, weil er schwarz ist,
noch Delgado, weil er Mulatte ist.«168Auch in Brasilien sei das nicht der
Fall: »Gerade hier in Brasilien sind die vornehmsten Klubs auf dieselbe
Weise vorgegangen. Ich habe jede Menge Mulatten gesehen, die in Mann-
schaften von Paulistano, Fluminense, S. Christovão, Flamengo, Villa etc.
auftraten.«169Auch in seinem Klub América habe es zuvor schon »›kleine
Dunkelhäutige‹« gegeben und »nie war jemand gegen sie!«170Zum Schluss
seiner Verteidigung und Anklage meinte
Manteiga
zu beiden möglichen,
zur sozialen und rassistischen Form der Exklusion: »Dass ich von der Mari-
163
Ebd.
164
Ebd. Auch Filho berichtet von verstärkter Brutalität gegen afro-brasilianische
Spieler: Vgl. FILHO,
O negro
, S. 109 f.
165
»O forward Muniz (Manteiga) conta como o América F. C. venceu o Fluminense
por 5x3«,
SSOI
, Nr. 8, 23.4.1921.
166
Ebd.
167
Ebd.
168
Ebd.
169
Ebd.
170
Ebd.
168
168
»Rasse«
ne bin, bringt mich nicht in Verruf und ich fühle mich sehr ehrenhaft damit
und ›dunkel‹ bin ich nur deshalb geboren, weil man mich in der Stunde der
Geburt nicht für das Weiße entscheiden ließ!«171
Spieler wie
Manteiga
, meist aus den Vororten der großen Städte stam-
mend, stellten als erfolgreiche Sportler auch ein Identifikationsangebot für
Angehörige derselben sozialen Schicht und andere Afro-Brasilianer dar.
Das zeigen mehrere Karikaturen in O
Imparcial Supplemento Sportivo
, die
immer dieselbe afro-brasilianische Hausangestellte darstellen, jeweils als
Anhängerin populärer afro-brasilianischer und afro-amerikanischer Klubs
und Spieler; so 1919 nach den Südamerikanischen Spielen als Anhängerin
des Afro-Uruguayers Gradín und im Jahr 1921 als Anhängerin des in dem
Jahr erfolgreichen Klubs Bangú A.C. und des Spielers
Manteiga
.172
171
Ebd.
172
Vgl. auch P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 174 f.
169»Rasse«
169
Bild 7: Der Fußballspieler
Manteiga
war eine Identifikationsfigur für viele Afro-
Brasilianer. Zugleich drückte sich in seinem Spielstil die Idee des
embranquecimento
aus. Quelle: »Ahi ›manteiga‹ valente! Mostra que tú é de puro ›leite‹!«,
SSOI
,
13.8.1921.
173
Letztere Karikatur (Bild 7) nahm Bezug auf die Verwandlungskunst und
Defensivhaltung
Manteigas
. Die Hausangestellte, die sich in den Karikatu-
ren immer umgangssprachlich ausdrückte, rief
Manteiga
zu, er solle zei-
gen, dass er »aus reinster Milch« sei.174In einer anderen Variante stellte der
Karikaturist sie als Wahrsagerin dar, die ein Journalist in einem Vorort Rio
de Janeiros aufsucht, um etwas über die Erfolge des Klubs Bangú zu erfah-
ren.175
Bangú A.C. aus Rio de Janeiro war einer der wenigen Klubs, der in der
Eliteliga Rio de Janeiros spielte und dessen Mannschaften zum großen Teil
aus Afro-Brasilianern aus dem nördlichen Vorstädten Rio de Janeiros
stammten. Die anderen Elite-Klubs akzeptierten ihn vermutlich von Anfang
an, da ihn britische Techniker der Textilfabrik
Companhia Progresso
173
»Los, tapferer ›manteiga‹! Zeig, dass Du aus reinster ›Milch‹ bist!
«
174
»Ahi ›manteiga‹ valente! Mostra que tú é de puro ›leite‹!«,
SSOI
, 13.8.1921.
175
Vgl. »O Bangú A. C. ›tá bão memo‹! (Ouvindo uma preta mina cartomante)«,
SSOI
, 30.4.1921.
170
170
»Rasse«Industrial Bangú
1904 gründeten, die in dem Vorort Bangú angesiedelt
war.176Leite Lopes meint, dass die Elitevereine den Klub Bangú im Gegen-
satz zu Vasco da Gama nie als eine echte Bedrohung wahrnahmen, da er
sie fußballerisch kaum herausforderte.177Der Klub führte als einer der ers-
ten ein semi-professionelles Ausbildungssystem der Spieler ein und bildete
talentierte Fußballer aus, die später in großen Klubs Karriere machten. So
begannen die afro-brasilianischen Spieler Fausto (1926) und Domingos
(1929) im Bangú ihre Karriere. Sie und der ebenfalls afro-brasilianische
Spieler Jaguaré, der bei Vasco spielte, waren auch in der Presse fortgesetzt
rassistischen Anfeindungen ausgesetzt, wie Karikaturen über ihn und bei-
spielsweise die Bezeichnung als »hässlichster Mann der Welt« demon-
strieren.178
Einige wenige afro-brasilianische Spieler widersetzten sich der Diskri-
minierung und rassistischen Ausgrenzung oder benannten sie zumindest.
Manteiga
jedenfalls ist später, nach einer Reise des Klubs América nach
Salvador de Bahia, nicht mehr mit seinem Verein nach Rio de Janeiro
zurückgekehrt.179
Manteiga
ging nicht aktiv gegen den Rassismus vor, son-
dern fügte sich der Ausgrenzung. Er äußerte den Wunsch, seine Hautfarbe
zu ändern. Er strebte nach Anerkennung durch seine Mannschaftskollegen,
indem er sich anstrengte, besonders wenig aufzufallen und vermeintlich
»weiße« Verhaltensweisen bis zur Übertreibung zu zeigen.
2.5. ZUSAMMENFASSUNG
Zusammenfassen lassen sich die Ergebnisse dieses Kapitels vor allem im
Hinblick auf die Verhandlung »rassischer« Identitäten und von Rassismus
im transnationalen Kontext. So sind an
Manteigas
Äußerungen seine
Bezüge auf die USA und Uruguay herauszustellen. Deutlich wird hier die
176
Vgl. C
ALDAS
,
O pontapé inicial
, S. 29 ff. Folgende Gründer gibt ein Bericht an:
Andrew Procter, John Stark, José Villas Boas, Thomas Donohoe, Clarence Hibbs,
William French, William Procter, Martinho Dumiense, José Medeiros, José Soares,
Frederich Jaques und Thomaz Hellowell: »Histórico do Bangu A.C.«,
SSOI
, 23.4.1921.
177
L
EITE
L
OPES
, A vitória do futebol, S. 69. Wenngleich 1921 Bangú als Anwärter
auf den lokalen Meisterschaftstitel angeführt wurde: Vgl. »O Bangu A. C. é o provavel
Campeão de 1921«,
SSOI
, 11.6.1921.
178
Vgl. »Paraiso dos Macacos«,
Gazeta de Notícias
, 8.6.1930, S. 7; Bild ohne Titel,
Gazeta de Notícias
, 15.6.1930, S. 5.
179
L
EITE
L
OPES
, A vitória do futebol, S. 70. Bei Eintritt in den Klub América seien,
so Leite Lopes, allein neun Spieler aus der ersten und zweiten Liga des Klubs aus Pro-
test gegen seine Aufnahme ausgetreten: Vgl. ebd. Siehe auch:
SSOI
, 26.3.1921.
171»Rasse«
171
Möglichkeit, die der globalisierte Sport Betroffenen bot, Rassismen zu
vergleichen und Beispiele aus anderen Ländern auch als Grundlage für
eigene Emanzipationsforderungen zu nutzen. Afro-brasilianische Spieler
waren über den Fußball, selbst wenn sie nie im Ausland spielten, zumindest
diskursiv über die Presse in eine transnationale Sportgemeinschaft
eingebunden. In kaum einem anderen kulturellen Bereich waren Afro-
Brasilianer und Afro-Amerikaner schon in den 1920er-Jahren derart
sichtbar wie im Sport. Die Presseberichterstattung von Boxwettkämpfen,
von internationalen Sportgroßveranstaltungen wie den Olympischen
Spielen und den Inter-Alliierten Spielen 1919, auf die sich
Manteiga
bezog,
zeigtenAfro-AmerikaneralserfolgreicheRepräsentantenvon
Sportnationen. In dieser Erfolgsrolle tauchten sie zuvor in der Presse nicht
auf.180Ja, für Afro-Brasilianer gab es außerhalb des Sports kaum Möglich-
keiten, sich gesellschaftlich erfolgreich zu positionieren. Durchaus exis-
tierten afro-brasilianische Schriftsteller und Politiker, doch sie waren Elite-
angehörige und die Presse bezog sich auf sie meistens nicht explizit als
»Schwarze«.
Anders war der Umgang der Presse mit Sportlern: Gerade im Kontext
internationaler Erfolge nahmen Publikum, andere Spieler und Sportfunktio-
näre sie als »Schwarze« wahr, dabei stellten sie Eigenschaften heraus, die
»rassisch« determiniert seien und sie für den sportlichen Erfolg prädesti-
nierten.181Die Sportpresse selbst nahm diese transnationalen Vergleiche vor
und beteiligte sich an der Konstruktion des »schwarzen Athleten«. So ver-
glich sie zum Beispiel
Manteiga
mit dem afro-uruguayischen Spieler
Gradín, den
O Imparcial
als »ausländischen ›Manteiga‹« bezeichnete.182
Verdeutlicht hat diese veränderte Wahrnehmung die ausgewertete Leser-
briefdebatte (Vgl. Kapitel 2.3). Sie zeigt, dass nicht nur intellektuelle Eliten
und Sportjournalisten diskursiv »rassische« Identität verhandelten. Auch
fußballenthusiastische Besucher von Spielen der zweiten lokalen Liga São
Paulos, also Menschen aus der neu entstehenden urbanen Mittelschicht,
waren an dem Fußballdiskurs beteiligt. Und auch sie nahmen Fußball in
ihren Zuschriften als transnationales Phänomen wahr, indem sie auf
Schicksale von Spielern afrikanischer Herkunft in anderen Ländern verwie-
sen. Das zeigt einmal mehr, wie stark Fußball »Rasse« materialisierte und
180
Bilder von Afro-Amerikanern tauchten eher auf den Kriminalseiten der Zeitungen
auf: Vgl. auch KEYS,
Globalizing Sport
, S. 13-14.
181
Vgl. ebd.
182
»›Manteiga‹ estrangeira«,
SSOI
, 7.5.1921.
172
172
»Rasse«
wie auch brasilianische Fußballanhänger in den 1920er-Jahren Vorstellun-
gen eines »schwarzen Athleten« mitkonstruierten.
Die hier ausgewerteten Quellen widerlegen teilweise die Aussage
George Reid Andrews‘, Afro-Brasilianer hätten sich in den 1920er-Jahren
in eigenen Klubs zusammengeschlossen, da »weiße« Vereine sie völlig
ausgeschlossen hätten. Andrews bezieht sich auf Quellen aus den 1930er-
Jahren.183Sicher hat er nicht völlig Unrecht und tatsächlich führte der er-
schwerte Zutritt zu »weißen« und vor allem Eliteklubs für Afro-Brasilianer
zur Gründung eigener Klubs. Der Fall des Argentino zeigt aber, dass auch
»weiße« und »schwarze« Brasilianer zusammen spielten und darüber
hinaus Rassismus im Fußball schon 1918 verbreitet in der Presse mit sehr
unterschiedlichen Positionen debattiert wurde.
Diese Bezüge führten allerdings nicht automatisch zu einer Inklusion
afro-brasilianischer Spieler. In diesem Sinne ist Fußball als moderner Sport
keine kulturelle Praxis, die automatisch Gleichheit herstellt. Die Globalisie-
rung des Fußballs zu Beginn des 20. Jahrhunderts bedeutet nicht eine Uni-
formierung von Werten im Sinne einer globalen Anpassung von transpa-
renten Zugangsmöglichkeiten zu Fußballklubs oder insgesamt zur Welt des
Fußballs. Vielmehr lässt sie sich als Entstehungsmoment neuer Möglich-
keiten der Bezugnahmen und Vergleiche in einem von den Akteuren auch
so wahrgenommenen transnationalen Sportraum beschreiben. In ihm ließen
sich Vorstellungen von »Rasse«, darauf beruhende Diskriminierungen und
sich ihnen entgegensetzende Anti-Rassismen verhandeln. Der Eintritt und
die Sichtbarkeit afro-brasilianischer Spieler in diesem transnationalen
Raum hat deshalb noch nicht die Auflösung rassistischer Vorurteile ihnen
gegenüber herbeigeführt. Vielmehr diente der Fußball gesellschaftlichen
Gruppen auch dazu, Vorstellungen von »Rasse« und Nation und Formen
von rassistischer Ungleichheit und Diskriminierung zu produzieren und zu
reproduzieren; das auch in einem transnationalen Kontext.
Darüber hinaus verdeutlichen die Debatten der 1910er- und 1920er-Jahre
in der Sportpresse, wie stark die Idee einer
raça brasileira
schon in den
Köpfen der Menschen, auch einer Mittelklasse, verankert war. Die meisten
Leser individualisierten die Schuld an Diskriminierung und Ausgrenzung
und gaben sie den Benachteiligten selbst, denn prinzipiell, so ihre Meinung,
eröffneten Brasilien und damit auch brasilianische Kultureinrichtungen
ihnen die Möglichkeit der Teilhabe. Wenn Afro-Brasilianer sie nicht wahr-
nähmen, liege das einzig an individuellen Problemen ihrerseits, an man-
183
A
NDREWS
,
Negros e brancos
, S. 221 f. Vgl. insbesondere S. 22, Fußnote 46 zu
den von ihm verwendeten Quellen.
173»Rasse«
173
gelnder Erziehung, Faulheit, Kriminalität – Phänomene, die ganz im Sinne
der
ideologia da vadiagem
mit »Schwarzsein« verbunden wurden.184
Bemerkenswert ist dennoch: Nicht alle an der Debatte von 1918 beteiligten
Leser nahmen an, es existiere in Brasilien kein
preconceito de côr
, einige
nahmen durchaus Diskriminierung wahr. Allerdings sahen auch sie über-
wiegend Fußballklubs als Möglichkeit des
embranquecimento
und damit
auch als Chance des sozialen Aufstiegs an. Über die Unterscheidungen
zwischen einem einerseits »guten«, andererseits »schlechten« afro-
brasilianischen Athleten, gemessen an den Werten eines als »weiß« ange-
nommenen
sportsman
, konstruierten auch sie einen spezifischen brasiliani-
schen »schwarzen Athleten« mit. Dieser sollte dann später, ab den
1930er-Jahren, als Resultat der erfolgreichen brasilianischen
miscigenação
zum Idealbild des brasilianischen Fußballs werden und eine vermeintliche
Überwindung rassistischer Diskriminierung und zugleich ebenso »Kreoli-
sierung« des Fußballs verkörpern. Nicht zuletzt war das auch ein brasiliani-
scher Beitrag zur Schaffung eines transnationalen »schwarzen Athleten« an
sich.
Auf dem Weg dahin waren afro-brasilianische Spieler einem enormen
gesellschaftlichen Druck ausgesetzt, sich den Vorstellungen dieses spezi-
fisch brasilianischen »schwarzen Athleten« anzupassen. Fußball diente
dazu, in einer allen verständlichen, nahezu universalen Sprache Verhal-
tensweisen zur Erreichung dieses Ideals nahezulegen.
184
Ebd., S. 209 ff.
174175
3. REGION: DIE AUSGESTALTUNG REGIONALERBEZIEHUNGEN AUSGEHEND VON SÃO PAULO
Die beiden vorangegangenen Kapitel konzentrierten sich auf soziale und
rassistische Exklusion und die Aushandlung sozialer und »rassischer«
Identität über den Fußball. Deutlich wurde, welche Rolle der Fußball für
die Konstruktion von Differenzen und deren Aushandlung spielte. Eine
ähnliche Funktion nahm der Fußball im Untersuchungszeitraum für regio-
nale Differenzierungen ein.
Im Fokus der folgenden Überlegungen steht die regionale Rivalität im
Fußball zwischen Rio de Janeiro und São Paulo, die seit den ersten Spiel-
begegnungen zwischen Mannschaften beider Städte stark zunahm. Fußball-
spieler, Sportjournalisten und Sportfunktionäre handelten diese Differenzen
in einem transnationalen Kontext aus, das heißt, sie bezogen sich in der
Konstruktion regionaler Identität auf Beispiele in anderen Ländern. Be-
deutend waren vor allem internationale Spielbegegnungen, da durch sie
regionale Überlegenheitsansprüche gerechtfertigt wurden. Fußball diente
zu Beginn internationaler Sportbegegnungen als Vehikel, um vor allem
Europa, aber auch Argentinien und Uruguay ein »weißes«, »zivilisiertes«
und modernes Brasilien vorzuführen. Gerade Paulistaner Eliten waren an
der Vermittlung dieses Eindrucks interessiert, stimmte es doch mit dem
allgemeinen Bild überein, das sie in der Zeit der Ersten Republik von sich
entwarfen.1
Der Erste Weltkrieg, wie schon weiter oben genauer ausgeführt, führte
auch in Brasilien zu einer teilweisen Abwendung von Europa, die sich
unter anderem in diversen Nationalisierungskampagnen und künstlerischen
und intellektuellen Abnabelungsprojekten niederschlug. Weiterhin aber
blieb Europa für brasilianische Eliten eine Blaupause. Selbst in der Suche
nach eigenen Ausdrucksformen spielten europäische Konzepte eine be-
deutende Rolle, allein schon weil das Fernziel eine brasilianische Nation
war und das Konzept der Nation ein europäisches Konstrukt. In Brasilien
haben Eliten auch nach dem Ersten Weltkrieg daran festgehalten, einen
»Standard der ›Zivilisation‹« zu erreichen, der sie zu anerkannten und
gleichwertigen Partnern im internationalen Gefüge machen würde.2
1
Vgl. F
ERREIRA
,
A epopéia bandeirante
; W
EINSTEIN
, Racializing Regional
Difference; DIES., Weiß, männlich, Mittelschicht.
2
Zum Begriff »Standard der ›Zivilisation‹«: Vgl. C
ONRAD
u.a., Introduction. Com-
peting Visions of World Order, S. 6. Vgl. zu der fortgesetzten Orientierung nicht-west-
licher Eliten an Europa nach dem Ersten Weltkrieg, selbst in der Formulierung alterna-
tiver kultureller Programme: CONRAD, Sebastian, »Europa« aus der Sicht nichtwest-
176
176
Region
Was auf den ersten Blick als ein nationales Projekt erscheint, interpre-
tierten regionale Eliten durchaus unterschiedlich. Sie nutzten auch Fußball-
begegnungen, um regionale Vorstellungen von der Nation Brasilien aus-
zudrücken und um regionale Hierarchisierungen diskursiv zu festigen.
Gerade Paulistaner Eliten suchten über den Fußball zu belegen, dass sie auf
einer »zivilisatorisch« höheren Stufe als andere Regionen seien. Diese
Sportart betrachteten sie als eine aus Europa stammende kulturelle Praxis,
über die ein »Zivilisationsniveau« körperlich darstellbar sei. Der schon
während des Ersten Weltkrieges zunehmende internationale Austausch im
Fußball kam ihnen dabei gelegen.
Auch die Kategorie »Rasse« spielte in der Konstruktion dieser regiona-
len Differenzen eine bedeutende Rolle.3Das galt besonders für die Kon-
struktion einer Paulistaner Identität, die hier als Teil der regionalen Bezie-
hungen zwischen Rio de Janeiro und São Paulo im Vordergrund steht. So
hat Barbara Weinstein in einer Studie zur Konstruktion der
Paulista
-
Identität in den 1930er-Jahren im Kontext der »Konstitutionalistischen
Revolution« von 1931/1932 herausgearbeitet, wie stark Paulistaner Eliten
regionale Identität in »Rasse«-Kategorien ausdrückten und mit »Weißsein«
verbanden. Diese Konstruktion, so Weinstein, war überaus nachhaltig, sie
überdauerte die politische Zentralisierung durch Getúlio Vargas und lasse
sich bis in die Gegenwart als Diskurs verfolgen. Selbst als die Anziehungs-
kraft der Theorien des wissenschaftlichen Rassismus als Fundamente für
Differenzierungen nachließen und andere Diskurse wie »Zivilisation«,
Modernität und Fortschritt sie ersetzten, hätten Differenzwahrnehmungen
weiterhin auf »Rasse« beruht.4
Cariocas und Paulistas traten in interregionalen oder interlokalen Derbys
gegeneinander an, mit der Zunahme internationaler Spiele formierten sie
zusammen auch Nationalmannschaften. Bis in die Mitte der 1920er-Jahre
setzten sich diese Teams fast ausschließlich aus Spielern der beiden Städte
zusammen. Zusammen sahen sich Paulistas und Cariocas als fortschrittlich
und modern im Hinblick auf den Sport und den Fußball speziell. Sie ord-
neten sich auf einer Zivilisationsskala ein, auf der die europäischen Fuß-
ballnationen am oberen Ende standen, unmittelbar gefolgt von Argentinien
licher Eliten, 1900–1930, in:
Journal of Modern European History
4, 2006, S. 158-170,
hier 168 f. Auch: SACHSENMAIER, Dominic, Searching for Alternatives to Western
Modernity – Cross-Cultural Approaches in the Aftermath of the Great War, in:
Journalof Modern European History
4, 2006, Nr. 2, S. 241-260, hier 243 ff.
3
Vgl. W
EINSTEIN
, Racializing Regional Difference, S. 238 ff.
4
W
EINSTEIN
, Racializing Regional Difference, S. 238-240. Zu einem ähnlichen Er-
gebnis führt auch die Studie von Jerry Dávila: Vgl. DÁVILA,
Diploma de brancura
.
177Region
177
und Uruguay, mit São Paulo und Rio de Janeiro in der Mitte. Am unteren
Ende der Skala, weit abgehängt, standen andere Regionen Brasiliens, die
Paulistaner Schriftsteller und Sportjournalisten als lernfähige, jedoch völlig
rückständige Regionen hinsichtlich des Fußballspiels markierten.5
Mit der zunehmenden Konfrontation zwischen São Paulo und Rio de
Janeiro im Zuge der Fußballinternationalisierung zu Beginn des 20. Jahr-
hunderts markierten einflussreiche Paulistaner Sportjournalisten, Fußball-
spieler und Funktionäre auch die Cariocas als rückständig und sprachen
ihnen konstant ihre Legitimation als Vertreter des brasilianischen Fußballs
nach außen ab. Was als »bairrismo«, also im zeitgenössischen Jargon als
»lokalpatriotische« Rivalität begann, wandelte sich zu einer weitreichen-
deren Auseinandersetzung. Vordergründig ging es in der Konfrontation um
die Frage, welche der beiden Städte den brasilianischen Fußball besser
repräsentierte, auch welche der beiden ihn in das brasilianische
»Hinterland« tragen und so auf der nationalen Ebene als Vorbild dienen
könne. Diese Konflikte fanden auf einer institutionellen und einer diskursi-
ven Ebene statt, beide werden im Folgenden analysiert. Es handelte sich, so
die These, um weit mehr als nur eine gewöhnliche regionale Fußballrivali-
tät. Vielmehr spielte der Fußball eine Rolle in der Konstruktion regionaler
Identitätsdiskurse, die, so Weinstein, bis heute Gültigkeit besitzen und die
auf die Ursachen für regionale Ungleichheiten blicken lassen.6Diese Funk-
tion des Fußballs ist bisher noch nicht ausführlicher betrachtet worden.7
5
Vgl. Sant’Anna, Leopoldo, »O football em São Paulo tem progredido notavel-
mente«,
A Gazeta
, 26.4.1918; »O football no Amazonas. A temporada sportiva de
1920«,
Vida Sportiva
, Nr. 176, 8.1.1921; »Football. Notas Indigenas. A ›Liga Mogyana‹
- Para os Grandes Males, os Grandes Remedios, - A Eloquencia de Um Officio«,
AGazeta
, 15.1.1920; »Football. O Dr. Ferreira Santos fala à ›Gazeta‹. O Progresso do
Football no interior. O Novo Campo do Commercial«,
A Gazeta
, 25.2.1920; »No
Hinterland…«,
A Gazeta
, 8.8.1930.
6
W
EINSTEIN
, Barbara, Developing Inequality. Presidential Address at the 122nd
Meeting of the American Historical Association, Washington DC 2008, URL: <http://
www.historians.org/info/aha_history/weinstein.cfm#35> (abgerufen am: 9.9.2011).
Weinstein mahnt, nicht fälschlicherweise davon auszugehen, die Diskurse hätten soziale
und ökonomische Ungleichheit verursacht. Allerdings, so argumentiert sie weiter, könn-
en Diskursuntersuchungen womöglich einen weiteren Blick auf ökonomische und
soziale Ursachen für Ungleichheiten werfen.
7
In der existierenden historischen Literatur findet die Rivalität Erwähnung, jedoch
hat kein Fußballhistoriker sie ausführlicher untersucht. Einzig Pereira weist darauf hin,
dass sie von Zeitgenossen als Auseinandersetzung zwischen zwei »Rassen« gesehen
wurde: PEREIRA,
Footballmania
, S. 159-164.
178
178
Region3.1. REGIONALISMEN UND REGIONALEIDENTITÄTEN IN DERERSTENREPUBLIK
Die Zeit der brasilianischen Ersten Republik (1889-1930) war mit der Ein-
führung eines föderalen Systems durch die Verfassung von 1891 von star-
ken Regionalismen und politischer und administrativer Dezentralisierung
gekennzeichnet, im Gegensatz zur vorangegangenen Herrschaft Dom
Pedros II. Obgleich hinsichtlich der politischen Kultur der herrschenden
Klasse starke Kontinuitäten zum Kaiserreich bestanden, erlebten doch
einige Regionen außergewöhnliche soziale, politische und wirtschaftliche
Transformationen, die sich auch in der Interaktion zwischen nationaler und
regionaler Ebene abbildeten. Am stärksten wandelte sich in dieser Hinsicht
sicherlich der Staat São Paulo.8
Der im Fußball ausgedrückte und bestärkte Überlegenheitsdiskurs wird
erst verständlich, wenn São Paulos außergewöhnliche Entwicklung von
einer kleinen Provinzstadt Anfang des 19. Jahrhunderts zu einer wirt-
schaftsstarken Metropole zu Beginn des 20. Jahrhunderts nachgezeichnet
und der historische Mythos dargelegt wird, der den rasanten Aufstieg histo-
risch legitimieren sollte. Anfang des 16. Jahrhunderts war gerade São Paulo
Ausgangspunkt portugiesischer imperialer Expansion.9Von dort zogen
»abenteuerlustige Pioniere« in Expeditionen (
bandeiras
) westwärts in das
Landesinnere auf der Suche nach Bodenschätzen und Indiosklaven. Histo-
riker, Politiker und Schriftsteller konstruierten Ende des 19. und Anfang
des 20. Jahrhunderts eine Identität der Paulistas als Nachkommen dieser in
ihren Augen vor allem abenteuerlustigen, risikofreudigen, unternehmeri-
schen und »weißen«
bandeirantes
. Maßgeblich ging diese Traditionsbil-
dung von Mitgliedern neu gegründeter akademischer Institute aus, wie der
Academia Paulista das Letras
(APL) und dem
Instituto Histórico-Geográfico de São Paulo
(IHGSP).10
8
Zu Regionalismen in der Ersten Republik Vgl. L
OVE
, Joseph LeRoy,
Rio Grandedo Sul and Brazilian Regionalism 1882-1930
, Stanford, Calif. 1971. Zum Wandel der
politischen Herrscherklasse und Diskontinuitäten: Vgl. TOPIK, Steven, Brazil's
Bourgeois Revolution?, in:
The Americas
48, 1991, Nr. 2, S. 245-271. Eine neuere
regionalpolitische Geschichte des Staates São Paulo in der Ersten Republik, die ver-
schiedene Partizipationsstufen analysiert, bietet: WOODARD,
A Place in Politics
. Re-
gionen waren in der Zeit der Ersten Republik in einem geopolitischen Verständnis
deckungsgleich mit den föderalen Staaten, entsprechend ist auch hier mit Region ein
Bundesstaat gemeint, zum Beispiel der Staat São Paulo: Vgl. LOVE,
Rio Grande do Sul.
9LOVE,
São Paulo
, S. 4.
10
F
ERREIRA
,
A epopéia bandeirante
, S. 137-145.
179Region
179
In den letzten Jahren haben Historiker und Historikerinnen diesen nach-
haltigen Mythos zerlegt, der Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhun-
derts als Erklärung für die ökonomische und kulturelle Überlegenheit der
Paulistas diente.11In Wahrheit seien die
bandeirantes
brutale und rück-
sichtslose Männer gewesen, die ihre Expeditionserfolge nur durch die Ver-
sklavung Indigener erreichten und keineswegs »weiß« waren, sondern
»gemischter«, sowohl europäischer als auch indigener Herkunft.12Wie
Antônio C. Ferreira darlegt, stellten Historiker die »gemischte« Herkunft
zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchaus schon als prägend für den
bandeirante
dar – in ihm vereinte sich ihnen zufolge die kriegerische Kraft
eines »guten Wilden« (
bom selvagem
) und die Überlegenheit der Portugie-
sen. Gleichwohl beruhten diese Konstruktionen auf willkürlichen und
positivistischen Forschungen, die an einen romantisierenden »Indigenis-
mus« des 19. Jahrhunderts angeschlossen hätten.13In der »rassischen«
Konstruktion des
Paulista
sei dabei dem »weißen« Europäer die eigentliche
zivilisatorische und vereinheitlichende Kraft in der Mischung zugesprochen
worden.14
Erklärt werden sollte São Paulos rasanter Aufstieg: Vom letzten Drittel
des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Ersten Republik entwickelte sich die
Stadt São Paulo von einer Provinzstadt mit 31.385 Einwohnern im Jahr
1872 zum Zentrum des südöstlichen Kaffeeanbaus mit 579.033 Einwoh-
nern im Jahr 1920.15Die geografische Lage der Provinz mit den Hoch-
ebenen und dem dadurch für eine tropische Region außergewöhnlich
milden Klima und einer besonders geeigneten Erde prädestinierten sie für
die Kaffeeanpflanzung. Den Aufstieg unterstützte der beinahe gleichzeitige
Niedergang der Zuckerwirtschaft im Nordosten. Die Stadt São Paulo zog
schon seit der Gründung der Rechtsschule am Largo de São Francisco
11
Vgl. als Untersuchung zur Ausbeutung indigener Arbeitskraft durch die
bandei-rantes
: MONTEIRO, John Manuel,
Negros da terra: índios e bandeirantes nas origens deSão Paulo
, 2. Aufl., São Paulo 1994. Eine neuere Monografie zur Konstruktion dieses
Mythos im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist: FERREIRA,
A epopéia bandeirante
.
12
W
OODARD
,
A Place in Politics
, S. 23; L
OVE
,
São Paulo
, S. 5.
13
Ferreira weist nach, dass die Historiker des
Instituto Geográfico e Histórico de SãoPaulo
(IGHSP) und Mitglieder der
Academia Paulista das Letras
(APL), die maß-
geblich diese historischen Abhandlungen schrieben, die Paulistas als Nachfahren von
Indigenen, wie den Guinaná, Caingangue oder Maronomi konstruierten und dabei ei-
nige Eigenschaften isolierten, um sie mit »Eigenschaften« der Portugiesen zu kombinie-
ren: FERREIRA,
A epopéia bandeirante
, S. 137-145.
14
F
ERREIRA
,
A epopéia bandeirante
, S. 137 ff.
15
L
OVE
,
São Paulo
, S. 26.
180
180
Region
Anfang des 19. Jahrhunderts Eliten aus ganz Brasilien an, wie der Histori-
ker James Woodard darlegt. Hier angelegt war ihm zufolge ein Zusammen-
spiel von Unternehmertum, Kapital, Wissen und Sklaverei – hinzu sei der
britische Einfluss im 19. Jahrhundert im Zuge des britischen »informal
empire« gekommen – über das sich São Paulo noch vor der Abolition im
Jahr 1888 zur Region der erfolgreichen Kaffeeplantagenwirtschaft
entwickelt habe.16
Wirtschaftlich erfolgreiche regionale Eliten beteiligten sich am Sturz
Pedros II. im Jahr 1889. Sie setzten im politischen Regionalismus der 1889
ausgerufenen Republik die ökonomischen Interessen im berühmten Bünd-
nis »Kaffee mit Milch« mit den Eliten des Staates Minas Gerais politisch
durch. Vor allem Paulistaner Kaffeepflanzer und Bankbesitzer konnten in
der sogenannten
Política dos Governadores
(
Politik der Gouverneure
) ihre
wirtschaftlichen und politischen Interessen geltend machen, die São Paulos
Wachstum noch beschleunigten.17Joseph Love zufolge habe zum einen
dem Bundesstaat São Paulo durch die Dezentralisierung der Staats-
einnahmen mehr Geld zur Verfügung gestanden und das einen schnelleren
Übergang zu kapitalistischen Produktionsweisen ermöglicht. Zum anderen
ließen Paulistaner Eliten auf der föderalen Ebene den anderen Staats-
gouverneuren eine relative Autonomie in ihren Staaten und verlangten im
Gegenzug Gefolgschaft bei der Wahl von Präsidenten und anderen wichti-
gen Ämterbesetzungen auf Bundesebene. Vor allem durch die Steuer-
autonomie habe die ökonomisch aufstrebende Paulistaner kapitalistische
Klasse Einnahmen für ihr weiteres Wachstum geschaffen.18Jüngste Studien
zeigen allerdings auch, dass politisches Handeln in São Paulo zur Zeit der
Ersten Republik nicht ausschließlich in der Hand oligarchischer Eliten lag,
sondern eine heterogene Gruppe daran partizipierte, die aus Angehörigen
einer aufstrebenden Mittelschicht auch aus kleineren Städten des
Bundesstaates bestand.19Diese Entwicklungen riefen selbstverständlich
starke regionale Identifikationen hervor und verlangten gerade bei dieser
Gruppe und den Eliten im Kontext der allgemeinen nationalen
Identitätensuche im postabolitionistischen Brasilien zum Ende des 19. und
16
W
OODARD
,
A Place in Politics
, S. 24.
17
Vgl. L
OVE
,
Rio Grande do Sul
, S. 109-135; W
EINSTEIN
, Barbara, Brazilian Region-
alism, in:
Latin American Research Review
17, 1982, Nr. 2, S. 262-276.
18
L
OVE
,
Rio Grande do Sul
, S. 109-135. Vgl. auch: W
EINSTEIN
, Brazilian Region-
alism.
19
Vgl. W
OODARD
,
A Place in Politics
.
181Region
181
Beginn des 20. Jahrhunderts zugleich nach einer historischen Legiti-
mation.20
Der aus dieser Sinnsuche hervorgehende
bandeirantes
-Mythos blendete
die Tatsache aus, dass der anfängliche Boom in großen Teilen auf Sklave-
rei, also auf einem Beitrag afrikanischer und afro-brasilianischer Arbeits-
kraft beruhte, so Weinstein: Paulistaner Pflanzer hätten afrikanische Skla-
ven als faul und eine auf Sklaverei beruhende Plantagenwirtschaft als
rückständig betrachtet.21Daraus hervorgegangen sei die Unterstützung der
Abolition und vor allem die von der Provinz São Paulo ab 1884 subventio-
nierte Förderung europäischer Einwanderung. Ende des 19. Jahrhunderts
kamen allen voran Italiener, dann Spanier und Portugiesen nach São Paulo.
Sie ersetzten die Sklaven auf den Plantagen als sogenannte
colonos.
22Wenn
für die ehemaligen Sklaven in diesem neuen Arbeitssystem noch Platz war,
wurden sie marginalisiert und konnten sich höchstens als
camaradas
(Aushelfer) oder
caipiras
(Tagelöhner) verdingen. Viele zogen in die
Städte, wo sie als Teil der urbanen Unterschicht ebenso erschwerten
Zugang zu Lohnarbeit hatten wie auf dem Land.23
Die Paulistas führten die massive industrielle Entwicklung und Moderni-
sierung nach 1889 also auf ein besonderes kulturelles Erbe zurück, das sie
oftmals auch mit »rassischen« Unterschieden erklärten, wie Weinstein
darlegt. Das Erbe der Sklaverei und die explizite, auf pseudo-
wissenschaftlichen »Rassentheorien« beruhende Förderung europäischer
Einwanderung blendeten die Paulistas ihr zufolge aus dieser historischen
Meistererzählung aus.24
Die Cariocas sahen sich in einer ähnlichen und ebenfalls historisch
legitimierten Rolle als Hauptstadt und kulturelles Zentrum Brasiliens.25Rio
de Janeiro erlebte als Hauptstadt einen aufwühlenden und politisch, sozial
und ökonomisch schwierigen Übergang von der Monarchie in die Re-
20
W
EINSTEIN
, Racializing Regional Difference, S. 243 ff.
21
Ebd., S. 244; D
IES
., Developing Inequality.
22
Eine Form der Lohnarbeit mit Recht auf Gewinnbeteiligung oder Landnutzungs-
rechten: Vgl. WOODARD,
A Place in Politics
, S. 25; LOVE,
São Paulo
, S. 8-16.
23
Ebd. Zur Marginalisierung von ehemaligen Sklaven: Vgl. A
NDREWS
, Black and
White Workers. Zum Leben der Immigranten auf dem Land in São Paulo: HOLLOWAY,
Thomas H.,
Immigrants on the Land: Coffee and Society in São Paulo, 1886-1934
,
Chapel Hill 1980.
24
W
EINSTEIN
, Racializing Regional Difference, S. 249-251.
25
Vgl. G
OMES
, Ângela Maria do Castro, Essa gente do Rio… os intelectuais cariocas
e o modernismo, in:
Revista Estudos Históricos
6, 1993, Nr. 11: Os Anos 20, S. 64-77;
Siehe auch: CARVALHO, The Force of Tradition.
182
182
Region
publik.26Auch Rio de Janeiro zog Immigranten aus Europa und aus anderen
Regionen Brasiliens an und erlebte ein industrielles Wachstum und die
Herausbildung einer Mittelschicht im Handel und im Dienstleistungssek-
tor.27Doch die Intellektuellen und auch die neue Mittelschicht São Paulos
sahen in ihrer Stadt eine Überwindung und eine Distanznahme von Symbo-
len und Traditionen, die man vor allem in der alten Hauptstadt Rio de
Janeiro wirkmächtig sah, die man teilweise noch mit der Monarchie ver-
band, mit der Rolle staatsnaher Eliten und Bürokratie.28
São Paulo mit seinem wirtschaftlichen und urbanen Wachstum, das Rio
de Janeiro übertraf, wurde und wird eine »Sonderrolle« in dieser Zeit zuge-
sprochen.29Die folgenden Ausführungen sollen selbstverständlich nicht
dazu dienen, den Diskurs einer Paulistaner Überlegenheit historisch zu
legitimieren. Im Gegenteil, sie sollen zu seinem weiteren Verständnis bei-
tragen, indem hier die Rolle des Fußballs für diesen Regionaldiskurs ver-
deutlicht wird.
3.1.1. »Pioniergeist« und »Überlegenheit« São Paulos im Fußball
Paulistaner Eliten drückten auch über den Fußball Differenzierungen aus
oder konstruierten sie. Fußball war damit Teil des Paulistaner Überlegen-
heitsdiskurses in der Ersten Republik. Seine Funktion ging jedoch weit
darüber hinaus, São Paulo nur gegenüber anderen Regionen als überlegen
und fortschrittlich zu kennzeichnen. Fußball ist im größeren Kontext der
Suche brasilianischer Eliten nach einem Platz im Reigen der als »zivili-
siert« geltenden Nationen zu sehen. Entsprechend repräsentierten die Pau-
listas São Paulo nicht nur in interregionalen Spielen als überlegen, auch bei
internationalen Spielen gaben sie die Region als Repräsentant ganz Brasili-
ens aus. São Paulo gab sich als Avantgarde des Fußballs und zugleich als
Stellvertreter der gesamten Nation.
Teilweise fügten sich die Cariocas dem Diskurs der Paulistas und er-
kannten eine spieltechnische und auch kulturell begründete Überlegenheit
São Paulos im Fußball an. Das lag auch daran, dass Paulistas ihren An-
spruch aus konkreten Erfolgen speisten, für die gerade das Auftreten auf
internationalem Parkett – also bei internationalen Sportveranstaltungen –
eine bedeutende Rolle spielte.
26
Vgl. C
ARVALHO
,
Os bestializados
, S. 15-41.
27
Vgl. O
WENSBY
,
Intimate Ironies.
28
Vgl. G
OMES
, Essa gente do Rio...; F
ERREIRA
,
A epopéia bandeirante
; W
EINSTEIN
,
Weiß, männlich, Mittelschicht.
29
Vgl. W
OODARD
,
A Place in Politics,
S. 5 ff.
183Region
183
Rio de Janeiro und São Paulo waren im Untersuchungszeitraum die
Sportzentren Brasiliens, auch wenn sich der Fußball in beiden Städten unter
unterschiedlichen Bedingungen verbreitete.30Die unterschiedliche
Sportausbreitung hing stark mit der jeweils spezifischen geografischen
Entwicklung der beiden Städte im 19. Jahrhundert zusammen und insge-
samt mit unterschiedlichen Ausgangslagen. Rio de Janeiro war als Haupt-
stadt im Kaiserreich seit der Unabhängigkeit Brasiliens 1822, vor allem
unter Dom Pedro II., Experimentierfeld für Kulturformen und -praktiken
aus Europa.31Diesen Status erreichte São Paulo erst circa 30-40 Jahre
später, als im Zusammenhang mit der prosperierenden Kaffeeökonomie
Kapital in die Stadt kam und schließlich mit der Industrialisierung und
gesellschaftlichen Ausdifferenzierung Anfang des 20. Jahrhunderts.32
Trotzdem konstruierten Paulistas sich als Pioniere auf dem Gebiet des
Fußballs.33Tatsächlich fand hier wahrscheinlich das erste Spiel nach den
Regeln der englischen FA statt, hier gründeten Immigranten und Brasilia-
ner die ersten Klubs und organisierten sich in einer Liga und hier veran-
stalteten Klubs die ersten internationalen Spiele.34
In Rio de Janeiro hingegen erreichte der Fußball mit seinen Vermittlern
eine Stadt, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts schon eine ausgeprägte
Sportkultur aufwies und in der eine Oberschicht lebte, die schon seit der
Regentschaft des portugiesischen Exilkönigs Dom João VI. vor der
Unabhängigkeit Brasiliens, und später durch Dom Pedro II. fortgeführt, mit
europäischen Kulturpraktiken vertraut war.35Vor allem Rudern und Pferde-
rennen erfreuten sich großer Beliebtheit bei den lokalen Eliten. Die ersten
großen Sportklubs, die später auch Fußball anboten, gründeten Vertreter
dieser beiden Sportarten (Flamengo und Vasco da Gama), außerdem
Schwimmer, Radrennfahrer (América, Botafogo und Fluminense) oder
Cricketspieler (Payssandu Cricket Club).36Wie Melo argumentiert, war der
30
Vgl. Kapitel 1 der vorliegenden Arbeit.
31
Vgl. C
ARVALHO
, Brazil 1870-1914; N
EEDELL
, The Domestic Civilizing Mission.
32
M
ELO
,
Cidade esportiva
, S. 23 f. Siehe etwa zur Rolle des Sports in São Paulo in
den 1920er-Jahren: SEVCENKO,
Orfeu extático
, insbes. S. 43-73.
33
Vgl. F
IGUEIREDO
,
História do Foot-Ball
.
34
Vgl. Hans Nobiling an Paulo Varzea, 15.8.1907, IMS; C
ARDIM
,
Resumo históricoda vida esportiva
.
35
Vgl. N
EEDELL
, The Domestic Civilizing Mission; D
ERS
.,
A Tropical Belle Epoque:Elite Culture and Society in Turn-of-the-Century Rio de Janeiro
, New Rochelle u.a.
1987, S. 52-115.
36
Vgl. M
ASCARENHAS
, Gilmar de Jesus, O lugar e as redes: futebol e modernidade na
cidade do Rio de Janeiro, in: Glaucio José MAROFON(Hg.),
Estudos de geografia184
184
Region
Grund für die lokal spezifische Ausprägung einer vielseitigen Sportkultur
unter anderem die geografische Lage Rio de Janeiros am Wasser.37Das
prädestinierte die Stadt gerade für Formen des Wassersports. Es gab noch
keine Hinweise darauf, dass Fußball einmal den Rang dieser Sportarten
ablösen sollte.38
Auch die Reformen des Architekten Pereira Passos Anfang des 20. Jahr-
hunderts, mit denen Rio de Janeiro nach dem Vorbild der Haussmannschen
Reformen in Paris in eine Belle-Époque-Stadt umgestaltet werden sollte,
führten zur Anlage weiterer für den Sport nutzbarer urbaner Räume. Die
Sportkultur knüpfte, so Gilmar Mascarenhas, an das schon Dagewesene
an.39Als der Fußball nach Rio de Janeiro kam, gab es also im Sinne
Markovits u.a. schon eine »Sphäre etablierter institutioneller Interessen«.40
In São Paulo war die Sportentwicklung vergleichsweise noch jungfräu-
lich und Immigranten und brasilianische Eliten hatten es einfacher, den
Fußball dort schnell als wichtigste Sportart zu etablieren.41Der deutsche
Immigrant Hans Nobiling, der 1897 nach São Paulo gekommen war, be-
richtete 1907, »der hauptsächlich unter den Engländern und ihren Söhnen
praktizierte Sport [sei] fast ausschließlich das Cricket-Spiel« gewesen.
Auch in der deutschen Kolonie sei das Interesse für den Fußball gering
gewesen, denn »niemand hatte dieses Spiel im Heimatland praktiziert.
Gymnastik ja, aber Fußball spielen wollte niemand lernen […].«42Aller-
dings berichtete Nobiling auch, er habe schnell interessierte Mitspieler aus
den anderen (vor allem italienischen) Immigrantengemeinden gefunden,
die das Spiel aus ihrer Heimat schon kannten. Die ersten Gegner waren
brasilianische Schüler der Elite-Schule Mackenzie College, unter denen der
Lehrer Augusto Shaw Begeisterung für Sport verbreitete. Shaw war 1898
aus den USA zurückgekehrt, von wo er vor allem Rugby und »bola ao
cesto« (Basketball) mitbrachte, doch die Schüler interessierten sich stärker
fluminense
, Rio de Janeiro 2001, S. 127-142; Vgl. zu Rio de Janeiro als Sportstadt ab
Mitte des 19. Jahrhunderts: MELO,
Cidade esportiva
.
37
M
ELO
,
Cidade esportiva
. Die ersten Sportzeitschriften, die Angehörige der Ober-
schicht schon Ende des 19. Jahrhunderts gründeten, erwähnten Fußball mit keinem
Wort und er war völlig nebensächlich. Sie deckten Pferderennen und Ruderregatten ab:
Vgl. DERS., S. 190 f.
38
M
ASCARENHAS
, O lugar e as redes, S. 136 f.
39
Ebd.
40
M
ARKOVITS
u. a., Mapping Sports Space, S. 1471.
41
Vgl. M
ASCARENHAS
, Gilmar de Jesus, São Paulo: a cidade e o futebol, in:
Educa-ción Física y Deportes
,
Revista Digital
8, 2007, Nr. 46, URL: http://www.efdeportes.
com/Revista Digital (abgerufen am: 15.2.2012).
42
Hans Nobiling an Paulo Varzea, 15.8.1907, IMS, S. 2 f.
185Region
185
für den Fußball, den sie bei einigen Spielen der britischen Klubs der Stadt
gesehen hatten.43
In keiner anderen brasilianischen Stadt etablierte sich der Fußball so
schnell. Nachdem er in der ersten Phase auf Elitevereine von Brasilianern
(Mackenzie College, C. A. Paulistano) und Immigranten (S. C. Germânia,
Internacional) beschränkt blieb, spielten ihn vor allem Arbeiter auf den
Straßen, in den Arbeitervierteln, an Eisenbahnstrecken entlang, in Fabriken
und an den bereits erwähnten Flussufern.44
Eine der ökonomisch bedeutendsten Familien São Paulos bot mit dem
Velodrom, der zum ersten Fußballstadion São Paulos umfunktionierten
Radrennhalle, die räumlichen Voraussetzungen für den frühen Fußball-
boom. Die Prados waren Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts die
wichtigsten Förderer des Sports in São Paulo.45Mehrere Familienmitglie-
der, so Antônio Prado, Plínio Prado und Martinho da Silva Prado, waren
1900 an der Gründung des Vereins C. A. Paulistano beteiligt, der später
eine herausragende Rolle in der Verbreitung der über den Fußball konstru-
ierten regionalen Identität spielen sollte. Vor allem Antônio Prado Júnior
verkörperte den Pioniergeist des
bandeirante
-Mythos und erhielt für diese
Rolle lokal große Anerkennung.46
Schon vor dem Ersten Weltkrieg fanden erste internationale
Spielbegegnungen mit südamerikanischen und europäischen Mannschaften
in beiden Städten statt. Mit seinem Ende nahmen diese Begegnungen zu.
Im Hintergrund standen verbesserte Reisemöglichkeiten und außerdem
gewannen Gegenüberstellungen nationaler Mannschaften im politischen
Klima der Zwischenkriegszeit eine neue, politische Dimension.47Vor dem
43
C
ARDIM
,
Resumo histórico da vida esportiva
, S. 1.
44
Vgl. Kapitel 1.5, S. 91 der vorliegenden Arbeit. Zu den Fabrikklubs und der Ver-
breitung entlang der Eisenbahnstrecken: ANTUNES, Futebol nas fábricas; BROWN/LANCI,
A Transnational Investigation of Football. Ähnlich verlief auch die Ausbreitung in
Buenos Aires, wie Frydenberg herausgearbeitet hat: Vgl. FRYDENBERG, Julio David, El
espacio urbano y el inicio de la práctica masiva del fútbol. Buenos Aires 1900-1920, in:
Boletín del Instituto Histórico de la Ciudad de Buenos Aires
VIII, 1995, Nr. 14, S. 35-
48, hier 39 ff.
45
Vgl. zur Rolle der Prados im Aufstieg São Paulos insgesamt: L
EVI
,
The Prados ofSão Paulo
, 1987. Zur Rolle im Sport: »O Circuito de Itapecerica - Berço do
Automobilismo Paulista«,
OESP
, 28.11.1952, CPJ Pacote 32 40, Pasta »Notas para o
livro ›História dos Esportes em São Paulo‹«, SpUEB; Brief P. Luis, 14.4.1945, CPJ
Pacote 32 40, Pasta »Notas para o livro ›História dos Esportes em São Paulo‹«.
46
Vgl. Kapitel 4.2, S. 276.
47
Vgl. A
RNAUD
, Pierre/James R
IORDAN
(Hg.),
Sport and International Politics
, Lon-
don 1998. Zu den Reisemöglichkeiten: LANFRANCHIu. a.,
Moving with the Ball
.
186
186
Region
Ersten Weltkrieg hatten europäische Mannschaften vor allem als Lehr-
meister der eigenen Stilentwicklung gedient. Sich an ihnen zu messen
bedeutete von ihnen zu lernen. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs dien-
ten die Begegnungen aber auch dazu, eigene Stärken festzustellen und zu
beweisen und eigene Aneignungsformen zu demonstrieren. In welcher
Form dies zugleich der Demonstration regionaler Stärke diente, soll auf den
folgenden Seiten deutlich werden.
3.1.2. Internationale Lehrmeister
Schon im Jahr 1914 wandelte sich ein zuvor ausgedrücktes Unterlegen-
heitsgefühl Brasiliens bei internationalen Spielen: Die Vereine Fluminense
F.C. und Payssandu aus Rio de Janeiro luden gemeinsam den englischen
Profi-Klub Exeter City ein, der sich auf einer Tour durch Südamerika
befand. Im Stadion von Fluminense fanden drei Spiele statt, einmal gegen
eine Mannschaft aus in Rio de Janeiro ansässigen Briten, dann gegen eine
lokale Carioca-Auswahl und gegen eine nationale Auswahl aus Spielern
der beiden Städte Rio de Janeiro und São Paulo.48
Im Gegensatz zu den bis dahin bespielten britischen Klubs war Exeter
City kein Amateurverein, sondern ein englischer Profiverein. Die Sport-
presse erwartete eine Niederlage der Amateure aus Brasilien, denn wie ein
Journalist in der Zeitung
O Paiz
argumentierte, verfügten die Spieler von
Exeter City nicht nur über professionelle Erfahrung, hinzu komme auch,
dass sie über die Kenntnisse der Regeln hinaus physisch äußerst stark seien
und vom »jogo violento« (»gewaltvollen Spiel«) Gebrauch machen wür-
den. Das hätten auch die schon ausgetragenen Spiele in Argentinien ge-
zeigt, betonte der Autor. Den Profis fehle jedoch »Gewandtheit und Kühn-
heit«, Eigenschaften, über die die Amateure aus Brasilien ihm zufolge
verfügten. Trotz des zu erwartenden Erfolgs der Engländer bezeichnete die
Sportpresse in ihren Vorberichten den englischen Klub nicht mehr wie
zuvor internationale Teams nur als Vorbild und Lehrmeister. Im Gegenteil:
In den detail- und auch kenntnisreicher gewordenen Analysen verbarg sich
auch Kritik und eine positive Gegenüberstellung des Spiels der Brasilianer,
in denen die Kritiker zum Beispiel die oben genannten Eigenschaften der
»Gewandtheit und Kühnheit« herausstellten.49
48
»O Exeter City no Rio de Janeiro – O primeiro match na Capital da Republica«,
OESP
, 18.7.1914. Vgl. auch MASON,
Passion of the People?
, S. 21; PEREIRA,
Foot-ballmania
, S. 140 f.
49
»Football. O Exeter City Club de proffissionaes da liga sul de Inglaterra chegou
hontem a esta capital, onda [sic!] disputará tres sensacionaes matches, contra os scrat-
187Region
187
Dabei endeten die ersten beiden von drei Spielen erwartungsgemäß und
das Team von Exeter City ging jeweils als Sieger hervor. Diese Logik
kehrte sich mit dem dritten Spiel am 21.7.1914 um. Es war das erste Mal,
dass eine »nationale« Auswahl von Spielern aus Rio de Janeiro und São
Paulo gegen ein ausländisches Team antrat. Das Stadion des Klub
Fluminense in der Rua Guanabara war mit 5.000 Besuchern bis auf den
letzten Platz belegt, und, so der Autor des Spielberichtes am nächsten Tag
in
Correio da Manhã
, nicht einer der Zuschauer habe mit einem Sieg der
nationalen Auswahl über die englischen Profis gerechnet.50Entsprechend
groß war der Enthusiasmus der Zuschauer im Stadion und auf den Straßen
nach dem sensationellen 2:0-Sieg. Die Sportpresse beider Städte sah in dem
Erfolg einen Triumph patriotischer Geschlossenheit und Einheit der beiden
Sportzentren Rio de Janeiro und São Paulo.51
Und nun änderte sich erst recht der Ton der Berichterstattung: Vor der
Ankunft und nach dem ersten Spiel beschrieb die Presse die Spieler von
Exeter City in einem bewundernden und eher unterwürfigen Tonfall. Im
Verlauf der Turniere kritisierte sie sie offen für ihr äußerst brutales Spiel,
wie schon nach dem zweiten Spiel deutlich wurde:
In der zweiten Halbzeit war das Spiel vor allem ein Kampf von Amateu-
ren der Foot-Ball Association gegen eine Gruppe von starken Männern,
die seit langem in der professionellen Ausübung eines Spiels geübt sind,
das mit dem der Football Association identisch ist und in dem allerdings
alle möglichen Arten schändlicher ›Tricks‹ erlaubt sind.52
Der Schiedsrichter, so urteilte ein Journalist in der Tageszeitung
Correio daManhã
, habe im dritten Spiel gegen die Nationalauswahl über viele
ches dos inglezes, brazileiros e cariocas – São Paulo escusou-se de fornecer seus joga-
dores para a formação dos scratches – Retrospecto dos matches do Exeter na Argentina
– Biographia de seus pleyers [sic!]«,
O Paiz
, 18.7.1914, S. 5.; »O Exeter vence ao
scratch carioca por 5x3«,
O Paiz
, 20.7.1914.
50
»Um grande acontecimento sportivo. Os brasileiros derrotam brilhantemente os
afamados profissionaes do Exeter City, marcando dois bellos ›goals‹ a zero«,
Correioda Manhã
, 22.7.1914, S. 3. Das geht auch aus dem Spielbericht über das vorange-
gangene Spiel von Exeter City gegen eine Auswahl aus cariocas hervor: »O Exeter City
vence com serias difficuldade os ›scratch‹ carioca pelo score de 5 a 3«,
Correio daManhã
, 20.7.1914, S. 8.
51
»A grande prova internacional contra o Exeter City«, Correio da Manhã,
25.7.1914; »O ›match‹ do Rio com os inglezes«,
A Gazeta
, Nr. 2531, 23.7.1914, S. 1.
52
»O Exeter vence ao scratch carioca por 5x3«,
O Paiz
, 20.7.1914. Vgl. auch: »O
Exeter no Rio – Os profissionaes inglezes batem os cariocas por 5 a 3«,
OESP
,
21.7.1914.
188
188
Region
schwere Fouls der englischen Spieler hinweggesehen, insgesamt hätten die
Gegner äußerst unfair gespielt.53
Auch die Paulistaner
A Gazeta
beschrieb das Spiel gegen den Profi-Klub
im Nachhinein als äußerst brutal. Mehrere Spieler, so der Mittelfeldspieler
Sylvio Lagreca, wurden verletzt, es kam zu Tumulten auf dem Spielfeld,
weil die Engländer das Spiel aus Unzufriedenheit mit einer Schiedsrichter-
entscheidung unterbrachen.54Auch Jahre später erinnerten sich Spieler
besonders an diese Begegnung, beschrieben den Sieg der brasilianischen
Mannschaft als hart erkämpften Triumph und hoben hervor, wie die Men-
schen auf den Straßen in Rio de Janeiro die Spieler auf Grund des überra-
schenden Sieges als Helden feierten.55
Die Presse stellte zugleich heraus, der Vergleich mit einem brutalen und
starken ausländischen Team habe den brasilianischen Fußball vereint. Den
Sieg interpretierte sie auch als Triumph über regionalistische Differenzen
und Auseinandersetzungen. Es war Konsens in der Sportpresse, dass ein
Team mit Spielern aus beiden Städten schon eine nationale Auswahl reprä-
sentiere. Dass vier Spieler aus São Paulo teilnahmen, sah die Sportpresse
als bedeutende Annäherung zwischen den beiden Bundesstaaten Rio de
Janeiro und São Paulo in der brasilianischen Föderation. Die in der Organi-
sation des nationalen Sportes bestehenden Rivalitäten und Konflikte könn-
ten überwunden werden. Auch die beim Publikum entstehenden patrioti-
schen Gefühle bei internationalen Spielen könnten dazu beitragen, eine
Einheit zu schaffen. Das projizierte die Zeitung
Correio da Manhã
schon
vor dem Spiel in das Vorhaben hinein, eine brasilianische Auswahl zu-
sammenzustellen:
Die Bedeutung dieses Vorhabens, das zu Ende gebracht werden soll,
kann nicht geleugnet werden. Es repräsentiert eine weitere Verbindung
in den wirklich freundschaftlichen Beziehungen der beiden Institutionen,
eine Verbindung, die sich in der Einheit der gemeinsamen Interessen
und Ideale der beiden sich schnell entwickelnden Staaten der brasiliani-
schen Föderation widerspiegelt. Es repräsentiert eine weitere Eroberung
auf dem Weg, die übertriebenen Einflüsse des Lokalpatriotismus
53
»Um grande acontecimento sportivo. Os brasileiros derrotam brilhantemente os
afamados profissionaes do Exeter City, marcando dois bellos ›goals‹ a zero«,
Correioda Manhã
, 22.7.1914, S. 3.
54
»O ›match‹ do Rio com os inglezes«,
A Gazeta
, Nr. 2531, 23.7.1914, S. 1.
55
»Campeões e Veteranos III Francisco do Nascimento Pinto. A scisão na Liga
Paulista - O Smocking influiu no Campeonato Sul-Americano de 1916 - Os torcedores
sulinos sao justiceiros- Um aviador que não vóa… - ›Os brasileiros‹«,
A Gazeta
,
15.3.1928.
189Region
189
[bairrismo] zwischen uns auszuräumen und unseren Mannschaften einen
brasilianischen Charakter zu verleihen, nicht als lokale Organisationen,
Cariocas oder Paulistas, die sich um die besten oder schlechtesten Er-
gebnisse des ›score‹ in internationalen Kämpfen messen wollen, sondern
als Repräsentanten der Kräfte Brasiliens. Paulistas und Cariocas werden
brüderlich in einer Gruppe vereint sein, über der der Geist des Patriotis-
mus schwebt, die einer Körperschaft des Sportes untergeordnet ist, trotz
der lokalen Parteilichkeiten.56
Paulistas und Cariocas fühlten sich in diesem Moment über den Enthusias-
mus für ihre gemeinsame Mannschaft miteinander verbunden. Das Ideal
der alle Rivalitäten überwindenden patriotischen Einheit durch ein gemein-
sames sportliches Vorhaben konnte jedoch nur kurzfristig über die Fixie-
rung auf einen gemeinsamen Gegner erreicht werden.
Zugleich hatten internationale Spiele, organisiert durch lokale Klubs
oder Ligen und abgehalten in örtlichen Stadien, eine weitaus größere Be-
deutung für die lokale Sportgemeinschaft als zum Beispiel ein internatio-
nales Spiel, das in der entfernten Nachbarstadt stattfand. Zumindest geht
dies aus der Art und Weise hervor, wie die Presse ein solches Ereignis
abdeckte – sie maß einem lokalen internationalen Sportereignis mehr Auf-
merksamkeit bei. Während die Sportpresse in Rio de Janeiro noch den
ersten Triumph einer »nationalen« Auswahl über ein ausländisches Team
feierte, bereitete in São Paulo die lokale Liga APSA den Empfang einer
italienischen Nationalauswahl, zusammengestellt vom italienischen Fuß-
ballverband, für Anfang August 1914 vor. Die mit der APSA rivalisierende
lokale Liga LPF lud fast zeitgleich den italienischen Klub Torino F.C. ein.57
Beide italienischen Amateurteams sollten gegen verschiedene lokale
Eliteklubs spielen. Die Vorbereitungen und die Begegnungen selbst nah-
men in der Sportpresse einen weitaus größeren Platz ein als die Spiele
gegen Exeter City in Rio de Janeiro. Der Besuch von Fußballern aus dem
Land, aus dem ein Großteil der europäischen Einwanderer in São Paulo
stammte, war eben von größerem Interesse.
