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: Metaphysik ohne Vorurteile

Metaphysik ohne Vorurteile

Inhalt

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Vorwort

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine Gesamtdarstellung der Metaphysik, eine Darstellung ohne Vorurteile, d. h.: ohne ontologische, aber auch ohne epistemologische Dogmen (wie etwa die von manchen immer noch für ein Grundprinzip aller rationalen Phi-losophie gehaltene Meinung, dass Metaphysik als Wissenschaft doch gar nicht möglich sei). Diese Gesamtdarstellung hat dabei nicht den Charakter eines Überblicks darüber, was in Vergangenheit und Gegenwart die Auffassungen der Metaphysiker waren bzw. sind (obwohl auf diese Auffassungen immer wieder eingegangen wird); sie ist auch kein Einführungswerk wie mein Buch von 2004, Einführung in die Ontologie (mit dem sie sich in manchen Punkten berührt). Sie ist vielmehr eine im Stil der Analytischen Philosophie verfasste begrifflich an-spruchsvolle Gesamtdarstellung der Metaphysik dadurch , dass in ihr eine Metaphysik – eine umfassende metaphysische Theorie – in Gesamtheit dargestellt und vertreten wird. Dabei ist es natürlich unvermeidlich, dass der Autor der Theorie – selbst ein Metaphysiker – Stellung bezieht. Aber ich tue es undogmatisch, „ohne Vorurteile“, d. h.: immer unter ausführlicher Betrachtung und Würdigung der alternativen Positionen und im vollen Bewusstsein dessen, dass in der Metaphysik – von logischen Zusammenhängen abgesehen – fast nichts rational zwingend ist.

Metaphysik, wenn sie sich auch ganz im Allgemeinen bewegt, ist ein außerordentlich komple-xes Sachgebiet, das alles andere als leicht in Gesamtheit darzustellen ist. Die Darstellung muss li-near sein, aber die Seitenäste und Verzweigungen wachsen aus dem Stamm und den Hauptästen der Darstellung in völliger Natürlichkeit reichlich hervor. Ich habe dem Phänomen Rechnung getragen durch den Einzug einer dritten Textebene neben dem Haupttext und den Fußnoten (welche Vorgehensweise in wissenschaftlichen Werken einmal durchaus üblich war): Es han-delt sich um grau unterlegte, typographisch kleinere, durch Leerzeilen abgesetzte Abschnitte im Haupttext: Anmerkungen, die, wenn sie länger und/oder besonders wichtig sind, einen eigenen Titel haben, oft durch das Wort „Exkurs“ eingeleitet. (Die „titulierten“ Anmerkungen – die Ex- kurse  – sind im Inhaltsverzeichnis kapitelweise verzeichnet; siehe oben.)

Von diesem Buch sind drei Kapitel – Kapitel 2, 3 und 4 – der Allgemeinen Metaphysik gewid-met, nur eines, Kapitel 5, der Speziellen Metaphysik (das dafür das längste ist). Die Asymmetrie darf nicht verwundern, denn nur auf dem breiten und festen Fundament der Allgemeinen Metaphysik kann sich die Spezielle Metaphysik, der doch gemeinhin das Hauptinteresse gilt, einigermaßen sicher erheben – insoweit in der Metaphysik irgendetwas „fest“ oder „sicher“ sein kann.

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Ich habe mich, als Analytischer Philosoph, um Klarheit bemüht, bin mir aber bewusst, dass Klarheit nicht immer die Mühen des Verstehens leichter macht. Anhand von Notizen wurden die Themen dieses Buches in weniger ausführlicher (und zweifellos auch in weniger klarer) Form als mündlich improvisierte „Vorlesungen“ vorgetragen: 2012/13 und 2014/15 an der Philoso-phisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt a. M.; 2014 am Philosophischen In-stitut der Universität Warschau; 2019 an der Fernöstlichen Abteilung der Russischen Akademie der Wissenschaften in Wladiwostok; 2019/20 an der Universität Augsburg. Ich danke meinen damaligen Hörern und Hörerinnen für ihr Interesse und für ihre Fragen und Einwürfe, sowie den genannten Institutionen für die Gelegenheit, zu lehren (und damit auch für die zugehörige Gelegenheit, zu forschen). Besonders danke ich Frau Helene Rill – Hörerin meiner Metaphysik-vorlesung im Wintersemester 2014/15 in St. Georgen – für die auf der Grundlage eines nicht besonders sauberen Tafelanschriebs in Eigeninitiative erstellte erste graphische Darstellung des Kategoriensystems Σ und für die bereitwillig übernommene Aktualisierung der Graphik nach mehr als fünf Jahren; sie ist im Anhang abgedruckt.

Uwe Meixner Augsburg, im November 2020

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1 — Der philosophische Charakter einer Metaphysik ohne Vorurteile

0. Dies ist keine philosophiehistorische Abhandlung

Was aber nicht bedeutet, dass in ihr keine historischen Verweise und Exkurse vorkommen. Alles freilich dient der Darlegung eines intellektuell lebendigen Gehalts.

1. Was ist Metaphysik?

Die thematische Bestimmung der Metaphysik – die Bestimmung der Metaphysik von ihrem Gegenstand her – ist die folgende: Sie ist die Wissenschaft von den allgemeinsten Grund-charakteristika und allgemeinsten Grundstrukturen aller Seienden. Dies entspricht dem aristotelischen „Es gibt eine Wissenschaft vom Seienden als Seiendem“. Die Bezeichnung „Metaphysik“ findet sich bei Aristoteles aber nicht. Noch viel jünger ist die Bezeichnung „Ontologie“.

2. Allgemeine und Spezielle Metaphysik

Die Allgemeine Metaphysik ist die Wissenschaft von den Seienden qua Seienden ohne be- sondere Berücksichtigung des Menschen . Die Spezielle Metaphysik ist die Wissenschaft von den Seienden qua Seienden unter besonderer Berücksichtigung des Menschen und seiner ultimativen Erkenntnisinteressen . Traditionell zerfällt die Spezielle Metaphysik in die sog. rationale Psychologie (die Metaphysik der menschlichen Person), die sog. rationale Kos-mologie (die Metaphysik der Welt bzw. Welten) und die rationale Theologie (die Meta-physik Gottes). Rationale Psychologie, Kosmologie und Theologie hängen eng zusammen. (Besser als die Bezeichnung „rationale Psychologie“ wäre die Bezeichnung „rationale An-thropologie“.)

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3. Zwei Auffassungen vom Verhältnis zwischen Metaphysik und Ontologie

Auffassung 1: Man teilt die Metaphysik ein in die Allgemeine Metaphysik und in die Spe-zielle; die Allgemeine Metaphysik, sagt man, ist die Ontologie . Bei diesem Vorgehen werden also Metaphysik und Ontologie unterschieden: die Ontologie wird zu einem Teilgebiet der Metaphysik.

Auffassung 2: Man identifiziert Metaphysik und Ontologie . Es bleibt aber bei der Unterscheidung zwischen Allgemeiner und Spezieller Metaphysik – die Unterscheidung ist nun identisch mit der von Allgemeiner und Spezieller Ontologie – und auch bei der (in Abschnitt 2 angegebenen) inhaltlichen Bestimmtheit jener Unterscheidung.

Welcher Auffassung soll gefolgt werden?  – Metaphysik und Ontologie seien hier  – in diesem Buch – identifiziert; die beiden Worte werden als Synonyme verwendet. Allerdings wird hier in allgemeinmetaphysischen Zusammenhängen das Adjektiv „ontologisch“ gegen-über den Adjektiven „metaphysisch“ und „allgemeinmetaphysisch“ oftmals bevorzugt, wie auch das Substantiv „Ontologie“ gegenüber den Substantiven „Metaphysik“ und „Allge-meine Metaphysik“. (Dadurch wird der Rede im Sinne von Auffassung 1 in gewisser Weise Reverenz erwiesen.)

4. Andere Bezeichnungen der Metaphysik

Aristoteles spricht von „Erster Philosophie“ (was ein Echo bei Descartes findet, in seinen Meditationes de prima philosophia ), „Weisheit“, „Theologie“. Seit dem Deutschen Idealismus insbesondere ist die Benennung der Metaphysik als „die Lehre vom Absoluten“ nicht selten. Von „Erster Philosophie“ – im Sinne von „ die Erste Philosophie“ – sollte man bei der Meta-physik nicht sprechen, da dieser Titel nur dann berechtigt wäre, wenn sie neben den funda-mentalen ontologischen auch die fundamentalen epistemologischen Gegebenheiten als ihre ihr eigenen Erkenntnisaufgaben thematisieren würde; das fällt jedoch nicht in den Rahmen der im Abschnitt 1 gegebenen thematischen Grenzziehung für die Metaphysik (was nicht bedeutet, dass erkenntnistheoretische Erwägungen nicht immer wieder in der Metaphysik eine erhebliche Rolle spielen). Man sollte andererseits der Metaphysik aber auch keine Na-men geben, die sie als thematisch enger erscheinen lassen, als sie ist (wie z. B. „die Lehre vom Absoluten“).

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5. Kants einflussreiche nichtthematische Bestimmung der Metaphysik

5. Kants einflussreiche nichtthematische Bestimmung der Metaphysik

Hier wird von der in den Abschnitten 1 und 2 gegebenen thematischen (erkenntnisgegenständ-lichen) Bestimmung der Metaphysik ausgegangen. Kant jedoch bestimmte die Metaphysik (in erster Linie) nicht thematisch, sondern (in erster Linie) logisch-erkenntnistheoretisch: Meta-physik ist nach ihm diejenige Wissenschaft, die für apriorische (also, nach Kant, notwendige), gleichwohl synthetische (nicht logisch-analytische) Erkenntnisse nichtmathematischer Art zu-ständig ist. Es empfiehlt sich aber nicht, die Existenz einer Wissenschaft an die Existenz synthe-tisch-apriorischer Erkenntnisse zu binden.

6. Metaphysikkritik und Metaphysik als Wissenschaft

Durch die Philosophiegeschichte hindurch wird Metaphysik von ihrer erkenntnistheoreti-schen Kritik begleitet. Sehr fraglich ist es ja, ob es synthetische und dabei apriorische Er-kenntnisse (zudem nichtmathematischer Art) überhaupt gibt. Wenn Metaphysik dagegen thematisch bestimmt wird – wie ich es hier tun will, und zwar wie in den Abschnitten 1 und 2 erfolgt  –, so ist ersichtlich, dass ihre sie definierende thematische Ausrichtung ein Sichbefassen mit dem Grundsätzlichen – dem Ersten, aber auch dem Letzten – in größter Allgemeinheit mit sich bringt. Kann es in solchen Regionen ein intersubjektiv verbindliches Wissen geben?

Die Metaphysikkritik des Logischen Empirismus wirft der metaphysischen Thematik ins-gesamt ihre Unerkennbarkeit vor und folgert daraus ihre Sinnlosigkeit. Im Kritischen Ra-tionalismus wirft man ihr nur ihre wissenschaftliche Unerkennbarkeit vor und folgert daraus nur ihre Unwissenschaftlichkeit . Richtig ist, dass in der Metaphysik ein Wissen mit dem Grad an intersubjektiver Verbindlichkeit, den mathematisches oder naturwissenschaftliches oder auch historisches Wissen hat, nicht zu haben ist. Aber das gilt nicht nur von der Metaphysik; das gilt von der Philosophie insgesamt. Wenn zwei gleichermaßen hochintelligente, hochge-bildete Personen in einer Frage auch auf lange Sicht nicht übereinstimmen, dann handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine philosophische Frage – und wenn es da nicht eine ethisch oder ästhetisch normative und nicht eine erkenntnistheoretische Frage ist, dann dürfte es eine metaphysische sein.

Warum ist das so? – Die Philosophie und mit ihr die Metaphysik bewegt sich wesenhaft im Grundsätzlichen (bei den Fundamenten, die als solche nicht wieder Fundamente haben). Im Grundsätzlichen, bei Grundsatzfragen sind feste Wissenskriterien aber nicht gegeben.

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Deshalb kennt die Philosophie und mit ihr die Metaphysik im Gegensatz zu anderen Wissen-schaften kein Paradigma (im Sinne Thomas Kuhns): also kein von allen Menschen, die die Wissenschaft betreiben, (zu einer Zeit) akzeptiertes Muster dessen, wie die Wissenschaft zu betreiben ist. Der Wissenschaftscharakter der Philosophie und mit ihr der der Metaphysik besteht allein in der logischen Klarheit und Wohlmotiviertheit der Begriffsbildungen und in der logischen Strenge der Argumentationen. In diesen Hinsichten sollten Philosophie und Metaphysik nun gerade in Abwesenheit eines ihnen eigenen Paradigmas andere Wissenschaf-ten übertreffen: um ihren auch in Abwesenheit eines Paradigmas noch gegebenen (vielleicht gerade deshalb gegebenen außerordentlichen ) Wissenschaftscharakter zu unterstreichen. Aber auch das ist nur ein philosophischer Standpunkt: der der Analytischen Philosophie, den kei-neswegs alle Philosophen teilen.

Über die logischen Gesetzmäßigkeiten der Begriffsbildung und Argumentation hinaus spielt das Element der Entscheidung (unter Unsicherheit) in der Philosophie und insbesondere in der Metaphysik eine weitaus größere Rolle als in anderen Wissenschaften (wenngleich es auch dort alles andere als abwesend ist). Eine Entscheidung muss nicht richtig sein, aber in der Regel kann sie richtig sein, und wenn sie richtig ist, dann liegt auch in metaphysischen Dingen ein Wissen vor.

7. Eine etwas andere Metaphysikkritik

Neuerdings wird der Metaphysik aus moralischer Perspektive (hinzukommend zur erkennt-nistheoretischen) vorgeworfen, sie beanspruche „absolute Wahrheiten“ zu liefern; man sehe aber, wohin absolute Wahrheitsansprüche führten: zur Intoleranz gegenüber Andersdenkenden (schlimmstenfalls zur Gewalt). Deshalb müsse man von der Metaphysik die Finger lassen.

Dazu ist zu sagen: Eine Person, die Metaphysik ernsthaft betreibt, wird in der Regel zu einer metaphysischen Theorie gelangen, die sie für richtig hält. Wenn sie die Natur der Wissenschaft der Metaphysik aber recht versteht, dann wird sie gerade nicht meinen, dass sie sich bei ihrer metaphysischen Theorie nicht irren könne; sie wird also gerade nicht einen absoluten Wahr-heitsanspruch erheben. Wahrheitsansprüche erheben – absolute oder nichtabsolute – kann im Übrigen weder die Metaphysik (diese gewisse Wissenschaft)1 noch eine Metaphysik (ein grö-ßeres Produkt dieser Wissenschaft: eine umfassende metaphysische Theorie), sondern nur ein Mensch, und es steht in seiner Freiheit, es zu tun oder nicht.

8. Zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Metaphysik

8. Zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Metaphysik

Die Naturwissenschaften sind empirische Wissenschaften und erreichen wenigstens in der Physik hohe Allgemeinheitsgrade (der Aussage), nicht jedoch den der Metaphysik. Der All-gemeinheitsgrad, der von der Metaphysik erreicht wird, ist empirisch nicht erreichbar; deshalb ist die Metaphysik keine empirische Wissenschaft. Dennoch ist sie von empirischen Erkennt-nissen betroffen: Keine metaphysische Theorie darf empirischen Erkenntnissen widersprechen (was vorkommen kann, da metaphysische Theorien logische Folgerungen haben können, die im Widerspruch zu empirischen Gegebenheiten stehen); jede umfassende metaphysische Theorie (jede Metaphysik) soll eine Vervollständigung der Gesamtheit des empirischen Wissens sein; eine solche Vervollständigung ist unausbleiblich transempirisch (geht über das Empirische hi-naus). Eine apriorische Wissenschaft ist die Metaphysik aber nur insofern, als echte  – also nicht durch Gründe eigentlich schon vollständig festgelegte, sondern „apriorische“ – Entscheidungen das tägliche Brot ihrer Erkenntnis sind, und immer handelt es sich dabei um Grundsatzentschei-dungen, manchmal um solche von allergrößter Tragweite.

9. Ein Beispiel für eine ( so , oder aber so , oder noch einmal anders ausfallende) metaphysische Entscheidungssache

Ein Beispiel, das sowohl das Verhältnis zwischen Metaphysik und Naturwissenschaft als auch das dezisionistische, „apriorische“ Element in der Metaphysik in helles Licht taucht, ist das folgende:

Es kann gerade noch als eine empirische Erkenntnis gelten, und zwar der modernen Physik, dass manche physischen Ereignisse keine physische hinreichende Ursache haben. (Das Standard-beispiel ist der Zerfall eines Radiumatoms.) Wie aber ist nun hieran metaphysisch anzuschließen? Man muss sich zwischen drei metaphysischen Auffassungen entscheiden: (1) Man könnte sagen, dass alle diese physischen Ereignisse ohne physische hinreichende Ursache überhaupt keine hin-reichende Ursache haben, sondern objektiv (oder: ontisch , nicht bloß epistemisch) zufällig sind. (2) Man könnte aber auch sagen, dass manche, aber nicht alle , dieser physischen Ereignisse ohne physische hinreichende Ursache sehr wohl eine hinreichende Ursache haben, eben eine nicht-physische. (3) Man könnte schließlich sagen, dass alle diese physischen Ereignisse ohne physische hinreichende Ursache eine hinreichende Ursache haben: eine nichtphysische. Welche dieser drei einander widersprechenden Auffassungen richtig ist, lässt sich empirisch nicht ausmachen. Man

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braucht sich nicht unbedingt zwischen ihnen zu entscheiden (Agnostizismus ist rational erlaubt), aber wenn man Metaphysik betreiben will, wo es möglich und angebracht ist, dann muss man sich zwischen ihnen entscheiden. Und wie auch immer man sich hier entscheidet, die Entscheidung hat weitreichende metaphysische Konsequenzen. Entscheidet man sich für (1), dann kann man an den (sog.) Prinzipien der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt festhalten, muss aber das (sog.) Allgemeine Kausalprinzip aufgeben. Entscheidet man sich für (2), dann muss man sowohl die Prinzipien der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt aufgeben als auch das Allgemei-ne Kausalprinzip. Entscheidet man sich für (3), dann kann man am Allgemeinen Kausalprinzip festhalten, muss aber die Prinzipien der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt aufgeben.

10. Drei (bzw. vier) erste Beispiele für metaphysische Prinzipien

Das Allgemeine Kausalprinzip (für Ereignisse) : Jedes Ereignis2 hat eine hinreichende Ursache.

Das Schwache Prinzip der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt : Jedes physische Ereignis, das überhaupt eine hinreichende Ursache hat, hat auch eine physische hinreichende Ursache.

Das Starke Prinzip der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt : Jede hinreichende Ursache eines physischen Ereignisses ist selbst physisch.

Alle drei Prinzipien gehören zur Speziellen Metaphysik, insbesondere zur rationalen Kosmo-logie, dort wiederum insbesondere zur Metaphysik der Kausalität. Dass sie diese Zugehörigkei-ten gemeinsam haben, bedeutet nicht, dass sie auch automatisch nebeneinander in einer meta-physischen Theorie vertreten werden können. Aus rein logischen Gründen spricht freilich nichts dagegen, und jahrhundertelang ging man ja auch tatsächlich vom Physikalischen Kausalprinzip aus, welches eine logische Folge aus der (logisch konsistenten) Konjunktion des Allgemeinen Kausalprinzips mit dem Schwachen (oder auch mit dem Starken) Prinzip der Geschlossenheit der physischen Welt ist: Jedes physische Ereignis hat eine physische hinreichende Ursache.3

11. Zum Verhältnis von Metaphysik und Religion

11. Zum Verhältnis von Metaphysik und Religion

In Buchhandlungen sieht man „Metaphysik“ nicht selten zusammengestellt mit „Esoterik“, „Mystik“, „Religion“. Aber Religion ist eine Lebensform, Metaphysik ist eine Wissenschaft. Allerdings besteht eine gewisse Verbindung zwischen beiden. Zum einen ist die rationale Theologie ein Teilgebiet der Speziellen Metaphysik; zum anderen impliziert jede Religion metaphysische Aussagen. Welche genau das sind, hängt von der Interpretation der Inhalte der jeweiligen Religion ab, die nicht bei allen Anhängern einer Religion die gleiche sein muss. Im Christentum ist es – wohl vor allem aufgrund der massiven Einflussnahme der antiken griechischen Philosophie – im Laufe seiner Geschichte zur Ausbildung ganzer Metaphysiken gekommen.

Man kann schlecht zwischen Religion und Metaphysik wie folgt unterscheiden: Religion sei eine Sache des Glaubens, Metaphysik eine Sache des Wissens. Denn jedes Wissen ist ein Glau-ben, und selbst bei den evidentesten Inhalten von, der Bewusstseinsintention nach, bewusst- seinsexternem Charakter (also bei den Inhalten von äußeren sinnlichen Wahrnehmungen) kann man es ablehnen, der (wahrnehmungsmäßigen) Evidenz zu glauben; dann kommt kein Glaube zustande – nicht einmal in empirischen Dingen – und also auch kein Wissen.

Man kann auch schlecht zwischen Religion und Metaphysik wie folgt unterscheiden: Re-ligion sei etwas Irrationales, Metaphysik etwas Rationales. Zwar spielen in der Metaphysik anders als in der gelebten Religion Begriffe und Argumentationen (begründende und erklä-rende) die zentrale Rolle, aber jede metaphysische Theorie geht von Annahmen aus, die sich nicht ultimativ rechtfertigen lassen und deren angebliche Evidenz zurückgewiesen werden kann. Nicht nur jede metaphysische, sondern jede Theorie überhaupt, die inhaltlich über das Kernlogische (also das, was in den Zentralgebieten der Logik abgehandelt wird) hinausgeht, hat diesen Aspekt letztlicher Grundlosigkeit, der sich bei ihren Proponenten (den von ihr Überzeugten) in einem Vertrauen auswirkt, das wenigstens partiell – nämlich im Letzten, im Grundsätzlichen – begründungslos, ja blind ,also gewissermaßen irrational ist; aber meta-physische Theorien haben jenen Aspekt in besonders hohem Maße, da bei ihnen das Element der auf nichts als die formulierte Sache selbst gestützten Erkenntnis entscheidung besonders ausgeprägt ist.

Dennoch sind Religion und Metaphysik nicht zu verwechseln; sie gehen auch nicht ineinan-der über. Das Begriffliche und Argumentative macht den philosophischen und damit den – im weiten Sinne – wissenschaftlichen Charakter der Metaphysik aus. Eine Religion kann von diesem wissenschaftlichen Charakter begleitet werden, nämlich insbesondere in den Metaphysiken, die eine Religion – an ihre Inhalte ankoppelnd – begleiten mögen (vielleicht gar mit einer gewissen Zwangsläufigkeit begleiten); aber der wissenschaftliche Charakter gehört nicht per se zur Reli-gion.

12. Weltanschauung und Metaphysik

Jede Metaphysik: jede umfassende metaphysische Theorie ist eine Weltanschauung; jede Welt-anschauung, die begrifflich und argumentativ verfasst ist, ist eine umfassende metaphysische Theorie: eine Metaphysik.

Weltanschauungen sind nichts Vernachlässigbares, Nebensächliches, obwohl sie oft so hin-gestellt werden; vielmehr prägen sie zutiefst das Bewusstsein und oft auch das Handeln. Auch das sog. naturwissenschaftliche Weltbild ist so , wie es weniger von Naturwissenschaftlern als von Philosophen vertreten wird, nicht Naturwissenschaft, sondern eine Metaphysik: die na-turalistische Weltanschauung, die auf den Gebieten der rationalen Psychologie, Kosmologie und Theologie (den Gebieten der Speziellen Metaphysik) in bestimmter, unverkennbarer Weise Stellung bezieht: materialistisch, anti-teleologisch, atheistisch: „Alles ist physisch“, „Zwecke in der Natur gibt es nicht“, „Einen Gott gibt es nicht“. Diese Weltanschauung muss nicht unbe-dingt richtig sein, wie man einsieht, wenn man die Metaphysik – mit gleicher Vorurteilsfreiheit gegenüber ihren Themen wie gegenüber ihrer Wissenschaftlichkeit – gründlich kennengelernt hat.

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2 — Themen der Allgemeinen Metaphysik, 1. Teil: Kategorien und andere ontologische Einteilungsbegriffe

0. Arten von Begriffen der Allgemeinen Metaphysik

Solche Arten sind

(i) kategoriale Einteilungsbegriffe, kurz: Kategorien (z. B. der Begriff der Eigenschaft );

(ii) nichtkategoriale Einteilungsbegriffe (z. B. der Begriff der Universalie );

(iii) Transzendentalien (z. B. der Begriff des Wirklichseins );

(iv) Qualitätsbegriffe, die keine Transzendentalien sind (z. B. der Begriff des Physischseins );(v) Relationsbegriffe (z. B. der Begriff der Eigenschaftshabe ).

In diesem Kapitel wird auf die Kategorien eingegangen – wobei, ob ein Einteilungsbegriff eine Kategorie ist oder nicht, relativ ist: relativ zu einem Kategoriensystem –, im nächsten Kapitel auf die Transzendentalien, im übernächsten auf die Relationsbegriffe. (Aber nichtkategoriale Einteilungsbegriffe und Qualitätsbegriffe, die keine Transzendentalien sind, werden in den drei anstehenden Kapiteln ebenfalls eingehend betrachtet.)

1. Das Schema eines Kategoriensystems

(1) Eingeteilt (klassifiziert) werden die M (m. a. W.: alle M und nur die M).

(2) Eingeteilt werden die M auf einer gewissen endlichen Anzahl von Ebenen: nach der Ebene 0, die keine Einteilungsebene ist, auf mindestens einer. Die Einteilung auf jeder Ebene nach der

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ersten Einteilungsebene ist eine Verfeinerung jedenfalls mancher (nicht unbedingt aller) Ein-teilungsstücke auf der unmittelbar vorausgehenden Einteilungsebene.1

(3) Die Einteilung auf jeder Ebene erfolgt durch eine gewisse endliche Anzahl von Kategorien, die einander ausschließen und (auf jeder Ebene) zusammen die M erschöpfen.

2. Ein Kategoriensystem der Allgemeinen Metaphysik: das System Σ

Die Seienden  – die Entitäten  – werden im weitest möglichen Sinn aufgefasst und sind somit alle überhaupt : alle, von denen es logisch möglich ist, eine wahre Aussage zu machen; alle, von denen es logisch möglich ist, sich auf sie zu beziehen. Eingeteilt werden in dem angezielten Kategoriensystem Σ aber nur die Einheiten , die singulären Entitäten (alle diese und nur diese). Die Vielheiten , die pluralen Entitäten, sind dadurch in gewisser Weise miterfasst, denn sie sind letztlich Vielheiten von Einheiten: von singulären Entitäten.

Singuläre Entitäten stehen nicht selten in Beziehungen zu pluralen Entitäten (wie z. B. die Beziehung, von der im Folgenden die Rede ist: diese Männer  – eine plurale Entität – haben (zu-sammen) die Eigenschaft, den Balken zu heben  – eine singuläre Entität); von diesen Beziehungen wird hier bei der Betrachtung der singulären Entitäten, die unter die Kategorien von Σ fallen, ab-gesehen (Ausnahmen mögen vorkommen). Es wird also bei der Betrachtung der singulären En-titäten, die unter die Kategorien von Σ fallen, gewissermaßen so getan, als gäbe es eigentlich nur singuläre Entitäten (was nicht hindert, dass bei deren Beschreibung und Benennung Ausdrücke im Plural zur Anwendung kommen und dass gelegentlich auch die pluralen Entitäten selbst in die Betrachtungen einbezogen werden, ja, einzelne von diesen eigens betrachtet werden).

2. Ein Kategoriensystem der Allgemeinen Metaphysik: das System Σ Da man beim Wort „Entitäten“ gewöhnlich ausschließlich an singuläre Entitäten denkt (das ist sozusagen eine metaphysische Gewohnheit, vielleicht eine schlechte) sind im Folgenden, wenn von „allen Entitäten x“ oder einfach von „allen x“ die Rede ist, in der Regel (aber nicht immer) nur alle singulären Entitäten gemeint. Auch ist es ja beschwerlich, beständig die Qualifikation „singuläre“ beim Wort „Entität(en)“ mitzuschleppen, wenn man sich doch fast ausschließlich mit singulären Entitäten befasst – weshalb jene Qualifikation oft weggelassen wird (und biswei-len in Klammern wieder dazu geschrieben wird, etwa um erinnerlich zu machen, dass mit „jede Entität“ und „eine Entität“ eben doch nicht eigentlich jede Entität überhaupt bzw. eine Entität überhaupt gemeint ist).

Fällt eine Entität unter eine Kategorie von Σ, so ist das notwendigerweise so; fällt sie nicht unter eine Kategorie von Σ, so ist das ebenfalls notwendigerweise so.