56
»Foot-Ball. A Proxima Vinda do ›Exeter City‹. Os paulistas formarão comnosco os
›teams‹ de brasileiros e de inglezes?«,
Correio da Manhã
, 11.7.1914, S. 6.
57
»Foot-Ball. A Proxima Chegada dos Foot-Ballers Italianos a São Paulo – O
Programma das Festas que a A.P.S.A. prepara aos seus hospedes – ›Garden-Party‹ e
Picnic – Hockey – Os ›scratches‹ paulistas«,
OESP
, 29.7.1914, S. 8; »Italia vs. Brasil«,
Gazeta de Notícias
, 2.8.1914.
190
190
Region
Die Sache war lokalen Eliten sogar so wichtig, dass die APSA die Reise
der »squadra rappresentativa nazionale« mit 20.000 ital. Lira unterstützte.58
Nach mehreren erfolglosen Versuchen war der Besuch das Ergebnis direk-
ter Verhandlungen zwischen Vertretern der Lokalligen und italienischen
Fußballfunktionären und Politikern. So waren an der Vermittlung auf italie-
nischer Seite der italienische Generalkonsul in São Paulo, Pietro Baroli, der
italienische Parlamentsabgeordnete und Vorsitzende des italienischen Fuß-
ballverbandes, Carlo Montu, und der italienische Nationaltrainer und ehe-
malige Fußballspieler Giuseppe Milano beteiligt. Auf Paulistaner Seite
standen die Vorsitzenden der APSA und Mitglieder der Elite-Klubs
Paulistano, Internacional und Palmeiras, Almeida Prado, Mário Cardim,
Luiz Fonseca, Henrique Vanordem und Enrico Misasi. Anlässlich der
Spiele organisierten die Veranstalter mehrere private und staatliche Emp-
fänge. Dazu luden sie den Vizepräsidenten des Staates von São Paulo, die
Sekretäre für Justiz und Landwirtschaft, für Inneres, Finanzen, den Bürger-
meister von São Paulo, die Mitglieder des Abgeordnetenhauses der Stadt
und des Staates und den Präsidenten des Justizgerichtes, den italienischen
Konsul und weitere wichtige politische Persönlichkeiten ein.59
São Paulo hatte in den vorangegangen Jahren eine hohe Zuwanderung
aus Italien, von den Einwanderern hatten einige inzwischen hohe Posten in
Wirtschaft und Politik besetzt und damit einen nicht zu unterschätzenden
Anteil am Wandel São Paulos zum wirtschaftlichen Zentrum Brasiliens.60
Die Bedeutung des ersten Spiels gegen ein nicht-britisches, europäisches
Team – auch außerhalb der italienischen Community – drückte ein Journa-
list der Zeitung
O Estado de São Paulo
aus, der im ersten Teil seines Arti-
kels den Fortschritt São Paulos mit der Entwicklung der Leibesertüchtigung
in São Paulo in Verbindung brachte. Gerade der internationale Austausch
und die Besuche ausländischer Vereine leisteten hier einen wichtigen
Beitrag. Ausdrücklich führte er São Paulos Überlegenheit auf eine spezi-
fische Offenheit, Metropolitanität und vor allem auf den internationalen
Austausch São Paulos zurück:
58
»Matches internacionaes – Italia versus Brasil«,
OESP
, 19.7.1914.
59
Vgl »Os Foot-ballers italianos em São Paulo - Convites – Os festejos«,
OESP
,
31.7.1914.
60
Vgl. C
ARELLI
, Mario,
Carcamanos e comendadores: os italianos de São Paulo: darealidade à ficção, 1919-1930
, São Paulo 1985, S. 22-26; HOLLOWAY,
Immigrants onthe Land
, S. 35-69. Zur Bedeutung des Fußballs für die Aushandlung ethnischer
Identität der italienischen Immigranten-Community in São Paulo siehe etwa: ARAÚJO,
Imigração e futebol
; BOCKETTI, Italian Immigrants.
191Region
191
Ein erreichter Fortschritt São Paulos ist es, trotz zeitweiser Schwächen
in Sachen Leibeserziehung immer weiter voranzukommen. […] Wir
wurden schon einige Male durch Besuche von englischen, argentini-
schen und uruguayischen Teams geehrt und jedes Mal vergewissern wir
uns stärker, welchen Beitrag diese sportlichen Kämpfe leisten, sowohl
zu unserem Fortschritt im Sport an sich als auch zu den heilsamen Fol-
gen, die sich für die existierenden Beziehungen zwischen den in diesen
Kämpfen repräsentierten Nationalitäten ergeben.
61
Und er betonte diesen Überlegenheitsanspruch São Paulos und knüpfte an
den Diskurs des
embranquecimento
an, indem er von der Paulistaner
Bevölkerung als
raça
sprach und hier den Beitrag europäischer Einwande-
rung hervorhob:
Von den Ländern, die am ehesten unsere Sympathien verdienen, über-
trifft mit Sicherheit keines Italien, die Nation aus der zu uns mit der
Energie und dem Geschick seiner Söhne die größten Beiträge zu unserer
ökonomischen Entwicklung kamen. […] São Paulo applaudiert den jun-
gen Italienern und Repräsentanten der gemeinsamen Traditionen unserer
Rasse, und dem Neuen Italien, aus dem mit den Kenntnissen seiner
mächtigen Mentalität und mit der Arbeit seiner Söhne so viele Bestand-
teile des Friedens, des Fortschritts und der Freundschaft nach Brasilien
kamen.
Die Presse und auch die Organisatoren sprachen den Sportereignissen eine
Integrationswirkung für die große italienische Community in São Paulo zu.
Die Spiele symbolisierten in den Augen des obigen Betrachters, dass das
fortschrittliche, moderne São Paulo der Gegenwart ohne den Beitrag der
Italiener nicht denkbar war.
Die Besuche und die Spiele gegen die italienische
squadra
und gegen
den Verein Torino F.C. organisierten die jeweiligen Veranstalter wie
Staatsakte. Eine offizielle Empfangsdelegation des Lokalverbandes be-
grüßte die italienische Reisedelegation der
squadra
im Hafen von Rio de
Janeiro. Neben den Spielen organisierte sie Ausflüge, zum Beispiel zu
verschiedenen Kaffeeplantagen in Rio Claro und Piracicaba und zum Elekt-
rizitätswerk der Firma
Central Electric Rio Claro
.62Ähnlich waren der
61
»Football. Os italianos em São Paulo«,
OESP
, 2.8.1914.
62
Vgl. »Os Foot-ballers italianos em São Paulo - Convites – Os festejos«,
OESP
,
31.7.1914.
192
192
Region
Empfang und die Gestaltung des Aufenthaltes für den Torino F.C.63Es galt,
São Paulo als aufsteigendes Wirtschaftszentrum zu zeigen. Die Orga-
nisatoren vermittelten, dass der wirtschaftliche Erfolg São Paulos das
Resultat einer erfolgreichen Einwanderungspolitik sei und betonten damit
zugleich, wie stark São Paulos Werdegang zur Stadt des Fortschritts im
Selbstverständnis lokaler Eliten auf dem Beitrag italienischer Einwanderer
beruhte.
Dass die Besuche tatsächlich eine Integrationswirkung für die italieni-
sche Community in São Paulo hatten, zeigte sich vor allem in ihren Nach-
wirkungen: Einige Mitglieder gründeten kurz darauf den italienischen Klub
Società Sportiva Palestra Italia, der zu einem der wichtigsten Vereine São
Paulos aufstieg.64Wie aus den Statuten hervorgeht, maßen die Gründer der
ethnischen Herkunft, einer allen Italienern unabhängig von der regionalen
Herkunft gemeinsamen »italianidade«, hohe Bedeutung zu. Zugleich for-
mulierten sie die Absicht, über den Fußball Italiener und Nachkommen
italienischer Einwanderer in São Paulo in die »Mehrheitsgesellschaft« zu
integrieren:
Der Palestra ITALIA [Hervorh. im Original] hat weder politischen noch
religiösen Charakter, und auch wenn er beabsichtigt, den Geist der
italianidade hoch zu halten, der in seinem eigenen Namen liegt und ein
Ziel seiner Gründung ist, hat er doch kein nationalistisches Anliegen,
sondern versucht nur, die italienische Abstammung am Leben und die
Verehrung der Heimat der Herkunft geeint mit der Liebe und dem Res-
pekt für die adoptierte Heimat zu erhalten.65
In Artikel 2 der Statuten formulierten sie als Hauptziel des Klubs, »seine
Mitarbeit an allen Initiativen des Lebens der Stadt zu bekunden, die als Ziel
haben, die Leibeserziehung der Jugend zu entwickeln und zu verbessern
und so auf dem sportlichen Gebiet zur Einheit zwischen Italienern und
Brasilianern beizutragen […]«.66Leibesertüchtigung und Sport erwähnten
die Statuten als besondere Möglichkeit, ja als Sprachersatz, um Italiener
und Brasilianer einander näherzubringen, um Italiener in Brasilien zu integ-
63
Vgl. »Foot-ball. Os italianos em São Paulo – Visitas aos Membros do governo e ao
prefeito Municipal – a taça ›Sindaco‹ de Torino - visitas«,
OESP
, 8.8.1914, »Foot-ball.
Liga Paulista de Foot-ball – Os italianos em São Paulo«,
OESP
, 22.8.1914.
64
Vgl. F
IGUEIREDO
,
História do Foot-Ball
, S. 95 f.; Vgl. A
RAÚJO
,
Imigração efutebol
.
65
Statuten des Vereins Palestra Italia, »Sociedade Palestra Italia«, 15.12.1914,
Sociedade Civil nº 440 A, Artikel 3, APESP.
66
Ebd., Artikel 2.
193Region
193
rieren und um überhaupt unter den Italienern in São Paulo einen Sinn für
eine gemeinsame ethnische Herkunft zu erzeugen.67Die italienische
Gemeinschaft in São Paulo war seit dem Beginn ihrer massenhaften
Einwanderung laut Gregg Bocketti sehr heterogen, es hätten zahlreiche
Vereine und Zeitungen existiert. Sie habe keine starke gemeinsame ethni-
sche Identität aufgewiesen. Ein Klub wie Palestra Itália wollte hier anset-
zen: Er wollte den Klub in die Mehrheitsgesellschaft integrieren und zu-
gleich eine gemeinsame Ethnizität fördern.68
Der Historiker Gregg Bocketti hat die Genealogie des Vereins Palestra
Itália im frühen brasilianischen Fußball als einen Fall der Konstruktion
ethnischer Identität italienischer Immigranten in Brasilien und damit als
Beziehung zwischen brasilianischer und italienischer Identität interpre-
tiert.69Es ist aber hervorzuheben, dass die Konstruktion einer brasilianisch-
italienischen Identität von der Seite Paulistaner Eliten als Beitrag zu einer
brasilianischen Identität unter Paulistaner Vorzeichen interpretiert wurde,
die auch dazu dienen konnte, den Überlegenheitsanspruch der Paulistas in
Brasilien zu zementieren.
Internationale Fußballbegegnungen haben nicht automatisch nationale
Einheit bestärkt, auch wenn sie mit diesem Ziel veranstaltet wurden. Sie
konnten gerade auch divergierende Interpretationen des Nationalen und
regionale Überlegenheitsansprüche freilegen und forcieren. Es zeigt sich,
dass der internationale Fußball nicht nur dazu diente, nationale Differen-
zierungen zu bestärken, er beförderte auch regionale Unterscheidungen in-
nerhalb einer Nation. Aus ihm bezogen Paulistaner Sporteliten ihr Überle-
genheitsgefühl gegenüber anderen Räumen in Brasilien, das in ihren Augen
auf dem spezifischen Beitrag europäischer Einwanderer und auf Begeg-
nungen brasilianischer Fußballer mit europäischen Mannschaften beruhte,
die andere Staaten und Städte so nicht aufweisen konnten. Das gipfelte in
dem Anspruch, für ganz Brasilien ein Ausstrahlungszentrum für Fußball-
kultur zu sein.
3.1.3. Rio de Janeiros administrative Überlegenheit: Die Gründung derCBD
Die regionale Rivalität zwischen Rio de Janeiro und São Paulo und der
Überlegenheitsanspruch São Paulos bildete sich auch in der Herausbildung
eines nationalen Sportverbandes ab. Hier hatte die Fußballinternationalisie-
67
B
OCKETTI
, Italian Immigrants, S. 283-288.
68
Ebd., S. 285.
69
Ebd.
194
194
Region
rung tatsächlich eine vereinheitlichende Wirkung. Diese bedurfte in den
ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts der Einrichtung unabhängi-
ger, unparteiischer Organe, die die Regeln bei internationalen Wettbewer-
ben überwachen und interpretieren konnten, so Eisenberg. Vereinsvor-
sitzende europäischer Klubs gründeten 1904 die FIFA mit dem Ziel die
nationalen Fußballverbände zu integrieren und zukünftig einen internatio-
nalen Wettbewerb zu etablieren.70Von Beginn an funktionierte die FIFA
nach dem Prinzip »ein Land, eine Stimme«, sie setzte bald den National-
staat als globalen Normalfall staatlicher Organisation voraus.71Unter die-
sem Motto griff sie, so legt Eisenberg dar, direkt in sportpolitische Belange
der Mitgliedsländer ein, in denen konkurrierende Sportverbände existierten,
und übte so eine uniformierende Kraft aus.72Die Tendenz zur Vereinheitli-
chung der transnationalen Organisationsbildung wurde auch in den Bestre-
bungen der Schaffung eines nationalen Sportverbandes in Brasilien deut-
lich.
Die Einrichtung übergeordneter Regulationsinstitutionen im internatio-
nalen Fußball hatte Regionalisierungseffekte. Gerade der Erste Weltkrieg,
durch den die internationalen Sportbeziehungen in Europa kurzfristig un-
terbrochen waren, verstärkte diese Tendenz. In mehreren Regionen auf der
Welt entstanden regionale Sportverbände, die Funktionen supranationaler
Regulation übernahmen und internationale Wettbewerbe ausrichteten, so in
Mitteleuropa, aber auch in Südamerika.73
1916 wollten die Nationalverbände Argentiniens (gegründet 1893) und
Uruguays (gegründet 1900) anlässlich der Unabhängigkeitsfeiern in Argen-
tinien im gleichen Jahr eine südamerikanische Meisterschaft durchführen,
organisiert durch einen südamerikanischen Regionalverband. Damit Brasi-
lien teilnehmen könne, so führt Carlos Sarmento aus, verlangten sie die
Bewerbung durch ein offizielles, die gesamte Nation repräsentierendes
Team, vertreten durch einen nationalen Verband. In São Paulo und Rio de
Janeiro hatten allerdings Sportfunktionäre jeweils eigene Verbände gegrün-
det, mit der Absicht, den nationalen Sport nach außen zu repräsentieren.74
In São Paulo war es die LPF unter Mário Cardim, die 1915 den Fußball-
70
E
ISENBERG
, Der Weltfußballverband FIFA, S. 209-211; K
EYS
,
Globalizing Sport
,
S. 50-51. Trotz ihres globalen Anspruchs blieb die FIFA bis nach dem Zweiten
Weltkrieg eine europäische Organisation: Vgl. EISENBERG, Fußball als globales Phäno-
men, S. 12.
71
E
ISENBERG
, Der Weltfußballverband FIFA, S. 222-227, insbesondere S. 223.
72
Vgl. ebd., S. 209-214; K
EYS
,
Globalizing Sport
, S. 43-56.
73
Vgl. E
ISENBERG
, Der Weltfußballverband FIFA.
74
S
ARMENTO
,
A regra do jogo
, S. 4-22.
195Region
195
verband
Federação Brasileira de Futebol
(FBF) gründete. Cardim, der gute
Kontakte zum argentinischen und uruguayischen Fußball hatte, erhielt bald
die offizielle Anerkennung der Sportverbände in Argentinien und Uruguay
und reichte ein Anerkennungsgesuch bei der FIFA ein.75
In Rio de Janeiro etablierte Álvaro Zamith, der Präsident des lokalen
Sportverbandes
Liga Metropolitana
, die
Federação Brasileira dos Esportes
(FBE) und ein Nationales Olympisches Komitee. Unabhängig von Mário
Cardim schickte auch dieser Verband ein Anerkennungsgesuch an die
FIFA. Zamith konnte sich, so Sarmento, auf eine größere Unterstützung
regionaler Sportfunktionäre aus anderen Staaten Brasiliens und des
Paulistaner Lokalverbands APEA verlassen, der zu dieser Zeit mit der LPF
konkurrierte. Zamith befürchtete jedoch, die FIFA könnte die FBF bevor-
zugen, da die FIFA explizit nationale Verbände förderte, die ausschließlich
die Sportart Fußball vertraten.76
Sarmento zufolge hatten beide Versuche jedoch keinen Erfolg, da die
FIFA vermutlich wegen des Kriegsgeschehens nicht reagierte, möglicher-
weise aber auch, um zu verstehen zu geben, dass die beiden regionalen
Verbände sich erst einmal einig werden sollten. Trotz monatelanger Ver-
suche vor allem Cardims, die FBE mit Hilfe argentinischer Unterstützung
als alleinigen Verband zu positionieren, scheiterte er mit seiner Strategie,
internationalen Druck auszuüben. Die argentinischen und uruguayischen
Sportverbände drängten nun ebenfalls verstärkt, damit sich die regionalen
Verbände untereinander einigten.77Weil die Teilnahme Brasiliens an dem
Turnier 1916 auch für die brasilianische Regierung aus diplomatischer
Sicht äußerst wichtig war, griff das Außenministerium ein und leitete die
Verhandlungen zwischen den beiden Konkurrenten. Im Juni 1916 einigten
sich die Sportfunktionäre der unterschiedlichen Parteien, verzichteten auf
ihre regionalen Vorhaben und gründeten zusammen die
ConfederaçãoBrasileira de Desportos
(CBD). Kurz darauf folgte die Anerkennung durch
Argentinien und Uruguay und die FIFA.78
Der Zusammenschluss befriedete die Rivalität keineswegs. Das lag da-
ran, dass die Sportfunktionäre des Carioca-Sportverbandes stimmlich und
personell die Oberhand in der CBD behielten und durch den Sitz in der
75
Ebd., S. 8. und 11-12.
76
Ebd. Zum Verhalten der FIFA in dieser Hinsicht siehe E
ISENBERG
, Der Weltfuß-
ballverband FIFA.
77
Vgl. ausführliche Darstellung des Prozesses bei: S
ARMENTO
,
A regra do jogo
,
S. 4-22.
78
Ebd., S. 4-22.
196
196
Region
Hauptstadt zudem auch der Unterstützung der Regierung sicher waren.
Währenddessen waren sich die Paulistas – ermutigt durch etliche interna-
tionale Erfolge – immer sicherer, sie seien die wahren Repräsentanten des
nationalen Fußballs, obwohl sie die Kontrolle über eine formelle Institution
ihren Rivalen überlassen mussten.
Mit der Einrichtung eines
Campeonato Sul-Americano
hatte die CBD
jährlich nationale Mannschaften aufzustellen. Ihre Auswahl rief regelmäßig
Konflikte zwischen den rivalisierenden lokalen Verbänden hervor, denn die
CBD bevorzugte angeblich lokale Spieler gegenüber den Paulistas.79Der
institutionelle Konflikt, der auf den ersten Blick als regionale Rivalität
erscheint, entlud sich auch in den Folgejahren vor einem internationalen
Hintergrund.
3.2. KONKURRIERENDE REGIONALEINSZENIERUNGEN
Die Verhandlungen um die Gründung eines nationalen Sport- oder Fußball-
verbandes verdeutlichen die uniformierende Kraft übergeordneter transna-
tionaler Zusammenschlüsse im Sport für rivalisierende Organisationen auf
nationaler Ebene, auf die Christiane Eisenberg mehrfach hingewiesen hat.
Es existierte hingegen nicht nur eine »Interaktion zwischen sportlichem
Internationalismus und Nationalismus«80, sondern auch zwischen sport-
lichem Internationalismus und Regionalismus. Das demonstrieren die Aus-
einandersetzungen zwischen Rio de Janeiro und São Paulo um sportliche
Inszenierungen81der Nation vor einem internationalen Publikum, wie vor
dem belgischen König Albert im Jahr 1920 (Kapitel 3.2.1) und im Kontext
der regionalen Olympischen Spiele oder die Diskussionen um die Feiern
des
Centenário de Independência
1922 (Kapitel 3.2.2), für die auch Sport
bzw. Fußball eine Rolle spielen sollten. Dafür spricht auch ein insgesamt
durch Paulistas aus Fußballerfolgen abgeleitetes regionales und »rassi-
sches« Menschenbild (Kapitel 3.2.3).
79
Vgl. ebd; P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 137-150.
80
E
ISENBERG
, The Rise of Internationalism in Sport, S. 402.
81
Der Begriff der Inszenierung wird hier im Sinne jüngster historischer
Performanzstudien verwendet. Auch die hier thematisierten Inszenierungen sind meines
Erachtens Beispiele, »die verdeutlichen, dass sich moderne, vermeintlich sprach- und
textbasierte Gesellschaften in hohem Maße in Performances, Aufführungen, Inszenie-
rungen und Ritualen verständigen, sich in derartigen Akten ihrer selbst versichern und
ihre Wertordnungen schaffen«: MARTSCHUKAT/PATZOLD, Geschichtswissenschaft und
»performative turn«, S. 2.
197Region
197
3.2.1. Die Inszenierung der Nation als Konflikt zwischen Rio deJaneiro und São Paulo
35.000 Zuschauer versammelten sich am 26. September 1920 zu einem
Fußballspiel im Stadion des Elite-Fußballklubs Fluminense F.C. in Rio de
Janeiro. Die Zeitungen berichteten von einem Spiel mit nie da gewesener
Bedeutung – und das, obwohl nur zwei lokale Mannschaften gegeneinander
antraten. Einen solchen Publikumsandrang erlebten in dieser Zeit normaler-
weise nur internationale Spiele.
Die Begegnung rief ein besonderes Interesse hervor, weil es sich um den
wichtigsten zeremoniellen Teil der Sportfeste handelte, die die Stadt zu
Ehren des belgischen Königspaares veranstaltete. König Albert und seine
Frau Elisabeth befanden sich seit dem 19. September zu einem mehrwöchi-
gen Staatsbesuch in Brasilien. Er war im Jahr 1920 für die brasilianische
Regierung eines der herausragenden öffentlichen Ereignisse: Für kurze Zeit
blickte Europa auf die Hauptstadt der brasilianischen Nation.82Mehrere
Monate zuvor hatte sie begonnen, alle möglichen Vorkehrungen zu treffen,
ein möglichst ansprechendes Bild der Stadt zu zeigen: Gebäude waren
saniert, Straßen gepflastert, elektrisches Licht installiert worden. Dabei
profitierte vor allem die sowieso schon privilegierte Südzone der Stadt von
den Reformen.83
Der Autor eines Leitartikels auf der Titelseite der Zeitung
O Paiz
be-
schrieb eindrücklich die Bedeutung der im Rahmen des Besuches organi-
sierten Sportfeste und verwies auf die Funktion des Fußballstadions als Ort
einer patriotischen Inszenierung vor dem belgischen Königspaar. Er stellte
eine historische Kontinuität zu dem
Campeonato Sul-Americano
von 1919
in Rio de Janeiro her und stufte das aktuelle Spiel als nationale Tradition
ein, in der eine Geschichte nationaler sportlicher Ereignisse fortgesetzt
werde, die schon vor dem Königsbesuch begonnen habe:
82
Vgl. »Foot-Ball. A Grande Parada Sportiva de Amanha em Homenagem ao Rei
Alberto da Belgica. O Match de foot-ball entre os scratches norte e sul – Os
preparativos em torno da revista sportiva – Outras notas«,
O Paiz
, 25.9.1920; »A
Apotheose Sportiva de Hoje em Homenagem a S.S.M.M. os Reis da Belgica. O Brasil
de amanhã desfilará hoje diante dos soberanos da Belgica - O Rei Alberto dará o ›kick-
off‹ no match entre os ›scratches‹ Norte e Sul - Outras Notas«,
O Paiz
, 26.9.1920; »A
Imponente Parada Sportiva em Homenagem a S.S.M.M. os Reis da Belgica. A Victoria
do scratch Sul pelo score de 4x1 – Outras notas«,
O Paiz
, 27.9.1920. Für eine ausführli-
che Beschreibung des Besuches als Fußballereignis: Vgl. Pereira, S. 154-157.
83
Vgl. C
AULFIELD
, Sueann,
Em defesa da honra: moralidade, modernidade e naçãono Rio de Janeiro (1918-1940)
, Campinas 2005, S. 112-115.
198
198
Region
Das Stadion, das Theater herrlicher Nachmittage der Emotionen gewe-
sen ist und in dem schon einige Male der sportliche Name Brasiliens im
Spiel war, wie im vergangenen Jahr anlässlich des Wettstreits der Süd-
amerikanischen Meisterschaft, wird heute zu klein sein, um das hinein-
strömende Publikum zu fassen, das dort ein ums andere Mal unseren
sportsmen seine Wertschätzung und Ehrung bekundet. Es sind
ohrenbetäubende Bekundungen, die von den Zuschauerrängen und von
anderen Teilen kommen, in einem Regen von Applaus und Jubel. Und
indem wir dieses Ereignis aufzeichnen, das wohl ohne Übertreibung als
atemberaubend eingeschätzt werden kann mit der Sicherheit, dass es
weniger ein Fest als vielmehr eine sportliche Apotheose zu Ehren der
belgischen Regierenden ist, nutzen wir die Gelegenheit, um einige
Grußworte an die Geehrten zu senden, die Gäste der brasilianischen
Volkes sind […].84
Am Austragungsort war zu Ehren des belgischen Königs eine Parade von
Athleten verschiedener Vereine der Stadt geplant und danach das erwähnte
Fußballspiel zwischen zwei lokalen Teams. Die Zeitung
O Paiz
beschrieb
die Bedeutung dieses Ereignisses und drückte darin vor allem die herausra-
gende Möglichkeit aus, ein junges und modernes Brasilien zu inszenieren:
Keine Gelegenheit ist so geeignet für eine Vorführung dessen, was wir
repräsentieren, als stattlicher Ausdruck dessen, was wir sind, wie der
Sport; dessen was wir darstellen, wie die Leibeserziehung; des Talentes
und der Energie einer Rasse, die unerschrocken auf ihre Bestimmung ei-
nes triumphalen Ziels zuschreitet, das noch kaum entworfen ist, das blü-
hend und vielversprechend ist, wie die so sympathische und edle Idee
der Athletikparade am Sonntag, in Ehre der jugendlichen und helden-
haften Energie des großen Athletenkönigs, der der belgische Souverän
ist, der uns nun mit seinem Besuch ehrt.85
Das brasilianische Volk, wie es dort vorgeführt werden sollte, war vor
allem männlich, jung und gesund. Es war ein Zukunftsprojekt, für dessen
Realisierung der Sport eine herausragende Rolle spielen sollte.
84
»A Apotheose Sportiva de Hoje em Homenagem a S.S.M.M. os Reis da Belgica. O
Brasil de amanhã desfilará hoje diante dos soberanos da Belgica - O Rei Alberto dará o
›kick-off‹ no match entre os ›scratches‹ Norte e Sul - Outras Notas«,
O Paiz
, 26.9.1920.
85
»Football. A grande parada sportiva em homenagem ao Rei Alberto. O match de
foot-ball entre os scratches norte e sul – Os preparativos em torno da revista sportiva –
Outras notas«,
O Paiz
, 21.9.1920.
199Region
199
Jung, gesund und heldenhaft war auch das Bild vom belgischen König.
Ihn verehrten brasilianische Organisatoren und die Sportpresse als
sportsman
und Soldatenkönig, der unter anderem durch die Aufwertung
sportlicher Erziehung erreicht habe, dass sich Belgien im Ersten Weltkrieg
den imperialen Mächten widersetzt hatte und moralisch unbeschädigt aus
ihm hervorgegangen war.86Im Gegensatz zu dem gewandelten Blick auf
andere europäische Länder, die nun als schwach, ja als schuldig und barba-
risch wahrgenommen wurden, erkannten brasilianische Eliten Belgiens
Sonderrolle als Märtyrer an, benachteiligt in den Reparationsverhandlun-
gen der Großmächte.87Die brasilianische Regierung wollte ihm ein Brasi-
lien zeigen, das diese Werte ebenfalls schuf und lebte.
Diese Sichtweise entsprach einem neuen, mit dem Ersten Weltkrieg ge-
wandelten europäischen Sportverständnis, wie es auch schon Pierre de
Coubertin zu dieser Zeit formuliert hatte, der Sport als verantwortlich für
den militärischen Sieg der Briten, Franzosen und der USA ansah.88Diese
Wertschätzung des Sports zur Erhebung des brasilianischen Volkes drückte
auch der oben zitierte Autor aus: Der belgische König würde begeistert sein
»angesichts des anmutigen Aufmarschs einer unermesslichen Menge
männlicher und gestählter Adonisse, welche die Athleten dieser brasili-
anischen Rasse sind und die nun mit der energetischen und gesunden
Kenntnis sportlicher Übungen aus der Starre der physischen Dekadenz
erwacht.«89
Vor diesem Hintergrund ist auch die genau durchdachte Repräsentation
von Athleten zu sehen: Verschiedene lokale Vereine aus Rio de Janeiro
86
Auch Susann Caulfield verweist darauf, dass das belgische Königspaar als modern,
elegant, sportlich und vor allem moralisch unversehrt gesehen wurde. Brasiliens
Autoritäten wollten vermitteln, dass auch Brasilien diese Werte verkörpere: CAULFIELD,
Em defesa da honra
, S. 115 f. und 126 f. Der junge König Albert wurde im Zuge der
Verteidigung Belgiens gegen die deutschen Besatzer und der Wahrung politischer
Neutralität bis September 1918 als Symbol für »Mut und Ehre, Heldentum und
Martyrium« von der belgischen Bevölkerung verehrt, da er mit den Soldaten an der
Front blieb: YPERSELE, Laurence von, Belgien im »Grande Guerre«, in:
Aus Politik undZeitgeschichte
29-30, 2004, S. 21-29, hier 21 ff. und 28.
87
Vgl. zu Belgiens Konstruktion als Märtyrer: Y
PERSELE
, Belgien im ›Grande
Guerre‹, S. 29. Zu dem veränderten Blick nicht-westlicher Eliten, hier vor allem asiati-
scher und afrikanischer, auf Europa im Zuge des Ersten Weltkrieges siehe zum Beispiel:
ADAS, Michael, Contested Hegemony: The Great War and the Afro-Asian Assault on
the Civilizing Mission Ideology, in:
Journal of World History
15, 2004, Nr. 1, S. 31-63.
88EISENBERG, The Rise of Internationalism, S. 398 f.
89
»Football. A grande parada sportiva em homenagem ao Rei Alberto. O match de
foot-ball entre os scratches norte e sul – Os preparativos em torno da revista sportiva –
Outras notas«,
O Paiz
, 21.9.1920.
200
200
Region
wählten aus ihren Mannschaften Sportler aus, die in einer vorgeschriebenen
Reihenfolge ihre Vereinsfahnen schwenkend das Stadion betraten. Die
Eliteklubs Fluminense, Flamengo, Botafogo und América stellten dabei
eine viel größere Anzahl von Athleten für die Parade als die kleineren
nicht-elitären Klubs.90
Auch die Mannschaften für das im Rahmen der Feiern stattfindende
Fußballspiel waren hierarchisch in eine Nord- und eine Süd-Mannschaft
aufgeteilt. Im Südteam befanden sich Spieler der Elitevereine aus der rei-
chen Südzone der Stadt, aus den Klubs Fluminense, Botafogo und
Flamengo. Im Nordteam waren Fußballer aus den suburbanen und ärmeren
Nordklubs aufgestellt, so aus den Vereinen América, Villa Isabel,
Andahary. Bezeichnenderweise traten die Spieler des Südteams in Trikots
in den Farben Belgiens an, die Spieler des Nordteams in Trikots in den
Farben des lokalen Sportverbandes.91
Die Organisatoren nutzten die Sportveranstaltungen, um vor dem belgi-
schen Königspaar mit einem als repräsentativ vorgestellten Teil der Bevöl-
kerung Werte wie Jugend, Männlichkeit und Gesundheit als Eigenschaften
aller Brasilianer zu postulieren. Durch die soziale Hierarchisierung in der
Nord-Süd-Teambildung verbanden sie sie aber eher mit einer elitären,
weißen Jugend.92
Wie zur Bestätigung der in der Parade und in der Spielaufstellung schon
abgebildeten Überlegenheit der elitären Athleten gewann dann auch das
Südteam scheinbar ohne größere Mühe gegen ein bemühtes, aber schwa-
ches Team aus dem Norden.93Der belgische König, so hieß es in der Sport-
presse, sei beeindruckt gewesen von dieser Präsenz und Inszenierung
sportlicher Männlichkeit und Jugend durch die Bewohner Rio de Janeiros.
An den darauffolgenden Tagen folgten Veranstaltungen mit weiteren
Sportarten, doch stand der Fußball als sein Lieblingssport während des
Aufenthaltes des Königs im Vordergrund.94
Die Organisatoren bedienten sich mit der Sportveranstaltung eines schon
erprobten Gestaltungsmittels, das sich seit 1916 in den jährlich stattfin-
90
P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 167.
91
Vgl. »Football. A grande parada sportiva em homenagem ao Rei Alberto. O match
de foot-ball entre os scratches norte e sul – Os preparativos em torno da revista sportiva
– Outras notas«,
O Paiz
, 21.9.1920.
92
Vgl. ebd.
93
Vgl. »A Imponente Parada Sportiva em Homenagem a S.S.M.M. os Reis da
Belgica. A Victoria do scratch Sul pelo score de 4x1 – Outras notas«,
O Paiz
,
27.9.1920.
94
Vgl. ebd.
201Region
201
denden
Campeonatos Sul-Americanos
behauptet hatte. Fußballspiele, so
meint der Historiker Christian Koller, hätten nach dem Ersten Weltkrieg
den Status von Monarchenbesuchen abgelöst. In ihrer Ritualisierung hätten
sie zwischen den anwesenden Zuschauern Beziehungen hergestellt und
Identifikationsmomente kreiert.95Interessant ist, dass hier Monarchen-
besuch und Fußballspiel vereint wurden und darüber den Zuschauern ein
ideales Bild von sich selbst als Nation und Gesellschaft vermittelt werden
sollte.
In Europa waren internationale Sportveranstaltungen nach der Unterbre-
chung durch den Ersten Weltkrieg wieder aufgenommen worden. Hatten
sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts und zur Hochzeit des Imperialismus,
wie Lia Paradis aufzeigt, noch als Demonstrationen von imperialen An-
sprüchen und imperialer Männlichkeit in einem darwinistischen Sinne
gedient, so wurden sie jetzt von den »Sportnationen«96in den auflebenden
Internationalismus eingeschrieben und auch als diplomatische Möglich-
keiten der Völkerverständigung und des friedlichen Wettkampfes gesehen.97
Eindeutig allerdings politisierten Regierungen den Sport und setzten
teilweise die Konflikte der Kriegsschauplätze in den Stadien fort.98
Der Besuch des belgischen Königs stand unter diesen Vorzeichen des
auflebenden Internationalismus. Er galt als Anerkennung der Rolle Bel-
giens im Ersten Weltkrieg, für Brasilien bedeutete er vor allem aber Auf-
merksamkeit durch Europa. Die Veranstaltung war auch ein auf die Zu-
kunft projiziertes Bild, ein Projekt nach europäischen Maßstäben, in dem
zum Ausdruck gebracht wurde, wie sich das ideale Brasilien zusammen-
95
K
OLLER
, Christian, Einleitung: Europäischer Fußball im Zeitalter der Katastro-
phen, in: DERS., u.a. (Hg.),
Fussball zwischen den Kriegen
, S. 1-21, hier 7 f.
96
Der Begriff der »Sportnation« ist der Studie von Barbara Keys zu Entwicklung des
internationalen Sports im Kontext der Globalisierung in den 1920er- und 1930er-Jahren
entnommen. Mit diesem Begriff bezeichnet sie eben genau dieses Konzept einer Nation,
für die Sport eine erstrangige Rolle als Diplomatieersatz im Internationalismus der
Zwischenkriegszeit einnimmt. Sie bezieht sich mit dem Konzept auf die USA. Dieses
Konzept kann erweitert auch auf andere Nationen mit denselben Ansprüchen
angewendet werden: Vgl. KEYS,
Globalizing Sport
, S. 22 und 90-114.
97
P
ARADIS
, Lia, Manly Displays: Exhibitions and the Revival of the Olympic Games,
in:
The International Journal of the History of Sport
27, 2010, Nr. 16, S. 2710-2730,
hier 2720. Vgl. auch: ARNAUD, Pierre, Sport – a means of national representation
,
in:
DERS. u.a. (Hg.),
Sport and International Politics
, S. 3-13, hier 3
.
98
Vgl. A
RNAUD
, Pierre, Sport and International Relations before 1918, in: D
ERS
. u.a.
(Hg.),
Sport and International Politics
, S. 14-30, hier 25-27; KEYS,
Globalizing Sport
,
S. 24-35; KOLLER, Einleitung, S. 6-8. Auch die brasilianische Sportpresse reflektierte
das: »O governo e o sport«,
SSOI
, Nr. 2, 12.3.1921, S. 5.
202
202
Region
setzte.99Für die verschiedenen an der Organisation des Besuches beteiligten
Einrichtungen ging es der Historikerin Sueann Caulfield zufolge um nichts
weniger als »die Ehre Brasiliens – und damit um die nationale Kraft und
Unabhängigkeit […]. Der Besuch würde Brasilien die Möglichkeit geben,
seinen Status als Großmacht zu zeigen, die der Anerkennung und sogar der
Bewunderung der belgischen Könige würdig sei.«100
Die Veranstalter nutzten das Sportfest dazu, Brasiliens Bevölkerung als
harmonische »rassische« Einheit zu inszenieren. Das Brasilien von morgen
würde durch seine sportliche Jugend verkörpert, so der Autor eines Artikels
in der Zeitung
O Paiz
:
[E]s ist das Brasilien von morgen, stolz, mit weiter Brust und jung, das
in seinem Körper und in seinen ausgebildeten Armen und Muskeln das
schlanke Profil gesunder Robustheit zeigt, das vor den Hoheiten des
großen Belgiens vorüberzieht, das seinen Majestäten darlegt, dass wir
ein Volk in unbestreitbarer sportlicher Entwicklung sind und dass der
Sport unter uns schon zu einem Idol, ja wenn nicht sogar zu einer Reli-
gion geworden ist […].101
Die Präsentation der Nation vor dem belgischen Königspaar als eine har-
monische und organische Einheit, wie die Journalisten betonten, wider-
sprach der gleichzeitig vorgenommenen sozialen Hierarchisierung in der
Parade und in der Einteilung der Mannschaften. Diese Logik nationaler
Einheit und Harmonie kontrastierte auch mit der Auseinandersetzung um
den nationalen Vertretungsanspruch zwischen São Paulo und Rio de
Janeiro, den Sportler und Sportfunktionäre in den lokalen Verbänden der
beiden Städte im ersten Jahresdrittel über die Sportpresse austrugen.102Die
Organisatoren der Sportzeremonien zu Ehren des Königs beanspruchten,
ganz Brasilien und seine nationale Entwicklung im Sport zu vertreten. Die
Repräsentation war eine Auslegung des Außenbildes Brasiliens durch Eli-
ten aus Rio de Janeiro.
Nach dem Aufenthalt in Rio de Janeiro besuchte das belgische Königs-
paar auch São Paulo. Auch in der Paulistaner Tagespresse fand eine rege
Diskussion darüber statt, was der belgische König sehen bzw. nicht sehen
99
P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 167.
100
C
AULFIELD
,
Em defesa da honra
, S. 115.
101
»A Apotheose Sportiva de Hoje em Homenagem a S.S.M.M. os Reis da Belgica«,
O Paiz
, 26.9.1920.
102
Vgl. »Football Rio – São Paulo. O Reatamento das relações entre os dois grandes
centros sportivos – A Memoravel reunião de hontem, na Federação do Remo«,
Correioda Manhã
, 14.3.1920, in: Album »1920«, FFC; PEREIRA,
Footballmania
, S. 162.
203Region
203
sollte.
A Gazeta
rief die Leser unter der Losung »Damit König Albert es
sehen kann« dazu auf, ihr zu berichten, welche Orte in der Stadt dem belgi-
schen Königspaar keinesfalls gezeigt werden sollten und erhielt daraufhin
zahlreiche Zuschriften, die sie abdruckte und in denen die Leser Reform-
vorschläge machten bzw. die Reformuntätigkeit der öffentlichen Hand
anprangerten.103
Die rege Debatte in der Zeitung zeigt, wie wichtig auch den Lesern die
angemessene Repräsentation São Paulos war, weshalb auch sie überlegten,
bestimmte Orte der Stadt und die darin in ihren Augen vorhandenen sozia-
len Missstände zu verstecken.104Das entsprach der Maxime der Paulistaner
Regierung, die schon einen guten Monat vor der Ankunft des Königspaares
über eine geeignete, ausreichend luxuriöse Unterkunft diskutierte, die sei-
nen gehobenen Ansprüchen gerecht werden könnte.105
Die Sportredaktion von
A Gazeta
schlug die Veranstaltung eines Fuß-
ballspiels zu Ehren des als s
portsman
verehrten belgischen Königs vor.
Dezidiert nahmen die Initiatoren dabei Bezug auf das Athletikfest und
Fußballspiel zu seinen Ehren in Rio de Janeiro. Der Autor meinte:
Die Cariocas sind schwach, was es jetzt noch schwerer macht für sie, ist
die Abwesenheit ihrer besten Elemente. Ist also nicht São Paulo (jetzt
noch mehr als zuvor) der legitime Repräsentant des Heimatfußballs? Be-
sitzt es nicht die Voraussetzungen, um einen wundervollen Kampf zu re-
alisieren?106
103
»O que o Rei Alberto não deve ver em São Paulo. A collaboração dos leitores
d’›A Gazeta‹«,
A Gazeta
, 16.9.1920; »O que o Rei Alberto não deve ver em São Paulo.
A collaboração dos leitores d’›A Gazeta‹«,
A Gazeta
, 4.10.1920; »O que o Rei Alberto
não deve ver«,
A Gazeta
, 5.10.1920.
104
Parallelen zu heute sind vorhanden. Gerade im Kontext internationaler
Sportveranstaltungen taucht die Motivation zu einer »Verschönerung« und damit
einhergehenden vorübergehenden kosmetischen Verdeckung sozialer Missstände, die
sich räumlich ausdrücken, immer wieder auf. Das beklagten Menschenrechtsorganisati-
onen auch bei den Vorbereitungen der Pan-Amerikanischen Spiele 2007 in Rio de
Janeiro, die von gewaltvollen Operationen der Militärpolizei in einigen Favelas Rio de
Janeiros, vor allem im Complexo do Alemão, begleitet waren und von der Kriminalisie-
rung von Obdachlosen und Straßenkindern, die in Polizeiaktionen von den Straßen ge-
holt wurden: Vgl. »Os mortos pan-americanos«, URL: <http://www.direitos.org.br/
index.php?option=com_content&task=view&id=3645&Itemid=2>(abgerufenam:
1.4.2012).
105
Vgl: »Onde vão ser hospedados em São Paulo os reis da Belgica«,
A Gazeta
,
3.9.1920.
106
»Futebol. Pró-Estadio. Para o Rei Alberto Ver. Collaboração dos Leitores«,
A Gazeta
, 27.9.1920. Das Sportfest sollte zudem dazu genutzt werden, um Spenden für
den Bau eines Stadions in São Paulo zu sammeln: Vgl. ebd.
204
204
Region
Die von den Cariocas getroffenen Maßnahmen, um dem König das Bild
einer modernen und fortschrittlichen Hauptstadt zu zeigen, seien wir-
kungslos, so die Paulistaner Sportpresse, da zeitgleich Brasilien in Europa
und im südamerikanischen Ausland einen negativen Eindruck hinterlasse.
Der Autor spielte auf die Teilnahme an den Olympischen Spielen in
Antwerpen an, einem in ihren Augen eher misslungenen Auftritt Brasiliens
als starke und »zivilisierte« Nation, trotz eines Goldmedaillengewinns. Aus
organisatorischen und finanziellen Gründen und wohl auch aus mangeln-
dem Engagement und Interesse der Regierung war die Entsendung eines
Fußballteams nach Belgien gescheitert. Die wenigen teilnehmenden Athle-
ten anderer Sportarten mussten angeblich um finanzielle Unterstützung des
IOC bitten. Die brasilianische Presse sah daraufhin das Bild eines
unterentwickelten, rückständigen Landes repräsentiert, nicht eigenständig
genug, die finanziellen Mittel für eine bescheidene Reisedelegation nach
Europa aufzubringen.107
Den blamablen Auftritt der Delegation in Antwerpen und einen weiteren
in Chile lastete die Paulistaner Presse dem fehlenden Organisationssinn des
nationalen Sportverbandes mit Sitz in Rio de Janeiro an und definierte ihn
damit als eine spezifische Eigenschaft der Cariocas. Er stand sinnbildlich
für ihre Rückständigkeit, São Paulo hingegen grenzte sich über die sportli-
che Inszenierung als modern und fortschrittlich gegen Rio de Janeiro ab.108
Im Hintergrund stand auch eine Auseinandersetzung um die Austragung
des Pokalwettbewerbs der
Taça Ioduran
. Diesen Wettstreit hatten 1916 die
lokalen Verbände APSA und
Liga Metropolitana
eingerichtet, darin traten
die beiden Sieger der jährlichen Stadtmeisterschaften beider Städte gegen-
einander an. 1920 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem
Nachfolgeverband APEA und
Liga Metropolitana
, vor allem zwischen den
Klubs Fluminense und Paulistano, darüber, welcher Verband den Wettbe-
werb ausrichten sollte.109Als Druckmittel in der Auseinandersetzung stellte
107
Vgl. »Para Anvers… Por ›Mar‹! Para o Chile…Por ›Terra‹!«,
O Paiz
, 6.7.1920,
S. 7.
108
»Futebol. As Embaixadas da Fome. As tristes odysséas das representações
esportivas do Rio. Ao que nos sujeitam os cariocas«,
A Gazeta
, 9.9.1920; »Futebol. As
embaixadas da fome. O Campeão da facada! Ao que nos sujeitam os cariocas«,
A Gazeta
, 14.9.1920.
109
Seit 1916 gab es den Pokalwettbewerb zwischen den beiden Klubs, die in São
Paulo respektive Rio de Janeiro die Stadtmeisterschaften gewonnen hatten. Zwischen
APEA und Liga Metropolitana kam es 1920 zu einem Konflikt über die Spielregeln und
auch über die Transferregeln von Fußballspielern im Zusammenhang mit dem Wettbe-
werb. Letztlich führten die Auseinandersetzungen zu einer Unterbrechung der Sportbe-
ziehungen zwischen beiden Verbänden: Vgl. »Ainda a ›Ioduran‹«,
SSOI
, 14.5.1921; »O
205Region
205
die APEA keine Spieler für das Nationalteam bereit, das zum
CampeonatoSul-Americano
des Jahres 1920 in Chile reisen sollte.110
Die Sportpresse Rio de Janeiros sah darin eine sich auch im Bereich des
Sports manifestierende Mentalität des Alleingangs São Paulos und einen
Verrat an einem Projekt nationaler Einheit, das gerade über den Sport
umgesetzt werden sollte.111Sogar der auf Bitten der vermittelnden ACE
unternommene Versuch des Präsidenten des Staates São Paulo, Washington
Luís, die APEA von einer Beteiligung Paulistaner Spieler zu überzeugen,
scheiterte Ende August 1920.112Auch der Klub Fluminense unternahm
Beschwichtigungsversuche und sandte einen offenen Brief an die
LigaMetropolitana
, damit die Paulistas doch noch Spieler aufstellten. Darin
hieß es, dem Klub sind »die nationalen Interessen und darüber hinaus die
alte und traditionelle Freundschaft, die den Fluminense und den Paulistaner
Sport, vor allem den Klub Paulistano, vereinen, […] wichtiger als der Sieg
[…] in einem sportlichen Wettkampf.«113
Bezeichnend ist auch die Äußerung einer Leserin und Fußballanhängerin
zu der Auseinandersetzung in der Zeitung
O Paiz
. Sie fasste zusammen,
wie sehr brasilianische Eliten internationalen Fußballmeisterschaften die
Funktion der Schaffung eines nationalen Zusammenhaltes zuschrieben:
Niemand kann mehr leugnen, was für die ganze Welt ein sportlicher
Wettkampf bedeutet, vor allem die, die zwischen Athleten verschiedener
Länder ausgetragen werden. Der Titel des Meisters […] wird begeistert
von allen großen Völkern umkämpft, die so eine neue Hierarchie schaf-
fen […], die weitere Gründe für Ruhm und Ehre sind.114
C. A. Paulistano e a ›Ioduran‹. Algumas palavras do sportsman Dr. Oswaldo Gomes,
presidente da Metropolitana, sobre o caso«,
O Paiz
, 1.8.1920; »O ›caso‹ da taça
›Ioduran‹«,
O Paiz
, 5.8.1920.
110
Insgesamt beschränkte sich 1920 die nationale Repräsentation bei internationalen
Spielen hauptsächlich noch auf Spieler aus den beiden Städten Rio de Janeiro und São
Paulo, in geringerer Zahl nahmen auch Spieler aus Rio Grande do Sul teil. Die anderen
Bundesstaaten jedoch waren in den Nationalteams nicht repräsentiert. Ein nationaler
Wettbewerb wurde im Übrigen zum ersten Mal 1922 eingeführt.
111
Vgl. »Pondo os Pontos nos ii… A Liga Metropolitana ao publico e sportsmen
brasileiros. A Questão da Taça ›Ioduran‹«,
O Paiz
, 20.8.1920, S. 6; »O ›caso‹ da taça
Ioduran«,
O Paiz
, 5.8.1920. Vgl. »›Conceder a São Paulo para ceder ao Brasil‹«,
OPaiz
, 5.8.1920.
112
Vgl. »Para o Chile. La Comedia é finita…«,
O Paiz
, 24.8.1920; »São Paulo dará
ou não jogadores para o Sul-Americano?«,
Gazeta de Notícias
, 21.8.1920; Vgl. »A
Associação Paulista declara nada pode fazer«,
Gazeta de Notícias
, 21.8.1920.
113
»›Conceder a São Paulo para ceder ao Brasil‹«,
O Paiz
, 5.8.1920.
114
»Sejamos Brasileiros!…«,
O Paiz
, 21.8.1920, S. 6.
206
206
Region
Sie schätzte das Verhalten der Paulistas als unpatriotisch ein; zumindest sei
es bedauerlich, denn würden sich die Brasilianer in Chile geschlossen prä-
sentieren »bestätigten wir von Neuem […] den sportlichen Wert unserer
Heimat«. Gegen die geschlossene patriotische Repräsentation seien die
Differenzen und Sorgen der Einzelstaaten eher unbedeutend:
Was kümmert São Paulo? Was kümmert Rio? Erheben wir uns alle, um
den Namen Brasiliens zu erhöhen, um unsere große Heimat zu verherrli-
chen und zu rühmen! Und die Paulistas verwehren sich? Würden sie
nicht denen Recht geben, die sagen, die Paulistas seien mehr Paulistas
als Brasilianer?… Wie traurig das wäre!115
Die Paulistaner Verweigerungshaltung weckte bei den Cariocas
Befürchtungen vor Sezessionsbestrebungen der Paulistas. Ein Journalist der
Zeitung
O Paiz
aus Rio de Janeiro fasste zusammen, wie Eliten in Rio de
Janeiro in dieser Zeit auf São Paulo schauten und die Region sogar als nicht
mehr zu Brasilien dazugehörig betrachteten:
Das sportliche São Paulo liegt außerhalb der Landkarte Brasiliens, es hat
sich unabhängig erklärt und lebt nun unter der politischen Herrschaft der
Stärke von Energielosen, die ihre besten Gefühle für eine unwürdige Sa-
che hergeben, gegen die sportliche Glaubwürdigkeit Brasiliens vor den
Nationen des südamerikanischen Kontinents, die in Valparaíso um den
Titel des südamerikanischen Meisters kämpfen.
116
Doch die Appelle aus der Leserschaft und des Fußballklub Fluminense
waren vergeblich. In Chile nahm eine Mannschaft teil, die fast ausschließ-
lich aus Spielern aus Rio de Janeiro bestand. Nach einem erfolgreichen
Start gegen Chile verlor sie im zweiten Spiel gegen Uruguay mit der gro-
ßen Differenz von 0:6 und schied nach einem dritten Spiel gegen Argenti-
nien früh aus dem Wettbewerb aus, den sie im Jahr zuvor noch im eigenen
Land gewonnen hatte.
Die Schuld gab die Sportpresse in Rio de Janeiro nun erst recht den
Paulistas.117So schrieb ein Journalist der
Gazeta de Notícias
: »An dieser
Niederlage sind aus fehlendem Patriotismus einzig die sportsmen Paulistas
115
Ebd.
116
Ebd.
117
»Campeonato Sul-Americano. Uruguayos 6 – Brasileiros 0«,
O Paiz
, 19.9.1920,
in: Album »Internacionaes 1920«, FFC; »Campeonato Sul-Americano. Os Uruguayos
venceram facilmente os Brasileiros por 6 x 0. O match de amanhã: Argentinos x
Chilenos«,
Gazeta de Notícias
, 19.9.1920, S. 6.
207Region
207
schuld, die ihre unabdingbare Unterstützung für die heimatliche Repräsen-
tation verwehrten und so beabsichtigten, Brasilien gegenüber den anderen
südamerikanischen Nationen bloßzustellen, die an dem Wettbewerb teil-
nahmen.«118Er betonte, bei den internationalen Spielen gehe es nicht nur
um den Wettbewerb und den Sieg, die internationalen Turniere dienten
dazu, »auf diese Weise die Beziehungen zwischen den Republiken des
Kontinentes immer weiter zu vertiefen, denn es wird auf dem Sportplatz
nicht nur gekämpft, um zu gewinnen.«119Ein anderer Journalist drückte es
so aus:
Das sportliche São Paulo singt in diesen Stunden seine ›Aida‹ in einem
Chor, der dort im Ausland widerhallen dürfte, nicht mit Applaus, son-
dern mit einem Geschrei der Empörung angesichts der Erbärmlichkeit
und Ambition derer, die sich geweigert haben, Spieler für die brasiliani-
sche Repräsentation aufzustellen und die ihre regionalen Interessen über
die Heimat gestellt haben, wo sie geboren sind, wo sie leben und wo sie
ihre Rechte genießen. […] Aber der moralische Sieg, dieser ja, das ist
unserer, einzig unserer, ob sie, die Paulistas ihn nun wollten oder nicht.
Für die Niederlage der Brasilianer unsere Glückwünsche an das sportli-
che São Paulo.120
Die Sportpresse in São Paulo sah das ähnlich. Nur dass sie der brasiliani-
schen Auswahl nach der Niederlage erst recht den Anspruch streitig
machte, ganz Brasilien beim
Campeonato Sul-Americano
repräsentiert zu
haben, wie es ein Journalist in
O Estado de São Paulo
schrieb:
Was für uns zählt, ist zu wissen, dass die Auswahl, die sich auf Grund
des Werkes und der Gnade der Confederação Metropolitana jetzt in
Chile befindet, nicht mal die mittlere Stärke des brasilianischen Fußballs
repräsentiert, noch weniger seine stärkste Kraft, die sie repräsentieren
sollte, ja müsste.121
Sogar eine körperliche und damit implizit »rassische« Überlegenheit
drückte dieser Autor aus: Die »brasilianische« Auswahl hätte nicht noch
schlechter gespielt, weil zumindest der Spieler Julio Kuntz Filho dabei war,
118
»Campeonato Sul-Americano. Os Uruguayos venceram facilmente os Brasileiros
por 6 x 0. O match de amanhã: Argentinos x Chilenos«,
Gazeta de Notícias
, 19.9.1920,
S. 6.
119
Ebd.
120
»Campeonato Sul-Americano. Uruguayos 6 – Brasileiros 0«,
O Paiz
, 19.9.1920,
in: Album »Internacionaes 1920«, FFC.
121
»Uruguayos vs. Brasileiros«,
OESP
, 19.9.1920, S. 6.
208
208
Region
der aus Rio Grande do Sul stammte.122Schon die Reise der Fußballdelega-
tion nach Chile bewies in den Augen der Paulistas die Rückständigkeit der
Sportorganisation Rio de Janeiros. Die Delegation musste in Argentinien
den argentinischen Sportverband um finanzielle Unterstützung für die
Weiterreise bitten.123Der nationale Sportverband hätte Brasilien mit dieser
»Hungerbotschaft« vor den anderen Nationen blamiert.124
Tatsächlich entstanden Ende 1920 nach den Auseinandersetzungen um
die
Taça Ioduran
und die Beteiligung beim
Campeonato Sul-Americano
in
Chile Sezessionsvorhaben São Paulos. In der Sportpresse der Stadt erfolgte
ein Aufruf, einen eigenständigen nationalen Fußballverband als Konkur-
renz und Alternative zur CBD zu gründen, die
Federação Brasileira deFutebol
.125Der Autor dieses Aufrufes meinte, São Paulo solle sich nicht
weiter Rio de Janeiro unterordnen, sondern mit der Gründung eines eigenen
Verbandes der Stärke des Fußballs in São Paulo gerecht werden. Er be-
gründete dies mit der Bekanntheit der Fußballer São Paulos über nationale
Grenzen hinaus:
Wir sind zweifellos die Hauptstadt des brasilianischen Fußballs. Unsere
Meister haben schon kontinentale Bekanntheit erreicht. In den Ländern
Amerikas spricht man mehr über Fußballer aus São Paulo als aus Brasi-
lien. Und deshalb wären wir frei und ungehindert, um besser den Namen
unseres Landes zu ehren, wenn wir einen Verband organisieren würden.
Gewinne ein Team aus São Paulo im Ausland, sei das für die Repräsenta-
tion der gesamten Nation allemal besser, als wenn ein nationales Team im
Ausland verliere: »Es ist immer vorzuziehen, dass ein regional triumphie-
rendes Team die Farben einer Nation ehrt, als dass ein schwaches Natio-
nalteam unseren Sport da draußen demoralisiert.«126
Die Position São Paulos wird noch einmal anlässlich des
Congresso deFutebol
(Fußballkongress) deutlich, den die nationalen Fußballverbände
Argentiniens, Brasiliens und Paraguays im September und Oktober 1921 in
Buenos Aires im Rahmen des gerade stattfindenden
Campeonato Sul-
122
Ebd.
123
»As embaixadas da Fome. As tristes odysséas das representações esportivas do
Rio. Ao que nos sujeitam os cariocas«,
A Gazeta
, 9.9.1920; »Futebol. As embaixadas da
fome. O Campeão da facada! Ao que nos sujeitam os cariocas«,
A Gazeta
, 14.9.1920.
124
Ebd.; Vgl. M
AZZONI
,
História do futebol
, S. 155-157.
125
Vgl. »Fundemos a Federação Brasileira de Futebol«,
A Gazeta
, 4.9.1920, S. 2.
126
Ebd.
209Region
209
Americano
desselben Jahres abhielten.127Die Teilnehmer berieten über die
jüngsten Sezessionsbestrebungen im Fußballverband Argentiniens und
deren Auswirkungen auf die Zusammensetzung und Entscheidungen des
übergeordneten Regionalverbandes, der einen der beiden argentinischen
Verbände als Vertretung des argentinischen Fußballs anerkennen musste.128
Ein Journalist von
A Gazeta
appellierte an die Sportfunktionäre São Paulos,
sich politisch als Gegenmacht zu dem in Rio de Janeiro ansässigen Natio-
nalverband CBD auf dem Kongress zu etablieren. Brasilien hatte sich,
vertreten durch die CBD und die
Liga Metropolitana
aus Rio de Janeiro,
zuvor auf die Position des argentinischen Verbandes
Federação Argentina
eingeschworen.
A Gazeta
plädierte dafür, São Paulo solle die Situation
nutzen, sich ebenfalls als Vertretung brasilianischer Anliegen zu präsen-
tieren und auf die Seite Chiles und Uruguays sowie des zweiten argentini-
schen Verbandes,
Associação de Amadores
, zu stellen. In einem Bericht
über den Kongress heißt es:
Wie man sieht, ist das Ereignis geeignet, damit São Paulo endlich in Er-
scheinung tritt, um Partei zu ergreifen für die Dissidenten, die in Süd-
amerika die größte sportliche Kraft darstellen. […] Es ist notwendig,
dass die Paulistas sich ihrer Devise erinnern, die sie zu Anführern weiht,
nicht zu Geführten.129
Der Autor spielte auf den Satz »non ducor, duco« (»Ich werde nicht
geführt, ich führe«) an, den Paulistaner Intellektuelle und Eliten in der
Ersten Republik zum Leitmotiv Paulistaner Überlegenheitsdenkens mach-
ten.130São Paulo solle aus dem Schatten der CBD und der
Liga Metropo-litana
heraustreten und entsprechend seiner sportlichen Überlegenheit
127
Leider liegen keine Kongressberichte vor, da die Archive der
ConfederaciónSulamericana de Fútbol
im Rahmen meiner Feldforschungen nicht zugänglich waren.
Die vorliegenden Informationen stammen aus den Presseberichten in den brasiliani-
schen Zeitungen.
128
Vgl. zu der Sezession in Argentinien auch den Artikel: »Importantes
Considerações sobre a Scisão Do Football Argentino. Perspectiva que offerece a Vida
das Entidades em Pugna. Convite aos Dirigentes Paulistas que não devera’ ter Exito«,
A Gazeta
, 7.11.1919.
129
Vgl. »A dissidencia no futebol sul-americano. São Paulo precisa pronunciar-se«,
A Gazeta
, 7.10.1921. Ein weiteres Beispiel für die Ansicht, dass São Paulo das
sportliche Gravitationszentrum Brasiliens sei, ist ein ganzseitiger Artikel, der die
sportlichen Erfolge des Jahres 1921 in São Paulo in
A Gazeta
zusammenfasst: »O
Balanço Final«,
A Gazeta,
30.12.1921.
130
Vgl. F
ERREIRA
,
A epopéia bandeirante
, S. 110.