Es wird nicht von vornherein behauptet, dass alle Kategorien von Σ nichtleer sind. Wel-che Kategorien von Σ nichtleer und welche leer sind, ist Sache der (soweit als möglich zu begründenden) metaphysischen Entscheidung. Die Kategorien eines Kategoriensystems müssen im Übrigen leer oder mehrfach instanziiert sein; eine Kategorie nur für eine einzige Entität gibt es nicht (obwohl ja oft die Rede davon ist, dass dies oder das sui generis sei). Bei jedem der Begriffe, die im Folgenden als Kategorien von Σ genannt werden, steht dessen Status als Kategorie (ob er überhaupt diese Rolle spielen könne) auch im Punkt „leer oder mehrfach instanziiert“ nicht in Frage, sondern eben nur, ob er als Kategorie leer ist oder nicht. Es ist bei allen im Folgenden als Kategorien von Σ genannten Begriffen unterstellt (und höchst plausiblerweise unterstellt), dass, wenn man eine Instanz von ihnen angibt, man leicht auch eine weitere Instanz von ihnen angeben kann (und nicht unbedingt tat-sächlich angeben muss).

Jedes Kategoriensystem der Allgemeinen Metaphysik muss dem Thema dieser Wissenschaft gemäß im (sehr) Allgemeinen bleiben. Die Kategorien auf den unteren (höherzahligen) Ebenen eines solchen Kategoriensystems dürfen also nicht zu speziell ausfallen (z. B. der Begriff des Pferdes oder der Begriff des Menschen gehört in kein Kategoriensystem der Allgemeinen Meta-physik); anders gesagt: Die Kategorien eines Kategoriensystems der Allgemeinen Metaphysik müssen stets Begriffe der Allgemeinen Metaphysik sein. In Σ wird diese Maßgabe (selbstver-ständlich) respektiert.

Manche Klassen von Σ sind Endklassen (werden nicht weiter eingeteilt), obwohl man mit der kategorialen Einteilung durchaus fortfahren könnte. (Allzu große Weitläufigkeit soll vermieden werden; aber gelegentlich wird beschrieben, wie es weitergehen kann.)

Mit der Unvollständigkeit eines Kategoriensystems auf dieser oder jener Einteilungsebene muss gerechnet werden (je höherzahlig – tiefer – die Einteilungsebene umso eher); zum einen können manche singulären Entitäten in dem jeweiligen Kategoriensystem schwer unterzubrin-gen sein, zum anderen könnte es uns unbekannte singuläre Entitäten von uns unbekannter Ka-tegorie geben. Zeigt sich eine Unvollständigkeit, so muss an geeigneter Stelle im Kategoriensys-tem eine zusätzliche Kategorie mit zugehöriger Klasse eingeschoben werden (was de facto bei Σ schon einmal geschehen ist, denn in der ursprünglich vorgetragenen Fassung von Σ waren die Eigenschaftsobjekte „vergessen“ worden und die Anderen Objekte ). Es empfiehlt sich, „Auffang-kategorien“ für die Schwerzufassenden bzw. Unbekannten anzugeben (was hier mit den Kate-gorien Anderes Objekt und Andere Funktion auch geschehen ist).

Das Kategoriensystem Σ

Ebene 0:

M: die singulären Entitäten („singuläre Entität“ im weitesten Sinn genommen).

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3. Zur weiteren Beschreibung von Σ – noch ohne näheres Eingehen auf die einzelnen Kategorien Ebene 1: K1: die Objekte; K2: die Funktionen. Ebene 2: K11: die Anderen Objekte; K12: die Individuale/Partikularien; K13: die Eigenschaftsobjekte; K14: die Begriffsobjekte; K15: die Propositionen; K16: die Sachverhalte; K17: die Typenobjekte.K21: die sachverhaltsbildenden Funktionen; K22: die propositionsbildenden Funktionen (die Begriffe); K23: die Anderen Funktionen. Ebene 3: K121: die Individuen (die maximalkonsistenten Individuale); K122: die Anderen Individuale.K211: die Eigenschaften; K212: die Relationen.K221: die einstelligen Begriffe; K222: die mehrstelligen Begriffe. Ebene 4: K1211: die Individuen ohne modale Dimension; K1212: die Individuen mit modaler Dimension. Ebene 5: K12111: die Ind. o. m. D. und ohne zeitliche Dimension; K12112: die Ind. o. m. D. und mit zeit-licher Dimension.K12121: die Ind. m. m. D. und ohne zeitliche Dimension; K12122: die Ind. m. m. D. und mit zeitlicher Dimension. Ebene 6: K121111: die unabhängigen Ind. o. m. D. u. o. z. D. (die individuellen Substanzen); K121112: die abhängigen Ind. o. m. D. u. o. z. D. (die individuellen Akzidenzien).

3. Zur weiteren Beschreibung von Σ – noch ohne näheres Eingehen auf die einzelnen Kategorien

(A) Die Typenobjekte (K17) und die sachverhaltsbildenden (sachverhaltsgenerierenden) Funk-tionen (K21) sind zusammengenommen die Universalien ; die Typenobjekte sind die nichtprädi- kativen (die nicht von etwas aussagbaren) Universalien; die sachverhaltsbildenden Funktionen (m. a. W.: die Eigenschaften, K211, und die Relationen, K212) sind die prädikativen (die mittels eines sie meinenden Prädikats von etwas aussagbaren) Universalien. Der Begriff der Universalie

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ist bzgl. des Kategoriensystems Σ keine Kategorie, kein kategorialer Einteilungsbegriff, sondern nur ein nichtkategorialer Einteilungsbegriff. Bzgl. eines anderen Kategoriensystems kann das anders sein. (Näheres zu Universalien wird bei der Einzelbeschreibung der Kategorien von Σ geboten.)

(B) Andere nichtkategoriale Einteilungsbegriffe bzgl. Σ sind:

(i) Der Begriff des Sinns/der Bedeutung (nämlich der Bedeutung, wie sie im sprachlich arti-kulierten – oder artikulierbaren – Bewusstsein auftritt); die (in Σ) näher kategorisierten Bedeu- tungen sind zusammengenommen: die einstelligen und die mehrstelligen Begriffe (K221 und K222, m. a. W.: die propositionsbildenden Funktionen, K22), die Propositionen, K15, und die Begriffsobjekte, K14. Die Bedeutungen sind sprachabhängig (und immer sprachnah), immer abstrakt und „feindifferenziert“ (was Letzteres besagt, wird deutlich werden).

(ii) Der Begriff der Intension ; die (in Σ) näher kategorisierten Intensionen sind zusammen-genommen: die Eigenschaften, K211, und Relationen, K212 (m. a. W., die einstelligen prädika-tiven Universalien und die mehrstelligen prädikativen Universalien: die sachverhaltsbildenden Funktionen, K21), die Sachverhalte, K16, und die Eigenschaftsobjekte, K13. Die Intensionen sind sprachunabhängig (und manchmal sprachfern), oftmals konkret, stets „grobdifferenziert“.(C) Die näherkategorisierten Bedeutungen und die näherkategorisierten Intensionen zerfallen in Σ in parallele Kategorialklassen. Bei den Funktionen: (a) die einstelligen Begriffe und die Eigen-schaften sind parallel zueinander; (b) die mehrstelligen Begriffe und die Relationen sind parallel zueinander. Bei den Objekten: (a´) die Propositionen und die Sachverhalte sind parallel zueinan-der; (b´) die Begriffsobjekte und die Eigenschaftsobjekte sind parallel zueinander. Diese Paral-lelität wird dadurch begründet, dass jede kategorial näher in den Blick genommene Bedeutung genau eine ihr ontologisch entsprechende Intension determiniert: die dieser Bedeutung zugehö- rige Intension, wobei die ontologische Entsprechung zwischen beiden sich darin zeigt, dass eine (mindestens eine) zentrale ontologische Aussage über die fragliche Bedeutung analytisch äqui-valent zu einer gewissen zentralen ontologischen Aussage über die ihr zugehörige Intension ist (mehr dazu im nächsten Abschnitt). Allerdings ist jene Determination von Intensionen durch näherkategorisierte Bedeutungen nur ein deutig, nicht ein-ein deutig: Zwei verschiedene näherka-tegorisierte Bedeutungen determinieren nicht immer verschiedene ihnen zugehörige Intensionen. Es ist zudem sehr fraglich, ob jede näherkategorisierte Intension durch eine Bedeutung als eben dieser Bedeutung zugehörig determiniert wird.3 (Näheres zu Bedeutungen und Intensionen so-wie zu deren Parallelität wird bei der Einzelbeschreibung der Kategorien von Σ geboten.)

4. Die Beschreibung der Kategorien von Σ(D) Im Kategoriensystem Σ ist keine Zentralkategorie ersichtlich, keine wichtigste Kategorie, auf die alle anderen Kategorien hingeordnet sind. Bei Aristoteles war die Kategorie der individuellen Substanz Zentralkategorie. Diese Kategorie (so, wie Aristoteles sie meinte – soweit sich das eru-ieren lässt) erscheint in Σ auf Ebene 6 „links außen“: K121111. (Siehe die graphische Darstellung von Σ im Anhang.)

(E) Eine Position der Speziellen Metaphysik – genauer: der rationalen Psychologie – ist die Posi-tion, dass menschliche Personen individuelle Substanzen sind, dass also K121111 unsere Kate-gorie/Kategorialklasse ist.

(F) Die Kategorien von Σ werden übrigens von Σ selbst kategorial erfasst; sie fallen unter die Kategorie – in die Kategorialklasse – der einstelligen Begriffe: K221. Die den Kategorien ent-sprechenden Kategorialklassen (der Kategorie Sachverhalt z. B. entsprechen die Sachverhalte )4werden hingegen von Σ nicht kategorial erfasst, denn sie sind (wenn sie überhaupt sind) Viel-heiten, plurale Entitäten, und Σ teilt ja nur die singulären Entitäten ein.

4. Die Beschreibung der Kategorien von Σ

Das Kategoriensystem Σ ist eine differenzierte (dennoch überblicksartige), als wissenschaftlich wertvoll intendierte Beantwortung der Frage „Was gibt es?“ im Sinne von „Was ist denn so alles eine singuläre Entität im weitesten Sinn?“ – sofern die Information zu Σ hinzukommt, welche der in Σ auftretenden Kategorien nichtleer sind ( Instanzen haben). Die Vorabannahme (Prä-sumption), die mit Σ verbunden ist, ist natürlich die, dass jede der in Σ auftretenden Kategorien nichtleer ist. Wie aber kommt man auf Σ und auf diese Vorabannahme? (Andere Metaphysiker haben andere Kategoriensysteme angegeben; die Auffassungen darüber, welche allgemeinmeta-physischen Einteilungsbegriffe leer – uninstanziiert – sind und welche nicht, differieren unter den Metaphysikern gar sehr.)

Man wird auf Σ als System von nichtleeren Kategorien geführt durch die Betrachtung der Sprache (hier des Deutschen), ihrer grammatischen Strukturen, insbesondere aber durch die Betrachtung der singularisch-partikularen Terme, der „singulären Terme“ [„singular terms“], kurz: der Namen (im eigentlichen und engen Sinn), die die Sprache enthält. Jeder Name gibt vor, seinem Sinn entsprechend auf ein bestimmtes Eines, eine bestimmte Einheit, eine bestimmte singuläre Entität benennend Bezug zu nehmen. Dieses Vorgeben muss nicht immer der Reali-tät entsprechen, gibt aber doch ein Prima-facie-Recht, „hinter“ dem Namen eine (durch ihn benannte) Entität anzunehmen. Die Entitäten, auf die man in dieser Weise geführt wird, lassen sich auf mehreren sehr hochgelegenen Allgemeinheitsebenen zu Gleichartigkeitsklassen unter Begriffen – eben unter den Kategorien von Σ – zusammenfassen. (Weiteres zur Methode im Ab-schnitt 7.)

Objekte 5 (K1): geschlossene („gesättigte“, nicht ergänzungsbedürftige) singuläre Entitäten.

Funktionen (K2): nicht geschlossene („ungesättigte“, ergänzungsbedürftige) singuläre Entitäten. Sachverhalte (K16): z. B. der Sachverhalt, dass Augsburg am Lech liegt; der Sachverhalt, dass Rot eine Farbe ist; der Sachverhalt, dass manche Fische fliegen können; der Sachverhalt, dass manche Pferde fliegen können, etc. Durch Ergänzung von „der Sachverhalt, dass“ durch einen beliebigen Aussagesatz kommt stets ein Sachverhaltsname zustande: ein Name, der vorgibt , auf einen bestimmten Sachverhalt benennend Bezug zu nehmen. Die in der deutschen Sprache vor-gesehene Standardform für Sachverhaltsnamen ist also „ der Sachverhalt, dass A “.

Propositionen (K15): z. B. die Proposition, dass Augsburg am Lech liegt; die Proposition, dass Rot eine Farbe ist; die Proposition, dass manche Fische fliegen können; die Proposition, dass manche Pferde fliegen können, etc. Durch Ergänzung von „die Proposition, dass“ durch einen beliebigen Aussagesatz kommt stets ein Propositionsname zustande: ein Name, der vorgibt , auf eine bestimmte Proposition benennend Bezug zu nehmen. Wo sich aus einem Aussage-satz ein Propositionsname bilden lässt, da lässt sich auch immer ein Sachverhaltsname bilden, und zwar mit demselben Grundbestandteil: dem jeweiligen Aussagesatz.6 Die im Deutschen

4. Die Beschreibung der Kategorien von Σvorgesehene Standardform für Propositionsnamen ist also „ die Proposition, dass A “; stan-dardmäßige Sachverhaltsnamen stehen mithin in Gestaltparallelität zu standardmäßigen Pro-positionsnamen.

Propositionen jedoch sind Bedeutungen, Sachverhalte Intensionen, nämlich etwa die durch die Propositionen jeweils singulär determinierten, den Propositionen zugehörigen , ihnen ontologisch entsprechenden Intensionen (eventuell sind aber auch noch weitere In-tensionen Sachverhalte: im Fall, dass nicht jeder Sachverhalt durch eine Proposition als ihr zugehörig determiniert wird), wobei die ontologische Entsprechung (die Parallelität) zwi-schen beiden Seiten sich darin zeigt, dass eine gewisse zentrale ontologische Aussage über eine beliebige Proposition analytisch äquivalent zu einer gewissen zentralen ontologischen Aussage über den ihr zugehörigen Sachverhalt ist; es gilt nämlich analytisch, dass eine be-liebige Proposition genau dann wahr ist , wenn der ihr ontologisch zugehörige (durch sie determinierte) Sachverhalt besteht ; insbesondere gilt analytisch, um welchen Aussagesatz A es sich auch handelt: Die Proposition, dass A, ist wahr, genau dann, wenn der Sachverhalt, dass A, besteht.

Dass Propositionen Bedeutungen, Sachverhalte Intensionen sind, hat des Weiteren zur Folge, dass beispielsweise (bezugnehmend auf einen bestimmten Zeitpunkt t0

) der Sachverhalt, dass Hans links von Fritz steht, derselbe Sachverhalt ist wie der Sachverhalt, dass Fritz rechts von

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Hans steht; dass aber die Proposition, dass Hans links von Fritz steht, nicht dieselbe Proposition ist wie die Proposition, dass Fritz rechts von Hans steht.7

Die Frage entsteht, ob die Kategorialklasse der Sachverhalte und die Kategorialklasse der Pro-positionen elementfremd sind (wie doch erforderlich ist, da die Kategorie Sachverhalt und die Kategorie Proposition verschiedene Kategorien auf ein und derselben Einteilungsebene – Ebene 2 – sein sollen)? Antwort : Angenommen, ein Sachverhalt x wäre eine Proposition y; da also x und y identisch sind, müsste auch gelten: f[x] = f[y]; insbesondere müsste gelten: conj(x, x) = conj(y, y) („die Konjunktion von x mit sich selbst ist identisch mit der Konjunktion von y mit sich selbst“). Nun gilt aber: conj(x, x) = x (da x ein Sachverhalt ist) und conj(y, y) ≠ y (da y eine Proposition ist), folglich : conj(x, x) ≠ conj(y, y) – im Widerspruch zum aus der Annahme Gefol-gerten. [Aus conj(y, y) ≠ y ergibt sich wegen x = y: conj(y, y) ≠ x, also wegen conj(x, x) = x: conj(y, y) ≠ conj(x, x), mithin: conj(x, x) ≠ conj(y, y).] Kein Sachverhalt x ist also mit einer Proposition y identisch; kein Sachverhalt ist also eine Proposition, keine Proposition ein Sachverhalt.

Eigenschaften (K211): singuläre Entitäten, die je ergänzt, „gesättigt“, durch eine geeignete sin-guläre Entität einen Sachverhalt bilden (und nur so irgendetwas bilden), z. B. die Eigenschaft, ein Mensch zu sein: Diese Eigenschaft bildet, ergänzt durch die dafür geeignete singuläre Entität Sokrates , den bestehenden Sachverhalt, dass Sokrates ein Mensch ist; ergänzt durch die ebenso dafür geeignete singuläre Entität Kater Micki , bildet sie hingegen den nichtbestehenden Sachver-halt, dass Kater Micki ein Mensch ist. Weitere Beispiele für Eigenschaften sind: die Eigenschaft, rot zu sein; die Eigenschaft sowohl rund als auch blau zu sein; die Eigenschaft, im Winterse-mester 2019/20 regelmäßig eine Vorlesung über Metaphysik zu besuchen; die Eigenschaft, kein [nicht ein] Mensch zu sein, etc. Durch Ergänzung von „die Eigenschaft“ um den Infinitiv eines Verbs oder Hilfverbs, wobei der Infinitiv in beliebiger Weise seinerseits grammatikalisch ergänzt sein kann, kommt stets ein Eigenschaftsname zustande: ein Name, der vorgibt, auf eine be-

4. Die Beschreibung der Kategorien von Σstimmte Eigenschaft benennend Bezug zu nehmen. Die in der deutschen Sprache vorgesehene Standardform für Eigenschaftsnamen ist also „ die Eigenschaft, zu […] F-n “. (Die durch „[…]“ angedeutete Ergänzung kann selbstverständlich auch „leer“ sein. Eine vertraute Abwandlung dieser Standardform kommt durch die Verwendung mehrfacher, logisch verbundener, eventuell grammatikalisch ergänzter Infinitive zustande, wie z. B.: „die Eigenschaft, zu […] G-n und zu […] F-n“, „die Eigenschaft, zu […] G-n oder zu […] F-n“, usw., oder auch durch Negation: „die Eigenschaft, nicht zu […] F-n“.)

In der Kategorialklasse der Eigenschaften gibt es viele wichtige Unterscheidungen: intrinsi-sche – extrinsische, essenzielle – akzidentelle, dispositionale – manifeste, relationale – nichtre-lationale [„qualitative“]; einfache – komplexe; etc. Eigenschaften lassen sich auch danach klassi-fizieren, mit genau welchen singulären Entitäten (durch diese ergänzt) sie Sachverhalte bilden, m. a. W.: danach, von genau welchen singulären Entitäten sie sich mittels eines sie meinenden Prädikats (sinnvoll) aussagen lassen (Eigenschaften sind ja die einstelligen prädikativen Uni-versalien). Die vertrauteste Eigenschaftsklasse in dieser Klassifizierungshinsicht sind die Eigen- schaften der Individuale : diejenigen Eigenschaften, die mit Individualen (aber nicht unbedingt mit jedem beliebigen Individual) und nur mit Individualen Sachverhalte bilden, m. a. W.: die von (jedenfalls manchen) Individualen und nur von Individualen (d. h., von Individuen und ihren meinongschen Abwandlungen und nur von Individuen und ihren meinongschen Abwand-lungen) mittels eines sie (die Eigenschaften) meinenden Prädikats ausgesagt werden können. Andere Eigenschaftsklassen in der fraglichen Klassifizierungshinsicht sind – um nur noch zwei von sehr, sehr vielen zu nennen – die Eigenschaften 1 Stufe , also diejenigen Eigenschaften, die mit Objekten (aber nicht unbedingt mit jedem beliebigen Objekt) und nur mit Objekten Sach-verhalte bilden, und die Eigenschaften 2 Stufe , also diejenigen Eigenschaften, die mit Eigen-schaften 1. Stufe (aber nicht unbedingt mit jeder Eigenschaft 1. Stufe) und nur mit Eigenschaften 1. Stufe Sachverhalte bilden.

Einstellige Begriffe (K221): singuläre Entitäten, die je ergänzt, „gesättigt“, durch eine geeigne-te singuläre Entität eine Proposition bilden (und nur so irgendetwas bilden), z. B. der Begriff Mensch sein ; der Begriff rot sein , der Begriff rund und blau sein ;8 der Begriff im Wintersemes- ter 2019/20 regelmäßig eine Vorlesung über Metaphysik besuchen ; der Begriff kein Mensch sein , etc. Obwohl einstelliger Begriff und Eigenschaft so wie Proposition und Sachverhalt parallele Kategorien in Σ sind, und entsprechend die Eigenschaften und die einstelligen Begriffe pa-rallele Kategorialklassen in Σ sind (so wie auch die Propositionen und die Sachverhalte), so ist doch, wie ersichtlich, die Namensgebung von einstelligen Begriffen im Deutschen nicht standardmäßig „natürlicherweise“ so geregelt,9 dass Namen für einstellige Begriffe mit Namen für Eigenschaften fast komplett übereinstimmen. Gleichwohl determiniert jeder einstellige Be-griff genau eine ihm zugehörige , ontologisch entsprechende Eigenschaft, wobei die ontologische Entsprechung zwischen beiden sich darin zeigt, dass eine zentrale ontologische Aussage über den Begriff analytisch äquivalent zu einer gewissen zentralen ontologischen Aussage über die ihm zugehörige Eigenschaft ist; es gilt nämlich analytisch, dass eine beliebige singuläre Entität genau dann unter einen beliebigen einstelligen Begriff fällt , wenn sie die dem Begriff zugehö-rige (die durch ihn determinierte) Eigenschaft hat ; insbesondere gilt analytisch, um welches Verb (oder Hilfsverb) F und um welche singuläre Entität x es sich auch handelt: x fällt unter den Begriff […] F-n genau dann, wenn x die Eigenschaft, zu […] F-n, hat. („[…]“ deutet eine eventuelle – vielmehr: in den meisten Fällen gegebene – grammatikalische Ergänzung des im Infinitiv stehenden Verbs an.)

Der Unterschied zwischen Eigenschaften und einstelligen Begriffen zeigt sich beispielsweise darin, dass die Eigenschaft, ein gleichseitiges Dreieck zu sein, dieselbe Eigenschaft ist wie die Eigenschaft, ein gleichwinkliges Dreieck zu sein; dass aber der Begriff gleichseitiges Dreieck (sein) nicht derselbe (einstellige) Begriff ist wie der Begriff gleichwinkliges Dreieck (sein) . Diese zwei Begriffe sind zwar verschieden, aber sie determinieren als ihnen ontologisch zugehörig dieselbe Eigenschaft: die Eigenschaft, ein gleichseitiges Dreieck zu sein, alias die Eigenschaft, ein gleich-winkliges Dreieck zu sein.

Die einstelligen Begriffe sind als Bedeutungen sprachabhängige, immer sprachnahe und im-mer abstrakte singuläre Entitäten; und doch gibt es bei ihnen ein mehr oder weniger an Abs-traktheit. Als eine Klasse, die ganz besonders abstrakte Entitäten enthält, erscheint die folgende Subklasse der einstelligen Begriffe (welche Subklasse aber in Σ nichtkategorial ist): diejenigen einstelligen Begriffe, die ergänzt durch eine (beliebige) Proposition eine Proposition bilden (und nur so irgendetwas bilden). Zu dieser Subklasse der einstelligen Begriffe zählt z. B. (und vor allem) der hochabstrakte Begriff nicht (oder anders gesagt: der Begriff der propositionalen Ne-gation).

Relationen (K212): Statt „Relation“ kann man stets auch „Beziehung“ sagen; die beiden Worte sind Synonyme, sind bedeutungsgleich, was bei ihnen heißt: sie drücken denselben einstelligen Begriff aus. Relationen sind singuläre Entitäten, die je auf einmal vollständig ergänzt, „gesättigt“, durch geeignete singuläre Entitäten in geeigneter Reihenfolge, deren Anzahl mindestens 1, aber

4. Die Beschreibung der Kategorien von Σhöchstens gleich der den Relationen jeweils innerlich zugehörigen Stellenzahl N ist – wobei N ≥ 2 –, einen Sachverhalt bilden (und nur so irgendetwas bilden). Relationen besitzen wesenhaft eine gewisse Anzahl N – N ≥ 2 – von Stellen, „Sättigungsöffnungen“, die zudem eine gewisse Reihen-folge haben; man kann demnach von der 1. Stelle einer Relation sprechen, von der 2. Stelle, und wenn die Relation mehr als zwei Stellen hat, auch von der 3. Stelle, gegebenenfalls der 4. Stelle, usw. Bei der Sättigung einer Relation kommt es auf die Füllungsreihenfolge an: Die Füllung bei-spielsweise einer zweistelligen Relation durch dieselben zwei singulären Entitäten, aber das eine Mal in der einen Reihenfolge (die 1. Stelle wird mit a gefüllt, die 2. mit b ) und das andere Mal in der umgekehrten Reihenfolge (die 1. Stelle wird mit b gefüllt, die 2. mit a ) ergibt in aller Regel zwei verschiedene Sachverhalte (wenn sie denn beide Male überhaupt einen Sachverhalt ergibt).10

Relationen mit unendlicher Stellenzahl sind nicht auszuschließen. Relationen ohne feste Stel-lenzahl sind dagegen auszuschließen; wo man geneigt ist, von einer Relation ohne feste Stellen-zahl zu sprechen, liegen in Wahrheit viele (möglicherweise unendlich viele) inhaltlich verwand-te Relationen mit jeweils fester Stellenzahl vor.

Die Relationen können nach Stellenzahl weiterklassifiziert werden (was in Σ nicht geschieht): die zweistelligen Relationen, die dreistelligen, etc.; also: diejenigen Relationen, die je auf einmal vollständig ergänzt durch maximal zwei geeignete singuläre Entitäten in geeigneter Reihenfolge einen Sachverhalt bilden (und nur so irgendetwas bilden); diejenigen Relationen, die je auf ein-mal vollständig ergänzt durch maximal drei geeignete singuläre Entitäten in geeigneter Reihen-folge einen Sachverhalt bilden (und nur so irgendetwas bilden), usw.11 Allerdings muss mit der Kategorialklassenbildung aus Anlass des Anstiegs der Stellenzahl irgendwann Schluss sein, denn auf jeder Ebene dürfen in einem Kategoriensystem ja nur endlich viele Kategorien zur Eintei-lung eingesetzt werden (siehe Abschnitt 1 dieses Kapitels); als natürliche Grenze bietet sich an, bei der Stellenzahl 4 mit der Einteilung aufzuhören, denn 4 ist die größte Stellenzahl derjenigen Relationen, die in der Umgangssprache noch mit stehenden („fertigen“) prädikativen Ausdrü-cken gemeint sind (z. B. „x ist y ähnlicher, als z dem u ähnlich ist“). Neben den Kategorialklassen der zweistelligen Relationen, der dreistelligen, der vierstelligen, stünde dann die summarische Kategorialklasse der Anderen Relationen .

Die bedeutendste nichtkategoriale Subklasse der Relationen (sie ist nichtkategorial in Σ, nicht etwa nichtkategorial „an sich“) sind die zweistelligen Relationen zwischen Individualen : dieje-nigen Relationen, die je auf einmal vollständig ergänzt durch maximal zwei geeignete singu-läre Entitäten in geeigneter Reihenfolge, welche Entitäten jeweils ausnahmslos Individuale sind , einen Sachverhalt bilden (und nur so irgendetwas bilden). Ein in der Sprache schon vorfindliches Standardverfahren zur Benennung von Relationen gibt es im Deutschen nicht, aber manche Relationen haben „natürliche“ Namen: „die Ähnlichkeit“, „die Gleichheit“, „die Identität“, „die Gleichaltrigkeit“, „der Vorrang“, „die Liebe“, usw. Ein künstliches standardmäßiges Namens-gebungsverfahren für Relationen lässt sich wie folgt einrichten: Man geht von einem Prädikat aus, das [„das“ im Nominativ] die zu benennende Relation [Akkusativ] meint (welches Prädikat also jeweils von genau denjenigen geordneten Entitäten auf einmal – in deren jeweiligen Rei-henfolge – sinnvoll ausgesagt werden kann, mit denen die Relation jeweils einen Sachverhalt bildet: weil sie dafür grundsätzlich geeignet sind und in der dafür geeigneten Reihenfolge ste-hen); die Schemata solcher Prädikate sind: R[x, y], R´[x, y, z], R´´[x, y, z, u]. Die Schemata der entsprechenden Relationsnamen sind dann: „ die Relation der x, y, sodass gilt: R[x, y] “; „ die Relation der x, y, z, sodass gilt: R´[x, y, z] “; „ die Relation der x, y, z, u, sodass gilt: R´´[x, y, z, u] “.12 Beispiele: „die Relation der x, y, sodass gilt: x ist eine größere natürliche Zahl als y“; „die Relation der x, y, sodass gilt: x ist Vater von y“; „die Relation der x, y, z, sodass gilt: x liegt zwischen y und z“.

Mehrstellige Begriffe (K222): Die mehrstelligen Begriffe sind völlig analog zu den Relationen zu bestimmen, außer dass sie eben per geeignete Ergänzung Propositionen, nicht Sachverhalte bilden und Bedeutungen sind (also sprachabhängig, sprachnah, abstrakt sind), nicht Intensio-nen sind. Die mehrstelligen Begriffe und die Relationen sind ontologisch parallel zueinander: Jeder mehrstellige Begriff determiniert genau eine ihm zugehörige , ihm ontologisch entspre-chende Relation (was umgekehrt nicht der Fall ist), wobei die ontologische Entsprechung zwi-schen beiden sich darin zeigt, dass eine zentrale ontologische Aussage über den Begriff ana-lytisch äquivalent zu einer gewissen zentralen ontologischen Aussage über die ihm zugehörige Relation ist; es gilt nämlich analytisch, dass singuläre Entitäten x1

, …, xN genau dann in der angegebenen Reihenfolge unter einen beliebigen N-stelligen Begriff (N > 1) fallen , wenn sie in der angegebenen Reihenfolge in derjenigen (N-stelligen) Relation zueinander stehen , die jenem Begriff zugehört. Insbesondere gilt analytisch: Für alle singulären Entitäten x1

, …, xN

: x1

, …, xNfallen in der angegebenen Reihenfolge unter den Begriff der y1

, …, yN

, sodass gilt : R[y1

, …, yN

], genau dann, wenn x1

, …, xN in der angegebenen Reihenfolge in der Relation der y1

, …, yN

, sodass

4. Die Beschreibung der Kategorien von Σ gilt : R[y1

, …, yN

],13 zueinander stehen.14 Folglich: Hans, Anna fallen in der angegebenen Reihen-folge unter den Begriff der y1

, y2

, so dass gilt : y1 liebt y2

, genau dann, wenn Hans, Anna in der angegebenen Reihenfolge in der Relation der y1

, y2

, so dass gilt : y1 liebt y2

, stehen. Der Begriff der y1

, y2

, so dass gilt: y1 liebt y2

, ist natürlich kein anderer Begriff als der Begriff der Liebe , und die Relation der y1

, y2

, so dass gilt: y1 liebt y2

, ist keine andere Relation als die Relation der Liebe . Die Relation der Liebe wird durch den Begriff der Liebe als die ihm ontologisch entsprechende – die ihm zugehörige  – Relation determiniert. Der Begriff der Liebe und die Relation der Liebe sind verschieden (ja, gehören Kategorialklassen ohne gemeinsame Elemente an); dabei sind sie aber gerade so wie oben beschrieben miteinander verbunden .15

Sachverhaltsbildende Funktionen, propositionsbildende Funktionen, Andere Funktionen (K21, K22, K23): Die sachverhaltsbildenden Funktionen sind – als einstellige – die Eigenschaf-ten und – als mehrstellige – die Relationen; die propositionsbildenden Funktionen sind die ein-stelligen und die mehrstelligen Begriffe. Aber selbstverständlich sind nicht alle Funktionen sach-verhalts- oder propositionsbildend: Denken wir nur an die Quadratfunktion in der Mathematik, eine einstellige Funktion, die, wenn sie mit einer Zahl gesättigt wird, eine Zahl bildet (und nur so irgendetwas bildet); oder an die Geordnetes-Paar-Funktion, eine zweistellige Funktion, die je auf einmal vollständig ergänzt durch maximal zwei beliebige singuläre Entitäten das geord-nete Paar der fraglichen Entitäten in der jeweiligen Reihenfolge ihrer Verwendung zur Sättigung bildet16 (wobei übrigens diese Entität – das jeweilige geordnete Paar – bei den Anderen Objekten einzuordnen ist). Für diejenigen Funktionen, die sich weder bei den sachverhalts- noch bei den propositionsbildenden Funktionen unterbringen lassen, ist die summarische Kategorie Andere Funktionen vorgesehen. Diese Funktionen bilden ein gewaltiges Reich und sind sehr der allge-meinmetaphysischen Erforschung wert; aber aus Gründen der Vermeidung übermäßiger Weit-läufigkeit wird hier nicht weiter auf sie eingegangen.

Typenobjekte (K17): Hat eine singuläre Entität eine Eigenschaft, so sagt man auch, jene singu-läre Entität exemplifiziere diese Eigenschaft, oder sie sei ein Exemplar von ihr. Von einer Eigen-schaft ist es bei den für sie geeigneten Entitäten (die in aller Regel nicht alle Entitäten sind) sinnvoll zu sagen, sie habe sie als Exemplare – also m. a. W.: es ist sinnvoll zu sagen, dass sie von ihnen als Eigenschaft gehabt, von ihnen besessen werde –, auch wenn das oftmals nicht wahr ist bzw. sogar gar nicht wahr sein kann. (Es ist sinnvoll zu sagen, ich hätte/besäße die Eigenschaft, 20 m groß zu sein, oder: diese Eigenschaft habe mich als Exemplar, obwohl das nicht wahr ist und wohl nicht einmal wahr sein kann – naturgesetzlich jedenfalls.) Von einem Typenobjekt kann man ebenfalls bei den für es geeigneten Entitäten sinnvoll sagen, es habe sie als Exemplare; was man aber niemals sinnvoll sagen kann, ist, dass es „von einer gewissen singulären Entität als Typenobjekt gehabt werde, von ihr besessen werde“. Eigenschaften haben zudem eine besondere Bezüglichkeit zu ihren jeweiligen Exemplar-Kandidaten, die es ausmacht, dass die Eigenschaf-ten – sie selbst  – von diesen Exemplar-Kandidaten sinnvoll ausgesagt werden können (wahr-heitlich oder fälschlich, aber jedenfalls sinnvoll): sie sind prädikative (oder vielleicht besser: prädizierbare) Universalien; Typenobjekte haben diese besondere Bezüglichkeit zu ihren Exem-plar-Kandidaten nicht und können von diesen in keinem Fall selbst sinnvoll ausgesagt werden (auch dann nicht, wenn ein Exemplar-Kandidat von ihnen tatsächlich ein Exemplar von ihnen ist17): sie sind nichtprädikative (nichtprädizierbare) Universalien.

Aber was heißt das: dass eine Eigenschaft (sie selbst) von etwas sinnvoll ausgesagt wird? Ein Beispiel: In dem Aussagesatz „Hans ist ein älterer Bruder von Fritz“ wird das einstellige Prädikat „x ist ein älterer Bruder von Fritz“ von Hans sinnvoll ausgesagt, das einstellige Prädikat „Hans ist ein älterer Bruder von x“ wird von Fritz sinnvoll ausgesagt, das zweistellige Prädikat „x ist ein älterer Bruder von y“ wird von Hans, Fritz (in dieser Reihenfolge) sinnvoll ausgesagt. Wir konzentrieren uns auf das erstgenannte Prädikat. In dem fraglichen Aussagesatz wird nun nicht nur dieses Prädikat, sondern auch die damit gemeinte Eigenschaft – die Eigenschaft, ein älterer Bruder von Fritz zu sein – von Hans sinnvoll ausgesagt (ebenso wie der von jenem Prädikat aus- gedrückte einstellige Begriff: der Begriff älterer Bruder von Fritz ). Allgemein gilt, dass in einem

4. Die Beschreibung der Kategorien von Σbeliebigen sinnvollen Aussagesatz A[b] mit einem durch „b“ angezeigten Namen nicht nur das Prädikat A[x] von der singulären Entität b sinnvoll ausgesagt wird, sondern auch die mit A[x] gemeinte Eigenschaft (und der von A[x] ausgedrückte einstellige Begriff); mit anderen Worten: die mit A[x] gemeinte Eigenschaft bildet gesättigt durch b den Sachverhalt, dass A[b] (bzw. der ausgedrückte einstellige Begriff bildet gesättigt durch b die Proposition, dass A[b]).

Von dem Buchstaben „A“ (rein als graphische Gestalt), dem Wort „Liebe“ (rein als graphi-sche Gestalt), dem Satz „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ (wiederum rein als graphische Gestalt) kann sinnvoll gesagt werden, dies oder das sei ein (geschriebenes oder gedrucktes)

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Exemplar von ihnen, und sie haben auch tatsächlich sehr, sehr viele Exemplare; sie sind aber in keinem Fall von diesen Exemplaren sinnvoll aussagbar; sie bilden mit keinem einzigen von ihnen per Sättigung einen Sachverhalt. Sie können das gar nicht, sie sind nämlich keine Funktionen, sondern Objekte: Typenobjekte, oder kurz: Typen.18 Die deutsche Sprache (ob als geschriebene oder als gesprochene) ist ein ganzes System von Typen – viele von diesen exemplifiziert, unzählige Male exemplifiziert, andere von diesen überhaupt nicht exempli-fiziert, jedenfalls bisher nicht; jede Sprache ist nichts anderes als ein System von Typen, nichtexemplifizierten und exemplifizierten. Exemplifizierte Typen sind auch Bizets Oper Carmen , Shakespeares Drama Hamlet , Tolstois Roman Anna Karenina . Volle Exemplare von diesen sind ihre werkgerechten kompletten Aufführungen bzw. Lesungen, gewissermaßen weniger volle – wenn auch immer noch volle  – ihre kompletten Druckexemplare. (Man be-halte schon hier im Sinn, dass ein volles Exemplar eines Typenobjekts noch nicht ein völliges oder perfektes Exemplar von ihm ist.)

Die bisher genannten Typen haben gemeinsam, dass sie in einem gewissen Sinne „menschen-gemacht“ sind. Sie sind menschengemacht in dem Sinne, dass ihre Originalexemplare – ihre jeweiligen ersten Exemplare in der Zeit – menschengemacht sind. Aber bedeutet dies in einem halbwegs eigentlichen Sinn, dass sie selbst – die Typen – menschengemacht sind? Werden sie durch das Machen ihrer Originalexemplare nicht vielmehr nur „herausgerufen“, wenn man so will: „beschworen“? Die Frage, ob es so ist oder nicht, ist nur eine der Kontroversen, die sich mit der Kategorie der Typenobjekte verbindet, seit Platon Typenobjekte als Erster beschrieb und ihnen eine große metaphysische Bedeutung zuerkannte. Er nannte sie auf Griechisch eide (Ein-zahl eidos ) – Formen , Gestalten .

Typenobjekte sind für Platon nichts Menschengemachtes; sie sind nicht einmal menschen-gemacht in dem eben beschriebenen Sinn; sie sind etwas an sich . Bei den Typenobjekten, die Platon an prominentester Stelle im Auge hat: das Schöne-an-sich , das Gute-an-sich , die Gerechtig- keit-an-sich , ist das auch nicht unplausibel (sofern sie überhaupt „sind“).

Bei den gerade genannten Beispielen für Typenobjekte ist zudem augenfällig, dass sie eine enge Verbindung zu Eigenschaften haben: Der Gerechtigkeit-an-sich z.  B. korrespondiert

4. Die Beschreibung der Kategorien von Σdie Eigenschaft, gerecht zu sein; auch diese letztere Entität hat das Recht, „die Gerechtigkeit“ genannt zu werden. Es gilt offenbar, dass ein Typenobjekt genau dann von etwas exemplifi-ziert wird, wenn dieses Etwas die dem Typenobjekt korrespondierende Eigenschaft hat (diese exemplifiziert). Bei vielen Typenobjekten – nämlich bei den komplexeren – ist die ihnen je korrespondierende Eigenschaft schwer zu fassen (schwer zu beschreiben und zu benennen) – jedenfalls dann, wenn man dabei kein Exemplar des in Frage stehenden Typenobjekts heran-ziehen will. Welche Eigenschaft etwa korrespondiert dem Buchstaben „A“ (rein als graphische Gestalt)? Sagt man, es sei die Eigenschaft, wie folgt auszusehen: A (dabei von Größen- und Farbunterschieden absehend), so hat man die fragliche Eigenschaft unter Heranziehung eines Exemplars des Buchstabens „A“ benannt und beschrieben; ohne ein solches Heranziehen wäre die Angelegenheit umständlich und weitläufig geworden (schon in diesem, doch noch sehr einfachen Fall).

Allerdings gibt es bei Typenobjekten Grade der Exemplifikation: ein Mehr oder Weniger des Exemplarseins (wie schon Platon gesehen hat) – etwas, was man von Eigenschaften nicht kennt. Deshalb ist der oben beschriebene Exemplifikationszusammenhang eigentlich  – nämlich exakter formuliert – dieser: Ein Typenobjekt wird genau dann von etwas völlig (oder perfekt ) exemplifiziert, wenn dieses Etwas die dem Typenobjekt korrespondierende Eigenschaft exem-plifiziert (diese hat).19

Platon war der Auffassung, dass Typenobjekte durch sich selbst völlig exemplifiziert wer-den und nur durch sich selbst völlig exemplifiziert werden (alle anderen ihrer Exemplare „haben an ihnen nur (exemplifikatorisch) Teil“ – eine Sache des Mehr oder Weniger).20 Im Fall des Schönen-an-sich hat diese Auffassung angesichts des gerade formulierten Exem-plifikationszusammenhangs zur Folge, dass die dem Schönen-an-sich korrespondierende Eigenschaft offenbar die Eigenschaft ist, vollkommen schön zu sein, und dass das Schöne-an-sich und nur das Schöne-an-sich diese Eigenschaft hat, d. h.: als Einziges vollkommen schön ist. (Nichts anderes, übrigens, kann man Platons Dialog Symposion entnehmen.) Das mag im Fall des Schönen-an-sich vielleicht richtig sein (sofern hinter dem Namen wirklich eine Entität steckt), es ist aber sicherlich nicht wahr, dass jedes ( prima facie anzunehmen-de) Typenobjekt und nur es allein die ihm korrespondierende Eigenschaft exemplifiziert. Vielmehr exemplifizieren – beispielsweise – viele Entitäten die Eigenschaft, ein Mensch zu sein, während der Mensch-an-sich diese Eigenschaft nun gerade nicht exemplifiziert: Jeder Mensch hat eine bestimmte Körpergröße, der Mensch-an-sich hat keine; folglich ist er kein Mensch, exemplifiziert also, die Eigenschaft, ein Mensch zu sein, nicht . Da hilft es auch nicht, wenn man die dem fraglichen Typenobjekt korrespondierende Eigenschaft gut platonisch die Eigenschaft sein lässt, ein vollkommener Mensch zu sein: Es fehlt dem Typenobjekt die bestimmte Körpergröße, deshalb hat es erst recht nicht die Eigenschaft, ein vollkommener Mensch zu sein ( anderes als der Mensch-an-sich mag aber diese Eigenschaft durchaus haben; es ist nicht logisch ausgeschlossen). Dessen ungeachtet – dadurch unbeschadet – gilt aber, dass etwas den Menschen-an-sich genau dann völlig exemplifiziert, wenn es die Eigenschaft, ein Mensch zu sein, exemplifiziert.

Mit alledem ist keineswegs alles über das Verhältnis von Typenobjekten und Eigenschaf-ten gesagt. Es ist ersichtlich, dass jedes Typenobjekt gewisse für seine Exemplifikation rele-vante Eigenschaften „transportiert“ – offenbar ohne diese Eigenschaften selbst zu haben (an-ders als Platon meinte) –, aber andere, für seine Exemplifikation durchaus ebenfalls relevante Eigenschaften nicht „transportiert“. Ohne diesen „Transport“ von Eigenschaften durch Ty-pen bliebe die Exemplifikation von Typen unverständlich. Das (euklidische) Dreieck-an-sich beispielsweise – üblicherweise sagt man einfach: „das (euklidische) Dreieck“ – transportiert die Eigenschaft, ein Dreieck zu sein, eine (Innen-)Winkelsumme von 180° zu haben, einen Innen- und einen Außenkreis zu haben, usw. Es transportiert beispielsweise nicht die Eigen-schaft, einen Umfang von r Metern zu haben (egal, welche positive reelle Zahl man für r auch einsetzen mag).

Wenn nun auch das Dreieck-an-sich die Eigenschaft transportiert , ein Dreieck zu sein, das Dreieck-an-sich ist gewiss kein Dreieck. Wäre man vielleicht noch wenigstens prima facie bereit, anzunehmen, dass das Dreieck-an-sich die Eigenschaft hat , ein Dreieck zu sein, oder die Eigenschaft hat , eine Winkelsumme von 180° zu haben, geht es gewiss schon auf den ersten Blick nicht an zu sagen, dass es eine reelle Zahl r gibt, sodass das Dreieck-an-sich die Eigenschaft hat, einen Umfang von r Metern zu haben. Wäre das Dreieck-an-sich ein Dreieck , so müsste es aber eine solche reelle Zahl geben. Das Dreieck-an-sich ist also kein Dreieck und hat folglich auch nicht die Eigenschaft, ein Dreieck zu sein – anders als man vielleicht zunächst noch bereit war anzunehmen. Dadurch ganz unbeschadet gilt aber, dass etwas das Dreieck-an-sich genau dann völlig exemplifiziert, wenn es die Eigenschaft, ein Dreieck zu sein, exemplifiziert (und damit auch die Eigenschaft, einen Umfang bestimmter positiver Länge zu haben).

Was sind nun Typenobjekte? Angesichts ihres Verhältnisses zu Eigenschaften ist wohl die bes-te Hypothese die, dass jedes Typenobjekt eine Konjunktion von Eigenschaften ist (genau der Eigenschaften, die es transportiert ), also eine Eigenschaft ist – aber doch nicht eigentlich eine

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4. Die Beschreibung der Kategorien von Σsolche ist, denn diese „Eigenschaft“, die es ist, ist „kastriert“: bei ihr ist die Sättigungsfähigkeit ausgeschaltet,21 die Exemplifikationsfähigkeit hingegen nicht.22

Korrespondiert manchem Typenobjekt keine Eigenschaft, sondern eine Relation? Ist vielleicht die Liebe-an-sich ein solches relationales Typenobjekt? Es müsste dann gelten: Die Liebe-an-sich wird genau dann durch das geordnete Paar <x, z> völlig exemplifiziert, wenn x in der Rela-tion der Liebe zu z steht (m. a. W.: wenn x, z in dieser Reihenfolge die Relation der y1

, y2

, so dass gilt: y1 liebt y2

, exemplifizieren ). Der Unterschied zwischen dem Typenobjekt und der Relation mag gering erscheinen (ungeachtet dessen, dass das Erstere ein Objekt, die Letztere eine Funk-tion ist): Ist es denn da wohlmotiviert, wenn man neben Relationen relationale Typenobjekte annimmt (wenigstens gelegentlich)? – Es erscheint in der Tat hinreichend wohlmotiviert, das Typenobjekt die Liebe-an-sich neben der Relation der Liebe anzunehmen, da das Erstere eine nichtvöllige Exemplifikation zulässt (ein Mehr-oder-Weniger bei der Exemplifikation per größe-re oder kleinere „Annäherung“ an es ), die Letztere hingegen nicht.23

4. Die Beschreibung der Kategorien von Σ Begriffsobjekte und Eigenschaftsobjekte (K14 und K13): Aus jedem singularischen einstelli-gen Prädikat A[x], welches, als solches, einen einstelligen Begriff ausdrückt (wenn es überhaupt einen Begriff ausdrückt und nicht bloß einen gewissen Prädikatsinhalt) und die durch diesen Begriff determinierte Eigenschaft meint , kann ein singulärer Kennzeichnungsterm  – in logi-scher Standardform: „dasjenige x, sodass gilt: A[x]“ – gebildet werden, welcher, als solcher, ein Begriffsobjekt (als seine Bedeutung) ausdrückt und das durch das ausgedrückte Begriffsobjekt determinierte Eigenschaftsobjekt (als seine Intension) meint . Weder das ausgedrückte Begriffs-objekt noch das gemeinte Eigenschaftsobjekt ist aber der Bezug  – die Extension  – des Kenn-zeichnungsterms, was man häufig schon allein daran merkt, dass dieser Bezug gar kein Objekt ist, sondern eine Funktion (wie im Fall des Kennzeichnungsterms „der Begriff, der von ‚x liebt y‘ ausgedrückt wird“, in logischer Standardform : „dasjenige z, sodass gilt: z ist ein Begriff, der von ‚x liebt y‘ ausgedrückt wird“); oder auch daran, dass der fragliche singuläre Kennzeichnungsterm offenbar gar keinen Bezug hat (wie im Fall des Kennzeichnungsterms „der König von Frankreich im Jahre 2010“, in logischer Standardform : „dasjenige x, sodass gilt: x ist König von Frankreich im Jahre 2010“).

Begriffsobjekte und Eigenschaftsobjekte lassen sich als jeweilige Bedeutung bzw. Intension nicht nur singulären Kennzeichnungstermen, sondern allen singulären Termen – allen Namen (im eigentlichen und engen Sinn) – zuordnen (sofern sie überhaupt dafür geeignet sind, also u. a. nichtindexikalisch sind), auch denen, die keine Kennzeichnungsterme sind (wie „Aristote-les“, „Berlin“, „285“); denn jeder singuläre Term ist mit einem singulären Kennzeichnungsterm synonym (bedeutungsgleich): „Aristoteles“ z.  B. ist synonym mit „derjenige, der Aristoteles ist“, in logischer Standardform : „dasjenige x, sodass gilt: x ist identisch mit Aristoteles“ (welches Letztere seinerseits mit „derjenige, der Aristoteles ist“ schlicht deshalb synonym ist, weil es die

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Übersetzung von „derjenige, der Aristoteles ist“ in Logiksprech 28ist). Allgemein: Um welchen singulären Term τ es sich auch handelt, es gilt: τ ist synonym mit „dasjenige x, sodass gilt: x ist identisch mit τ“. Da dies so ist, muss die Bedeutung von τ die Bedeutung von „dasjenige x, so-dass gilt: x ist identisch mit τ “ sein, also (im logischen Normalfall) ein gewisses Begriffsobjekt, und somit (da die Bedeutung die Intension bestimmt) auch die Intension von τ die Intension von „dasjenige x, sodass gilt: x ist identisch mit τ“ sein, also ein durch jenes Begriffsobjekt de-terminiertes Eigenschaftsobjekt.

Bei der Primärbenennung von Begriffsobjekten und Eigenschaftsobjekten29 sind keine Abkür-zungen möglich. Man muss dazu einen singulären Kennzeichnungsterm verwenden, wobei aber das, was der Kennzeichnungsterm selbst benennt (wenn er etwas benennt), nicht etwa das zu benen-nende Begriffs- bzw. Eigenschaftsobjekt ist; der verwendete Kennzeichnungsterm ist modifiziert : „Der Präsident der USA im Jahre 2018“ benennt eine Person; „das Begriffsobjekt- Der-Präsident- der-USA-im-Jahre-2018 “ und „das Eigenschaftsobjekt- Der-Präsident-der-USA-im-Jahre-2018 “ benennen hingegen keine Person, sondern eine Bedeutung bzw. eine Intension. Ersichtlich stim-men die Standardnamen für Begriffsobjekte und für die ihnen zugehörigen Eigenschaftsobjek-te30 fast völlig überein; die Situation ist ähnlich wie bei der standardmäßigen Benennung von Propositionen und zugehörigen Sachverhalten, wobei aber hier nun, was nach dem einleitenden Teil – nach „das Begriffsobjekt“ bzw. „das Eigenschaftsobjekt“ – kommt, kein auch nur halbwegs eigenständiger, herauslösbarer Bestandteil ist (anders als der „dass“-Satz hinter „die Proposi-tion“ bzw. „der Sachverhalt“), welche Sachlage durch den Bindestrich, der sofort hinter dem einleitenden Teil steht, angedeutet werden soll.

Die weitgehende Übereinstimmung ihrer Standardnamen darf nicht dazu verführen, Be-griffsobjekte und Eigenschaftsobjekte zu identifizieren, auch nicht hin und wieder. Zu den Identitäts- und Verschiedenheitsverhältnissen bei bzw. zwischen Begriffs- und Eigenschafts-objekten hier ein Beispiel: Sei ABC ein gleichseitiges Dreieck. Das Begriffsobjekt- Der-Mittel- punkt-des-Innenkreises-von- ABC ist verschieden vom Begriffsobjekt- Der-Mittelpunkt-des-Au- ßenkreises-von- ABC; aber das Eigenschaftsobjekt- Der-Mittelpunkt-des-Innenkreises-von- ABC ist dennoch identisch mit dem Eigenschaftsobjekt- Der-Mittelpunkt-des-Außenkreises-von- ABC (und identisch ist der – weder Begriffsobjekt noch Eigenschaftsobjekt seiende – Mit-telpunkt des Innenkreises von ABC mit dem Mittelpunkt des Außenkreises von ABC; denn

4. Die Beschreibung der Kategorien von ΣIntensionsgleichheit  – hier von singulären Kennzeichnungstermen  – bedingt immer Ex-tensionsgleichheit, sofern eine Extension vorhanden ist). Würde man nun das Eigenschafts-objekt- Der-Mittelpunkt-des-Innenkreises-von-ABC mit dem Begriffsobjekt- Der-Mittel- punkt-des-Innenkreises-von-ABC identifizieren, so müsste man dasselbe auch mit dem Eigenschaftsobjekt- Der-Mittelpunkt-des-Außenkreises-von-ABC und dem Begriffsobjekt- Der- Mittelpunkt-des-Außenkreises-von-ABC tun (es gibt keinen Grund, die beiden Paare unter-schiedlich zu behandeln). Wegen der Identität der Eigenschaftsobjekte würde dann aber die Identität der Begriffsobjekte folgen – im Widerspruch zu den ontologischen Tatsachen. Also: Das Eigenschaftsobjekt- Der-Mittelpunkt-des-Innenkreises-von-ABC lässt sich nicht mit dem Begriffsobjekt- Der-Mittelpunkt-des-Innenkreises-von-ABC identifizieren; und nicht anders verhält es sich beim Eigenschaftsobjekt- Der-Mittelpunkt-des-Außenkreises-von-ABC und beim Begriffsobjekt- Der-Mittelpunkt-des-Außenkreises-von-ABC .

Andere Objekte (K11): Die Notwendigkeit der Kategorie Anderes Objekt ist leicht zu sehen. Könnte man auch Reihen, Mengen, Gruppen, die rein aus Individualen bestehen, vielleicht noch unter die Individuale zählen (eventuell als Individuale mit geringerem Einheitsgrad als ihre Glieder, Elemente, Mitglieder), so ist doch beispielsweise ein geordnetes Paar aus einem Sach-verhalt und einem Begriffsobjekt sicherlich kein Individual – aber auch kein Eigenschaftsobjekt, kein Begriffsobjekt, keine Proposition, kein Sachverhalt, kein Typenobjekt, und sicherlich auch keine Funktion. Um der Einheitlichkeit willen wird man dann alle Reihen zu den Anderen Ob- jekten tun – und mit Mengen (gemeint sind die Mengen im mengentheoretischen Sinn) und mit Gruppen wird man in gleicher Weise verfahren.

Es entsteht aber folgende Frage: Eine Paarmenge, oder ein geordnetes Paar, oder eine Paar-gruppe, die aus einem Objekt und einer Funktion besteht, ist das ein Objekt, oder ist es eine Funktion? Eins von beiden muss es doch sein, wenn die Klassifikation der singulären Entitäten auf der 1. Einteilungsebene so, wie sie angegeben wurde , vollständig ist (und vollständig auf jener Ebene, wie auch auf jeder weiteren Einteilungsebenen von Σ, muss sie sein, wenn Σ ein Katego-riensystem ist – was Σ ja sein soll33). Die Frage ist dahingehend zu beantworten, dass alle Men-gen, und Reihen, und Gruppen, die gemischt aus Objekten und Funktionen bestehen, Objekte sind, und zwar unter die Kategorie Anderes Objekt fallen.

Allerdings kann es hier leicht geschehen, dass eine Funktion mit einem Objekt verwechselt wird. Betrachten wir ein Beispiel. 1 Frage : Ist <7, x 2 > ein Objekt oder eine Funktion? 1 Antwort : Die Frage lässt sich so nicht stellen, denn „<7, x2>“ ist ein Funktionsausdruck, kein Name (gibt also gar nicht vor, sich benennend auf ein bestimmtes Eines zu beziehen, bei dem man dann entscheiden könnte, ob es ein Objekt oder eine Funktion ist); fragt man, ob <7, x 2 > ein Objekt oder eine Funktion ist, so ist das genauso, als ob man fragte, ob x ist ein Mensch ein Objekt oder

4. Die Beschreibung der Kategorien von Σeine Funktion ist. 2 Frage : Ist λx<7, x2> ein Objekt oder eine Funktion? 2 Antwort : λx<7, x2> ist eine Funktion; denn „λ“ ist der Funktionsabstraktor, der aus einem Funktionsausdruck einen Namen für eine dem Funktionsausdruck semantisch zugehörige Funktion bildet,34 nämlich im vorliegenden Fall einen Namen für diejenige Funktion, die gesättigt durch eine Zahl, und nur so (nämlich: gesättigt durch eine Zahl), das geordnete Paar bildet, dessen erstes Glied 7 ist und dessen zweites Glied das Quadrat der fraglichen Zahl ist (eine Funktion, die offensichtlich unter die Kategorie Andere Funktion  – K23 –fällt); aber λx<7, x2> ist natürlich kein geordnetes Paar. 3 Frage : Ist <7, λxx2> ein Objekt oder eine Funktion? 3 Antwort : <7, λxx2> ist ein geordnetes Paar und als solches keine Funktion; wenn es scheint, als sei <7, λxx2> eine Funktion, so ver-wechselt man <7, λxx2> mit λx<7, x2>. (Völlig analoge Betrachtungen lassen sich bzgl. {7, x2}, λx{7, x2} und {7, λxx2} anstellen, wo es an dritter Stelle um eine aus Objekt (der Sieben) und Funktion (der Quadratfunktion) gemischte Paarmenge geht.)