210
210
Region
Macht im internationalen Fußball ausüben.131In den Augen der Paulistas
war die CBD eine Organisation, die von der lokalen
Liga Metropolitana
dominiert wurde, was sich schon alleine daran zeige, dass meistens die
Liga Metropolitana
ihre Präsidenten stellte und aus Sicht der Paulistas
Politik zum Vorteil der in Rio de Janeiro ansässigen Fußballklubs
betreibe.132
Wie stark Paulistas sich im Zuge dieser Auseinandersetzungen als über-
legen und »zivilisierter« konstruierten und dies mit einem
bandeirante
-
Geist in Verbindung setzten, führt auch die Dichtung eines Marsches eini-
ger Fußballfans des Paulistaner Klubs C. A. Paulistano nach den
Auseinandersetzungen 1920 vor Augen. Dem Text zufolge speisten die
Paulistas ihren Überlegenheitsanspruch auch aus ihrem Beitrag am Sieg der
Brasilianer im
Campeonato Sul-Americano
von 1919, das in Rio de Janeiro
stattfand. Sie führten ihn auf einen kriegerischen Geist der Paulistas zu-
rück.
Der Sieg von 1919 ist in der Forschung als Moment der Entstehung
patriotischer nationaler Gefühle in allen Bevölkerungsschichten interpre-
tiert worden.133Hier, in der Auslegung der Dichter, wie auch in dem zuvor
dokumentierten Zweifel an dem rechtmäßigen Präsentationsmonopol bei
einem europäischen Monarchenbesuch in Rio de Janeiro, zeigt sich, wie
heterogen solche über Fußballerfolge zum Ausdruck gebrachten Gefühle
sein konnten. Die Dichter sahen São Paulo selbstverständlich als »Zivilisa-
tionsbringer«:
Gegrüßt seien die Meister
Wahre, glorreiche Südamerikaner
Im Jahr, in dem die Paulistas
bewirkten, dass Brasilien einen Namen in den Zeitschriften bekam
wagemutige Paulistas
Immer Krieger, sie haben niemals versagt,
In Chile, wo wir nicht hinfuhren
Da blieb der Meisterschaftstitel.
Brasilien verlor seinen Namen
Das diente der Hauptstadt als Lektion
131
Vgl. »A dissidência no futebol sul-americano. São Paulo precisa pronunciar-se«,
A Gazeta
, 7.10.1921.
132
Vgl. »O Esporte Nacional. Foi eleito o novo Presidente da Confederação
Metropolitana«,
A Gazeta
, Januar 1922 (Genaues Datum unbekannt).
133
P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 136 f.
211Region
211
Der Meistertitel von 19 ist unserer [Anm. der Übersetzerin: in Bezug auf
den Meistertitel Brasiliens im Campeonato Sul-Americano von 1919]
Paulistas Helden und Meister
São Paulo, der große Name
Der Paulista ist das Bollwerk der Nation
Alles für alles, aber zuerst São Paulo
Welches die Zivilisation schenkt […].
134
Die Auseinandersetzungen von 1920 um die Beteiligung am jährlich statt-
findenden
Campeonato Sul-Americano
wiederholten sich im Folgejahr.
Dieses Mal verschärfte sich der Streit um einen rassistischen Aspekt. Er-
neut stellte die APEA keine Paulistaner Spieler bereit. Außerdem schloss
die CBD unter ihrem neuen Präsidenten Macedo Soares einige afro-
brasilianische Spieler suburbaner Klubs von Rio de Janeiro aus der Natio-
nalmannschaft aus, so die Spieler
Manteiga
von América und Epaminondas
von São Christóvão, und stellte zweitklassige Spieler auf.135Vermutlich war
das eine Direktive des brasilianischen Präsidenten Epitácio Pessoa als
Reaktion auf diffamierende, rassistische Artikel in der argentinischen und
uruguayischen Presse nach dem
Campeonato
von 1919.136
Die Paulistaner Presse empörte sich über den offiziellen Rassismus des
Nationalverbandes. Hier interagierten der Diskurs über rassistische Exklu-
sion im Fußball und Regionalismus: Doch anders als sonst, stellte sich São
Paulo nicht als »weiß« im Gegensatz zu einem »schwarzen« und »deka-
denten« Rio de Janeiro dar, sondern als »modern«, weil in São Paulo eben
kein
preconceito de côr
existiere.137Selbstverständlich war diese abgren-
zende Darstellung der Paulistas reine Rhetorik, denn in São Paulos lokalem
Fußball existierte sehr wohl Rassismus (Vgl. Kapitel 2.3). Doch die Empö-
rung passte gut in die regionalistisch abgrenzende Selbstdarstellung.
134
»O Football Paulista. Cantado com a musica da Marcha Brasil. Aos jogadores. Por
F. Magalhães e R. Theodoro Sampaio«, 30.10.1920, Notícias do Club Athletico
Paulistano 1920, S. 1-2, CAP.
135
Vgl. »E‘ boa!«,
A Gazeta
, 23.9.1921; »Rumo á Farra! A partida dos aleijões«,
A Gazeta
, 20.9.1921; »Tem a palavra os proprios cariocas…«,
A Gazeta
, 22.9.1921.
136
»O jornalista argentino Antonio Palacios Zinos está publicando, em Buenos Aires,
uma série de artigos desaforados«,
A Gazeta
, 4.7.1919; »De Montevideo. Como nos
julgam lá fóra- Varella center-forward! - Alguns jogadores argentinos e uruguayos
›juran que ni por todo el oro del mundo‹ virão mais ao Brasil«,
A Gazeta
, 23.7.1919.
Vgl. hierzu Kapitel 4.1.2, S. 246 der vorliegenden Arbeit.
137
Vgl. »Tem a palavra os proprios cariocas…«,
A Gazeta
, 22.9.1921; »O
Seleccionado Brasileiro. Os elementos de cor como indesejaveis!«,
OESP
, 18.9.1921.
212
212
Region
Die eben referierten Auseinandersetzungen zeigen die Bedeutung der
sportlichen Inszenierung sowohl für Cariocas als auch Paulistas.
Paulistaner Eliten drückten mit ihrer Haltung in den unterschiedlichen
Auseinandersetzungen aus, sie wünschten Brasilien nach ihrer Machart
darzustellen und die Ansprüche Rio de Janeiros stünden konträr zu den
Paulistaner Idealen ökonomischen Fortschritts und Modernität. Fußball war
ein weiteres Instrument, eine brasilianische Identität unter Paulistaner Vor-
zeichen zu konstruieren, zu vermitteln und körperlich darzustellen.
Paulistaner Sportler und Sportfunktionäre versuchten auch, die Überlegen-
heitsansprüche historisch zu legitimieren. Auch hier dienten Sportfeste als
Möglichkeit, diese Ansprüche nach außen und innen zu inszenieren.
3.2.2. DasCentenário de Independênciaals Sportfest und alsWeltausstellung
1922 beging Brasilien in seiner Hauptstadt Rio de Janeiro das
Centenárioda Independência
(Feiern der 100-jährigen Unabhängigkeit) im Rahmen
einer internationalen Weltausstellung. Die Organisatoren, die Regierung
und die politischen und wirtschaftlichen Eliten wollten hier Brasiliens
ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung und Modernität nach
außen darstellen. Gleichzeitig bot die Weltausstellung, die dem Typus der
europäischen und US-amerikanischen Weltausstellungen nachempfunden
war, auch die Möglichkeit, nach innen ein harmonisches, einheitliches und
fortschrittliches Brasilien zu vermitteln.
Als eine der Ersten hat sich die Historikerin Marly Motta da Silva aus-
führlich mit der Bedeutung des
Centenário da Independência
befasst. In
der Typologie der Weltausstellungen, die 1851 in London begannen, war
die brasilianische von 1922 ihr zufolge eine der letzten, die noch ein Ge-
samtbild eines gesellschaftlichen Zustandes entwerfen wollte und die nicht
auf bestimmte Technologien oder Wirtschaftszweige spezialisiert war, wie
für die Weltausstellungen ab 1928 üblich.138Durch die Symbolsprache, die
138
M
OTTA
, Marly da Silva, »Ante-sala do paraíso«, »vale de luzes«, »bazar de
maravilhas« - a Exposição Internacional do Centenário da Independência (Rio de
Janeiro - 1922), CPDOC Rio de Janeiro 1992, URL: <http://biblioteca.digital.fgv.br
/dspace/bitstream/handle/10438/6763/1033.pdf?sequence=1>(abgerufenam
1.12.2010), S. 6. Siehe allgemeine Literatur zu Weltausstellungen: FINDLING, John E.
Encyclopedia of World’s Fairs and Expositions
, Rev. ed., Jefferson, NC u. a. 2008; FEY,
Ingrid E., Zwischen Zivilisation und Barbarei: Lateinamerika auf den Weltausstellungen
des 19. Jahrhunderts, in: Eckhardt FUCHS(Hg.), Weltausstellungen im 19. Jahrhundert,
in:
Comparativ
, Jg. 9. H.5/6, Leipzig 1999, S. 15-28; GEPPERT, Alexander C.T,
FleetingCities,
Basingstoke u. a. 2010; KAISER, Wolfram, Die Welt im Dorf. Weltausstellungen
213Region
213
Klassifizierungen und die Organisationsform der Weltausstellungen, so
Motta, kam es zu einem konzentrierten Austausch und einer Verhandlung
zwischen verschiedenen gesellschaftlichen und regionalen Gruppen dar-
über, was Brasiliens nationale Identität sei.139
Die pompösen Feiern, die am 7. September, dem eigentlichen Festdatum
der Unabhängigkeit, begannen und fast ein Jahr, bis zum 24. Juli 1923,
andauerten,140fielen in ein politisches und wirtschaftliches Krisenjahr, in
dem in Brasilien gesellschaftliche und regionale Konflikte aufbrachen. In
den 1920er-Jahren brachten Angehörige aller sozialen Klassen in Brasilien
ihre Unzufriedenheit mit dem politischen System der »Republik, die keine
war«141in verschiedenen Bewegungen zum Ausdruck.142Im Jahr 1922
schienen sich diese Fragen und Sorgen zu bündeln. So kam es am 5. Juli in
Rio de Janeiro zu einem eintägigen Aufstand von jungen Offizieren der
mittleren Heeresebene (
Revolta Tenentista
), als Folge des Präsidentschafts-
wahlkampfes zwischen dem Kandidaten aus Rio de Janeiro Nilo Peçanha
und dem später siegreichen Kandidaten der São Paulo-Minas Gerais-Achse
Artur Bernardes, die eine umfassendere politische Mobilisierung einläutete.
Auch durch die gerade gegründete Kommunistische Partei und die
Semanade Arte Moderna
traten divergierende Vorstellungen und Ideen über die
Zukunft Brasiliens zu Tage.143In einer zunehmend durch Massenmedien
bestimmten Öffentlichkeit und angesichts einer immer komplexer wer-
denden gesellschaftlichen Realität gab es nun eine Reihe von Wegen, sie
auszudrücken.144
von London 1851 bis Hannover 2000, in:
Aus Politik und Zeitgeschichte
22-23, 2000,
S. 3-10.
139
M
OTTA
, Marly da Silva,
A nação faz cem anos: a questão nacional no centenárioda independência
, Rio de Janeiro 1992.
140
M
OTTA
, »Ante-sala do paraíso«, S. 7.
141
C
ARVALHO
,
Os bestializados
.
142
Auch schon vorher hatte es Aufstände und Massenmobilisierungen gegeben, wie
den Generalstreik von 1917 oder die »Revolta da Vacina« von 1904, aber in den
1920er-Jahren verdichteten sich gesellschaftliche Bewegungen als Ausdruck der Unzu-
friedenheit. Zur Revolta da Vacina: Vgl. MEADE,
»Civilizing« Rio
, S. 103-120.
143
Vgl. F
AUSTO
, Boris,
A revolução de 1930: historiografia e história
, São Paulo
1970; FERREIRA, Marieta de Moraes/PINTO, Surama Conde Sá, A Crise dos anos 1920 e
a Revolução de 1930, in: Lucilia de Almeida Neves DELGADO/Jorge FERREIRA(Hg.),
OBrasil Republicano I. O tempo do liberalismo excludente – da Proclamação da Repú-blica à Revolução de 1930
, Rio de Janeiro 2010, S. 387-415, hier 393-403; WOODARD,
A Place in Politics
, S. 108.
144
F
ERREIRA
,
A epopéia bandeirante
, S. 267 ff. Siehe auch: V
ELLOSO
, Mônica
Pimenta, A brasilidade verde-amarela: nacionalismo e regionalismo paulista, in:
Estudos históricos
11, 1993, S. 89-112.
214
214
Region
Bei Ferreira heißt es, dass Intellektuelle und Künstler in São Paulo in der
Semana de Arte Moderna
Zweifel am bisherigen, konservativen, an Europa
orientierten Modernisierungsweg Brasiliens geäußert und populärkulturelle
Ausdrucksformen, regionale Traditionen und brasilianische Ursprüng-
lichkeit betont hätten. Doch auch sie bezogen sich weiterhin auf aus Europa
stammende Konzepte und Ideen, Leitbild war letztlich weiterhin ein euro-
päisches Modernekonzept, so Ferreira. Gerade die wichtigsten Vertreter der
regionalen Modernebewegung São Paulos hätten die ungleichen sozialen
Gruppen in eine neue Erzählung Paulistaner Identitätskonstruktion geführt,
um sie erneut an die Spitze der brasilianischen Nation zu setzen.145
Angesichts der Krise diskutierte die Presse Nutzen und Schaden der
Ausrichtung eines finanziell und organisatorisch aufwändigen Projektes
einer Weltausstellung. Dies vor allem, weil damit so umstrittene Vorhaben
wie die Zerstörung von Wohnvierteln armer Bevölkerungsschichten ver-
bunden waren, an deren Stelle die Regierung Ausstellungspavillons bauen
wollte.146Für die Bewohner Rio de Janeiros zeigte sich am Beispiel dieses
Eingriffs, dass die brasilianische Regierung nationale Einheit und Harmo-
nie auf Kosten armer Bevölkerungsschichten inszenieren wollte. Das ge-
schönte Bild verdeckte die dem Ideal der Harmonie und Einheit widerspre-
chenden sozialen Missstände und Konflikte hinter einer euphemistischen
Ausstellungsästhetik. Aus Sicht der Organisatoren sollte das erst recht ihre
Fähigkeit zeigen, ein derart imposantes Vorhaben einer Weltausstellung zu
organisieren.147Das zu vermittelnde Bild sollte möglichst homogen und
eindeutig sein und, so Motta, nicht durch Zweifler oder regionalistische
Gegendiskurse angekratzt werden.148
Entsprechend war die Auseinandersetzung, die seit Ende 1921 zwischen
den Sportzentren São Paulo und Rio de Janeiro geführt wurde, nichts weni-
ger als eine Ablehnung der Art und Weise, wie die Organisatoren und
damit Rio de Janeiro die Nation nach außen repräsentierten. Verzweifelt
klingt da der Appell eines Journalisten aus Rio de Janeiro, die beiden Zen-
tren mögen für eine gemeinsame Sache ihren Zwist vergessen und sich an
den Gründungsmoment einer einigenden Nation erinnern:
Im Namen des Sports richten wir einen großen Appell an die
Sportfunktionäre beider Städte, damit […] sie sich gleich zum Besten
145
F
ERREIRA
,
A epopéia bandeirante
, S. 268 f.
146
M
OTTA
, »Ante-sala do paraíso«, S. 8.
147
Ebd.
148
Ebd., S. 13 f.
215Region
215
einer angemessenen Jahrhundertgedenkfeier unserer Unabhängigkeit zu-
sammenschließen, damit wir den befreundeten Ländern, die mit uns zu
diesem Ereignis gekommen sind, zeigen können, dass wir auf dem
sportlichen Feld die Waffen strecken und dass wir wahrlich ein einziges
Volk, ein Wille und ein Einziges und Unteilbares sind. […] Wir sollten
uns an die glorreichen Zeiten des kolonialen Brasiliens erinnern, in de-
nen wir eine Unabhängigkeit herbeisehnten, die uns endlich alle vereint,
als Volk und als Nation.
Damals waren São Paulo und Rio gleichermaßen durch dasselbe Gefühl
vereint, in einer gemeinsamen Bewegung. Eine brüderliche Umarmung
besiegelte und garantierte die Umsetzung eines so edlen gemeinsamen
Ideals! […] Wenn wir keine Brüder sind, welche Unabhängigkeit, wel-
che Ruhmestaten, welche unerhörten Opfer werden wir Cariocas und
Paulistas zusammen beim baldigen Centenário feiern?
149
Im Rahmen der Feiern sollten natürlich Sportveranstaltungen stattfinden
und besonders geeignet schien der Fußball, um den Besuchern das geeinte
Brasilien vorzuführen. Er war ja zu diesem Zeitpunkt schon eine Massen-
attraktion und gehörte auch international zu den erfolgreichsten Sportarten.
Er eignete sich nicht nur am Besten, soziale und nationale Harmonie nach
außen zu zeigen, mit seiner Hilfe konnten diese Ideale auch im Land selbst
ganz unterschiedlichen sozialen und gesellschaftlichen Gruppen vermittelt
werden.
Sportveranstaltungen bei Weltausstellungen waren freilich nicht neu. Im
Gegenteil, hatten sich doch die Olympischen Spiele aus dem Schatten der
Weltausstellungen gelöst und zu eigenständigen Großveranstaltungen ent-
wickelt, wie Lia Paradis aufzeigt. Sie zogen ein großes Publikum an und
erfüllten die Funktion der Inszenierung nationaler Zugehörigkeit und natio-
naler Symbole anders und womöglich auch zeitgemäßer als die Weltaus-
stellungen, die eher einem spezialisierten Publikum vorbehalten blieben.150
Jedenfalls verbanden die Organisatoren bei den Jahrhundertfeiern der
brasilianischen Unabhängigkeit im Jahr 1922 beide Phänomene noch mit-
einander, Sport und Weltausstellung.151Als wichtiger Teil der Festakte zu
149
»Football«,
Esporte Illustrado
, Nr. 22, 1.1.1921.
150
P
ARADIS
, Manly Displays, S. 2726.
151
Lamartine DaCosta weist auf die zentrale Rolle des Sports bei den Unabhängig-
keitsfeiern hin: Vgl. DACOSTA, Lamartine P., The IOC and Latin American Olympics-
1922, Rio de Janeiro, in:
Olympic Studies
, Rio de Janeiro 2001, S. 95-100, URL:
<http://www.atlasesportebrasil.org.br/textos/158.pdf>, (abgerufen am: 28.3.2011).
216
216
Region
den Unabhängigkeitsfeiern waren die Unabhängigkeitsspiele (
Jogos deIndependência
) geplant, während derer sich Athleten in unterschiedlichen
Disziplinen aneinander messen sollten. Die zweite Sportgroßveranstaltung
im Festjahr waren die Südamerikanischen Fußballmeisterschaften
(
Campeonatos Sul-Americanos
), die zum zweiten Mal, nach dem Erfolg im
Jahr 1919, in Rio de Janeiro stattfinden sollten. Sie waren zwar nicht un-
mittelbar der Weltausstellung angegliedert, da sie aber in denselben Zeit-
raum fielen und die Fußballer in denselben Unterkünften wie die Athleten
der Unabhängigkeitsspiele untergebracht waren, entstand für das Publikum
in Rio de Janeiro der Eindruck, sie seien Teil der Weltausstellung.152
Aus der Sicht der Organisatoren war der Sportpavillon der eigentliche
Dreh- und Angelpunkt des Ausstellungskonzeptes. Den Sportveranstaltun-
gen schrieben sie damit eine Aufgabe zu, die die anderen Ausstellungsteile
nicht erfüllen konnten, nämlich die Bevölkerung zu mobilisieren, indem
Dinge nicht nur ausgestellt, sondern körperlich erfahrbar gemacht wur-
den.153Die Funktion des Sportpavillons beschrieben die Organisatoren so:
[S]ein Erfolg ist unweigerlich an die Feierlichkeiten des 7. Septembers
gebunden und von ihm hängt zum großen Teil der größere Fortschritt
des nationalen sportlichen Lebens ab, nicht nur, weil er im Schoße der
Kinder und der Jugend Freude daran weckt, sondern wegen der Wer-
bung für die Ideen, die er unter Alten und Jungen erweckt in einer Zeit,
in der die größten Sorgen der Wissenschaft und der Politik die Prinzi-
pien der Eugenik und des Männlichkeitskultes sind.154
Die Auseinandersetzung um die »richtige« und die »falsche« Repräsenta-
tion, die in der Presse einerseits als Konflikt zwischen der CBD und den
Klubs, andererseits auch als bestehender regionaler Zwist zwischen Rio de
Janeiro und São Paulo geführt wurde, vermittelte am Vorabend der Unab-
hängigkeitsfeiern ein weitaus weniger harmonisches Bild von Brasilien, als
es die Veranstalter nach außen zeichnen wollten. Weiterhin existierte der
152
In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass in Südamerika von
Beginn an internationale Spiele an nationalen Feiertagen veranstaltet wurden und oft-
mals die Pokale oder Medaillen nach diesen Feiertagen benannt wurden. Sportveran-
staltungen wurden also in den Kontext nationaler Erinnerung gebracht, die Sportler so
auch zu nationalen Helden stilisierte, um sie auf diese Weise in eine Art Ahnenreihe mit
anderen Nationalhelden zu bringen.
153
Hierbei beziehe ich mich auch auf die Argumentation von Lia Paradis: Vgl.
PARADIS, Manly Displays, 2725 f.
154
»A Exposição de 1922, Orgão da Commissão Organizadora«, Nos. 3-4, Setembro,
MCMXXII, Archiv des F.F. C.
217Region
217
Streit zwischen beiden Städten bzw. deren Verbänden über die angemes-
sene Berücksichtigung von Spielern aus beiden Lagern.
Obgleich die anderen Sportorganisationen, die Verbände für einzelne
Sportarten, die lokalen Sportverbände in São Paulo und die einzelnen
Klubs, die Entscheidungsbefugnis der CBD beargwöhnten, waren sie letzt-
lich doch von ihr abhängig. Ihr oblag es, über die Entsendung von Athleten
zu internationalen Wettkämpfen zu entscheiden, weil sie bei den überge-
ordneten internationalen Sportverbänden als Vertretung Brasiliens aner-
kannt war.155Die Sportakteure der institutionell untergeordneten Ebenen
mussten sich fügen, denn die CBD war auch die Organisation, die mit
direkter Unterstützung durch die brasilianische Regierung Reisen von
Athleten zu den internationalen Sportveranstaltungen finanzieren konnte –
außer in den Fällen, in denen Klubs eigenständig und privat finanzierte
Reisen unternahmen.156Vor diesem Hintergrund überraschte es einen Sport-
journalisten von
A Gazeta
, dass trotzdem die Anliegen São Paulos ernst
genommen wurden und nun Antônio Prado Júnior in die Vorbereitungs-
kommission für die Olympischen Spiele und die
Centenário
-Feste einbe-
zogen werden sollte.157
Anfang Januar 1921 erwartete die Presse mit Spannung die Ankunft ei-
ner Delegation des IOC, die die Bereitschaft und den Stand der Vorberei-
tungen in Rio de Janeiro für die Ausrichtung regionaler Olympischer Spiele
überprüfen sollte.158Die Kommission leitete Jess T. Hopkins, der Sekretär
155
Vgl. N
ETO
-W
ACKER
, Marcia de Franceschi/W
ACKER
, Christian,
Brazil goesOlympic: Historical Fragments from Brazil and the Olympic Movement until 1936
,
Kassel 2010.
156
Wie zum Beispiel 1925 bei der Europa-Tournee des C. A. Paulistano, die der
Klubvorsitzende Antônio Prado Júnior finanzierte: Vgl. hierzu Kapitel 4.2 dieser Arbeit,
S. 276.
157
Vgl. »Ainda Continuamos na Lista negra… A’ ultima hora e’ aquella choradeira«,
A Gazeta
, 25.11.1921.
158
Vgl. T
ORRES
, Jogos Olímpicos Latino-Americanos; D
A
C
OSTA
, The IOC and Latin
American Olympics-1922. Die Bedeutungsaufwertung von Sport zu einem zentralen
Bestandteil einer modernen Gesellschaft führte schon 1921 zu der Diskussion, ob die
Athletikmeisterschaften zu Regionalen Olympischen Spielen auszubauen seien. Die
Idee kam ursprünglich vom IOC, so der Historiker Cesar Torres, mit dem Ziel, die
olympische Idee auch in Südamerika zu verbreiten, nachdem sie sich in Europa und den
USA schon durchgesetzt hatte. Die Idee, in Brasilien im Zusammenhang mit den Jahr-
hundertfeiern zur Unabhängigkeit (
Centenário de Independência
) regionale Olympische
Spiele abzuhalten, ist ihm zufolge nicht alleine als unidirektionale, europäische
Diffusionslogik durch das IOC zu erklären. Eher sei ihre Entstehung aus einem
Zusammenwirken verschiedener Akteure in einem zu diesem Zeitpunkt schon stark
internationalisierten Sportumfeld zu verstehen. Auf der einen Seite stand dabei das IOC;
auf der anderen Seite die
Associação Cristã dos Moços
(ACM – Christlicher Verein
218
218
Region
der Abteilung für Leibeserziehung der
Federação Sul-Americana da ACM
(Südamerikanischer Verband der ACM).159Erst nach einer positiven Beur-
teilung und vor allem einer offiziellen Förderung durch die brasilianische
Regierung könnten die Sportfeste zu Regionalen Olympischen Spielen aus-
gebaut und vom IOC unterstützt werden.160
Hopkins habe negativ über die Fortschritte in der Vorbereitung durch die
CBD berichtet, so legt Cesar Torres dar. Für die Paulistas sei das eine Be-
stätigung gewesen, dass die Cariocas ungeeignet seien, die große Aufgabe
der Realisierung regionaler Olympischer Spiele umzusetzen. Zudem hätten
die CBD und die
Liga Metropolitana
nicht sich selbst, sondern den Gut-
achter des IOC für die Mängel der Vorbereitung verantwortlich gemacht.161
A Gazeta
zitierte in ihren Berichten auch einen Sportler aus Rio de Janeiro,
der über ein Gerücht zu berichten wusste, Hopkins sei von Uruguay ge-
kauft worden, damit die Spiele auf Grund der schlechten Berichte an Uru-
guay vergeben würden.162
Voraussetzung für die Erlaubnis durch das IOC zur Umwandlung der
Athletikmeisterschaften in regionale Olympische Spiele und damit zu einer
offiziellen Schirmherrschaft durch das IOC war die Unterstützung des
Vorhabens durch die Regierung, so Torres.163Neben organisatorischer
Unterstützung ging es dabei natürlich auch um finanzielle Hilfe. Beides bei
der Regierung einzuholen, war der Auftrag der CBD. Allerdings ließ sie
Junger Männer), ebenso mit dem Wunsch nach universaler Verbreitung des Sports und
ihrer eigenen Ideale unter der männlichen urbanen Bevölkerung: Vgl. TORRES, Cesar
R., The Latin American »Olympic Explosion« of the 1920s: Causes and Consequences,
in:
The International Journal of the History of Sport
23, 2006, Nr. 7, S. 1088-1111,
hier 1089-1092; DERS., Jogos Olímpicos Latino-Americanos de 1922 – Rio de Janeiro,
in: DACOSTA, Lamartine P. (Hg.),
Atlas do Esporte no Brasil
, Rio de Janeiro 2006,
URL:<http://www.atlasesportebrasil.org.br/textos/158.pdf>,(abgerufenam:
28.3.2011). Wie Marcia de Franceschi Neto-Wacker schreibt, gab es in Brasilien schon
seit 1914 ein Nationales Olympisches Komitee, das jedoch nicht als eigenständige
Institution neben der von der Regierung gegründeten
Confederação Brasileira de Des-portos
in Erscheinung trat: Vgl. NETO-WACKER, Brasilien und die Olympische Bewe-
gung.
159
Vgl. T
ORRES
, Jogos Olímpicos Latino-Americanos; D
A
C
OSTA
, The IOC and Latin
American Olympics-1922.
160
Vgl. T
ORRES
, The Latin American »Olympic Explosion«.
161
Ebd.
162
Vgl. »Futebol. E’ a tal cousa… São infalliveis… As cabeças de turco«,
A Gazeta
,
Januar 1922 (genaues Datum unbekannt).
163
T
ORRES
, The Latin American »Olympic Explosion«, S. 1094.
219Region
219
zwei vom IOC gesetzte Fristen verstreichen, da die Regierung, im Jahr
1922 in finanziellen Schwierigkeiten, keine Zusagen machte.164
Auf Grund der zeitweisen Ausweglosigkeit der Situation schickten die
CBD und die
Liga Metropolitana
eine Abordnung nach São Paulo. Die bat
den lokalen Paulistaner Sportverband APEA um Hilfe zur Realisierung der
regionalen Olympischen Spiele. Für einen Journalisten von
A Gazeta
war
dies ein Beweis dafür, dass Rio de Janeiro letztlich auf São Paulo bei der
Verwirklichung eines internationalen Sportprojektes angewiesen sei. Er
appellierte an die Paulistas als Patrioten, diese Hilfe zu gewähren, denn »es
geht darum, die Kräfte des brasilianischen Sportes für die große Feier im
September zu sammeln.« Würde São Paulo nicht helfen, so schade dies
dem Image Brasiliens insgesamt – er erinnerte an die wenig rühmlichen
Beteiligungen Brasiliens an internationalen Sportereignissen in Chile 1921
und Antwerpen 1920.165Denn, so der Autor, »diese beiden Vorfälle bewei-
sen den Spruch, dass der Carioca ein Gigant ist, wenn er mit dem Paulista
zusammen ist – alleine jedoch nichts zählt.« Gerade jetzt, wo die guten
Beziehungen zwischen den beiden Städten wieder hergestellt seien, sollten
sich die Paulistas wie Brüder verhalten, doch dürfe diese Hilfe nicht ver-
wechselt werden »mit Unterwerfung, Feigheit und Schüchternheit«.166
Schon hier nutzte ein Journalist den Begriff »Giganten«, um vordergrün-
dig die Cariocas, in Wahrheit aber die Paulistas, zu charakterisieren und die
gängige Selbsteinschätzung Letzterer auszudrücken, Brasilien habe ohne
São Paulo keine Chance in der Welt. Die Konstruktion der Paulistas als
»raça de gigantes« nahm der Historiker Alfredo Ellis Jr. in seinem gleich-
namigen Buch von 1926 auf und bezog sich damit auf eine Einschätzung
des französischen Reisenden Saint-Hilaire aus dem 19. Jahrhundert.167
Im Februar 1922 galten die Paulistas in der Tat als Rettungsanker für die
Durchführung der regionalen Olympischen Spiele: Um das endgültige
Scheitern des großen Sportereignisses zu verhindern, wurde beschlossen,
einen Teil der Sportveranstaltungen in São Paulo abzuhalten. Das Ein-
geständnis des Scheiterns – die Cariocas mussten auf die Paulistas zurück-
164
Ebd.
165
Vgl. »Embaixador dos Cariocas«,
A Gazeta
, 7.2.1922. Wie weiter oben beschrie-
ben, hatte die Paulistaner Presse die mangelhafte organisatorische Vorbereitung und vor
allem unzulängliche finanzielle Ausstattung der Reisedelegationen nach Antwerpen und
Chile den Cariocas angelastet und diese als schlechtes öffentliches Image für ganz
Brasilien beschrieben.
166
Ebd. Vgl. auch: »Ainda Continuamos na Lista negra… A’ ultima hora e’ aquella
choradeira«,
A Gazeta
, 25.11.1921.
167
F
ERREIRA
,
A epopéia bandeirante
, S. 139.
220
220
Region
kommen – deutete die Paulistaner Presse erneut so: »Und schon wieder
muss sich Rio von der Überlegenheit unseres Sportes überzeugen. Und,
ganz ehrlich, für die Herren aus der Hauptstadt der Republik, die davon
leben uns anzugreifen, dürfte das nicht besonders angenehm sein […].«168
Erst nachdem der Präsident des Staates São Paulo, Washington Luís, zur
Enttäuschung der Cariocas eine finanzielle Unterstützung abgelehnt hatte,
griff die ACM ein, um die nationale Regierung letztlich noch zur Unter-
stützung zu bewegen.169Die Ablehnung deutete die Presse in Rio de Janeiro
erneut als fehlendes patriotisches Engagement für das nationale Projekt der
lateinamerikanischen Olympischen Spiele.170Auf der anderen Seite hielten
einige Cariocas es für unpatriotisch, São Paulo als Austragungsort zu be-
rücksichtigen, weil es nicht die Hauptstadt war.
Diese Auseinandersetzung spiegelte sich auch in dem Anspruch der
Paulistas wieder, die »nationale« Unabhängigkeit anders und unabhängig
von den Cariocas durch die Veranstaltung eigener Sportfeste zu begehen.
AGazeta
führte eine Initiative an, ein eigenes
Campeonato de Independência
zu veranstalten. Zu diesem Zweck schlug die Zeitung die Umbenennung
der jährlich stattfindenden Meisterschaften zwischen den lokalen Fußball-
klubs (
Campeonato da Cidade
) in
Campeonato de Centenário
(Meister-
schaften der Jahrhundertfeiern) vor.
Der Ideengeber der Initiative gab als Grund die besondere Rolle an, die
São Paulo im Prozess der Unabhängigkeit gespielt habe, und implizierte
damit, dass er diese Rolle in den nationalen Unabhängigkeitsfeiern von
1922 in Rio de Janeiro nicht ausreichend berücksichtigt und gewürdigt sah:
São Paulo spielte eine äußerst relevante, überlegene Rolle im Verlauf
der politischen Ereignisse, die als Epilog die Emanzipation unserer star-
ken und jungen Nationalität hatten. Das heutige São Paulo stellt die hei-
lige Erinnerung an ein São Paulo anderer Zeiten in den Vordergrund. Es
steht in der Pflicht, in jeglicher Form die großartige Tat zu feiern, die ih-
ren Höhepunkt an den Ufern des Ypiranga nahe unserer schönen Haupt-
stadt hatte. Das haben alle Paulistas verstanden. Literaten, Industrielle,
Künstler, Händler, Bauern, Studenten, Professoren, das Volk – nur der
Fußball der Stadt São Paulo, hoher Ausdruck der physischen Stärke ei-
168
»A Confederação-Metropolitana, em ultimo recurso, appella para São Paulo. Nada
como um dia depois do outro…«,
A Gazeta
, 9.2.1922.
169
Vgl. T
ORRES
, Jogos Olímpicos Latino-Americanos.
170
Vgl. »A Confederação-Metropolitana, em ultimo Recurso, appella para São
Paulo«,
A Gazeta
, 9.2.1922; »Que gente ma’… Continua a catilinaria da imprensa do
Rio contra o esporte paulista«,
A Gazeta
, 27.2.1922.
221Region
221
ner Rasse, bleibt der erinnernden Bewegung fern, trägt auf eine beschei-
dene Weise zu der grandiosen Feier bei, obgleich er das auf eine bril-
lante Art und Weise könnte.171
Im Zuge dieser Hervorhebung der Überlegenheit São Paulos im Unabhän-
gigkeitsprozess und in der nationalen Geschichte überhaupt schob er den
Beitrag anderer Staaten und Bewohner anderer Regionen völlig zur Seite.
Die Aufzählung der Protagonisten umfasste weder Immigranten noch ehe-
malige Sklaven.
Paulistas, die er hier sogar als »Rasse« bezeichnete, grenzte der Autor
von den Bewohnern anderer Regionen damit auch biologisch ab. Aus die-
ser nun auch »rassisch« begründeten Überlegenheit leiteten die Paulistas
ihre Führungsrolle im nationalen Sport ab. Sie erhoben nicht nur den An-
spruch, Sitz des nationalen Sportverbandes zu werden, sondern stellten den
Sport in den Dienst eines patriotischen und nationalen Zukunftsprojektes,
das von denen angeführt werden sollte, die sich in besonderer Weise histo-
risch bewiesen hätten.172
Das
Campeonato de Centenário
kam letztlich nicht zustande. Doch seine
Befürworter griffen in ihrem Diskurs auf, was die Organisatoren der
Paulistaner, vom Staat São Paulo finanzierten, allgemeinen Unabhängig-
keitsfeier als Grundbotschaft vermittelten: Auf den Feiern referierten Red-
ner und Politiker ebenfalls eine Reinterpretation der Geschichte Brasiliens
von São Paulo aus und entwickelten die Hypothese, aus dem Paulistaner
Schoß sei eine neue »Rasse« entstanden.173Das
Campeonato de Centenário
hätte sich gut in den Plan der Organisatoren eingefügt, den Ausdrucksfor-
men verschiedener sozialer Gruppen in der Stadt durch aufgeführte Spekta-
kel gerecht zu werden und die Feste selbst zum »Moment der Neugründung
der Ursprünge« von São Paulo zu machen.174
Die Auseinandersetzungen um die Realisierung der Sportfeste im Rah-
men des
Centenário
drückten aus, was auf einer allgemeineren politischen
Ebene schon länger ein Streitpunkt war und im Jahr 1922 unter anderem in
der
Revolta Tenentista
zum Ausdruck kam: Die Cariocas sahen durch die
Hegemonie der Staaten Minas Gerais und São Paulo ihre politischen
171
»O Campeonato do Centenario«,
A Gazeta
, 20.4.1922.
172
Auch der Bau eines Stadions auf einem Grundstück, das der Klub C. A. Paulistano
erworben hatte, sollte dazu dienen »auf unsere Art die erste Unabhängigkeitsfeier zu
begehen.« In: »Futebol. O C. A. Paulistano vai reconstruir o seu campo. Um Estadio em
São Paulo«,
A Gazeta
, 2.2.1922.
173
Vgl. F
ERREIRA
,
A epopéia bandeirante
, S. 273-276.
174
Ebd., S. 271.
222
222
Region
Interessen nicht gewahrt. Der Staat São Paulo hingegen, als wirtschaftlich
stärkste Kraft des Landes und mit seiner modernen, industrialisierten,
kosmopolitischen Stadt im Zentrum, sah sich als rechtmäßige Vertretung
ganz Brasiliens und forderte deshalb eine angemessene Repräsentation –
auch im Sport.
3.2.3. São Paulo als Ausstrahlungszentrum
Insgesamt war das Jahr 1922 ein dichtes Jahr in Bezug auf Sportereignisse.
Im Jahr des
Centenário
veranstaltete die CBD neben den regionalen
Olympischen Spielen und dem
Campeonato Sul-Americano
ein weiteres
Campeonato Brasileiro
(Brasilianische Meisterschaft), an dem auch Mann-
schaften außerhalb der Süd-Ost-Achse teilnahmen. Sie fand in mehreren
Städten statt und insgesamt traten sieben Auswahlmannschaften aus mehre-
ren Bundesstaaten gegeneinander an. Vertreten waren Minas Gerais, Rio
Grande do Sul und Paraná, eine Mannschaft aus dem Hauptstadtdistrikt Rio
de Janeiro, eine für den Bundesstaat Rio de Janeiro und eine Auswahl São
Paulos. Aus dem Norden sollten ursprünglich Pará, Pernambuco und Bahia
teilnehmen, jedoch sagten die beiden ersten Bundesstaaten ab und nur
Bahia entsandte eine Mannschaft.175
Der Ausgang des Turniers blieb lange offen und zwischenzeitlich er-
schien sogar die Auswahl aus Bahia als aussichtsreicher Kandidat auf den
Titelgewinn. Letztlich setze sich jedoch São Paulo im Endspiel gegen den
größten Rivalen Rio de Janeiro durch. Auch diesen Titelgewinn ordneten
die Paulistas in die Erinnerung an die Unabhängigkeit ein und sahen ihn als
Beweis für die sportliche Hegemonie São Paulos, wie die folgenden Passa-
gen aus einem Artikel in
A Gazeta
am Tag nach dem siegreichen Spiel
verdeutlichten: »Paulistas, absolute Meister Brasiliens, tatsächlich mit
Recht und Gerechtigkeit. Das große Treffen von gestern bewies die
Paulistaner Hegemonie im nationalen Fußball.«176Weiterhin fuhr der Autor
fort:
Mit dem gestrigen Sieg sind die Paulistas definitiv die geweihten Meis-
ter Brasiliens, Meister des Centenário, begabte Meister des Fußballs.
Ohne auch nur ein brasilianisches Spiel zu verlieren, haben sie alle ihre
175
Erst im Jahr darauf schafften es auch diese beiden Staaten teilzunehmen und die
CBD ordnete den Wettbewerb als ersten offiziellen Nationalpokalwettbewerb ein: Vgl.
Sant’Anna, Supremacia, S. 76-85.
176
»Paulistas, campeões absolutos do Brasil, de facto, de direito, de justiça. O grande
encontro de hontem confirmou a hegemonia paulista no futebol nacional. Cariocas (1)
Paulistas (4)«,
A Gazeta
14.8.1922.
223Region
223
Gegner besiegt und überragten im Treffen von gestern mit ihrem vor-
züglichen Prestige im nationalen Sport. Die heldenhaften Verteidiger der
Paulistaner Farben wussten ihre Pflicht zu erfüllen und verdienen
Applaus.
177
Der Autor stellte die Stadt São Paulo als ausstrahlendes Zentrum Brasili-
ens, ja sogar Südamerikas dar. Die Entwicklung des Fußballs in anderen
Gegenden sei auf São Paulo zurückzuführen. Denn, so die Einschätzung,
selbst ein Sieg der Cariocas, den ein Teil der Paulistaner Bevölkerung
angesichts der vorher eingeschätzten Stärke des Teams erwartet habe,
beweist nur, dass der brasilianische Fußball sich an mehreren Punkten
des Landes gleichzeitig entwickelt und diese Tatsache ehrt São Paulo,
das der Meister des britischen Spiels in Brasilien war und ist und sich zu
einem der bemerkenswertesten Zentren des Fußballs auf dem süd-
amerikanischen Kontinent entwickelt.178
Auch am nächsten Tag, in einer »abschließenden Bilanz« des Wettbewerbs,
hieß es, der Sieg habe gezeigt, dass »unsere Rasen die wahre Schule des
brasilianischen Fußballs sind.«179
Die Presse in São Paulo feierte die Paulistas auch wegen ihrer Siege ge-
gen eine tschechoslowakische und eine spanische Mannschaft im Jahr
1922. Beide galten als Vertreter besten europäischen Fußballs, da sie bei
den Olympischen Spielen in Antwerpen sehr gut abgeschnitten hatten. Die
Paulistas siegten sogar mit einer nur mittelmäßigen Auswahl.180Nach dem
2:1-Sieg gegen die Spanier äußerte sich der Sportredakteur von
A Gazeta
,
Leopoldo Sant’Anna, in seiner Kolumne »Ecos…« zu dem Spiel und stellte
den Sieg in Beziehung zur politischen Machtposition São Paulos:
Wir sind in der Politik, im Handel, der Industrie und der Kunst zum füh-
renden Staat geworden. Unser Wille wird im nationalen Rahmen res-
pektiert. Unsere Repräsentanten im Parlament, wo sich die Stimmen von
21 Staaten erheben, wissen, wie sie ihre Ideen durchbringen können, wie
177
Ebd.
178
Ebd.
179
»Primeiro Campeonato Brasileiro de Futebol. Balanço final do grande concurso
do anno do Centenario«, 17.8.1922,
A Gazeta
. Vgl. auch »Os paulistas reaffirmam que
de facto, de direto e de justiça são os campeões do Brasil. Os eternos campeões das
eternas victorias moraes soffreram hontem mais duas derrotas«,
A Gazeta
, 28.8.1922.
180
»Futebol. Hespanhoes (1) Paulistas (2). Mais uma vez São Paulo reaffirma a sua
hegemonia no futebol patrio«,
A Gazeta
, 11.9.1922.
224
224
Region
sie ihre Gedanken und all ihre Pläne gewinnen lassen können. Wir sind
eine politische Kraft. Wir beugen uns nicht.
Daraus leitete er auch São Paulos sportliche Überlegenheit ab, bemängelte
jedoch, dass sich diese nicht in einer sportpolitisch angemessenen Reprä-
sentation ausdrücke:
Der Paulistaner Sport verdient, wegen all dem, nicht den Namen
paulista. Er repräsentiert in seinen Außenbeziehungen nicht den Glanz
der bandeirantes. Er widerlegt unsere Geschichte. Er fordert unsere Po-
litik heraus. Er ist wie ein Stier, der seine Kraft nicht kennt, großartig,
herkulesartig. Das ist das paradoxe Bild eines Tigers, der kriecht wie ein
Schoßhund. Und dann zu sagen wir seien die größte Sportkultur des
Landes!181
Sant'Anna grenzte über die Betonung einer Tradition der
bandeirantes
immer wieder die Paulistas gegenüber Bewohnern anderer Regionen ab. Er
war in den Jahren 1915 bis 1930 der führende Sportjournalist bei der
Tageszeitung
A Gazeta.
182Neben seiner sportjournalistischen Tätigkeit
veröffentlichte er mehrere Monografien zum Fußball in São Paulo, in de-
nen er ebenfalls São Paulos Sportentwicklung an dem Partner und Wider-
sacher Rio de Janeiro maß.183So lobte er 1920 Washington Luís‘ Einsatz
für den Sport und plädierte insbesondere für die Stärkung der Eigenschaf-
ten der
bandeirantes
in einer zukünftig sich entwickelnden brasilianischen
»Rasse«:
Ehre gebühre dem, der danach strebt, die bandeirantes in unserer Rasse
von heute wiedererweckt zu sehen, aber die modernisierten bandeirantes,
bei denen zur Muskelstrenge und moralischen Energie auch die Schön-
heiten der intellektuellen Kultur hinzukommen und die wirklich groß
sein sollen in ihrer Kraft und durch ihren Geist.184
Die Ausbildung einer brasilianischen »Rasse« unter Paulistaner Vorzeichen
war eine typische Idee reformerischer Paulistaner Eliten in der Ersten Re-
181
»Ecos«,
A Gazeta
, 13.9.1922.
182
M
AZZONI
,
História do futebol
, Vorwort/Prolog, ohne Seitenzahl. Vgl. auch
MAZZONI,
Almanaque Esportivo 1928
, S. 290-291. Dort bezeichnet ihn Thomaz
Mazzoni als einen der bedeutendsten Sportjournalisten São Paulos, der auch über São
Paulo hinaus beträchtlichen Einfluss besessen habe: Vgl. ebd.
183
Vgl. S
ANT
'A
NNA
,
Supremacia
.
184
»Do Sport«,
A Gazeta
, 30.1.1920.
225Region
225
publik.185Sant’Anna sprach deshalb auch von dem Zukunftsprojekt einer
raça brasileira
, das sich durch sozialpolitische Maßnahmen realisieren
lasse und hob den Idealtyp des
bandeirante
hervor.186
Die Wiederholung der Genealogie der Paulistas als Nachfahren der über-
legenen
bandeirantes
war nicht nur kulturell, sondern implizierte oftmals
auch eine biologische Überlegenheit. Zumindest, wie Weinstein deutlich
macht, war dieser kulturelle Überlegenheitsdiskurs später äußerst an-
schlussfähig für einen eher biologischen Rassismus, der Bewohner anderer
Staaten diskriminierte.187
Dies geschah auch in Figueiredos »Geschichte des Fußballs in São
Paulo«.188In seiner Einleitung verglich Figueiredo die Jugend São Paulos
vor 1890 mit der Jugend in den 1920er-Jahren. Er beschrieb die Erstere als
eine hybride Mischung junger Männer aus allen Provinzen Brasiliens, die
von Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts nach São Paulo kamen. Sie
hätten ein übersteigertes Interesse für Literatur und Poesie gezeigt. In einer
darauffolgenden Phase hätte die Jugend einen den Paulistas innewohnen-
den praktischen Sinn wiederentdeckt, den auch Figueiredo auf die Tradi-
tion der
bandeirantes
zurückführt:
Die höheren Schulen São Paulos, nachdem diese Phase der Literatur und
Kunst vorbei ist, sind wie ›erloschene Vulkane‹. Nachdem die Liebe zu
den Romanen und Gedichten vorbei war, kam der praktische Sinn auf,
der ebenso zu einer Übertreibung gebracht wurde […]. Aber es ist ange-
bracht zu betonen, dass in den verschiedenen Phasen unserer Geschichte
sich die Paulistas nie allzu sehr mit den Geisteswissenschaften beschäf-
tigt haben, sie haben es immer bevorzugt, sich den mutigen Unterneh-
mungen hinzugeben, sich der Unerschrockenheit und dem Mut zu wid-
men. Man solle sich erst einmal die Schaffung der Grenzen ansehen, die
das Hinterland unserer Heimat verwüstet haben.189
Figueiredos und Sant'Annas Geschichten des Paulistaner Fußballs lassen
sich einem Literaturkanon zurechnen, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts
den Mythos der
bandeirantes
konstruieren half und der auch an Ge-
schichts- und Literaturinstituten entstand. Historiker und Schriftsteller
185
Vgl. W
EINSTEIN
, Racializing Regional Difference.
186
Siehe zu den
bandeirantes
ausführlicher Kapitel 3.1, S. 178, zur
raça brasileira
Kapitel 1.3, S. 70 dieser Arbeit.
187
W
EINSTEIN
, Racializing Regional Difference, S. 255.
188
Vgl. F
IGUEIREDO
,
História do Foot-Ball
, S. 39-45, 80 f. und 177 f.
189
Ebd., S. 4.
226
226
Region
rüsteten die Paulistas mit Charakterzügen aus, die sie als Pioniere des Fort-
schritts und als
Selfmademen
auswiesen und die gleichsam als Vorbild des
brasilianischen Menschen gelten sollten.190
Figueiredo gab das Jahr 1890 als den Beginn einer neuen Phase an: Die
Jugend habe begonnen, sich für Sport und Leibesertüchtigungen im
Allgemeinen zu interessieren. Er setzte sich für die Formung eines neuen
Menschen ein, der idealerweise physische Stärke und geistiges Vermögen
in sich vereine. Bisher sei dies unausgeglichen und eine der beiden Eigen-
schaften zu stark betont worden, was er auf eine Neigung des Brasilianers
zur Übertreibung zurückführt. Gerade in São Paulo hätten die Eliten zu
sehr ein physisches Menschenbild idealisiert, das im Zusammenhang mit
der Tradition der
bandeirantes
entstanden sei, da für die Entdeckung von
Land und Bodenschätzen muskulöse Athleten gebraucht wurden. Idealer-
weise aber, so Figueiredo, komme es bei der Formation eines neuen, idea-
len brasilianischen Menschen zu einer Kombination physischer
und
geisti-
ger Tätigkeiten, so wie auch schon im antiken Griechenland:191
Griechenland wies, bevor es seinen Zenit erreichte, keineswegs diesen
perfekten Typus auf, athletisch, attisch und kultiviert, den Hellenen des
5. Jahrhunderts; der Athletismus kommt von den Dorern und die Kultur
aus Athen: Aus der Fusion der beiden Rassen ging die Perfektion der
Griechen hervor – eine Perfektion, die alle modernen Völker versuchen
zu erreichen. Wer weiß, ob diese gegensätzlichen Tendenzen, des Athle-
tismus und der Literatur, aus der aktuellen Jugend irgendwann einen Typ
von Brasilianer entstehen lassen, der in irgendeiner Weise diesen Men-
schen ähnelt, die die Xerxes und Darius besiegt haben und die über die
Jahrhunderte die Modelle der anderen Völker waren?
192
Wenn Figueiredo auf die Paulistaner Entwicklung des Sports abhob, die
sich von der in anderen Landesteilen unterscheide, dann ist das auch im
Kontext der regionalistischen Identitätskonstruktion des Paulistaner
Selfmademan
zu sehen: Der
sportsman
als Idealtypus, der leistungsbezo-
gene Wettkämpfe ausficht, der sich aus eigener Kraft gegen Wettbewerber
durchzusetzen versucht, passte zu dem regional seit Ende des 19. Jahrhun-
190
Vgl. F
ERREIRA
,
A epopéia bandeirante
; W
EINSTEIN
, Racializing Regional
Difference; Vgl. hierzu auch Kapitel 1, S. 175 dieser Arbeit.
191
Auch in seiner Autobiografie
Memórias de um jornalista
stellt Figueiredo die
Griechen als fortschrittlich und zivilisiert dar, an deren Beispiel sich heute Erziehungs-
modelle orientieren sollten: Vgl. FIGUEIREDO, Antônio,
Memórias de um jornalista
, São
Paulo 1933, S. 53.
192
F
IGUEIREDO
,
História do Foot-Ball
, S. 6.
227Region
227
derts propagierten Idealtypus des Paulistaner »Entrepreneur« und, zu einem
späteren Zeitpunkt, auch zu den idealisierten Eigenschaften einer
»Paulistaner Mittelschicht«, wie sie Barbara Weinstein jüngst herausarbei-
tete, und die eine besondere Zugehörigkeit zu einer »transnationalen
Moderne« für sich reklamierte.193
Der besondere Erfolg im und die Beherrschung der modernen Regeln
des transnationalen Fußballs konnten hier als weiterer Ausdruck einer
besonders ausgereiften modernen und urbanen Mittelschicht geltend ge-
macht werden. Dies in starker Abgrenzung zu anderen Regionen Brasiliens,
die aus ihrer Sicht weder über eine Mittelschicht noch über eine ausge-
prägte »westliche« Fußballkultur verfügten. Gerade über den Fußball
konnte deutlich gemacht werden, dass man im Selbstverständnis einer
modernen – und transnationalen –
Paulista
-Identität, auf Herkunft beruhen-
de Privilegien ablehnte und einzig auf Leistung beruhende Belohnungen
gelten ließ. Ein Ideal, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts nichts besser
verkörperte als der moderne Sport und mithin der Fußball mit seinen ange-
nommenen transparenten, effizienten, klaren und universalen Regeln. Das
bedeutet, ein transnationales Phänomen wie der Fußball diente als Diskurs
für diese Wertekonflikte, zugleich wurde er selbst auch eingesetzt sowohl
von einer traditionellen Elite als auch von einer eher der Mittelschicht
entstammenden Elite, um nicht als Mittelschicht verstandene Bevölke-
rungsgruppen und Regionen in eine »transnationale Moderne« im Sinne
Weinsteins einzuführen. Die Paulistas beanspruchten dabei nicht nur für
sich, dies innerhalb ihrer Stadt oder ihres Staates für bestimmte Bevölke-
rungsgruppen zu leisten, sondern darüber hinaus auch das gesamte Land,
ausgehend von São Paulo, für diesen Weg zu gewinnen. Fußball mit seiner
so hohen Verbreitungsmöglichkeit über Vereine und Ligen, die Presse und
informelle Spiele, durch sein Begeisterungspotential wurde dabei schnell
als geeigneter als jedwede andere kulturelle Praxis oder Einrichtung mit
Sendungsfunktion, wie beispielsweise Schulen, betrachtet. Interessant war
nun noch, dass sich über den Fußball die Durchsetzung der »Moderne« in
Brasilien, vor allem São Paulo, wieder nach außen kommunizieren ließ.
Auch von dieser Möglichkeit wurde in den 1920er-Jahren Gebrauch ge-
macht.
Wie stark die Paulistas ihre regionale Überlegenheit im Fußball mit einer
allgemeineren kulturellen Überlegenheit gleichsetzten, verdeutlichte eine
Karikatur vom 26.9.1922 in
A Gazeta
(Bild 8). Zur Erklärung der
brasilianischen Flagge verband der Karikaturist die Farben und Symbole
193
Vgl. W
EINSTEIN
, Weiß, männlich, Mittelschicht.
228
228
Region
mit brasilianischen zeitgenössischen Phänomenen. Die nationale Flagge
selbst zeigte die Karikatur nur umrisshaft, auf den beiden Zeichnungen war
sie von der Paulistaner Flagge verdeckt. Mit der Erklärung der Symbole
machte sich der Karikaturist zudem über Hinterland-Bewohner lustig und
parodierte Probleme wie Krankheit und Armut. Im Gegenzug stellte die
Karikatur São Paulo als reich und als Metropole des Kaffeehandels dar.
Gleich das erste Bild zeigte São Paulo als Stadt mit seiner beschleunigten
Modernisierung: Die abgeholzten Wälder symbolisierten das rasante ur-
bane Wachstum. Das siebte Bild symbolisierte den Globus auf der brasilia-
nischen Flagge als Zeichen für die Überlegenheit São Paulos im Fußball.
São Paulo fühlte sich für das Wohlergehen der gesamten Nation verant-
wortlich.
Bild 8: »Der Globus repräsentiert die Überlegenheit São Paulos auf den Fußballplät-
zen«: Mit diesem Bildtitel drückte die Paulistaner Presse das Paulistaner
Überlegenheitsgefühl und den Vertretungsanspruch für ganz Brasiliens auch symbolisch
aus. Quelle: »Semana dos symbolos da Nação«,
A Gazeta
, 26.9.1922.194
3.3. ZUSAMMENFASSUNG
Die Auseinandersetzungen zwischen São Paulo und Rio de Janeiro, die sich
anlässlich der sportlichen Inszenierung des
Centenário
verdichteten, sind
nicht ausschließlich in einem nationalen Zusammenhang zu verstehen und
194
1. »Das Grün stellt die atemberaubende Vegetation vor den Abholzungen dar.«;
2. »In den gelben Stücken scheint es eine Anspielung auf den Rest des nationalen
Reichtums zu geben.«; 3. »In den schwarzen und weißen Streifen liegt viel Bedeutung:
der Reichtum des Hauses von Rodovalho, das Trachom, die ›Bändchen‹ usw. [Das
Trachom ist eine in den Tropen verbreitete und durch Bakterien verursachte Augen-
entzündung, die zu Blindheit führen kann. Die weiteren Anspielungen sind allenfalls im
Kontext der Zeit verständlich, d. Verf.].«; 4. »Die Sterne erinnern an die Staaten, die
Schläge und die Wirkungen des Fußflohs [südamerikanischer Parasit, d. Verf.].«;
5. »Der Tabakzweig: Der Genuss der Brasilianer aller Größen«; 6. »Die Kaffeepflanze:
der Wohlstand der Patrioten, die oben und unten bei dem großen Produkt mitspielen.«;
7. »Der Globus repräsentiert die Überlegenheit São Paulos auf den Fußballplätzen.«
229Region
229
einzuordnen. Sie fanden erst in einem transnationalen Rahmen eine Aus-
drucksform, als Konflikte um nationale und regionale Repräsentation und
in der körperlichen Inszenierung im Spektakel. Erst internationale Spiele
boten hierfür Ausdrucksmöglichkeiten. Zudem zeigen diese Konflikte, wie
das Politische in den Fußballraum hineinspielte, gerade weil sich durch die
Bedeutungszunahme des Sports nach dem Ersten Weltkrieg politische An-
sprüche anders und besser ausdrücken ließen als im engen politischen Rah-
men der Diplomatie.
Die Diskussionen um die Ausrichtung der Sportveranstaltungen anläss-
lich des Monarchenbesuches, der Teilnahme an den Olympischen Spielen
in Antwerpen und an den
Campeonatos Sul-Americanos
sowie der Feiern
zum Jahrestag der Unabhängigkeit demonstrieren, welche nationalen Werte
Sportfunktionäre, Journalisten und politische Eliten zeigen wollten: den
männlichen, »weißen« und jungen Brasilianer und ein »zivilisiertes«,
kräftiges und modernes Land.
Mit der Bedeutung, die Sport vor allem nach dem Ersten Weltkrieg im
globalen Kontext als eine Möglichkeit der Inszenierung nationaler Stärke
erlangte, spielte dieses Potenzial für regionale Eliten eine herausragende
Rolle, um Vorstellungen von regionaler Identität zu festigen. Fußball diente
nicht nur als Ausdrucksmöglichkeit sowieso schon vorhandener Differen-
zen oder deren Zuschreibungen, er war eine Möglichkeit, diese Zuschrei-
bungen zu festigen und zu materialisieren. Dies betraf diskursive, textliche
Ausdrücke und körperliche Materialisierungen, wie zum Beispiel die
Athletikparade vor dem belgischen König.
Die hier dargelegte lang andauernde Rivalität zeigt allerdings, dass Fuß-
ballspiele nicht einfach nur schon vorhandene ökonomische, kulturelle und
soziale Differenzierungen abbildeten und darauf zurückgriffen. Sport
diente Paulistaner Eliten in ganz entscheidendem Maße dazu, eine eigene
Identität eines modernen, »zivilisierten« und »weißen« Staates zu erklären,
dessen Einwohner sich sogar »rassisch« von allen anderen unterschieden,
die dazu berufen seien, alle anderen anzuführen und die letztlich Brasilien
ausmachten. Die Betonung der
bandeirantes
-Tradition bei Figueiredo,
Sant’Anna und anderen Journalisten und Sportlern zeigt, wie stark der
Ausdruck regionaler Differenzen von der Konstruktion gegensätzlicher
Körperbilder begleitet war.195
Im folgenden 4. Kapitel wird im letzten Teil darauf noch einmal zurück-
zukommen und zu zeigen sein, in welchem Maße die Paulistas die Vor-
195
Zum Ausdruck gesellschaftlichen Wandels und identitärer Vorstellungen in
Körpergegensätzen: Vgl. COWAN/SICKS, Technik, Krieg und Medien.
230
230
Region
stellungen einer brasilianischen Identität unter Paulistaner Vorzeichen in
Europa vermittelten.
231
4. NATION: NATIONALE REPRÄSENTATION UNDSELBSTINSZENIERUNG
Er [der Fußball, d. Verf.] ist eine Propaganda für den aktuellen Moment,
wird dies aber noch stärker für die Zukunft sein, wenn die Jugend von
heute die Regierungen und die Welt von morgen bestimmt. Schon jetzt
wissen unsere Brüder aus Paris sicherlich, dass zum Beispiel das ›pays
de la bas‹ nicht nur von Indios bewohnt wird. Dass hier eine neue Rasse
im Entstehen ist, die die physischen Qualitäten der alten europäischen
Rassen ersetzen kann. Ganz Brasilien erlebt außerdem einen großen
Moment beruhigender stärkender patriotischer Emotion und hat dabei
die unvergleichliche Ehre, Europa erneut vor sich ergeben zu sehen, wie
das alte Lied aus den Zeiten Santos Dumonts sagte. Allein das stellt
einen unschätzbaren Gewinn für unsere bekümmerten Herzen dar, die
ermüdet von Pessimismus und moralischen Betrübnissen sind. Ruhm
also den Brasilianern aus São Paulo, wir können auch sagen, der Heimat
des Kaffees, um sich der Propaganda zu bedienen, die ohne offizielle
Hilfe einen großen, unschätzbaren Verdienst für die Größe unserer
Heimat erbringen.1
Obwohl in dem vorangestellten Textausschnitt der Fußball wörtlich nicht
vorkommt, spricht der Autor anlässlich der Reise des ersten brasilianischen
Fußballklubs nach Europa im Jahr 1925 ausschließlich über ihn. Mitte der
1920er-Jahre war der brasilianische Fußball längst keine Nachahmung
europäischer Spieltechnik mehr. Brasilianische Fußballspieler hatten in
zahlreichen Siegen gegen südamerikanische und auch europäische Mann-
schaften mit einem ihnen eigenen Stil demonstrieren können, dass sie von
den Vorbildern unabhängig geworden waren und das Spiel »kreolisiert«
hatten.2Der Autor vermittelt zudem, Sport habe sich in den 1920er-Jahren
zu einem bedeutungsvollen Mittel diplomatischer Beziehungen, nationaler
Selbstinszenierung, Herstellung von Differenz und Aushandlung von Iden-
tität entwickelt.
Auf dem amerikanischen Kontinent nutzten nach dem Ersten Weltkrieg
vor allem die USA Sport als ein Mittel, um eine amerikanische nationale
Kultur und amerikanische Identität ethnischer Gleichheit zu imaginieren
und zu propagieren. Darauf verweist Mark Dyreson, der hierfür vor allem
1
»E'cos da victoria do Paulistano. O que diz a imprensa carioca«,
O Esporte
, nach:
A Gazeta
, 20.3.1925.
2
Zur Definition von »Kreolisierung« siehe S. 156 der vorliegenden Arbeit.
232
232
Nation
die
Inter-Allied Games
im Jahr 1919 und die Einrichtung eines
PublicityDepartment
für Sportpropaganda in den USA im selben Jahr als Mark-
steine betrachtet.3Er argumentiert, andere Länder hätten diese Form der
Propaganda bereitwillig übernommen, nur die inhaltliche Ausgestaltung
und die Zielsetzung konnten unterschiedlich sein. So nutzten Nationen den
Sport, um sich zum Beispiel gegen US-amerikanische Kolonialisierung zu
wehren. Als Beispiel nennt Dyreson Uruguay und die Bedeutung der
Olympischen Siege des uruguayischen Fußballteams 1924 und 1928 in
Europa für die nationale Identität des Landes.4Für Dyreson belegt das
Beispiel, dass Sport in der Moderne eher als »Makler nationaler Interessen«
fungierte denn als »ein Instrument zur Konstruktion irgendeiner Art von
transnationaler globaler Gesellschaft.«5
Waren die ersten fußballerischen Kontakte bis 1914 zwischen Europa
und Brasilien und zwischen Südamerika und Brasilien noch sporadisch,
spontan und weitestgehend unpolitisch und privat initiiert, so wandelte sich
der Fußball zunehmend zu einem Hilfsmittel der Diplomatie: Fußball ge-
langte nach dem Ersten Weltkrieg in den Fokus von Regierungen und
überbot in den Augen einiger die Möglichkeiten traditioneller Diplomatie.6
Für verschiedene staatliche und nicht-staatliche Akteure, alle Elitenan-
gehörige, wurde er zu einer neuen Form diplomatischen Austausches.
Es geht hier weniger darum, die Auswirkungen des Fußballs auf
zwischenstaatliche Beziehungen zu analysieren. Vielmehr wird die Suche
nach brasilianischer Identität über den Fußball im Kontext transnationaler
Austauschbeziehungen in zwei Dimensionen untersucht: Im ersten Teil in
einer regionalen Dimension, indem die Süd-Süd-Beziehungen, also die
Beziehungen Brasiliens zu seinen Nachbarländern Argentinien und Uru-
guay, betrachtet werden. In einem zweiten Teil wird die europäisch-
brasilianische Dimension dargestellt. Die Interdependenzen zwischen Inter-
nationalisierung des brasilianischen Fußballs und Nationalisierungs-
tendenzen sollen erkennbar werden. Die Konstruktion und Vorstellung
3
Vgl. D
YRESON
, Globalizing, S. 100 ff. Vgl. zur Rolle des Sports für die Verbreitung
US-amerikanischer kultureller Werte auch: KEYS,
Globalizing Sport
; DIES., Spreading
Peace, Democracy, and Coca-Cola®: Sport and American Cultural Expansion in the
1930s, in:
Diplomatic History
28, April 2004, Nr. 2, S. 165-196.
4
D
YRESON
, Globalizing, S. 102.
5
Ebd., S. 95.
6
Vgl. A
RNAUD
u. a. (Hg.),
Sport and International Politics
; B
ECK
,
Scoring forBritain
; KEYS,
Globalizing Sport
; POLLEY, Martin, The Amateur Ideal and British
Sports Diplomacy, 1900-1945, in:
Sport in History
6, Nr. 13, S. 440-467; RIORDANu.a.
(Hg.),
The International Politics of Sport
.
233Nation
233
nationaler Identitäten und ihre Repräsentation durch staatliche und nicht-
staatliche Akteure geraten nicht aus dem Blickfeld, nur werden sie aus
einer transnationalen Perspektive betrachtet. Welche Möglichkeiten boten
internationale Fußballbegegnungen für die Konstruktion von Differenzen
entlang nationaler Grenzen? Und bot der Fußball Möglichkeiten zur Kon-
struktion alternativer Identitätsentwürfe? Nahmen die handelnden Akteure
über die Internationalisierung des Fußballs neue Formen der Abgrenzung
und Differenzierung vor, so zum Beispiel einer gemeinsamen Identität der
südamerikanischen Länder gegenüber Europa? Führte der internationale
Fußballaustausch zu Differenzierungen, die im Sinne Dyresons darauf
schließen lassen, der Fußball habe vorrangig der Konstruktion nationaler
Identität gedient?
Dabei ist zu klären, welche weiteren Identitätsentwürfe im Spiel waren
und möglicherweise über internationale Fußballbegegnungen ausgehandelt
wurden. Der Blick richtet sich mit diesem Vorgehen auf internationale
Begegnungen, die beispielhaft für diese Entwicklungen waren, auf die
darin hervortretenden staatlichen und nicht-staatlichen Akteure und auf
diskursive Konstruktionen von Identitäten in der Sportpresse.
Der Sieg der uruguayischen Nationalmannschaft über die europäischen
Mannschaften bei den Olympischen Spielen in Paris im Jahr 1924 hatte
international gleichzeitig Bewunderung und Erstaunen hervorgerufen. Den
Pressevertretern und Spielanalysten, Sportanhängern und Fußballvereinen
in Europa führte er spätestens jetzt vor Augen, dass die moderne Sportart
Fußball über ihre Ursprungsregion hinaus populär geworden war und in
anderen Weltregionen ebenso erfolgreich praktiziert wurde.7Zwar hatten
schon zuvor europäische Mannschaften den südamerikanischen Kontinent
besucht und waren gegen dortige Mannschaften und Klubs angetreten,8
allerdings verschaffte das Länder und Kontinente umspannende Ereignis
der Olympischen Spiele dem Sieg der Uruguayer eine größere Aufmerk-
samkeit und eine höhere Relevanz. Der Olympiasieg 1924 wurde quasi im
Herkunftskontinent des Fußballs errungen und von da an galten die Uru-
guayer als »Weltmeister« in dieser Disziplin.
Die Olympischen Spiele in Paris 1924 waren kein alle europäische Län-
der umfassendes harmonisches und unpolitisches Sportereignis. Entgegen
7
M
ASON
,
Passion of the people?
, S. 30-32.
8
Im Jahr 1910 und 1913 spielte der englische Amateurklub Corinthian F.C. in Rio
de Janeiro und São Paulo. Im Jahr 1914 besuchte der englische Profi-Klub Exeter City
Südamerika: Vgl. ebd. S. 19-26; MAZZONI,
História do futebol
, S. 78 ff. und 99 f. Vgl.
hierzu auch Kapitel 3.1.2 der vorliegenden Arbeit.
234
234
Nation
den pazifistischen Ambitionen des Begründers der neuzeitlichen Olympi-
schen Spiele, Pierre de Coubertin, spiegelte sich in den Spielen 1924 die
Lage der internationalen politischen Beziehungen seit dem Ende des Ersten
Weltkrieges wieder.9Deutschland war, wie auch schon 1920 in Antwerpen,
von der Teilnahme ausgeschlossen. Davon war auch die 1904 gegründete
FIFA trotz ihrer ebenfalls unpolitischen Ambitionen direkt betroffen: Die
vier britischen Nationalverbände traten aus Protest gegen den Verbleib der
Kriegsverlierer Österreich-Ungarn und Deutschland in der FIFA aus dem
Verband aus.10Sie weigerten sich nicht nur, Länderspiele gegen Mann-
schaften der Mittelmächte auszutragen, sondern ebenso gegen Länder, die
gegen die Mittelmächte angetreten waren oder in Zukunft antreten wür-
den.11
Es ist inzwischen in verschiedenen Studien herausgestellt worden, wel-
che Rolle Fußball für die diplomatischen Beziehungen zwischen einzelnen
Ländern und zwischen Regionen spielte.12Daher liegt die These nahe, eine
transnationale Sportgemeinschaft habe sich im Ersten Weltkrieg angesichts
des »nationalistic outbursts«13und einer quantitativen Abnahme von
Nichtregierungsorganisationen aufgelöst.14Der Erste Weltkrieg bedeutete
zwar eine kurzfristige, aber nicht vollständige Unterbrechung transnatio-
naler Beziehungen und in der Zwischenkriegszeit wurden alte Beziehungen
wieder aufgenommen. Teilweise kam es sogar zu einer Verdichtung trans-
nationaler Kontakte: Die Einbeziehung in das Kriegsgeschehen und das
gemeinsame Schicksal habe bei verschiedenen transnationalen Akteuren
9
G
UTTMANN
, Allen,
The Olympics: A History of the Modern Games
, Illinois 2002,
S. 28; KEYS,
Globalizing Sport
, S. 34.
10
Großbritannien war durch insgesamt vier eigenständige Verbände, entgegen der
Regel der FIFA »one nation, one vote«, vertreten. Schottland, Wales, Irland und Eng-
land unterhielten jeweils einen eigenständigen Verband und somit galten auch die
Spiele zwischen Klubs dieser Verbände als internationale Spielbegegnungen:
EISENBERGu. a. (Hg.),
FIFA 1904-2004
, S. 66; LANFRANCHIu. a.,
Moving with the Ball
,
S. 38-39; MURRAY, Bill, FIFA, in: James RIORDAN/Arnd KRÜGER(Hg.),
The Interna-tional Politics of Sport in the Twentieth Century
, London u. a. 1999, S. 28-47, hier 30 ff.
11
B
ECK
, Peter,
Scoring for Britain: International Football and International Politics
,
1900-1939, London 1999, S. 81-83; HÜSER, Dietmar, Neutralitätsdiskurs und Politi-
sierungstrends im Zeitalter des Massensports – Die FIFA in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts, in: BOUVIER, Beatrix (Hg.),
Zur Sozial- und Kulturgeschichte desFußballs
, Trier 2006, S. 37-58, hier 42.
12
Vgl. A
RNAUD
u. a. (Hg.),
Sport and International Politics
; B
ECK
,
Scoring forBritain
; KEYS,
Globalizing Sport
; POLLEY, The Amateur Ideal; RIORDANu.a. (Hg.),
TheInternational Politics of Sport
.
13
G
EYER
, The Mechanics of Internationalism, S. 6.
14
Vgl. B
OLI
u.a.,
Constructing World Culture, S.
22 f.
235Nation
235
eher noch den Willen nach internationaler Zusammenarbeit bestärkt.15Die
Idee des liberalen Internationalismus des 19. Jahrhunderts, Freihandel und
die Implementierung international geltender Regelsysteme könnten Kon-
flikte verhindern, wurde zwar enttäuscht, aber nicht widerlegt.16Dafür
sprechen zum Beispiel die Herausbildung von Organisationen wie dem
Völkerbund und eine allgemeine, wenn auch nur vorübergehende Euphorie,
durch internationale Abkommen eine neue Nachkriegsordnung zu schaffen,
in der Völker bald selbstbestimmt über ihr Schicksal entscheiden könnten.17
Auch Sportfunktionäre machten sich die Idee befriedender Wirkung für
nationale Konflikte seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu eigen.
Die Ausrichtung internationaler Sportwettkämpfe nahm aber vor allem
nach dem Ersten Weltkrieg zu, Sportler reisten öfter zu internationalen
Spielen und wurden Teil einer transnationalen Sportelite. Eine speziali-
sierte Sportpresse funktionierte zu großem Teil auf der Basis transnatio-
naler Kontakte der Journalisten und Redaktionen.18Internationale Sport-
organisationen, so die FIFA und das IOC, erhöhten langsam aber stetig
ihren Einfluss und weiteten ihren Machtbereich aus; sie führten Regeln und
Vorstellungen ein, denen sich nationale Akteure fügten, wenn sie zu dem
Netzwerk dieser kosmopolitischen Nichtregierungsorganisationen dazu
gehören wollten.19
Trotzdem nahm durch die Internationalisierung des Sportes und die Her-
ausbildung transnationaler Netzwerke die Bedeutung des nationalen Zu-
sammenhangs für die teilnehmenden Akteure nicht ab. Die Bezüge auf die
Nation blieben, im Grunde blieben sie der Nation, die auch einen sinnstif-
tenden Ordnungszusammenhang bildete, verhaftet, ja, die Nationalisierung
nahm in diesem Prozess sogar zu. Es ist deshalb eher von einer Gleichzei-
tigkeit einer globaler werdenden Bewegung und einer Nationalisierung zu
sprechen, weil sich die Akteure in diesem globalen Rahmen voneinander
15
I
RIYE
,
Global Community
, S. 19.
16
Ebd.; G
EYER
, The Mechanics of Internationalism, S. 4.
17
Vgl. zu der Einschätzung des »Wilsonian Moments« aus Sicht anti-kolonialer
Bewegungen: MANELA, Erez, Die Morgenröte einer neuen Ära: Der »Wilsonsche
Augenblick« und die Transformation der kolonialen Ordnung der Welt, 1917-1920, in:
Sebastian CONRADu.a. (Hg.),
Globalgeschichte
, S. 282-312.
18
K
EYS
,
Globalizing Sport
, S. 28; E
ISENBERG
, Christiane, Fußball als globales
Phänomen, S. 11. Für Brasilien sind schon seit 1906 internationale, transatlantische
Spielbegegnungen dokumentiert. Das erste ausländische Team zu Besuch in Brasilien
war eine Mannschaft aus Südafrika, die 1906 durch Südamerika tourte und gegen eine
Auswahl in São Paulo antrat: Vgl. FIGUEIREDO,
História do Foot-ball;
MASON,
Passionof the People?
19
Vgl. Eisenberg, Der Weltfußballverband FIFA.
236
236
Nation
abgrenzten und die internationalen Organisationen als Zusammenfassung
nationaler Verbände angelegt waren. Sportler, die an dieser globalen Be-
wegung teilnahmen und zu internationalen Spielen reisten, wurden immer
stärker mit ihrem nationalen Herkunftsland verknüpft. Beide Aspekte,
Transnationalisierung und Nationalisierung, trugen und bedingten sich
gegenseitig.20
In Südamerika war Fußball noch kein selbstverständlicher Teil der
Außenbeziehungen. Das politische Interesse an diesem Sport war noch
nicht so groß, dass sich dies in einer politischen Institutionalisierung wie in
der Gründung von Sportministerien niedergeschlagen hätte. Der Schrift-
steller Henrique Pongetti kritisierte das mangelnde Interesse der brasiliani-
schen Regierung am Sport in der Zeitung
Diário de Bahia
angesichts der
friedensstiftenden Wirkung internationaler Fußballkontakte zwischen Süd-
amerika und Europa in den 1920er-Jahren wie folgt:
Kein Propagandabüro wird Uruguay diesen Dienst erweisen können, wie
es die elf Männer getan haben, die in Paris der Welt einen Schrei der
Verblüffung entlockten. […] Selbst der Schwarze Andrade besiegte die
epidermischen Vorurteile und trat in diese Apotheose der Weißen ein,
ohne dass jemand größere Einwände äußerte. […] Als wären sie [die
Fußballspieler, d. Verf.] ›Straßenhändler‹ unserer Vorzüge für den äuße-
ren Nutzen, die mit den Füßen das machen, was viele unserer Diploma-
ten mit den Köpfen nicht erreichen. […] In den USA ist der Sportler Sol-
dat des Sternenbanners, und niemand verzeiht ihm eine unpatriotische
Desertion […].
21
Pongettis Artikel gab, ausgehend von dem Sieg der Uruguayer bei den
Olympischen Spielen 1924, dem Fußballspiel eine Bedeutung, die in zwei
Richtungen geht: Zum einen schlug er internationale Fußballbeziehungen
und im weiteren Sinne alle Sportbeziehungen als Ersatzmöglichkeit für
traditionelle Diplomatie vor. Er führte die USA und, hier nicht zitiert,
Finnland als Beispiele an. Dort hätten der Sport und mit ihm die Sportler
inzwischen den Charakter eines Heeres für die Staatsmacht, womit er also
die Aufgabe des Sports als patriotischen Dienst am Staat verstand. Die
Außendarstellung eines Landes wurde Pongetti zufolge maßgeblich über
körperliche Repräsentationen geleistet, die Nation drücke sich über den
20
K
EYS
,
Globalizing Sport
, S. 29 und 43.
21
Pongetti, Henrique, »Futebol. O Governo e o Esporte. As virtudes do futebol para
uso externo – Os Paulistas são os eternos offuscadores de nosso brilho internacional«,
Nachdruck aus
Diário da Bahia
,
A Gazeta
, 9.1.1925.
237Nation
237
Sportler aus. Entsprechend biete der Sport die Möglichkeit, die »Vergötte-
rung« weißer Sportler aufzulösen, indem sich die südamerikanischen Nati-
onen über den Sport zu ihrer multiethnischen, vor allem afro-amerikani-
schen Bevölkerung, bekennen könnten. Beispielhaft führte Pongetti den
Afro-Uruguayer José Leandro Andrade und den Afro-Brasilianer Arthur
Friedenreich an. Überdies schrieb der Schriftsteller dem Fußball eine
emanzipatorische Wirkung nach innen zu: Fußball war für ihn ein Mittel,
auf die »Massen« Einfluss zu nehmen und sie über sportliche Symbole zu
einen und zu lenken.22
In Brasilien hatte sich das Interesse an Fußball in den 1920er-Jahren und
vor allem seit dem Ersten Weltkrieg gewandelt. Wirtschaftliche und politi-
sche Anliegen rückten in den Mittelpunkt. Sie lösten sportliche Interessen
nicht ab, allerdings waren sie von diesen nicht mehr genuin zu trennen,
auch nicht bei den aristokratischen und elitären Vertretern des Amateurge-
dankens, zu deren obersten Prinzipien der Gedanke des Sporttreibens ohne
materielle Interessen gehörte.23
Die Begegnungen zwischen Europäern und Südamerikanern bzw. zwi-
schen Argentiniern, Brasilianern und Uruguayern auf den Fußballplätzen
führten zu identitären Zuweisungen und Aushandlungen durch die Spieler
und die Presse. Diese Akteure verhandelten auf dem Spielfeld und außer-
halb von ihm über ihre Identität und nutzten die Symbolsprache des mo-
dernen Sports, um sich selbst darzustellen. Welche Identitätsentwürfe dabei
verhandelt wurden, wird in den folgenden beiden Unterkapiteln deutlich.
4.1. BRASILIEN INSÜDAMERIKA: IDENTITÄTSSUCHE UNDDIFFERENZIERUNG ÜBER DENFUßBALL
Als der US-amerikanische Außenminister Elihu Root im Jahre 1906 zur
Panamerikanischen Konferenz in Rio de Janeiro anreiste, begrüßten ihn der
Außenminister Barão do Rio Branco und Joaquim Nabuco, der brasi-
lianische Botschafter in den Vereinigten Staaten und Vorsitzende der
Konferenz, mit einem pompösen Zeremoniell. Neben den traditionellen
diplomatischen Gepflogenheiten, die zu einem Empfang dieser Art ge-
hörten, wie Banketten, Diners, Musikkonzerten und Stadtrundfahrten,
organisierten hochrangige Sportfunktionäre der beiden Städte São Paulo
und Rio de Janeiro auch Sportveranstaltungen. Während in Rio de Janeiro
einige Sportler im Baseball gegen Mitglieder der US-amerikanischen
22
Vgl. ebd.
23
Vgl. auch Kapitel 1 der vorliegenden Arbeit.
238
238
Nation
Delegation antraten, organisierte der Staat von São Paulo unter Leitung von
Antônio Prado Júnior ein »panamerikanisches Fußballspiel« zwischen
Spielern der Eliteklubs Botafogo (Rio de Janeiro) und Mackenzie College
(São Paulo). Elihu Root sah in dem Fußballspiel den Ausdruck von Werten,
die auch für Brasiliens Zukunft bedeutend seien:
May the generous emulation of this courteous and gentlemanly game
which you have been playing be a symbol of activity in the commercial,
industrial and social life of the country; above all, may it be a symbol of
your lives as patriots, as citizens of Brazil. Let the best man ever win.
Let activity and skill and pluck ever have their just rewards. Do for your
country always as you have done for your rival teams in this game of
football. Do always your best, and do it always with temper and kindly
feeling, whatever be the game.24
Er übermittelte den Brasilianern eine Botschaft, die er auch in den USA zu
dieser Zeit zur Priorität machte: Sport sei erste Wahl, um patriotische Bür-
ger zu erziehen.25Die allgemein gehaltene Ansprache enthielt die Bot-
schaft, Fußball sei nicht einfach nur ein privates Vergnügen eleganter
sportsmen
, er habe eine darüber hinausgehende politische Funktion für eine
Gesellschaft. Indem die brasilianischen Organisatoren ein Sportfest veran-
stalteten, trafen sie den Zeitgeist. Es diente als eine symbolische Sprache
der Verständigung: Die US-amerikanische Delegation verstand seine Re-
geln und die Symbolik, und so konnte selbstverständlich ein Fußballspiel in
ein Festprogramm für den ersten Besuch eines US-amerikanischen Außen-
ministers aufgenommen werden. In dieser frühen Phase schon diente Fuß-
ball auch als eine Form diplomatischer Kommunikation.
Trotzdem schien das Fußballspiel als Demonstration nationaler Stärke
nicht auszureichen, um Brasilien gemäß den außenpolitischen Ambitionen
Rio Brancos als ebenbürtigen Partner der USA vorzustellen. Rio Branco
befürchtete, Root könne bei seiner folgenden Station in Buenos Aires
schnell feststellen, dass Argentinien ein im Vergleich zu Brasilien reicheres
und fortschrittlicheres Land sei.26Tatsächlich zementierte die Ausrichtung
der Panamerikanischen Konferenz in Rio de Janeiro, so Joseph Smith, eher
24
R
OOT
, Elihu, Speech of Mr. Root. On Presenting a Football Trophy, São Paulo,
August 4, 1906, in: BACON, Robert (Hg.),
Latin America and the United States:Addresses by Elihu Root
, Cambridge 1917, S. 40.
25
P
OPE
,
Patriotic Games
, S. 121.
26
S
MITH
, Joseph,
Unequal Giants: Diplomatic Relations Between the United Statesand Brazil, 1889-1930
, Pittsburgh, Pa. 1991, S. 62-67.
239Nation
239
nicht die ersehnte besondere Partnerschaft zwischen den USA und Brasi-
lien und Brasilien konnte sich hier nicht als anerkannte regionale Groß-
macht hervortun. Die Ausrichtung der Panamerikanischen Konferenz in
Brasilien ist in der Historiografie eher als Ausgangspunkt weiterer
Schwierigkeiten zum einen zwischen den USA und Brasilien, zum anderen
zwischen Brasilien und den anderen südamerikanischen Ländern interpre-
tiert worden.27Jedenfalls demonstriert der Versuch, über Baseball und
Fußball die USA von Brasiliens »Zivilisationsstatus« zu überzeugen, dass
staatliche, hier die des Staates São Paulo, und nicht-staatliche Akteure, hier
Sportfunktionäre, Sport schon äußerst früh als diplomatische Instrumente
nutzten.
4.1.1. Vorläufer und erste Kontakte
Von Anfang an bewunderten Brasilianer den argentinischen und uruguay-
ischen Fußball als entwickelter und als genuin europäisch. In den beiden
südlichen Nachbarländern war der Fußball nach den Regeln der englischen
Football Association
schon in den 1860er-Jahren angekommen und hatte
sich im globalen Vergleich teilweise sogar früher als auf dem europäischen
Kontinent etabliert.28Brasiliens erste Fußballklubs und -spieler maßen sich
daher über Spiele gegen Mannschaften der Nachbarstaaten im übertragenen
Sinne immer auch an Europa.
Dies war zum Beispiel 1908 noch der Fall, als zum ersten Mal eine
argentinische Mannschaft nach Brasilien reiste und dort auf verschiedene
Mannschaften in den Städten Rio de Janeiro und São Paulo traf. In
insgesamt sechs Spielen traten verschiedene lokale Mannschaften gegen
die Argentinier an.29Diese spielten dem Urteil der Presse zufolge einen
27
Vgl. ebd.
28
Vgl. A
RCHETTI
, Argentinien; D
ERS
,
Masculinities: Football, Polo and the Tango inArgentina
, New York/Oxford 1999, insbes. S. 75 f. Zu einem Vergleich zwischen der
Entwicklung des Fußballs in Argentinien, Brasilien und Uruguay: Vgl. GAFFNEY,
Temples of the Earthbound Gods
, S. 9-13.
29
»ARGENTINOS E BRASILEIROS. Partidas de foot-ball. VICTORIA DOS
ARGENTINOS [Majuskeln im Original]«,
Gazeta de Noticias
, 6.7.1908;
»ARGENTINOS E BRASILEIROS. OS ›MATCHS‹ DE ›FOOT-BALL‹ [Majuskeln
im Original]«,
Gazeta de Noticias
, 9.7.1908, S. 5; »O ultimo ›match‹ internacional.
ENTRE ARGENTINOS E O ›SCRATCH‹ DA LIGA. Victoria definitiva dos
argentinos. O SERVIÇO DE REPORTAGEM DA ›GAZETA‹ [Majuskeln im Origi-
nal]«,
Gazeta de Notícias
, 13.7.1908, S. 1. Das erste Spiel der Argentinier war gegen
eine Auswahl aus »in São Paulo wohnenden Ausländern«, das zweite gegen eine
Auswahl aus »in São Paulo lebenden Brasilianern«, das dritte gegen eine Auswahl von
Fußballspielern aus verschiedenen Klubs Rio de Janeiros, das vierte gegen eine
240
240
Nation
perfekten britischen Stil. Das Team bestand aus Spielern mit britischen
Wurzeln, wie sich an deren Namen ablesen lässt. Ein Journalist betonte:
[Es] setzt sich aus eleganten Jugendlichen zusammen, unter denen Ange-
stellte des Großhandels aus Buenos Aires und Studenten der höheren
Schulen zu finden sind. Die Herren W. A. Campbell, G.A. Scholefield,
J.D. Brown, A. L.L. Morgan, R. Lennie, G.G. Brown, und F.S. Dickin-
son sind Handelsangestellte; die Herren R. S. Malbran, M.A. Susan und
C.C. Brown sind Medizinstudenten, und Herr E. A. Brown ist Ingenieur-
student. Und Chef des brillanten Kreises ist Herr C. C. Brown.30
Bedeutend waren die Spiele nicht nur als Möglichkeit für die lokalen Fuß-
baller, sich an erfahreneren Spielern zu messen, sie weckten auch eine
besonders große Aufmerksamkeit bei weiten Kreisen der städtischen Be-
völkerung.31In Rio de Janeiro fragten Leser vorab bei den Zeitungen per
Brief und sogar per Telefon an, ob der Zugang zum Stadion auch garantiert
sei, so groß war der erwartete Andrang.32Während der kurzen Dauer eines
der Spiele gegen die Carioca-Auswahl in Rio de Janeiro, so ein Artikel in
der
Gazeta de Noticias
, sei auf den Straßen nichts anderes mehr diskutiert
worden. Der Reporter, der die Stimmen der Straße in Rio de Janeiro ein-
fing, meinte, in ihrem patriotischen Überschwang seien die Anhänger
plötzlich so gar nicht mehr überzeugt von der Siegesgewissheit der Argen-
tinier gewesen.33Die
Gazeta de Noticias
richtete in Rio de Janeiro für die
Übertragung einen »serviço de bolletins« (»Mitteilungsservice«) ein, mit
dem die Ergebnisse quasi in Echtzeit aus dem Stadion in die Redaktion
Auswahl aus »in Brasilien lebenden Ausländern«, das fünfte gegen eine weitere
Auswahl aus Cariocas und das sechste gegen den Klub Internacional aus São Paulo.
30
»O 2° match internacional. Entre argentinos e o team do Fluminense. Victoria dos
Argentinos. O serviço de reportagem da ›Gazeta‹«,
Gazeta de Notícias
, 12.7.1908. Die
Mannschaft, zusammengestellt aus Elite-Angehörigen aus Buenos Aires, bildete damit
nicht den inzwischen sozial schon sehr heterogenen Fußball in Argentinien ab. Das
zeigt auch, dass sich die transnationalen Kontakte des Fußballs zwischen Argentinien
und Brasilien zu Beginn auf Eliten beschränkten. Vgl. zum argentinischen Fußball in
diesem Zeitraum: FRYDENBERG, El espacio urbano; DERS., Prácticas y valores.
31
Siehe auch Pereiras Einschätzung der Spiele von 1908 als einen frühen Moment
der Entstehung eines Patriotismus in allen sozialen Schichten der städtischen Bevölke-
rung: PEREIRA,
Footballmania
, S. 106 f.
32
»Uma partida sensacional«,
Gazeta de Notícias
, 10.7.1908; »Argentinos e
Brasileiros. Partidas de foot-ball. Victoria dos Argentinos«,
Gazeta de Notícias
,
6.7.1908; »FOOT BALL. Argentinos versus brasileiros«,
Gazeta de Notícias
,
26.6.1908.
33
»Um Escandalo. O resultado do foot-ball internacional. A ideia de um grupo«,
Gazeta de Noticias
, 10.7.1908
241Nation
241
übertragen wurden, die sie dann außen für alle sichtbar anschlug. Ihre
Reporter berichteten, zu dem Spiel der Argentinier gegen eine Mannschaft
aus dem lokalen Verband sei ein Publikum von 10.000 Menschen
anwesend gewesen. Trotz eines hoffnungsvollen Spielverlaufs in der ersten
Halbzeit unterlagen die Brasilianer dem Gegner. Die Presse lobte das
sportlich faire Verhalten, mit dem die Brasilianer diese Niederlage
hingenommen hätten. Anwesend war auch der Außenminister Barão do Rio
Branco, der den Siegern Medaillen überreichte, der Bürgermeister der
Stadt, der Sondergesandte Argentiniens Julio Fernández und hohe Per-
sönlichkeiten des Militärs.34
Das Spiel gegen Argentinien war das erste internationale Spiel in Rio de
Janeiro – für die Paulistanos war es das zweite Mal, dass ein ausländisches
Team in der Stadt geweilt hatte. An der Presseberichterstattung, am
Umfang und an der Häufigkeit der Berichte über diese Begegnungen ist
erkennbar, dass sie einen anderen Stellenwert und eine andere Wirkung
hatten als das erste internationale Spiel gegen Südafrika 1906 in São Paulo.
Der von der
Gazeta de Noticias
eingerichtete »serviço de bolletins« brachte
den Fußballinteressierten, die nicht das Stadion besuchen konnten, auf
moderne Weise die Spiele nahe. Der Presseservice, so schrieb eine Zeitung,
wurde zum Ausdruck der fieberhaften Schnelligkeit des urbanen Lebens:
»[S]chnell, rasend, […] ehrt das Bulletin die Gewalt des modernen
Lebens.« Der Autor des Artikels betonte, dass nun die Zuschauer genauso
schnell wie der Redakteur über den aktuellen Spielstand informiert werden
konnten. Die Zeitung hatte auch einen Telefondienst eingerichtet und junge
Damen informierten Anrufer über den Spielstand. Das Spiel konnte nun
fast an ein großes Publikum in einem größeren Gebiet der Stadt übertragen
werden.
Die Nutzung des Telefons zeigt, wie sehr Fußball ein urbanes Phänomen
war, das auch mit der Einführung und Nutzung neuer Technologien durch
eine neu entstehende urbane Schicht verbunden war. Die Spiele waren der
Rahmen für Zusammentreffen wirtschaftlicher und politischer Eliten, die
im obigen Zitat einzeln und namentlich aufgeführt wurden, aber sie waren
im Jahr 1908 auch erste sportliche Spektakel für ein größeres Publikum.
Sie griffen damit über die Begrenztheit einer eingeweihten sozialen Gruppe
hinaus und unterschieden sich damit signifikant von Spielen Ende des 19.
Jahrhunderts und in den ersten fünf Jahren des 20. Jahrhunderts, als nur
34
Vgl. »O ultimo ›match‹ internacional entre Argentinos e o ›scratch‹ da Liga. Victo-
ria definitiva dos argentinos. O serviço de Reportagem da ›Gazeta‹«,
Gazeta deNotícias
, 13.7.1908.
242
242
Nation
wenige Zuschauer teilnahmen. Das Moderne lag nicht nur in der
Demonstration und dem Messen körperlicher Stärke und fußballerischen
Könnens zwischen zwei Gegnern in einem geregelten und zeitlich limitier-
ten Rahmen, es drückt sich aus in den Formen der Übertragung und Ver-
mittlung, in der Art und Weise der Inszenierung. Das war erst durch die
Sportpresse möglich, sie setzte die Spiele als patriotische Ereignisse in
Szene, sie ermöglichte es Menschen unterschiedlicher Herkunft an ihnen
teilzunehmen, unabhängig von ihrem sozialen Status.
Die Presse stellte die Organisationsform des sportlichen Spektakels auch
in eine Kontinuitätslinie mit historischen Wettkämpfen im antiken Grie-
chenland. Damit schlossen die Berichterstatter an die aus der olympischen
Bewegung kommende Idee an, Sport und sportliche Spektakel seien keine
Erfindungen der Neuzeit, sondern Traditionen aus der Antike, über die sich
Gesellschaften schon immer kulturell organisiert und inszeniert hätten und
die vor allem ihren »Zivilisationsgrad« und ihre Fähigkeit zur Selbstorgani-
sation zeigen sollten.35Durch dieses zeitliche Kontinuum und die Entbin-
dung aus einer räumlichen Spezifik wurde es seiner Einzigartigkeit entho-
ben. Mit seinen universal gültigen Organisationsprinzipien hätte es so auch
in anderen Teilen der Welt stattfinden können. Auch hier liegt eine Globa-
lität von Sportereignissen zu Beginn des 20. Jahrhunderts begründet.
Was hier widersprüchlich erscheint, hatte Sinn: Die Journalisten und die
Sportredakteure der neuen Tagespresse nutzten neueste Technologien und
zugleich konstruierten sie die Geschehnisse als historisch tradiert. Sport als
zivilisatorisches Medium war damit modern und traditionell zugleich.
Durch die neue Form der Berichterstattung sollten patriotische Gefühle und
Identifikationen mit der Mannschaft in allen Teilen der Bevölkerung ge-
weckt werden – das Fußballspiel stilisierten sie zu einem nationalen Ereig-
nis.36Welche patriotischen Gefühle so ein Spiel erzeugte, zeigt der Bericht
eines Reporters: Er schrieb, nach der Niederlage riefen in einem Café die
dort anwesenden Männer dazu auf, Lotteriescheine zu kaufen, um eine
Rückrunde zur Revanche in Buenos Aires zu finanzieren.37
Obwohl die Spiele im Jahr 1908 noch als »kluge Annäherung zwischen
zwei Ländern, ohne Diplomatie« gesehen wurden, hatten sie auch etwas
von einem Staatsakt.38Minutiös bereiteten Organisationskomitees den
35
K
EYS
,
Globalizing Sport
, S. 31.
36
P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 107.
37
Vgl. »Um Escandalo. O resultado do foot-ball internacional. A ideia de um grupo«,
Gazeta de Notícias
, 10.7.1908.
38
»Argentinos e Brasileiros«,
Gazeta de Notícias
, 9.7.1908.
243Nation
243
Empfang der argentinischen Mannschaft im Hafen von Rio de Janeiro vor,
so gab es eine eigens eingerichtete Propagandakommission, in der angese-
hene lokale Sportfunktionäre zusammen arbeiteten. Zeichen des diplomati-
schen Ranges war die bereits erwähnte Teilnahme des Außenministers
Barão do Rio Branco und anderer hochrangiger Persönlichkeiten.39
Ein Journalist der Zeitung
Correio da Manhã
aus Rio de Janeiro bewer-
tete die Spiele 1908 gegen Argentinien als Beginn des wahren
FootballAssociation
-Stils.40Zu Beginn sei der Fußball in Brasilien, »nur ein Ent-
wurf« gewesen:
Das Spiel war sehr persönlich, es ging nicht darum, dass ein bestimmter
Klub gewinnt. Was man machte, war den Ball zum nächsten Tor zu
bringen und zu schießen, fast immer derselbe Fußballer, der im Übrigen
der Bekannteste war und von dem man den wahrscheinlichen Sieg er-
wartete.41
Im weiteren Verlauf des Artikels befand der Autor, ausschließlich der
Fluminense F.C. spiele den wahren Fußball, der nicht auf dem »jogo
pessoal« (»persönlichen Spiel«), sondern auf Dribblings und Pässen be-
ruhe. Er sprach dem Fußball unter allen Sportarten eine besondere Qualität
zu, denn
er kräftigt physisch und moralisch und nur der in der Tat intelligente
Mann kann ein guter Fußballer sein. F. Wellington hat den Sieg von
Waterloo auf die Qualität seiner Soldaten als Fußballer zurückgeführt,
da sie es schon gewohnt waren, auf den Feldern ihrer Universitäten zu
gewinnen… und als gute Latinos sollten wir damit aufhören, uns über
das Klima und andere Kindereien zu beschweren und dafür Sportarten
wie den Fußball achten, denn die können uns nur Vorteile und nur große
bringen.42
39
»Uma partida sensacional. Argentinos contra brasileiros. Um match de foot-ball.
Victoria do team argentino. O publico acompanha com emoção a partida. O serviço de
boletins da ›Gazeta‹«,
Gazeta de Notícias
, 10.7.1908; »O ultimo ›match‹ internacional
entre Argentinos e o ›scratch‹ da Liga,
Gazeta de Notícias
, 13.7.1908.
40
Die Sportpresse bezog sich unter dem Begriff
Football Association
nicht nur auf
den englischen Fußballverband, sondern bezeichnete so auch den englischen Stil,
Fußball zu spielen.
41
»A famosa ›equipe‹ Corinthians está no Rio. Aqui realizará ella sensacionaes
›matchs‹ amanhã e nos dias 26 e 28«,
Correio da Manhã
, 23.8.1910.
42
Ebd. Das Jahr, in dem der Autor zu diesem Urteil kam, war erneut von einem
bedeutenden internationalen Fußballereignis in Brasilien geprägt. Der Klub Fluminense
F.C. aus Rio de Janeiro lud den englischen Klub Corinthian F.C. ein. Dieser spielte dort
244
244
Nation
Der Journalist Joaquim Vianna nahm die Spiele gegen die Argentinier zum
Anlass, um den Lesern auf der Titelseite der
Gazeta de Notícias
die Be-
deutung des Fußballs zu verdeutlichen. Vianna begann bei den Briten und
betonte die Rolle, die die sportliche Ausbildung für den Sieg Englands
gegen Napoleon gehabt habe, denn der Fußball sei »eine gute Schule der
Disziplin, die uns am meisten fehlt.« Auch den Stand der sportlichen Ent-
wicklung in Frankreich beschrieb er, wo es inzwischen zu einer Diversifi-
zierung des Sports in Klubs gekommen sei, so dass 1905 »die Anzahl die-
ser Vereine 800 erreicht hat, mit 60.000 Mitgliedern!« Ähnlich äußerte er
sich über Argentinien, wo der »Fußball, der dort nicht nur in Buenos Aires
(so wie das Rugby oder der
Association
[Fußball nach den Regeln der
englischen FA, d. Verf.]), sondern in fast allen Provinzen gespielt wird,
eine der Sportarten ist, die die größte Popularität unter den Argentiniern
erlangt hat.« Aus diesem Grund sei die große Aufmerksamkeit, die die
Spiele gegen die Argentinier ausgelöst hätten, verständlich und von der
Presse nun noch weiter zu unterstützen und am Leben zu halten, denn
der Sport ist eines der Mittel sozialer Erneuerung, das wir besitzen. Hof-
fen wir, dass er ein wenig eine Bevölkerung wiederbelebt, von der ein
Teil, glücklicherweise ein kleiner, der nicht daran gewöhnt ist, be-
stimmte Formen sozialer Männlichkeit zu befolgen, der edlen Erfüllung
patriotischer Pflichten entfliehen wollte und damit auf das Militärlos rea-
gieren wollte. So nähert er sich dem chinesischen Quietismus an, der nur
diesem asiatischen Volk zu Eigen ist, das einen so offensichtlichen Zer-
fall aufweist.43
Vianna verfolgte mit seiner rassistischen Fürsprache für den Sport ein
konkretes Anliegen. 1908 setzte der Präsident Hermes da Fonseca ein »lei
do sorteio« (wörtlich: Losgesetz) durch, mit dem Militärrekruten durch Los
ausgewählt würden und auf diese Weise auch Männer der Elite und Mittel-
klasse für die Armee rekrutiert werden sollten.44Durch diese Sichtweise
gegen den Klub und mehrere Auswahlteams. Erneut wurde angesichts dieses Besuches
der Stil der Engländer als dem brasilianischen überlegen beurteilt.
43
V
IANNA
, Joaquim, »FOOT-BALL. ›Foi nos campos do football que os inglezes
aprenderam a ganhar as batalhas de Waterloo‹«,
Gazeta de Notícias
, 27.7.1908.
44
Vgl. P
INHEIRO
, Paulo Sérgio u. a.,
O Brasil republicano, v. 9: sociedade e institui-ções (1889-1930)
, 8. Aufl., Rio de Janeiro 2006, S. 209 ff. Pinheiro et al. zufolge ist das
Gesetz erst 1916 wirksam geworden, erst in diesem Jahr wurde ein Großteil der
Soldaten per Los ausgewählt. Dies war Folge einer Kampagne der »jovens turcos« und
des Schriftstellers Olavo Bilac, der sich für eine zivile Armee einsetzte, und der
vergrößerten Aufmerksamkeit bezüglich der Wehrhaftigkeit der Gesellschaft durch den
Ersten Weltkrieg.
245Nation
245
von Sport als Vorbereitung auf den Militärdienst und damit als patriotische
und zivile Pflicht entwarf Vianna ein Männlichkeitsbild, das sportliche
Ausbildung unbedingt einbezog. Hier knüpfte er an einen Diskurs aus der
transnationalen Sportbewegung an – schon Pierre de Coubertin hatte den
modernen Sport aus ganz ähnlichen Gründen in Frankreich propagiert, in
Großbritannien war es das Ideal des heldischen Soldaten, der, so Lia
Paradis, an den Grenzen des Empire die Nation verteidigt.45
Der Artikel zeigt die starke Ausrichtung von Journalisten, Klubvorsit-
zenden und Spielern an ausländischen Vorbildern. Diese Vorbilder suchten
sie selbstverständlich im Ursprungsland des Fußballs, in Großbritannien,
aber auch in Frankreich, seit jeher Vorbild kulturellen Wirkens und Schaf-
fens für brasilianische Eliten, und in Argentinien und Uruguay. Sie erschu-
fen damit eine Skala sportlicher »Zivilisation«, auf der sie diese Länder
weit oben einordneten, während Brasilien in der Mitte und asiatische Län-
der, wie China, unten rangierten.46Dass in Brasilien überhaupt Sport getrie-
ben wurde, war in den Augen dieses Journalisten ein Schritt auf dem Weg
in die richtige Richtung hin zu einer »zivilisierten« Nation. Die Kontakte
zu den Brasilien umgebenden Fußballnationen sollten gleichsam diese
Entwicklung vorbereiten und beschleunigen und die Beziehungen zu den
beiden Nationen Argentinien und Uruguay auf diplomatischem Wege ver-
bessern.47
45
P
ARADIS
, Manly Displays, S. 2711-2716.
46
Vgl. »O desporto encarado como meio de civilização. Das Philippinas os
americanos puderam, graças aos exercicios physicos, fazer desapparecer os costumes
sanguinarios dos ›caçadores de Cabeças‹«,
SSOI
, Nr. 73, 22.7.1922; »Os sports no
Oriente«,
Vida Sportiva
, Nr. 71, 4.1.1919, S. 23. Jürgen Osterhammel meint, dass das
Verständnis der »zivilisierten Welt« Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts
kaum räumlich festlag, es sei eher darum gegangen, anderen zu zeigen, dass man dazu
gehöre. Die »zivilisierte Welt« sei eher eine Kategorie internationaler Hierarchisierung
gewesen: OSTERHAMMEL,
Die Verwandlung der Welt
, S. 143 f. und 1172-1188.
47
Dieses Motiv taucht explizit immer wieder in der Fußballberichterstattung über
internationale Spiele auf. Vgl. zum Beispiel die Berichterstattung in der Zeitung
Gazetade Notícias
im Januar 1917 anlässlich des Besuches des uruguayischen Klubs Dublin
F. C. in Rio de Janeiro und São Paulo, bei dem besonders das Motiv der
»confraternidad« [Verbrüderung] zwischen den beiden Nationen in den Vordergrund
gestellt wurde: »Gazeta dos Sports. FOOTBALL. O combinado uruguayo venceu o
team to Botafogo F. C. por cinco goals a um. O que foi o match - A assistencia - Outras
notas«,
Gazeta de Notícias
, 1.1.1917; »FOOTBALL: Os uruguayos no Rio«,
Gazeta deNotícias
, 2.1.1917; »Football. Os uruguayos e as suas impressões do Rio de Janeiro«,
Gazeta de Notícias
, 11.1.1917; »Gazeta dos Sports. O Football no Uruguay. A divisão
dos clubes por classes«,
Gazeta de Notícias
, 12.1.1917; »Ecos da visita dos uruguayos
ao Rio de Janeiro«,
Gazeta de Notícias
, 18.1.1917.
246
246
Nation
Aus diesem Grunde etablierten Politiker wenige Jahre nach den privat
organisierten Spielen gegen eine argentinische Auswahl feststehende bila-
terale Turniere, die sie nach Politikern benannten, die Pokale gespendet
hatten; so die 1914 vom argentinischen Präsidenten eingeführte und nach
ihm benannte »Taça Julio Roca« (Julio-Roca-Pokal) zwischen Argentinien
und Brasilien.48Vor allem sollte aber die Einrichtung eines
CampeonatoSul-Americano
im Jahr 1916 diese Entwicklung voranbringen. Die Initia-
tive kam aus Argentinien, das 1916 die Hundertjahrfeiern seiner Unabhän-
gigkeit beging und dazu ein Fußballturnier einberief. Lauro Müller, der
Außenminister Brasiliens, war damit beauftragt, das Land über einen natio-
nalen Verband und eine Nationalmannschaft auf dem Turnier in Erschei-
nung treten zu lassen – keine leichte Aufgabe angesichts der unklaren Zu-
ständigkeitsverhältnisse zwischen Rio de Janeiro und São Paulo in Bezug
auf die offizielle nationale Repräsentation des brasilianischen Sportes.49Für
Brasilien war es von höchster nationaler Bedeutung, dass die Reprä-
sentationsverhältnisse zum Zeitpunkt des Turniers geklärt sein müssten,
denn es ging hier auch darum, hinsichtlich der Nutzung modernster diplo-
matischer Mittel gegenüber den südamerikanischen Ländern nicht ins Hin-
tertreffen zu geraten.50
Lauro Müller trat als Vermittler zwischen den zerstrittenen lokalen
Verbänden auf und gerade noch rechtzeitig begab sich eine brasilianische
Auswahl Mitte des Jahres nach Buenos Aires. Auch für den Kongress eines
in diesem Kontext gegründeten südamerikanischen Regionalverbandes zum
Jahresende 1916 konnte eine brasilianische Delegation zusammengestellt
werden, hier wurde der Nationalverband CBD als offizielle Repräsentation
Brasiliens anerkannt.51
4.1.2. Die diplomatische Herausforderung derCampeonatos Sul-Americanosin den 1920er-Jahren
In den 1920er-Jahren wurden allerdings die hoffnungsvollen Ambitionen
der kosmopolitisch denkenden »Erfinder« des südamerikanischen Turniers
enttäuscht. In Brasilien geriet der im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts
begonnene Austausch über den internationalen Fußball in eine Krise. Die
CBD gelangte zu der Ansicht, internationale Spiele führten nicht immer zu
der erhofften »Verbrüderung« und »Annäherung« der südamerikanischen
48
S
ARMENTO
,
A regra do jogo
, S. 13 f.
49
Vgl. ebd., S. 1-12. Siehe auch Kapitel 3.1.3 der vorliegenden Arbeit.
50
Ebd., S. 12.
51
Ebd., S. 14 ff.
247Nation
247
Länder, wie es sich zum Beispiel das Außenministerium noch 1916 unter
Lauro Müller gewünscht hatte, als es die Teilnahme Brasiliens am ersten
südamerikanischen Wettbewerb massiv unterstützte.
Einen ersten Anlass, den sportlichen Internationalismus in der Region
Südamerika in Frage zu stellen, bot eine Art Karikaturenstreit um die Dar-
stellung der Brasilianer in uruguayischen Zeitungen im Jahr 1919, der
aufflammte, kurz nachdem Brasilien in Rio de Janeiro das
CampeonatoSul-Americano
ausgerichtet hatte und der sich über Jahre hinziehen sollte.
Das Turnier von 1919 war ein praktischer Test für die brasilianischen
Sportfunktionäre, denn für eine kurze Zeit war die gesamte Aufmerksam-
keit der regionalen internationalen Gemeinschaft auf die Stadt Rio de Ja-
neiro gerichtet. Laut Pereira hatte das
Campeonato
von 1919 einen un-
gleich höheren Wirkungsgrad über die Stadtgrenzen Rio de Janeiros hinaus
als das internationale Spiel gegen Argentinien von 1908 und weckte den
Patriotismus Angehöriger unterschiedlichster sozialer Klassen.52
Vor dem Turnier war Uruguay der eindeutige Favorit auf den Titel. Bald
schon zeigte sich Brasilien als erfolgreicher und das Ideal brüderlicher
Annäherung rückte mit dieser für Uruguay ungünstigen Wendung im Tur-
nierverlauf in den Hintergrund. Nationalistische Töne dominierten nun das
Turnier, fanatische Menschen aus allen sozialen Schichten gingen in Rio de
Janeiro auf die Straße und bekundeten in Demonstrationen patriotische
Gefühle.53In der uruguayischen Presse tauchten Beschuldigungen gegen
die brasilianischen Organisatoren auf, sie hätten versucht, die uruguayische
Delegation zu vergiften, die im
Hotel Nice
in Rio de Janeiro untergebracht
war.54Dieses Gerücht gewann an Glaubwürdigkeit, als ein Mitglied der
uruguayischen Delegation, der junge Ersatztorhüter Roberto Chery, wäh-
rend des Aufenthaltes plötzlich an den Folgen einer akuten Blinddarment-
zündung starb.55
Der Sieg des brasilianischen Teams gegen Uruguay im Finale in der
Hauptstadt verstärkte den Patriotismus von Menschen aus verschiedenen
sozialen Schichten, selbst über die Stadtgrenzen von Rio de Janeiro hin-
aus.56Die negative Berichterstattung über Brasiliens Gastfreundschaft, die
vor allem Werte in Frage stellte, die Politiker und Sportoffizielle des Lan-
des so gerne nach außen präsentieren wollten, also »Zivilisiertheit« und
52
P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 136 f.
53
Ebd.
54
Vgl. »E'cos do Campeonato Sul-Americano«,
A Gazeta
, 5.6.1919.
55
Ohne Titel,
Vida Sportiva
, Nr. 93, 6.7.1919, S. 2.
56
Vgl. »A Nossa Victoria«,
A Gazeta
, 30.5.1919; P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 136 f.
248
248
NationGentleman
-haftes Verhalten, stachelte ihn nur weiter an. Selbst in der
Hafenstadt Santos im Bundesstaat São Paulo riefen junge Männer zu einer
patriotischen Protestveranstaltung auf dem Largo do Rosário auf, die die
Polizei im letzten Moment verhinderte.57Die Presse zeigte Verständnis für
die jungen Männer und kritisierte die Unterdrückung dieser »patriotischen
Gefühle« durch die Polizei.58
Unterdessen tauchte in
A Gazeta
ein Interview mit dem brasilianischen
Fußballspieler Adolpho Nery auf. Er befand sich in Montevideo, als die
Spielergebnisse bekannt gegeben wurden und berichtete, die brasilianische
Gemeinde in Montevideo sei von Uruguayern beleidigt worden. Die uru-
guayische Presse hätte die Brasilianer zudem als »macaquitos« (»kleine
Affen«) beschimpft und argentinische und uruguayische Zeitungen zitierten
Spieler beider Länder, die äußerten, nie mehr auch nur einen Fuß auf brasi-
lianischen Boden setzen zu wollen.59
Mit der Bezeichnung der brasilianischen Spieler als »macaquitos« zog
die uruguayische Presse eine imaginäre ethnische Grenze zwischen den
beiden Ländern. Berichte über mangelnde Gastfreundschaft leitete sie aus
diesem ethnischen Anderssein ab. Damit wiederholte sie gängige Vorur-
teile eines dekadenten, unorganisierten und rückständigen Brasiliens. Ähn-
liche Bilder tauchten auch auf, wenn argentinische und uruguayische
Fußballspieler zu ihren Eindrücken von Brasilien befragt wurden und dabei
in eher positiv erscheinenden Beschreibungen Rio de Janeiros überbor-
dende, aber wilde und unzivilisierte Natur hervorhoben.60Der argentinische
Journalist Alfredo Palácio Zino berichtete in der uruguayischen Zeitung
LaCrítica
, die Fußballspiele des
Campeonato
hätten nur gezeigt, dass die
57
Vgl. »Notas de Sport. Argentina - Brasil. Ainda o Famigerado Palácio. O protesto
dos Santistas«, nach
A Tribuna
, in:
A Gazeta
, 7.7.1919.
58
Ebd.
59
»E'cos do Campeonato Sul-Americano«,
A Gazeta
, 5.6.1919.
60
Ebd. Die argentinischen und uruguayischen Fußballspieler, in Interviews durch die
brasilianische Sportpresse nach ihren Eindrücken von Brasilien befragt, differenzierten
Rio de Janeiro allerdings von São Paulo. São Paulo war demzufolge modern, technisiert
und damit dort alles Wilde »unter Kontrolle gebracht«, während Rio de Janeiro als
abundant, wild, farbenfroh und auch die Menschen als fröhlich und laut beschrieben
wurden: Vgl. ebd.; »Campeonato Sul-Americano. As opiniões alheias. Rodolpho Maran
e Roberto Felices entrevistados no Rio pelo enviado especial da ›Gazeta‹«,
A Gazeta
,
16.5.1919; »Campeonato Sul-Americano. A chegada das delegações«, Gazeta de
Notícias, 4.5.1919; »Os jornalistas chilenos na ›Gazeta‹», A Gazeta de Notícias,
6.5.1919. Siehe auch die Rede des Präsidenten des südamerikanischen
Fußballverbandes, Hector Gomez, in der er auch auf die gemeinsame »hispanische«
Herkunft der Argentinier und Uruguayer hinwies: »O 3° congresso Sul-Americano de
Football«,
O Paiz
, 9.5.1919.
249Nation
249
legendäre Rivalität zwischen Portugiesen und Spaniern sich kontinuier-
lich zwischen diesen beiden Ländern Amerikas zeigt. Nichts brachten
die Reisen von Roca und Campos Salles, die Arbeiten von Lauro Müller
und die Besuche der Intellektuellen. […] Wir sind mit der Überzeugung
zurückgekehrt, dass unsere wahren Brüder die Uruguayer sind und dass,
ungeachtet der vergangenen Differenzen, wir Chile näher sind als Brasi-
lien […].61
Diese Äußerungen mussten die Brasilianer empfindlich treffen, denn sie
schlossen an Vorurteile an, die seit dem 19. Jahrhundert in Argentinien und
in geringerem Maße auch in Uruguay gegenüber Brasilien aufgebaut wur-
den. Sie verfestigten sich Anfang des 20. Jahrhunderts in den diplomati-
schen Beziehungen zwischen Argentinien und Brasilien, als Brasilien auf
internationalen Konferenzen, wie auf den Friedenskonferenzen in Den
Haag 1907, als rechtmäßiger Vertreter lateinamerikanischer Interessen
auftrat. Es sah sich dazu auf Grund seiner Größe und seines Bevölkerungs-
reichtums berechtigt. Dort stellte Brasilien mit Aufrüstungsplänen, vor
allem der Marine, Grenzausweitungen im Acregebiet und dem eher einsei-
tigen Wunsch nach partnerschaftlicher Annäherung an die USA die argen-
tinische Hegemonie auf dem südlichen Kontinent in Frage.62Die Argen-
tinier entwarfen das Bild eines rückständigen Brasiliens, das den hispano-
amerikanischen Ländern durch seine »Rassenmischung« fremd und unter-
legen sei. Dagegen hoben sie das Bild eines durch die Kolonisierungs-
geschichte zusammengehörenden hispanischen Lateinamerikas ab, mit
Argentinien und Uruguay im Zentrum.63Zino schloss mit seinen Kommen-
taren an diese historische Grenzziehung an, indem er Argentinien, Chile
und Uruguay als Einheit und Brasilien als isoliert darstellte.
Ein Jahr später, 1920, fand das
IV. Campeonato Sul-Americano
in Chile
statt. Die Nationalmannschaft, ausschließlich aus Spielern Rio de Janeiros
bestehend, reiste über Argentinien an. Sie war nicht mit genügend finanzi-
ellen Mitteln ausgestattet und musste aus diesem Grund in Buenos Aires
einen Kredit vom argentinischen Fußballverband, der
Asociación delFútbol Argentino
, aufnehmen, um die Weiterfahrt nach Chile zu finanzie-
61
Moura, Genesio de Almeida, »Notas de Sport. Argentina - Brasil. Ainda o
Famigerado Palacio. O protesto dos Santistas«,
A Gazeta
, 7.7.1919.
62
G
ARCIA
, Eugênio Vargas,
Entre América e Europa: a política externa brasileirana década de 1920
, Brasília 2006, S. 428 und 440-458; SMITH,
Unequal Giants
,
S. 62-63.
63
Vgl. G
ARCIA
,
Entre América e Europa
, S. 426-440; S
MITH
,
Unequal Giants
, S. 63.
250
250
Nation
ren.64Die argentinische Regierung stellte einen Zug bereit, um das
brasilianische Team nach Santiago de Chile zu befördern. Zino verfasste
erneut einen negativen Bericht über die Brasilianer, der, so der Eindruck
des brasilianischen Botschafters in Montevideo, Luis Guimarães Filho,
»eine gerechtfertigte Revolte im Herzen der brasilianischen Kolonie provo-
zierte, die an die Direktoren und Redakteure dieser Zeitung eine große Zahl
an hasserfüllten Telegrammen und Protestbriefen schickte.«65Er kam des-
halb und auf Grund der Ereignisse im Jahr 1919 zu der Ansicht, es sei
besser, internationale Spiele abzuschaffen, denn »die umsichtige und ge-
duldige Arbeit der Diplomatie fällt in sich zusammen wie ein Kartenhaus
angesichts des Sturmes an Hass, den die größere oder kleinere Zahl an
Toren, bekanntgegeben durch den Schiedsrichter, im Gemüt der Massen
auslöst.« Die Schuld daran gab er vor allem der Presse, die das Publikum
aufstacheln würde:
Der Fußball scheint sich in den einzigen Richter über den Frieden dieses
Kontinentes verwandelt zu haben, die Presse lässt sich durch seine
Einzelheiten verzücken, greift ohne Skrupel die ausländischen Gewinner
an, ersinnt Argumente für die nationalen Verlierer und, ohne die Trag-
weite einer solchen Haltung zu ermessen, feuert sie aufrührerisch ihre
Millionen von Lesern gegen die aktuellen Meister an.
66
Er fügte hinzu: Würden die Spieler die Beleidigungen persönlich nehmen
und rechtlich dagegen vorgehen wollen, dann könnten sich daraus ernst-
hafte Konsequenzen für die diplomatischen Beziehungen zwischen Argen-
tinien und Brasilien ergeben, denn »die ergriffenen Repressalien in Rio de
Janeiro gegen die Gesandtschaft und das Konsulat der Argentinischen
Republik wären unmittelbar.«67
64
Vgl. »As embaixadas da fome. O campeão da facada! A que nos sujeitam os
cariocas«,
A Gazeta
, 14.9.1920. Vgl. zu der Repräsentation Brasiliens beim
Campeonato Sul-Americano
in Chile auch Kapitel 3 dieser Arbeit. Zum Kredit und
seiner Höhe siehe den Bericht von Präsident Macedo Soares Anfang 1922, der die
Rückzahlung des Kredites Ende 1921 in Höhe von 21.607,75 US$ angewiesen hatte: »A
administração Macedo Soares na C.B.D. Os serios problemas resolvidos – A situação
financeira – Relaçõs officiaes – O Brazil sportivo no continente sul-americano –
Solução de dissidios internos – Preparativos para as festas«, Nr. 46,
SSOI
, 14.1.1922.
Vgl. auch: »O relatorio apresentado pelo Sr. Celio de Barros à Confederação B. de
Desportos e relativo à delegação brazileira ao 4. Campeonato Sul-Americano de
football«, Nr. 43,
SSOI
, 24.12.1921.
65
Luis Guimarães Filho an J.M. de Azevedo Marques (Ministro ME), 8.10.1920,
Pasta 223/2/12 Montevideo Ofícios 1920 (Agosto) 1921 (Dez), RjBHI.
66
Ebd.
67
Ebd.