Reihen, Mengen, Gruppen machen die Kategorialklasse35 der Anderen Objekte zu einer Kate-gorialklasse gewaltigen Ausmaßes. Und von weiteren Entitäten, die Andere Objekte sind, ist aus-zugehen. Solche sind etwa die schon erwähnten Satzinhalte, die keine Propositionen sind, wie überhaupt alle objekthaften Bedeutungen, die nicht näherkategorisiert sind, also weder Proposi-tionen noch Begriffsobjekte sind, z. B. auch die äußerungskontextunabhängigen Bedeutungen der indexikalischen singulären Terme „ich“ und „du“). (Die funktionshaften Bedeutungen, die nicht näherkategorisiert sind, die also keine Begriffe sind, z. B. die äußerungskontextunabhän-gige Bedeutung des indexikalischen Prädikats „x ist etwas Vergangenes“, kommen hingegen bei den Anderen Funktionen unter.)

Individuale/Partikularien (K12): Die Kategorialklasse der Individuale ist von besonderer Wichtigkeit, weil wir  – menschliche Personen – zu dieser Kategorialklasse gehören, und zu dieser oder jener ihrer kategorialen Subklassen (von Einteilungsebene 3 bis 6). Deshalb ist der Betrachtung der Individuale/Partikularien ein eigener Abschnitt dieses Kapitels ge-widmet.

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5. Die Individuale/Partikularien

Der (mittels eines Kunstworts ausgedrückte) Begriff des Individuals  – der Partikularie  – ist eine Erweiterung des Begriffs des Individuums (in welchem Sinne, wird bald deutlich werden). Die Bezeichnung „Partikularie“ ist insofern günstiger als „Individual“ und insbesondere „Individu-um“, als sie einen nicht auf die Idee bringen kann (via Etymologie), der ausgedrückte Begriff hät-te etwas mit Unteilbarkeit oder Teillosigkeit zu tun. (Andererseits darf man auch nicht meinen, Partikularien hätten stets echte Teile: partes .) Wegen der Eingeführtheit des Wortes „Individu-um“ und der im Wort „Individual“ direkt manifestierten Sinnverwandtschaft zu „Individuum“ wird nichtsdestoweniger in diesem Buch die Bezeichnung „Individual“ gegenüber „Partikularie“ und die Bezeichnung „Individuum“ gegenüber „maximalkonsistente Partikularie“ bevorzugt. Hier – unmittelbar am Anfang dieses Abschnitts – aber noch nicht .

Partikularien (oder per fiat synonym: Individuale ) sind als Objekte nicht ergänzungsbedürftig; sie sind (immer schon) „gesättigte“ singuläre Entitäten; sie können nicht gesättigt werden , ja es grenzt ans Sinnlose, von ihnen zu sagen, dass sie gesättigt würden .36 Darüber hinaus ist es von Partikularien auch beinahe sinnlos zu sagen, dass sie exemplifiziert würden ; Partikularien sind somit zwar Objekte, aber keine Typenobjekte. Sie sind zudem weder Propositionen noch Sachverhalte, weder Begriffs- noch Eigenschaftsobjekte. Und ernsthaft auf die Idee, sie zu den Anderen Objekten zu schlagen, kommt man deshalb nicht, weil Partikularien weder unvertraut noch ungewöhnlich sind und auch nicht irgendwie „technisch“ oder „artifiziell“ wirken. Jeder Mensch ist ja ein Individuum – und als solches eo ipso ein Individual, eine Partikularie; bis zu einem gewissen Grad (aber nur bis zu einem gewissen Grad) kennen wir uns ontologisch und sind mit uns ontologisch vertraut; zu den Anderen Objekten werden wir uns nicht zählen, folg-lich auch nicht die Partikularien (zu denen wir ja gehören).

Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch dieses: „Partikularie“ ist das Antonym zu „Universalie“; Partikularien sind also keine Universalien. An sich könnten sie nun sehr vieles unter den Nichtuniversalien sein. Die singulären Entitäten, um die es jetzt gehen soll, heißen aber deshalb „die Partikularien“, weil man an sie in allererster Linie denkt, wenn die Frage ist, welche Nichtuniversalien Exemplare von Universalien sind – sind sie doch Exemplare gerade derjenigen Universalien, an die man in allererster Linie denkt .

5. Die Individuale/Partikularien

Die Eigenschaften-der-Individuale, also diejenigen Eigenschaften, die mit Individualen (aber nicht unbedingt mit jedem beliebigen Individual) und nur mit Individualen Sachverhalte bil-den,37 m. a. W.: die von Individualen (doch nicht unbedingt von jedem) und nur von Individualen mittels eines sie meinenden Prädikats (sinnvoll) ausgesagt werden können, sind die Universa-lien, an die man in allererster Linie denkt . Es sei davon ausgegangen, dass zu jeder dieser Eigen-schaften eine Negation gegeben ist, und zwar ebenfalls als eine Eigenschaft-der-Individuale: die (ebenfalls auf Individuale bezogene) Negation der jeweiligen Eigenschaft, im Folgenden kurz: deren Negation . Mithin: Ist die Eigenschaft, [ein Individual zu sein und] zu Φ-n, eine Eigen-schaft-der-Individuale, so ist auch die Eigenschaft, ein Individual zu sein und nicht zu Φ-n,38 eine Eigenschaft-der-Individuale. Ein Individual heißt „vollständig“ genau dann, wenn es von jeder Eigenschaft-der-Individuale, die geeignet ist, von ihm (sinnvoll) ausgesagt zu werden, diese selbst oder deren Negation hat: exemplifiziert . (Hier ist es wichtig zu beachten: Mit jeder Eigenschaft-der-Individuale, die geeignet ist, von x ausgesagt zu werden – wahrheitlich oder fälschlich –, ist auch deren Negation – die sie „negierende“ Eigenschaft-der-Individuale – geeignet, von x aus-gesagt zu werden.) Ein Individual heißt „konsistent“ genau dann, wenn es von keiner Eigenschaft-der-Individuale, die geeignet ist, von ihm ausgesagt zu werden, sowohl diese selbst als auch deren Negation hat. Ein Individual heißt „maximalkonsistent“ genau dann, wenn es sowohl konsistent als auch vollständig ist, m. a. W.: wenn es von jeder Eigenschaft-der-Individuale, die geeignet ist, von ihm ausgesagt zu werden, entweder diese selbst oder deren Negation hat.

Man könnte meinen, dass der hier in Anschlag gebrachte Begriff der Konsistenz zu schwach sei, in dem Sinne, dass ein Individual im definierten Sinn als konsistent erscheinen könne, während es doch eigentlich – der Sache nach – gar nicht konsistent ist: deshalb, weil es neben der expliziten Unvereinbarkeit von Eigenschaften (wie bei der Eigenschaft, rund zu sein, und der Eigenschaft, ein Individual und nicht rund zu sein) doch auch ihre implizite Unverein-barkeit gibt (wie bei der Eigenschaft, rund zu sein, und der Eigenschaft, quadratisch zu sein). Jedoch ist auch ein Individual x, das sowohl die Eigenschaft hat, rund zu sein, als auch die Eigenschaft hat, quadratisch zu sein, und das deshalb – der Sache nach – nicht konsistent ist, auch unter Verwendung des definierten Sinns von „konsistent“ nicht konsistent (dieser letztere Sinn ist also durchaus sachgerecht ). Das ist deshalb so, weil das folgende Prinzip – das Eigenschaftsbeschlossenheitsprinzip  – gilt: Hat (exemplifiziert) etwas eine Eigenschaft F, dann hat es auch jede Eigenschaft, die in F per se beschlossen ist .39 Nun ist in der Eigenschaft, rund zu sein, per se die Eigenschaft, ein Individual und nicht quadratisch zu sein, beschlos-sen. Da das besagte Individual x die Eigenschaft hat, rund zu sein, hat es also nach dem Eigenschaftsbeschlossenheitsprinzip auch die Eigenschaft, ein Individual und nicht quadra-tisch zu sein – neben seiner Eigenschaft, quadratisch zu sein; x hat also eine gewisse Eigen-schaft-der-Individuale und zugleich deren Negation (wodurch beide – ipso facto – auch ge-eignet sind, von x ausgesagt zu werden [wie auch natürlich x geeignet ist, dass beide von ihm ausgesagt werden]); das Individual x ist also auch unter Verwendung des definierten Sinns von „konsistent“ nicht konsistent .

Die Argumentation am Beispiel lässt sich offensichtlich verallgemeinern: Aus der impliziten Inkonsistenz eines Individuals folgt wegen des Eigenschaftsbeschlossenheitsprinzips die expli-zite; deshalb kann die explizite Konsistenz eines Individuals für seine vollständige Konsistenz einstehen.

Des Weiteren ist hier zur Erläuterung zu sagen, dass es zwei verschiedene Arten von Eigen-schaften-der-Individuale gibt: Bei der einen Art ist die Exemplifikation ohne zeitliche Relati-vierung, bei der anderen Art nicht. Die Exemplifikation der Eigenschaft, auf einem Stuhl zu sitzen, z. B. bedarf der zeitlichen Relativierung, da diese Eigenschaft in mindestens einem Fall weder immer exemplifiziert, noch immer nicht exemplifiziert ist. Die Exemplifikation hingegen der Eigenschaft, zu t0 auf einem Stuhl zu sitzen, bedarf nicht der zeitlichen Relativierung, da diese Eigenschaft in jedem Fall entweder immer exemplifiziert wird, oder aber nie.40 Bei der

5. Die Individuale/Partikularienobigen Definition der vollständigen und der konsistenten Individuale wird von der 2. Art von Eigenschaften-der-Individuale ausgegangen, wie durch die Verwendung des zeitlich nichtrela-tivierten Exemplifikationsbegriffs angezeigt wird. Inadäquat ist das nicht, denn die 2. Art von Eigenschaften-der-Individuale kann für die 1. Art miteinstehen, da das folgende Prinzip gilt: Für alle Individuale x und Zeitpunkte t: x exemplifiziert F-zu-t (diese Eigenschaft-der-Individua-le 2. Art) genau dann, wenn x F (diese Eigenschaft-der-Individuale 1. Art) zu t exemplifiziert . (Man beachte, dass die Zeitpunkte, von denen hier die Rede ist, zwar jeweils einer Zeitordnung angehören, diese Zeitordnung aber nicht unbedingt die reale Zeitordnung sein muss, sondern z. B. eine Roman-Zeit sein kann.)

Bei den maximalkonsistenten Individualen nun, den Individuen , bilden eine Subklasse dieje-nigen Individuen, die als „Leibniz-Individuen“ bezeichnet sein sollen (entsprechen sie doch der Individuumskonzeption von Leibniz); die nicht maximalkonsistenten – inkonsistenten (nicht konsistenten) oder unvollständigen (nicht vollständigen) – Individuale hingegen sind die Ande- ren Individuale . Wir sprechen zuerst über diese Letzteren; aber es wird sich als günstig erweisen, die Leibniz- Individuen von vornherein in die Betrachtung miteinzubeziehen.

Andere Individuale (K122): Unter allen Kategorien von Σ ist die Kategorie Anderes Individual diejenige, deren Erfülltheit am umstrittensten ist. Die Anderen Individuale zusammen mit den Leibniz-Individuen seien hier auch als „Meinong’sche Individuale“ bezeichnet – zu Ehren von Alexius Meinong: desjenigen Philosophen, der die ontologischen Eigentümlichkeiten der ( neben den Individualen, die Individuen sind) Anderen Individuale als Erster hinreichend klar beschrie-ben und sie im Effekt unter die Seienden gezählt hat, wenn er auch selbst sie für „nichtseiende Gegenstände“ hielt – wodurch nur augenfällig ist, dass Meinong einen eingeschränkteren Seins-begriff hatte, als derjenige ist, der hier verwendet wird: einen Seinsbegriff der die Gegenstände  – für ihn waren die Gegenstände alles überhaupt – teilt : in die seienden und in die nichtseienden. Der hier verwendete Seinsbegriff ist jedoch allumfassend und Meinongs „Gegenstände“ sind im Sinne dieses Seinsbegriffs allesamt seiend  – was auch immer Meinongs „Gegenstände“ im Sinne der hier verwendeten Terminologie genau sein mögen (die Entitäten überhaupt?, die singulären Entitäten?, die Objekte?41).

Man hat ein Prima-facie-Recht von anderen Individualen, als es Individuen sind, zu spre-chen. Beispiele für unvollständige Individuale sind mythologische und fiktionale Entitäten, Gestalten in Mythen und in Romanen und Erzählungen (oder auch in Filmen). Die Unvoll-ständigkeit dieser Entitäten ist nicht zu übersehen. Anna Karenina, beispielsweise, war zweifel-los eine schöne Frau und hatte die im 19. Jahrhundert bei Frauen übliche Haarpracht. Aber wie viele Kopfhaare hatte sie eigentlich – sagen wir, an ihrem 20. Geburtstag um exakt 6 Uhr 45 (lokaler Zeit)? Darüber hat uns Tolstoi verständlicherweise nicht aufgeklärt, ebenso wie er uns nicht darüber aufgeklärt hat, um wie viel Uhr genau (lokaler Zeit) Anna Karenina an ihrem 20. Geburtstag erwachte. Die Konsequenz ist, dass von mancher Eigenschaft-der Individuale gilt, dass Anna Karenina weder diese Eigenschaft noch deren Negation hat (exemplifiziert), obwohl jene Eigenschaft und deren Negation doch beide geeignet sind, von ihr ausgesagt zu werden; z. B. gilt das Fragliche von der Eigenschaft, am 20. Geburts-tag um exakt 6 Uhr 45 120123 Kopfhaare zu haben (ebenso von den Eigenschaften, am 20. Geburtstag um exakt 6 Uhr 45 120122 bzw. 120121 bzw. 120120 bzw. … Kopfhaare zu ha-ben; wie auch von den Eigenschaften, am 20. Geburtstag um exakt 6 Uhr 45 120124 bzw. 120125 bzw. 120126 bzw. … Kopfhaare zu haben). Die ontologische Lage Anna Kareninas – eines unvollständigen Individuals – wird einem so recht klar, wenn man sie mit der Elisa-beths von Österreich vergleicht, also mit der ontologischen Lage eines Individuums. Auch bei „Sisi“ wissen wir nicht und können wir nicht wissen (jedenfalls nicht im Sinne einer wohlbegründeten wahren Überzeugung), wie viele Kopfhaare sie an ihrem 20.  Geburtstag um exakt 6 Uhr 45 (lokaler Zeit) hatte. Aber diese Anzahl steht dennoch fest, während bei Anna Karenina diesbezüglich nichts als eine Lücke ist. Das hat zur Folge, dass Elisabeth von Österreich entweder die Eigenschaft exemplifiziert, am 20. Geburtstag um exakt 6 Uhr 45 120123 Kopfhaare zu haben, oder aber die Eigenschaft exemplifiziert, ein Individual zu sein und am 20. Geburtstag um exakt 6Uhr 45 nicht 120123 Kopfhaare zu haben.42

Meinong nahm auch inkonsistente Individuale an, z. B. das runde Quadrat. Dass das runde Quadrat ein Individual ist, ist gar nicht so deutlich, könnte man „das runde Quadrat“ doch als saloppe Bezeichnung für das Begriffsobjekt- Das-runde-Quadrat , das Eigenschaftsobjekt- Das- runde-Quadrat oder das Typenobjekt das runde-Quadrat-an-sich verstehen. Sagt man „dieses runde Quadrat“ statt „das runde Quadrat“, so ist klarer, dass es sich, wenn überhaupt um etwas , um ein Individual handelt, und zwar eines, das die Eigenschaft, rund zu sein, hat und die Eigen-schaft, ein Quadrat zu sein; das also inkonsistent ist (auch im oben definierten Sinn, wie gerade gezeigt). Es kommt auch manchmal vor, dass ein Autor im Laufe einer langen Geschichte einer Romanfigur unvereinbare Eigenschaften zuschreibt; eine solche Romanfigur ist ebenfalls ein Beispiel für ein inkonsistentes Individual.

5. Die Individuale/Partikularien

Wie die Typenobjekte haben auch die Meinong’schen Individuale (also: die Anderen Individua- le plus die Leibniz-Individuen ) eine enge Beziehung zu Eigenschaften, hier nun insbesondere zu den Eigenschaften-der-Individuale. Gewissermaßen sind die Meinong’schen Individuale „neut-ralisierte“, „verobjektivierte“ Eigenschaften (also natürlich keine Eigenschaften): „Eigenschaften“, bei denen die Fähigkeit, ohne Weiteres sinnvoll als durch etwas (ontologisch) gesättigt behauptet werden zu können (wenn man so will, „die behauptbare Sättigungsfähigkeit“), und darüber hi-naus die Fähigkeit, ohne Weiteres sinnvoll als durch etwas exemplifiziert behauptet werden zu können („die behauptbare Exemplifikationsfähigkeit“43), ausgeschaltet ist (vgl. Fußnote 22).

Meinong’sche Individuale kann man nicht mit Eigenschaften identifizieren (schließlich sind die Ersteren Objekte, die Letzteren Funktionen). Wovon aber auszugehen ist, ist, dass eine es-senzielle Eins-zu-eins-Korrespondenz zwischen gewissen Mengen von Eigenschaften-der-In-dividuale und Meinong’schen Individualen (und schließlich auch zwischen gewissen Eigen-schaften und Meinong’schen Individualen44) besteht; die Frage ist nur, wie sie genau aussieht. In jedem Fall ist aber – egal, wie die Eins-zu-eins-Korrespondenz nun genau aussieht – vom Exemplifikationsprinzip für Meinong’sche Individuale auszugehen: Ist M eine Menge von Eigen-schaften-der-Individuale, der ein Meinong’sches Individual o(M) korrespondiert, und ist F eine Eigenschaft-der-Individuale, die von o(M) sinnvoll ausgesagt werden kann, dann gilt: o(M) ex- emplifiziert (hat) F genau dann, wenn F ein Element von M ist .

Die maximale Auffassung bzgl. der Vielheit der Meinong’schen Individuale (sie dürfte Mei-nongs eigener Auffassung nahekommen) ist dann, dass (i) jede Menge M von Eigenschaften-der-Individuale ein Individual determiniert, sofern nur die Konjunktion aller Elemente von M von etwas (sinnvoll) ausgesagt werden kann; und dass (ii) verschiedene Mengen von Eigenschaf-ten-der-Individuale M und M´, die so sind, dass die jeweilige Konjunktion aller ihrer Elemente von etwas (sinnvoll) ausgesagt werden kann, verschiedene Individuale determinieren.45 Die Mei-nong’schen Individuale korrespondieren hiernach eins-zu-eins denjenigen Mengen von Eigen-schaften-der-Individuale (m. a. W.: sind umkehrbar eindeutig abbildbar auf solche Mengen von Eigenschaften-der-Individuale), die so sind, dass die Konjunktion ihrer jeweiligen Elemente von etwas sinnvoll ausgesagt werden kann.

Die „maximale Auffassung“ ist in der Tat maximal (wegen der maximalen Ausdehnung der Eins-zu-eins-Korrespondenz zwischen gewissen Mengen von Eigenschaften-der-Individua-le und Meinong’schen Individualen); und doch ist sie gewissermaßen schon eingeschränkt: {die Eigenschaft, ein Vulkanausbruch zu t0 zu sein; die Eigenschaft, zu t0 auf einem Stuhl zu sitzen} ist zwar eine Menge von Eigenschaften-der-Individuale, determiniert aber sicherlich kein Individual (auch der radikalste Meinongianer wird kaum gegenteiliger Meinung sein). Warum nicht? – Deshalb nicht, weil die Konjunktion der Elemente der fraglichen Menge von nichts ausgesagt werden kann . Es ist nicht nur so, dass sie von nichts wahrheitlich ausgesagt werden kann, sondern dass sie von nichts sinnvoll (ob wahrheitlich oder fälschlich) ausgesagt werden kann.

Angesichts des Eigenschaftsbeschlossenheitsprinzip s ist nun aber die gerade beschriebene maximale Auffassung bzgl. der Vielheit der Meinong’schen Individuale nicht haltbar. Kein Meinong’sches Individual kann angesichts dieses Prinzips die extreme Art eigenschaftlicher Unvollständigkeit aufweisen, die gemäß jener Maximalauffassung bei den Meinong’schen Individualen sehr wohl in großen Teilen vorkommen müsste. Insbesondere sind inkonsis-tente und zugleich unvollständige Individuale ausgeschlossen; jedes inkonsistente Individual ist vielmehr „geflutet“: hat sämtliche Eigenschaften-der-Individuale, die von ihm ausgesagt werden können.

Jedes inkonsistente Individual hat also von jeder Eigenschaft-der-Individuale, die von ihm aus-gesagt werden kann, sowohl diese selbst als auch deren Negation (welche ja ebenfalls eine von ihm aussagbare Eigenschaft-der-Individuale ist); Vollständigkeit ist also bei jedem inkonsis-tenten Individual im Übermaß gegeben. Eine weitere (allerdings kontrafaktisch-konditionale) Konsequenz ist diese: Wären alle Eigenschaften-der-Individuale von allen Individualen sinnvoll aussagbar, so würde sich die Eins-zu-eins-Korrespondenz zwischen Meinong’schen Individua-len und Mengen von Eigenschaften-der-Individuale unter dem Eigenschaftsbeschlossenheits-prinzip so gestalten, dass überhaupt nur ein einziges Individual inkonsistent ist (nämlich das maximale All-Individual, von dem in Fußnote 45 die Rede ist).

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5. Die Individuale/Partikularien

Eine weitere erhebliche – aber ebenfalls vernünftigerweise unumgängliche – Einschränkung der möglichen Unvollständigkeit Meinong’scher Individuale besteht darin, diese Individuale nur solchen Mengen von Eigenschaften-der-Individuale eins-zu-eins korrespondieren zu las-sen, die konjunktiv abgeschlossen sind, d. h.: die bei jeder nichtleeren Teilmenge von ihnen die Konjunktion der Elemente der Teilmenge als Element haben. (Mit den Gliedern einer Eigen-schaftskonjunktion ist auch diese selbst eine Eigenschaft-der-Individuale, und zwar eine, die eo ipso von demselben x sinnvoll aussagbar ist, von dem alle ihre Glieder sinnvoll aussagbar sind.) Individuen (K121): Die Individuen sind die maximalkonsistenten Individuale. Nicht alle Meinong’schen Individuale sind nun Andere Individuale , wenn auch vor allem die Anderen Individuale den Charakter und den ontologischen Skandal (wie viele finden) des Meinong-ianismus ausmachen. Manche Meinong’schen Individuale – und zwar alle , die nicht Andere Individuale sind – sind Individuen . Nämlich die maximalkonsistenten Meinong’schen Indivi-duale – alle Meinong’schen Individuale außer den Anderen Individualen – sind Individuen; sie sind die Leibniz-Individuen. Die Eins-zu-eins-Korrespondenz zwischen Meinong’schen Individualen und gewissen Mengen von Eigenschaften-der-Individuale ist im besonderen Fall der Leibniz-Individuen – der maximalkonsistenten Meinong’schen Individuale – die fol-gende: (i) Jede bzgl Konjunktion und bzgl Per-se-Beschlossenheit abgeschlossene Menge von Eigenschaften-der-Individuale , sodass von einem x ( a ) die Konjunktion aller ihrer Elemente sinnvoll ausgesagt werden kann und in dieser Konjunktion für keine Eigenschaft-der-Indivi-duale sowohl diese selbst als auch deren Negation per se beschlossen ist, und sodass ( b ) jede Erweiterung jener Menge um eine weitere Eigenschaft-der-Individuale zur Folge hat, dass die Konjunktion aller Elemente der erweiterten Menge nicht mehr von x sinnvoll ausgesagt wer-den kann oder aber für eine Eigenschaft-der-Individuale sowohl diese selbst als auch deren Negation in jener Konjunktion per se beschlossen ist, determiniert ein Leibniz-Individuum ; (ii) verschiedene solcher Mengen determinieren verschiedene Leibniz-Individuen . Wie bei allen Meinong’schen Individuale gilt auch bei den Leibniz-Individuen: Sie haben genau dann eine Eigenschaft-der-Individuale F, die von ihnen sinnvoll ausgesagt werden kann, wenn F ein Ele-ment derjenigen Menge von Eigenschaften-der-Individuale ist, welcher sie (jeweils essenziell) korrespondieren.

5. Die Individuale/PartikularienWie jedes Meinong’sches Individual wird auch jedes Leibniz-Individuum durch die Menge M* der Eigenschaften-der-Individuale, der es (essenziell) korrespondiert, definiert . Anders gesagt (das ist die Lehre aus dem obigen Exkurs ): Wie jedes Meinong’sche Individual wird auch jedes Leibniz-Individuum durch die Eigenschaft-der-Individuale F*, der es (essenziell) korrespondiert, definiert . (F* ist zwar nicht Leibnizens notio completa , aber sie entspricht ihr.) Die Eigenschaft F* ist nichts anderes als K(M*): die Konjunktion der Elemente von M*; die Menge M* ist nichts anderes als die Menge der Eigenschaften-der-Individuale, die in F* per se beschlossen sind.

Die Leibniz-Individuen dürften freilich nicht die einzigen Individuen sein.

Individuen mit modaler Dimension bzw. ohne modale Dimension (K1212 und K1211): Die Leibniz-Individuen sind die Individuen mit modaler Dimension; sie sind aus sich heraus, ja aus sich allein heraus, in einer bestimmten möglichen Welt verortet. (Für das gemeinte Verortetsein in möglichen Welten ist ein bestimmter Begriff von möglicher Welt einschlägig und notwendig. Darauf wird an dieser Stelle des Buches nicht näher eingegangen, da Welt und Welten Themen der Speziellen Metaphysik sind; siehe aber insbesondere die Abschnitte 7 und 8 von Kapitel 5.) Mindestens prima facie haben nun aber sehr viele Individuen keine modale Dimension, wenn auch nicht wenige Metaphysiker ungeachtet dessen ganz im Gegenteil annehmen, dass alle In-dividuen eine modale Dimension haben, also alle Individuen Leibniz-Individuen sind. Dass ein

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Individuum keine modale Dimension hat, bedeutet, dass es nicht aus sich heraus in einer mögli-chen Welt verortet ist, ja eigentlich überhaupt nicht in einer solchen verortet ist. In analogischer, sekundärer, abgeleiteter Weise mag ihm aber eine Verortung in einer möglichen Welt sehr wohl zugeschrieben werden können.

Betrachten wir ein Leibniz-Individuum x; es wird, wie gesagt, wie jedes Meinong’sche Individual durch die Menge M der Eigenschaften-der-Individuale, der es essenziell korre-spondiert, definiert ; das bedeutet, es hat nicht mehr und nicht weniger Eigenschaften-der-Individuale als diejenigen, die in M enthalten sind, ja, es kann keine anderen Eigenschaften-der-Individuale haben als gerade diese in M enthaltenen. Als Leibniz-Individuum ist x aber nun auch ein maximalkonsistentes Individual: ein konsistentes und vollständiges Individual: Von jeder Eigenschaft-der-Individuale, die von x sinnvoll ausgesagt werden kann, exempli-fiziert x entweder diese selbst oder deren Negation. Die Menge M, der x essenziell korres-pondiert, ist entsprechend umfassend. Es ist davon auszugehen, dass sich M eine vollständige Beschreibung einer möglichen Welt entnehmen lässt: derjenigen, in der x aus sich allein heraus verortet ist.

Betrachten wir nun ein Individuum, das kein Leibniz-Individuum ist, mich selbst z. B. (sage ich ). Betrachten wir die Menge M(ich) aller Eigenschaften-der-Individuale, die ich exempli-fiziere. Weil ich sie alle exemplifiziere, können sie alle von mir sinnvoll ausgesagt werden, kann also auch ihre Konjunktion von mir sinnvoll ausgesagt werden (wenn auch gewiss nicht von mir im Sinne von „durch mich“). Diese Menge ist bzgl. Konjunktion und Per-se-Beschlossenheit abgeschlossen (denn mit beliebigen Eigenschaften-der-Individuale, die ich exemplifiziere, ex-emplifiziere ich auch deren Konjunktion und alle Eigenschaften-der-Individuale, die in ihnen per se beschlossen sind). Zudem ist in dieser Konjunktion für keine Eigenschaft-der-Indivi-duale sowohl diese selbst als auch deren Negation beschlossen (sonst hätte ich ja sich gegen-seitig ausschließende Eigenschaften) und hat jede Erweiterung von M(ich) um eine weitere Eigenschaft-der-Individuale zur Folge, dass die Konjunktion aller Elemente der erweiterten Menge M(ich) nicht mehr von mir sinnvoll ausgesagt werden kann oder aber für eine Eigen-schaft-der-Individuale sowohl diese selbst als auch deren Negation in jener Konjunktion per se beschlossen ist.

5. Die Individuale/PartikularienDer Menge M(ich) korrespondiert also ein maximalkonsistentes Meinong’sches Individual, ein Leibniz-Individuum (gemäß der im vorausgehenden Unterabschnitt angegebenen, für Leibniz-Individuen spezifischen Weise der Eins-zu-eins-Korrespondenz zwischen Mei-nong’schen Individualen und gewissen Mengen von Eigenschaften-der-Individuale); es wird durch M(ich) determiniert (und zwar umkehrbar eindeutig); nennen wir es „ich*“. Ich* ist das Meinong’sche Individual, das der Menge M(ich) essenziell korrespondiert; in hier schon benutzter Notation kann man kurz schreiben: ich* = o(M(ich)). Und M(ich) ist so umfassend, dass sich M(ich) eine vollständige Beschreibung einer möglichen Welt entnehmen lässt, näm-lich der ( de facto ) wirklichen Welt – die sich in der Gesamtheit der Eigenschaften-der-Indivi-duale, die ich habe, also in M(ich) (und per essenzieller Korrespondenz: in mir *) gleichsam perspektivisch spiegelt (um ein Bild aufzugreifen, das schon Leibniz gebraucht hat). Die Welt, die de facto die wirkliche ist, ist also diejenige mögliche Welt, in der ich* aus sich allein he-raus verortet ist. Ich bin aber nicht ich* (wenn auch Leibniz und in jüngerer Zeit David Lewis bzgl. ihrer eigenen Person das Gegenteil vertraten – implizit oder explizit – und bzgl. meiner Person das Gegenteil vertreten hätten). Denn ich hätte nicht wenige andere Eigenschaften-der-Individuale haben können, als ich habe: Eigenschaften, die von den Eigenschaften, die in M(ich) enthalten sind, verschieden sind; ich* hingegen kann keine anderen Eigenschaften-der-Individuale haben (und hätte keine anderen haben können), als es hat: die Eigenschaften, die in M(ich) enthalten sind. Welche Eigenschaften es in ihrer Gesamtheit ausmachen, dass ich* in genau einer möglichen Welt – der de facto wirklichen – verortet ist, aus sich allein he- raus , denn es kann keine anderen Eigenschaften-der-Individuale haben als diese in M(ich) enthaltenen Eigenschaften; es hat diese Eigenschaften mit innerer Notwendigkeit; es wird ja von ihnen ausgemacht . Ich jedoch bin nicht aus mir heraus – per se (und primär)  – in jener Welt verortet, wenn ich auch per alium (und sekundär)  – nämlich durch ich* („mich*“) – in ihr verortet bin.

Ich bin auch nicht in irgendeiner anderen möglichen Welt aus mir heraus verortet; ich habe keine modale Dimension. Jedes Leibniz-Individuum hingegen, das der Menge von Eigenschaf-ten-der-Individuale essenziell korrespondiert, die ich in einer gewissen anderen möglichen Welt habe (exemplifiziere), ist in der fraglichen möglichen Welt und nur in ihr aus sich al-lein heraus verortet; per alium (und sekundär) bin dann freilich auch ich in den fraglichen

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möglichen Welten verortet, nämlich vermittels des der Eigenschaftsmenge korrespondieren-den Leibniz-Individuums. Ja, man könnte deshalb sagen, ich hätte die Fähigkeit der modalen Multilokalisiertheit in Vollständigkeit (strukturell analog zu der Fähigkeit der zeitlichen Multi- lokalisiertheit in Vollständigkeit vieler Universalien). Es darf aber nicht vergessen werden, dass diese Fähigkeit sekundär ist (auch hierin strukturanalog der Fähigkeit der zeitlichen Multi-lokalisiertheit in Vollständigkeit vieler Universalien): sie ergibt sich aus dem Verhalten der Leibniz-Individuen, die mir im eben beschriebenen Sinne zugeordnet sind. Ich werde durch ein Leibniz-Individuum, das der Menge der Eigenschaften-der-Individuale korrespondiert, die ich in einer möglichen Welt habe, in eben dieser möglichen Welt, die sein modaler Ort ist, dargestellt, repräsentiert  – und dadurch bin auch ich an jenem Ort präsent: sekundär präsent. Es entspricht mir somit eine gewisse Menge von Leibniz-Individuen: meine Repräsentanten „vor Ort“ (jeweils in der und der möglichen Welt). Nach Auffassung von Leibniz und Lewis nun – aber nicht nach meiner – sind diese, je in genau einer möglichen Welt (primär, aus sich allein heraus) verorteten Repräsentanten von mir zudem Varianten  – Lewis sagt: „counter-parts“: „Gegenstücke“ – von mir (mit denen ich ontologisch äquivalent, kategorialgleich bin), da ich für Leibniz und Lewis mit einem von diesen Individuen identisch bin, nämlich mit ich*, und alle meine modalen Repräsentanten (ich* der Einfachheit halber nicht ausgenommen) Varianten – Gegenstücke – von ich* sind.

5. Die Individuale/Partikularien Individuen ohne zeitliche Dimension bzw. mit zeitlicher Dimension (K12111 und K12112; K12121 und K12122): Die Individuen ohne modale Dimension zerfallen in solche ohne zeit-liche Dimension und in solche mit zeitlicher Dimension. Gleiches gilt von den Individuen mit modaler Dimension. Ein Individuum mit zeitlicher Dimension hat in jeder möglichen Welt, in der es existiert, aus sich heraus einen bestimmten Ort in der Zeit jener möglichen Welt; ein Individuum ohne zeitliche Dimension hat hingegen in keiner möglichen Welt, in der es existiert, aus sich heraus – oder überhaupt eigentlich – einen Ort in der Zeit einer solchen möglichen Welt;46 dabei kann ihm aber gewöhnlich ein zeitlicher Ort in ihr (der Welt) in analogischer, ab-geleiteter, sekundärer Weise zugewiesen werden (woraus sich dann gewöhnlich eine sekundäre zeitliche Multilokalisiertheit in Vollständigkeit  – nun nicht einer Universalie, sondern – eines Individuums ohne zeitliche Dimension ergibt): Ist x ein Individuum ohne zeitliche Dimension, aber seine Existenz ein Individuum mit zeitlicher Dimension (m. a. W.: ist die Existenz von x der Existenzverlauf von x), dann erstreckt sich und dauert x sekundär in jeder möglichen Welt, in der es existiert, so weit bzw. so lange wie seine Existenz sich dort primär (und aus sich heraus) erstreckt und dauert; dann ist x in jeder möglichen Welt, in der es existiert, sekundär an der Stel-le zeitlich verortet, wo seine Existenz primär (und aus sich heraus) zeitlich verortet ist.

Betrachten wir wieder mich  – ein Individuum ohne modale Dimension – und ich *, ein Individu-um mit modaler Dimension: mein Repräsentant in der wirklichen Welt. Betrachten wir aber nun außerdem meinen Lebensverlauf  – oder kurz: mein Leben  – und außerdem den Lebensverlauf von ich *: das Leben von ich *. Ich habe keine zeitliche Dimension (sage ich; andere meinen das Gegen-teil). Mein Leben kann nun ebenfalls als Individuum angesehen werden; als Individuum hat es aber eindeutig (und völlig unkontrovers) eine zeitliche Dimension: es hat in jeder möglichen Welt, in der es existiert, aus sich heraus – aus sich heraus , wenn auch nicht aus sich allein heraus , sondern nur in Kombination mit der jeweiligen möglichen Welt – einen bestimmten Ort in der Zeit der jeweiligen möglichen Welt, es füllt in ihr (der Welt) aus sich heraus ein bestimmtes Zeitgebiet (was Inhalt und Gestalt dieses Zeitgebiets angeht, kann es von Welt zu Welt sehr unterschiedlich aus-fallen). Seine augenscheinlichen Grenzen in der wirklichen Welt werden – vermutlich – einmal auf meinem Grabstein mindestens jahreszahlmäßig verzeichnet stehen. Jedenfalls daure – im sekun-dären Sinn – ich so lange, wie mein Leben dauert: wie dieses im primären Sinn dauert. Weil mein Leben mit zeitlicher Dimension ist und qua Leben dauert , ist es in jeder möglichen Welt, in der es existiert, nicht nur aus sich heraus zeitlich verortet, sondern auch aus sich heraus in ihr zeitlich erstreckt und hat demnach in jeder möglichen Welt, in der es existiert, zeitliche Teile, also relativ zu einem gegebenen Zeitpunkt frühere und spätere Teile – Teile, die jeweils ihrerseits in der frag-lichen Welt zeitlich verortet sind. Ich aber habe nichts dergleichen; in keiner möglichen Welt habe ich dergleichen. Ich bin nun einmal nicht mein Leben (sage ich; andere meinen das Gegenteil).

Wenn auch mein Leben im Unterschied zu mir selbst eine zeitliche Dimension hat, so hat es doch wie ich selbst keine modale Dimension: Es ist nicht aus sich heraus in einer bestimmten möglichen Welt verortet.47 (Meine Kategorie ist demnach K12111 und seine K12112.) Anders steht es mit dem Leben von ich*: Es ist wie ich* aus sich allein heraus allein in der wirklichen Welt (unmissverständlicher gesagt: allein in einer gewissen möglichen Welt, de facto ist es die wirkli-che) verortet (und nimmt dort denselben zeitlichen Ort ein wie mein Leben ). Und das Leben von ich** – also das Leben eines anderen modalen Repräsentanten von mir , als es ich* ist; welcher Repräsentant (ein anderes Leibniz-Individuum als ich*) aus sich allein heraus in einer bestimm-ten anderen möglichen Welt als der wirklichen verortet ist – ist aus sich allein heraus in dersel-ben möglichen Welt allein verortet wie dieser andere Repräsentant (und nimmt dort denselben zeitlichen Ort ein wie mein Leben in jener anderen möglichen Welt einnimmt). Das Leben von ich** hat wie das Leben von ich* nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine modale Dimension; die Kategorie der beiden Individuen ist demnach K12122 (auch sie sind Leibniz-Individuen: solche mit zeitlicher Dimension). Wie aber steht es mit ich* und ich**? Es ist nicht unplausibel, ihnen – wie mir selbst, dessen Repräsentanten („vor Modal-Ort“) sie sind – die zeitliche Dimen-sion abzusprechen, wodurch sie unter die Kategorie K12121 fielen. Doch gibt es irgendeinen Metaphysiker, der dies vertritt? Prominent ist vielmehr die Position von David Lewis, die darauf hinausläuft, dass (angeblich) folgende Gleichungen gelten (hinzukommend zu der Gleichung

5. Die Individuale/Partikularienich = ich*): ich* = das Leben von ich*, ich** = das Leben von ich** usw. für alle meine modalen Repräsentanten,48 die Lewis zudem als raumzeitliche Teile ihrer jeweiligen möglichen Welten ansieht (was ja nun angesichts der von ihm vorgenommenen Identifikationen schon naheliegt). Hiernach fallen ich* und ich** (wie auch ich) unter die Kategorie K12122. Kann das richtig sein? Hervorzuheben ist jedenfalls, dass Lewis’ Ontologie mit Alltagsaussagen (hinter denen Alltagsintuitionen stecken), wie „Ich hätte am 11.9.2001 um 8 Uhr 46 [Eastern Daylight Time] auch zuhause sein können“, in der ontologischen Analyse durchaus zurechtkommt. Die Präsup-position, dass ich am 11.9.2001 um 8 Uhr 46 tatsächlich nicht zuhause war, als erfüllt vorausge- setzt , ist gemäß David Lewis die fragliche Aussage genau dann wahr, wenn für ein Gegenstück von mir [also ein Gegenstück von ich*, m. a. W.: ein Gegenstück des Lebens von ich*, da nach Lewis ja gilt: ich = ich* = das Leben von ich*] wahr ist, dass die 11.9.2001-um-8-Uhr-46-Phase dieses Gegenstücks [ein bestimmter zeitlicher Abschnitt von ihm] zuhause ist [die Eigenschaft hat/exemplifiziert, zuhause zu sein]. Jenes Gegenstück hat eine doppelte singuläre Verortung: Zum einen ist es in genau einer möglichen Welt verortet (gemäß seiner modalen Dimension), zum anderen ist es in jener möglichen Welt in genau einem Zeitgebiet verortet (gemäß seiner zeitlichen Dimension), woraus sich dann auch die singuläre modale und zeitliche Verortung aller seiner Abschnitte, nämlich in der fraglichen Welt, in deren Zeitordnung, mitergibt (welche Zeitordnung sich übrigens mit derjenigen der wirklichen Welt deckt).

Individuen mit zeitlicher Dimension haben oft (nämlich in der Regel: jedes Leben ist ein Beispiel) nicht nur aus sich heraus einen singulären zeitlichen Ort in jeder möglichen Welt, in der sie existieren, sondern sie haben dort auch aus sich heraus eine zeitliche Ausdehnung (im weiten Sinn: die Ausdehnung muss nicht lückenlos sein): ihr zeitlicher Ort ist nicht auf einen einzigen Zeitpunkt beschränkt. Individuen mit modaler Dimension haben hingegen aus sich allein heraus stets einen punktuellen modalen Ort: eine bestimmte mögliche Welt; ihre modale Ausdehnung ist stets 0. Ist das nicht eine merkwürdige Disanalogie? Sollte man nicht auch modaldimensionierte Individuen ins Auge fassen, deren modaler Ort nicht punk-tuell, sondern ausgedehnt ist? Ja, könnte ich nicht statt eines Individuums ohne modale Di-mension, ein solches ausgedehntes modaldimensioniertes Individuum sein? Die Leibniz-In-dividuen, die nun jeweils meine Repräsentanten „vor Ort“ in der wirklichen und in anderen möglichen Welten sind, wären dann modale „Momentanphasen“, kleinste (inhaltlich kom-plette) modale Teile von mir, die – in je verschiedenen Weisen zusammengefasst – größere modale Teile von mir bilden, die größere Orte im „Raum der möglichen Welten“ einneh-men – in Analogie zu den (zeitlichen) Momentanphasen, den kleinsten (inhaltlich komplet-ten) zeitlichen Teilen, die – in je verschiedenen Weisen zusammengefasst – größere zeitliche Teile (etwa des Lebens von ich*, oder des Lebens von ich**) bilden, die dann größere Orte in der Zeit (einer möglichen Welt) einnehmen. Wenn von einer modalen Dimensionierung meiner selbst ausgegangen würde, wäre es da nicht sogar plausibler, als dass ich ich* bin, dass ich das modaldimensionierte modalausgedehnte Individuum bin, das durch die Menge {ich*, ich**, ich***, …} darstellbar ist: durch die Menge, deren Elemente diejenigen Entitäten sind, die nach Ansicht von Leibniz und Lewis meine Gegenstücke, nach meiner Ansicht nur meine modalen Repräsentanten in den verschiedenen möglichen Welten sind? – Nein, es wäre nicht plausibler. Ich* kann als Individuum angesehen werden, sogar dann noch, wenn ich* mit dem Leben von ich* identisch ist49 (also zeitliche Teile aufweist); aber das gerade ins Auge gefasste modaldimensionierte ausgedehnte Objekt ist kein Individuum; es hat fürs Individuumsein nicht den erforderlichen Grad der Einheit (man ist bei ihm versucht, von einem Ungetüm zu sprechen). Es ist vielmehr mit seiner Darstellung identisch: mit der Menge {ich*, ich**, ich***, …}, und gehört somit zu den Anderen Objekten , nicht zu den Individuen.

5. Die Individuale/Partikularien Unabhängige und abhängige Individuen ohne modale und ohne zeitliche Dimension (K121111 und K121112): Ein Beispiel für ein Individuum ohne modale und ohne zeitliche Di-mension bin ich, und ist jede Person (ob eine menschliche oder nicht). Zudem ist die natürliche, die aristotelische Auffassung von den materiellen Dingen die, dass sie Individuen ohne modale und ohne zeitliche Dimension sind. Eine natürliche Auffassung muss nicht richtig sein, aber es ist nichts zu sehen, was sie unhaltbar machen würde. Statt „das/ein Individuum ohne moda-le und ohne zeitliche Dimension“ sage ich im Folgenden kurz „das/ein OMOZ“ (Plural: „die OMOZen“).

Es steht im Einklang mit der aristotelisch-scholastischen Tradition, genau die unabhän-gigen –mit einem anderen Wort: selbstständigen – OMOZen als „individuelle Substanzen“ zu bezeichnen (im Folgenden wird statt „individuelle Substanz“ in der Regel kurz „Subs-tanz“ gesagt); die abhängigen  – unselbstständigen  – OMOZen hingegen sind im Sinne jener Tradition die sog. individuellen Akzidenzien (z. B. meine individuelle Schwere von 80 kp).

Es steht ebenfalls im Einklang mit der aristotelisch-scholastischen Tradition, dass Abhängig-keit und Unabhängigkeit hier ontologisch zu verstehen sind (und selbstverständlich an erster Stelle als Relationsbegriffe) und zudem innerkategorial (nicht transkategorial): sie verbleiben in der Sphäre der OMOZen (K12111) und beziehen nicht etwa andere Kategorialklassen in ihre begriffliche Bestimmung ein. (Zu ob innerkategorial, ob transkategorial anwendbaren Begriffen der Abhängigkeit und Unabhängigkeit siehe das übernächste Kapitel – und auch schon den nächsten Anmerkungseinschub unten.) Mit „Abhängigkeit“ ist hier also gemeint: Abhängigkeit eines OMOZ von einem oder mehreren anderen OMOZen; mit „Unabhängig-keit“: Unabhängigkeit eines OMOZ von einem oder mehreren (im Grenzfall: von allen) an-deren OMOZen.

Bin ich nun ein abhängiges OMOZ oder ein unabhängiges? Das lässt sich nicht ohne ein gewisses Maß an Willkür sagen, denn (ontologische) Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit sind graduelle Begriffe, und kein Grad ist da an sich ausgezeichnet, als der Grad zu gelten, mit dem Unabhängigkeit schlechthin (also Selbstständigkeit) beginnt bzw. aufhört, respektive mit dem

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Abhängigkeit schlechthin (also Unselbstständigkeit) aufhört bzw. beginnt.50 Der Grad der Un-abhängigkeit bzw. Abhängigkeit eines OMOZ x bestimmt sich nach der Zahl der von x ver-schiedenen OMOZen y, von denen gilt: x kann nicht existieren, ohne dass y existiert.Je kleiner jene Zahl ist, umso größer ist die Unabhängigkeit des x und umso kleiner seine Abhängigkeit. Im äußersten Fall ist jene Zahl 0; der Grad der Unabhängigkeit des x ist dann maximal, der Grad seiner Abhängigkeit 0.

Könnte man nicht einfach sagen, dass ein OMOZ genau dann (schlechthin) unabhängig ist – m. a. W.: eine Substanz, ein selbstständiges OMOZ ist –, wenn der Grad seiner Unabhängigkeit maximal ist? Aber ginge man von dieser Definition aus, so wäre ich wohl keine Substanz (ja, es wäre, wie es scheint, kaum ein OMOZ eine Substanz); denn die Zahl der von mir verschiedenen OMOZen, von denen gilt: ich kann nicht existieren, ohne dass diese jeweils existieren, ist gewiss nicht 0 (und folglich ist der Grad meiner Unabhängigkeit gewiss nicht maximal).

5. Die Individuale/PartikularienAristoteles scheint einen gewissen, nicht allzu hohen Grad von Unabhängigkeit (von anderen OMOZen) im Auge gehabt zu haben, als er in leibseelischen (hylomorphen) Lebewesen  – alle Lebewesen (ob leibseelisch oder nicht) sind OMOZen – Substanzen erblickte. Nennen wir diesen Grad „U*“ und verwenden wir ihn als den für Substanzialität definitorischen Min-destgrad an Unabhängigkeit. Somit: x ist eine (individuelle) Substanz genau dann, wenn x ein unabhängiges/selbstständiges OMOZ ist; was x als ein OMOZ (OMOZenbezogen) genau dann ist, wenn der Grad seiner Unabhängigkeit (von anderen OMOZen) mindestens U* ist. Nun haben alle Lebewesen, ob hylomorph oder nicht, mindestens den Unabhängigkeits-grad U* (nicht-hylomorphe Lebewesen eher einen höheren als U*), und U* fungiert als der Scheidepunkt für Unabhängigkeit oder Abhängigkeit bei OMOZen; folglich bin ich – qua Lebewesen (unzweifelhaft bin ich das) – ein unabhängiges/selbstständiges OMOZ, folglich eine Substanz.

Warum aber ist meine individuelle Schwere von 80 kp keine Substanz, sondern ein individu-elles Akzidens? Wie kann man zeigen, dass meine individuelle Schwere von 80 kp einen gerin-geren Unabhängigkeitsgrad als U* hat? – Das ergibt sich mit dem folgenden Prinzip, dem Gra- dierungsprinzip für OMOZenbezogene (ontologische) Unabhängigkeit : Sind x und y OMOZen und kann x existieren, ohne dass y existiert, aber kann y nicht existieren, ohne dass x existiert, dann ist der Unabhängigkeitsgrad von y kleiner als der kleinste Unabhängigkeitsgrad, der x rationaler- weise zugeschrieben werden kann . Da ich existieren kann, ohne dass meine individuelle Schwe-re von 80 kp existiert, aber meine individuelle Schwere von 80 kp nicht existieren kann, ohne dass ich existiere, und wir beide OMOZen sind, ist also – gemäß dem obigen Gradierungsprin-zip – der Unabhängigkeitsgrad meiner individuellen Schwere von 80 kp kleiner als der kleinste Unabhängigkeitsgrad, der mir rationalerweise zugeschrieben werden kann. Folglich ist der ers-tere Unabhängigkeitsgrad kleiner als U* (da U* der kleinste Unabhängigkeitsgrad ist, der mir rationalerweise zugeschrieben werden kann, nämlich der Mindestgrad an Unabhängigkeit, der mir qua Lebewesen zugeschrieben werden muss), und also ist meine individuelle Schwere von 80 kp keine Substanz, sondern ein abhängiges/unselbstständiges OMOZ: ein individuelles Ak-zidens.

Nicht alle Substanzen haben übrigens denselben Unabhängigkeitsgrad; für manche Substan-zen dürfte er wesentlich höher als U* liegen. Viele Philosophen würden der folgenden Argu-mentation zustimmen: Ich (als leibseelische Einheit) und mein Körper sind OMOZen; mein Körper aber kann existieren (sogar lebendig sein), ohne dass ich existiere, während ich nicht existieren kann, ohne dass mein Körper existiert. Folglich gilt nach dem Gradierungsprinzip für OMOZenbezogene Unabhängigkeit: Mein Unabhängigkeitsgrad ist kleiner als der kleinste Un-

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abhängigkeitsgrad, der meinem Körper rationalerweise zugeschrieben werden kann; da mein Unabhängigkeitsgrad U* ist (bin ich doch ein hylomorphes Lebewesen), ist also der Unabhän-gigkeitsgrad meines Körpers (rationalerweise) größer als U*. Andere Philosophen würden auch der folgenden Argumentation zustimmen (früher waren es mehr als heute): Ich (als leibseelische Einheit) und meine Seele (mein personales Zentrum) sind OMOZen; meine Seele aber kann existieren, ohne dass ich existiere, während ich nicht existieren kann, ohne dass meine See-le existiert. Folglich gilt nach dem Gradierungsprinzip: Mein Unabhängigkeitsgrad ist kleiner als der kleinste Unabhängigkeitsgrad, der meiner Seele rationalerweise zugeschrieben werden kann; da mein Unabhängigkeitsgrad U* ist, ist also der Unabhängigkeitsgrad meiner Seele (ra-tionalerweise) größer als U*. Folgt man diesen Argumentationen, so wären also sowohl mein Körper als auch meine Seele Substanzen, die substanzieller sind als ich. Freilich ist bei beiden Argumentationen vorausgesetzt, dass ich eine leibseelische Einheit (also ein leibseelisches, ein hylomorphes Lebewesen) bin; die Alternative wäre, dass ich eine (aus Sicht der leibseelischen Einheit: meine ) Seele bin, bzw. dass ich ein (aus Sicht der leibseelischen Einheit: mein ) Körper bin.

6. Schwer einzuordnende singuläre Entitäten

6. Schwer einzuordnende singuläre Entitäten

Das Kategoriensystem Σ hat viele Fächer, Schubladen, Zimmer (welche Analogie auch immer einem hier die liebste sein mag). Dennoch ist für manche singulären Entitäten nicht ohne Weiteres ausgemacht, wo sie einzuordnen sind. Mit der Bereitstellung der „Abstellkammern“ Andere Objekte (K11) und Andere Funktionen (K23) ist für viele Problemfälle schon vorge-sorgt; z. B. kommt alles, was sich als eine unendlich große, unendlich strukturierte Menge darstellen lässt: alles, was ein extensiv und „komplexiv“ unendliches System ist – und das ist schon die bloße Reihe der natürlichen Zahlen –, bei den Anderen Objekten gut unter (wo selbstverständlich auch endlich große, endlich strukturierte Begriffssysteme – z. B. das Kate-goriensystem Σ – ihren Platz finden). Aber man möchte nicht alle schwer einzuordnenden singulären Entitäten in eine der beiden „Abstellkammern“ stecken. Auf der anderen Seite, jedoch, möchte man vermeiden, neben den schon eingeführten Kategorien weitere einzufüh-ren, wodurch die schon bestehende Ordnung (mehr oder minder) durcheinander käme, da es ja bedeuten würde, dass da und dort in Σ weitere kategoriale Differenzierungen vorzunehmen sind – Differenzierungen im tieferen Inneren von Σ, denn an der großen Dichotomie Objekte (K1)/ Funktionen (K2) ist nicht zu rütteln (man kann da mit Recht sagen: tertium genus entium non datur ).

Ich werde mich also bemühen, einen ordentlichen Platz für (gewisse wichtige) Schwereinzu-ordnende zu finden, ohne im Gebäude Σ neue Kammern abzuteilen. Gelingt dies, so hat sich da-durch Σ so, wie es nun ist, mit seinem jetzigen Kategorienbestand, bewährt. (Freilich ist immer damit zu rechnen, dass auf einmal etwas ganz Neues daherkommt, was nicht zu den Anderen Objekten und nicht zu den Anderen Funktionen gesteckt werden sollte und auch sonst nicht gut in Σ so, wie es ist, untergebracht werden kann; was vielmehr eine eigene Kammer braucht, „a room of one’s own“.)

Wenn gewisse singuläre Entitäten schwer in Σ einzuordnen sind, so ist zu erwarten (ob-wohl es keineswegs logisch folgt), dass mehr oder weniger umstritten ist, was sie denn sind. Und so ist es tatsächlich bei allen nachfolgend betrachteten Entitäten. Was etwa sind Zah- len ? Viele meinen, Zahlen seien gewisse Mengen (allerdings stehen unendlich viele ver-schiedene mengentheoretische Auffassungen der Zahlen zur Auswahl). Wenn aber Zahlen Mengen sind, dann fallen sie jedenfalls unter die Kategorie Andere Objekte und haben somit ihren Ort in Σ gefunden. Oft zu hören ist die in sich noch ganz unspezifische Ansicht, Zahlen seien „abstrakte Objekte“ oder „abstrakte Individuen“. Der begriffliche Inhalt, der da mit den Worten „Objekt“ bzw. „Individuum“ verbunden wird, dürfte ganz vage sein, oder im Fall von „Objekt“ mit dem von „Entität“ zusammenfallen. Interessanter ist es, wenn mit den Worten „Objekt“ und „Individuum“ – gleichsam zufällig – der für Σ einschlägige Sinn verbunden wird.

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Nehmen wir zunächst die spezifischere Aussage – wonach Zahlen abstrakte Individuen (im hier verwendeten Sinn) sind – zum Anlass weiterer Reflexion. Sind Zahlen abstrakte Individu-en, so sind sie sicherlich so abstrakt, dass sie ohne modale und ohne zeitliche Dimension sind; sie sind dann in der Tat viel eindeutiger ohne modale und ohne zeitliche Dimension, als etwa ich dies bin. Wenn Zahlen abstrakte Individuen sind, so sind sie also OMOZen. Der Unabhän-gigkeitgrad jeder Zahl – als ein OMOZ – ist zudem gewiss größer als der Unabhängigkeitsgrad von mir (ein ganz anderes OMOZ): die Zahl der, beispielsweise, von 2 verschiedenen OMOZen y, von denen gilt: 2 kann nicht existieren, ohne dass y existiert, wird kleiner sein als die Zahl, der von mir verschiedenen OMOZen y´, von denen gilt: ich kann nicht existieren, ohne dass y´ existiert. Wenn ich also eine Substanz bin, so sind Zahlen erst recht Substanzen. – Spätestens hier sollte es einem, gelinde gesagt, unattraktiv erscheinen, Zahlen als abstrakte Individuen zu betrachten.