251Nation
251
Konsequenzen aus dieser Warnung ergaben sich unmittelbar im darauf-
folgenden Jahr 1921. Das
V. Campeonato Sul-Americano
fand in Buenos
Aires statt. Die CBD stellte erneut kurzfristig und unter erheblichen organi-
satorischen und finanziellen Schwierigkeiten eine Nationalauswahl zu-
sammen. Die Absage der Paulistas, Spieler bereit zu stellen, erschwerte die
Auswahl.68Durch den Anfang 1921 neu gewählten Präsidenten der CBD,
Macedo Soares, einen angesehenen Sportfunktionär aus Rio de Janeiro,
Parlamentsabgeordneter für die Partei des Präsidentschaftskandidaten Nilo
Peçanha und Geschäftsführer der Tageszeitung
O Imparcial
, besaß die
CBD enge Verbindungen zu brasilianischen Regierungskreisen.69Tatsäch-
lich finanzierte die Regierung unter dem Präsidenten Epitácio Pessoa die
Reise mit 50:000$000
réis
.70Im Gegenzug nahm Pessoa Einfluss auf die
Mannschaftsaufstellung für die Spiele. Schließlich, so schrieb die Zeitung
O Imparcial
ganz im Sinne der Politik von Macedo Soares, ging es bei den
Spielen 1921 darum, Brasilien »durch die Elite unserer ›sportmen‹ [sic!]«
zu repräsentieren, also nicht nur »von technischer Seite, sondern vor allem
von der sozialen Seite.«71Das war die Lehre, die die Sportoffiziellen aus
den vorangegangenen Campeonatos und den sie begleitenden diplomati-
schen Unannehmlichkeiten gezogen hatten. In den Vordergrund sollte
wieder das Gründungsparadigma der südamerikanischen Spiele treten,
besonders wahrzunehmen seien sie, so
O Imparcial
, als »großartige Mög-
lichkeit, um eine ehrliche und sehr notwendige Freundschaft zwischen den
beiden großen Ländern Südamerikas zu festigen.«72
Da nun die Repräsentation Brasiliens durch eine soziale Elite vorging
und die sportliche Eignung in den Hintergrund trat, war eine Rechtferti-
gung vorhanden, einige talentierte Spieler in diesem Jahr nicht für die
Nationalmannschaft auszuwählen. So seien zum Beispiel »Nicolino,
Braulio und Coutinho, […] Muniz, des America F.C., […] Gilberto,
Machado (des Andahary), Gonçalo (des Palmeiras), De Maria,
Epaminondas und Martins (des São Christóvão) und viele andere« nicht
aufgestellt worden, da Pessoa gefordert habe, dass »keine ›Schwarzen‹ in
die brasilianische Auswahl aufgenommen würden«, wie die Zeitung
68
Ausführlicher zu diesem Konflikt: Siehe Kapitel 3.2.1 der vorliegenden Arbeit.
69
Vgl. »O novo presidente da Confederação Brasileira de Desportos«, Nr. 5,
SSOI
,
2.4.1921.
70
Vgl. »A administração Macedo Soares na C.B.D«, Nr. 46,
SSOI
, 14.1.1922.
71
»O proximo Campeonato Sul-Americano«,
SSOI
, 11.6.1921.
72
»A acção desenvolvida pela Delegação Brazileira ao 4° Campeonato de football
Sul-Americano. A recepção do povo argentino à embaixada sportiva brasileira«,
SSOI
,
19.11.1921.
252
252
NationCorreio da Manhã
empört berichtete.73
O Imparcial
lobte die tadellose
Repräsentation Brasiliens durch die Delegation und machte sich in einer
Karikatur über die ausgeschlossenen afro-brasilianischen Spieler lustig
(Bild 9). Andere Zeitschriften und Zeitungen empörten sich über den offen-
kundigen Rassismus. Die Paulistaner
A Gazeta
schloss sich dem Tenor
eines Artikels einer Zeitung in Rio de Janeiro an, die »das unpassende,
unanständige, anti-soziale und rückständige Vorurteil der Farbe« anpran-
gerte. Gerade in einer brasilianischen Mannschaft müsse die ethnische
Zusammensetzung Brasiliens adäquat abgebildet sein, so argumentierte der
Autor, denn »[i]n einem Land wie unserem, in dem der Einfluss des
schwarzen Menschen, der aus afrikanischen Gegenden zur Formung unse-
rer Nationalität kam, und sein Beitrag zur Formung unseres ethnischen
Typs groß waren, können die Schwarzen nicht mit Herabwürdigung behan-
delt werden.«74Die Karikatur aus
O Imparcial
hingegen zeigte zehn am
Ufer des Rio de la Plata sitzende und liegende afro-brasilianische Fußball-
spieler. Der Untertitel vermittelte ironisch, ihnen sei nun die Möglichkeit
des
embranquecimento
durch das Baden im »Silberfluss« (Rio de la Plata)
genommen.75
73
»O seleccionado brasileiro. Os elementos ›de côr‹ como indesejaveis!«,
Correio daManhã
, nach:
OESP
, 18.9.1921.
74
»O tal combinado ›brasileiro‹ que nos vae envergonhar na Argentina. Descabido
preconceito de cor«,
A Gazeta
, 19.9.1921.
75
Vgl. zur Theorie des
embranquecimento
im Kontext des Fußballs auch Kapitel 2.1
der vorliegenden Arbeit.
253Nation
253
Bild 9: Der nationale Sportverband schloss 1921 afro-brasilianische Spieler von der
Mitnahme zu einem internationalen Turnier aus. Der Karikaturist stellte sie in rassisti-
scher Weise dar, frustriert am Ufer des Rio de la Plata sitzend und liegend. Quelle: »Os
players pretos e mulatos, que não embarcaram: Justamente quando podiamos ›tomar um
banho de prata‹ … barram-nos do scratch!…«,
SSOI
, 1.10.1921.76
Auch 1922, anlässlich des
Campeonato Sul-Americano
im Rahmen des
Centenário
in Rio de Janeiro setzte sich der Konflikt fort. Die Uruguayer
schieden frühzeitig aus dem Turnier aus und beklagten im Nachhinein, der
brasilianische Schiedsrichter habe sich parteiisch in ihrem Spiel gegen
Paraguay verhalten. Auch diesmal erstattete Guimarães Filho dem brasilia-
nischen Außenminister Bericht, nachdem uruguayische Zeitungen erneut
negativ über die Brasilianer schrieben. Er sah sich in seiner schon 1920
geäußerten Meinung über internationale Sportveranstaltungen bestätigt und
legte seinem Brief mehrere Zeitungsartikel aus den Zeitungen
La Plata
,
LaRazón
,
El País
und
El Día
bei. Der gemeinsame Tenor der Presseschau
war, die Brasilianer seien schlechte Gastgeber, der Empfang und die Un-
terbringung der Spieler desaströs.77Dabei wurde auch in Brasilien selbst die
76
»Die schwarzen und mulattischen Spieler, die nicht an Bord gingen: Jetzt wo wir
ein ›Silberbad hätten nehmen können‹ … sperren sie uns für die Mannschaft …«
77
Vgl. Luis Guimarães Filho an J.M. de Azevedo Marques (Ministro ME),
8.10.1920, Pasta 223/2/12 Montevideo Ofícios 1920 (Agosto) 1921 (Dez), RjBHI.
254
254
Nation
Organisation als unsorgfältig und die Unterbringung als unwürdig darge-
stellt. Sant'Anna nutzte hingegen die Gelegenheit, um in
A Gazeta
die
argentinischen und uruguayischen Sportler zu diffamieren.78Er sprach von
ihnen als Horde wilder Barbaren, die Rio de Janeiro heimgesucht hätten,
und suchte so wiederum Brasilien gegenüber den südlichen Nachbarn als
geordnetes, »zivilisiertes« Land abzugrenzen.79
Einige Tage später folgte ein weiterer Brief der brasilianischen Botschaft
in Uruguay mit einem Artikel aus der uruguayischen Zeitung
El Telégrafo
,
der Gewinn des Pokals durch die Brasilianer sei angesichts der schlechten
Ausrichtung der Spiele nicht gerechtfertigt.80Der brasilianische Botschafter
Guimarães Filho bestärkte darin seinen im ersten Brief formulierten
Appell, internationale Fußballspiele abzuschaffen, denn sie
wecken die Leidenschaft der Massen, lassen sie ihre Vernunft verlieren
und provozieren Unruhen, die nicht immer leicht einzudämmen sind. Für
die vorsichtige und patriotische Arbeit der Diplomatie, deren Ziel es ist,
die amerikanischen Nationen durch ökonomischen, intellektuellen und
kommerziellen Austausch anzunähern, sind diese Explosionen des Has-
ses, die immer wieder durch Fußballspektakel in Rio de Janeiro,
Montevideo und Buenos Aires oder Santiago provoziert werden, äußerst
gefährlich.81
Tatsächlich führten die Auseinandersetzungen 1922 zu einer Unterbre-
chung der brasilianisch-uruguayischen Fußballbeziehungen, die sich auch
in den folgenden Jahren nicht ernsthaft verbessern sollten.82Das Bild
Brasiliens als schlechter Gastgeber griff weit über die Region des
Cono Sur
hinaus. So tauchte auch in Mexiko ein Bericht auf, Brasilien gehe sogar so
weit, seine Gegner zu vergiften, um den Wettbewerb zu gewinnen.83In
78
Vgl. »Os Sports no Centenario. As impressões de um jornalista uruguayo. O
Congresso Sul-Americano de Box encerrou-se ante-hontem«,
Correio da Manhã
,
26.9.1922, in: Album »Campeonato Sul Americano e Olympiadas de 1922. Realizados
no Brasil. Campeões Brasileiros«, FFC.
79
»Semana das Missões Esportivas«,
A Gazeta
, 3.10.1922; »A estadia dos athletas
Sul-Americanos no Rio. Factos escandalosos verificados no Instituto Ferreira Vianna
onde estavam alojados«,
A Gazeta
, 3.10.1922/Fortsetzung 4.10.1922.
80
Vgl. Luis Guimarães Filho an J. M. de Azevedo Marques, 20.10.1922, 223/3/1
Montevideo 1922 (jan) 1923 (jun), RjBHI.
81
Luis Guimarães Filho an J. M. de Azevedo Marques, 14.10.1922.
82
Vgl. S
ARMENTO
,
A regra do jogo
, S. 28-37.
83
»Ainda o Sul-Americano de 1922. Um Diplomata mexicano manda dizer a um
jornal de seu paiz cousas edificantes! Para vencermos, envenenámos e matámos!!!«,
AGazeta
, 23.1.1922.
255Nation
255
diesem Zusammenhang erschienen auch immer wieder Karikaturen der
brasilianischen Spieler, die diese phänotypisch überzeichneten und als
»negros« darstellten.
Leopoldo Sant’Anna, der als verantwortlicher Sportredakteur für die
Zeitung
Gazeta
noch 1921 gegen das
preconceito de côr
bei der Auswahl
der Spieler angeschrieben hatte, beklagte sich 1925 darüber, dass Brasilien
in der argentinischen Zeitung
El Telégrafo
in einer Karikatur diffamiert
würde, in dem man es durch zwei Afro-Brasilianer repräsentiere.84Zuvor
hatten sich brasilianische Spieler beschwert, die Größe der von den Argen-
tiniern verwendeten Fußbälle entspräche nicht den internationalen Normen.
Diesen Streit karikierte die argentinische Presse. Die brasilianische Presse
wiederum beurteilte dies als Übertreibung, ja als Fehleinschätzung der
tatsächlichen »rassischen« Zusammensetzung der brasilianischen Bevölke-
rung (Bild 10). Sant’Anna meinte, der »Witz an sich interessiert uns nicht.
Zu zensieren ist, dass die Menschen aus der Nachbarrepublik immer noch
dieselbe Vorstellung wie ehemals haben, indem sie die Brasilianer durch
zwei Schwarze darstellen!«85Auch andere Journalisten argumentierten, die
Repräsentation durch zwei Afro-Brasilianer sei überholt, zum einen weil
die Spiele die Argentinier inzwischen eines Besseren belehrt haben müss-
ten und zum anderen, weil sich die Mannschaften und auch die mitreisen-
den Delegationen zum großen Teil aus Angehörigen der Elite des Landes
und folglich nicht aus Afro-Brasilianern zusammensetze.86In seiner Empö-
rung über die Karikaturen kritisierte Sant’Anna, die Zeitung habe zuerst
den Spieler Arthur Friedenreich als besten der Welt gelobt und dann Brasi-
lien durch »Schwarze«dargestellt.
Auch hier bestätigt sich, dass die Sportpresse Friedenreich je nach An-
lass als »weiß« oder als Ergebnis brasilianischer »Rassenmischung« wahr-
nahm, das sich keiner »Rasse« mehr zuordnen lasse. Es wurde allgemein
als Fehleinschätzung gewertet, Brasilien als Land mit einem großen Anteil
»schwarzer« Bevölkerung darzustellen. Das drückte den Wunsch der brasi-
lianischen Presse aus, Brasilien als »aufgeweißte« Nation über den Sport zu
vermitteln. Die Wahrnehmung Brasiliens durch andere als Land mit einem
großen Anteil »schwarzer« Menschen kontrastierte mit dem Wunschbild
der brasilianischen Sportpresse.
84
Vgl. »Um caricaturista maroto«,
A Gazeta
, 15.12.1925, S. 4. Vgl. auch, Sant’Anna,
Leopoldo, »Cartas da Argentina«,
A Gazeta
, 26.12.1925.
85
»O Sul Americano. A Pilheria Argentina…«,
A Gazeta
, 19.12.1925.
86
»Um caricaturista maroto«,
A Gazeta
, 15.12.1925.
256
256
Nation
Bild 10: Brasilien in der argentinischen Presse: Die Karikatur zweier afro-brasiliani-
scher Fußballspieler aus der argentinischen Presse, die mit einem argentinischen Spieler
über die Größe des Fußballs verhandeln, rief in der brasilianischen Presse Empörung
hervor. Quelle: »O Sul Americano. A Pilheria Argentina …«,
A Gazeta
, 19.12.1925.87
Auch an anderer Stelle bezeichneten Journalisten die Darstellung der Brasi-
lianer als »negros« als Verunglimpfung, ja als Missverständnis, auch als
Ausdruck eines Hangs zur Übertreibung bei den »Platinos«. Ihnen fehle
eine Unterscheidung zwischen Farbnuancen, wie ein Autor meinte:
»Nuancen existieren dort nicht. Entweder ist er weiß oder er ist schwarz
[…].« Derselbe Autor betonte, die Brasilianer seien »generell braun«.88In
87
»Das südamerikanische [Fußballturnier]. Der argentinische Scherz …«
Mann (2. v. l.): »Der Schlag, den ich Dir versetze, weil Du eine Schwätzerin bist und
eine lose Zunge hast!«
Frau (1. v. l.): »Ich schwöre Dir, Schwarzer, ich nicht weiß, wovon Du sprichst.«
Mann (2. v. r.): »Der Ball der Argentinier ist sehr schwer … Er ist nicht internatio-
nal …!«
Mann (3. v. l.): »Mensch, dieser Lahme kann durch blickdichte Körper hindurchsehen.
Phänomenal!«
88
»Cousas do Prata. Por que para os sulinos somos negros«,
A Gazeta
, 27.1.1926,
S. 4. Vgl. auch: SOUZA,
O Brasil entra em campo!
, S. 32-36.
257Nation
257
den Zeitungen tauchte im Zusammenhang mit der phänotypischen Über-
zeichnung in den Karikaturen immer wieder die Äußerung auf, die Dar-
stellung der Brasilianer als »negros« sei unzulässig, die Beobachter hätten
nicht richtig hingeschaut. Das war nicht das Brasilien, wie man es von
außen wahrgenommen haben wollte.89Es ist anzunehmen, dass sie mit ihrer
Empörung über rassistische Zuschreibungen ihrer Kollegen in Argentinien
und Uruguay ihre eigenen Vorurteile überdeckten. Sie implizierten zwar
immer wieder, in Brasilien existiere kein
preconceito de côr
, zugleich
legten sie aber Wert darauf, dass das Land nicht als »schwarz«
wahrgenommen würde, sondern als Land der »Rassenmischung«. Der
Begriff der
democracia racial
tauchte hier noch nicht auf – dieser wurde
erst in den 1930er-Jahren, so die Anthropologin Lilia Schwarcz, von Arthur
Ramos und dann vor allem Gilberto Freyre geprägt.90Gleichwohl lässt sich
an den Reaktionen der Brasilianer deutlich ablesen, wie sich die in den
1930er-Jahren ausprägende Idee der »kulturellen Mestizierung«91, also in
diesem Falle des »Braunseins« als Form der Mischung, hier schon formte
und über den Fußball recht breit vermittelt werden konnte.
Guimarães Filho bezog sich mit seiner Warnung vor internationalen
Spielen auf das ernüchternde Ergebnis mehrerer Jahre versuchter sportli-
cher Annäherung zwischen den südamerikanischen Fußballnationen, die
1916 mit der Einrichtung eines regionalen Fußballverbandes institutionali-
siert worden war. Die Annäherung trat in den Hintergrund, je größer die
Spiele und je populärer der Fußball wurde und Ausschreitungen am Rande
der Spiele durch einen immer stärker ausgeprägten Fanatismus bei den
Zuschauern nicht zu vermeiden waren. Bei den noch überschaubaren Spie-
len vor 1916 im Rahmen der bilateralen Pokalwettbewerbe war das Publi-
kum kleiner und bestand aus vornehmlich mit dem Amateurkodex vertrau-
ten Zuschauern aus dem Umfeld der Eliteklubs, das vorgab, sich den
Gegnern gegenüber fair zu verhalten.92
89
Vgl. »Cousas do Prata. Por que para os sulinos somos negros«,
A Gazeta
,
27.1.1926, S. 4.
90
Schwarcz, Lilia, Gilberto Freyre: adaptação, mestiçagem, trópicos e privacidade
em Novo Mundo nos trópicos, in: Lund, Joshua, Malcolm McNee: Gilberto Freyre e os
estudos latino-americanos, Pittsburgh 2006, S. 305-334, hier 311.
91
Ebd., S. 316.
92
Vgl. zum Amateurethos Kapitel 1 dieser Arbeit. Siehe die Darstellung der bila-
teralen Turniere zwischen Argentinien und Brasilien im Jahr 1914 im Rahmen der Copa
Roca in den Briefen von José de Paula Rodrigues Alves und dem brasilianischen
Außenminister Lauro Müller: J.P.R. Alves an Lauro Muller, Buenos Aires, 23.9.1914,
31201 a 31234; Lata 1344, 5406341, RjBHI; J.P.R. Alves an Lauro Muller, Buenos
Aires, 29.9.1914, 31201 a 31234; Lata 1344, 5406341, RjBHI.
258
258
Nation
Auch die begleitend zu den
Campeonatos
stattfindenden Konferenzen
der
Confederação Sul-Americana de Futebol
bildeten schon bestehende
Konfliktlinien zwischen den beteiligten Staaten ab. Hinzu kamen Abspal-
tungen kleinerer Verbände von den Nationalverbänden in den Teilnehmer-
ländern, die für Unruhe sorgten, zum Beispiel zu unklaren Mitgliedsver-
hältnissen beim Stimmrecht. Dies war in den 1920er-Jahren in den
Nationalligen in Argentinien, Brasilien und Chile der Fall und es er-
schwerte den Nationalverbänden eine konstante Vertretung der nationalen
Anliegen im Sport in den übergeordneten internationalen Gremien. In Bra-
silien entstand die Befürchtung, von den anderen Nationen auf Grund der
schwelenden Konflikte gerade zwischen São Paulo und Rio de Janeiro
nicht ernst genommen zu werden. Das belastete noch stärker die schwieri-
gen Beziehungen zwischen Argentinien, Brasilien, Chile und Uruguay, die
um die Hegemonie in der Region konkurrierten. Konstant war hier auch der
Eindruck Brasiliens, systematisch isoliert und durch argentinische Pro-
paganda als rückständige Region dargestellt zu werden.93Zugleich ordnete
sich Brasilien selbst, zusammen mit Chile und Paraguay, sportlich als rück-
ständig ein, als Land, das sich immer noch an den Vorbildern Argentinien
und Uruguay zu orientieren habe.94
Tatsächlich schienen die Überlegungen des Außenministeriums nicht
ohne Konsequenzen zu sein. Am 23.10.1925 erschien in
A Gazeta
unter der
Unterüberschrift »Die Unannehmlichkeiten des jährlichen Sul-Americano«
ein Bericht über eine Initiative Mario Pollos, des Vorsitzenden des lokalen
Fußballverbandes
Liga Metropolitana
und Sekretärs des Eliteklubs
Fluminense F.C. Er hatte schon 1921 vorgeschlagen, den Abstand zwi-
schen den Turnieren von einem auf vier Jahre zu verlängern, ähnlich den
Olympischen Spielen. Als Grund nannte er die immer größer werdende
Anzahl an Spielen und Turnieren, die zu Lasten der Entwicklung der
Leibeserziehung gehe, die eher von nationalen als internationalen
Turnieren profitiere. Zudem leiste der lange Arbeitsausfall der Spieler, die
offiziell alle Amateure waren, dem »professionalismo mascarado« (dem
verdeckten Professionalismus) Vorschub, der ein weiteres Problem der
brasilianischen Lokalligen in den 1920er-Jahren darstellte. Doch das
93
Vgl. G
ARCIA
,
Entre América e Europa
, insbes. S. 193-274 und 426-440; H
ILTON
,
Stanley E., Brazil and the Post-Versailles World: Elite Images and Foreign Policy
Strategy, 1919-1929, in:
Journal of Latin American Studies
12, Nov. 1980, Nr. 2,
S. 341-364.
94
»Futebol E... Tourada Lições«,
A Estampa Esportiva
, in: Album 1922, Vol. II.,
CAP; »De onde menos se espera... O Uruguay nas ultimas Olympiadas«,
Gazeta deNotícias
, 13.10.1925.
259Nation
259
wichtigste Argument gegen internationale Spiele lag für ihn in diesen selbst
begründet, denn
so sehr man ihre Auswüchse abzumildern sucht, sind [sie] unbestritten
Quelle für Streit und Beleidigungen. Sie sind weit davon entfernt, ihr
eigentliches Ziel zu erreichen: die Annäherung zwischen den Völkern.
Die Fragen der Heimat, der Fahne, sind immer heikel. So sehr man auch
darauf hinzuwirken versucht, dass Brasilien, Argentinien, Uruguay,
Paraguay und Chile nicht auf dem Spielfeld repräsentiert werden, son-
dern die sportlichen Institutionen dieser Länder. Tatsache ist, dass wäh-
rend der südamerikanischen Turniere weder die Idee der Nationalität
noch die groben, schmähenden Auseinandersetzungen des Publikums
wegzudenken sind.95
Auch der Paulistaner Parlamentsabgeordnete Carlos Gárcia trat für ein
Verbot der internationalen Spiele ein und stellte kurz nach dem
Campeonato Sul-Americano
in Rio de Janeiro 1922 einen entsprechenden
Antrag im Parlament.96Anlass war auch für dieses Projekt die
konfliktbehaftete Austragung des Turniers in Rio de Janeiro 1922 mit den
nationalchauvinistischen Ausschreitungen der Fans, die die brasilianisch-
uruguayischen Beziehungen belasteten. Weitere hohe Persönlichkeiten des
Sports stellten sich hinter dieses Vorhaben, so der Vorsitzende des Ver-
bands der Sportjournalisten in Rio de Janeiro, Neto Machado, der in einem
Interview erklärte:
[D]ie Beleidigungen jeglicher Art, die unsere Landsleute durch die
Ausländer erleiden mussten, waren so groß, so groß ist der Unterschied
in Erziehung und sozialer Position, der zwischen ihnen und uns existiert,
so gefährdet sehe ich die Zukunft, was die guten Beziehungen zwischen
den beiden Ländern des Kontinents angeht, die sogar durch die Inbrunst
und den Wahn des Fußballs zunichte gemacht werden können, dass ich
ab sofort eine radikale Präventionsmaßnahme bevorzuge anstelle von
unliebsamen Reparaturen und Anpassungen in der Zukunft.97
Machado führte seine Rede gegen die ausländischen Spiele weiter aus, mit
dem Tenor, die Brasilianer seien in ihrem Verhalten das Gegenteil der
95
»O Sul Americano«,
A Gazeta
, 23.10.1925, S. 4.
96
»O projecto Carlos Garcia«,
A Gazeta
, 4.10.1922; »Futebolophobia. Ainda o
projecto-monstro do sr. Carlos Garcia«,
A Gazeta
, 6.10.1922.
97
»O projecto Carlos Garcia«,
A Gazeta
, 4.10.1922.
260
260
Nation
ungerechten, brutalen und unfairen Spieler der anderen Teilnehmerländer
und fragte rhetorisch:
Haben Sie die Brutalität der chilenischen Spieler gesehen, die gleich im
ersten Spiel mehrere unserer Spieler herausgeworfen haben? Haben Sie
die unrühmliche Parteilichkeit der Schiedsrichter Villarino und Ladzon
gesehen, die uns zwei sichere Siege raubten? Haben Sie die Vorgehens-
weise der Argentinier gesehen, die zum Eingreifen der öffentlichen Auf-
sicht zwangen? Haben Sie die fehlende Disziplin der Paraguayer gese-
hen, die das Kampffeld vor dem Ablauf eines ehrlich ausgefochtenen
Kampfes verließen? Haben Sie die niederträchtigen und furchtbaren An-
griffe der Presse in Montevideo auf unsere Sportler gelesen? Wenn Sie
das alles gesehen haben, dann werden sie mir Recht geben.98
Machado kehrte die Anschuldigungen und Zuweisungen um, die die brasi-
lianischen Sportler seit 1919 von der argentinischen und uruguayischen
Presse erfahren hatten, und grenzte nun Argentinien, Chile und Uruguay als
rückständig und »unzivilisiert« von Brasilien ab. Zwar nahm das Parlament
Garcias Vorschlag nicht an, jedoch brach die CBD die Beziehungen zum
uruguayischen Sportverband im Jahr 1922 für einen unbestimmten
Zeitraum ab, das Verhältnis zwischen beiden Fußballnationen war dadurch
nachhaltig belastet.99
Auch eine Rückkehr der Brasilianer und erneute Teilnahme an den Süd-
amerikanischen Meisterschaften im Jahr 1925 bestätigte in den Augen der
Brasilianer nur die vorangegangenen Erfahrungen. Beim Endspiel Brasilien
gegen Argentinien entstand, nachdem Friedenreich den argentinischen
Spieler Muttis gefoult hatte, ein Handgemenge mehrerer Spieler, das erst
mit dem Eingreifen der Polizei endete.100
Auch auf dem parallel zum Turnier stattfindenden Kongress des süd-
amerikanischen Verbandes kam es zu Meinungsverschiedenheiten über die
Ausrichtungsorte und die zeitlichen Abstände der Meisterschaften. Festge-
legt wurde die Ausrichtung des nächsten Turniers 1927 in Rio de Janeiro.
Doch schon kurz nach dem Ende des Kongresses legte die chilenische
Delegation Beschwerde ein wegen Unregelmäßigkeiten bei der Abstim-
mung und die Entscheidung wurde rückgängig gemacht.101Daraufhin
98
Ebd.
99
S
ARMENTO
,
A regra do jogo
, S. 32 ff.
100
Vgl. S
ANT
’A
NNA
, Leopoldo, »Cartas da Argentina«,
A Gazeta
, 4.1.1926.
101
Vgl. »Não teremos o Sul-Americano de 1927, no Rio?«,
A Gazeta
, 8.1.1926; »Não
teremos o Sul-Americano de 1927, no Rio?«,
A Gazeta
, 11.1.1926; »O momento
261Nation
261
organisierte der Verband ein außerordentliches Treffen der Teilnehmer, in
Abwesenheit der Brasilianer. Erneut sahen sich die Brasilianer bestätigt,
von dem südamerikanischen Verband herabgewürdigt und nicht ernst ge-
nommen zu werden. Ein Journalist meinte:
Seitdem wir die Entscheidung getroffen haben, zu dem Südamerikani-
schen Fußballverband dazuzugehören, können wir den Widerwillen der
anderen südamerikanischen Nationen erfahren, den sie gegenüber der
strahlenden und immer glorreichen Republik der Vereinigten Staaten
von Brasilien zeigen. Jedesmal wenn sich eine Gelegenheit zur Rück-
sichtslosigkeit ergab, ergriffen sie diese. Die, die sich als unsere Freunde
ausgeben wollen, aber uns ständig im Zweifel ob dieser Freundschaft
lassen, die zwar ausgesprochen ist, uns aber nicht überzeugen kann.102
Als Konsequenz aus den Vorfällen erklärte die CBD ihren endgültigen
Austritt aus dem südamerikanischen Verband, während sie zugleich die
Anbindung an die FIFA beibehielt. Nun war Brasilien regional völlig iso-
liert.
Der fußballerische Internationalismus in der Region Südamerika
verlagerte sich in den darauffolgenden Jahren stark auf die Initiative priva-
ter Akteure. Einzelne Vereine luden argentinische oder uruguayische
Mannschaften ein und hielten so den internationalen Spielbetrieb am Le-
ben. In São Paulo, wo seit 1925 zwei lokale Ligen miteinander konkurrier-
ten, hielt die konservative und elitäre Amateurliga LAF den Spielbetrieb
mit der ebenso sich stärker auf das Amateurprinzip berufenden und konser-
vativen Liga
Amateurs
in Argentinien aufrecht, indem sie eine Reise einer
Auswahl dieser Liga nach São Paulo und Rio de Janeiro finanzierte.103
Beide Verbände einte die Ablehnung des Profitums im Fußball, beide wa-
ren aus Abspaltungen von Eliteklubs entstanden, beide hatten die lokal
radikaleren Maßnahmen gegen Regelverstöße gefordert und beide wollten
im Fußball die Werte des Amateurethos stärken. Die LAF stand damit der
internacional. Brasileiros versus Amateuristas e associonistas«,
A Gazeta
, 21.1.1926;
»Ainda o caso da escolha do Rio para o Sul-Americano de 1927«,
A Gazeta
, 29.1.1926;
»A reunião extraordinaria do Congresso Sul-Americano de futebol«,
A Gazeta
,
26.2.1926; »O Brasil prestes a deixar a Confederação Sul-Americana de Futebol?«,
AGazeta
, 28.4.1926.
102
»O Brasil prestes a deixar a Confederação Sul-Americana de Futebol?«,
A Gazeta
,
28.4.1926.
103
Vgl. »O que disse, no Rio, o dr. Mario Cardim«,
A Gazeta
, 16.11.1926; »O que
foi, para os paulistas, o anno esportivo de 1926«,
A Gazeta
, 4.1.1927; »Mais uma
victoria dos argentinos!«, A Gazeta, 29.11.1926.
262
262
Nation
argentinischen
Amateurs
viel näher als dem lokalen Paulistaner Verband
APEA, der eine sukzessive Professionalisierung durchaus tolerierte und der
vor allem sozial offener und inklusiver war als die LAF. Diese Identifika-
tion ist auch ein Beispiel dafür, dass im transnationalen Sportraum
Konfliktlinien nicht automatisch entlang nationaler Grenzen verliefen.
Obwohl die Sportpresse erheblich daran beteiligt war, den Austritt Bra-
siliens aus dem südamerikanischen Sportverband vorzubereiten, bemän-
gelte sie schon kurz nach diesem Schritt, Brasilien könnte durch seine
Isolation sportlich abgehängt werden. Zwar führte die Rivalität mit argenti-
nischen und uruguayischen Mannschaften zu Unannehmlichkeiten und
diplomatischen Konflikten, sie brachten aber zugleich Brasiliens sportliche
Entwicklung voran, so war der Tenor. Am 1.6.1928 verglich ein Autor des
Sports Magazine
anhand einer Statistik die Internationalität des Fußballs
südamerikanischer und europäischer Nationalmannschaften. Brasilien
tauchte in der Statistik nicht auf. Der Autor gab als Grund vor allem die
unharmonischen Beziehungen zu den Nachbarländern an. Auch er legte
Brasiliens sportliche Isolation als Rückständigkeit aus, indem er auf Europa
als Vorbild verwies: Dass in Europa so viele internationale Spiele stattfin-
den würden, war für ihn selbstverständlich, schließlich »haben sie dort
mehr Erleichterungen. Die Distanz zwischen den Ländern ist klein, die
Zivilisation ist viel größer.«104
Die vorläufig gescheiterten fußballerischen Beziehungen führten jedoch
nicht zu einer gänzlichen Abwendung brasilianischer Fußballer von den
südlichen Nachbarn. Es existierten Debatten über einen sich herausbilden-
den lateinischen Stil, beflügelt durch die Erfolge der südlichen Nachbarn
im internationalen Fußball.105Zunehmend entstand auch ein Bewusstsein
für einen eigenen, brasilianischen Stil, der sich von einem angelsächsischen
Stil positiv abgrenzen ließ, der aber auch von dem argentinischen und
uruguayischen zu differenzieren war. Für die Herausbildung eines eigenen
Stils bedeutend war das seit 1922 jährlich stattfindende nationale Turnier
des
Campeonato Brasileiro
. Immer siegten hier Paulistas oder Cariocas, die
durch jahrelange internationale Erfahrung besser trainiert und deshalb den
Mannschaften der anderen Staaten Brasiliens überlegen waren.106
104
Sports Magazine
, 1.6.1928. Vgl. auch: »Se não fosse a política da C.B.D.«,
A Gazeta
, 3.7.1927.
105
Siehe hierzu auch Kapitel 4.2.1 der vorliegenden Arbeit.
106
So zum Beispiel im
Campeonato Brasileiro
1926: Vgl. »Paulistas,
13 x Bahianos, 1«,
A Gazeta
, 25.10.1926. Im Endspiel siegten die Paulistas und sahen
damit ihre selbstverständliche Überlegenheit bestätigt: »Paulistas, campeões de 1926!«,
A Gazeta
, 8.11.1926. Vgl. auch Kapitel 3.2.3 der vorliegenden Arbeit.
263Nation
263
Schon im Laufe der südamerikanischen Turniere hatten Vertreter
nationalpatriotischer, konservativer Sportmedien die Position vertreten,
dass Brasilien in Südamerika eine außerordentliche Position einnehme und
zur sportlichen Avantgarde zähle. Insgesamt jedoch führten die internatio-
nale Isolation, die leeren Kassen des nationalen Verbandes und die deshalb
noch schwache Position der Brasilianer im internationalen Spielbetrieb zu
einer Verunsicherung. Dafür steht zum Beispiel auch, dass Journalisten
sich in Interviews mit europäischen Korrespondenten, Spielern oder Trai-
nern immer wieder über den Bekanntheitsgrad des brasilianischen Fußballs
im Ausland informierten und zur Kenntnis nehmen mussten, dass dort vor
allem Uruguay wahrgenommen wurde und Brasilien, trotz der Tournee
eines brasilianischen Klubs im Jahr 1925, dort nicht zu den großen Fuß-
ballnationen zählte.107Das war auch die schmerzliche Feststellung eines
Journalisten im Jahr 1928. Der brasilianische Sportverband teilte relativ
kurzfristig mit, wegen unzureichender finanzieller Unterstützung durch die
Regierung kein brasilianisches Fußballteam zu den Olympischen Spielen in
Amsterdam schicken zu können, immerhin das wichtigste internationale
Turnier für den Fußball der Zeit. Der Journalist von
A Gazeta
meinte des-
halb:
Das geringe Prestige, das wir schon erlangt haben, geht völlig den Bach
herunter. Verstärkt wird in den südamerikanischen Kreisen dieser Sturm
aus Bosheiten gegen ›los macaquitos‹ [›die kleinen Affen‹].
Die nächste Olympiade findet in den USA statt. Wenn man sich die
exzellente Figur anschaut, die die uruguayischen und argentinischen
Delegationen in den internationalen Turnieren machen, im fortwähren-
den und fruchtbaren Kontakt mit den Kernländern des europäischen
Sportes, dann ist es gut möglich, dass sie bald schon beginnen, sich für
eine dieser bemerkenswerten und begeisternden Versammlungen der
ganzen Welt in Montevideo oder Buenos Aires einzusetzen und letztlich
eine abzuhalten. Diese Metropolen werden in großem Glanz dastehen
und sich mit renommierten Athleten füllen…
Nur das sportliche Brasilien, ohne Prestige und ohne Kraft, ohne Namen
und ohne Unterstützungen, mit seinem närrischen Aussehen, hockend
wie Jeca Tatu, schaut von weitem zu, verkommt in seiner Rückständig-
keit, ohne Lust und Energie, ohne Ressourcen und durch die Auflösung
107
»Melhor do Mundo mas… Italiano!«,
A Gazeta
, 21.5.1930.
264
264
Nation
angegriffen, während es die Parade dieser wunderbaren kollektiven
Konzentration bewundert […].
108
Es war, als sähe der Autor hier die Entscheidung für die Ausrichtung der
Weltmeisterschaft durch Uruguay im Jahr 1930 und der Olympischen
Spiele von 1932 durch die USA in Los Angeles voraus.
Für die sportliche Isolation Brasiliens in den 1920er-Jahren machte man
konkret Einzelpersönlichkeiten verantwortlich, so den Präsidenten der
CBD, Oscar Costa, und den Leiter der letzten Delegation zu den Südameri-
kanischen Spielen, Renato Pacheco. Ganz allgemein führte die Presse sie
auf eine Rückständigkeit und teils sogar »Degeneration« in der nationalen
sportlichen Entwicklung zurück. Sie meinten, nur internationaler sport-
licher Austausch führe dazu, sportlich gleichauf mit den »zivilisierten Na-
tionen« zu bleiben. Gerade der internationale Wettkampf rege die Ausbil-
dung eigener nationaler Stile an.
Die Brasilianer wollten sich weiterhin dem weltumspannenden Netzwerk
des Fußballs zugehörig fühlen und nicht zu den Ländern gehören, die als
ein weißer Fleck auf der Weltkarte markiert waren, als noch nicht von der
sportlichen »Zivilisation« erfasst. Die Argumente der Fußballinternational-
isten entsprachen einer tiefsitzenden Angst, die aus den diplomatischen
Erfahrungen des Jahrzehnts kam, als Brasilien vor allem mit seiner Euro-
paorientierung bei den Vereinten Nationen gescheitert war. Wie eine Ab-
bildung aus
A Gazeta
von 1927 zeigt (Bild 11), nahmen Journalisten die
Welt auch in sportlicher Hinsicht als in zwei Hälften aufgeteilt wahr: in die
durch die »zivilisierende« Kraft des Fußballs erfassten Länder und die
Außenseiter – das waren der Großteil der Länder auf dem afrikanischen
Kontinent und in Asien.
Das spricht für eine Wahrnehmung der Fußballverbreitung als den Glo-
bus umfassende Bewegung, ja als Globalisierungsprozess, in dem es aber
eben auch territoriale Grenzen und »Löcher in den Netzen« gab.109Maßstab
dafür war die Zugehörigkeit zur FIFA, die als globale Organisation und
zugleich Verwalterin dieser Diffusion gesehen wurde. Weiß markiert waren
die Länder, die nicht zur FIFA gehörten, ansonsten spüre man, so der Autor
»in allen Ecken dieser großen leuchtenden Sphäre, zu der wir gehören, den
Einfluss des Fußballs.«110
108
»Mais uma vez nossos futebolistas verão as Olympiadas… por um óculo«,
A Gazeta
, 23.3.1928, S. 6.
109
O
STERHAMMEL
/P
ETERSSON
,
Geschichte der Globalisierung
, S. 41.
110
»A influencia do futebol em todo orbe«,
A Gazeta
, 18.11.1926.
265Nation
265
Bild 11: »Der Einfluss des Fußballs auf dem ganzen Globus«: Die Weltkarte teilte die
Welt in zwei Hälften, je nach dem, wer von der »zivilisatorischen« Fußballdiffusion
erfasst war bzw. nicht. Quelle: »A influencia do futebol em todo orbe«,
A Gazeta
,
18.11.1926.
4.1.3. Zwischen südamerikanischem Selbstbewusstsein undEuropaorientierung: Die Beteiligung Brasiliens an derWeltmeisterschaft 1930
Im Jahr 1929 hatte Uruguay auf dem Kongress der FIFA in Barcelona
entgegen ursprünglicher Planungen des Weltverbandes die Zusage als
Gastgeberland für die Ausrichtung der Ersten Weltmeisterschaft erhalten.
Ursprünglich wollte die eurozentrische FIFA den Titel an ein europäisches
Land vergeben. Auch sollte das Turnier nach dem K.-o.-System durchge-
führt werden.111Die Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 änderte die Pläne
der FIFA und die meisten europäischen Länder zogen ihre Bewerbung als
Gastgeberland zurück, während sich Uruguay und Argentinien gemeinsam
für den Standort Uruguay einsetzten. Das Land war wirtschaftlich von der
Krise unberührt und konnte den teilnehmenden Ländern die Reise finanzie-
ren. Außerdem besaß es durch die Fußballerfolge spätestens seit den
Olympischen Spielen 1928 internationale Reputation als Fußballnation.112
111
Vgl. E
ISENBERG
u. a. (Hg.),
FIFA 1904-2004
, S. 100-108; Vgl. auch »›Federation
Internacional Football Association‹«,
Rio Sportivo
, 25.5.1930.
112
Vgl. E
ISENBERG
u. a. (Hg.),
FIFA 1904-2004
, S. 100-108.
266
266
Nation
In Brasilien sah man dies nicht anders, die brasilianische Presse erkannte
ehrfürchtig die Stellung Uruguays an, trotz der offiziellen Isolation des
brasilianischen Fußballverbandes innerhalb des südamerikanischen Ver-
bandes und den Konflikten mit Uruguay in den vorangegangenen Jahren.
Auch Anfang 1930 zeichnete sich mit dem Näherrücken der Anmeldefrist
für die teilnehmenden Nationalmannschaften ab, dass der Großteil der
europäischen Nationen kein Team nach Uruguay senden würde. Die brasi-
lianische Sportpresse solidarisierte sich weitestgehend mit Argentinien und
Uruguay in der Empörung über die europäische Zurückhaltung. Die
südamerikanische Presse interpretierte sie einhellig als Boykott der Veran-
staltung, umso mehr ginge es darum, das Turnier als »ein Fest südamerika-
nischer Verbrüderung« zu betrachten.113So vermutete ein Journalist hinter
der spanischen Absage Anfang Februar 1930 – einem Land, das seit Ende
der 1920er-Jahre zu einem der erfolgreichsten Fußballländer Europas ge-
hörte –, die Spanier hätten »die absolute Sicherheit, dass sie durch die
Reise in das kleine südamerikanische Land ihr Prestige als Fußballer ver-
lieren.« Denn in Südamerika, so der Autor weiter, sei »die Praxis des Fuß-
balls auf einem Level angelangt, wie es in anderen Nationen der alten Welt
noch nicht erreicht wurde.«114Auch das Fernbleiben der holländischen
Delegation verurteilte die Presse als unsportlich, Uruguay habe schließlich
bei den letzten Olympischen Spielen in Amsterdam ein »großes Scheitern«
des Turniers vermieden.115Gerade die Spiele der Uruguayer seien finanziell
sehr erfolgreich gewesen und insbesondere die letzten beiden Spiele zwi-
schen Argentinien und Uruguay »schufen größere Einnahmen als alle
Spiele zusammen.«116
Letztlich nahmen aus Europa Belgien, Jugoslawien, Frankreich und
Rumänien teil.117Die vorausgegangenen Verhandlungen mit Europa beglei-
tete die brasilianische Presse eng und urteilte auch hier wieder in südameri-
kanischer Solidarität. Im Zuge der Berichterstattung sorgte insbesondere
ein Interview mit dem uruguayischen Nationalspieler Nasazzi für Aufse-
hen, der die Absage des Großteils der europäischen Mannschaften als
verdiente Strafe für die uruguayischen Organisatoren betrachtete. Er argu-
113
A
LBUQUERQE
, Tenorio de, »Confraternização Sportiva Sul-Americana«,
RioSportivo
, 25.5.1930.
114
»A‘ margem do Campeonato Mundial«,
A Gazeta
, 6.2.1930.
115
»Campeonato Mundial de Football. O comparecimento da Yugo-Slavia – A
Belgica está com um quadro poderosíssimo – Nasazzi e Arispe no seleccionado
uruguayo«,
Rio Sportivo
, 16.5.1930.
116
Ebd.
117
Vgl. E
ISENBERG
u.a. (Hg.),
FIFA 1904-2004
, S. 100-108.
267Nation
267
mentierte, die Europäer würden von den Uruguayern zu Unrecht umworben
und besser behandelt: Uruguay kam für die Reisekosten der anreisenden
Mannschaften auf, dafür müssten in Uruguay selbst wichtige Lokalspiele
ausfallen, während zugleich uruguayische Mannschaften bei Europa-Reisen
keinen finanziellen Ausgleich erhalten hätten.118Das sah auch die brasiliani-
sche Presse so, sie meinte ganz allgemein, das Turnier könne auf die euro-
päischen Mitbewerber ebenso gut verzichten, sie stellten keine sportlich-
technische Bereicherung dar.119
Insgesamt beherrschte die Debatte um die geringe Begeisterung der
europäischen Länder die Angst, der universale Anspruch der FIFA könne
im Zuge der Ausrichtung der ersten Weltmeisterschaft auf dem Spiel ste-
hen. Anlass gab eine Tendenz zur Bildung regionaler Einheiten und
Meisterschaften in der FIFA-Gemeinschaft, weil zum Beispiel bei der
FIFA-Konferenz im Juni 1930 in Budapest die Einrichtung eines westeuro-
päischen Wettbewerbs und eines westeuropäischen Verbandes wichtigster
Tagesordnungspunkt war.120Auch Argentinien, Chile und Uruguay dis-
kutierten auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen darüber, das Tur-
nier in einen panamerikanischen Wettbewerb zu verwandeln und sich
entsprechend zu organisieren, da sich vor allem südamerikanische Länder,
dazu Mexiko und die Vereinigten Staaten als Teilnehmer angemeldet hat-
ten.121Es gab also so etwas wie die Herausbildung eines regionalen
Bewusstseins, das der Fußball fördert. Dieses war gleichwohl fragil.
Brasilien befand sich hier sportpolitisch in Bedrängnis, denn durch seine
Isolation vom südamerikanischen Verband im Jahr 1925 und die direkte
Anbindung an die FIFA hatte es einen anderen Status als die südamerikani-
schen Länder, die über den Regionalverband der FIFA assoziiert waren.122
Entsprechend schrieb Sant’Anna angesichts der Boykottforderungen
Argentiniens und Uruguays, Brasilien solle sich einem Austritt aus der
FIFA und der Gründung einer panamerikanischen Assoziation nicht an-
schließen, denn dies wäre »eine bezeichnende Herabwürdigung der
118
»Campeonato Mundial de Football«,
Rio Sportivo
, 24.4.1930.
119
Vgl. »Campeonato Mundial de Football. A Polonia não concorrerá e a Austria já
está propensa a mandar o seu quadro a Montevidéo – Como se fala na organisação do
quadro nacional«,
Rio Sportivo
, 26.1.1930.
120
Vgl. »Está prestes a fracassar o campeonato mundial«,
A Gazeta
, 7.3.1930; »O
Pan-Europeu!«,
A Gazeta
, 14.3.1920; Ohne Titel, 29.5.1930,
A Gazeta
.
121
Vgl. »Pan-Americanismo! O Uruguay quer separar-se da FIFA e organizar uma
entidade só para os americanos«,
A Gazeta
, 13.3.1930; »A não concorrencia dos paizes
euopeus ao Campeonato Mundial«,
Rio Sportivo
, 27.3.1930.
122
Vgl. ebd.
268
268
Nation
FIFA.«123Schließlich könne Brasilien »als guter Südamerikaner und Nach-
bar, ohne der FIFA gegenüber undiszipliniert aufzutreten, mit Uruguay
solidarisch sein.«124Der Autor schlug vor, diese Solidarität dadurch zu
zeigen, dass Brasilien Länder boykottiere, die sich nicht für die Weltmeis-
terschaft eingeschrieben hätten.125
Als sich abzeichnete, dass das Turnier den Status der Weltmeisterschaft
behalten würde, meinte er, in Südamerika läge das neue und zukünftige
Zentrum der globalen Fußballentwicklung. In der Zurückhaltung der
Europäer drücke sich weniger eine Geringschätzung aus, als vielmehr die
Angst vor der Stärke der Südamerikaner und einem dadurch entstehenden
Prestigeverlust, denn es sei »bewiesen, dass Europa, inklusive der ›fürch-
terlichen Engländer‹, die Südamerikaner fürchten. Sie trauen sich nicht her-
zukommen, um gegen uns in der Sportart anzutreten, in der sie einst
Könige waren!«126Uruguay als Titelverteidiger und nun auch noch Aus-
richter repräsentierte eine Gewichtsverlagerung im internationalen Fußball,
die den europäischen Nationen auch hier ihre Schwäche vorführte. Ins-
gesamt erschien ganz Amerika als Vertreter eines frischen, jungen und von
Europa unterscheidbaren Stils: »Wie man sieht, wird die Weltmeisterschaft
zwischen Amerikanern ausgetragen, die letztlich die wahren Meister des
Universums in dieser Sportart sind.«127
Auch andere Sportmedien nahmen diese Position zu der Auseinanderset-
zung zwischen der FIFA, den europäischen Mitgliedsländern und Uruguay
ein. Mit diesem Konflikt ging eine neue Wertschätzung eines spezifischen
südamerikanischen Fußballs einher, auch Brasilien rechnete sich selbstver-
ständlich dazu. Ein Journalist von
O Estado de São Paulo
führte aus, die
Uruguayer seien mit ihrem Anliegen, die Weltmeisterschaft auszutragen, in
Europa eher auf Ablehnung, bisweilen Feindseligkeit gestoßen und er
fragte weiter, ob möglicherweise die Tourneen der Argentinier, Brasilianer
und Uruguayer im Jahr 1925 kontraproduktiv für die Bekanntmachung des
südamerikanischen Fußballs gewesen seien. Der Autor führte dies auf
überkommene Differenzierungen und Einschätzungen der Europäer zurück,
die sich mit dem Ersten Weltkrieg verändert hätten, denn
123
»O momento internacional«,
A Gazeta
, 15.3.1930. Vgl. auch: »A‘ margem de um
absurdo«,
A Gazeta
, 28.3.1930.
124
»O momento internacional«,
A Gazeta
, 15.3.1930.
125
Vgl. ebd.
126
»O campeonato mundial«,
A Gazeta
, 20.2.1930.
127
»O campeonato do mundo«,
A Gazeta
, 11.4.1930.
269Nation
269
Europa hat sich trotz der Schäden durch den Großen Krieg noch nicht
davon überzeugen können, dass sein Moment des Abstiegs gekommen
ist, der laut Philosophen unvermeidlich ist. Die Südamerikaner werden
auf diese Weise als halb-barbarische Völker eingeschätzt, gut dazu ge-
eignet, um in die Wälder einzudringen, aber ungeeignet, um die westli-
che Zivilisation zu begleiten. Siehe beispielsweise was sie uns letztes
Jahr sagten, als ausländische Sportler ein paar Spiele in São Paulo und
Rio de Janeiro spielten. Einige italienische Journalisten gaben zu verste-
hen, wir seien wahrhaftige Kaffer! Sind sie ehrlich, diese Kritiker? Das
ist schwer zu beurteilen. Jedenfalls haben wir das Recht, uns zu verteidi-
gen in Fällen, in denen wir gezwungen sind, auf internationalen Spielen
aufzutauchen.128
Die Abwesenheit europäischer Mannschaften und die geringschätzigen
Äußerungen des FIFA-Generalsekretärs Delaunay über Uruguay als
Austragungsort verschärften diese Konfliktlinie noch. Delaunay äußerte in
einem in der brasilianischen Presse abgedruckten Interview an eine spani-
sche Zeitung, Uruguay sei aus »Höflichkeit« ausgewählt worden, weil das
Land die Feste zur 100-jährigen Unabhängigkeit feiere. Keiner der Dele-
gierten des Kongresses in Barcelona hätte »ernsthaft an die Reise« der
Teilnehmerländer gedacht.129In diesem Interview führte Delaunay aus, wie
die Idee einer Weltmeisterschaft als eigenständiges Turnier gegenüber den
Olympischen Spielen zustande gekommen sei und dass er diese in Uruguay
nicht umgesetzt sehe.
Das IOC ließ keine Profi-Spieler zu, die in einigen der erfolgreichsten
Fußballnationen Ende der 1920er-Jahre, so in Italien und Spanien, jedoch
schon üblich waren. Die FIFA verständigte sich über einen neuen Amateur-
kodex und wollte zudem durch das K.-o.-System die Länder an den Spiel-
einnahmen stärker beteiligen, da so die erfolgreichsten Mannschaften ent-
sprechend hohe Gewinne erzielen und sich das Turnier auch für Profis
lohnen würde. Entgegen der Empfehlungen der FIFA führte Uruguay je-
doch kein K.-o.-System ein, alle Spiele fanden zentral in Montevideo statt,
es konnten nicht parallel in mehreren Städten Gruppenspiele ausgetragen
werden.130
128
»Futebol. O Campeonato Mundial«,
OESP,
12.3.1930.
129
»›Federation Internacional Football Association‹«,
Rio Sportivo
, 25.5.1930.
130
Vgl. »›Federation Internacional Football Association‹«,
Rio Sportivo
, 25.5.1930;
EISENBERGu. a.,
FIFA 1904-2004
, S. 100-108; HÜSER, Neutralitätsdiskurs und Politisie-
rungstrends, S. 48 f.; Hinzu kamen Schwierigkeiten in der zeitigen Vorbereitung des
Turniers in Uruguay, so wurde das
Centenário
-Stadion nicht rechtzeitig zum Turnierbe-
270
270
Nation
Die überaus hohe Wertschätzung eines eigenen höherwertigen Fußballs
durch die brasilianische Presse im Angesicht der Weltmeisterschaft und der
Konflikte mit Europa hielt jedoch nicht lange an, im Unterschied zur
Selbsteinschätzung der Argentinier und Uruguayer.131Brasilianische
Journalisten und Sportler waren verunsichert. Das lag erstens an dem jahre-
langen Fernbleiben offizieller Nationalmannschaften von den südamerika-
nischen Meisterschaften. Zweitens zog kurz vor der Abreise der
brasilianischen Nationalauswahl nach Uruguay der Paulistaner Lokalver-
band seine Spieler zurück und Brasilien nahm mit einer schwachen, nahezu
untrainierten Mannschaft teil.132Die andauernden Auseinandersetzungen
zwischen São Paulo und Rio de Janeiro schwächten seit Beginn der 1920er-
Jahre konstant Brasiliens nationale Repräsentation bei ausländischen Spie-
len.133Gleich in der Vorrunde schied Brasilien gegen Jugoslawien und
Bolivien aus.134Die Presse verfolgte das Turnier weiter und konzentrierte
sich auf die Teilnehmer Argentinien und Uruguay. Der Gesamtsieg Uru-
guays löste auch in der brasilianischen Presse Enthusiasmus aus und erneut
wurde die Ablösung Europas durch etwas Neues, Frisches gefeiert und
Uruguay als Avantgarde einer neuen sportlichen »Zivilisation« gepriesen.135
ginn fertiggestellt, die ersten Spiele mussten an zwei anderen Spielstätten ausgetragen
werden: Vgl. HÜSER, Neutralitätsdiskurs, S. 49; SCHULZE-MARMELING, Dietrich/DAHL-
KAMP, Hubert,
Die Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaft 1930-2006
, Göttingen
2004, S. 22-41.
131
Ein Hinweis auf ein argentinisches und uruguayisches Selbstbewusstsein gegen-
über dem europäischen Fußball ist die Idee, einen panamerikanischen Verband zu grün-
den, der der Überlegenheit des südamerikanischen Fußballs Ausdruck verleihe. Dieses
Anliegen wurde transnational über die Sportmedien debattiert und spricht in Teilen
zumindest für einen rudimentär vorhandenen Pan-Amerikanismus in Argentinien und
Uruguay. Vgl. »A derrota do combinado brasileiro no campeonato mundial. A
Confederação Pan-Americana de Football. Especial para a ›Gazeta de Noticias‹ por José
Antonelli da Associação Argentina de Amadores«,
Gazeta de Notícias
, 6.8.1930.
132
Vgl. »Parece que a Apea queimou-se com a C.B.D. por varias notas da ›Gazeta de
Noticias‹«,
Gazeta de Noticias
, 13.6.1930; »Recusando mandar seus jogadores para o
Rio onde deveriam treinar para o Campeonato Mundial, São Paulo sportivo declara sua
independência«,
Gazeta de Noticias
, 14.6.1930; »Campeonato Mundial e a Situação dos
Brasileiros para o grande torneio«,
Gazeta de Notícias
, 17.6.1930.
133
Vgl. hierzu Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit.
134
»Os Brasileiros foram vencidos pelos Yugoslavos!«,
Gazeta de Notícias
,
15.7.1930; »O Sr. Pindaro organisou um scratch, propositadamente, para sair vencido
da cancha de Montevideu, porém a rapaziada carioca sairá vencedora!«,
Gazeta deNotícias
, 20.7.1930.
135
Vgl. »Ao redor de uma bola«,
OESP
, 10.8.1930.
271Nation
271
Bild 12: Die Karikatur illustriert die in Südamerika gepriesene Überlegenheit über
Europa, ironisiert aber zugleich Brasiliens unauffälligen Auftritt bei der Weltmeister-
schaft, durch den Brasilien zwischen »den Fronten« blieb. Der Untertitel lautete ent-
sprechend: »Es geht doch nichts über eine Niederlage in der Weltmeisterschaft, wenn
man internationale Sympathien gewinnen will…«. Quelle: »A Bola Internacional«,
A Careta
, 26.7.1930.
Letztlich hatten mehrere brasilianische Klubs, auch aus São Paulo, die
Möglichkeit, sich doch noch an den WM-Teilnehmern zu messen, da einige
der Mannschaften, wie die Auswahlen Jugoslawiens, Frankreichs und
Nordamerikas, auf ihrer Rückreise in Brasilien Halt machten. Sie traten
gegen brasilianische Vereine an und unterlagen.136Bei dem Spiel des Klubs
Vasco da Gama gegen Jugoslawien kam die Presse zu dem Urteil, die Bra-
silianer spielten, wie die Südamerikaner überhaupt, einen den Europäern
überlegenen Stil, den Jugoslawen fehle »unsere Gewandtheit und unser
Ungestüm«.137
136
Vgl. »O quadro yugoslavo, vencido, ante-hontem, pelos cariocas, se bem que não
seja um team fraco, não é adversario para legitimas selecções cariocas, paulistas ou
nacionaes«,
Gazeta de Notícias
, 12.8.1930.
137
»A brilhante rehabilitação dos nossos, jogando com os seus vencedores de
Montevidéu«,
Gazeta de Notícias
, 12.8.1930.
272
272
Nation
Zeitgleich zur Weltmeisterschaft spielte der argentinische Klub Huracán
einige Begegnungen in Brasilien. Im letzten Spiel gegen eine Auswahl aus
Carioca-Spielern im Stadion des Klub Vasco da Gama kam es zum Eklat:
Die argentinischen Spieler verließen nach einem Foul des afro-brasiliani-
schen Spielers Fausto frühzeitig das Spielfeld – das Spiel wurde abgebro-
chen.138Die Haltung der Argentinier und ihre noch nach ihrer Rückkehr
geäußerten Schuldzuweisungen gegen die Schiedsrichter und gegen organi-
satorische Missstände gaben der brasilianischen Presse Anlass, sich erneut
als sportlich fair und besser erzogen gegenüber Argentinien abzugrenzen.
Die Presse verglich sie zum Beispiel mit den gewaltvollen Paulistaner
clubes de várzea
.139
Diese Berichte passten auch zu dem Stimmungsbild, das die
Weltmeisterschaft insgesamt bei den diplomatischen Vertretungen Brasili-
ens in Argentinien und Uruguay hinterlassen hatte. Die Vertretung in Uru-
guay unter dem Botschafter Hélio Lobo beobachtete die Vorbereitungen
auf die Feste zum
Centenário
und die Weltmeisterschaft in Montevideo
genau und berichtete regelmäßig im Laufe des Jahres 1930 dem brasiliani-
schen Außenministerium unter Octávio Mangabeira darüber, der wiederum
mit dem Vorsitzenden der CBD, Renato Pacheco, Kontakt hielt.140Lobo
schrieb am 6. August an Mangabeira in einem sechsseitigen Brief mit einer
138
»Segundo previamos, os argentinos pregaram uma surpresa aos cariocas…
Sahindo do campo antes da terminação do jogo. ›Mais vale prevenir que remediar‹«,
Gazeta de Notícias
, 5.8.1930.
139
Vgl. »O Chôro Argentino«,
A Gazeta
, 22.8.1930; »O que dizem de nosso futebol
além-Prata«, 27.8.1930.
140
Vgl. Hélio Lobo an Octávio Mangabeira, Montevideo, 26.2.1930, 640.6341(44)
Football Uruguai 17.677, RjBHI; Telegramm von Hélio Lobo an Secretaria do Estado
das Relações Exteriores, Montevideo, 7.4.1930, 640.6341(44) Football Uruguai 17.677,
RjBHI; Hélio Lobo an bras. Außenministerium, Montevideo, 14.4.1930, 640.6341(44)
Football Uruguai 17.677, RjBHI; Hélio Lobo an Octávio Mangabeira, Montevideo,
2.5.1930, 640.6341(44) Football Uruguai 17.677, RjBHI; Octávio Mangabeira an
Renato Pacheco (CBD), Rio de Janeiro, 22.5.1930, 640.6341(44) Football Uruguai
17.677, RjBHI; Hélio Lobo an Octávio Mangabeira, Montevideo, 1.6.1930,
640.6341(44) Football Uruguai 17.677, RjBHI; Octávio Mangabeira an Renato Pacheco
(CBD), Rio de Janeiro, 9.6.1930, 640.6341(44) Football Uruguai 17.677, RjBHI;
Telegramm von Hélio Lobo an Octávio Mangabeira, Montevideo, 26.7.1930,
640.6341(44) Football Uruguai 17.677, RjBHI; Telegramm von Hélio Lobo an
Mangabeira, Montevideo, 4.8.1930, 640.6341(44) Football Uruguai 17.677, RjBHI;
Hélio Lobo an Octávio Mangabeira, 6.8.1930, 640.6341(44) Football Uruguai 17.677,
RjBHI. Der Telegrammaustausch zwischen Renato Pacheco (CBD) und Octávio
Mangabeira respektive Hélio Lobo und Octávio Mangabeira von Anfang 1930 legt
sogar nahe, dass es Lobo war, der über den Wiedereintritt der Brasilianer in den süd-
amerikanischen Verband entschied: Siehe vor allem die oben nachgewiesenen Briefe
aus Montevideo, 20.2.1930, 26.2.1930 und 28.2.1930, RjBHI.
273Nation
273
angehängten Dokumentation von Zeitungsartikeln über den Verlauf der
Weltmeisterschaft in Uruguay. Er bezog sich insbesondere auf die Aus-
schreitungen, zu denen es zwischen argentinischen und uruguayischen Fans
nach dem Sieg der Uruguayer gekommen war. Die Ausschreitungen hätten
erst nach der Rückkehr der besiegten Argentinier nach Buenos Aires einge-
setzt, als aufgebrachte Menschen das uruguayische Konsulat mit Steinen
bewarfen. Vor allem habe aber die Presse beider Länder mit
nationalchauvinistischen Beiträgen die Stimmung angeheizt, nachdem der
argentinische Verband die Beziehungen zum uruguayischen Pendant abge-
brochen hätte.141Lobo schloss sich den Pressestimmen an, die nun wieder
eine Abschaffung internationaler Spiele forderten. Die Beteiligung Brasili-
ens sei, so Lobo, sowieso ausschließlich gerechtfertigt »durch das
Centenário in Gegenseitigkeit zu Uruguays Verhalten 1922. Wir konnten
unsere Pflicht als Nachbarn erfüllen, wir wussten zu spielen und zu verlie-
ren.«142
Auch aus Buenos Aires erhielt der Außenminister Mangabeira einen
dreiseitigen Brief, der die Beziehungen zwischen Argentinien und Uruguay
nach den Ausschreitungen beurteilte.143Darin berichtete der brasilianische
Botschafter in Buenos Aires ausführlich über die Reaktionen der argentini-
schen und uruguayischen Zuschauer auf den Straßen:
Die in Montevideo abgelaufenen Szenen, wahrhaft deliriös, gaben leider
Anlass für entlarvende Manifestationen eines Mangels an Kultur, die
unmittelbar in Buenos Aires Widerhall fanden, wo sich populäre
Kundgebungen organisierten, die ihrerseits wiederum der Ausdehnung
von wenig lobenswerten Gefühlen Raum gaben und die zeigten, zu was
die Ausschreitungen der Massen führen können, angestiftet durch einen
falsch verstandenen nationalistischen Geist.144
Schon zuvor hatten die Botschafter die Abhaltung des internationalen Wett-
bewerbs mit Zurückhaltung beobachtet und vor allem dann reagiert, wenn
in der argentinischen oder uruguayischen Presse negative Berichte über das
jeweils andere Land auftauchten, die die diplomatische Arbeit zwischen
den Ländern in Frage stellen würde. Hélio Lobo hatte auch Stellung ge-
141
Vgl. Hélio Lobo an Mangabeira, Montevideo, 6.8.1930, 640.6341(44) Football
Uruguai 17.677, RjBHI.
142
Ebd.
143
Vgl. Gesandtschaft in Buenos Aires an Octávio Mangabeira, Buenos Aires,
11.8.1930, 640.6341(44) Football Uruguai 17.677, RjBHI.
144
Ebd.
274
274
Nation
nommen zu der Frage, ob sich Brasilien dann noch an dem Wettbewerb be-
teiligen solle, wenn sich die amerikanischen Länder von der FIFA lösen
würden. Er empfahl hier die Solidarität mit Uruguay im Hinblick auf die
Festlichkeiten zum
Centenário
und riet davon ab, aus »Unterordnung unter
die FIFA« fernzubleiben, »denn das öffentliche Gefühl würde in dieser
Stunde fast Schaden nehmen im Versuch, mit Europa abzurechnen.«145Er
wies auf die Bedeutung des Fußballs in Uruguay hin, die sich daran ablesen
lasse, dass der »Präsident der Leibeskommission ein ehemaliger Präsident
der Republik und der des uruguayischen Fußballverbandes ein Senator«
sei.146An anderer Stelle sagte er, »dass der Fußball hier [in Uruguay] eine
tiefgehende Bewegung im Volk freisetzt.«147
Die beigefügten Zeitungsartikel zu den diplomatischen Berichten und
entsprechende Beiträge zu dem Thema in der brasilianischen Sportpresse
geben Aufschluss darüber, wie die Südamerikaner die Beziehungen zwi-
schen der FIFA und dem südamerikanischen Verband und den Status und
die Macht der FIFA einschätzten. Selbst moderatere Presseorgane, die zu
diesem Zeitpunkt gegen eine Loslösung der südamerikanischen Nationen
von der FIFA votierten, hielten fest, die südamerikanischen Mitgliedslän-
der hätten kaum Stimmengewicht und würden in dem Verband mit univer-
salem Vertretungsanspruch kaum wahrgenommen – sie klagten über den
Eurozentrismus des Verbands, nicht wörtlich, aber doch sinngemäß. Dies
schrieben sie selbstkritisch auch einem fehlenden Sinn für Organisation in
Südamerika zu. Die einzelnen Länder würden oftmals von Personen ver-
treten, die von Fußball kaum Ahnung hätten.148Ein Journalist von
O Estadode São Paulo
schätzte die Rolle der FIFA anders ein. Im Zuge der
Konflikte um die Beteiligung der Paulistas in der Nationalmannschaft
mutmaßte er, derlei Probleme würden künftig nicht mehr auf nationaler
Ebene gelöst, wenn die FIFA sich als supranationale Institution etabliere:
Der Fußball ist so wichtig, dass er auch schon seine internationale Poli-
tik hat. Nicht mehr lange und es wird ein internationales öffentliches und
privates Recht entworfen, um die zwischen den Ligen, Klubs und Fuß-
ballern aufgeworfenen Fragen zu regulieren. Die Federation in Amster-
145
Hélio Lobo an Octávio Mangabeira, Montevideo, 14.4.1930, 640.6341(44) Foot-
ball Uruguai 17.677, RjBHI.
146
Ebd.
147
Hélio Lobo an Octávio Mangabeira, Montevideo, 26.2.1930, 640.6341(44) Foot-
ball Uruguai 17.677, RjBHI.
148
Vgl. Anhang zu Brief von Hélio Lobo an Octávio Mangabeira, Montevideo,
14.4.1930, 640.6341(44) Football Uruguai 17.677, RjBHI.
275Nation
275
dam, mit etwas gutem Willen, verwandelt sich so alsbald in eine Art
Obersten Gerichtshof mit letzter Instanz.
149
Mit der Einführung international geltenden Rechtes entwickle sich die
FIFA zu einer supranationalen Instanz, an die die nationalen Verbände
Zuständigkeiten für regionale Konflikte abgeben würden. Dieser Fortschritt
sorge für die Beilegung von Konflikten.150
Diese Einschätzung teilten brasilianische Diplomaten 1930 noch nicht.
In ihren Augen ging es bei Konflikten zwischen Fußballgegnern unmittel-
bar um zwischenstaatliche Beziehungen und somit auch nationale Interes-
sen. Hélio Lobo stellte einen möglichen Sieg der Brasilianer bei der
Weltmeisterschaft hinter alle anderen Interessen, die die Beziehungen
zwischen den drei Ländern betrafen. Das zeigten die Reaktionen auf das
Turnierergebnis: Lobo war eher froh, dass Brasilien durch seine schwache
Leistung so früh ausgeschieden war.
Die sensiblen Beobachtungen durch die diplomatische Vertretung in
Uruguay unter Lobo beschränkten sich nicht auf Stellungnahmen, es
handelte sich um konkrete Einflussnahme. Sie zeugen von der engen Ver-
knüpfung zwischen dem brasilianischen Nationalverband als nicht-staatli-
cher Organisation und staatlichen Organen, hier dem Außenministerium.
Das, so geht es aus der vorliegenden Korrespondenz hervor, entschied
darüber, ob Brasilien an der Weltmeisterschaft teilnahm. An anderer Stelle
wird auch deutlich, dass das Außenministerium verfügte, Brasilien solle
nicht in den südamerikanischen Verband zurückkehren.151Die gezielte
Steuerung der internationalen Beziehungen im Fußball war demzufolge
eine nicht unbedeutende Aufgabe brasilianischer Außenpolitik. Dennoch
war die Form, wie das Außenministerium in Erscheinung trat, oft eher
korrigierender Art und nicht mit den sportpolitischen Propagandaeinrich-
tungen in anderen Ländern vergleichbar.152
149
»Futebol. Assumptos Internacionaes. A obra do despeito«,
OESP
, 14.8.1930, S. 6.
150Ebd.
151
Vgl. Hélio Lobo an Octávio Mangabeira, Montevideo, 26.2.1930, 640.6341(44)
Football Uruguai 17.677, RjBHI. Auch an anderer Stelle wird deutlich, dass Fußball
nicht mehr das primäre Mittel zur Annäherung zwischen Brasilien und Uruguay sein
sollte, wie aus einem Interview zwischen Américo Netto, dem Sportredakteur von
OEstado de São Paulo
, mit der uruguayischen Zeitung
El Diário
zu den brasilianisch-
uruguayischen Beziehungen hervorgeht, vgl. »Aproximação Brasileiro-Uruguaya. Uma
entrevista do dr. Americo R. Netto a ›El Diario‹ de Montevideu - Como desenvolver o
intercambio intellectual e esportivo entre os dois paizes amigos«,
OESP
, 23.8.1930.
152
Gerade Diktaturen entdeckten in den 1930er-Jahren den Sport als ein Mittel,
kulturelle Werte zu verbreiten: KEYS, Spreading Peace, S. 168. Vgl. zur Einrichtung
276
276
Nation
Die Ausführungen in diesem Kapitel zeigen die Begrenztheit der Solida-
rität und Identifikation mit den anderen südamerikanischen Ländern im
Fußball, die seit den ersten Spielen zwischen Klubs der Länder Argenti-
nien, Brasilien und Uruguay beschworen wurde. Je stärker die Internatio-
nalisierung des Fußballs in der Region voranschritt und je populärer der
Fußball in den drei Ländern wurde, um so schwieriger wurde es für die
brasilianischen Ausrichter von internationalen Spielen, die gezielten Vor-
stellungen von ethnischer Homogenität, »Weißsein«, nationaler Harmonie
und »zivilisiertem« Verhalten zu vermitteln. Dass diese Bilder nicht durch-
gesetzt werden konnten, führte zu einem Rückzug aus dem regionalen
Fußball, den maßgeblich der nationale Fußballverband und das Außen-
ministerium herbeiführten. Letzteres sah internationale Spiele zunehmend
als massiven Störfaktor für die internationalen Beziehungen Brasiliens mit
den südamerikanischen Nachbarn.
Das sahen nicht-staatliche Akteure anders und einige internationale
Spiele in den 1920er-Jahren beruhten deshalb auf privater Initiative. Als
herausragendes internationales und privat finanziertes Sportereignis erweist
sich die erste Reise eines brasilianischen Vereins nach Europa im Jahr
1925, die im Folgenden behandelt wird. Dieser Teil führt noch einmal alle
Stränge dieser Studie zusammen, denn die Reise war zugleich eine
Inszenierung der brasilianischen Nation in einer regionalistischen Lesart
und eine Form transnationaler Aushandlung ethnischer und »rassischer«
Identität.
4.2. »KICK-DIPLOMATIE«153– BRASILIANISCHERFUßBALL INEUROPA
Am 15.3.1925 fanden sich um die 20.000 Fußballanhänger im Pariser
Buffallo-Stadion ein, um das in der französischen Presse ausgiebig ange-
priesene Spiel der französischen Nationalmannschaft gegen den brasilia-
nischen Klub C. A. Paulistano zu sehen. Dieser befand sich auf einer Euro-
pa-Tournee. Das Spiel wurde als Länderspiel inszeniert: Beide Mann-
schaften betraten hintereinander das Spielfeld, ein Militärorchester spielte
dazu die Marseillaise und die Nationalhymne Brasiliens. Auf der Tribüne
hatten sich unter anderem der Präsident der internationalen
eines Sportministeriums in Frankreich: A
RNAUD
, Pierre, French Sport and the
Emergence of Authoritarian Regimes, 1919-1939, in: DERS. u.a. (Hg.),
Sport andInternational Politics
, S. 114-146.
153
Der Ausdruck geht zurück auf einen Artikel von Ismael Cordovil, »Diplomacia do
chute« (»Kick-Diplomatie«),
A Gazeta
, 21.3.1925.
277Nation
277
Fußballorganisation FIFA, Jules Rimet, und der Präsident des Bundesstaa-
tes São Paulo, Washington Luís, eingefunden.154In gespannter Erwartung
sah die französische Presse diesem Spiel entgegen. Es diente als Vorberei-
tung auf ein anstehendes Freundschaftsspiel zwischen Frankreich und Ita-
lien und es war das Debüt dreier nordafrikanischer Fußballspieler –
Manzanerès, Liminana und Bardot. Vor dem Spieltag wurde in der franzö-
sischen Presse diskutiert, wie sich diese Spieler in der Nationalmannschaft
machen würden – nach dem Spiel war die Kritik an der Zusammenstellung
der Mannschaft insgesamt negativ.
Noch vor der Halbzeit stand es 3:2 für die Brasilianer, die vor allem
durch ihren schnellen Angriff die Franzosen in die Defensive zwangen.
Auch die Stürmer Friedenreich und Araken Patusca schossen in der zwei-
ten Halbzeit jeweils noch ein Tor und insgesamt entschieden die Paulistas
das Spiel mit 7:2 für sich.155Die Reaktionen in der französischen und in der
brasilianischen Presse auf die Überlegenheit der Brasilianer waren frene-
tisch, mit diesem Ergebnis hatte der brasilianische Klub die Erwartungen
aus der Heimat und die der Franzosen noch übertroffen. Auch in den fol-
genden sechs Spielen gegen verschiedene lokale Klubs in Frankreich
konnte der C. A. Paulistano seinen Siegeszug fortsetzen, den nur eine
Niederlage in Sète unterbrach.
Auch von brasilianischer Seite waren die Erwartungen an die Tournee in
Europa hoch, die ursprünglich nach England, Belgien, Holland, Schweiz,
Italien, Deutschland, Spanien und Portugal führen sollte.156Die Reise stellte
eine Reaktion auf beträchtliche Erfolge anderer lateinamerikanischer Län-
derauswahlen und Mannschaften dar, die mit dem überraschenden Sieg
Uruguays bei den Olympischen Spielen 1924 in Paris begonnen hatten.
Sportfunktionäre befanden, Brasilien solle nicht außen vor bleiben, vor
allem da brasilianische Spieler bei den internationalen regionalen Spielen
in Südamerika unter den Erfolgreichsten waren, jedoch auf Grund finanzi-
eller und organisatorischer Einschränkungen bisher noch nicht bei interna-
tionalen Sportveranstaltungen außerhalb Südamerikas reüssieren konnten.
154
Vgl. den Spielbericht »France-Brésil«,
Presse
, 16.3.1925, in: Album »Excursão à
Europa, Vol. II, 1925«, CAP.
155
Vgl. »Contre l’équipe de France les Bresiliens ont réussi un score
impressionnant«,
Echo des Sports
, 16.3.1925; »L’équipe de France fait une honnête
sortie«,
L’Auto
, 16.3.1925; »Une mauvaise performance de la sélection française«,
L’Intransigeant
, 17.3.1925, alle in: Album »Excursão à Europa, Vol. II, 1925«, CAP.
156
»Sononcie, Au Bresil. Des nouvelles du Bresil. Les preparatifs de depart de
l'equipe de football que l'on verra matcher à Paris lemois prochain«,
Aéro-Sports
,
26.2.1925, in: Album »Excursão à Europa, Vol II., 1925«, CAP.
278
278
Nation
Die Sportpresse hatte das immer wieder als symptomatisch für Brasiliens
»Rückständigkeit« in sportlicher Hinsicht ausgelegt.
Die erste Reise eines brasilianischen Klubs nach Europa im Frühjahr
1925 beruhte entsprechend auf einer Privatinitiative. Der Eliteklub C. A.
Paulistano aus São Paulo gehörte in den 1920er-Jahren zu einem der erfolg-
reichsten Vereine in Südamerika und hatte seit den 1910er-Jahren bereits
etliche ausländische Klubs bespielt und besiegt. Der Präsident des Vereins,
Antônio Prado Júnior, initiierte die Reise Ende 1924 und Anfang 1925,
womit sie finanziell auf eine andere Grundlage gestellt wurde als eine
durch den Sportverband geführte Reise. Die Ausgaben beliefen sich
Presseinformationen zufolge auf circa 300.000 Franc, die mit den bei den
Spielen zu erwartenden Einnahmen verrechnet wurden.157Ziel des Vorha-
bens war, das fußballerische Können Brasiliens auch in Europa unter Be-
weis zu stellen und gegen die besten Mannschaften des Kontinents und
damit der Herkunftsregion des Fußballs anzutreten.
Dass Frankreich dabei an erster Stelle stand, mag auf den ersten Blick
verwundern, denn der französische Fußball galt in den Zwischenkriegsjah-
ren bei Weitem nicht als der Beste in Europa. Frankreich war nicht primär
eine Nation von Fußballenthusiasten, im Vergleich zu Ländern wie zum
Beispiel Deutschland, Ungarn, Österreich und Spanien.158Die Reise, zu-
nächst nach Paris und danach in die Schweiz und nach Portugal, hatte fol-
gende Gründe: Nachdem im Jahr 1924 die Olympischen Spiele in Paris
stattgefunden hatten, hatte das französische Publikum, mit dem Sieg der
Uruguayer, einen ersten Eindruck vom lateinamerikanischen Fußball er-
halten. Nun wollten die Brasilianer ebenso am gleichen Ort nicht nur gegen
die Franzosen antreten, sondern einem ähnlichen Publikum beweisen, dass
auch sie zur Weltklasse im internationalen Fußball gehörten. Auch der
argentinische Klub Boca Juniors und der uruguayische Klub Nacional
tourten gerade durch Europa. Angedacht wurde eine direkte Begegnung
zwischen Brasilianern und Uruguayern in Frankreich, die jedoch auf Grund
157
Vgl. »Excursão do C. A. Paulistano á Europa - ultimos preparativos - organisação
de uma propaganda patriotica - outras notas»,
OESP
, 8.2.1925, in: Album »1925, Vol.
I«, CAP; Henri Delaunay (
Fédération Française de Football Association
) an Antônio
Prado Júnior, 27.1.1925; Henri Delaunay (
Fédération Française de FootballAssociation
) an Antônio Prado Júnior, 7.2.1925, in: Album »Excursão à Europa, Vol. II,
1925«, CAP.
158
Vgl. L
ANFRANCHI
, Frankreich und Italien, S. 52 und 56 f. »Porque o futebol
francez está em declinio, Cléo de Galsan«,
A Gazeta
, 6.2.1925.
279Nation
279
der hohen Einnahmeforderungen der Uruguayer nicht zustande kam.159
Zudem stellte Paris das Zentrum der kontinentalen Internationalisierungs-
bestrebungen im Fußball dar, hier war 1904 die FIFA gegründet worden
und der aktuelle FIFA-Präsident, Jules Rimet, war auch Präsident des
französischen Fußballverbandes.160
Noch gewichtiger waren die persönlichen Verbindungen, die der Klub-
präsident Antônio Prado Júnior zu der aristokratischen, europäischen
Sportelite besaß. Einer der wirtschaftlich und politisch bedeutendsten Fa-
milien São Paulos entstammend, gehörte Prado Júnior zu einer Elite, die
sich traditionell nach französischer Kultur ausrichtete. Er selbst hatte mit
seiner Familie etliche Jahre in Paris verbracht.161In Prado Júniors Interesse
an Sport drückten sich vor allem französische Einflüsse aus, so war er mit
den brasilianischen Flugpionieren Alberto Santos Dumont und Edu Chaves
befreundet bzw. verwandt, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Paris leb-
ten.162Schon in den 1920er-Jahren, davon ist auszugehen, verfügte er über
Kontakte zu den Gründern der Olympischen Bewegung in Brasilien. 1935
sollte er sogar Vorsitzender des Nationalen Olympischen Komitees Brasili-
ens werden.163Prado Júnior gehörte zu einer äußerst transnational
ausgerichteten und agierenden Elite von Sportfunktionären. Damit ist auch
zu begründen, warum die Schweiz das zweite Land war, das die Paulistas
1925 besuchten. Von dort hatte der brasilianische Botschafter, Raul do Rio
Branco, 1914 auf Einladung Pierre de Coubertins den Anschluss Brasiliens
159
Vgl. »O Paulistano na Europa. O Glorioso quer, mas os uruguayos se esquivam«,
A Gazeta
, 20. 3.1925; »Futebol. O falado desafio do Paulistano aos uruguayos. Ainda
um Commentario de ›L'Auto‹ - Ponhamos Pontos nos ii«,
A Gazeta
, 23.4.1925.
160
Möglich ist auch eine Nähe in Bezug auf internationale sportpolitische Belange
zwischen dem Vorsitzenden des Paulistaner Fußballvereins und den Franzosen, da sie,
wie er, das Profitum ablehnten. Dies war die Position der USFSA vor dem Ersten Welt-
krieg, Vgl. EISENBERGu.a. (Hg.),
FIFA 1904-2004
, S. 62. Mitte der 1920er-Jahre setzte
sich das Profitum aber international weiter durch und auch Jules Rimet stimmte schon
1926 der Einführung einer Profi-Liga in Frankreich zu: Vgl. »O profissionalismo ganha
terreno. Em Paris estão organizando uma turma de profissionaes«,
A Gazeta
, 7.7.1926.
161LEVI,
The Prados of São Paulo
, 1987.
162
N
ETO
-W
ACKER
u.a.,
Brazil goes Olympic
, S. 74-81; »Antônio Prado Júnior: O
Presidente«, in:
Club Athletico Paulistano: um clube que cresceu com a cidade
, São
Paulo 1970, S. 136.
163
Vgl. Comitê Internacional Olympico an Secretaria de Estado das Relações
Exteriores (Embaixador Dr. José Carlos de Macedo Soares), 540,631 Jogos Olympicos
29.576, 15.8.1935, RjBHI; NETO-WACKERu. a.,
Brazil goes Olympic
, S. 95-103.
280
280
Nation
an die Olympische Bewegung angeschoben.164Prado Júnior hatte sich schon
1924 für die Teilnahme einer brasilianischen Delegation an den
Olympischen Spielen eingesetzt, auch für die Teilnahme einer
Fußballmannschaft. Als die brasilianische Regierung ihre finanzielle
Unterstützung kurzfristig absagte, sprang Prado Júnior als privater
Financier ein und machte die Reise einer kleinen Delegation möglich,
allerdings ohne eine Fußballmannschaft.165
Im Januar 1925 hielt sich Prado Júnior mit seiner Familie in Paris auf.
Dort nahm er unter anderem Kontakt zum Generalsekretär des französi-
schen Fußballverbandes, Henri Delaunay, auf und verabredete mit ihm
mehrere Spielbegegnungen gegen die französische Nationalmannschaft,
den Klub Stade Français und Mannschaften aus Sète, Bordeaux, Nizza und
Straßburg.166Wie
O Estado de São Paulo
berichtete
war es nicht leicht, europäische Institutionen davon zu überzeugen, die
Verantwortung für die Präsentation einer brasilianischen Mannschaft vor
einem großen Publikum zu übernehmen und vor allem einer einfachen
Gruppe, die eine isolierte Einrichtung repräsentiert. Nicht einmal nach
dem Sieg der Uruguayer bei den Olympischen Spielen wäre diese Auf-
gabe eine der einfachsten, denn nicht nur für die Europäer, sondern
generell ist Südamerika eine Art nebulöse Geografie, in der sich die ein-
zelnen Länder nicht sehr gut unterscheiden lassen. Vor allem in diesem
Fall, wo es sich um eine Gruppe handelt, die keine nationale Einrichtung
repräsentiert, sondern eine Mannschaft aus einer dort wenig bekannten
Provinz.
167
164
Vgl. N
ETO
-W
ACKER
u. a.,
Brazil goes Olympic
, S. 81-84; Raul do Rio Branco an
Antônio Prado Júnior, 20.3.1925; Antônio Prado Júnior an Raul do Rio Branco,
23.3.1925, in: Album »Excursão à Europa, Vol. II, 1925«, CAP.
165
Vgl. N
ETO
-W
ACKER
u. a.,
Brazil goes Olympic
, S. 115-118.
166
Vgl. Paul Albanel an Henri Delaunay, 12.1.1925; Stade Français an Antônio
Prado Júnior, 14.1.1925; Stade Français an Antônio Prado Júnior, 16.1.1925; Henri
Delaunay (FFFA) an Antônio Prado Júnior, 27.1.1925; Henri Delaunay (FFFA) an
Antônio Prado Júnior, 6.2.1925; Henri Delaunay (FFFA) an Antônio Prado Júnior,
7.2.1925; Henri Delaunay (FFFA) an Antônio Prado Júnior, 11.2.1925; Henri Delaunay
(FFFA) an Antônio Prado Júnior, 25.2.1925, alle in: Album »Excursão à Europa, Vol.
II, 1925«, CAP. Schon 1923 hatte Prado eine Reise nach Europa unternommen, in deren
Verlauf er besonders die Entwicklung des Sports in Europa beobachtete, das geht aus
einem Interview hervor: »Uma importante entrevista. Opiniões do sr. Prado Júnior sobre
o esporte europeu e nacional«,
OESP
, 21.8.1923, in: Album 1923, Vol. II, S. 191-205,
CAP.
167
»O C. A. Paulistano na Europa«,
OESP
, 21.1.1925, in: Album »1925, Vol. I«,
S. 1, CAP.
281Nation
281
Weil die Reise dazu diene, Brasilien territorial bekannt zu machen, so
argumentierte der Journalist weiter, sei sie von einer Bedeutung, die über
ein reines Fußballspiel hinausgehe und bedürfe einer besonderen Vorbe-
reitung:
Es ist notwendig, dass diese Exkursion nicht nur wie ein reiner
Sportausflug angegangen wird, dessen technischen Resultate oder Form
zweitrangig sind. – Wie gut der Paulistano auch vorbereitet sein mag, er
trifft auf Einrichtungen, die eine viel höhere Disziplin und die auf dem
anderen Kontinent eine größere Tradition besitzen. – Außerdem nehmen
unsere Repräsentanten nach Europa nicht nur ihren Namen mit, sondern
das Gewicht des sportlichen Prestiges Brasiliens. – Das gibt der Reise
einen patriotischen Charakter […].168
Seiner Argumentation zufolge hatten die Organisatoren der Reise Interesse
daran, spezifische brasilianische Charakteristika herauszustellen, die das
Land unterscheidbar machten von anderen südamerikanischen Nationen,
vor allem von dem Olympiasieger Uruguay. Womit hätten diese besser
herausgestellt werden können als durch Fußball, einem Sport, der inzwi-
schen unterscheidbare Stilbildungen zuließ und der zugleich durch seine
Universalität so viele Menschen begeisterte, dass über ihn ein großes Publi-
kum überzeugt werden konnte und nicht nur wenige Diplomaten, wie bei
traditionellen diplomatischen Kontakten?169Die Reise sahen Journalisten
entsprechend als beste Umsetzung einer »diplomacia de chute« (»Kick-
Diplomatie«).170Auch der schon einmal zitierte Schriftsteller Henrique
Pongetti war von dieser Kraft des Fußballs überzeugt und empfahl ihn
Anfang 1925 entsprechend als modernes internationales Verständigungs-
mittel:
Bisher haben unsere Regierungen dem Sport nicht viel Bedeutung zuge-
sprochen. Sie duldeten, dass bei den jüngsten Olympischen Spielen eine
Horde unsere Schmerzen erhöhte, die für den letzten Platz vorbestimmt
war. […] Wir – die von Rhetorik kranken Latinos – haben bislang die
moderne Bedeutung der körperlichen Kraft noch nicht begriffen. […]
Unsere Staatsmänner sollten die kurze Hose, das Wollhemd anziehen
168
Ebd.
169
»Araken e Souza Dantas. Algumas Ligeiras Reflexões sobre Futebol e Diploma-
cia«,
A Gazeta
, 17.3.1925; »E'cos da victoria do Paulistano«,
A Gazeta
, 20.3.1925;
Cordovil, Ismael, »Diplomacia do chute«,
A Gazeta
, 21.3.1925.
170
Cordovil, Ismael, »Diplomacia do chute«,
A Gazeta
, 21.3.1925.
282
282
Nation
und dem Ball den Anstoß geben, der noch nicht voll aufgepumpt zu sein
scheint […].171
Dabei bezogen sich die Vorzüge des Sports als Propagandamittel nicht nur
auf diplomatische Beziehungen, sondern auch auf die Aushandlung inter-
nationaler wirtschaftlicher Verträge und generell auf die Kontakte zwi-
schen den Staaten. Es herrschte in der dominierenden Sportpresse die Mei-
nung, ein Fußballspieler könne »[m]it einem Tritt oder einem Schuss […]
in der heutigen Zeit mehr umsetzen als eines dieser Ministerien in einem
Arbeitsjahr.«172
Prado Júnior sah seine Aufgabe vor allem darin, Vertrauen zu den fran-
zösischen Vertretern aufzubauen, sie von der sportlichen Qualität des
Paulistano zu überzeugen, obwohl der Besuch sich für die Franzosen finan-
ziell nicht lohnen würde, denn es waren keine hohen Einnahmen durch die
Spiele zu erwarten. Auf brasilianischer Seite befürchtete man, die Franzo-
sen könnten den Klub nicht für geeignet halten, weder in sportlicher noch
sozial-repräsentativer Hinsicht. Zugleich äußerte Prado Júnior aber auch
selbstbewusst, in Brasilien habe sich seit der Ankunft des Fußballs aus
Europa ein eigener Stil entwickelt, es gelte nun, diesen in Europa vorzufüh-
ren. Entsprechend ausgedehnt war die Reise ursprünglich auch angelegt, so
wollte Prado Júnior den Klub in Deutschland, Großbritannien, Spanien und
Portugal vorführen – entsprechende Verhandlungen fanden statt.173
Prado Júnior beschrieb den spezifischen Stil in einem Interview für die
französische Presse. Die brasilianischen Spieler, so wird er im Interview
wiedergegeben, seien
viel schneller als die Uruguayer. Er sagte uns auch, dass die Brasilianer,
deren Fähigkeiten denen der französischen Spieler ähnelten, auf eine Art
171
Pongetti, Henrique, »Futebol. O Governo e o Esporte. As virtudes do futebol para
uso externo - Os Paulistas são os eternos offuscadores de nosso brilho internacional«,
Nachdruck aus:
Diario da Bahia
, in:
A Gazeta
, 9.1.1925.
172
Cordovil, Ismael, »Diplomacia do chute«,
A Gazeta
, 21.3.1925.
173
Vgl. »O C. A. Paulistano na Europa«,
OESP
, 21.1.1925, in: Album »1925, Vol.
I«, S. 1, CAP; »O Paulistano em Paris«,
A Gazeta
, 26.3.1925; Correa, Virieto, »A
Europa curvada ante o Brasil… Da violencia britannica à agilidade brasileira - Como o
dr. Antônio Prado Júnior encara o successo do Paulistano na Europa«,
Diário da Noite
,
24.11.1925, in: Album »Excursão à Europa«, Vol. II, 1925, CAP. Zu den Finanzen:
Henri Delaunay (
Fédération Française de Football Association
) an Antônio Prado
Júnior, 27.1.1925, in: Album »Excursão à Europa, Vol. II, 1925«, CAP; Hanot, Gabriel,
»Les Footballeurs Sud-Américains en France«,
L'Intransigeant
, 6.2.1925; »Les
Brasiliens de São Paulo joueront à Paris contre l'équipe de France«,
Echo des Sports
,
11.2.1925.
283Nation
283
und Weise spielten, die unserer völlig entgegengesetzt sei und noch
weiter entfernt von der englischen. Herr Prado bestand sehr darauf, uns
zu sagen, dass seine Spieler außergewöhnliche Dribbler seien und dass
man ihnen sogar vorwerfen könnte, es mit dem Dribbeln zu übertreiben.
Die Brasilianer fürchten, auf unseren feuchten und schweren Plätzen
verunsichert zu sein. Denn zu Hause sie sind es gewohnt, zwar auf
Rasenplätzen, aber eben auf sehr trockenen Rasenplätzen zu spielen.
174
Prado Juniór beschrieb seine Fußballmannschaft zum einen mit großem
Selbstbewusstsein, zum anderen drückte er gleichzeitig Unterlegenheits-
gefühle aus. Entsprechend sahen die Mitglieder der Delegation die Reise
als eine Mission, auf der sie nicht nur São Paulo, sondern ganz Brasilien
vertreten und in Europa bekannt machen würden. Diese Rolle wurde dem
Klub nicht nur von Paulistaner, sondern auch von Sportinstitutionen, Klubs
und Ligen aus ganz Südamerika zugesprochen, wie Quellen zeigen.175
Dieses Selbstverständnis rührte auch daher, dass die Paulistaner Eliten –
wie bereits ausführlich in Kapitel 3 dargestellt – seit dem Beginn des 20.
Jahrhunderts eine regional-nationale Identitätskonstruktion vorgenommen
hatten, in der sie ganz Brasilien mit der Region São Paulo identifizierten
und andere Regionen als rückständig abwerteten und degradierten – São
Paulo war demzufolge Brasilien.176Widerlegt werden sollten Bilder eines
»anderen« Brasilien, die in Europa noch vorherrschten, also eines barbari-
schen, unzivilisierten und durch Plantagenwirtschaft und Kolonialherr-
schaft bestimmten Landes. Die Paulistas wollten eine Gegenidentität ent-
werfen. Die Befürchtung, dies könne nicht gelingen, wurde während der
Reise immer wieder von der heimischen Presse in São Paulo und den Rei-
senden selbst geäußert.
Darüber hinaus verstanden die Paulistas ihre Reise als ein nationales
Projekt, das auch nach innen kohäsiv wirken sollte. So erwarteten sie von
174
»Football. Les bresiliens a Paris«,
Auto
, 4.3.1925, in: Album »Excursão à
Europa«, Vol. II, 1925, CAP.
175
Das geht aus unzähligen Zuschriften, wie Glückwünsche, von Klubs hervor, so
des uruguayischen Vereins Peñarol, die in einem der Alben zur Exkursion gesammelt
sind: Album »Excursão à Europa«, Vol. I, 1925, CAP.
176
Vgl. Antônio Prado Júnior an Confederación Sudamericana de Football, Paris,
4.4.1925; »Todo un acontecimiento para el football brasileno constituyo la partida del
C. A. Paulistano para Europa«,
El Imparcial, Pagina de los Deportes
, Montevideo,
13.3.1925, S. 6. Beides in: Album »Excursão à Europa«, Vol. II, 1925, CAP; Zur
Konstruktion einer regionalen Paulistaner Identität gegenüber den anderen Bundesstaa-
ten über den Fußball, insbesondere Rio de Janeiro: Vgl. Kapitel 3 der vorliegenden
Arbeit.
284
284
Nation
den Bewohnern der anderen Bundesstaaten Identifikation mit dem patrioti-
schen Unternehmen. Das zeigt die Reaktion der Delegation auf die Verab-
schiedung durch die Bevölkerung in den verschiedenen Häfen Brasiliens,
in denen sie mit ihrem Schiff
Zeelandia
anlegte. Vor der Atlantiküberque-
rung gab es mehrere Zwischenstopps in brasilianischen Küstenstädten, so
in Rio de Janeiro, Bahia und Recife. In Rio de Janeiro und Bahia begrüßte
die Reisenden noch eine begeisterte Menschenmenge, in Recife jedoch,
berichtete ein Mitglied der Reisedelegation in einem Eintrag in sein Reise-
tagebuch, zeigte sich
am Kai eine kompakte Menge und anfangs nahmen wir an, diese sei
unseretwegen gekommen. Doch nichts dergleichen. Es war, als seien wir
keine Brasilianer, als würden wir nicht das Heimatland verlassen, um es
im Ausland zu repräsentieren. Wir wussten schon von der Unhöflichkeit
in Bezug auf die athletische Delegation von 1924 [die zu den Olympi-
schen Spielen in Paris reiste, d. Verf.], die nicht aufgesucht wurde, der
nicht einmal ein Zeichen von Interesse oder Sympathie entgegenge-
bracht wurde. Wir gingen jedoch davon aus, es habe sich um fehlende
Informationen gehandelt, da die Athletendelegation mit absichtsvoller
Diskretion nach Europa reiste.
177
Der Reisetagebuchschreiber war empört, dass »man dem Paulistano, dessen
Abreise aus São Paulo nach Europa seit Monaten angekündigt und
kommentiert wird, mit so einer Vergesslichkeit begegnen würde, die in
diesem Fall ein unaussprechliches Fehlen von Höflichkeit, ja von Patrio-
tismus bedeutet.«178Die lokale Bevölkerung interessierte sich stärker für
eine parallel stattfindende Flugschau als für die Reise eines Paulistaner
Fußballklubs nach Europa.179
Das Beispiel demonstriert die Begrenztheit der Globalität internationaler
Sportereignisse, hier war ein internationales Fußballtreffen und damit ein
sich herausbildender transnationaler Sportraum nicht selbstverständlich
Teil der Raumvorstellung, ja der »mental map« der Bewohner der Stadt
Recife.180Zugleich konstruierten hier Fußballer aus São Paulo räumliche
177
»Atravessando o Atlantico, E'cos da viagem a bordo do Zeelandia – Em Pernam-
buco – Fernando de Noronha – Em pleno mar…«,
A Gazeta
, 23.3.1925.
178
Ebd.
179
Vgl. ebd.
180
Vgl. zur Verwendung des Begriffs der »mental map« in der Geschichtswissen-
schaft den Literaturbericht von Frithjof Benjamin Schenk: SCHENK, Fritjhof Benjamin,
Mental Maps. Die Konstruktion von geografischen Räumen in Europa seit der Aufklä-
rung, in:
Geschichte und Gesellschaft
28, 2002, Nr. 3, S. 493-514. Vgl. auch:
285Nation
285
Hierarchien, in denen sie die Bevölkerung aus dem Nordosten als
»unpatriotisch« markierten, weil sie den Machtanspruch und den daraus
resultierenden Vertretungsanspruch São Paulos anscheinend nicht akzep-
tierten, ja, nicht einmal wahrnahmen. Sie als »unpatriotisch« zu bezeichnen
war gleichbedeutend mit »anders« und sogar minderwertig. Dies wird an
anderer Stelle in dem Reisetagebuchbericht deutlich, in dem der Autor sich
bei der Abreise herablassend und in Stereotypen über die Region und ihre
Bewohner äußerte. Die Paulistaner Reisedelegation habe ausschließlich
halsabschneiderische Obstverkäufer im Hafen angetroffen, die die Paulistas
beschwindeln wollten. Bestätigt sah der Autor angesichts der Begegnung
ein altes Sprichwort, »dass in Pernambuco nur die Pernambucaner bleiben,
die weder Energie noch Ideen haben, denn die Besten sind immer außer-
halb«; er merkte auch an, nur den Pernambucanern hätte es einfallen kön-
nen, auf der paradiesischen Insel Fernando de Noronha, die vor dem Staat
Pernambuco liegt, ein Gefängnis zu bauen.181Recife im Bundesstaat
Pernambuco gehörte zu einer Region, die heute geografisch zum Nordosten
gerechnet wird – eine regionale Einheit, die Eliten anderer Regionen Brasi-
liens und auch Ausländer in Reiseberichten geohistorisch als unterentwi-
ckelt, arm, auch als politisch eher despotisch und korrupt diskursiv kon-
struierten.182
Diese Episode und die gesamte Selbstwahrnehmung der Paulistas im
Zuge der Reise 1925 untermauert die These, dass Repräsentation über den
Fußball Machtansprüche abbildete, sie zementierte und dabei half, räumli-
che Hierarchien diskursiv weiter festzuschreiben, die freilich in anderen
Bereichen schon vorgenommen worden waren. Fußball als globalisiertes
Spiel war nicht frei von asymmetrischen Machtbeziehungen und er über-
wand sie auch nicht, vielmehr wurde er in ihre Aushandlung einbezogen
und für sie genutzt.
O
STERHAMMEL
,
Die Verwandlung der Welt
, S. 143-154; D
ERS
, Die Wiederkehr des
Raumes: Geopolitik, Geohistorie und historische Geographie, in:
NPL
43, 1998, Nr. 3,
S. 374-375.
181
Vgl. »Atravessando o Atlantico«.
182
Vgl. ebd.; B
ARTELT
, Dawid Danilo, Kosten der Modernisierung. Der Sertão des
brasilianischen Nordostens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: zwischen
Homogenisierung und Diskurs, in:
Jahrbuch für Geschichte Lateinamerikas
38, 2001,
S. 327-351; WEINSTEIN, Racializing Regional Difference, S. 245 ff.
286
286
Nation4.2.1. Identitäre Aushandlungen im Kontext des transnationalenFußballaustausches der 1920er-Jahre: »Rasse«, Ethnizität undLatinité
Wie aber konnte die Darstellung eines modernen, fortschrittlichen, »zivili-
sierten« und »weißen« Brasiliens über den Fußball in Europa gelingen?
Schließlich waren einige der berühmtesten Spieler des brasilianischen
Fußballs Afro-Brasilianer. Einer von ihnen, Arthur Friedenreich, war bei
der Reise dabei. Die Haltung zu dieser Frage war äußerst widersprüchlich
und immer abhängig von der Außenperspektive, also den Äußerungen und
Zuweisungen durch ausländische Beobachter, hier vor allem die Franzosen.
Zum einen drückte sich in brasilianischen Pressekommentaren ein
Selbstbewusstsein aus, den Europäern zu zeigen, Fußball werde nicht
ausschließlich von »weißen« Männern ausgeübt, zum anderen zeigten sich
die Paulistas gekränkt, wenn sie die Beschreibungen des Teams auf die
ethnische Zusammensetzung »reduziert« sahen. Insgesamt war aber die
ethnische Identität eine wichtige Komponente des Gesamtbildes, das die
Paulistas vermittelten, und die Reaktionen hierauf sehr sensibel.
Noch im Januar 1925 hatte die brasilianische Presse die Reisen
südamerikanischer Fußballklubs nach Europa als Durchbrechung der im
Fußball existierenden Dominanz »weißer« Männer gelobt.183Das uruguayi-
sche Team habe 1924 die Vorstellung vom Fußball als einem von »Wei-
ßen« dominierten Sport abgelöst, vor allem durch die Afro-Uruguayer José
Leandro Andrade und Ángel Romano, die in Europa zu international
gefeierten Fußballstars wurden.184Auch in Brasilien waren afro-amerika-
nische Spieler schon seit 1919, als das
Campeonato Sul-Americano
in Rio
de Janeiro stattfand, internationale Berühmtheiten.185Mit ihnen identifizier-
ten sich vor allen Dingen Menschen aus unterprivilegierten sozialen
183
Pongetti, Henrique, »Futebol. O Governo e o Esporte. As virtudes do futebol para
uso externo - Os Paulistas são os eternos offuscadores de nosso brilho internacional«,
Nachdruck aus
Diario da Bahia
,
A Gazeta
, 9.1.1925.
184
Unterdessen wurde zum Beispiel in der argentinischen Sportpresse in dieser Zeit,
in Lateinamerikas größter Sportzeitung »El Gráfico«, daran gezweifelt, ob Andrade
tatsächlich auf Grundlage seines fußballerischen Talentes zu dieser Berühmtheit gewor-
den sei und nicht eben gerade wegen seiner Hautfarbe und den dadurch ausgelösten
Exotismus, Vgl. »El olimpico Leandro Andrade, de maravilla negra a profesor de
fútbol«,
El Gráfico
, Nr. 499, 26.1.1929, FFC.
185
Vgl. ein Interview mit dem Spieler Ángel Romano: »Commentario geral sobre o
Grande Encontro Chilenos Brasileiros«,
A Gazeta
, 12.5.1919. Romano wurde schon
1917 in Rio de Janeiro und São Paulo bei seinem Auftritt mit dem uruguayischen Klub
Dublin F.C. berühmt: Vgl. »Gazeta dos Sports. Football. Os combinados brasileiro e
uruguay empataram por 0x0. Ferreira e Romano acclamados pela multidão«,
Gazeta deNotícias
, 8.1.1917.
287Nation
287
Schichten und afrikanischer Herkunft grenzüberschreitend und damit trans-
national, so 1919 zum Beispiel mit dem afro-uruguayischen Spieler
Gradín.186
Wie sensibel dieses Thema ethnischer Repräsentation aufgefasst und
behandelt wurde, zeigt eine Begebenheit einige Jahre später. Andrade sollte
1925 erneut mit dem uruguayischen Klub Nacional nach Europa reisen. Die
argentinische Presse meldete, der uruguayische Klub Nacional habe wegen
seiner Hautfarbe davon absehen wollen, Andrade für die Reise aufzu-
stellen. Nur durch Intervention des die Reise finanzierenden Unternehmers
San Martín sei er schließlich doch noch aufgestellt worden, da Andrade ein
Publikumsmagnet sei.
A Gazeta
bemerkte kritisch, dass
Andrade […] nicht mit seinem Klub als Berühmtheit [fährt], sondern als
Lockvogel für schmutzige Gewinne der Unternehmer, welche einfach
nur das finanzielle Ergebnis der sportlichen Reise sehen und vergessen,
wie der Sport eigentlich betrieben werden sollte: Um seiner selbst wil-
len.187
Weiter urteilte die Zeitung, das »Rassenvorurteil hat im fraglichen Fall
weiterhin seinen wichtigen Anteil. Das Beispiel kommt jedoch aus dem
Norden.«188Als Beispiel aus dem Norden führte sie die USA an, dort
existiere ein falsches, doppelbödiges Demokratieverständnis, in Wahrheit
herrschten dort kolonialzeitliche Machtbeziehungen zwischen den
»Rassen«, wie sie in Brasilien längst überwunden seien. Gerade im brasili-
anischen Sport drücke sich dies aus, das sportliche Gleichheitsprinzip
werde hier nicht aufgebrochen durch Ungleichheitsbeziehungen nach
»rassischen« Unterschieden und es stehe auch über kommerziellen Profit-
interessen: »Indem sie den Sport kaum für das monetäre Interesse betrei-
ben, vernachlässigen sie den Idealismus, der in ihm existiert wie in allen
politischen, sozialen Unternehmungen, ein Idealismus, der glücklicher-
weise in Brasilien immer essenziell und zutiefst human war.«189Die
uruguayischen Sportambitionen setzten die Brasilianer gleich mit einer
nordamerikanischen Profitgier.
Diese positive Abgrenzung eines humaneren Wertesystems gegenüber
dem utilitaristischen Nordamerika oder der gesamten angelsächsischen
186
P
EREIRA
,
Footballmania
, S. 172. Vgl. auch Kapitel 2.3 und 2.4 der vorliegenden
Arbeit.
187
»O Futebol e o Preconceito da Côr«,
A Gazeta
, 16.2.1925.
188
Ebd.
189
Ebd.
288
288
Nation
Welt war eine verbreitete Sichtweise in intellektuellen konservativen Krei-
sen Brasiliens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts.190Hier konstruierte die
brasilianische Sportpresse einen Rassismus nach Nützlichkeitserwägungen,
in dem sie den Nordamerikanern vorwarf, afro-amerikanische Sportler als
Gewinnbringer aufzustellen. Auch zeigt sich wieder, wie stark Sport zur
Vermittlung und Differenzierung von Werten genutzt wurde, die sich
schließlich in Sportlern materialisieren sollten. Dieser Vergleich ging ver-
mutlich weniger auf afro-amerikanische Fußballspieler als auf den Umgang
mit berühmten Sportlern anderer Sportarten in den USA zurück, denn US-
amerikanischer Fußball war in der Welt kaum präsent und auch kein
multi-ethnischer Sport.191Profi-Sportler, wie der Baseball-Spieler Babe
Ruth und der Zehn- und Fünfkämpfer, Baseball- und American Football-
Spieler Jim Thorpe, die in Brasilien in den 1920er-Jahren schon bekannt
geworden waren, führte die brasilianische Presse an anderer Stelle als
Exempel für einen US-amerikanischen sportlichen Utilitarismus an.192Mit
diesem Vergleich grenzten sich die Brasilianer positiv als »rassisch ge-
mischtes« Land von Ländern ab, in denen noch ein, hier als rückständig
dargestelltes,
preconceito de côr
die Machtbeziehungen zwischen den
»Rassen« dominiere und die nicht die aus Sicht der Brasilianer »positiven«
Wirkungen des
embranquecimento
kannten. Andrade fungierte als
Aushängeschild eines »Rassenschranken« überwindenden internationalen
Fußballs südamerikanischer Spielart, als dessen Avantgarde sich die Brasi-
lianer hier selbst definierten.
Die Selbstdarstellung als »rassisch gemischtes« Land ging trotzdem ein-
her mit im Kontext des Olympiaauftritts der Uruguayer und der Reise der
Paulistas von 1925 immer wieder auftauchenden »rassisch«-kulturellen
Zuweisungen und Darstellungen afro-brasilianischer und afro-amerikani-
scher Spieler. José Leandro Andrade zum Beispiel stellte der Journalist
190
Vgl. analog zur Wahrnehmung US-amerikanischer Profi-Sportler in Lateiname-
rika, hier in Chile, als Vertreter eines utilitaristischen Yankee-Lebensstils: RINKE,
Stefan,
Begegnungen mit dem Yankee: Nordamerikanisierung und soziokulturellerWandel in Chile (1898-1990)
, Köln u. a. 2004, S. 188-195. Für Perzeptionen der
»Yankee«-Kultur in Lateinamerika allgemein: DERS., Grenzwahrnehmungen – Grenz-
überschreitungen: Selbst- und Fremdbilder in der Geschichte der Beziehungen zwischen
den Amerikas, in: Marianne BRAIG(Hg.),
Grenzen der Macht
–
Macht der Grenzen:Lateinamerika im globalen Kontext
, Frankfurt am Main 2005, S. 207-238, hier 220-224;
Für den Fall Brasilien: Vgl. OLIVEIRA,
A questão nacional
, S. 105-109.
191
Vgl. zur Exzeptionalität der Entwicklung des Fußballs in den USA im globalen
Vergleich: Vgl. MARKOVITSu.a,
Offside
.
192
»Sports. E preciso ter habilidade para se tirar proveito financeiro dos sports«,
Gazeta de Noticias
, 3.12.1925.
289Nation
289
Thomaz Mazzoni noch im Sportalmanach von 1928 als »das schwarze
Wunder des Olympischen Turniers von Paris« in einer phänotypisch
überzeichnenden Karikatur als »Wundermenschen« dar, der mit sechs
Beinen spielte (Bild 13).
Bild 13: Darstellung des uruguayischen Fußballspielers José Leandro Andrade als
Wundermensch im Sportalmanach von Thomaz Mazzoni von 1928. Quelle: »Andrade.
A maravilha negra do torneio olympico de Paris«, in: Mazzoni, Almanaque
Esportivo, S. 37.
193
Das war eine sich in den 1920er-Jahren wiederholende rassistische Darstel-
lungsform »schwarzer« Sportler, die als Besitzer übernatürlicher und
animalischer Kräfte, ja, als nicht »der Norm« entsprechend überzeichnet
wurden. Derlei Analogien tauchten auch im Umfeld der Reise von 1925
und vor allem nach den fußballerischen Erfolgen des afro-brasilianischen
Spielers Arthur Friedenreich immer wieder auf.194Die französische Presse
ernannte Friedenreich zum »König des Fußballs«. Die Abbildung seines
Fußes in den Zeitungen und der wiederholte Verweis auf besondere kör-
perliche Merkmale, die in Verbindung zu einer angeblich biologisch-kultu-
rellen Disposition für sportliche Höchstleistungen gebracht wurden, sind in
193
»Andrade, das schwarze Wunder des olympischen Turniers von Paris«
194
Vgl. zu den Zuschreibungen: C
ARRINGTON
,
Race, Sport and Politics
, S. 76-82.
Vgl. auch die ausführlichere Analyse zu dem Verhältnis von »Rasse« und Sport in
Kapitel 2 der vorliegenden Arbeit.
290
290
Nation
demselben Kontext zu sehen. Bereitwillig nahm die brasilianische Presse
die Bezeichnung Friedenreichs als »Tigre« (Tiger) des Fußballs auf, in den
darauffolgenden Jahren erinnerte sie mit diesem Titel immer wieder an
ihn.195
Die Wahrnehmung auf französischer Seite war indes so: Französische
Journalisten berichteten begeistert von dem Spiel der brasilianischen
Mannschaft im März 1925 und verglichen sie in nahezu allen Artikeln mit
Uruguay während der Olympischen Spiele 1924 und mit dem ebenfalls
gerade durch Europa tourenden Klub Nacional. Maurice Pfefferkorn,
Journalist der französischen Sportzeitung »Echo des Sports«, wies Prado
Júnior auf eine besondere Erwartungshaltung der Franzosen hin, da der
Klub nicht nur gegen Frankreich, sondern gegen das Renommee der Uru-
guayer spielen würde. Auch die französische Presse betonte einen eigenen
brasilianischen Stil: »[D]ie Brasilianer sind zarter, gewandter und sie halten
sich weniger mit dem Ball auf als die Uruguayer. Ihre durchschnittliche
Statur ist erhabener als die ihrer südlichen Nachbarn, obwohl sie magerer
und rassischer sind.«196Der Autor verglich das Spiel der Brasilianer mit
einem Tanz, die Brasilianer spielten nicht geometrisch und mechanisch,
sehr gegensätzlich zum britischen Stil.197
Der renommierte Paulistaner Sportjournalist Américo Netto begleitete
die Reise und fasste die Unterschiede zwischen Brasilianern und Franzosen
im Fußball in einem umfassenden Bericht zusammen. Während er am An-
fang dieser Bewertung negativ über die Ausstattung französischer Fußball-
klubs und die Auswahlkriterien der Spieler berichtete, kam er später zu
dem Schluss, die Franzosen erlebten keinen Fortschritt im Fußball, denn sie
»ahmen zu sehr die Engländer nach in dem, was ihr Spiel an Offensicht-
lichstem und Verständlichstem zu bieten hat, ohne dabei aber die realen
Ziele und Prozesse zu durchschauen, die sie leiten.« Erst mit den uruguay-
ischen und brasilianischen Besuchen in Frankreich bemerkten sie, dass »es
ein anderes, dem britischen sogar gegensätzliches Spiel geben kann und das
mit Erfolg.«198Insbesondere durch die Dominanz des Rugby in Frankreich
würden die Franzosen zu brutal vorgehen, auch behauptete er, sie hätten
mehrmals die internationalen Regelvorgaben bei der Bemessung der Spiel-
195
Die Paulistas veranlasste dies dazu, ihm nach der Rückreise des Teams eine Statue
in Form eines Tigers zu überreichen.
196
»Os jornaes de Paris e os brasileiros«,
A Gazeta
, 2.4.1925.
197
Vgl. ebd.
198
»O Futeból Francez e o Brazileiro. As differenças mais accentuadas«,
AlbumHomenagem ao glorioso Club-Athletico Paulistano
, in: Album »Excursão à Europa«,
Vol. II, 1925, CAP.
291Nation
291
felder falsch ausgelegt. Auch körperlich stünden die französischen Spieler
den brasilianischen nach und das sei auch auf ethnische Gründe
zurückzuführen:
Ein bisschen wegen der Auswahl und ein wenig auch wegen der Frage
der Rasse, sind die französischen Spieler weniger schnell als die brasili-
anischen. Außer dass sie nicht so schnell sind, fehlt ihnen auch noch die
Leichtigkeit zu ›improvisieren‹, in Momenten überraschende Kombina-
tionen zu arrangieren.199
All diese Aussagen schreiben einen brasilianischen Fußballstil fest, der sich
auf die ethnische Zusammensetzung des Klubs und der brasilianischen
Bevölkerung insgesamt zurückführen ließe.
Trotzdem war den Paulistas letztlich daran gelegen, den Eindruck eines
»weißen« Brasiliens zu vermitteln – die Berichte der Franzosen über die
multiethnische Zusammensetzung der Mannschaft bewerteten sie negativ;
auch die Aufregung der heimischen Presse über einen im Fußball geäußer-
ten Rassismus in Uruguay trat hier völlig in den Hintergrund. Die französi-
sche Presse berichtete, das Paulistaner Team habe
in seinen Reihen Mulatten und Mestizen. Es gibt eine Mischung der selt-
samsten Rassen: So ist der Mittelstürmer Arthur Fridenreich [sic!] Sohn
eines Deutschen und einer Negerin! Er ist übrigens der beste Spieler der
Mannschaft. Lopés ist ein indianischer Mestize. Man hat ihm den Spitz-
namen Guarang gegeben, was der Name eines autochthonen Stammes
ist.200
Die Darstellung eines multiethnischen Brasiliens und eines Fußballteams
bestehend aus »mulatos e mestiços«, dessen Spieler Äthiopiern ähnelten,
wie die französische Presse an anderer Stelle berichtete, war nicht er-
wünscht. Das zeigen die empörten Repliken auf Berichte, die den brasilia-
nischen Stil als übernatürlich beschrieben und in denen die französische
Presse den Sieg als Resultat der Anwendung von ein wenig »feitiçaria«
(»Zauberei«) darstellte.201Eine Zeitung fragte, ob
199
Ebd.
200
G. De Lafreté, »L'équipe brésilienne rencontrera demain à Buffalo l'équipe
francaise«, 14.3.1925,
Echo des Paris
, in: Album »Excursão à Europa«, Vol. II, 1925,
CAP.
201
Cleo de Galsán, »Os jornaes de Paris e os brasileiros. Um termo de Comparação -
Porque os Brasileiros estão em Paris - Mulatos e Mestiços - Canções nostálgicas -
Outras Notas«,
A Gazeta
, 2.4.1925; »Abalisões opiniadas (Dos criticos parisienses)«,
D. Quixote
, 13.5.1925, in: Album 1925, Vol I, CAP.
292
292
Nation
die Franzosen, nachdem sie uns als Mestizen einschätzen, auch glauben
machen wollen, unsere Spieler seien ›Götzenpriester?…‹ Oder ist es ein-
fach nur die fehlende Gewohnheit der sportlichen und sozialen Höflich-
keit, die sich hier bei den erz-zivilisierten Völkern aus der Heimat von
Landrú bemerkbar macht?
202
Aus dieser Replik sprach die Einschätzung einer eigenen »zivilisatori-
schen« Überlegenheit, da die Brasilianer den Fußball besser beherrschten
und auch Werte wie Höflichkeit und Fairness besaßen. Aus diesem Grund
folgte hier auch die Erinnerung an den Pariser Massenmörder Landrú aus
der Zeit des Ersten Weltkrieges.203Auch zeigt sich erneut der Wunsch der
Paulistas, aufzuschließen zu einer »transnationalen Sportgemeinschaft« als
einer modernen Wertegemeinschaft und eine Angst, aus diesem erlesenen
Kreis ausgegrenzt zu werden. Zugleich stellt aber die Reise der Paulistas
einen Versuch dar, diesen Kreis zu erweitern und seine Grenzen aufzulo-
ckern mit Körperbildern und Spielstilen, die als anders und neu wahrge-
nommen wurden.
Auf den ersten Blick erscheint es widersprüchlich, dass die Paulistas
zum einen als »weiß« erscheinen wollten, wenn sie zum anderen über den
Fußballstil auf eine eigene kulturelle Identität rekurrierten, die im Grunde
Bezug nahm auf multiethnische Einflüsse. Bei einer genaueren Analyse ist
jedoch erkennbar, dass die Paulistas Multiethnizität in den Vordergrund
stellten, wenn ihre fußballerische Stärke und Überlegenheit dargestellt
werden sollte. Äußerte sich andersherum die französische Presse abfällig
und rassistisch über die »Rassenmischung« in der Paulistaner Mannschaft,
dann reagierten die Paulistas sensibel und empfanden die Darstellung als
Beleidigung. Sie versuchten dann sogar mit einer ähnlichen Argumenta-
tionslogik den »Zivilisationsstandard« der Franzosen in Frage zu stellen.
Das Gefühl einer kulturellen Überlegenheit stellte sich vor allem erst ein,
als Erfolge eintraten, die die Franzosen anerkannten.
202
»Abalisões opiniadas (Dos criticos parisienses)«,
D. Quixote
, 13.5.1925.
203
Der Autor dieses Artikels bezog sich auf Landrú, einen Massenmörder, der zur
Zeit des Ersten Weltkriegs in Paris sein Unwesen trieb. Auf diese Weise hinterfragte er
den Zivilisationsstand der Franzosen und erwiderte die Kritik mit einem ähnlichen
Argument.
293Nation
293
Bild 14: Multiethnizität auf beiden Seiten des Atlantiks: Die brasilianische Presse zeigte
sich belustigt, dass die Franzosen drei nordafrikanische Spieler einsetzte, um gegen die
brasilianische Mannschaft anzutreten. Quelle: »Como na Grande Guerra. Para suntar a
marcha triumphal do Paulistano na Europa, será preciso appellar para as colonias«,
A Gazeta
, 17.4.1925.
204
Hier setzte auch der Verweis der Paulistaner Sportpresse an, auch die fran-
zösische Nationalmannschaft, die gegen Brasilien spielte, sei multiethnisch
zusammengesetzt. Die Franzosen hatten im Spiel drei Algerier eingesetzt,
einer von ihnen, Manzanerès, machte die französische Presse später als
Sündenbock für die Niederlage aus.205Die Paulistaner Presse stichelte, die
Franzosen müssten auf ihre Kolonien zurückgreifen, um gegen die starken
Brasilianer anzutreten (Vgl. Bild 14).206
Die Formulierung nationaler brasilianischer Identität durch die Paulistas,
die in Folge dieses Fußballkontaktes eintrat, wurde also immer noch inner-
halb des von Europa vorgegebenen universalistischen Werterahmens von
204
»Wie im Weltkrieg. Um den Triumphmarsch des Paulistano in Europa aufzu-
halten, wird es notwendig sein, die Kolonien anzurufen.«
205
Vgl. Pfefferkorn, Maurice, »Commentaire sur la guerre des goals«,
Echo desSports
, 17.3.1925, in: Album »Excursão à Europa«, Vol. II, 1925, CAP. Auch die
brasilianische Sportpresse übernahm diese Darstellung und bezeichnete Manzanerès
ausdrücklich als »Sündenbock« für die Niederlage des französischen Teams: »O
›Paulistano‹ no Estadio de Buffalo (Paris), em 15-3-1925 - 7 a 2«,
São Paulo Sportivo,Edição Extra Illustrada
, April 1925, in: Album »Excursão à Europa«, Vol. II, 1925,
CAP.
206
»Como na Grande Guerra«,
A Gazeta
, 17.4.1925.
294
294
Nation
»Zivilisation« formuliert. Zugleich jedoch äußerten sich auch Zweifel an
diesen Vorgaben und an dem Zivilisationsanspruch der Europäer. Dennoch
wollten die Paulistas sich weiterhin an Europa über europäische Maßstäbe
messen.
In den letzten Jahren hat es erste, noch diffuse Ansätze zu einer Erfor-
schung von anti-imperialistischen Gruppierungen von Lateinamerikanern
im Paris der Zwischenkriegszeit gegeben, die sich hier im Exil zusammen-
fanden und von hier aus auch nationale Identitätsentwürfe formulierten, die
sie ethnisch-kulturell begründeten.207Auch Studien zur Reise von afro-
brasilianischen Musikern, wie der Samba-Gruppe
Oito Batutas
, in den
1920er-Jahren, belegen die Bedeutung transnationaler Kontakte und
Bezugnahmen für die Aushandlung »rassischer« und nationaler Identität.208
Es ist nicht erwiesen oder nachweisbar, dass die Mitglieder der Paulistaner
Delegation zu diesen Gruppen in Verbindung standen und hier ein Aus-
tausch stattfand oder dass dieser Personenkreis auf die Fußballerfolge der
Brasilianer Bezug nahm.209Trotzdem lässt sich die Reise des Klub
Paulistano hier einordnen. Der transatlantische Dialog, den brasilianische
mit französischen Sportlern über Ethnizität, nationale Identität und kulturell
spezifische Fußballstile führten, war ein bedeutender Beitrag für eine späte-
re selbstbewusstere Abgrenzung brasilianischer Eliten von Europa. Der
Fußball spielte hier eine herausragende Rolle, da er, mehr noch als Musik,
populär war und sich mit ihm identitäre Vorstellungen breit vermitteln
ließen. Der Autor Fradique Mendes beispielsweise schätzte in
A Gazeta
die
Reise als »sehr viel effizienter als andere Propagandaformen« ein, gerade
207
Vgl. A
RRIOLA
, Arturo Taracena, Latin Americans in Paris in the 1920s: The Anti-
Imperialist Struggle of the General Association of Latin American Students, 1925-1933,
in: Ingrid Elizabeth FEY/ Karen RACINE(Hg.),
Strange Pilgrimages: Exile, Travel, andNational Identity in Latin America, 1800-1990s
, Wilmington, Del. 2000, S. 131-146.