An der (schon von Frege erkannten) Wahrheit, dass Zahlen Objekte (im hier verwendeten Sinn) sind, keine Funktionen, und abstrakt sind, nicht konkret, ist aber nicht zu rütteln. Es kommen dann plausiblerweise nur drei Kategorien in Frage, wo sie unterkommen können: An- dere Objekte (K11) – darüber haben wir schon gesprochen –, Andere Individuale (K122) und Typenobjekte (K17).51 In der Philosophie der Mathematik gibt es eine Position, die als Fiktio- nalismus bekannt ist, wonach es zwar arithmetischen Wahrheiten, aber keine Zahlen gibt. Ist der Fiktionalismus ontologisch nicht einfach ein Nominalismus bzgl. Zahlen, so wäre es nur natürlich, dass er sich mit dem Meinongianismus verbindet und die Auffassung resultiert, dass Zahlen Andere Individuale sind (die fiktionalistische Behauptung „Zahlen existieren nicht“ ist dann im Sinne von „Zahlen sind nichts Wirkliches“ zu verstehen). Wenige können sich hierfür erwärmen.

Zu den Anderen Objekten kann man Zahlen immer stecken, und viele tun es automatisch da-durch, dass sie Zahlen als mengentheoretische Objekte – als gewisse Klassen (qua singuläre En-titäten) – behandeln (konstruieren). Die meines Erachtens beste Auffassung davon, was Zahlen sind, ist aber, sie als Typenobjekte zu betrachten. Für jede positive ganze – natürliche – Zahlen N (einschließlich 0) als Typenobjekt ist die N korrespondierende Eigenschaft, die Eigenschaft, N-zahlig zu sein (wobei sich diese Eigenschaft ohne Bezugnahme auf N definieren lässt; siehe weiter unten). Es gilt dann für die natürlichen Zahlen N qua Typenobjekte der für Typenobjekte allgemein gegebene allgemeine Exemplifikationszusammenhang mit der jeweils einschlägigen, dem Typenobjekt korrespondierenden Eigenschaft. Es gilt also für alle x: x exemplifiziert N völ-

6. Schwer einzuordnende singuläre Entitätenlig genau dann, wenn x die Eigenschaft, N-zahlig zu sein, exemplifiziert. Dazu (nämlich dazu, diese Eigenschaft zu exemplifizieren) muss x eine Eigenschaft, eine Menge, oder ein einstelliger Begriff sein: eine Eigenschaft ist N-zahlig – m. a. W.: exemplifiziert die Eigenschaft, N-zahlig zu sein – genau dann, wenn sie genau N Exemplare hat; eine Menge ist N-zahlig genau dann, wenn sie genau N Elemente hat; ein einstelliger Begriff ist N-zahlig genau dann, wenn genau N Enti-täten unter ihn fallen.

Für jede reelle Zahl R als Typenobjekt ist die R korrespondierende Eigenschaft hingegen die Ei-genschaft, in mindestens einer Hinsicht R-groß zu sein. Wieder gilt der für Typenobjekte allge-mein gegebene allgemeine Exemplifikationszusammenhang mit der jeweils einschlägigen, dem Typenobjekt korrespondierenden Eigenschaft: Eine beliebige Entität exemplifiziert R völlig ge-nau dann, wenn es die Eigenschaft, in mindestens einer Hinsicht R-groß zu sein, exemplifiziert. (Die Diagonale eines Quadrats mit Seitenlänge 1 exemplifiziert hiernach völlig √2, da sie in Hinsicht Länge √2-groß ist, also die Eigenschaft, in mindestens einer Hinsicht R-groß zu sein, exemplifiziert.)

Ganz andere schwer in Σ einzuordnende singuläre Entitäten als Zahlen sind Ereignisse; wäh-rend Zahlen abstrakt sind, sind Ereignisse an Konkretheit nicht zu übertreffen. Was aber sind Ereignisse, was ist ihre ontologische Kategorie? Das ist durch die Zuschreibung des ontologi-schen Qualitätsbegriffs der Konkretheit nicht ausgemacht (man kann nur sagen, dass Ereignisse aufgrund ihrer Konkretheit keine Begriffe, keine Propositionen, keine Begriffsobjekte sind).

Es ist davon auszugehen, dass Ereignisse Objekte sind. Aber unter welche Objektkategorie fallen sie? Ereignisse werden von den einen als gewisse Individuen angesehen, von den anderen als gewisse Sachverhalte. Es lässt sich sogar dafür plädieren, sie zu den Typenobjekten zu zählen (es ist ja nicht jedes Typenobjekt abstrakt, wie die Zahlen es als Typenobjekte sind): Man spricht

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von Ereignissen , die sich – in der Regel – alljährlich oder alle vier Jahre wiederholen , z. B. vom Oktoberfest bzw. von der Fußballweltmeisterschaft. Was sich wiederholt, hat aber nun Exemplare (Vorkommnisse, tokens , z. B. sind das letzte Oktoberfest und die Fußballweltmeisterschaft vor soundso vielen Jahren solche); da derartige Ereignisse – das Oktoberfest, die Fußballweltmeister-schaft – Exemplare haben, muss man sie als Universalien ansehen; da Ereignisse nun sicherlich Objekte sind (keine Funktionen), bleibt nur übrig, jene Ereignisse als Typenobjekte zu erachten.

Wenn man klarer sieht, sieht man, dass diese sog. „Ereignisse“ eigentlicher gesprochen Ereig-nis typen sind – und nicht sie selbst, sondern vielmehr ihre Exemplare im eigentlichen Sinn als „Ereignisse“ anzusprechen wären. Diese Exemplare nun sind zwar Objekte, aber gewiss keine Typenobjekte.

Sieht man dann Ereignisse als Individuen an, so ist davon auszugehen, dass sie Individuen mit zeitlicher Dimension sind. Aber haben sie eine modale Dimension oder nicht? Das hängt davon ab, wie weit man mit dem Nichtwiederauftritt von Ereignissen gehen will. Von ihrem Nicht-wiederauftritt im naheliegenden Sinn – ihrer Unwiederholbarkeit – ist auszugehen, nachdem nun Ereignisse von Ereignistypen klar unterschieden sind. Aber ist ihr Nichtwiederauftritt nur ein zeitlicher, oder ist er auch ein modaler ? Die raumzeitlichen Teile der möglichen Raumzei-ten – der möglichen Welten des David Lewis – sind (wie diese Welten) Individuen mit zeitlicher und mit modaler Dimension. Sie sind jeweils – in unmittelbarster Weise: als raumzeitlicher Teil – aus sich allein heraus in einer und nur einer bestimmten möglichen Welt verortet; sie existieren allein in dieser bestimmten möglichen Welt. Und sie sind – in unmittelbarster Weise: als raumzeitlicher Teil – aus sich allein heraus in jener möglichen Welt zeitlich verortet, haben dort einen und nur einen zeitlichen Ort. Es spricht nichts dagegen, in den raumzeitlichen Tei-len der Lewis-Welten (von den kleinsten Teilen bis zu den größten: den Lewis-Welten selbst) – in diesen Individuen mit zeitlicher und mit modaler Dimension (Kategorie K12122) – Ereig- nisse zu sehen, Ereignisse mit maximalem (oder absolutem) Nichtwiederauftreten. Aber soll man sagen, es gäbe daneben nicht auch kategorial andersartige Ereignisse? – Man muss von der Zwangsvorstellung loskommen, die Klasse der Ereignisse könne (dürfe) nicht mehrere element-fremde Kategorialklassen überlappen; zwanglos betrachtet tut sie das nämlich (wie die hier schon längst betrachtete Klasse der Universalien ).

Mein Leben (mein Lebensverlauf), von dem im vorausgehenden Abschnitt schon die Rede war, ist doch ebenfalls ein Ereignis und dabei ein Individuum; es hat eine zeitliche Dimension; aber es hat – wie im vorausgehenden Abschnitt schon dargelegt – keine modale Dimension (sei-ne Kategorie ist demnach K12112). Mein Leben hat also aus sich heraus in jeder möglichen Welt, in der es existiert,52 einen bestimmten (singulären) Ort in der Zeit der fraglichen möglichen

6. Schwer einzuordnende singuläre EntitätenWelt, aber es ist in keiner möglichen Welt aus sich heraus verortet (und ist auch kein Teil einer möglichen Welt im „handfesten“ – raumzeitlichen – Sinn). Sein Nichtwiederauftreten besteht hiernach immer nur relativ zu einer möglichen Welt und ist rein zeitlich; modal ist mein Leben sehr wohl „wiederauftretend“ (numerisch identisch, wenn auch eigenschaftlich anders), näm-lich in folgendem Sinn: Es hat mehrere (eigenschaftlich verschiedene) modale Repräsentanten, je in verschiedenen möglichen Welten ( mittels welcher primär und singulär modal verorteten Repräsentanten es in jenen Welten sekundär modal verortet ist, dadurch im sekundären Sinn modal multilokalisiert ist).

Des Weiteren aber ist zu sagen: Beschreibt man ein Ereignis (eines mit Anfang, und nur es selbst , nicht seine Präzedenten, „Simultanten“ und Folgen), so sieht das schematisch so aus: Erst (zur Zeit t1

) passierte das , dann (zur Zeit t2

) dieses , dann (zur Zeit t3

) jenes , usw; man kann eine solche Beschreibung optimieren: präzisieren und soweit wie möglich vervollständigen. Das legt den Gedanken nahe, dass Ereignisse zeitlich indizierte, gewöhnlich auch zeitlich se-quenzierte und zumeist sehr reichhaltige Sachverhalte sind (an die wir uns beschreibungs-mäßig mehr oder minder weit annähern können). Als Sachverhalte wären Ereignisse etwas ziemlich anderes als Individuen. Klüger als es ist, nun alle Ereignisse unter die Kategorie der Sachverhalte zu schieben und sich mit den Anhängern der Individuenauffassung der Ereig-nisse endlos und fruchtlos zu streiten, ist es, neben lewisschen Individuumsereignissen (die Individuen mit zeitlicher und mit modaler Dimension sind) und nichtlewisschen Individu-umsereignissen (die Individuen mit zeitlicher, aber ohne modale Dimension sind) Sachverhalts- ereignisse anzunehmen (die zeitlich indizierte und – außer bei Momentanereignissen – auch zeitlich sequenzierte Sachverhalte sind53). Allerdings scheinen Sachverhaltsereignisse gegenüber Individuumsereignissen sekundär zu sein: Zwar sind Sachverhaltsereignisse konkrete Entitä-ten, aber Individuumsereignisse übertreffen sie doch an Konkretheit.54 Wenn also Ereignisse an Konkretheit tatsächlich nicht zu übertreffen sind (wie oben gesagt wurde), dann sollten Ereig-nisse als Individuumsereignisse erachtet werden – wenigstens primär als Individuumsereignisse; Letztere sind die Ereignisse par excellence , an denen man die ihnen entsprechenden Sachver-haltsereignisse gleichsam erst ablesen muss.

In der englischsprachigen Allgemeinen Metaphysik der letzten Jahrzehnte ist viel von Tro- pen  – „tropes“ ist das englische Wort – die Rede. Es ist deutlich, dass es sich dabei um Indi-viduen handelt, ist doch die strikt metaphysisch-individualistische Ausrichtung der meisten Tropenontologen unverkennbar. Es bestehen aber nun vier Möglichkeiten: Tropen haben (a) sowohl eine modale als auch eine zeitliche Dimension (K12122); oder (b) eine modale, aber keine zeitliche Dimension (K12121); oder (c) eine zeitliche, aber keine modale Dimension (K12112); oder (d) weder eine modale noch eine zeitliche Dimension (K12111). Haben sie weder eine modale noch eine zeitliche Dimension, so sind Tropen nach tropenontologischem Dafürhalten mit gewissen (einstweilen noch so genannten) individuellen Akzidenzien zu iden-tifizieren, nämlich mit denjenigen unter diesen schon der aristotelisch-scholastischen Meta-physik vertrauten Entitäten, die nun  – sozusagen – die Substanzen geworden sind (angeblich mit vollem Recht, da die vormaligen „Substanzen“, darunter auch ich und jeder Mensch, diesen Status nur usurpiert hatten und das unrechtmäßig Erworbene nun endlich verloren haben). Eine Revolution – sozusagen – unter den OMOZen, eine Umkehrung der ontologischen Ver-hältnisse hat stattgefunden (wenigstens in den Augen der Tropenontologen): Jene gewendeten individuellen Akzidenzien sind nun nicht mehr Abhängige („Sklaven“), sondern Unabhängi-ge („Herren“); sind nun nicht mehr Unselbstständige („Dienende“), sondern Selbstständige („Herrschende“); sie haben nun endlich die Rolle eingenommen, die ihnen eigentlich schon immer zukam: sie sind so etwas wie die kleinsten und härtesten Bausteine der Welt (meinen die Tropenontologen), die wahren Substanzen.55 Mein individuelles Gewicht von 80 kp – im vorausgehenden Abschnitt als Beispiel für ein individuelles Akzidens verwendet – kommt als Beispiel für einen kleinsten und härtesten Baustein der Welt eher nicht in Frage; aber es mag andere individuelle Akzidenzien geben, die dafür sehr wohl in Frage kommen. Sie wären die-jenigen Tropen, die ohne modale und ohne zeitliche Dimension sind. Mit kategorial anders-artigen Tropen (Individuen sind sie freilich alle), insbesondere mit Tropen mit modaler und mit zeitlicher Dimension, ist zu rechnen56 – wenn mit Tropen überhaupt zu rechnen ist. Wieder haben wir die Erscheinung, dass eine Klasse von Entitäten mehrere elementfremde Katego-

7. Welche Kategorien sind nicht leer?rialklassen (von Σ) überlappt – wenn denn diese Klasse (eine plurale Entität) überhaupt da ist ; wofür im vorliegenden Fall ausschlaggebend sein dürfte, ob manchen (einstweilen noch so genannten) individuellen Akzidenzien – gewissen Individuen ohne modale und ohne zeitliche Dimension – die grundlegende („herrschende“) Rolle, die sie angeblich haben, tatsächlich zu-kommt, oder doch allen nicht.

Wenn Tropen sind , dann dürften sie sich auf separate – sich einander ausschließende – Individu-en-Kategorien verteilen. Jedenfalls ist Trope in Σ ein nichtkategorialer Einteilungsbegriff – wie auch der Begriff des Ereignisses , der Begriff der Bedeutung und der Begriff der Universalie . Es ist zudem in diesem und den beiden vorausgehenden Abschnitten ersichtlich geworden, dass sich nichtkategoriale Einteilungsbegriffe nicht immer umfangsmäßig so sauber verhalten müssen wie der der Universalie , der separate – sich ausschließende – Kategorien von Σ umfangsmäßig exakt abdeckt (nämlich K17 und K21), ohne selbst eine Kategorie zu sein.

7. Welche Kategorien sind nicht leer?

Vielen Philosophen wird das Kategoriensystem Σ wie ein riesiges Haus mit vielen Wohnun-gen erscheinen, von denen aber die meisten leer stehen: Niemand wohne in ihnen, ja niemand könne in ihnen wohnen. Dann sollte man doch die leeren Teile des Hauses abreißen und mit dem (Denk-)Raum ökonomischer umgehen, ihn ästhetischer gestalten. Aber welche der Woh-nungen stehen nun tatsächlich leer, welche sind bewohnt? In diesem Abschnitt geht es um die Gründe, die einen dazu bewegen können, Kategorien von Σ als erfüllt oder im Gegenteil als leer anzusehen.

Zunächst ist daran zu erinnern (es wurde bereits in Abschnitt 2 dieses Kapitels gesagt): Fällt etwas unter eine Kategorie K (von Σ), so mit Notwendigkeit; fällt etwas nicht unter K, so mit Notwendigkeit nicht. Daraus folgt unmittelbar: Fällt ein x unter K, so ist es für etwas notwendig, dass es unter K fällt, und folglich ist K notwendigerweise erfüllt. Fällt kein x unter K, so ist es für alles notwendig, dass es nicht unter K fällt, und folglich ist K notwendigerweise leer.

Hiernach kann man die Erfülltheit einer Kategorie K (von Σ) in zweierlei Weise zeigen, nämlich zum einen direkt : durch Präsentation eines x, das unter K fällt; zum anderen indirekt : dadurch, dass man zeigt, dass K nicht notwendigerweise leer ist (natürlich ohne schon vorauszusetzen, dass ein x unter K fällt). Besonders augenfällig ist die Möglichkeit des indirekten Erweises aus einem offensichtlichen Korollar des soeben Gezeigten, nämlich daraus , dass jede Kategorie von Σ entweder notwendigerweise erfüllt oder notwendigerweise leer ist. (Die Notwendigkeit, von der hier die Rede ist, ist im Übrigen die stärkst mögliche: die sog. „logische“.) Ersichtlich kann man auch die Nichterfülltheit – die Leere – eine Kategorie K in zweierlei Weise zeigen, nämlich zum einen direkt : dadurch, dass man zeigt, dass K leer ist; zum anderen indirekt : dadurch, dass man zeigt, dass K nicht notwendigerweise erfüllt ist (natürlich ohne schon vorauszusetzen, dass K leer ist).

Es erscheint nun einerseits als ein Leichtes zu zeigen, dass eine Kategorie K nicht notwen-digerweise erfüllt ist. In Wahrheit ist dies – angesichts der aufgezeigten logischen Verhältnis-se – nicht leichter zu zeigen als direkt zu zeigen, dass sie leer ist. Und es erscheint andererseits auch als ein Leichtes zu zeigen, dass eine Kategorie nicht notwendigerweise leer ist. In Wahrheit ist dies nicht leichter zu zeigen als direkt zu zeigen, dass sie erfüllt ist. Der aufgezeigte falsche Anschein mag – unerkannt – dazu beigetragen haben und noch dazu beitragen, die endlosen Kontroversen hinsichtlich der Erfülltheit oder Nichterfülltheit von Kategorien anzuheizen. (Wie

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7. Welche Kategorien sind nicht leer?viele meinen doch, da es ihnen irgendwie offensichtlich scheint, dass K nicht notwendigerweise erfüllt ist, dass K offensichtlich nicht erfüllt ist?)

Die Präsentation eines x, das unter K fällt, geschieht durch die Präsentation einer wahren Aussage der Gestalt „N. ist ein(e) K“, wobei der „punktierte“ Schemabuchstabe „N.“ hier für einen singulären Term: einen Namen im eigentlichen und engen Sinn steht. In den Abschnitten 4 und 5 dieses Kapitels ist diese Präsentation für jede Kategorie des Kategoriensystems Σ prima facie erfolgt. Secunda facie gibt es Bedenken. Der Name, für den „N.“ in „N. ist ein(e) K“ ein-steht, gibt, wie jeder Name, entsprechend seinem Sinn vor, auf etwas bestimmtes Eines – eine bestimmte singuläre Entität – benennend Bezug zu nehmen.58 Dass es wirklich so ist, kann (im Prinzip) angezweifelt werden, sei es für den fraglichen Namen „persönlich“, sei es für diese oder jene Gruppe von Namen, der er angehört, sei es für alle Namen überhaupt.

Die ontologische Signifikanz hat allen Namen überhaupt Willard van Orman Quine abgespro-chen. Seine Begründung dafür war, dass alles, was sich mit Gebrauch von Namen über die Welt sagen lässt, sich auch ohne Gebrauch von Namen sagen lässt, sich nämlich logisch äquivalent auch bei alleinigem Gebrauch von Prädikaten und von Quantoren (und anderen logischen Kon-stanten) sagen lässt. Dazu ist zu sagen, dass dies ja so sein mag (wenn man ein erhebliches Maß an Künstlichkeit in Kauf nimmt); aber dies allein hebt die ontologische Signifikanz von Namen nicht auf (und zwar keines einzigen Namens). Wenn man etwas stets auch in anderer Weise tun kann, als die Weise ist, in der man es gemeinhin tut, so ändert das nichts daran, dass die Weise, in der man es gemeinhin tut, zunächst „Sache ist“ – und vielleicht doch am Ende in einem gewissen Fall „nicht Sache ist“, dann aber aus einem anderen Grund als bloß dem, dass man das Fragliche, was man in der üblichen Weise tut, auch in anderer Weise tun kann, als man es tut. Deute ich auf etwas mit dem Finger, so will ich (im Normalfall) zeigen  – und so habe ich (im Normalfall) auch tatsächlich gezeigt  –, dass ich auf es Bezug nehme ,59 obwohl ich selbstverständlich in allen Fällen von Mit-dem-Finger-Deuten auch in anderer Weise als so zeigen könnte, auf was ich Bezug neh-men will. Am Ende mag (anders als im Normalfall) mein Deuten nichts weiter als eine nervöse Zuckung gewesen oder aufgrund einer Halluzination erfolgt sein, sich somit als ohne ontologi-sche Signifikanz (ohne Referenz signifikanz) entpuppen; aber das hat dann nicht das Geringste damit zu tun, dass ich meine intendierte Bezugnahme auch anders hätte zeigen können.

Gottlob Frege hat anders als Quine die ontologische Signifikanz von Namen nicht generell bestrit-ten, wohl aber die einer sehr großen Gruppe von Namen, nämlich die der (vorgeblichen) Namen für Funktionen. Er war nämlich der Ansicht, dass sich Funktionen nicht benennen lassen (nicht in Wahrheit benennen lassen, vorgeblich schon: es gibt unzweifelhaft – auch für Frege unzweifel-haft – Namen, die vorgeben , auf Funktionen benennend Bezug zu nehmen). Er ging von dem refe-renzsemantischen Prinzip aus, dass (i) der Bezug (Frege sagt: „die Bedeutung“, er meint aber den Bezug ) eines ungesättigten Ausdrucks [eines Ausdrucks mit Leerstelle(n)], der einen Bezug hat,60eine Funktion ist: eine ungesättigte, ergänzungsbedürftige singuläre Entität; dass hingegen (ii) der Bezug eines gesättigten [leerstellenlosen] Ausdrucks, der einen Bezug hat, ein Objekt ist (Frege sagt „Gegenstand“): eine gesättigte, nicht ergänzungsbedürftige singuläre Entität. Nun sind alle Namen gesättigte Ausdrücke (sie haben keine Leerstellen); also ist der Bezug jedes Namens, der einen Bezug hat, ein Objekt . Der Name „der Begriff Pferd “ – ein Beispiel unter unzähligen ebenso geeigneten – benennt also keinen Begriff; denn hat er einen Bezug, so benennt er gemäß dem eben angeführten referenzsemantischen Prinzip ein Objekt , also keine Funktion, also keinen Begriff (denn alle Begrif-fe sind Funktionen); hat er hingegen keinen Bezug, so benennt er nichts , also auch keinen Begriff.

Frege hat diese Absurdität – die Nichtbenennbarkeit von Begriffen und allgemein von Funk-tionen – nicht nur geschluckt, sondern auch wortreich verteidigt (in seinem Aufsatz „Über Be-griff und Gegenstand“). Es ist aber schlicht zu sagen, dass nur die erste Hälfte des angeführten, von Frege vertretenen referenzsemantischen Prinzips korrekt ist; die zweite Hälfte ist falsch. Denn einen Namen kann man jeder singulären Entität geben; der gesättigte Charakter der Na-men bestimmt nicht die ontologische Natur dessen, was durch sie benannt wird. Daran, dass ein ungesättigter Ausdruck eine Funktion zum Bezug hat („bedeutet“, sagt Frege) und ein Name, ein gesättigter Ausdruck, genau dieselbe Funktion zum Bezug hat („bedeutet“) – wie es etwa beim Prädikat „x ist ein Pferd“ (bei fregescher Auffassung des Bezugs [„der Bedeutung“] von Prädika-ten) und beim Namen „der Begriff Pferd “ (bei fregescher Begriffsauffassung) der Fall wäre – ist kein Anstoß zu nehmen. Warum denn auch?

7. Welche Kategorien sind nicht leer?Wenn auch nicht davon auszugehen ist, dass kein Name ontologische Signifikanz hat, und auch nicht davon, dass eine große Gruppe von Namen keine ontologische Signifikanz hat, so erscheint es nun wiederum auch nicht richtig, jedem Namen eine ontologische Signifikanz zuzuschreiben, also anzunehmen, dass jeder Name auf genau eine singuläre Entität benennend Bezug nimmt, die seinem Sinn entspricht.

Zwar geht man in der klassischen Logik davon aus, dass jeder Name auf etwas benennend Bezug nimmt (d. h.: auf eine und nur eine singuläre Entität benennend Bezug nimmt); doch ist dies eher eine Forderung für eine Sprache, die für wissenschaftliche Zwecke ideal ist, als eine Be-schreibung des Ist-Zustands irgendeiner natürlichen Sprache. Auch in einer Idealsprache für wissenschaftliche Zwecke wird man, im Übrigen, jene Forderung nur durch künstliche Maß-nahmen erfüllen können: indem man Namen, die ihrem Sinn nach keinen Bezug haben, künst-lich einen Bezug zuordnet – aber nun natürlich einen, der nicht ihrem Sinn entspricht . Auch das kann schwierig sein. Was etwa ist der Bezug des singulären Terms „2/0“ („2:0“)? Zunächst gibt es keinen, und es ist nicht ratsam irgendeine natürliche, rationale, reelle oder komplexe, finite oder transfinite Zahl als seinen Bezug festzulegen (denn stets ergäbe sich nach den Rechenregeln angesichts des Sinns von „2/0“ die Absurdität „2 = 0“).

Aus der klassischen Logik lässt sich gewiss kein Kapital in Richtung einer ontologischen Signi-fikanz aller Namen schlagen. Wie also sollte man sich in der offenen Frage der ontologischen Si-gnifikanz der Namen nun positionieren? Es gibt zwei Extrempositionen: der Namensoptimismus und der Namenspessimismus. Die Namensoptimisten sagen: „Es ist stets davon auszugehen, dass ein Name auf eine [also auf genau eine singuläre] Entität seinem Sinn gemäß benennend Bezug nimmt, solange nicht hinreichend erwiesen ist, dass das Gegenteil der Fall ist.“ Die Namens-pessimisten sagen: „Es ist stets davon auszugehen, dass ein Name auf keine Entität seinem Sinn gemäß benennend Bezug nimmt, solange nicht hinreichend erwiesen ist, dass das Gegenteil der Fall ist.“ Der Namensoptimismus dürfte für die Zwecke der Allgemeinen Metaphysik (wie auch der Wissenschaft überhaupt) zu vertrauensselig sein, der Namenspessimismus zu misstrauisch, und in Reinkultur wird man diese Positionen auch nicht realisiert finden. Und dennoch sind sie geeignet, die Mentalitäten von Metaphysikern zu beschreiben, da jeder Metaphysiker eher der

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7. Welche Kategorien sind nicht leer?einen oder aber der anderen der beiden Positionen zugeneigt ist, sich eher der einen oder aber der anderen annähert. Es ist zu erwarten, dass daraus endlose Kontroversen erwachsen, denn es wird sich meistens weder hinreichend erweisen lassen (vor allem nicht in den Augen der Opponen-ten), dass ein Name etwas seinem Sinn Gemäßes bezeichnet, noch erweisen lassen (wiederum vor allem nicht in den Augen der Opponenten), dass er nichts seinem Sinn Gemäßes bezeichnet.

In der direkten Konfrontation verhalten sich Metaphysiker zu den Kategorien K von Σ und zu den Namen, die da ins Spiel kommen, allerdings eher in Weisen, die nicht von generellen An-sichten über die Semantik des Bezugs von Namen befeuert werden. Die einen sagen, Kategorie K ist erfüllt, denn „N“ (man setze für den Großbuchstaben einen geeigneten Namen ein) benennt eine Instanz von K. Die anderen sagen, Kategorie K ist leer, und darum benennt kein Name eine Instanz von K; die Namen, die das dennoch zu tun scheinen, sind bloße Namen (leere Namen, bezugslose Namen), „flatus vocis“. Wird davon ausgegangen, dass eine gewisse Kategorie K leer ist, so kann man also stets von einem auf K bezogenen Nominalismus (einem K- Nominalismus ) sprechen: „Die Kategorie K ist leer. Die Namen für Instanzen der Kategorie K sind folglich bloße Namen (mit nichts dahinter).“

Historisch hat die Bezeichnung „Nominalismus“ allerdings nicht den gerade angegebenen sehr flexiblen, auf jede Kategorie (und mutatis mutandis auch auf nichtkategoriale Einteilungs-begriffe und auf Qualitätsbegriffe) beziehbaren Sinn. Auch in der historischen Betrachtung ist der Sinn des Wortes „Nominalismus“ aber nicht eindeutig; folgende Positionen wurden und werden so bezeichnet:

Nominalismus A: Keine Entität ist eine Universalie. Die Namen für Universalien (d. h.: die Na-men, die vorgeben , Universalien zu benennen) sind folglich bloße Namen .61 [„Klassischer Nomi-nalismus“]

Nominalismus B: Keine singuläre Entität ist ein Nichtindividuum (m. a. W.: Jede singuläre Enti-tät ist ein Individuum). Die Namen für singuläre Nichtindividuen sind folglich bloße Namen . [„Ontologischer Individualismus“]

Nominalismus C: Keine singuläre Entität ist abstrakt (m. a. W.: Jede singuläre Entität ist kon-kret). Die Namen für abstrakte singuläre Entitäten sind folglich bloße Namen . [„Konkretismus“] Nominalismus D: Jede singuläre Entität ist ein konkretes Individuum. Die Namen für abstrakte singuläre Entitäten und die Namen für singuläre Nichtindividuen sind folglich bloße Namen . [„Konkretistischer Individualismus“]

Der Nominalismus A (die älteste Form des Nominalismus) hätte, wenn er wahr wäre, zur Fol-ge, dass die Kategorie der Typenobjekte und die Kategorie der sachverhaltsbildenden Funktio-nen, mit dieser auch die Kategorie der Eigenschaften und die der Relationen, leer sind. Logisch stärker als der Nominalismus A ist der Nominalismus B (da jede Universalie unumstritten ein singuläres Nichtindividuum ist: ein Nichtindividuum, das eine singuläre Entität ist, wobei aber nicht jedes singuläre Nichtindividuum eine Universalie sein muss). Dementsprechend verhee-render würde es sich auswirken, wenn der Nominalismus B wahr wäre: Die singulär Seienden fielen dann mit den Objekten zusammen (die Funktionen fielen weg); und die Objekte ihrerseits fielen mit den Individualen/Partikularien zusammen (die Objekte, die zu anderen Objekt-Kate-gorien auf der Ebene 2 von Σ gehören, fielen weg); und die Individuale/Partikularien wiederum fielen mit den Individuen zusammen (die Anderen Individuale fielen weg).