208
Vgl. S
EIGEL
,
Uneven Encounters
; S
HAW
, Lisa, Afro-Brazilian Popular Culture in
Paris in 1922: Transatlantic Dialogues and the Racialized Performance of Brazilian
National Identity, in:
Atlantic Studies: Literary, Cultural and Historical Perspectives
8,
2011, Nr. 4, S. 393-409. Ich danke Michael Goebel für den Hinweis auf Shaws Aufsatz.
209
In den Zeitungen in Paris wurde Notiz von einem Essen der Paulistaner Kolonie in
Paris zu Ehren Prados genommen, zu dem der brasilianische Botschafter Souza Dantas
eingeladen und an dem unter anderem Oswald de Andrade teilgenommen hatte, vgl.
Ohne Titel,
Excelsior
, 9.3.1925, in: Album »Excursão à Europa«, Vol. II, 1925, CAP.
Oswald de Andrade war nur einer von mehreren brasilianischen Intellektuellen und
Kulturschaffenden, die sich in den 1920er-Jahren in Paris aufhielten, das in dieser Zeit
zu einem transnationalen Treffpunkt von Anhängern der brasilianischen Moderne-
Bewegung geworden war: Vgl. SEIGEL,
Uneven Encounters
, S. 113. Siehe auch:
FERREIRA, Antonio Celso,
Um eldorado errante: São Paulo na ficção histórica deOswald de Andrade
, São Paulo 1996.
295Nation
295
Arthur Friedenreich habe Brasilien besser vertreten als alle kulturellen
Botschafter Brasiliens zuvor, als Santos Dumont, der Diplomat Ruy
Barbosa, der Maxixe-Tänzer Duque und der Komponist Heitor Villa
Lobos.210Ihm zufolge vermittelten populärkulturelle Phänomene – der Tanz
und der Fußball – viel eher einen Eindruck von Brasilien als die Vor-
führung geistiger oder technologischer Errungenschaften. Auch durch diese
Aussagen wurde der Fußball als körperliche Aktivität als »typisch«
brasilianisch verortet und nicht mehr in direkter Weise aus seiner europäi-
schen Herkunft erklärt.
Nicht nur wegen der multiethnischen Teilnahme afro-brasilianischer und
nordafrikanischer Spieler wurden die Spiele in Europa zu Schauplätzen
identitärer Aushandlungen. Schon vor den ersten Spielen in Frankreich, die
die Europa-Tournee des Paulistano einleiteten, hatte es die Ankündigung in
der französischen und brasilianischen Presse gegeben, der französische
Fußballverband wolle eine »coupe des pays latins« organisieren, der
Auswahlmannschaften Frankreichs, Italiens, Spaniens und der Länder
Argentinien, Brasilien und Uruguay, aus denen sich jeweils ein Klub auf
Tournee in Europa befand, zusammenbrachte. Dieser Pokalwettbewerb
kam zwar letztlich nicht zustande, doch in diesem Zusammenhang äußerten
sich die französische und die brasilianische Presse über das Identitätskon-
zept der
Latinité
und daraus abzuleitenden Gemeinsamkeiten zwischen
Franzosen und Brasilianern. So erhoffte sich der französische Journalist
Maurice Pfefferkorn durch ihn eine Kenntnis des »Wert[es] des Fußballs
aus Ländern lateinischen Blutes«.211Der Pokalwettbewerb sei zwar nicht
von derselben hohen Bedeutung wie die Olympischen Spiele, allerdings
fänden sich hier Länder zusammen, die einen ethnisch-kulturell gemeinsa-
men Ursprung hätten. Die Organisation eines solchen Wettbewerbs und die
Erkenntnis über die Existenz eines lateinischen Fußballstils zeige, so
Pfefferkorn, dass die universellen Fußballregeln regionale und kulturelle
Unterschiede keineswegs einebneten, also nicht automatisch eine unifor-
210
Mendes, Fradique, »De Santos Dumont a Friedenreich«,
A Gazeta
, 22.5.1925.
Einige südamerikanische Fußballer blieben nach den Reisen in den 1920er-Jahren in
Paris, um hier zum Beispiel Teil einer transnationalen Musikbewegung zu werden, die
später Einfluss auf die Konstruktion nationaler Musikstile wie des Samba hatte: Vgl.
LANFRANCHIu.a.,
Moving with the Ball
, S. 1-6 und 69; SEIGEL,
Uneven Encounters
,
S. 67-136. Heute ist Fußball unbestritten eine Möglichkeit, ethnische Identität transna-
tional zu verhandeln, siehe beispielsweise: KUMMELS, Ingrid, Adíos soccer, here comes
fútbol!: La transnacionalización de comunidades deportivas mexicanas en los Estados
Unidos, in:
Iberoamericana
7, 2007, Nr. 27, S. 101-116
211
Pfefferkorn, Maurice, »La Coupe de football des Pays latins«,
Echo des Sports
,
18.3.1925, in: Album »Excursão à Europa«, Vol. II, 1925, CAP.
296
296
Nation
mierende Wirkung hätten: »Es ist nicht logisch zu behaupten, dass der
Fußball insoweit eine Disziplin ist, als dass er Personen gegensätzlichster
Schattierungen dazu zwingt, sich an seine Regeln zu halten.« Hingegen, so
Pfefferkorn, sei »[d]er Charakter der Völker […] derart betont, dass man
nicht davon ausgehen kann, dass er der Art und Weise, in der dieser Sport
ausgeübt wird, nicht eine besondere Prägung verleihe.« Vielmehr sei der
lateinische Fußball selbst voller Nuancen.212
Pfefferkorn hielt die Entwicklung spezifischer Stile entlang kulturell-
ethnischer und klimatischer Grenzen für möglich. Er schlug deshalb vor,
die geplante »coupe des pays latins« dazu zu nutzen, Aufschluss über diese
Stile zu gewinnen:
Ein Wettkampf, der es uns möglich macht, seine großen Linien aufzu-
zeigen im Vergleich zum britischen, skandinavischen oder
mitteleuropäischen Fußball, verdient daher die Aufmerksamkeit der
Sportler auf Grund seines philosophischen Charakters. Beim derzeitigen
Organisationszustand des internationalen Fußballs ist es unmöglich, eine
jährliche Weltmeisterschaft in diesem Sport zu haben. Die Olympischen
Spiele gestatten uns nur alle vier Jahre, diesen Meister zu ermitteln. Und
wir sehen keinen Weg, dies zu ändern, solange die Luftfahrt die
Entfernungen nicht erheblich reduziert hat und zur allgemeinen Ge-
wohnheit geworden sein wird.213
Ein Pokalwettbewerb der romanischen Völker könne zeigen, wie sich diese
Stile voneinander unterscheiden. Pfefferkorn sah darin sogar eine philoso-
phische Frage, da es um kulturell-ethnische Spezifitäten und Differenzie-
rungen gehe, die zu dieser Zeit vorerst nur auf dem Level kleinerer
Organisationseinheiten geprüft werden könnten mangels eines universalen
internationalen Wettbewerbs, für den gerade französische Sportpolitiker
schon eintraten, namentlich Jules Rimet und Henri Delaunay.214Diskussio-
nen um die Existenz eines spezifisch lateinischen Spielstils hatte in Frank-
reich schon der Sieg der Uruguayer bei den Olympischen Spielen 1924
ausgelöst, diese Diskussionen wurden in Brasilien reflektiert. So hatte Ende
1924 der ehemalige Trainer der französischen Nationalmannschaft, Lucien
Gamblin, das uruguayische Spiel mit dem französischen verglichen und
war zu dem Schluss gekommen, dass »die spezielle Methode, die nur den
212
Ebd.
213
Pfefferkorn, Maurice, »La Coupe de football des Pays latins«.
214
Zu den Vorhaben Rimets und Delaunays, einen universalen Wettbewerb
einzurichten: Vgl. EISENBERGu.a. (Hg.),
FIFA 1904-2004
.
297Nation
297
lateinischen Rassen zu eigen ist, von zwei Ländern praktiziert wurde, die
wenige Beziehungen mit diesen Rassen aufweisen. Ich möchte von der
Schweiz und Holland sprechen.«215Während Gamblin also 1924 keine nach
kulturell oder ethnischen Grenzen unterscheidbare Spielstile erkennen
wollte, änderte sich diese Einschätzung durch das Kennenlernen auch des
argentinischen und brasilianischen Fußballs.
Beide Autoren bezogen Brasilien in ein französisches Konzept einer
Latinité
mit ein, begründet war dies 1924 noch damit, dass die Uruguayer
»Nachkommen von Spaniern, Italienern und einigen Franzosen« seien. Im
Falle des brasilianischen Teams jedoch, das die Presse zugleich als
multiethnisch mit afro-brasilianischen und indigenen Spielern wahrnahm,
lag die Einbeziehung in dieses Konzept vermutlich eher daran, dass sich
die Brasilianer elegant kleideten, vorbildlich verhielten und auf dem Feld
als »wohlerzogene Sportler und außerdem [als] perfekte ›gentlemen‹«
galten.216Auf außerhalb der Spielfelder stattfindenden Treffen zwischen
den Klubvertretern und brasilianischen und französischen diplomatischen
Persönlichkeiten stellte man die jahrzehntelangen kulturpolitischen Bezie-
hungen zwischen Brasilien und Frankreich in den Vordergrund und betonte
die allgemeine Affinität der Brasilianer zu französischer Kultur und Spra-
che.217
Die positive Konstruktion einer lateinischen Ethnizität, in die Südameri-
kaner mit einbezogen werden konnten, hatte also einerseits mit ihrer Ein-
wanderungsgeschichte zu tun, andererseits damit, dass sie Fußball spielten
und so ein als europäische »Erfindung« geltendes Kulturgut in Perfektion
ausübten.218Wie sehr Letzteres das Bild der Franzosen von Südamerika
215
Cleo de Galsan, »A supremacia do ataque. O pretenso Futebol latino… Jogamos
a’escosseza«,
A Gazeta
, 23.12.1924.
216
»E’cos do Paulistano na Europa. Os esportistas brasileiros segundo um grande
medico francez. De uma carta de Junqueira«,
A Gazeta
, 9.6.1925, S. 4.
217
»Après le triomphant Uruguay voici le prestigieux Brésil!«, Titel der Zeitung
unbekannt, genaues Datum unbekannt; Mathey, Max, »Football. Le match France-
Bresil«,
Paris Soir
, 14.3.1925. Beide in: Album »Excursão à Europa«, Vol. II, 1925,
CAP.
218
Der Begriff der
Latinité
im europäisch-lateinamerikanischen Zusammenhang ist
keineswegs neu und so scheint seine Verwendung in Verbindung mit dieser Reise auf
den ersten Blick wenig überraschend. Die Konstruktion eines »lateinischen« Amerika
südlich von und in Abgrenzung zu Nordamerika sowie insgesamt gegen eine
angenommene globale »angelsächsische« Dominanz stammte aus außenpolitischen
Konzepten unter Napoleon III. und wurde später auch in Südamerika selbst gegen eine
Dominanz Nordamerikas im Falle der Intervention in Mexiko verwendet, wie der
Historiker Frank Ibold darlegt. Während der Begriff jedoch in Südamerika weiterhin
Auftrieb gehabt habe und positiv konnotiert gewesen sei, geschah in Frankreich nach
298
298
Nation
beeinflussen konnte, zeigt auch eine Einschätzung des französischen Au-
tors Maurice de Waleffe. Er betonte, der Sieg Brasiliens habe »unsere
Konzeption von Südamerika verändert, wo faule Pflanzer, in einer von
einer ›negresse‹ geschaukelten Hängematte träge im Schatten der Palmen
liegen und rauchen.« Auch betonte er den Gegensatz der brasilianischen zu
den nord- und mitteleuropäischen Spielern, indem er angenommene lateini-
sche Eigenschaften kulturell und ethnisch essenzialisierte:
Es reicht, den Kontrast einer Mannschaft aus Skandinavien oder Eng-
lands zu evozieren, um zu fühlen, dass die Latinität kein Traum ist. […]
Sie [die Paulistaner Spieler] sind Athleten, aber lateinische Athleten,
also hitzköpfig. So dass die Spiele zwischen São Paulo und Rio
unterbrochen werden müssen, derart ist die Leidenschaft, die Spieler und
Zuschauer haben und die fast zu kleinen Bürgerkriegen führt.
219
Dabei fasste er Argentinien, Chile, Uruguay und Südbrasilien als eine Re-
gion zusammen und grenzte sie von den restlichen Ländern und Regionen
Lateinamerikas ab, darunter auch Nordbrasilien:
Aber mit Uruguay, Argentinien und Chile ist der Wetteifer konstant.
Diese drei Länder und der Süden Brasiliens bilden zusammen das, was
man das kalte Amerika nennen kann, wo sich das Boxen und der Fuß-
ball, männliche Sportarten, zu den Sportarten des heißen Amerikas ge-
sellen, die der Tanz und die Liebe sind.220
Die Einordnung Südamerikas und Brasiliens in ein europäische und süd-
amerikanische Länder umfassendes Konzept der
Latinité
zeigt, dass
Fußballbegegnungen identitäre Differenzierungen und Konzepte hervorrie-
fen, die sich nicht allein nach nationaler Zugehörigkeit richteten. Hier lagen
sie in der Herstellung einer Gemeinsamkeit einer lateinischen Herkunft, mit
der zugleich eine Abgrenzung gegen eine angelsächsische und mittelameri-
1870/71 das Gegenteil und
Latinité
sei mit Dekadenz und Schwäche in Verbindung
gebracht und fortan nur noch kulturell, jedoch nicht mehr politisch verwendet worden.
Die Assoziierung mit Europa und die Gleichsetzung über gemeinsame Werte sei aber
weiterhin beibehalten worden: IBOLD, Frank, Die Erfindung Lateinamerikas: Die Idee
der
Latinité
im Frankreich des 19. Jahrhunderts und ihre Auswirkungen auf die Eigen-
wahrnehmung des südlichen Amerika, in: Hans-Joachim KÖNIG/Stefan RINKE(Hg.),
Transatlantische Perzeptionen. Lateinamerika – USA – Europa in Geschichte undGegenwart
, Stuttgart 1998, S. 77-98, hier 82-97. Siehe auch: MIGNOLO, Walter D.,
TheIdea of Latin America
, Oxford 2005.
219
Waleffe, Maurice de, »L'Amerique Chaude et Froide«,
Paris-Midi
, 18.3.1925, in:
Album »Excursão à Europa«, Vol. II, 1925, CAP.
220
Ebd.
299Nation
299
kanische Ethnizität vorgenommen wurde. Das obige Zitat macht auch
deutlich, wie stark sich Vorstellungen von identitärer Zugehörigkeit durch
neue Formen des Austausches, wie hier des Fußballs, in einem transnatio-
nalen Raum verändern, aber auch manifestieren konnten.
Es spielt eine bedeutende Rolle, dass dies über den Fußball geschah, eine
körperliche Praxis, die diese identitären Erfindungen und Konstruktionen
erst materialisierte. Insofern erfüllte sich die Erwartung der Brasilianer, der
Austausch über den Fußball und vor allem seine Repräsentation wirke
besser als zum Beispiel traditionelle diplomatische Beziehungen oder die
Reisen Einzelner. Fußball wurde hier als Instrument zur »Zivilisierung«
vorgestellt, durch das die Paulistas ihre koloniale Rückständigkeit über-
wunden und sich modernisiert hätten.
Darüber hinaus zollte die Abgrenzung eines lateinischen Fußballraumes
bzw. lateinischer Fußballnationen auch den sportpolitischen Entwicklungen
der Zwischenkriegszeit in Europa Rechnung, allen voran der britischen
»splendid isolation«, die in den 1920er-Jahren begonnen hatte und bis 1930
dauerte und genau mit der Zeit zusammenfiel, als sowohl südamerikanische
Teams als auch spanische und mitteleuropäische Fußballmannschaften
äußerst erfolgreich waren.221Die englische FA verlor in sportpolitischer
Hinsicht durch die Popularisierung des Fußballs seit dem Ersten Weltkrieg
und durch die Konkurrenzsituation mit der FIFA, die immer mehr Mitglie-
der gewann, zunehmend an Deutungshoheit über den internationalen Fuß-
ball. Ein Umstand, der zusammen mit Auseinandersetzungen zwischen den
Siegermächten des Ersten Weltkrieges und den neutralen Staaten über die
Behandlung der Mittelmächte im internationalen Spielverkehr zu
mehrmaligen Austritten der Briten aus der FIFA und einer Isolationshal-
tung führten.222Die Erfolge der Fußballer aus anderen Teilen Europas und
der Welt zeigten, dass sich dieser Sport zunehmend unabhängig von briti-
schen Vorgaben und Vorbildern auf der Grundlage eigener Stile und Inter-
pretationen des Spiels entwickelte.
Das Identitätskonzept der
Latinité
war eine Abgrenzung zu einem
angelsächsischen Spielstil. Die Franzosen versuchten, sich auf diesem Weg
den sportlich erfolgreichen Lateinamerikanern gleichzustellen. Tatsächlich
dienten die Reisen der drei südamerikanischen Mannschaften nach Europa
den Europäern, insbesondere den Franzosen, als Lehrstunde, sie erwarteten,
221
Vgl. L
ANFRANCHI
u.a.,
Moving with the Ball,
S. 69-71; G
IULIANOTTI
, Richard,
Football: A Sociology of the Global Game
, Cambridge 1999, S. 24 ff.
222
Vgl. als Überblick über diese Zeit: E
ISENBERG
u.a. (Hg.),
FIFA 1904-2004
,
S. 66-74; Ausführlicher: Vgl. BECK,
Scoring for Britain
.
300
300
Nation
dass »sie uns gute Lektionen geben sollen, von denen wir in absehbarer
Zeit profitieren wollen, damit wir in einem Zustand sind, um Turin am 22.
März zu besiegen […].«223Die Verwendung des Begriffes der
Latinité
in
diesem Kontext weist also eine neue und überraschende Komponente auf,
da nun nicht mehr von Südamerikanern eine Identifikation mit Frankreich
gesucht wird, sondern umgekehrt von den Franzosen mit den Südamerika-
nern.
4.2.2. Interessen im Spiel
An die Fußballbegegnung waren nicht nur rein sportliche Interessen ge-
knüpft. Wie oben gezeigt wurde, ging es darüber hinaus um die Verhand-
lung von Identitätskonzepten und die Repräsentation eines »zivilisierten«
und entwickelten Brasiliens. Die Paulistaner Reisedelegation sah sich als
rechtmäßiger Vertreter der Entwicklung Brasiliens im Bereich des Sports
und wollte offenkundig für diese Rolle auch in Brasilien anerkannt werden.
Dabei kehrte sie Merkmale Paulistaner Identität in den Vordergrund, die
zugleich für ganz Brasilien und mithin für eine nationale Identität stehen
sollten. Brasilien sollte kulturell und wirtschaftlich mit Europa gleichauf
sein und über eine gesunde, trainierte Jugend verfügen, über die alle diese
Werte körperlich ausgedrückt werden konnten. Zu der umfassenderen
Repräsentation einer nationalen Identität mit Paulistaner Anstrich passte
auch, dass der »Vorstand des Club Athletico Paulistano dafür gesorgt hat,
einen Propagandaservice einzurichten für diese Institution und für die
sportliche Entwicklung des Staates und Brasiliens«, wie ein Journalist von
O Estado de São Paulo
enthusiastisch über die von der lokalen Sportpresse
eng begleiteten Reisevorbereitungen berichtete. Er schrieb, dass als
Ergänzung zu dieser Arbeit […] auch ein Propagandaservice unserer
sozialen und ökonomischen Entwicklung eingerichtet [wurde], um den
brasilianischen Fortschritt in verschiedenen Aktivitätszweigen vorzufüh-
ren. Das war eine exzellente Idee, die der Exkursion des Paulistano ei-
nen patriotischen Wert verleiht. Diese Arbeit besteht nicht nur aus einer
großen Anzahl von Fotografien, Handzetteln in Französisch und
Englisch, die durch das Landwirtschaftsministerium bereitgestellt wur-
223
»Os brasileiros em Paris. Um treino inesperado do Paulistano com os uruguayos.
A decadencia do futebol na França«,
A Gazeta
, 5.3.1925. Vgl. auch zur Überlegenheit
der Brasilianer: »Os Sul-Americanos na Europa. Opinião de um famoso jogador
hespanhol«,
A Gazeta
, 4.3.1925.
301Nation
301
den, sondern auch aus circa 10.000 Metern Film von den Einrichtungen
des Klubs, der Stadt São Paulo und verschiedenen Orten Brasiliens.224
Auch die Reisedelegation des Klubs selbst sollte São Paulo als aufsteigen-
des Wirtschaftszentrum Brasiliens vorstellen und tatsächlich setzte sie sich
zu einem großen Teil aus Unternehmern, Studenten und Ausübenden freier
Berufe zusammen – Angehörige einer Wirtschafts- und Bildungselite.225
Neben dem Leiter und Financier der Reise, Antônio Prado Júnior,
Geschäftsführer mehrerer von seinem Vater Antônio Prado gegründeter
kapitalkräftiger Wirtschaftsunternehmen (darunter die Pacheco Chaves
Company) und einer der größten Kaffeepflanzer des Bundesstaates São
Paulo, waren unter den Reisenden auch der Industrielle Julio Kuntz Filho,
der Aluminiumerzeugnisse vertrieb, und der Kaffeepflanzer und -händler
Clodoaldo Caldeira. Weiterhin mehrere Studenten klassischer liberaler
Fächer, wie die Studenten des Mackenzie College Araken Patuska und Luiz
Lopes de Andrade und die Jurastudenten J. Seabra und Ernesto Pujol Filho.
Auch gehörten Angestellte zu den Reisenden, so zum Beispiel der
Bankmitarbeiter Mario Andrada e Silva, der Ford-Angestellte Mauricio
Vilela und der Angestellte des Agrarministeriums Epaminondas Motta,
dessen Mitreise sicherlich verantwortlich dafür war, dass Werbematerial
des Agrarministeriums mitgenommen wurde. Auch den afro-brasiliani-
schen Spieler Arthur Friedenreich gab man als Mitarbeiter des
Innenministeriums São Paulos aus, doch ist fraglich, inwieweit er tatsäch-
lich diesen Beruf in Vollzeit ausübte und nicht in Wahrheit ein Fußballprofi
war.226Dass die Spieler ihre beruflichen Verpflichtungen eine so lange Zeit
ruhen lassen konnten, lag zum einen an dem Prestige des Elite-Klubs und
des Unternehmens, das es ihnen erlaubte, die Reise vor den Arbeitgebern
zu rechtfertigen; zum anderen daran, dass sie privat die finanziellen Mittel
besaßen, um eine mehrwöchige Überseereise in Kauf nehmen zu können.
Wenige Tage nach dem erfolgreichen Beginn der Reise fasste
A Gazeta
die mit dem Aufenthalt in Europa verbundenen diplomatischen Aufträge in
einer Karikatur zusammen (Bild 15). Sie macht deutlich, wie stark die
Reise mit aktuellen wirtschaftspolitischen Belangen in Zusammenhang
gebracht wurde. Sie habe dazu gedient, für Brasilien als Exportland für
Kaffee und Gummi zu werben; sie sei womöglich auch genutzt worden, um
224
»Excursão do C. A. Paulistano á Europa - ultimos preparativos - organisação de
uma propaganda patriotica - outras notas«, 8.2.1925,
OESP
, in: Album 1925, Vol. I,
CAP.
225
Vgl. ebd.
226
Vgl. Kapitel 2.4 der vorliegenden Arbeit.
302
302
Nation
in Europa neue Kredite für die Finanzierung von Brasiliens Kaffeevalori-
sierungsprogramm auszuhandeln. Entsprechend beendete der Karikaturist
die Reihe mit dem brasilianischen Botschafter Souza Dantas, der Frank-
reich mit gepackten Koffern verlässt, als Zeichen dafür, dass traditionelle
Diplomatie angesichts der Erfolge eines Fußballteams überflüssig gewor-
den sei.227Damit ist womöglich ein weiterer Grund genannt, warum Prado
Júnior die Reise finanzierte, er war als Kaffee-Exporteur von der Refinan-
zierungs- und Valorisierungskrise im Kaffeehandel der 1920er-Jahre be-
troffen. Die Beziehungen zu Frankreich möglichst freundschaftlich zu
führen und zudem Brasilien für französische Investoren und den französi-
schen Konsumentenmarkt als besonders attraktiv darzustellen war sein
Anliegen.
Bild 15: Diplomatieersatz?: Der Fußball wird hier als überzeugende Alternative zu
traditioneller Diplomatie dargestellt. Entsprechend kann der brasilianische Botschafter
in Paris, Souza Dantas, seine Koffer packen. Quelle: »Semana de Movimento Diploma-
tico«,
A Gazeta
, 24.3.1925.228
Zu diesem Schluss kam auch die Paulistaner Presse. Der Journalist der hu-
moristischen Wochenzeitschrift
O Badalo
meinte, er sei der erste gewesen,
227
Seit der Preiskrise von 1906 lagerte der brasilianische Staat in einem Valori-
sierungsprogramm überschüssige Kaffee-Ernten in Lagern der größten Kaffeeab-
nehmer, vor allem den USA, um preispolitisch der Abwertung des Kaffeepreises auf
dem Weltmarkt entgegenzuwirken. Diese Politik finanzierte er in großem Maße mit
britischen und US-amerikanischen Staatsanleihen. 1926 ging unter der Regierung
Bernardes, in einer Phase einpendelnder Nachfrage, die institutionalisierte Kaffeepreis-
valorisierung von der föderalen Ebene an den Staat São Paulo über: Vgl. DEAN, Warren,
Economy, in: Leslie BETHELL(Hg.),
Brazil: Empire and Republic, 1822-1930
, New
Rochelle u.a. 1989, S. 217-256, hier 230 f.; HOLLOWAY, Thomas H., The Brazilian
Coffee Valorization of 1906: Regional Politics and Economic Dependence, Madison,
Wis. 1975; LOVE,
São Paulo
, S. 248-255; TOPIK, Steven C., State Interventionism in a
Liberal Regime: Brazil, 1889-1930, in:
HAHR
60, Nov. 1980, Nr. 4, S. 593-616.
228
»1. Unsere Geschäfte in Frankreich«; »2. Besuche unserer Gesandtschaft«;
»3.15. November in Paris«; »4. Unser Kredit«; »5. Unser Kaffee«; »6. Unser Gummi«;
»7. Souza Dantas mit gepackten Koffern«.
303Nation
303
der »in dieser Zeitschrift sagte, dass der nationale Fußtritt im Ausland
unser Ansehen, unsere Börsennotierung und unseren Namen, die gewöhn-
lich von der Indifferenz der ultra-super-zivilisierten Völkern vernachlässigt
werden, anheben würde.« Während der brasilianische Unterhändler »Dr.
Viçoso Jardim, der in die Vereinigten Staaten aufbrach, um eine Anleihe zu
erhalten, es nicht einmal in das Wartezimmer der Yankee-Staatsbank
schaffte, haben die Paulistaner Stürmer ein durchschlagendes Tor von 30
Yard geschossen, die weitere zig Millionen Dollar bedeuten.«229
Der Journalist verglich die Bedeutung der Paulistaner Fußballmission für
wirtschaftliche Interessen mit Sportwettkämpfen anderer lateinamerika-
nischer Sportler, so dem argentinischen Boxer Luis Ángel Firpo, der
angeblich »den platinischen Kredit erhöhte, nachdem er über die Journa-
listen in New York die 84 Kilo Fleisch des Champions Dempsey geworfen
hatte.«230Ebenso der chilenische Boxer Quintin Romero, der »auf dem
schmerzhaften Weg durch die Heimat des Uncle Sam das kleine Chile so
populär gemacht hat wie das ›china-town‹ der amerikanischen Vorstädte«,
und der finnische Läufer Paavo Nurmi, der aus »einem fast imaginären und
komplett vergessenen Land« ein auf der ganzen Welt bewundertes Land
gemacht habe.231Obgleich sich die beiden lateinamerikanischen Boxhelden
gegen ihre US-amerikanischen Kontrahenten letztlich nicht durchsetzen
konnten, sprach die brasilianische Presse ihnen zu, ihrem Land einen
ausgesprochen wichtigen Dienst als Werbefiguren erwiesen zu haben.232
Entsprechend nannte er die brasilianischen Spieler »pés de ouro« (»Gold-
füße«), die »das Problem des internationalen Ansehens lösten. Küssen wir
sie stolz: Erinnern wir uns daran, dass es mit den Füßen ist, wie man jede
Initiative startet.«233Auch eine andere humoristische Zeitschrift, diesmal
aus Rio de Janeiro, verglich die »elf Botschafter der Kraft eines Landes«
mit der Delegation des Diplomaten Melo Franco, die Brasilien beim Völ-
kerbund vertrat und die von dem Projekt, Brasilien einen dauerhaften Sitz
bei dieser Institution zu verschaffen, »untröstlich, traurig« zurückgekehrt
229
Forte, António, »Pés de Ouro…«,
O Badalo. Semanario Illustrado, de Critica eHumorismo
, 22.5.1925, in: Album »Excursão à Europa«, Vol. II, 1925, CAP.
230
Ebd.
231
Ebd.
232
Vgl. zu der Bedeutung der Boxkämpfe Firpos und Quintin Romeros für die
Ausbildung eines an den USA orientierten chilenischen Nationalbewusstseins bei einem
jugendlichen Massenpublikum: RINKE,
Begegnungen mit dem Yankee
, S. 181-195;
DERS,
Cultura de masas
, S. 21 ff. und 54-58.
233
Forte, António, »Pés de Ouro…«.
304
304
Nation
sei.234Auch hier waren also Hoffnungen mit den Fußballerfolgen verknüpft,
sie könnten für Brasiliens Anliegen nützlich sein, permanentes Mitglied im
Völkerbund zu werden. In der Angelegenheit waren die Bemühungen der
diplomatischen Delegation Melo Francos noch 1925 im Gange.
Trotz der Zusammenstellung der Reisedelegation aus überwiegend
Angehörigen der Elite São Paulos gab es auch Zweifel an der Repräsenta-
tivität dieser Delegation für São Paulo, denn »einige Gegner des Sport
bedauern, dass wir in einer kultivierten Umgebung, wie der pariserischen,
keine Erfolge verzeichnen würden«, da die Spieler nicht elitär seien und
Fußball eben ein populärer Sport.235Doch, so der Autor dieses Artikels,
»nichts ist ungerechter als diese Meinung: Die Jungen des Clube Athletico
Paulistano sind legitime Repräsentanten unserer Elite, des Handels, der
Industrie und des Geistes, die den Sport mit Freude praktizieren, anstatt für
sich das Recht zu reklamieren, in der Kontemplation des Lebens zu vege-
tieren.«236Auch Prado Júnior berichtete nach der Rückkehr in einem Inter-
view, der erste Eindruck, den die Spieler auf die Franzosen gemacht habe,
sei eher zweifelhaft gewesen, denn
als sie diese schwächlichen, kleinen, mageren und nervösen Jungen sa-
hen, konnten sie nicht glauben, dass sie das meistern könnten. Auch in
Frankreich ist der Fußball ein Kraftspiel. Keiner glaubte, dass die Jungen
des Paulistano Spieler seien. Alle Leute rümpften über sie die Nase.237
Dieses Bild änderte sich nach dem ersten Spiel gegen die französische
Nationalmannschaft und fortan wurde den brasilianischen Spielern eine be-
sondere Aufmerksamkeit zuteil. Um sie scharten sich Diplomaten und die
Präsidenten der besuchten Staaten, man betonte die langjährigen brasilia-
nisch-französischen Beziehungen und vor allem auch die Beteiligung Bra-
234
»Aleguá!«,
D. Quixote
, Rio de Janeiro, 13.5.1925, in: Album »Excursão à
Europa«, Vol. II, 1925, CAP. Zu den Verhandlungen über einen permanenten Sitz
Brasiliens im Völkerbund: Vgl. BUENO, Clodoaldo,
Política externa da PrimeiraRepública: os anos de apogeu (de 1902 a 1918)
, São Paulo 2003; GARCIA,
EntreAmérica e Europa
, S. 246-274; HILTON, Brazil and the Post-Versailles World, S. 353;
SMITH,
Unequal Giants
, S. 167-182. Die brasilianische Verhandlungsdelegation um den
Sitz im Völkerbund erlebte 1924/25 einen ersten Rückschlag, als plötzlich doch
Deutschland bekannt gab, in die Liga eintreten zu wollen. Brasilien wurde daraufhin nur
für einen der nicht-permanenten Sitze wiedergewählt und setzte alles daran, weiter zu
verhandeln: Vgl. GARCIA,
Entre América e Europa
, S. 360-375.
235
»O Paulistano em Paris«,
A Gazeta
, 26.3.1925.
236
Ebd.
237
C
ORREA
, »A Europa curvada ante o Brasil…
305Nation
305
siliens am Ersten Weltkrieg, wie Prado Júnior ausführlich dem Interviewer
berichtete:
Wir durchquerten die europäischen Städte mit großem Prestige. Die
französische und schweizerische Regierung waren unübertrefflich in
ihren Würdigungen. Wie man weiß, gaben die französischen Klubs ei-
nen Preiserlass von 50% bei der Eisenbahn. Auf Grund einer Ausnahme-
genehmigung für die Brasilianer bekamen wir 25% Nachlass. Von allen
Sportdelegationen, die sich derzeit in Europa befinden, den Uruguayern,
Argentiniern, Neuseeländern etc., waren wir die einzige, die von der
Universität von Bordeaux empfangen wurde, der ältesten der Welt. Beim
zweiten Spiel in Paris hat der Vertreter der französischen Regierung, der
Untersekretär der Marine, in einem Umtrunk für unsere Spieler eine
Rede gehalten, in der er an die Beteiligung der Brasilianer im Ersten
Weltkrieg erinnerte. In Straßburg wurden wir offiziell vom Bürgermeis-
ter im Rathaus und vom Militärgouverneur der Region empfangen, die
uns einen Süßigkeitentisch anboten und mit Champagner auf uns anstie-
ßen. In Paris hat der Leiter des französischen Fußballverbandes, der der
Leiter der FIFA ist, uns ein Mittagessen spendiert. Nur wir kamen in
Vorzug dieser Höflichkeit. In der Schweiz hat zum ersten Mal der Präsi-
dent einem Fußballspiel beigewohnt. Das war, als die Brasilianer spiel-
ten. Das Festessen, das unser Minister unseren Spielern gab, führte der
Präsident. Nach dem Festessen bat der oberste Schweizer Staatsanwalt
darum, dass die Jungs vom Paulistano brasilianische Liedchen singen.
Das wurde dann auch mit großem Erfolg gemacht. Darauf rief der Präsi-
dent dazu auf, dass die Schweizer Nationallieder singen. Eine wunder-
bare Nacht! Auf dem ganzen Gebiet der Schweizerischen Eidgenossen-
schaft hatten wir Sonderzüge für uns bereitstehen, die die Schweizer
Regierung für uns reserviert hat.238
Tatsächlich hatte die Reise etwas von einem Staatsbesuch, die Delegation
legte einen Kranz am Grabmal des unbekannten Soldaten am Triumph-
bogen nieder, Bankette und Empfänge mit den Botschaftern der besuchten
Länder wurden organisiert, in Frankreich trafen die Spieler auf Souza
Dantas und in der Schweiz auf Raul do Rio Branco.239Entsprechend, näm-
lich als Staatsbesuch, bewertete auch die französische Presse die Reise und
238
Ebd.
239
Hanot, Gabriel, »Demain le grand match France-Brésil. Les rivaux des Urguayens
font leurs début à Paris«,
Intransigeant
, 15.3.1925, in: Album »Excursão à Europa«,
Vol. II, 1925, CAP.
306
306
Nation
Prado Júnior sah sich dazu verpflichtet, zu betonen, die Reise finanziere er
privat und nicht die brasilianische Regierung und die Spieler seien Ama-
teure und erwarteten keinen finanziellen Gewinn.240Über das reine Sport-
vergnügen hinaus ginge es um Höheres, wie »den sozialen Austausch zwi-
schen Sportlern von befreundeten Nationen und um das Interesse einer
wirkungsvollen Propaganda für unsere Heimat in den Ländern der Alten
Welt«, wie der Klubpräsident angesichts der geplanten Begegnung mit der
italienischen Nationalmannschaft in Turin äußerte, die dann aber nicht
zustande kam.241Über diese »höheren Ziele« versuchten sich die Brasilianer
auch von der uruguayischen Mannschaft und ihren Intentionen abzugren-
zen, denen man mehrfach vor allem ein finanzielles Interesse an ihrer Reise
unterstellte, während das der Paulistas ganz im Bereich Völkerverständi-
gung und Begegnung läge.
Das Beispiel des Klubpräsidenten Antônio Prado Júnior verweist auf die
wichtige Rolle, die Einzelpersönlichkeiten für die Sportverbreitung und den
Sportaustausch spielten. Als Vertreter einer lokalen Elite und eines lokalen
Klubs repräsentierte er nach außen in erster Linie lokale Belange. Auf einer
zweiten Ebene allerdings auch nationale Interessen, da er als Botschafter
des brasilianischen Sports nach Europa fuhr.242Er trat aber auch als Vertre-
ter südamerikanischer Interessen auf, als den ihn uruguayische und argenti-
nische Journalisten, Fußballklubs und der regionale Fußballverband sa-
hen.243
Die Wahrnehmung des Fußballklubs in Europa und in Südamerika war
jedoch eindeutig: Er galt als Vertreter Brasiliens mit einer klaren patrioti-
schen Mission. Prado Júnior selbst sprach über die Eindrücke, die die
Mannschaft des Paulistano hatte, als sie gegen eine französische Auswahl-
mannschaft im Pariser Buffalo-Stadium am 15. März 1925 antrat: »Sie
waren sich der Verantwortung, die auf ihren Schultern lastete, bewusst. Sie
wussten, dass nicht sie im Spiel waren, sondern der Name ihres Landes.«244
240
Vgl. Antônio Prado Júnior an Redakteur von L'Auto, in: Album »Excursão à
Europa«, Vol. II, 1925, CAP.
241
»O Paulistano na Europa. Esta' assentado o Encontro com a Esquadra Nacional
Italiana - Para os Brasileiros a Parte Financeira e' Questao Secundaria«,
A Gazeta
,
26.3.1925.
242
Vgl. Antônio Prado Júnior an Confederação Brasileira de Desportos, 6.4.1925, in:
Album »Excursão à Europa«, Vol. II, 1925, CAP; Vgl. »Todo un acontecimiento para el
football brasileño constituyo la partida del C. A. Paulistano para Europa«,
El Imparcial
,
Montevideo, 13.3.1925, S. 6, in: Album »Excursão à Europa«, Vol. II, 1925, CAP.
243
Vgl. Antônio Prado Júnior an Confederación Sud-Americana de Football,
4.4.1925, in: Album »Excursão à Europa«, Vol. II, 1925, CAP.
244
Correa, »A Europa curvada ante o Brasil«.
307Nation
307
Prado Júnior sah seine Fußballer unter einem Vergleichsdruck stehend, da
sie nicht ausschließlich die Stärke des Vereins beweisen mussten, sondern
darüber hinaus die Stärke des gesamten Landes. Diese Rolle teilten auch
die brasilianische Presse und andere Sportvereine in Brasilien. Das beweist
der Empfang der Spieler in Rio de Janeiro und später im Hafen von Santos.
Auch wenn der Klub seine Reise auf Grund von Streitigkeiten in São
Paulos Lokalverband früher abbrechen musste und auf der Rückfahrt nur
noch Zeit für einen kurzen Zwischenhalt in Portugal übrig war, sahen ande-
re brasilianische Fußballklubs und Sportjournalisten die Mission in der
»Alten Welt« als erfüllt an.245
In Rio de Janeiro empfing den Klub eine begeisterte Menschenmenge im
Hafen und auf der Avenida Rio Branco, Marinesoldaten überreichten einen
Blumenstrauß, die Schüler der Eliteschule
Colégio Dom Pedro II
einen
Pokal und der nationale Sportverband CBD organisierte ein Bankett im
Klubhaus des Fluminense F.C. Auch der argentinische Boxer Luiz Firpo
begrüßte die Mitglieder der Delegation, die wie er auf den Sportplätzen im
Ausland Südamerikas neue Stärke bewiesen hatten.246
Nach der Rückkehr war der Paulistano entsprechend zum Maßstab des
nationalen Fußballs geworden, Spiele gegen andere brasilianische Klubs
vergegenwärtigten das. Die anderen traten nun gegen eine Mannschaft an,
die seit der Europa-Reise zu einem der besten Fußballklubs der Welt gehör-
te und die die französische Presse zu »Königen des Fußballs« ernannt
hatte.247Prado Júnior fasste die Errungenschaft des Paulistano in Europa in
seinem Interview nach der Rückkehr noch einmal zusammen:
Wie man weiß, ist der Fußball eine englische Erfindung. Der Engländer
jedoch hat das Spiel mit allen klassischen Regeln und allen technischen
Vorschriften erschaffen und hat es so nach Amerika gebracht. Aber
Südamerika, mit seinem heißen Klima, abgetrennt durch den Äquator
245
Vgl. »Paulistas e Cariocas«,
Fon Fon
, 18.4.1925; »C. A. Paulistano«,
Universal
,
Rio de Janeiro, 13.5.1925, in: Album »Excursão à Europa«, Vol. II, 1925, CAP. Zu den
Streitigkeiten: Vgl. Album II, Excursão C. A. Paulistano 1925, CAP. Ursprünglich
waren Besuche in Dänemark, der Tschechoslowakei, Deutschland, Holland und
Großbritannien geplant. Aus den Dokumenten im Klub geht hervor, dass Prado Júnior
auch mit Sportverbänden aus diesen Ländern verhandelt hat, so dem Hamburger
Sportverein: Vgl. Hamburger Sportverein an Antônio Prado Júnior, 31.3.1925, in:
Album »Excursão à Europa«, Vol. II, 1925, CAP.
246
»C. A. Paulistano«,
Universal
, Rio de Janeiro, 13.5.1925, in: Album »Excursão à
Europa«, Vol. II, 1925, CAP.
247
Vgl. »Les Brésiliens rois du football«,
Journal
, 18.3.1925, in: Album »Excursão à
Europa«, Vol. II, 1925, CAP.
308
308
Nation
und durch den Wendekreis des Steinbocks, ist ein fantasievoller Konti-
nent. In unseren Köpfen muss alles eine Veränderung erleben, und eine
Veränderung auferlegt durch unsere fantasievollen Ausbrüche. Nachdem
wir den Fußball aus den Händen der Engländer erhalten haben, haben
wir ihn, ohne uns viel daraus zu machen, tiefgreifend verändert. Statt ei-
nes Kraftspiels, das er in der Hand des britischen Volkes und in ganz
Europa war und ist, haben wir ihn in ein Spiel der Gewandtheit verwan-
delt. […] Das war genau die Veränderung, die dieses Jahr in Europa
wahres Erstaunen hervorrief, eine wahre Faszination für unsere Lands-
leute. Was den Europäer am meisten verblüfft hat, war die Flexibilität,
die Elastizität oder besser die Schnelligkeit der Bewegungen unserer
Spieler. Europa hat so eine Neuheit im Fußball nie gesehen. Wie man
weiß, hat der brasilianische Spieler alle ›Kontrolle‹ des Balls, er be-
herrscht den Ball, er ist Besitzer des Balls, macht mit ihm, was er will. In
Europa war das völlig neu, und wie neu, wie beeindruckend.
248
Gerade aus diesen Zeilen spricht eine zeitgenössische Lesart der europä-
isch-brasilianischen Kulturbeziehungen, die stark an die Manifeste der
Moderne-Bewegung erinnern, in denen das Europäische »einverleibt« und
durch brasilianische Eigenschaften, wie Fantasie, auch in Rückgriff auf
»rassische« Vorzüge verwandelt und angepasst werden sollte. Es ist bemer-
kenswert, dass diese Assoziationen auch im Rahmen der Reise eines
Fußballklubs auftauchten und der Fußball hier als Ausdruck einer erfolg-
reichen Realisierung dieser fantasievollen Anverwandlung gefeiert wird.249
Die Ehrung des Paulistano in Brasilien gipfelte im Vorschlag, ein Ehren-
denkmal im Viertel
Jardim América
zu errichten, wo sich der Klub befin-
det. Im Artikel, der den Entwurf beschrieb, betonte der Autor, mit der
Reise habe der Paulistano den »unternehmerischen Geist« und »rassische
Tugenden« bewiesen.250Nicht deutlich wird, ob der Autor damit ganz
248
Correa, »A Europa curvada ante o Brasil...«.
249
Auch Oswald de Andrade lobte die Reise des Paulistano explizit in dieser Hin-
sicht: PEREIRA,
Footballmania
, S. 303.
250
»Club Athletico Paulistano. Um Monumento Commemorativo. As Victorias
esportivas na Europa«, Originalquelle unbekannt, Artikel in: Album 1925, Vol. III,
CAP. Der Entwurf griff ikonografisch auf europäische Denkmalkonstruktionen zurück
und sollte die Werte »Höflichkeit, Disziplin und Bürgersinn« (»Cavalheirismo,
Disciplina e Civismo«) repräsentieren: Vgl. »CAP. ›Cavalheirismo, Disciplina e
Civismo‹«,
Terra e Mar
, Mai 1925, in: Album »Excursão à Europa«, Vol. II, 1925,
CAP. Das Denkmal wurde tatsächlich erbaut und befindet sich heute in unmittelbarer
Nähe des Geländes des Klubs auf der Praça Dionísio de Carvalho: Vgl. ANTUNES,
Fátima Martin Rodrigues Ferreira, Um monumento aos
Reis do Futebol
, in:
Informativo309Nation
309
Brasilien oder die Paulistas meint, doch gerade in dem »unternehmerischen
Geist« betonte er die als für Paulistaner typisch angesehenen Eigenschaften
des
bandeirante
. Der Autor wies weiter auf die politische Funktion der
Reise hin, die auch in dem Monument sichtbar werden sollte. Zum
Ausdruck kommt hier also noch einmal, wie sehr die Reise eine
Inszenierung einer nationalen brasilianischen Identität unter Paulistaner
Vorzeichen war und wie sehr diese Identitätsvorstellung auch »rassische«
Unterschiede beinhaltete.251
Während dieser Reise nach Europa erfuhr die Idee eines Brasilien und
der Brasilianer als Produkt von »Rassenmischung« und hybrider Kultur bei
den europäischen Eliten die Anerkennung, die brasilianische Intellektuelle
seit dem 19. Jahrhundert anstrebten. Die Vorstellung einer »brasilidade«
konnte positiv dargestellt werden und zum Ausdruck kommen. Die Schil-
derung der Reise des Paulistano sollte die in dieser Arbeit angesprochenen
Dimensionen von Identitätsaushandlungen über den Fußball synthetisieren.
4.3. ZUSAMMENFASSUNG
Das Kapitel leistet einen Beitrag zu der Formulierung von Nationalismen
lateinamerikanischer Eliten in der Zwischenkriegszeit, die in der globalhis-
torischen Literatur überwiegend als Periode des Rückgangs transnationaler
Austauschbeziehungen und Kontakte betrachtet wird.252So kann aber bestä-
tigt werden, dass dies für den Bereich des internationalen Sportes und seine
Diffusion nicht zutraf. Wie verschiedene Forscher an anderer Stelle
anmerkten, ist für bestimmte Gruppen eine Ausformulierung und Schär-
fung von Nationalismen in der Zwischenkriegszeit gerade über ihren Rück-
halt in transnationalen Netzwerken erst möglich geworden.253Erst Reisen
und Exilaufenthalte, transnationale Bezugnahmen und Rückkopplungen
boten den Hintergrund, um sich voneinander abzugrenzen.254
Arquivo Histórico Municipal
1, São Paulo Mai/Juni 2006, Nr. 6, URL:
<http://www.arquiamigos.org.br/info/info06/index.html> (abgerufen am: 25.4.2009).
251
Vgl. W
EINSTEIN
, Racializing Regional Difference.
252
G
OEBEL
, Michael
,
Globalization and Nationalism in Latin America, c. 1750-1950,
in:
New Global Studies
3, 2009, Iss. 3, Art. 4, hier 15 f.; GEYER, The Mechanics of
Internationalism, S. 6.
253
Vgl. für den Sport Keys grundlegende Arbeit: K
EYS
,
Globalizing Sport
, S. 35-43.
254Vgl. GOEBEL, Globalization and Nationalism in Latin America, S. 16-19. Siehe
auch die Arbeit von Sebastian Conrad zur Bedeutung transnationaler Interaktionen für
die Herausbildung deutschen Nationalismus im Kaiserreich: CONRAD, Sebastian,
Globalisierung und Nation im deutschen Kaiserreich
, München 2006. Aus der Sicht
310
310
Nation
Das galt vor allem für die Ausformulierung ethnisch-kultureller und
regionaler Identitäten, hier einer nationalen Identität unter Paulistaner Vor-
zeichen. Mit der Aushandlung waren im engeren Sinne Fußballspieler,
Sportfunktionäre und auch staatliche Akteure, wie Diplomaten, befasst.
Aber auch das Publikum hatte über die transnationale Presse von »zu
Hause« aus Zugang zu den Fußballereignissen und Diskursen.
Am Anfang des Kapitels wurde gefragt, inwieweit Fußball Mittel diplo-
matischer Beziehungen wurde und staatliche Akteure Interesse an ihm
äußerten. Es konnte gezeigt werden, dass staatliche Stellen seit Beginn
internationaler Fußballbegegnungen seinen Wert als diplomatisches Mittel
erkannten. Dabei war die Haltung der Regierung und der eng mit ihr
verbundenen CBD eher passiv. Maßgebliche Kontakte und Austausch-
beziehungen gingen auf private Akteure zurück, zum Beispiel Klub-
vorsitzende als Financiers und Organisatoren, wie die Finanzierung der
brasilianischen Beteiligung an den Olympischen Spielen, den
CampeonatosSul-Americanos
, zahlreicher internationaler Klubbegegnungen und vor
allem der Reise des C. A. Paulistano nach Europa zeigte. Erst als in den
1920er-Jahren Konflikte zwischen den Fußballnationen umfänglicher und
vor allem in der Sportpresse ausgetragen wurden, griffen staatliche Akteure
reaktiv ein.
Gerade in der Presseberichterstattung bildeten sich Ansätze eines globa-
len Bewusstseins heraus: Die Rolle der FIFA als Instanz, die in regionale
und nationale Konflikte eingriff, wurde zunehmend anerkannt. Fußball-
spieler und Fußballfans wurden so momenthaft als Teil einer weltumspan-
nenden Bewegung wahrgenommen, die kulturelle Werte über eine gemein-
same Sprache vermittelte.255Die Zuschauer der Spiele und Leser der Presse
setzten sich dadurch ständig mit eigenen identitären Werten auseinander.
Diese Bedeutung erkannte zum Beispiel das Außenministerium, weil es
gerade die internationale Sportpresse als Seismographen für politische
Stimmungen und Denkweisen ansah.
Diese Ausstrahlungskraft des Fußballs schätzten staatliche Akteure und
die Sportpresse als einflussreich auf die Beziehungen zwischen Argenti-
US-amerikanischer Geschichtsschreibung ist hier grundlegend: T
HELEN
, David, The
Nation and Beyond: Transnational Perspectives on United States History, in:
TheJournal of American History
86, 1999, Nr. 3, S. 965-975. Siehe auch theoretisch zur
Bedeutung des »Fremden« für Selbstbilder: LÖSCH, Klaus, Begriff und Phänomen der
Transdifferenz: Zur Infragestellung binärer Differenzkonstrukte, in: ALLOLIO-NÄCKE,
Lars (Hg.),
Differenzen anders denken. Bausteine zu einer Kulturtheorie der Transdiffe-renz
, Frankfurt am Main u.a. 2005, S. 26-49.
255
Vgl. zu diesem Verständnis des Sports: G
UTTMANN
,
Games and Empires
, S. 188.
311Nation
311
nien, Brasilien und Uruguay ein. Zu Beginn der internationalen Fußball-
beziehungen zwischen den Ländern sollte Fußball als Mittel zur Annähe-
rung und Verbrüderung dienen, schnell wurde er vor allem zu einer Mess-
latte von Stimmungslagen in den zwischenstaatlichen Beziehungen. Inner-
halb des organisatorischen Rahmens der FIFA und über internationale
Spielbegegnungen formierte sich in Ansätzen auch ein Bewusstsein für die
Zusammengehörigkeit der südamerikanischen Länder aus, vor allem
gegenüber Europa. Im Hintergrund standen vermehrte Erfahrungen des
Austausches im internationalen Fußball und ein erstarkendes Selbst-
bewusstsein im Hinblick auf eigene Stilentwicklungen, im weiteren Sinne
aber auch die politisch-kulturelle Emanzipation intellektueller südamerika-
nischer Eliten von Europa nach dem Ersten Weltkrieg. Der Fußball bot eine
Gelegenheit, gerade diese kulturelle und identitäre Differenzierung Süd-
amerikas von Europa auszudrücken. Das zeigte sich vor allem im Rahmen
der Erfolge südamerikanischer Fußballmannschaften in Europa. Die Reise
des C. A. Paulistano sollte neben der Überlegenheit eines brasilianischen
auch die des südamerikanischen Fußballs insgesamt beweisen.
Nationalchauvinistische Ausschreitungen und rassistische und abwer-
tende Darstellungen des jeweils Anderen in der Sportpresse der beteiligten
Länder seit den
Campeonatos Sul-Americanos
von 1919 konterkarierten
allerdings die Betonung südamerikanischer Gemeinsamkeiten. Brasiliens
Sportfunktionäre isolierten sich in der Folge sogar aus dem regionalen
Fußball. Die vielschichtigen Abgrenzungen durchkreuzten die Betonung
von Übereinstimmungen und die Herausbildung von so etwas wie einer
langfristig gemeinsamen »Pan-Identität« südamerikanischer Nationen über
den Fußball. Auf brasilianischer Seite stand für die CBD und die brasiliani-
sche Regierung im Vordergrund, als »zivilisierte« und »weiße« Nation
anerkannt zu werden. Ein selbstbewusstes Auftreten hinsichtlich der
Multiethnizität der brasilianischen Bevölkerung zeigten die Regierungs-
vertreter und hohe Sportfunktionäre nur gelegentlich und wenn, dann im-
mer in Abhängigkeit von der Außenbewertung. Allerdings boten die
Ausgrenzungen afro-brasilianischer Spieler aus Nationalmannschaften und
die rassistischen Darstellungen in der argentinischen und uruguayischen
Presse Gelegenheit für die Verhandlung »rassischer« Identität in Brasilien
und auch außerhalb.
Das war auch 1925 der Fall: Die Reisedelegation des C. A. Paulistano
unter Leitung von Antônio Prado Júnior nutzte die Fußballbegegnungen in
Europa zur Darstellung eines fortschrittlichen und modernen Brasilien. Die
Wahrnehmungen des erfolgreichen Spielstils der brasilianischen Spieler als
312
312
Nation
Resultat brasilianischer »Rassenmischung« durch die französische Presse
und die Vereinnahmung des südamerikanischen Stils für ein kulturell-
ethnisches Konzept der
Latinité
zeigen, wie sehr Fußball als transnationales
Phänomen dazu diente, nationale, regionale, »rassische« und ethnische
Identitäten zu verhandeln.
Nach den Erfolgen traten die Paulistas selbstbewusster auf und sahen so-
gar eine auch ethnisch-kulturell begründete Überlegenheit Brasiliens über
Europa bewiesen. Zugleich ist deutlich geworden, dass dieses äußerst fra-
gile Selbstbewusstsein erst durch die Anerkennung durch Europa entstand,
dass also eine transnationale Interaktion und Verhandlung über brasiliani-
sche Identität eine Differenzierung und Abgrenzung bedingte. Die Paulistas
suchten zudem eine »brasilidade« mit Spielern zu bewerben, die dem
Modernisierungskonzept der Nation entsprachen. Einer Nation, die hier
durch São Paulo verkörpert wurde, mit Fußball als global verbreiteter
Ausdrucksform.
313
SCHLUSSBETRACHTUNG: BRASILIEN ALS TEILEINER TRANSNATIONALEN SPORTGEMEINSCHAFT
Heute gilt Fußball als der globale Sport schlechthin, der Menschen aus
verschiedenen Weltregionen begeistert und sie für kurze Momente
zusammenbringt. Konstatiert wird, kaum ein anderes kulturelles Phänomen
bringe so hohe gleichzeitige Begeisterung hervor wie der Fußball.1Tatsäch-
lich demonstrieren die wachsenden Einschaltquoten in nahezu allen
Weltteilen zu wichtigen internationalen Spielen, wie zu den
Fußballweltmeisterschaften 2010 in Südafrika und zuletzt in Brasilien
2014, eine gleichzeitige globale Aufmerksamkeit wie bei keinem anderen
kulturellen Ereignis. Nicht mehr nur aus den heute anerkannt traditionellen
Fußballregionen Europa und Lateinamerika, auch aus Nordamerika,
Australien und Asien schalten Menschen zu, wenn Spiele der English
Premier League, der europäischen Champions League oder der FIFA-
Weltmeisterschaft über Fernsehen oder Internet übertragen werden.2
Fußball bietet Menschen – Sportlern und Zuschauern – mit seinen
universalen Regeln und Techniken einen gemeinsamen Erfahrungsraum,
der sie zeitweise von lokalen und nationalen Sichtweisen entkoppelt.
Trotzdem verlieren vor diesem Hintergrund nationale, regionale und lokale
Bezüge nicht ihre Wirkung. Fußball ist nicht so »eigenweltlich«, dass in
seiner Sphäre nicht politische Ansprüche, Machtasymmetrien und soziale
Konflikte zu Tage treten würden.3Im Gegenteil, obwohl seine Funktionäre
immer wieder betonen, über den Sport seien politische Konflikte nicht
lösbar, werden politische Themen, wie Menschenrechtsfragen, über den
Umweg des Sports angesprochen.4
1
E
ISENBERG
, Fußball als globales Phänomen.
2
Zu den Einschaltquoten: Ebd., S. 7. Siehe auch: »Armchair supporters«,
TheEconomist online
, 9.2.2010, URL: <http://www.economist.com/node/15491106>
(abgerufen am: 17.8.2014); »Viewer Track 2010 FIFA Worldcup«, Initiative
Innovations Mediaagentur, URL: <http://de.slideshare.net/mediapiac/viewer-track-
2010-fifa-world-cup> (abgerufen am: 17.8.2014); »TV-Zuschauerzahlen der ersten
FIFA-WM-Spiele brechen Rekorde«, URL: <http://de.fifa.com/worldcup/news/y=
2014/m=6/news=tv-zuschauerzahlen-der-ersten-fifa-wm-spiele-brechen-rekorde-23781
05.html> (abgerufen am: 17.8.2014); Vgl. »A game of two halves«,
The Economist
,
7.6.2014.
3
Vgl. E
ISENBERG
, Der Weltfußballverband FIFA, S. 227-230.
4
Siehe beispielsweise die Bedenken gegen die EM-Ausrichtung in der Ukraine im
Jahr 2012: Vgl. »Bundeskanzlerin erwägt EM-Boykott«,
Zeit online
, URL:
<http://www.zeit.de/politik/deutschland/2012-04/merkel-ukraine-em> (abgerufen am:
30.4.2012); zuletzt die nationalen Protestbewegungen im Vorfeld der FIFA-Welt-
meisterschaft in Brasilien 2014, die u. a. dem deutschen Nachrichtenmagazin
Der Spie-314
314
Schlussbetrachtung
Neben den Zuschauerzahlen scheint ein weiterer Aspekt auf die Globa-
lität des heutigen modernen Sports hinzuweisen, glaubt man einer 2012,
also zwischen den FIFA-Weltmeisterschaftsturnieren in Südafrika (2010)
und in Brasilien (2014), erschienenen Reportage in
The New York Times.
Ihre Hauptaussage war, in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts würde
eine neue Stufe der Globalität des Sports erreicht, da die größten globalen
Sportereignisse von den Auswahlkomitees der internationalen Sportver-
bände nun an sogenannte »aufstrebende Länder« in Asien, dem Mittleren
Osten und Lateinamerika vergeben würden. Bemerkenswert erschien dem
Autor auch die »bisher beispiellose, unmittelbar aufeinander folgende«
Ausrichtung sowohl der Fußball-Weltmeisterschaft (2014) als auch der
Olympischen Spielen (2016) in Brasilien.5In Zukunft, so der Tenor der
Reportage, müssten sich die »entwickelten« und traditionellen Sportländer
neue Gedanken über ein attraktives Marketing machen, um bei Ausschrei-
bungen noch mit den »neuen« Ländern mithalten zu können. Im Gegensatz
zu ihnen sei das »Image«, um es im Marketingjargon auszudrücken, von
Städten wie London schon profiliert. Daran ändere ein Großereignis kaum
etwas, während große Sportereignisse Städte oder Regionen in »Schwellen-
ländern« neu definieren könnten. Als Beleg zitierte der Autor einen
Marketingexperten, der Rio de Janeiros Bewerbung für die Olympischen
Spiele 2016 beraten hatte. Was dieser zur Auswirkung der Olympischen
Spiele auf die Entwicklung und Profilierung Brasiliens äußerte, erinnert an
Erwartungen, die brasilianische Sportfunktionäre schon in den 1920er-
Jahren an Sportgroßereignisse richteten:
[T]he impact upon Brazil will be major in terms of Brazil stepping up on
the world stage and the world community discovering Brazil. They don’t
really know a lot about it, so in that sense Brazil has far more to gain
than if you were just going back to a country or city that is fairly well
known.
Die Reportage vernachlässigt weitestgehend einen historischen Rückblick.
Der hätte sie vielleicht zu den Anfängen des modernen internationalen
Sports geführt und zwei Dinge aufgedeckt, die dem Autor womöglich einen
gel
zu einem unheilverkündenden Bericht über die Austragung durch das Land Anlass
gab: Vgl.
Der Spiegel
, Nr. 20, 12.5.2014.
5
»Big Sporting Events Find New Frontiers«,
The New York Times
, U.S. Edition,
24.4.2012, URL: <http://www.nytimes.com/2012/04/25/sports/25iht-srbosclarey25.
html?pagewanted=all&module=Search&mabReward=relbias%3Ar> (abgerufen am:
15.8.2014).
315Schlussbetrachtung
315
anderen Blick auf die vermeintlich neuartige »Globalität« heutiger
Sportgroßereignisse gegeben hätten.
Erstens waren Sportgroßereignisse in der Vergangenheit nicht so ein-
deutig auf die »westliche Welt« beschränkt, wie die Reportage suggeriert:
so fand 1930 die erste Fußballweltmeisterschaft in Uruguay statt, im Jahr
1950 wurde sie erneut an ein lateinamerikanisches Land, Brasilien, verge-
ben. Auch wenn sich darüber streiten lässt, ob Uruguay damals nicht auch
als Teil der »westlichen Welt« angesehen wurde, der damalige Gastgeber
lag zumindest im eurozentrischen Weltverständnis der europäischen FIFA-
Sportfunktionäre eindeutig »außerhalb«.6Vielmehr versprach man sich von
der Teilnahme, sich dieser »westlichen« Welt bekannt zu machen und als
ihr zugehörig wahrgenommen zu werden. Hier ausgewertete Quellen
zeigen, dass Globalität – als momenthaft wahrgenommene Gleichzeitigkeit
und Überwindung von Zeit- und Raumdistanzen – auch im sportlichen
Brasilien im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts schon empfunden wurde;
jedoch in einem Verständnis, das »global« mit »westlich« und »zivilisiert«
gleichsetzte. Brasilien taucht früh im »globalen« Weltbild des Fußballs auf.
Zugleich ist mit der Teilnahme am internationalen Fußballgeschehen früh
die Hoffnung verknüpft, sich mit dem eigenen »Entwicklungsstandard« be-
kannt zu machen.
Brasilien ist demnach kein »unbekanntes Terrain« aus sportlicher Sicht,
vielmehr spielt das Land seit den Anfängen des Fußballs im internationalen
Sport ein bedeutende Rolle, wie auch die vorliegende Arbeit unterstreicht,
und ist zudem schon früh mit einem ausgeprägten und eigenen Stil identifi-
ziert worden. Nicht erst jetzt wird Brasilien die Möglichkeit gegeben, sich
über Sportgroßveranstaltungen zu profilieren. Diese Annahme blendet die
frühe Einbeziehung und Rolle Brasiliens in der internationalen Sportwelt
aus. Das betrifft sowohl die 1920er-Jahre, die in dieser Arbeit im Vorder-
grund stehen, als auch die Ausrichtung der Weltmeisterschaft in Brasilien
im Jahr 1950, die als vormaliger Höhepunkt und dann, mit der Niederlage,
als Tiefpunkt der brasilianischen Fußballentwicklung und Fußballaneig-
nung bewertet wurde. 1950 war es Anliegen der Regierung, eine junge,
kohäsive und starke Nation zu demonstrieren, die mit dem brasilianischen
Fußballstil, so formuliert es der Anthropologe Leite Lopes, nach außen eine
»in hohem Maße verbesserte Version eines britischen Produktes [zeigen
wollte] – das heißt, ein Beispiel für Importsubstitution par excellence.«7
Bedeutsam ist, dass die beabsichtigte Darstellung nicht nur nach außen,
6
Vgl. Kapitel 4.1 der vorliegenden Arbeit.
7
L
EITE
Lopes, Transformations in National Identity, S. 76.
316
316
Schlussbetrachtung
sondern vor allen Dingen auch nach innen funktionieren sollte. Wie gezeigt
wurde, ist dieses Anliegen einer homogenen Außen- und Innendarstellung
aber nicht erst mit Vargas hervorgetreten. In einer noch diffusen, weniger
inklusiven und massenhaften Form existierte es schon weit vorher, schon in
den 1920er-Jahren mit den südamerikanischen Turnieren, der Reise des
Klubs C. A. Paulistano nach Europa und letztlich der Weltmeisterschaft in
Uruguay im Jahr 1930.
Zweitens ist das Narrativ der transformativen Kraft von Sportgroßveran-
staltungen für die Modernisierung und Bekanntmachung einer Nation auf
internationaler Ebene nicht derart neu. Schon früh äußerten auch brasilia-
nische Sportfunktionäre ähnliche Hoffnungen. Nicht nur das, sie gestalteten
auf der Grundlage dieser Erwartungshaltung die internationalen Sportbezie-
hungen mit. Die Idee, einer »world community«, wie es in der oben zitier-
ten Reportage heißt, Stärke zu beweisen, machte Sportgroßveranstaltungen
damit auch zu geeigneten Ereignissen, um diskursiv Identitäten zu verhan-
deln. Die oben zitierte Reportage zeigt, dass sich das bis heute nicht geän-
dert hat.
Die vorliegende Studie schlägt am Beispiel des Fußballs in Brasilien
eine Erzählweise für die historische Globalisierung des modernen Sports
vor, die die frühe Einbindung Brasiliens in den internationalen Fußball mit
berücksichtigt; die Globalisierung nicht gleichsetzt mit Uniformierung und
Aufschluss zu einem Standard, sondern in erster Linie als Verdichtung von
Kontakten und Austauschmöglichkeiten begreift. Diese Verdichtung ließ
eine Diskussion dieses Standards zu und konnte auch Differenzierungen,
Ungleichheiten und Ausschlüsse hervorbringen.
Es lohnt sich noch einmal, drei für diese Entwicklung ausschlaggebende
Prozesse zusammenzufassen: Erstens die global zu beobachtende Populari-
sierung dieses Sports im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Auch in
Brasilien spielten immer mehr Menschen aus unterschiedlichen sozialen
Schichten Fußball oder wurden begeisterte Zuschauer, wie im ersten Kapi-
tel ausgeführt. Zweitens nahmen vor allem in der Zwischenkriegszeit inter-
nationale Sportgroßveranstaltungen in der Häufigkeit und an Bedeutung zu.
Neben besseren Transportbedingungen lag das an einem größeren Interesse
von Regierungen und nicht-staatlichen Akteuren an Fußballspielen als
Mittel der Diplomatie. Drittens hing seine Popularisierung eng mit der
Entstehung einer transnational agierenden Sportpresse zusammen. Sie
verband durch ihre Bezüge auf Fußballereignisse in anderen Sportnationen
Menschen über die Nation hinausgehend miteinander – durch Interviews
mit international berühmten Sportlern, durch Vergleiche zwischen sportli-
317Schlussbetrachtung
317
chen Rekorden und Fußballstilen, durch die Übersetzungen von Regeln und
Handreichungen. Es war vor allem die Presse, die einen Rahmen für Identi-
tätsverhandlungen bot. Also ist deutlich geworden, wie sehr Fußball als
transnationales Phänomen in Brasilien schon in seinen Anfängen Menschen
über die Nation hinausgehend miteinander verband und der Aushandlung
unterschiedlicher Identitätsvorstellungen diente.
Auch brasilianische Fußballspieler, Sportfunktionäre, Sportjournalisten
und Zuschauer waren über die Sportpresse im hier untersuchten Zeitraum
zwischen 1894 und 1930 anhaltend in eine transnationale Sportgemein-
schaft diskursiv eingebunden. Sie traten dabei nicht als reine Empfänger
eines »fremden« Kulturproduktes auf, sondern nahmen auch eine gestalte-
rische Rolle ein. Damit bestärkt die vorliegende Studie insgesamt einen
transnationalen Blick auf die Entstehung und Entwicklung eines heute so
selbstverständlich als global angesehenen Kulturproduktes.
In der folgenden Zusammenfassung der Ergebnisse der vorliegenden
Studie werden vor allem Querverbindungen zwischen den drei im Vorder-
grund stehenden Untersuchungsdimensionen aufgezeigt. Sie zeigen, dass
der Fußball als transnationales Phänomen Identitätsaushandlungen auf
unterschiedlichen Ebenen beförderte und diese über die nationale Ebene
hinausgingen oder unterhalb dieser lagen. In den hier untersuchten Dimen-
sionen identitärer Aushandlung – »Rasse«, Region und Nation – wird je-
weils die Bedeutung gerade der transnationalen Bezüge der Sportpresse
deutlich. Vorstellungen von Nation, Region und »Rasse« als Selbstverge-
wisserungen ergaben erst durch Verhandlungen in einem transnationalen
Kontext Sinn. Mit diesem Ergebnis leistet die Studie einen Beitrag zu einer
transnationalen Sportgeschichte als Kulturgeschichte. Auf diese Einord-
nung gehe ich später noch näher ein.
Fußball kam nicht einfach in einem einseitigen Transferprozess von Europa
nach Brasilien. Während des gesamten untersuchten Zeitraumes gab es
konstant wechselseitige Bezugnahmen. Das war das zentrale Ergebnis des
ersten Kapitels. Es zeigt, wie sich Eliten und Angehörige einer neu entste-
henden urbanen Mittelschicht in Rio de Janeiro und São Paulo den Fußball
und über ihn das ursprünglich aristokratische Ideal des Amateursportlers
aneigneten. Viele der Sportpioniere waren als Journalisten, Erzieher oder
politische Amtsträger an Schaltstellen der Gesellschaft tätig. Ideell, beruf-
lich und ökonomisch profitierten sie selbst von der Verbreitung und
Popularisierung des Fußballs. Aber seine Diffusion ist nicht alleine mit
einem ökonomischen Interesse dieser Akteure zu erklären: Es ging von
Anfang an in den neu gegründeten brasilianischen Sportvereinen nicht
318
318
Schlussbetrachtung
einfach nur um Sporttreiben ohne weiteres materielles Interesse. Die
brasilianischen Sportpioniere der Eliteklubs legten zwar ein aristokratisches
und äußerst exklusives Klubverständnis zu Grunde, zugleich sollten die
Vereine aber auch gesellschaftliche Erziehungsaufgaben wahrnehmen. Ihre
Begründer bedachten sie mit einer Schlüsselfunktion für die Ausbildung
und charakterliche Schulung junger Männer der Elite, die sich an Werten
wie
fair play
, »kollektivem Denken«, »Höflichkeit« orientierte.
Es fand eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit europäischem Fuß-
ball als Teil einer transnationalen Sportkultur statt. Seine Ursprünge führ-
ten sportbegeisterte Autoren und Journalisten zwar genuin auf England als
»Ursprungsland« zurück, sie orientierten sich aber auch an französischen
Texten,verbandenmodernenSportmitUS-amerikanischem
»Zivilisationserfolg« und sogar mit griechischen Traditionen. In einem
weiteren Sinne sahen sie modernen Sport als Ausdruck der »zivilisierten
Welt«.8Das machen die Veröffentlichungen und Unterweisungen für
Fußballspieler deutlich, die im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts
erschienen.
Auf der anderen Seite dieser Vereinnahmungen standen etliche Vereine
und Klubs, die Arbeiter und einfache Angestellte in den Vorstädten gründe-
ten und die sich den Fußball anders aneigneten. Die gegensätzlichen Sport-
auffassungen und Aneignungen spiegelten sich in der Sportpresse im
Dekadenzdiskurs wider, der vor allem in den 1920er-Jahren stark zunahm.
In São Paulo charakterisierten elitäre Sportler und Journalisten den Fußball
der kleinen, eher unorganisierten
clubes de várzea
als gewaltvoll und stell-
ten dies in einen Zusammenhang mit einem Niedergang der ehedem elitä-
ren Sportart. Dafür verantwortlich machten sie das veränderte soziale Profil
der Ausübenden und Zuschauer, die sich den Fußball unter Missachtung
der Werte einer »guten sportlichen Erziehung« angeeignet hätten und von
einem organisierten Vereinswesen wenig wüssten.
Viele Sportpioniere, Politiker und Reformer sahen die Popularisierung
und »Nationalisierung« des Fußballs als Chance. Gerade über das inzwi-
schen weitgespannte Vereins- und Verbandsnetzwerk ließe sich, so äußer-
ten Sozialreformer und Politiker in den 1920er-Jahren, Werte einer
»zivilisierten« Nation vermitteln und möglichst viele Menschen erziehen.
Für diese Sichtweise sprechen die zunehmenden Veröffentlichungen von
pädagogisch angelegten Erklärungen und Übersetzungen von Fußballre-
geln. Auch die Aufnahme von Fußball in politische Programme zur
abrasileiramento
der Bevölkerung und zur Schlichtung von sozialen Kon-
8
Für den europäischen Zusammenhang siehe auch: T
AYLOR
, Global Players?
319Schlussbetrachtung
319
flikten zeugen davon. Über den Fußball konnten mehr Menschen erreicht
werden, so äußerten Reformer, als über das in der Ersten Republik noch
weitestgehend defizitäre Schulsystem. Im Fußball und seinen vielfältigen
Aneignungen drückten sich urbane gesellschaftliche Veränderungen und
Ausdifferenzierungen aus. Zugleich war er eine Möglichkeit, mit den sich
wandelnden Beziehungen zwischen sozialen Gruppen im urbanen Raum
umzugehen.
Im Hintergrund stand auch ein sich veränderndes Verständnis von
»Rassenbeziehungen« in den 1920er-Jahren: Die Bevölkerung könnte den
Idealen einer modernisierten und industrialisierten Gesellschaft durch
sozialreformerische Methoden angepasst werden und Sport schien sich
dazu besonders zu eignen. Brasilianische Sportfunktionäre und Reformer
stellten den Fußball in den Dienst einer sozialreformerischen Nationali-
sierungskampagne, in der es in Ansätzen auch schon um die Schaffung
einer
raça brasileira
ging. Als Zwischenergebnis lässt sich schon für das
erste Kapitel festhalten, wie stark die sozialreformerischen Vereinnahmun-
gen des Fußballs in Brasilien in einer Auseinandersetzung mit transnatio-
nalen Ideen stattfanden, wenn die Presse hier beispielsweise auf europäi-
sche Sportkultur verwies.
Fußball hatte in den Augen der oben genannten Akteure auch eine
herausragende Bedeutung für eine
abrasileiramento
einer multiethnischen
Gesellschaft. Er wurde in die Aushandlung von Rassismus und »rassischer
Identität« einbezogen. Dies ist Gegenstand des zweiten Kapitels.
Als Leser einer Tageszeitung im Jahr 1918 über die Aufnahme afro-
brasilianischer Spieler in Vereine der zweiten Liga von São Paulo
debattierten, kamen zum ersten Mal auch Anhänger der
clubes de várzea
zu
Wort. Einige äußerten sich explizit gegen rassistische Diskriminierung, der
überwiegende Teil sah im Fußball ein Instrument zur Vermittlung des
herrschenden
embranquecimento
-Ideals. Hintergrund dieser Debatte bildete
auch hier das Ideal einer
raça brasileira
. In sie sollten nun auch Afro-
Brasilianer eingeschlossen werden. Die Leserbriefschreiber sahen afro-
brasilianische Sportler selbstverständlich als Teil der nationalen Geschichte
Brasiliens und grenzten sie zum Teil positiv gegen europäische Immigran-
ten ab. Auch in den Fußball, der in der Presse in dieser Zeit als nationale
historische Tradition »erfunden« wurde, sollten Afro-Brasilianer zuneh-
mend einbezogen werden, so die Erwartung. Die Debatte zeigt, dass Be-
sucher von Vorort-Spielen ganz selbstverständlich Diskurse der
einen raçabrasileira
rezipierten und verhandelten. Die Auseinandersetzungen be-
schränkten sich nicht auf Eliten und auch nicht auf afro-brasilianische
320
320
Schlussbetrachtung
Aktivisten. Es schien weithin akzeptiert, Fußball als Möglichkeit des
embranquecimento
, aber auch des sozialen Aufstiegs von Afro-Brasilianern
anzusehen.
Über die Sportpresse und im Kontext internationaler Sportwettbewerbe
traten Leser und Besucher von Fußballspielen in einen transnationalen
Dialog über »rassische« Identität. Bedeutend war die Sportpresse in dieser
Funktion gerade für Angehörige einer neuen urbanen Mittelschicht. Ihren
teilweise anti-rassistischen Argumenten gegen die Exklusion von afro-
brasilianischen Fußballspielern lagen transnationale Bezugnahmen zu
Grunde. Hier spielten auch andere südamerikanische Länder, in denen
schon mehrere afro-lateinamerikanische Spieler in Nationalmannschaften
aufgetreten waren, eine bedeutende Rolle. Es ist nicht zu unterschätzen,
dass erst die Presse und die transnationalen Bezugnahmen über den global
populären Sport diese Diskurse ermöglichten und hier ein Forum für die
Diskussion von rassistischer Diskriminierung und Ungleichheiten entstand,
an dem plötzlich Akteure teilnehmen konnten, die zuvor nicht sichtbar
gewesen waren. Diese Funktion des Fußballs zur Benennung rassistischer
Ungleichheit wurde auch in den Folgekapiteln immer wieder deutlich.9
Es waren nur wenige Afro-Brasilianer, denen der Fußball tatsächlich
einen sozialen Aufstieg ermöglichte. In jedem Fall waren sie in Brasilien
und im internationalen Sportkontext immer mit Ausgrenzungen und
Rassismus konfrontiert. Es konnte gezeigt werden, dass über den Fußball,
wie über andere kulturelle Phänomene dieser Zeit auch, die Schuld an
rassistischer Ausgrenzung häufig den Afro-Brasilianer selbst gegeben
wurde.10Das war dann der Fall, wenn angenommen wurde, sie wollten sich
dem
embranquecimento
-Ideal nicht unterordnen. Über den Fußball betei-
ligten sich Brasilianer insgesamt nicht nur an der Produktion eines
»schwarzen Athleten«11im globalen Sinne, sondern sie produzierten auch
Vorstellungen eines spezifisch brasilianischen »schwarzen Athleten« im
Sinne einer gemischten
raça brasileira
.
Die Aneignung von Fußball für Projekte nationaler Erneuerung und
Moralisierung ist in einem transnationalen Rahmen zu denken. Auch wenn
es nationale Vorhaben waren, konnten sie erst vor dem Hintergrund eines
transnationalen Austauschs von Ideen, Körperbildern und der Interaktion
von Sportlern einen Sinn ergeben. Denn die hier debattierenden Fußballan-
hänger und Rezipienten einer transnational agierenden Presse nahmen an
9
Vgl. auch Kapitel 4 der vorliegenden Studie.
10
B
UTLER
,
Freedoms Given
, S. 94.
11
C
ARRINGTON
,
Race, Sport and Politics
, S. 76-82.
321Schlussbetrachtung
321
einem über nationale Grenzen hinausgehenden Dialog teil. Freilich besei-
tigte die globale Verbreitung des Fußballs nicht den Rassismus. Aber sie
konnte ihn an die Oberfläche bringen und für ein weiteres Publikum, ur-
bane Zeitungsleser und betroffene »schwarze« Sportler selbst, verhandelbar
machen. Der transnationale Sport bot vor allem durch die sinnstiftende
Funktion der Sportpresse einem urbanen Massenpublikum eine neue kultu-
relle Ausdrucksform, über die es auch Forderungen stellen oder Missstände
benennen konnte. Diese konnten auch konträr zu politischen oder staatli-
chen Zielen oder einem Elitediskurs stehen. Auch das zeigen die Debatten
um die Inklusion von afro-brasilianischen Fußballspielern im Jahr 1918.
Fußball diente als »Interdiskurs«, um die Vorstellungen sozialreforme-
risch denkender Sportfunktionäre weitreichend akzeptabel zu machen. Ihre
Ideen, die dann eine größere politisch zentralisierte und forcierte Umset-
zung unter Vargas in den 1930er-Jahren erlebten, hatten schon 1918 eine
hohe Resonanz. Das Konstrukt einer
raça brasileira
, das Afro-Brasilianer
selbstverständlich mit einbezog, war dann in der Vargas-Zeit anschlussfä-
hig für das Konzept eines »neuen brasilianischen Menschen«.12Der über
den Fußball vermittelte Diskurs war grundlegend für die weitere Vermitt-
lung des Mythos der brasilianischen »Rassendemokratie«. Im Vergleich zu
anderen Sportnationen ließ sich zudem das Konzept der
raça brasileira
als
brasilianische Besonderheit zur Abgrenzung gegenüber anderen verwen-
den.
Rassistische Exklusion und das Verhältnis von Nation zu »Rasse« spiel-
ten nicht nur im lokalen Fußball eine bedeutende Rolle. Wichtig war die
Frage nach der ethnischen Repräsentation Brasiliens nach außen für Politi-
ker und Eliten, die glaubten, über den Sport ließe sich auch der Grad der
»Zivilisation« eines Landes ausdrücken. Dieser Diskurs wurde vor allem
bedeutender, als nach dem Ende des Ersten Weltkriegs internationale
Sportveranstaltungen zunahmen.
Die transnationale Dialog- und Vermittlungsfunktion des Fußballs
spielte auch eine Rolle für die Aushandlung regionaler Identitäten. Fußball
eignete sich im stark regionalisierten Brasilien der Ersten Republik nicht
nur dazu, nationale Harmonie und Einheit zu stiften und nach außen zu
12
J
ACKSON
, The New Brazilian Man. Für das Konzept des »neuen brasilianischen
Menschen« unter Vargas siehe DÁVILA,
Diploma de brancura
, S. 47-93. Zum Fußball
und Sport unter Vargas siehe: AGOSTINO,
Vencer ou morrer;
DRUMOND,
Nações emjogo
; MANHÃES,
Política de esportes no Brasil
; NEGREIROS,
A nação entra em campo
;
DERS, Futebol nos anos 1930 e 1940; PEREIRA,
Footballmania
, S. 303-345; SOUZA,
OBrasil entra em campo!
; TEIXEIRA, Roberto Sander,
Anos 40: viagem à década semcopa
, Rio de Janeiro 2004.
322
322
Schlussbetrachtung
inszenieren. Durch Fußball konnten regionale Überlegenheitsansprüche
dargestellt, manifestiert und bestärkt werden. Internationale Spiele boten
dafür eine gute Gelegenheit. So nutzten Paulistaner Sportfunktionäre und
Fußballspieler das regelmäßige Messen an internationalen Gegnern, deren
Gesellschaften als das Ideal Paulistaner Strebens galten, um sich als
fortschrittlicher, moderner, »zivilisierter« als Rio de Janeiro und andere
Regionen Brasiliens darzustellen, wie in Kapitel 3 deutlich wurde.
Das ist herauszustellen: Die Paulistaner Sinnproduktionen über den Fuß-
ball fanden vor allem im Vergleich zu Rio de Janeiro statt. Die Auseinan-
dersetzungen zwischen Rio de Janeiro und São Paulo hingen mit der
unterschiedlichen Sportentwicklung in beiden Regionen zusammen. São
Paulo sah sich gegenüber Rio de Janeiro und anderen Regionen als Zen-
trum der Fußballentwicklung Brasiliens. Die Paulistas führten das auf ihre
Pionierrolle in internationalen Fußballbegegnungen zurück. Rio de Janeiro
hingegen war als Hauptstadt Brasiliens administrativer Mittelpunkt des
nationalen Fußballs. Diese Positionen machten sich beide Regionen kon-
stant streitig, in einer Weise, die weit über eine im Fußball übliche inter-
regionale Rivalität hinausging. Hier bildeten sich politische Auseinander-
setzungen ab. Doch wird auch hier deutlich, dass Fußball nicht nur poli-
tische Prozesse reflektiert, sondern selbst diskursive Kräfte freisetzte und
eben selbst politisch war. Fußball war für Paulistaner Eliten ein zentrales
Mittel, Bilder eines anderen, kulturell und sogar »rassisch« unterlegenen
Rio de Janeiro zu konstruieren.
Letzteres geschah über den
bandeirante
-Mythos, den Journalisten und
Sportler in der Fußballberichterstattung immer wieder heraufbeschworen
und auf den die Paulistas ihre fußballerischen Erfolge zurückführten. Diese
Bilder waren durch die Verstärkungskraft der Presse sehr wirksam und
nachhaltig. Regionale Differenzierungen materialisierten sich hier, auch
körperlich. Gerade internationale Fußballerfolge bestätigten in den Augen
Paulistaner Journalisten und Sportler den Mythos des
bandeirante
als
Selfmademan
, als perfektes Vorbild für eine zukünftige
raça brasileira
. Die
Paulistas nahmen São Paulo als Ausstrahlungszentrum für die Diffusion
des Fußballs innerhalb Brasiliens wahr, da sie immer schon stärker im
Kontakt zu »zivilisierten« Sportnationen gestanden hätten.
Paulistaner Sportfunktionäre erfanden den Fußball zudem als Teil einer
Geschichte dieser Region und betonten über ihn eine historische Sonder-
rolle São Paulos. In einer Zeit, als Paulistaner Eliten dabei waren, eine
nationale Identität unter Paulistaner Vorzeichen an Geschichtsinstituten zu
323Schlussbetrachtung
323
erfinden, konnte auch der Fußball dabei helfen, vermeintliche historische
Traditionen körperlich darzustellen und sie zu inszenieren.
An dieser Stelle ist festzuhalten, dass Fußball keinesfalls wie von selbst
»Chancengleichheit« herstellt.13Vielmehr bildet er Machtasymmetrien ab,
ja er trägt sogar dazu bei, diese zu verstärken. Die Globalisierung des
Sports ist nicht als Modernisierungsprozess zu denken, durch den, im Sinne
Roberto DaMattas, automatisch Demokratie oder soziale Harmonie ent-
stehe.14Die Rede von einer Diffusion des Sports als Möglichkeit,
»Chancengleichheit« herzustellen, entspringt der Annahme, Fußball habe
sich im Zuge einer Modernisierung in der Welt ausgebreitet. Dies entsprach
auch der Auffassung der hier untersuchten historischen Akteure, also der
Sportfunktionäre, Journalisten und auch Sportler, die zum Beispiel São
Paulo gerade auf Grund seiner »Pionierrolle« im Fußball als moderner und
»zivilisierter« einschätzten.
Wie in Kapitel 4 verdeutlicht, interagierten »Rasse« und Region im
Fußballspiel miteinander in der Aushandlung und Inszenierung nationaler
Identitäten. Die Macht dieses Spiels zur Inszenierung kollektiver Identitä-
ten erkannten in Brasilien Regierungen, Regierungsvertreter und nicht-
staatliche Akteure gleichermaßen. Das ist Thema des letzten Kapitels.
Es lohnt sich, noch einmal etwas zur Periodisierung des hier analysierten
Zeitraumes zu äußern: Der Erste Weltkrieg brachte für die Region
Südamerika eine Regionalisierung in der Sportinternationalisierung – lo-
kale Sportfunktionäre richteten ihren Blick stark auf die Nachbarländer
Argentinien und Uruguay und auf die Region Südamerika insgesamt.
Schon zuvor hatten staatliche und nicht-staatliche Akteure den Fußball als
Mittel der Diplomatie erkannt. Mit der Popularisierung und Politisierung
des Fußballs im Zuge des Ersten Weltkriegs bekam dieser Gedanke aller-
dings mehr Bedeutung.
Die kosmopolitischen und friedensbringenden Ansinnen, die Sportfunk-
tionäre in den 1910er-Jahren antrieben und sie zur Gründung eines regio-
nalen Verbandes und regionaler Wettbewerbe zusammenführten, gerieten
jedoch schnell ins Hintertreffen. Die Wirkmacht auf ein Massenpublikum,
vor allem durch die den Sport immer stärker fokussierende Presse,
diskreditierte ihn in den Augen von Diplomaten und Politikern als Mittel
13
Diese Argumentation ist an Carrington angelehnt: Vgl. C
ARRINGTON
,
Race, Sportand Politics
, S. 65 f.
14
D
A
M
ATTA
, Roberto, Esporte na sociedade: um ensaio sobre o futebol brasileiro, in:
Ders. u. a. (Hg.),
Universo de Futebol
, Rio de Janeiro 1982, S. 35-40; DERS., »O futebol
é a maior escola de democracia«; SUSSEKIND,
Futebol em dois tempos
, S. 91-95.
324
324
Schlussbetrachtung
der Annäherung. Sie warnten vor die internationalen Beziehungen in der
Region belastenden nationalchauvinistischen Ausbrüchen im Publikum.
Das dadurch entstehende Bild könnte im Widerspruch zu dem eines »zivili-
sierten« Brasilien stehen. Vor allem sahen sie die Presse als prinzipiellen
Katalysator für diese Ausbrüche. Die transnational agierende Presse schien
in den Erzählungen über Ereignisse, die selbst transnational waren, eher als
unkalkulierbares Risiko für die internationalen Beziehungen.
Doch nicht alle Sportfunktionäre und Sportler kamen zu dieser negativen
Einschätzung der Rolle des Fußballs für die Ausgestaltung internationaler
Beziehungen. Gerade private Akteure förderten Fußballbegegnungen als
Formen diplomatischer Annäherung. Sie überzeugte die Botschaft, die
Europäer und US-Amerikaner über den modernen Sport in den 1920er-
Jahren zunehmend aussendeten: Er könne Völker zusammenbringen und
darüber hinaus politische und selbst wirtschaftliche Anliegen an ein großes
Publikum vermitteln. Allerdings schlug sich diese Anerkennung nicht in
einer Institutionalisierung in Brasilien nieder, es handelte sich mehr um
sporadische und vor allem private Zuwendungen.
Uruguay diente als Vorbild für eine Nutzung des Fußballs zur Außendar-
stellung. Der außerordentliche und überraschende Erfolg der uruguayischen
Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen 1924 kam dem Beginn
einer neuen Zeitrechnung gleich, die eine bedeutendere Rolle Südamerikas
im internationalen Fußball ankündigen sollte. Es ist hervorzuheben, dass
gerade nicht-staatliche Akteure die Ausstrahlungskraft des Fußballs als
Mittel der Diplomatie nicht nur erkannten, sondern auch nutzten. Blickt
man auf die Internationalisierung des Sports in den 1920er-Jahren nicht nur
aus dem beengten Sichtfeld internationaler Organisationen und staatlicher
Akteure, dann werden bereits in diesem Zeitraum bemerkenswerte politi-
sche Kräfte und Motive für seine weitere Internationalisierung in den
1930er-Jahren freigelegt und darüber hinaus wird das Narrativ einer in den
1920er-Jahren ausnahmslos europäisch dominierten Sportinternationalisie-
rung in Frage gestellt.
Die durch Fehleinschätzungen, finanzielle und sportliche Rückschritte
und auch Eitelkeiten entstandene Isolation Brasiliens in den südamerikani-
schen Fußballbeziehungen löste sich selbst 1930 nicht auf, als die
Weltmeisterschaft nach Südamerika kam. Auch hier legten Botschafter und
Vertreter des Nationalverbandes Wert darauf, eine neutrale Haltung im
Konflikt zwischen den Europäern auf der einen und Argentiniern und Uru-
guayern auf der anderen Seite einzunehmen, als es im Zuge des Fernblei-
bens einiger europäischer Nationalmannschaften zu Boykottforderungen in
325Schlussbetrachtung
325
Südamerika kam. In der Sportpresse gab es eine andere Meinung: Hier
plädierten einige Journalisten für eine verstärkte Internationalisierung und
gegen die Isolationshaltung Brasiliens im internationalen Fußball. Sie wa-
ren der Meinung, internationale Fußballspiele förderten die Entwicklung
des nationalen Spiels. Das spiegelte sich auch in der Rezeption des
uruguayischen Olympiaerfolges von 1924. In allen Varianten jedoch zeigt
sich eines: Brasilianische Fußballakteure suchten eine Abgrenzung von
Europa sowie von Argentinien und Uruguay gleichermaßen. Zugleich aber
blieb die Anerkennung des brasilianischen Fußballs durch die wichtigsten
Fußballnationen beider Regionen von hoher Bedeutung, um überhaupt ein
eigenes Selbstbewusstsein auszubilden.
Auch auf einer Europareise 1925 stand die Vermittlung eines fortschritt-
lichen, modernen, ökonomisch starken Brasiliens im Vordergrund, symbo-
lisiert durch einen neuen brasilianischen Fußballstil. Französische Sportme-
dien grenzten ihn positiv vor allem gegen Uruguay ab und führten ihn auch
auf ethnische Merkmale zurück. Im Grunde aber diente die Reise der Ver-
handlung unterschiedlicher Identitätsvorstellungen auf beiden Seiten des
Atlantiks: Erstens der einer spezifischen brasilianischen »Rassenmi-
schung«, die in den Augen der zeitgenössischen Betrachter zu eben dieser
Ausprägung des eigenen Stils geführt hatte und die erst über die Aner-
kennung der Europäer in Brasilien selbstbewusst geschätzt wurde.
Zweitens über
Latinité
und einen lateinischen Fußballstil, über den sich
französische Sportfunktionäre und -journalisten mit den nun gerühmten
Brasilianern (und auch Argentiniern und Uruguayern) zu solidarisieren und
von den britischen »Erfindern« des Sports abzugrenzen suchten.
Es schien, als ob nun nicht mehr die Europäer den besten Fußball spiel-
ten. Brasilianer, so der Tenor der Rezeption, beherrschten sehr viel besser
ein originär europäisches Spiel. Paradoxerweise diente der brasilianische
Fußballstil aber nicht nur zur Betonung von Differenz oder gar Überlegen-
heit. Die Paulistas nutzten ihn zugleich – als gemeinsame Ausdrucksform –
um Annäherungsversuche zu unternehmen. Fußball konnte helfen, so die
Idee, sich in zwischenstaatlichen politischen Beziehungen mehr Anerken-
nung zu verschaffen. Tatsächlich warb die brasilianische Fußballtruppe in
Frankreich und der Schweiz auf der Ebene einer diplomatischen Delegation
für Brasilien als gleichwertigen Partner in den internationalen Beziehun-
gen.
Im vielschichtigen Prozess der Differenzierung und Annäherung entwi-
ckelte sich ein brasilianisches Selbstbewusstsein, das aber nie ohne die vor-
malige Anerkennung durch die Europäer auszukommen schien. Begrenzt
326
326
Schlussbetrachtung
kann auch davon gesprochen werden, dass die während der Reise verhan-
delten Körperbilder auch die Wahrnehmung in Brasilien veränderten. Die
positive Anerkennung des Fußballs als südamerikanisch und gar als genuin
brasilianisch, als Ausdruck einer brasilianischen »Rassenmischung«, führte
zu einem höheren Selbstbewusstsein in Bezug auf die Multiethnizität
Brasiliens. Die Begegnungen sind wichtige Momente transnationaler Aus-
handlung von nationalen und »rassischen« Identitäten.
Insgesamt lässt sich die Globalisierung des Fußballs aus brasilianischer
Perspektive vor allem über die Rolle der transnational agierenden Sport-
presse zusammenfassen: In den beiden wichtigsten Sportzentren Brasiliens,
São Paulo und Rio de Janeiro, bestand eine interdependente Entwicklung
zwischen einer immer differenzierter werdenden und transnational agieren-
den Sportpresse und der Entwicklung des Fußballs zum beliebtesten Sport
und zum Instrument identitärer Aushandlungen. Erst die Presse vermochte
es, wenn auch nur für kurze Augenblicke, Menschen das Gefühl zu geben,
Teil einer globalen Bewegung zu sein, über den Fußball vor allem mit der
»zivilisierten Welt« verbunden oder sogar mit ihr gleichauf zu sein.
Sicherlich kann nicht von der Entstehung einer »transnationalen Öffent-
lichkeit« gesprochen werden, wie sie Kaelble u. a. definieren.15Dafür waren
die Verbindungen und Kontakte nicht dauerhaft genug, die Reichweite der
Presse auch zu begrenzt. Gleichwohl zeigte sich bei Journalisten und
Rezipienten in Ansätzen ein Bewusstsein für die Globalität des Fußballs.16
Beispielhaft ist die Wahrnehmung der FIFA als transnationale Dach-
organisation, der man zutraute, regionale Konflikte lösen zu können. Oder
wenn Presserezipienten in Brasilien im Vergleich zu anderen »Sport-
nationen« die zunehmende Gewalt im Fußball und die Exklusion
afrikanischstämmiger Spieler aus Fußballvereinen diskutierten. Die Trans-
nationalität des Fußballs und der Presse waren wechselseitig bedingt. Sich
über den Fußball einer »zivilisierten« Welt zugehörig zu fühlen, das galt
für den Sport allgemein. Er teilte die Welt in »zivilisierte« und »nicht-
zivilisierte« Länder, in solche, die von ihm erfasst oder nicht erfasst waren.
Das machten Berichte in der Presse immer wieder deutlich, so in der Erfas-
sung der Welt-Regionen in Mitgliederlisten der FIFA und in Berichten über
15
K
AELBLE
u.a., Zur Entwicklung transnationaler Öffentlichkeiten und Identitäten.
16
Auch wenn deren Intensität und Ausmaß aus heutiger Sicht episodenhaften
Charakter haben: CONRAD, Sebastian/SACHSENMAIER, Dominic, Introduction. Compe-
ting Visions of World Order: Global Moments and Movements, 1880s-1930s, in:
Sebastian CONRAD(Hg.),
Competing Visions of World Order. Global moments andmovements 1830s-1930s
, New York 2007, S. 1-27, hier 12 f.
327Schlussbetrachtung
327
die Durchdringung der Welt durch verschiedene Sportarten. Teile Brasili-
ens, vor allen Dingen São Paulo, gehörten in den Augen der Sportpresse
und von elitären Sportfunktionären zu dieser »zivilisierten« Welt und
konnten sich über den Sport immer wieder als dazugehörig beweisen.
Galt vor dem Ersten Weltkrieg Europa im Fußball noch als unumstritte-
nes Vorbild für seine Ausübung und vor allem als überlegen, so gerieten
internationale Fußballveranstaltungen danach zu einer Ausdrucksform für
nationale Besonderheiten und Stärke. Anstatt eigene Stilbildungen in einer
möglichst originalgetreuen Nachahmung eines britischen oder europäi-
schen Fußballstils ablegen zu wollen, kehrte sich die Beziehung um: Nun
ging es darum, über den Fußball als »brasilianisierte« Sportart nationale
Eigenheiten zu demonstrieren.
Das verstärkte sich mit einer Regionalisierung des internationalen Fuß-
balls während des Ersten Weltkriegs17und einer zunehmenden Internatio-
nalisierung des Fußballs nach seinem Ende. Hinweise auf europäische
Ursprünge wurden von der brasilianischen Sportpresse fast als Beleidigung
aufgefasst, nun betonte man eine größtmögliche Differenz zwischen dem
brasilianischen und europäischen Fußball. Fußball galt inzwischen als
»nationalisiert«, als brasilianisches Kulturgut. Die Erfolge südameri-
kanischer Nationalmannschaften bei den Olympischen Spielen in Europa
und von Vereinen, die auf Europa-Tourneen gegen europäische Klubs sieg-
ten,18bewiesen seine erfolgreiche Aneignung und sogar Überlegenheit. Als
Maßstab dafür galt aber für brasilianische Eliten weiterhin das lobende
Wort Europas.
Bei aller Betonung von Besonderheiten und Differenzierungen, blieb
diese Orientierung an Europa leitend. Sportler und Sportfunktionäre aus
Rio de Janeiro und São Paulo legten während der gesamten hier untersuch-
ten Zeitspanne großen Wert auf eine Anerkennung des brasilianischen
Fußballs durch argentinische, uruguayische und europäische Sportler und
die ausländische Sportpresse. Wer gegen sie angetreten war, von ihnen
Lehrstunden erhalten hatte, sogar gegen sie gesiegt hatte, wurde ehrfürchtig
bewundert und galt als überlegen. Man maß sich an ihm, sobald aber ge-
siegt wurde, suchte man nach Abgrenzung.
Die Studie stellt nicht
per se
die europäische Dominanz des internatio-
nalen Fußballs in Frage, die freilich über 1930 hinausreichte. Sie zeigt aber
mit Blick auf die diskursiven transnationalen Bezüge ein vielschichtiges
Zusammenspiel und eine wechselvolle Beziehungsgeschichte zwischen den
17
Vgl. Kapitel 4.1 der vorliegenden Studie.
18
Vgl. Kapitel 4.2 der vorliegenden Studie.
328
328
Schlussbetrachtung
beiden Regionen auf, in der auch Südamerikaner eine gestalterische Rolle
spielten. Sie schafften es zumindest punktuell, die europäische Dominanz
im internationalen Sport in Frage zu stellen.
Fußball war und ist nicht einfach ein global verbreitetes Kulturprodukt,
über das sich nationale Identitäten zum Ausdruck bringen ließen. Die sehr
unterschiedlichen Vereinnahmungen regionaler Eliten, von einer reformeri-
schen Mittelschicht, von Arbeitern und Afro-Brasilianern, verdeutlichen,
dass er dazu beitrug, unterschiedliche Identitätsvorstellungen zu formulie-
ren, sie körperlich auszudrücken und gegeneinander abzugrenzen. Identi-
täten wurden hier als erst in der Interaktion und in Aushandlungen
konstruierte Sinnzusammenhänge und als »Praxis der Differenz«
verstanden.19
Die Arbeit erweitert in zwei Punkten die Historiografie des Fußballs in
Brasilien – aus nationaler und transnationaler Perspektive. Brasilianische
Sportpioniere und reformerische Mittelschichtangehörige betrachteten den
Fußball als ein »Zivilisierungsinstrument« für die brasilianische Bevölke-
rung, die im Zuge eines sozialreformerischen Denkens auch über diesen
Sport erzogen, in die Gesellschaft integriert und sogar alphabetisiert wer-
den sollte. Auch wenn diese Projekte oftmals wenig konkret waren und die
Umsetzung eines nationsweiten Programms sportlicher Erziehung erst
unter Vargas erfolgte, so ist der diskursive Wandel in der Ersten Republik
für die spätere Entwicklung und Vereinnahmung des Fußballs unter Vargas
nicht zu unterschätzen. Denn bereits hier erfolgte eine starke Politisierung,
die sich nicht institutionell niederschlug. Hier boten sich Vargas sowohl
personell als auch diskursiv Anknüpfungspunkte.20
Sport und die mit seiner globalen Verbreitung entstehende transnationale
Sportgemeinschaft spielte schon viel früher als in den 1930er-Jahren eine
entscheidende Rolle für die Ausgestaltung von Identitäten. Die vorliegende
Arbeit zeigt am Beispiel Brasiliens, wie konfliktreich diese Aushandlungen
waren. Unterschiedliche Ansprüche auf Interpretationen nationaler Identität
traten hervor und Machtbeziehungen und -asymmetrien bildeten sich ab. Es
war aber nicht genuin nationale Identität, die über den Fußball bestärkt
wurde. Das belegen gerade die Beispiele der Aushandlung »rassischer« und
»regionaler« Identitäten über den Fußball.
19
A
SSMANN
, Aleida/F
RIESE
, Heidrun, Einleitung, in: D
IES
. (Hg.),
Identitäten(Erinnerung, Geschichte, Identität, 3)
, Frankfurt am Main 1998, S. 11-23, hier 23.
20
Zu den Anknüpfungspunkten: Vgl. M
ANHÃES
,
Política de esportes no Brasil
;
PEREIRA,
Footballmania
, S. 303-345.
329Schlussbetrachtung
329
Insofern geht die Studie über bisherige Forschungsansätze hinaus und
erweitert die brasilianische Fußballhistoriografie um eine transnationale
Perspektive. Wie Dyreson feststellt, wäre es übereilt, den globalisierten
Sport als Weltsprache anzusehen, der automatisch Kosmopolitismus her-
vorbrächte. Dyreson meint aber, die Globalisierung mache es möglich,
nationale Identität durch den Sport als globales Phänomen auszudrücken.
Sport als Ausdrucksform, so Dyreson, würde zum globalen Phänomen, je-
doch lösten sich durch ihn nationale Grenzen nicht auf.21Die Historikerin
Barbara Keys kommt in ihrer grundlegenden Studie zur Globalisierung des
Sports in den 1930er-Jahren in dieser Hinsicht zu einem differenzierteren
Ergebnis. Ihrer Meinung nach bildete sich mit der Internationalisierung des
Sports seit der Zwischenkriegszeit eine internationale Gemeinschaft heraus,
die entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung nationaler Identitäten
hatte. Sie gelangt zu der Überzeugung, dass die Entstehung nationaler
Identitäten nicht nur von innen heraus verstanden werden könne.22Die
vorliegende Studie schließt an die Thesen Dyresons und Keys an, geht aber
darüber hinaus: Sie zeigt, dass diese Annahmen zu stereotyp sind und zu
kurz greifen. Vielmehr diente der Sport ganz unterschiedlichen Identitäts-
konstruktionen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen. Dyreson über-
sieht, dass nationale Identität nicht einfach schon vorhanden war und
gleichsam selbstverständlich auf internationalen Sportveranstaltungen
inszeniert und aufgeführt wurde.
Die Studie zeigt: Es wäre zu vereinfacht, anzunehmen, Sport habe ent-
weder Differenzen aufgehoben oder überwunden, sei es hinsichtlich Rassis-
men, regionaler Ungleichheiten oder nationaler Differenzierungen. Auf der
anderen Seite wäre es zu vereinfachend davon auszugehen, Fußball in
seiner Verbreitung hätte ausschließlich dem globalen Vergleich nationaler
Stärke gedient. In diesem hier aufgespannten Feld sind Differenzierungen
vorzunehmen. In der vorliegenden Studie geschieht das anhand von drei
Dimensionen, die zeigen, dass die Globalisierung des Fußballs standardi-
sierend, aber auch differenzierend wirken konnte und dass diese
Differenzierungen Machtasymmetrien abbildeten, sie sogar verstärken und
hervorbringen konnten. Die transnationale Sportpresse hatte daran in ihrer
Funktion als Medium der »Sinnstiftung« des Sports einen entscheidenden
Anteil.
Die Arbeit leistet auch einen Beitrag zur Beziehungsgeschichte zwischen
Brasilien und Europa und zu den Süd-Süd-Beziehungen in Südamerika.
21
D
YRESON
, Globalizing the Nation-Making Process, S. 93.
22
Keys,
Globalizing Sport
, S. 189.
330
330
Schlussbetrachtung
Fußball war nicht einfach eine Sphäre, in der sich die politischen und kultu-
rellen Beziehungen zwischen den Regionen abbildeten. Er war für sich
selbst bedeutend für die Beziehungen in seinen vielseitigen Funktionen, die
über ihn als simples Spiel hinausgehen. Zusammenfassend sollte der Ein-
fluss südamerikanischer Akteure in der sich Anfang des 20. Jahrhunderts
herausbildenden transnationalen Sportgemeinschaft nicht unterschätzt
werden. Gerade in den diskursiven Auseinandersetzungen in der Presse und
während internationaler Begegnungen gestalteten südamerikanische Ak-
teure in den 1920er-Jahren die internationalen Sportbeziehungen mit – und
zwar zu einem Zeitpunkt, als die Position der FIFA und des IOC in den
internationalen Sportbeziehungen noch schwach war.23Die zu Beginn
zitierten Aussagen zur heutigen Globalität des Sports missachten die
Geschichte der internationalen Sportbeziehungen, an denen immer schon
Akteure aus nicht-europäischen Regionen teilnahmen und diese gar aktiv
mitgestalteten.
23
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EYS
,
Globalizing Sport
, S. 43.
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Nachlass Armando Prado, Caixa 1, Subsérie »Esportes« und Caixa 3, Grupo:
Particular XIX, Armando Prado, Grupo: Atividade Profissional
Arquivo Nacional, Rio de Janeiro
Polizeiakten
GIFI 6 C 367 (»Sociedades Carnavalescas durante o anno de 1912«)
GIFI 6 C 365
GIFI 6 C 368
GIFI C 432
Série Justiça IJ6 597
Série Justiça IJ6 645 (Sociedades-Clubs-Grupos etc. 1918)
Nachlass von Afonso Vasconselos Varzea, codigo do fundo: IW
Arquivo Público do Estado de São Paulo, São Paulo
Sociedade Civil nº 440 A
Sociedade Civil nº 452
Biblioteca Histórica do Itamaraty (Ministério das Relações Exteriores),Rio de Janeiro
Nummerierte Bände mit Korrespondenz zwischen brasilianischem Außenministe-
rium und Botschaft in Buenos Aires
Nummerierte Bände mit Korrespondenz zwischen brasilianischem Außenministe-
rium und Botschaft in Montevideo
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540.631 Jogos Olympicos 29.576
Clube Atlético Paulistano, São Paulo
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Album 1920
Album 1922, Vol. I-III
Alben 1923, Vol. I-II
Alben »Excursão à Europa«, 1925, Vol. I-II
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Alben »Internacionaes«, 1912, 1914 und 1916-1922
Alben »F. F.C.«, 1902-1925 (10 Vol.)
Album »Centenário de Independência«, 1922
Album, 3° Campeonato Sul-Americano
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Instituto de Estudos Brasileiros, São Paulo
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CPJ Pacote 32 40, Pasta »Notas para o livro ›História dos Esportes em São Paulo‹«
Instituto Martius Staden, São Paulo
G IV f, n° 10/2
G IV, n° 19/137
G IV f, n° 19/18
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Arquivo Público do Estado de São Paulo
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Biblioteca Histórica do Itamaraty (Ministério das Relações
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ORTS-, PERSONEN- UNDSACHREGISTER
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93
Amateurethos 28, 39, 45, 54–70, 87,
90, 110, 118, 257, 261
»Nationalisierung« in Brasilien 63–
70
Haltung der FIFA zum Amateurethos
58, 111
Haltung des IOC zum Amateurethos
58, 111
im globalen Kontext 55–63
América, Fußballklub Rio de Janeiro
200
Amsterdam 13, 275
Olympische Spiele 15, 90, 263, 266
Andahary, Fußballklub Rio de Janeiro
200
Andrada e Silva, Mario 301
Andrade, José Leandro, afro-
uruguayischer Fußballspieler 145,
236–37, 286–89
Andrade, Luiz Lopes de 301
Andrade, Oswald de 294, 308
Antwerpen (Olympische Spiele) 204,
219, 223, 229, 234
Argentinien 11, 39, 46, 59, 69, 75–76,
85, 109, 138, 145, 150, 175, 176,
186, 194–95, 204–11, 232, 238, 239–
64, 270, 272–76
Argentino, São Paulo 140–42, 149,
152, 160, 172
Asociación del Fútbol Argentino
249
Associação Athletica do Rio, Rio de
Janeiro 93
Associação Atlética Palmeiras 132
Associação de Amadores
, Argentinien
209
Associação dos Chronistas Esportivos
73, 87, 106, 205
Associação Metropolitana de EsportesAthléticos
134
Associação Paulista de EsportesAtléticos
85, 89, 94, 96, 100, 133,
140, 143, 149, 152, 195, 204, 219,
262
Associação Paulista de SportsAthléticos
90, 96, 133, 189, 190
Associação Portuguesa de Desportos,
São Paulo 94
Azevedo, Fernando de 72–73, 75
B
Bangú Athletic Club 52, 53, 90, 124,
157, 164, 168–70
Barão do Rio Branco (José Maria da
Silva Paranhos Júnior) 241, 243
Barbosa, Ruy 295
Baroli, Pietro 190
Basketball 184
Belgien 138, 197–204, 266, 277
Bilac, Olavo 121, 244
Boca Juniors 278
Bolivien 270
Bordeaux 280, 305
356
356
Orts-, Personen- und Sachregister
Botafogo 52, 93, 144, 183, 200, 238
Buenos Aires 76, 141, 185, 208, 238,
240, 242, 244, 246, 249–51, 254,
263, 273
C
C.A. Paulistano 40, 41, 47, 67–68, 114,
132, 141, 160, 161, 167, 185, 190,
204–5, 210
Europareise des C.A. Paulistano
276–312
Caldeira, Clodoaldo 301
Campeonato Sul-Americano
46, 160,
196, 201, 229, 310
Campeonato
von 1916 246
Campeonato
von 1917 145
Campeonato
von 1918 88
Campeonato
von 1919 138, 157,
160–61, 197, 247, 286, 311
Campeonato
von 1920 205, 207–11,
249
Campeonato
von 1921 251
Campeonato
von 1922 216, 222,
253, 259
Campeonato
von 1923 162
Cardim, Mário 72, 75–79, 183, 185,
190, 194, 195, 261
Chaves, Edu 279
Chile 204–10, 219, 249, 258–60, 267,
298, 303–4
Club Nacional de Football 69, 278,
287, 290
Clube Atlético Ypiranga, São Paulo 94,
132, 161
clubes de várzea
siehe
futebol devárzea
Coelho Netto, Henrique 85, 88
Commercio Foot-Ball Club, Rio de
Janeiro 93
Companhia Progresso Industrial Bangú
53, 170
Confederação Brasileira de Desportos
73, 111–13, 160, 161, 162, 164, 193,
195–96, 208–11, 216–19, 222, 246,
251, 260–61, 264, 272, 307, 310–11
Congresso de Futebol
von 1921 208
Corinthian F.C., Großbritannien 95,
233, 243
Corrêa, Floriano Peixoto 90, 113–16
Costa, Oscar 264
Coubertin, Pierre de 26, 58, 66, 199,
234, 245, 279
Cox, Oscar 51–52
Crespi Football Club, São Paulo 94
Cricket 183
D
Delaunay, Henri 269, 280, 296
Deutschland 32, 114, 234, 277, 278,
282, 307
Dom João VI. 183
Dom Pedro II. 178, 183
E
E.C. Pinheiros 41
embranquecimento
46, 122, 130–32,
140, 147, 150, 151, 169, 173, 191,
252, 288, 319–20
357Orts-, Personen- und Sachregister
357
Epaminondas, afro-brasilianischer
Fußballspieler, Nachname unbekannt
164, 211, 251
Erster Weltkrieg 13, 15, 25, 36, 55, 58,
63, 65, 80, 82, 107–9, 118, 121, 139,
154–56, 159, 175, 176, 185, 194,
199–202, 229, 231–32, 233–37, 244,
268, 279, 292, 299, 305, 311, 321,
323, 327
Estudiantes, Buenos Aires 141
Exeter City 55, 69, 186–89, 233
F
Fausto, vollständiger Name Fausto dos
Santos 272
Federação Argentina
209
Federação Brasileira de Futebol
195,
208
Federação Brasileira dos Esportes
195
Fédération Française de FootballAssociation
278, 282
Fédération Internationale de FootballAssociation
13–16, 26–27, 42, 44,
58, 109, 111–13, 119, 133, 193–96,
234–35, 261, 264–65, 267–69, 274–
75, 277, 279, 299, 305, 310, 311,
313, 314–15, 326, 330
Figueiredo, Antônio 64–66, 70, 73, 75,
83, 225–26, 229
Filho, Mário 33, 34, 116, 122–24, 131,
135, 164, 333
Flamengo 167, 183, 200
Fluminense F. C. 41, 68, 73, 88, 109,
113, 115, 124, 165–68, 183, 186–87,
197, 200, 204–6, 243, 258, 307
Fonseca, Luiz 190
Football Association 13, 15, 26, 44, 50,
51, 55, 58, 75, 115, 183, 187, 239,
243–44, 299
Frankreich 35, 47, 70, 83, 138, 154,
244–45, 266, 271, 276–309, 276, 325
Freyre, Gilberto 123, 125, 128, 130,
131, 257
Friedenreich, Arthur 34, 49, 94, 159,
160–64, 237, 255, 260, 277, 286,
289, 295, 301
Fußballweltmeisterschaft
Brasilien 1950 131, 161, 315
Brasilien 2014 313
Südafrika 2010 313
Uruguay 1930 15, 160, 264, 265–76,
316
futebol de várzea
91–109, 150
G
Germania, Hamburger Sportklub 51,
114
globales Bewusstsein 13, 15, 142, 310,
326
Globalisierung 15–16, 19–26, 60, 172,
201, 264, 316, 323, 326, 329–30
Gradín, Isabelino, afro-uruguayischer
Fußballspieler 145–46, 164, 167–68,
287
Großbritannien 16–17, 19, 32, 51–58,
69–70, 80, 103, 109, 116, 234, 245,
282, 307
England 50–58, 83, 114–15, 137,
154, 244, 277, 298
Guia, Domingos Antônio da 128
358
358
Orts-, Personen- und Sachregister
Guimarães Filho, Luis 250, 253–54,
257
H
Huracán 272
I
Inter-Alliierte Spiele 1919 65, 167,
171, 232
Internacional Football Club, Rio de
Janeiro 93
International Olympic Comittee 26, 58,
109, 111–13, 133, 204, 217–19, 235,
269, 330
Italien 30, 80, 95, 97, 135, 149, 152,
181, 184, 189–93, 269, 277, 295,
297, 306
J
Jugoslawien 266, 270, 271
K
Kuntz Filho, Julio 207, 301
L
Lagreca, Sylvio 69
Latinité
262, 295–300, 312, 325
Líbero, Casper 27, 40
Liga dos Amadores de Futebol
161,
261
Liga Metropolitana
52, 87, 92, 134,
144, 148–49, 195, 204–5, 208–10,
218, 219, 258
Liga Paulista de Football
52, 79, 105,
132–33, 141, 143, 147, 163, 189, 195
Lima Barreto, Afonso Henriques de
83–84, 89
Lima Sobrinho, Alexandre Barbosa
85–90
Lobo, Hélio 272–75
London 57, 100, 212, 314
London Bank
50
Luís, Washington 76, 104, 107, 205,
220, 224, 277
M
Machado de Assis, Joaquim Maria 129
Mackenzie College 52, 64, 114, 132,
161, 184, 185, 238, 301
Mangabeira, Octávio 272–75
Mangueira, Rio de Janeiro 104
Manteiga
, Fußballspieler, realer Name
Muniz, Antônio 146, 164–71, 211,
251
Mendonça, Carlos Süssekind de 83–90
Mendonça, Marcos 67
Mexiko 254
Milano, Giuseppe 190
Miller, Charles 51–52
Misasi, Enrico 190
miscigenação
129, 130, 131, 139, 156,
163, 173
Montevideo 13, 15, 68, 76, 211, 248–
50, 254, 260, 263, 269, 272–75, 283,
306, 331
Montu, Carlo 190
Motta, Epaminondas 301
Müller, Lauro 246, 247, 249, 257
N
Nabuco, Joaquim 237
New York 100, 303
Nizza 280
O
Olympische Spiele
359Orts-, Personen- und Sachregister
359
regionale von 1922 in Lateinamerika
217–19
von 1920 in Antwerpen 204, 219,
223, 229, 234
von 1924 in Paris 15, 232–34, 236,
277, 278, 280, 324–25
von 1928 in Amsterdam 15, 90, 263,
266
von 1932 in Los Angeles 264
Orlando, uruguayischer Fußballspieler,
gesamter Name unbekannt 145
Österreich 278
P
Pacheco Chaves Company 301
Pacheco, Renato 264, 272
Palestra Itália 79–80, 94, 141, 149, 193
Paris 26, 100, 102, 184, 231, 236, 276–
80, 284, 289, 292–95, 302, 304–7
Olympische Spiele 232–34, 236,
278, 324, 325
Patuska, Araken 301
Payssandu Cricket Club 52, 183
Peñarol 283
Pfefferkorn, Maurice 290, 295–97
Pferderennen 70, 183, 184
Picchia, Menotti Del 138–39
Portugal 47, 277–78, 282, 307
Prado, Almeida 190
Prado, Antônio 61, 301
Prado, Antônio Júnior 61–62, 67, 75,
185, 217, 238, 278–83, 290, 301–9,
311
Profi-Fußball 109–17
Professionalisierung 61, 83, 123,
127, 262
Professionalismus 82, 258
Pró-Vercelli, São Paulo 152
Pujol, Ernesto Filho 301
R
Radrennfahren 183, 185
Rassismus 120–73, 319–21
Rassismus im Fußball und Mário
Filho 122–32
Rassistische Exklusionen in
Fußballklubs, Rio de Janeiro und
São Paulo 132–39
und »Rasse«-Diskurse im Fußball
139–60
und afro-brasilianische Spieler 160–
73, 252, 288
und regionale Identität in São Paulo
176, 211, 225, 291
Riachuelo Foot-Ball Club, Rio de
Janeiro 93
Rimet, Jules 277, 279, 296
Rio Branco, Barão do (José Maria da
Silva Paranhos Júnior) 237–39
Rio Branco, Raul Paranhos do 279, 305
Romano, Ángel, uruguayischer
Fußballspieler 68, 145, 286
Root, Elihu 237
Rudern 183
Rugby 51, 184, 244, 290
Rumänien 266
Ruth, Babe 288
360
360
Orts-, Personen- und SachregisterS
S.C. Corinthians, São Paulo 94, 95,
133, 150
S.C. Germânia 41, 51, 52, 79, 80, 114
Sant’Anna, Leopoldo 75, 89, 97, 224–
26, 229, 254–55, 267
Santiago de Chile 250, 254
Santos 248, 307
Santos Dumont, Alberto 231, 279, 295
Santos, Fausto dos 160
São Christóvão 211, 251
São Paulo Athlétic 51, 114
São Paulo da Floresta 94
São Paulo Railway
50
São Paulo Railway Cricket Club 51
Schweiz 47, 160, 277–80, 297, 305,
325
Sète 280
South Africa F. C., São Paulo 95
Souza Dantas, Luís Martins de 281,
294, 302, 305
Spanien 89, 160, 269, 277, 278, 282,
295
Sport Club Amazonas, Rio de Janeiro
93
Sport Club Idéal, São Paulo 141
sportsman
39, 49–70, 77, 87, 105, 133,
136, 139, 157, 162, 173, 198, 199,
203, 205, 206, 226, 238
Stade Français 280
Straßburg 280, 305
Südafrika 146, 235, 241, 313, 314
T
Taça Ioduran 204
Taça Julio Roca 246
Terra Nova Foot-Ball Club, Rio de
Janeiro 93
Thorpe, Jim 288
Torino F.C. 189–93
Transnational 24, 39, 236
Transnationale Geschichte 24–26,
24, 32, 39
Transnationale Organisationen 26,
27, 194
Transnationalität 15, 27, 83, 326
U
Ungarn 278
União Brasil, São Paulo 152
União Lapa, São Paulo 152
Uruguay 13, 15, 39, 46–47, 68, 69, 75–
77, 108, 109, 138, 145–46, 150, 160,
167–68, 170–71, 175, 177, 191, 194,
195, 204–11, 218, 232–76, 276–309,
311, 315–16, 323–25
USA 32, 42, 64–65, 72, 83, 116, 118,
125–27, 129, 138, 167, 170, 184,
199, 231, 236, 237–39, 249, 263–64,
287–88
V
Vanordem, Henrique 190
Vargas, Getúlio 16, 35–37, 45, 53, 77,
117–18, 123, 127, 176, 316, 321, 328
Varzea, Afonso 58, 115–17
Varzea, Paulo 75, 90, 115
Vasco da Gama 98, 104, 109, 110, 124,
128, 134–35, 160, 170, 183, 134–35
Vereinte Nationen 264
Vilela, Mauricio 301
361Orts-, Personen- und Sachregister
361
Villa Isabel, Rio de Janeiro 200
Villa Lobos, Heitor 295
W
Waleffe, Maurice de 298
Y
Young Men's Christian Association 65,
217
Z
Zamith, Álvaro 195
Zino, Alfredo Palácio 248
Zivilisierung 24, 46, 56, 70, 78, 93,
139, 299