Ein ganz anderer Nominalismustyp als die beiden schon beschriebenen ist der Nominalismus C. Das ergibt sich daraus, dass manches singuläre Nichtindividuum nicht abstrakt sein mag (es ist denkbar; man denke an konkrete Sachverhalte) – also vom Nominalismus C zugelassen würde, vom Nominalismus B aber nicht – und dass manche abstrakte singuläre Entität womög-lich kein Nichtindividuum ist (es ist denkbar; man denke an abstrakte Individuen) – also vom Nominalismus B zugelassen würde, vom Nominalismus C aber nicht. Auch muss nicht jede Universalie abstrakt sein (man denke an den Buchstaben „A“) und nicht jede abstrakte singuläre Entität eine Universalie (man denke an Propositionen). Der Nominalismus C kann somit (es ist denkbar) manches zulassen, was der Nominalismus A verbietet, und umgekehrt.

Wäre der Nominalismus C wahr, so entfielen die Bedeutungen , insbesondere die näherkatego- risierten : die Begriffsobjekte, die Propositionen und die propositionsbildenden Funktionen (die ein- bzw. mehrstelligen Begriffe); die Anderen Objekten, die Anderen Funktionen und die üb-rigen Kategorialklassen, die Kategorien entsprechen, die durch den Ausschluss des Abstrakten noch nicht unbedingt leer würden – diese Vielheiten würden zwar nicht unbedingt aufhören zu sein (sodass ihre Namen – eigentliche, pluralische Namen von ihnen, und singularische, quasi- metaphorische – sich als bezugslos entpuppten bzw. als per fiat die leere Menge bezeichnend), bei ihnen wäre aber jedenfalls mit großen Verlusten zu rechnen.

Nominalismus D schließlich ist die Konjunktion von Nominalismus B und C; er ist deshalb logisch stärker als jeder dieser beiden anderen Nominalismen (und folglich auch logisch stärker als Nominalismus A) und ist sicherlich die radikalste Form des Nominalismus überhaupt.

Was könnte einen motivieren, Nominalist zu werden: ein A-, B-, C- oder gar D-Nominalist? Die ursprüngliche Motivation ist nicht weit zu suchen: Die durch diese Nominalismen aus-geschlossenen singulären Entitäten entziehen sich der sinnlichen Wahrnehmung im primären Sinn  – für welche im Folgenden die visuelle Wahrnehmung im primären Sinn pars pro toto ein-stehen soll. Von konkreten Typenobjekten und konkreten Sachverhalten kann man nun zwar (in geeigneten Situationen) sagen, man sehe sie: „Ich sehe den Buchstaben ‚A‘ “, „Ich sehe, dass

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7. Welche Kategorien sind nicht leer?Hans über die Straße geht“, aber es ist klar, dass der Sinn, den „sehen“ in solchen Sätzen hat, nicht der primäre Sinn von „sehen“ ist. Wie aber – kann man sich fragen – kann die Tatsache, dass abstrakte Entitäten gar nicht zu sehen sind (es sei denn in einem rein metaphorischen Sinn) und singuläre Nichtindividuen bestenfalls in einem analogischen, sekundären Sinn zu sehen sind, vernünftigerweise zum Anlass genommen werden, all diese Entitäten zu leugnen? Die Haltung „Ich glaube nur an das, was ich [im primären Sinn] sehe bzw. [im primären Sinn] sehen kann “ lässt sich ja schon dann nicht durchhalten, wenn man ausschließlich den allge-mein anerkannten Lehren der strengsten Naturwissenschaft, der Physik, glauben will (und diesen Lehren will ja jeder glauben, der sich für wissenschaftlich gebildet hält). Man könnte dafürhalten, dass bei allen Erkenntnissen der Physik, die – zugegebenermaßen – teilweise über das, was man im primären Sinn sehen kann, weit hinausgehen, doch stets ursprünglich von im primären Sinn Gesehenem (Beobachtetem) ausgegangen wird. Aber auch dann, wenn man auf eine Tafel deutet und – übrigens wahrheitsgemäß – sagt: „Auf dieser Tafel kommt zehnmal der Buchstabe ‚A‘ vor“, geht man ursprünglich von im primären Sinn Gesehenem aus – und bringt eine Überzeugung zum Ausdruck, die über das im primären Sinn Gesehene hinausgeht, näm-lich eine Überzeugung, die ein Typenobjekt betrifft (wodurch man ipso facto eine ontologische Verpflichtung eingeht, die den Nominalismen A, B und D widerspricht). Warum soll für den Alltag ein Vorgehen nicht „okay“ sein, was doch für die Physik – jeder Vernünftige muss es zugeben – ganz „okay“ ist?

Die rein empiristische (dabei irgendwie primitive) Argumentation gegen Abstraktes bzw. Nichtindividuelles findet sich heute so gut wie gar nicht mehr. An ihre Stelle ist die Behaup-tung getreten, die Rede von Abstraktem bzw. Nichtindividuellem sei eine bloße, aber dabei „praktische“ (in der Kommunikation nützliche) façon de parler ; diese Rede ontologisch ernst zu nehmen sei hingegen unnötig  – und wie Wilhelm von Ockham sagt (oder so ähnlich sagt): Die Entitäten sind über das notwendige Maß hinaus nicht zu vermehren (Entia non sunt multi-plicanda praeter necessitatem ). An welchen Zwecken sich nun aber „das notwendige Maß“ – es ist ja das für gewisse Zwecke notwendige Maß – orientieren soll, ist durch Ockhams Maxime – bekannt unter dem Namen „Ockhams Rasiermesser“ – völlig unbestimmt. Wird sich nicht für Abstraktes bzw. Nichtindividuelles eine sachliche Zwecknotwendigkeit finden lassen? Immer-hin hat sich doch die Rede von Abstraktem und Nichtindividuellen in natürlichen Sprachen, und in den aus ihnen hervorgegangenen Wissenschaftssprachen nicht minder, völlig natürlich ausgebildet, u. a. bis dahin, dass Namen für Abstraktes und für Nichtindividuelles entstanden sind. Dass all das bloß eine „praktische“ (nämlich abkürzende oder schmückende, oder als ein irgendwie unvermeidliches So-tun-als-ob sogar eine praktisch notwendige ) façon de parler ohne ontologische Signifikanz ist, ist – insbesondere angesichts der Sprache der Mathematik – schwer zu glauben.

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Zudem ist der Anthropozentrismus, der in „Ockhams Rasiermesser“ zum Ausdruck kommt, geradezu unerträglich. Warum sollte sich die Erfülltheit oder Leere von Kategorien danach rich-ten, was wir für gewisse Zwecke – und seien es die Zwecke der Wissenschaft – benötigen? Könn-te nicht etwas deswegen da sein, weil es für einen Zweck benötigt wird, der ganz jenseits unseres Horizonts liegt? Oder da sein, obwohl es für rein gar nichts nötig ist?

Natürlich sollte man nicht ohne guten Grund annehmen, eine Kategorie des Kategoriensys-tems Σ sei erfüllt. Aber Gründe, die in der oder der Hinsicht gut sind, werden sich finden lassen (der beste Grund ist wohl, dass man für eine Kategorie eine Beispielinstanz angeben kann,

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7. Welche Kategorien sind nicht leer?die jedermann beim Aussprechen allgemein anerkannter Wahrheiten immer wieder einmal „im Munde führt“), und zwingende Gründe darf man hier, wo es um Metaphysik geht, nicht erwarten. Schon gar nicht werden sich zwingende Gründe finden lassen für die Leere dieser oder jener Kategorie in Σ. Ästhetische Gründe – Gründe der Einfachheit, der Vereinheitli-chung (Gründe, die hinter der Attraktivität jedes Monismus stecken) – sind solche zwingenden Gründe gewiss nicht. Vor allem lässt sich die zugrunde liegende Ästhetik selbst in Frage stellen. Am einfachsten wäre es zweifellos, wenn es gar nichts gäbe ( per impossibile 62): keine singulären Entitäten (darum auch keine pluralen). Tabula rasa , und selbst die tabula ist weg! Wäre das auch am schönsten?

Am plausibelsten immerhin ist die Annahme der Leere bei der Kategorie Andere Individuale  – und damit am plausibelsten ein gewisser K-Nominalismus im oben zuerst (vor A-, B-, C- und D-Nominalismus) angegebenen Sinn: nämlich der Andere-Individuale -Nominalismus.63 Das liegt daran, dass jede Entität, die unter die Kategorie Andere Individuale fallen würde, dadurch nicht nur nichts Wirkliches wäre, sondern sogar etwas Wirkliches gar nicht sein könnte: wegen ihrer eigenschaftlichen Unvollständigkeit oder eigenschaftlichen Inkonsistenz bzgl. der für sie prädikationsgeeigneten Eigenschaften (welche Eigenschaften an zentraler Stelle Eigenschaften-der-Individuale sind, und in den Fällen, wo sie das nicht sind, doch stets durch eine für die Entität prädikationsgeeignete Eigenschaft-der-Individuale dargestellt werden). Der Gedanke, dass abstrakte singuläre Entitäten oder nichtindividuelle singuläre Entitäten  – insbesondere Universalien – eigenschaftlich unvollständig sind bzgl. der jeweils für sie prädikationsgeeigne-ten Eigenschaften und deshalb gar nicht existieren können, ist möglicherweise auch ein Moti-vationsgrund für die A- bis D-Nominalismen. Aber, erstens, folgt weder aus der Abstraktheit noch aus der Nichtindividualität einer singulären Entität, dass sie bzgl. der für sie prädikations-geeigneten Eigenschaften eigenschaftlich unvollständig ist; und, zweitens, folgt aus der eigen-schaftlichen Unvollständigkeit von etwas bzgl. der für es prädikationsgeeigneten Eigenschaf-ten nur ohne Weiteres dessen notwendiges Nichtwirklichsein, nicht schon dessen notwendige Nichtexistenz (dazu mehr im nächsten Kapitel). Drittens aber kann selbst aus „Alles, was unter den Begriff P fällt, ist notwendigerweise nichtexistent“ nicht ohne Weiteres geschlossen werden, dass der Begriff P leer sei (und schon gar nicht aus „Alles, was unter den Begriff P fällt, ist not-wendigerweise nichtwirklich “). (Ersichtlich ist mithin auch, dass die Position eines Andere-In- dividuale -Nominalismus alles andere als zwingend ist.)

Hinter der Vorliebe mancher Metaphysiker für die A- bis D-Nominalismen steckt vielleicht auch das Folgende: Sie selbst sind – ohne Zweifel (und ohne Kontroverse) – konkrete Indivi- duen . Wie manche Menschen eine irrationale, anders als sie selbst geartete Menschen bzw. Lebewesen diskriminierende Vorliebe für ihren eigenen ethnischen Phänotyp, ihre eigene Na-tionalität, ihr eigenes Geschlecht, ihre eigene Spezies haben – man spricht von Rassismus, Na-tionalismus, Sexismus, Speziesismus –, so haben wohl auch so manche eine irrationale, anders als sie selbst geartete Entitäten diskriminierende Vorliebe für ihren eigenen allgemeinmetaphy-sischen Charakter, soweit dieser zweifelsfrei (und also unkontrovers) gegeben ist; und dieser ist im Falle von uns Menschen nun eben genau der folgende: konkretes Individuum (ob mit oder ohne modale bzw. zeitliche Dimension, reinphysisch oder nicht, usw. usf. – all das hingegen unterliegt der Kontroverse und ist nicht zweifelsfrei – nicht intersubjektiv zweifelsfrei – zu ent-scheiden). Man könnte also von einem unter uns Menschen (bei manchen) realexistierenden „Onto-Kategorismus“ sprechen; aus ihm kommen, als inkorrigible Überzeugungen, der onto-logische Individualismus und der Konkretismus, mithin der Nominalismus A, B, C und D. Schlimmere Folgen hat der menschliche Onto-Kategorismus aber nicht. Ein weiterer Vorteil des menschlichen Onto-Kategorismus gegenüber dem menschlichen Rassismus, Nationalis-mus, Sexismus und Speziesismus ist, dass er nicht im Mindesten moralisch verwerflich ist (was freilich schlicht eine Folge dessen ist, dass man den abstrakten singulären Entitäten und den nichtindividuellen nicht wehtun kann, schon gar nicht durch die Behauptung, es gäbe sie gar nicht, und auch nicht durch die angestrengtesten Bemühungen, gewiss zu machen, dass es wirklich so ist).

Es bleibt zu erwähnen, dass, wenn eine Kategorie einmal als nichtleer anerkannt ist, die nächste Frage die ist, wie sehr sie erfüllt ist, also wie voll sie (als nichtleere) ist. In Bezug auf Einzelkategorien von singulär Seiendem finden dann Auseinandersetzungen statt, die mit denen in Bezug auf das singulär Seiende überhaupt gleichartig (wenn auch regionalisiert) sind: Die einen nennen Beispiele für die oder jene Untersorte der fraglichen Kategorie, die anderen wollen diese Nennungen nicht gelten lassen und versuchen, sie als nichtüberzeu- gend zu diskreditieren (bei welchen rational-kritisch erscheinenden Versuchen gewöhn-lich die von vornherein ganz unumstößlich gegebene, also dogmatische Annahme deutlich durchscheint, dass es da in diesem Gebiet – bei der und der Untersorte der fraglichen Kate-gorie – ohnehin nichts zu benennen gibt, also auch nichts benannt werden kann, in welcher Weise auch immer). Bekannt sind die Auseinandersetzungen um negative und disjunktive Eigenschaften (die Eigenschaft, nicht F zu sein; die Eigenschaft, F oder G zu sein) und um

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8. Kategorienreduktionismus in der Allgemeinen Metaphysiknegative und disjunktive Sachverhalte (der Sachverhalt, dass nicht-A; der Sachverhalt, dass A oder B).

8. Kategorienreduktionismus in der Allgemeinen Metaphysik

Gegen Kategorien K von Σ kann man sich in zweierlei Weise ablehnend verhalten. Zum einen schlicht eliminativ : Man geht davon aus, dass K leer ist, also notwendigerweise leer ist, also aus jedem allgemeinmetaphysischen Kategoriensystem der singulären Entitäten, das den durch es beschriebenen Sachen – den singulären Entitäten – wirklich entsprechen soll, entfernt werden muss – und damit Schluss . Zum anderen reduktionistisch : Wiederum geht man davon aus, dass K leer ist, also notwendigerweise leer ist, also entfernt werden muss; man fügt aber hinzu: Innerhalb einer anderen Kategorie K´ von Σ (oder einem anderen Ka-tegoriensystem) lasse sich eine erfüllte Ersatzkategorie K* für K angeben, deren Instanzen genau das leisten, was von den (nicht vorhandenen) Instanzen von K erwartet wird. Und da-ran anschließend macht man noch einen letzten Schritt, den eigentlichen Reduktionsschritt : Da dem so sei, sei es nur richtig, K mit K* nachträglich zu identifizieren (K sei in Wahrheit K*, wie man nun sehe) und davon auszugehen, dass die im Sinne eines gewissen begriff-lichen Gehalts ursprünglich angenommenen, aber so nicht vorhandenen K in Wahrheit die K* seien.

Ein gutes (ja glänzendes) Beispiel für einen solchen Reduktionismus ist die Allgemeine Meta-physik des David Lewis: so, wie er sie in seinem Buch On the Plurality of Worlds präsentiert. Anhand des Kategoriensystems Σ lassen sich die Grundannahmen jener Metaphysik wie folgt repräsentieren (die verwendeten Worte und Begriffe sind dabei selbstverständlich nicht die von David Lewis):

8. Kategorienreduktionismus in der Allgemeinen Metaphysik Von einem B- oder C-Nominalismus kann man bei der Lewis-Ontologie nicht eigentlich spre-chen, und folglich auch nicht eigentlich von einem D-Nominalismus. Denn zwar sind alle Ele-mente von K2* – die lewisschen Individuen (alle mit modaler und mit zeitlicher Dimension: die Lewis-Ereignisse) – konkrete Individuen; aber viele Elemente von K1* – viele lewissche Andere Objekte  – sind doch offenbar abstrakt, und alle Elemente von K1* sind doch offenbar keine Individuen. Aber es ist zweifellos in Lewis’ Sinn, die Begriffe Individuum und konkret so zu dehnen , dass auch so viele lewissche Andere Objekte wie nur möglich zu konkreten Individuen werden. Es werden durch die Dehnung des Individuenbegriffs alle mengentheoretischen Klas-sen über den Lewis-Ereignissen und den lewisschen Transweltobjekten, und alle lewisschen Transweltobjekte selbst, zu Individuen (mag der jeweilige Einheitsgrad auch in vielen Fällen ver-schwindend sein, 0 ist er ja in keinem Fall: wir haben es stets mit singulären Entitäten zu tun), und die Transweltobjekte werden durch diese Dehnung auch bereits zu konkreten Individuen (an Konkretheit – als Flickenteppiche aus Lewis-Ereignissen – mangelt es ihnen ja von vornhe-rein nicht). Und sind alle Elemente einer mengentheoretischen Klasse konkret, so kann doch die Klasse selbst als konkret angesehen werden (obwohl sie keineswegs so angesehen werden muss ). Durch diese Dehnung des Konkretheitsbegriffs werden nun auch die mengentheoreti-schen Klassen über den Lewis-Ereignissen und den lewisschen Transweltobjekten ( Individuen im gedehnten Sinn sind diese Klassen schon) zu etwas Konkretem . D. h., fast alle dieser Klassen werden das – oder vielmehr „fast alle“ (in Anführungsstrichen); denn es bleibt auch nach dieser Maßnahme ein reinabstrakter und ein anteilsmäßig abstrakter , bei näherem Hinsehen riesiger Rest : Zu den Instanzen von K1* zählen auch die leere Menge (sie ist als Teilmenge der Menge der Lewis-Ereignisse eine über den Lewis-Ereignissen bildbare mengentheoretische Klasse) und alle mengentheoretischen Klassen, die sich unter ihrer Beteiligung bilden lassen: Reinabstrakte Bei-spiele sind: {∅}, {{∅}}, {∅, {∅}}, usw. (einschließlich unendlich großer Klassen); anteilsmäßig abstrakte Beispiele sind: {∅, Lewis*}, {{∅}, Lewis*}, {∅, {Lewis*}}, usw. (Lewis* ist hierbei das Lewis-Ereignis, das nach Lewis’ Meinung mit ihm identisch ist).

In einer Mengentheorie ohne eigentliche leere Menge (also: mit nichts, was der mit dem sin-gulären Kennzeichnungsterm „die leere Menge“ [„die Menge ohne Elemente“] gegebenen Be-schreibung genügt), sondern wo irgendein konkretes Individuum für die leere Menge nur ein-steht, ließe sich das (typisch nominalistisch-reduktionistische) Problem der Restabstraktheit vermeiden (Lewis hat denn auch für eine solche Mengenlehre argumentiert: in seinem Buch Parts of Classes ). Aber durch die bloße Dehnung des Individuenbegriffs ist jedenfalls schon der extenuierte B-Nominalismus erreicht: Die Elemente von K1* sind als Ergebnis dieser Dehnung nun jedenfalls Individuen im weiten , im gedehnten Sinn, die Elemente von K2* sind zusätzlich

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Individuen auch im engen , im ungedehnten Sinn. Eindeutig wird durch diese Begriffsdehnung in der Lewis-Ontologie die Grenze zwischen den Anderen Objekten und den Individuen gewis-sermaßen aufgehoben (wenn sie auch in modifizierter Form weiterbesteht).

Ob man nun außer dem extenuierten B-Nominalismus durch den Übergang zu einer Men-gentheorie ohne eigentliche leere Menge oder, bei klassischer Mengentheorie, durch die Er-klärung der leeren Menge zum konkreten Individuum ehrenhalber ( honoris causa ) auch den extenuierten C-Nominalismus erreicht (und somit den extenuierten D-Nominalismus), oder aber schlicht mit der Restabstraktheit zu leben lernt  – es sollte für einen Theoretiker, der die Lewis-Ontologie favorisiert, keine große Rolle mehr spielen. Anstoß genommen an der Lewis-Ontologie haben denn auch viele auf noch mehr Schlankheit in der Ontologie Versessene nicht wegen eines Mangels an Konkretismus in dieser Ontologie (und schon gar nicht wegen eines Mangels an ontologischem Individualismus), sondern aus einem ganz anderen Grund. Dazu gleich mehr.

Die Lewis-Ontologie ist eine kategorienmäßig sehr reduzierte, aber sie scheint erhebliche re-duktive Kraft zu haben. Wie oben schon dargelegt, ist das reduktionistische Argumentations-muster dieses:

Lewis hat dieses Schema insbesondere auf Eigenschaften und auf Sachverhalte (die Lewis – et-was unglücklich – „Propositionen“ nennt67) angewandt:

8. Kategorienreduktionismus in der Allgemeinen Metaphysik Der leitende lewissche Reduktionsgedanke bei Sachverhalten ist der folgende: Egal, wie man Sachverhalte auffasst, es ist davon auszugehen, dass die Mengen von möglichen Welten (die Teilmengen der Menge der möglichen Welten) umkehrbar eindeutig (eins-zu-eins) auf die Sachverhalte abbildbar sind: Jedem Sachverhalt ist die Menge der möglichen Welten zugeordnet, in der er der Fall ist (besteht, eine Tatsache ist), verschiedenen Sachverhalten verschiedene solche Menge, und jede Menge von möglichen Welt ist einem Sachverhalt zu-geordnet als die Menge der möglichen Welten, in der er der Fall ist. Aus dieser Isomorphie macht Lewis Identität (wobei er natürlich zudem seine Auffassung der möglichen Welten zugrunde legt).

Der leitende lewissche Reduktionsgedanke bei Eigenschaften wiederum ist, sie mit den Men-gen ihrer jeweiligen Exemplare überhaupt (nicht bloß ihrer Exemplare in der wirklichen Welt) zu identifizieren. Es gilt dann nach Lewis schlicht: x exemplifiziert die Eigenschaft F genau dann, wenn x Element der Eigenschaft F ist. Besteht das Bedürfnis, dem Wort „exemplifiziert“ in „x ex-emplifiziert F“ eine modale oder zeitliche Qualifikation hinzuzufügen („in der möglichen Welt

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w“ bzw. „zur Zeit t“), so steckt die dafür nötige Information vollständig im jeweiligen Exemplar x von F. Mit vermittelter Exemplifikation ist zu rechnen: Lewis*, der für Lewis Lewis ist, hatte wiederholt (in der wirklichen Welt zu verschiedenen Zeiten) die Eigenschaft zu sitzen  – aber nicht etwa deshalb, weil er selbst irgendwie mehrfach Element der als Lewis-Eigenschaft, also als Menge von Lewis-Ereignissen aufgefassten Eigenschaft zu sitzen ist, sondern weil mehrere Abschnitte von Lewis* – wie er selbst raumzeitliche Teile der wirklichen Welt – je einmalig Ele-mente jener Eigenschaft sind.

Was oben über die Behandlung der Anderen Objekte und der Individuen in der Lewis-On-tologie gesagt wurde: dass die Grenze zwischen den einen und den anderen gewissermaßen aufgehoben werde, wenn sie auch in modifizierter Form weiterbestehe (denn die Anderen Ob-jekt sind da besondere Individuen, nämlich Individuen im weiten Sinn allein ), lässt sich auch über die Behandlung der Sachverhalte und Eigenschaften in der Lewis-Ontologie sagen. Denn die Lewis-Welten sind ja nichts anderes als spezielle – nämlich maximale – Lewis-Ereignisse, spezielle Lewis-Individuen im engen Sinn . Da alle Mengen von Lewis-Ereignissen (= Lewis-In-dividuen i e S ) Lewis-Eigenschaften (1. Stufe) sind, sind also auch alle Lewis-Sachverhalte (als Mengen von Lewis-Welten) Lewis-Eigenschaften (1. Stufe). Die Sachverhalte sind gemäß Lewis besondere Eigenschaften, nämlich Eigenschaften, die nur von möglichen Welten exemplifiziert werden können.

Wie aber ist nun der lewissche Reduktionismus philosophisch zu beurteilen? Dafür ausschlag-gebend ist die jeweilige Zentralbehauptung in den obigen (grau unterlegten) reduktionistischen Argumentationen (dort durch Kursivschrift hervorgehoben): dass die Lewis-Eigenschaften ge- nau das leisteten, was von den Eigenschaften erwartet wird; dass die Lewis-Sachverhalte genau das leisteten, was von den Sachverhalten erwartet wird . Diese beiden Behauptungen sind beide falsch. Um mit einem Sachverhalt, einer Eigenschaft kompetent umzugehen, insbesondere um in der Erkenntnis Stellung zu ihnen zu nehmen – etwa um zu konstatieren, dass ein gewisser Sachverhalt besteht bzw. nicht besteht, dass eine gewisse Eigenschaft durch etwas exemplifiziert bzw. nicht exemplifiziert wird –, muss man den Sachverhalt bzw. die Eigenschaft kennen : wissen, „wer“ sie sind. Von Lewis-Sachverhalten und Lewis-Eigenschaften ist es aber in allen Normalfäl-len – etwa bei der Eigenschaft, einmal 175 cm groß zu sein, und bei dem Sachverhalt, dass U.M. einmal 175 cm groß ist – völlig unmöglich, sie zu kennen; denn gerade in den Normalfällen sind Lewis-Sachverhalte und Lewis-Eigenschaften Mengen mit unendlich vielen Elementen. Zum Glück brauche ich nicht diese Mengen und somit unendlich viele Individuen (Lewis-Welten bzw. Lewis-Ereignisse, die keine Lewis-Welten sind) zu kennen, um den Sachverhalt zu kennen, dass U.M. einmal 175 cm groß ist, oder die Eigenschaft, einmal 175 cm groß zu sein. Weder Lewis-Sachverhalte noch Lewis-Eigenschaften leisten also genau das, was von Sachverhalten bzw. Eigenschaften erwartet wird und was diese Entitäten tagtäglich in der menschlichen Er-kenntnis – und allgemeiner: in der menschlichen Bewusstseinspraxis – auch wirklich leisten.

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8. Kategorienreduktionismus in der Allgemeinen Metaphysik

Damit der lewissche Reduktionismus überhaupt im Mindesten plausibel ist, muss er mit der Annahme bloß möglicher (möglicher, aber nicht wirklicher ) Lewis-Individuen i e S arbei-ten: mit bloß möglichen Lewis-Welten und mit bloß möglichen Lewis-Ereignissen, die keine Lewis-Welten sind. Betrachten wir etwa die Eigenschaft, ein geflügeltes Pferd zu sein. Kein raumzeitlicher Teil der wirklichen Welt (der wirklichen Raumzeit) ist ein geflügeltes Pferd; davon kann man wohl ausgehen. Würde man sich auf die Wirklichkeits exemplare von Eigen-schaften bei der lewisschen mengentheoretischen Reduktion von ihnen beschränken, so käme also u. a. heraus, dass die Eigenschaft, ein geflügeltes Pferd zu sein, mit der leeren Menge identisch ist – ebenso wie die Eigenschaft, ein geflügeltes Schwein zu sein; dass folglich die beiden Eigenschaften identisch sind – was kein akzeptables Resultat wäre. Allgemein gesagt: Beschränkte man sich auf die Wirklichkeitsexemplare von Eigenschaften bei der lewisschen mengentheoretischen Reduktion von ihnen, so schienen gewisse Möglichkeiten von Eigen-schaften ausgeschlossen zu sein, die es tatsächlich gar nicht sind: Möglichkeiten, in anderer Weise exemplifiziert/nicht exemplifiziert zu sein, als die Eigenschaften es in der Wirklichkeit sind.

Lewis nahm im riesigen, im infiniten Ausmaß bloß mögliche konkrete Individuen ( im en- gen Sinn von „konkret“ und „Individuum“)an. Insbesondere aus diesem Grund nahmen und nehmen viele Anstoß an der Lewis-Ontologie. Konkrete Individuen, die etwas Mögliches, aber nichts Wirkliches sind, sind vielen Philosophen zwar nicht ein so großer ontologischer Gräuel wie Andere Individuale, aber doch ein Gräuel genug. Zu einem den Anderen Individualen fast gleichgroßen Gräuel aber müssen die bloß möglichen Lewis-Individuen den besagten Philoso-phen werden angesichts von Lewis’ Theorie des Möglichen und Wirklichen, nach welcher die bloß möglichen Lewis-Individuen den Meinong’schen Individualen, die unmöglich sind (diese sind genau die Anderen Individuale), in Hinsicht Möglichkeit so ganz unähnlich nicht sind – wie wir sehen werden. Mit den Begriffen des Möglichen und Wirklichen sind wir bei einem anderen Gebiet der Allgemeinen Metaphysik angelangt: der Transzendentalienlehre – die Thema des nächsten Kapitels ist.

8. Kategorienreduktionismus in der Allgemeinen Metaphysik

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3 — Themen der Allgemeinen Metaphysik, 2. Teil: Transzendentalien und andere ontologische Qualitätsbegriffe

0. Was sind Transzendentalien?

Transzendentalien sind qualitative Begriffe der Allgemeinen Metaphysik, die kategorienüber-schreitend („kategorientranszendierend“) instanziiert sind. Kategorienüberschreitende Begriffe und ihre jeweiligen Instanzen haben wir schon bei der Beschreibung des Kategoriensystems Σ kennengelernt (wenn man die Beschreibung gelten lässt): den Begriff der Bedeutung und die Bedeutungen , den Begriff der Intension und die Intensionen , den Begriff der Universalie und die Universalien , den Begriff des Meinong’schen Individuals und die Meinong’schen Individuale  – und natürlich ist jede Oberkategorie insofern kategorienüberschreitend, als sie ihre Subkategorien extensional (umfangsmäßig) unter sich befasst (in diesem Sinne „überschreitet“ die Kategorie Objekt die Kategorien Anderes Objekt, Individual, Eigenschaftsobjekt, Begriffsobjekt, Proposi-tion und Typenobjekt).

Aber die genannten kategorienüberschreitenden Begriffe sind Einteilungsbegriffe: Objekt ist ein kategorialer Einteilungsbegriff; [eine] Bedeutung , [eine] Intension , Universalie, Meinong’sches Individual sind nichtkategoriale Einteilungsbegriffe. Transzendentalien hingegen sind Qualitäts- begriffe . Als Qualitätsbegriffe (oder: qualitative Begriffe) werden sie eher als durch Substantive durch Adjektive und Partizipien – die in den Wendungen der Gestalt „x ist F“ in prädikatsno-minaler Funktion sind – und durch Verben zum Ausdruck gebracht. Freilich ist es ein Leichtes, Qualitätsbegriffe auch substantivisch auszudrücken: Statt „x ist seiend“ kann man auch sagen „x ist ein Seiendes“, statt „x ist etwas“ auch „x ist ein Etwas“, statt „x ist eins“ auch „x ist eine Ein-heit“. Qualitätsbegriffs dienen in der Allgemeinen Metaphysik primär dazu, allgemeinmetaphy-sische Qualitäten zuzuschreiben; sekundär können sie aber auch der Einteilung dienen (etwa, wenn die singulären Entitäten in die Wirklichen und in die Nichtwirklichen eingeteilt werden). Einteilungsbegriff hingegen dienen primär der Einteilung, wobei aber jeder allgemeinmetaphy-sische Einteilungsbegriff einen Begriffsinhalt hat, zu dem sehr wohl ein allgemeinmetaphysi-scher Qualitätsbegriff gehören kann (beispielsweise sind alle Bedeutungen per se abstrakt , alle Anderen Individuale per se unmöglich ).

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Transzendentalien sind nun zwar Qualitätsbegriffe, aber nicht jeder Qualitätsbegriff ist eine Transzendentalie, auch dann nicht, wenn es sich bei ihm um einen allgemeinmetaphysischen Qualitätsbegriff handelt. Zur Transzendentalie bringt es ein allgemeinmetaphysischer Qualitäts-begriff, wenn er in sehr erheblichem Ausmaß kategorienüberschreitend ist – und nur dann, wenn er dies ist.1 Ab wann aber ist ein allgemeinmetaphysischer Qualitätsbegriff in sehr erheblichem Ausmaß kategorienüberschreitend?

Wir gehen aus vom „ungekürzten“ Kategoriensystem Σ: Jede seiner Kategorien sei als nichtleer angenommen. Dann ist jede Kategorie von Σ aber auch als plural erfüllt – als „mehrinstanzig“ – anzunehmen. Jeder Kategorie von Σ entspricht also (davon gehen wir aus) eine Vielheit: eine Kategorialklasse (qua Vielheit).

Für das Transzendentalie-sein (relativ zu Σ) eines allgemeinmetaphysischen Qualitätsbegriffs Q kann man nun in Auslegung von „Q ist in sehr erheblichem Ausmaß kategorienüberschreitend“ viel oder weniger viel fordern; je nachdem ergibt sich ein strenger oder weniger strenger Tran-szendentalienbegriff. In der folgenden Liste nimmt das Maß des für das Transzendentalie-sein Geforderten von oben nach unten ab:

1) Q trifft auf alle singulären Entitäten zu.2

2) Q trifft in jeder Kategorie (von Σ) auf etwas zu.

3) Q trifft in fast jeder Kategorie auf etwas zu.

4) Q trifft in den meisten Kategorien auf etwas zu.

1. Starke Transzendentalien und Erztranszendentalien

1. Starke Transzendentalien und Erztranszendentalien

Transzendentalien im Sinne von 1), dann aber auch in jedem der drei schwächeren Sinne,3 sind (im weitest möglichen Sinn) seiend , etwas und eins , oder substantiviert: [eine] Entität , [ein, etwas] Seiendes ; [ein] Etwas ; [ein, etwas] Eines , [eine] Einheit .

Von seiend und etwas kann man nun sagen, dass sie nicht nur auf alle singulären Entitäten, sondern sogar auf alle pluralen Entitäten zutreffen, also auf uneingeschränkt alle Entitäten (auf alles ) überhaupt; allerdings gilt dies für seiend nur dann, wenn mit „seiend“ der weitest mögliche Seinsbegriff zum Ausdruck gebracht wird (was hier soeben ins Auge gefasst wurde). Von eins ist hingegen zu sagen, dass dieser Begriff, wenn er auch auf jede singuläre Entität zutrifft, so doch auf keine plurale: Keine plurale Entität ist eins (oder: eine Einheit, ein Eines), jede ist viele (oder: eine Vielheit, ein Vieles).

1. Starke Transzendentalien und Erztranszendentalien Eins ist also gewissermaßen die differentia specifica der singulären Entitäten, der Entitäten, die Σ einteilt – gewissermaßen , denn ein genus proximum fehlt ja. Deutlicher wird das bei dem Kategoriensystem, das sich hinter dem Kategoriensystem Σ abzeichnet: ein Kategorien-system, in dem auf der ersten Ebene die Kategorien plurale Entität und singuläre Entität die vollständige Einteilung leisten (bei den singulären Entitäten geht es dann weiter wie in Σ). Denn seiend (im weitest möglichen Sinn), das in jenem Kategoriensystem das Einteilungs-gebiet charakterisiert,6 ist ja kein Genus: Genera sind stets Einteilungsbegriffe, und seiend ist nun einmal kein Einteilungsbegriff – ja es ist, wenn es wie hier im weitest möglichen Sinn genommen wird, zu allem Einteilen unbrauchbar . Seiend ist mithin nicht nur eine 1)-Trans-zendentalie (relativ zu Σ), sondern auch eine Erztranszendentalie : zutreffend auf alles über-haupt, ob Einheit oder Vielheit.

Eine Erztranszendentalie ist aber auch der qualitative Begriff etwas . Die mittelalterlichen Metaphysiker hätten mit vollem Recht ohne jede Einschränkung sagen können (und vielleicht hat es ja einer tatsächlich gesagt): ens et aliquid convertuntur . Der bekannte Spruch ens et unum convertuntur hingegen gilt tatsächlich nur mit Einschränkung: dann und nur dann nämlich, wenn man „ens“ im Sinne von „ens singulare“ versteht. Während seiend , etwas und eins  – alle drei – Transzendentalien im Sinne von 1) (relativ zu Σ) sind und natürlich auch singularisch seiend (oder: singuläre Entität ) eine solche Transzendentalie ist, sind Erztranszendentalien von diesen vieren nur seiend und etwas .

Alle eben genannten qualitativen Begriffe sind dadurch, dass sie Transzendentalien im Sin-ne von 1) sind, ipso facto 7 auch Transzendentalien im Sinne von 2), 3) und 4). Eine weitere Transzendentalie im Sinne von 1) – ja sogar eine Erztranszendentalie – ist mit-sich-selbst- identisch , substantiviert: [ein, etwas] Selbstidentisches ; der propere Begriffsname neben den eben angegebenen „nicht properen“ ist „die Selbstidentität“. Auch die Selbstidentität ist als 1)-Transzendentalie ipso facto eine 2)-, 3)- und 4)-Transzendentalie. Eine interessantere 1)- und Erztranszendentalie als mit-sich-selbst-identisch  – und als etwas-oder-nichts , Individuum- oder-kein-Individuum , mit-etwas-identisch , ja sogar als etwas (denn ist etwas nicht derselbe Begriff wie mit-etwas-identisch ?) – ist von-etwas-verschieden , und zwar deshalb weil dieser letztere Begriff nicht schon durch die formale Logik in seiner starken Transzendentalität er-sichtlich ist. Dass alles überhaupt von etwas verschieden ist (m. a. W.: dass überhaupt nichts mit allem identisch ist), ist wahr, ist aber nicht schon in der (reinen) Quantorenlogik 1. Stufe mit Identität beweisbar.

Aber nun: Von welchen Transzendentalien ist auszugehen, die im Sinne der obigen Liste 1) – 4) ausschließlich in einem schwachen oder schwächeren (auf den 1)-Sinn folgenden) Sinn Trans-zendentalien sind?

2. Schwache Transzendentalien

2. Schwache Transzendentalien

Wirklich und möglich  – der Begriff des Wirklichseins und der weitest mögliche Begriff des Mög-lichseins – sind solche Transzendentalien, oder wenn man sie mittels ihrer substantivischen, aber noch prädizierbaren Ausdrucksform benennt: [etwas] Wirkliches; [etwas] Mögliches , [eine] Möglichkeit ; ihre properen Begriffsnamen sind demgegenüber: „das Wirklichsein“ und „das Möglichsein“.

Nicht jede singuläre Entität ist etwas Mögliches, und nicht jede ist etwas Wirkliches – schon deshalb nicht, weil nicht jede etwas Mögliches ist. (Es gilt ja: De esse ad posse valet consequentia ; folglich: De non posse ad non esse valet consequentia .) Der Sachverhalt , dass π eine rationale Zahl ist, ist nicht etwas Mögliches, und zwar präzise in dem Sinn, dass er nicht etwas Wirk-liches sein kann. Folglich: Manche singuläre Entität ist weder etwas Wirkliches noch etwas Mögliches.

Es mag auf den ersten Blick so scheinen, als könnte man dasselbe auch aus der Tatsache schlie-ßen, dass die Proposition , dass π eine rationale Zahl ist, unmöglich ist. Aber „ist unmöglich“ ist hier nicht die Verneinung von „ist möglich“ im Sinne von „kann etwas Wirkliches sein“ – wel-cher der einzig transzendentalientaugliche Sinn von „ist möglich“ ist –, sondern besagt so viel wie „kann nicht wahr sein“.

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Die Proposition, dass π eine rationale Zahl ist, kann nicht wahr sein; woraus man aber keines-wegs schließen kann, dass sie nicht etwas Wirkliches ist und schon gar nicht, dass sie nicht etwas Wirkliches sein kann : dass sie nicht möglich (nicht etwas Mögliches) in diesem Sinn ist. Im Folgenden kommt der transzendentalientaugliche Sinn von „möglich“ – also der von „mög-licherweise wirklich “ – zur Anwendung, und die Verneinung „unmöglich“ ist entsprechend zu verstehen.

Dann ist, was Propositionen und alle anderen abstrakten singulären Entitäten angeht, als Ers-tes zu sagen, dass bei ihnen die Unterscheidung zwischen möglich (möglicherweise wirklich) und

2. Schwache Transzendentalien wirklich nicht besteht, und folglich auch nicht die Unterscheidung zwischen unmöglich (unmög- lich wirklich) und nicht wirklich ; zudem besteht keine Grundlage dafür, manche abstrakten sin-gulären Entitäten als wirklich, andere als nicht wirklich anzusehen, bzw. manche als möglich, andere als unmöglich. Erklärt man nun – gegeben diese Sachlage – alle abstrakten singulären Entitäten für nicht wirklich (was zwei sonst sehr verschiedene Metaphysiker – Gottlob Frege und Alexius Meinong – tatsächlich getan haben), so folgt nach dem Gesagten, dass alle abstrakten singulären Entitäten unmöglich sind (das umgekehrte Folgerungsverhältnis gilt logisch trivialer-weise). Wesentlich attraktiver erscheint es aber, alle abstrakten singulären Entitäten als möglich anzusehen, woraus dann – gegeben die oben geschilderte Sachlage – folgt, dass alle abstrakten singulären Entitäten wirklich  – etwas Wirkliches  – sind (das umgekehrte Folgerungsverhältnis gilt wiederum logisch trivialerweise). Tatsächlich ist, dass alle abstrakten Entitäten wirklich sind, die traditionelle – auf Platon zurückgehende – Position.

Alle abstrakten singulären Entitäten sind möglich und wirklich, oder aber alle abstrakten sin-gulären Entitäten sind nichtwirklich und unmöglich – andere Optionen gibt es bei den abstrakten singulären Entitäten nicht. Sollen sich möglich und wirklich als möglichst starke schwache Trans-zendentalien erweisen, so ist die erstere, die „platonische“ Position angesagt; denn da mehrere Kategorien von Σ Kategorien ausschließlich abstrakter Entitäten sind ( Begriffsobjekt , Proposition , propositionsbildende Funktion : einstelliger Begriff , mehrstelliger Begriff ), könnte man, wenn man „unplatonisch“ (aber mit Frege und Meinong) alle abstrakten singulären Entitäten als nicht wirk- lich ansähe, das Wirklichsein bestenfalls nur noch als 4)-Transzendentalie passieren lassen; und für das Möglichsein  – das bei den abstrakten singulären Entitäten mit dem Wirklichsein steht und fällt – würde dasselbe gelten. Von der „platonischen“ Position sei also ausgegangen.

Wie schon gesehen, bringen es wirklich und möglich nicht zur 1)-Transzendentalie. Sie bringen es aber auch nicht zur 2)-Transzendentalie; denn in einer Kategorie von Σ treffen sie auf nichts zu: Kein Anderes Individual ist etwas Wirkliches oder auch nur etwas Mögliches (d. h. wie ge-sagt: möglicherweise Wirkliches); es ist dies eine Folge der eigenschaftlichen Unvollständigkeit bzw. eigenschaftlichen Inkonsistenz jedes Anderen Individuals. Nichts spricht hingegen dagegen, wirklich und möglich als 3)-Transzendentalien (und damit auch als 4)-Transzendentalien) anzu-sehen – nachdem entschieden ist, dass alle abstrakten singulären Entitäten als etwas Mögliches und Wirkliches zählen. Schon jetzt sei angesichts der durch die 3)-Transzendentalität von wirk- lich und möglich implizierten Kategorienüberschreitung bemerkt, dass wirklich , und damit auch möglich , in Anwendung auf Instanzen verschiedener Kategorien sehr Verschiedenes beinhaltet.

Gibt es außer wirklich und möglich noch andere schwache Transzendentalien? Weder bei einer 2)-, noch 3)-, noch 4)-Transzendentalie ist schlechterdings (ohne auf das Kategoriensystem zu blicken) ausgeschlossen, dass mit ihr auch ihre Negation eine 2- bzw. 3)- bzw. 4)-Transzenden-talie ist. Freilich entspricht es nicht der Tradition, negative Begriffe als Transzendentalien zu-zulassen; aber davon sei abgesehen. Sind also nicht wirklich und nicht möglich (oder unmöglich: unmöglich wirklich ) neben wirklich und möglich schwache Transzendentalien? Für nicht wirklich entfallen alle Kategorien, unter die ausschließlich abstrakte singuläre Entitäten fallen; denn jede abstrakte singuläre Entität ist (wie schon entschieden und gesagt ist) etwas Wirkliches. Für nicht möglich entfallen alle Kategorien, unter die ausschließlich Individuen fallen; denn jedes Indi-viduum ist etwas Mögliches. Somit könnten nicht wirklich und nicht möglich bestenfalls noch 4)-Transzendentalien sein – aber eher doch auch das nicht. Ich tendiere also zu einem eher „hochprozentigen“ Verständnis von „die meisten Kategorien“.

Sehr wichtige allgemeinmetaphysische Qualitätsbegriffe sind diese beiden: abstrakt und kon- kret . Konkret ist aber bei „hochprozentigem“ Verständnis von „die meisten Kategorien“ am Trans-zendentalie-sein – selbst dem schwächsten – gehindert dadurch, dass unter einige, nicht ganz wenige Kategorien ausschließlich abstrakte singuläre Entitäten fallen. Abstrakt mag es genauso gehen; denn unter einige, nicht ganz wenige Kategorien – nämlich unter alle Individuenkate-gorien – scheinen ausschließlich konkrete singuläre Entitäten zu fallen. Freilich geistert durch die ontologische Literatur die Rede von „abstrakten Individuen“; doch dürfte da mit dem Wort „In-dividuen“ nichts anderes zum Ausdruck gebracht werden als hier mit dem Ausdruck „Objekte“.3. Existenz

3. Existenz

Ist Existenz eine Transzendentalie? Zur Beantwortung dieser Frage ist erst einmal zu klären, welche Begriffe mit „existiert“ oder „es gibt“ ausgedrückt werden; denn es ist nicht nur ein Be-griff, der von ihnen ausgedrückt wird. „Existiert“ – bzw. „existieren“ – und „es gibt“ werden zusammen mit generellen Termen im Singular oder Plural gebraucht, um Existenzsätze zu bilden wie „Gutes existiert“, „Es gibt Gutes“ [ oder auch : „Gutes gibt es“], „Fliegende Fische existieren“, „Fliegende Fische gibt es“ [ oder auch : „Es gibt fliegende Fische“]. „Existiert“ – bzw. „existieren“ – und „es gibt“ werden zusammen mit partikularen Termen im Singular oder Plural gebraucht, um Existenzsätze zu bilden wie „Gott existiert“, „Gott gibt es“ [oder auch: „Es gibt Gott“], „Die Gala-pagosinseln existieren“, „Die Galapagosinseln gibt es“ [ oder auch : „Es gibt die Galapagosinseln“]. Durch die satzbildende Verwendung von „existiert/existieren“ (oder seines Synonyms „es gibt“) beim generellen Term kann – erstens – eine schlichte Mindestanzahlaussage zum Ausdruck ge-bracht werden: „Gutes existiert“ besagt danach, dass die Anzahl des Guten nicht 0 ist [d. h.: größer als 0 ist]; „Fliegende Fische existieren“ besagt danach, dass die Anzahl der fliegenden Fische nicht 0 ist, oder, wenn der Plural ernst genommen wird (was gewöhnlich nicht der Fall ist), dass die Anzahl der fliegenden Fische größer als 1 ist. Es kann dadurch aber auch – zweitens – eine existenzielle Mindestanzahlaussage zum Ausdruck gebracht werden: „Gutes existiert“ besagt danach, dass die Anzahl des existierenden Guten nicht 0 ist; „Fliegende Fisch existieren“ besagt danach, dass die Anzahl der existierenden fliegenden Fische nicht 0 bzw. größer als 1 ist. Gottlob Frege hielt von den satzbildenden Verwendungen von „existiert/existieren“ nur die beim gene-rellen Term für sinnvoll; diejenige beim partikularen Term – insbesondere die beim singulären Term – hielt er für unsinnig. Es ist davon auszugehen, dass er auch die (semantisch) zweite Art (oben mit „zweitens“ zur Sprache gebracht) der satzbildenden Verwendung von „existiert/exis-tieren“ beim generellen Term für unsinnig hielt (denn könnte man sinnvoll von existierenden fliegenden Fischen reden, dann könnte man doch auch von diesem oder jenem einzelnen flie-genden Fisch sinnvoll sagen, dass er existiert  – was Frege aber nun gerade nicht wahrhaben will). Frege meinte also, dass jede sinnvolle satzbildende Verwendung von „existiert/existieren“ beim generellen Term stattfindet (vernünftigerweise stattfinden muss) und eine schlichte Mindestan- zahlaussage zum Ausdruck bringt. Dieser Befund lässt sich aus seinen Schriften bestätigen. Da irrte Frege sehr.

Wir konzentrieren uns auf die Verwendung von „existiert“ beim singulären Term, also bei einem Namen im eigentlichen und engen Sinn. Durch einen Satz der Form „N. existiert“

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kann – erstens – gesagt sein, dass N. etwas (ein Etwas) ist; in diesem Fall drückt „existiert“ die Erztranszendentalie (und also auch 1)-Transzendentalie) des Etwasseins aus. Durch einen Satz der Form „N. existiert“ kann – zweitens – gesagt sein, dass N. wirklich (etwas Wirkliches) ist; in diesem Fall drückt „existiert“ die 3)-Transzendentalie des Wirklichseins aus. Man möchte mei-nen, dass mit „N. existiert“ auch gesagt sein kann, dass N. seiend ist, ein/etwas Seiendes ist. Das ist richtig; aber „N. ist seiend/ein Seiendes/etwas Seiendes“ ist wie „Es gibt N.“ [oder: „N. gibt es“] und das schlichte „N. ist“ und das gar nicht schlichte „N. ist eine Entität“ keine Satzform, die geeignet ist, „N. existiert“ zu deuten ; „N. ist seiend/ein Seiendes/etwas Seiendes“ ist wie „N. gibt es“, „N. ist“ und „N. ist eine Entität“ vorderhand nur ein Synonym für „N. existiert“ (und sämtliche genannten Satzformen sind deshalb auch untereinander vorderhand Synonyme), ein Synonym, das, als solches, genauso deutungsbedürftig und vieldeutig ist wie „N. existiert“ selbst.

„Seiend“ kann im weitest möglichen Sinn verstanden werden, und genau in diesem Sinn wur-de es in Abschnitt 1 verstanden und soll es weiterhin verstanden werden. Durch einen Satz der Form „N. existiert“ (synonym: „N. ist seiend“) kann also – drittens – gesagt sein, dass N. seiend im weitest möglichen Sinn ist; in diesem Fall drückt „existiert“ die Erztranszendentalie (und also auch 1)-Transzendentalie) des Seins im weitest möglichen Sinn aus. „Seiend“ kann aber auch im Sinn von „etwas Wirkliches (seiend)“ verstanden werden. Durch einen Satz der Form „N. exis-tiert“ (synonym: „N. ist seiend“) kann also auch gesagt sein, dass N. etwas Wirkliches ist; aber diesen Fall haben wir schon im vorausgehenden Absatz berücksichtigt.

Drei Begriffe kommen also in Frage dafür, der Begriff der Existenz zu sein: Sein (im weitest möglichen Sinn), Etwassein und Wirklichsein ; die beiden ersteren sind Erztranszendentalien, der letztere nur eine 3)-Transzendentalie. Ja, offenbar sind es sogar nur zwei Begriffe die in Frage kommen, denn Sein (im weitest möglichen Sinn) und Etwassein scheinen ein und derselbe Be-griff – ein und dieselbe Erztranszendentalie – zu sein. Mit logischer Notwendigkeit ko-extensi-onal sind sie auf jeden Fall: Mit logischer Notwendigkeit gilt, dass alles, was etwas ist, im weitest möglichen Sinn seiend ist ( mindestens in diesem Sinn seiend ist). Mit logischer Notwendigkeit gilt auch umgekehrt, dass alles, was im weitest möglichen Sinn seiend ist, etwas ist. Denn an-genommen, es wäre nicht so; dann wäre etwas, was im weitest möglichen Sinn seiend ist, nicht etwas, nicht ein Etwas – was ein Widerspruch ist. Im Folgenden sei – motiviert durch die, wie gerade gesehen, bei Sein (im weitest möglichen Sinn) und Etwassein vorliegende logisch not-wendige Ko-Extensionalität – angenommen , dass Sein (im weitest möglichen Sinn) und Etwas-sein ein und derselbe Begriff ist; es ist nicht zu sehen, durch was sie sich unterscheiden könnten.

Zwei Begriffe kommen also noch in Frage dafür, der Begriff der Existenz zu sein: Etwassein und Wirklichsein. Welcher ist „der richtige Begriff“? Statt sich diese Frage zu stellen, wäre es angesichts des faktischen Sprachgebrauchs wohl besser, nicht von dem Begriff der Existenz aus-zugehen, sondern von zwei verschiedenen Existenzbegriffen: Etwassein und Wirklichsein. Viele Metaphysiker – wenn sie nicht ohnehin in Sachen Existenz Fregeaner sind (nicht wenige sind

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3. Existenzdas bis auf den heutigen Tag) – ziehen es jedoch vor, davon auszugehen, dass es nur einen Exis-tenzbegriff – oder mit anderen Worten (im Sinne der vorderhand gegebenen Synonymie von „existieren“ und [nichtkopulativen] „sein“): nur einen Seinsbegriff  – gibt.

Da wird von den einen Philosophen Existenz mit Wirklichsein identifiziert – so z. B. von Alexi-us Meinong –, von den anderen aber mit Etwassein – so z. B. von David Lewis. Zusätzlicher Stoff für Streit kommt noch dadurch hinzu, dass die einen Philosophen Wirklichsein und Etwassein als ko-extensional ansehen, die anderen nicht. Hier sind nun Meinong und Lewis auf dersel-ben Seite: Beide sehen Wirklichsein und Etwassein nicht als ko-extensional an – was angesichts des notwendigen Enthaltenseins der Wirklichen in den Etwassen nur heißen kann, dass die Et- wasse nicht in den Wirklichen (vollständig) enthalten sind. Aber wegen ihrer unterschiedlichen Existenzauffassung drückt Lewis das so aus: „Manches (in der Tat: vieles), was existiert [etwas ist], ist nichts Wirkliches“ (kurz [da notwendig alles etwas ist]: „ Manches/Vieles ist nicht wirk- lich “); Meinong hingegen so: „Manches (in der Tat: vieles), was etwas ist, existiert nicht [ist nichts Wirkliches]“ (kurz [da notwendig alles etwas ist]: „ Manches/Vieles existiert nicht “). (Außerdem unterscheiden sich beide Metaphysiker erheblich und wesentlich in ihrer Auffassung vom Gehalt des Wirklichkeitsbegriffs und in ihrer Auffassung dessen, was den Umfang des Nichtwirklichen angeht: Die Kategorie der Anderen Individuale , deren sämtliche Instanzen unmöglich, also nicht-wirklich sind, ist nach Lewis leer; nach Meinong jedoch ist sie alles andere als leer.)

4. Aktualismus und Nichtaktualismus

Der onto-regional uneingeschränkte Aktualismus besteht darin, dass man ( anders als Meinong oder Lewis) etwas und wirklich (oder: aktual ) als schlechterdings ko-extensional ansieht: als onto- regional uneingeschränkt  – als in allen ontologischen Bereichen  – ko-extensional. Es mag schei-nen, dass die Sache zu Ungunsten des onto-regional uneingeschränkten Aktualismus schon ent-schieden ist (und zwar, ohne dass dabei auf Meinong oder Lewis verwiesen worden wäre): Alles Wirkliche ist etwas, aber nicht alles (m. a. W.: nicht alles, was etwas ist) ist etwas Wirkliches. Insbesondere ist nicht jede singuläre Entität etwas Wirkliches; von einer Ko-Extensionalität von etwas und wirklich kann also auch nicht bei Einschränkung auf die singulären Entitäten die Rede sein. Ein Aktualist wird freilich zurückfragen, wie denn das gezeigt wurde: dass manche singu-läre Entität nichts Wirkliches ist? Darauf ist die Antwort:

Der Aktualist (z. B. Alvin Plantinga oder Peter van Inwagen) wird entgegenhalten:

Und der Aktualist wird fortfahren:

Der Nichtaktualist wird dann aber seinen Standpunkt wie folgt behaupten:

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4. Aktualismus und NichtaktualismusWas kann der Aktualist hierauf sagen? Nun, er muss nichts sagen; er hat ja seinen Gegenstand-punkt schon deutlich gemacht. Merkwürdig erscheint es freilich schon, zu behaupten, alle Ereig-nisse seien etwas Wirkliches: die Ereignisse, die nicht geschehen, genauso wie die, die geschehen (in Analogie zu „Alle Sachverhalte sind etwas Wirkliches: die Sachverhalte, die nicht bestehen, genauso wie die, die bestehen“ und „Alle Eigenschaften sind etwas Wirkliches: die Eigenschaf-ten, die nicht exemplifiziert sind, genauso wie die, die exemplifiziert sind“). Wie können Ereig-nisse, die nicht geschehen, etwas Wirkliches sein? Die beste aktualistische Parade ist hier wohl, sich auf den Standpunkt zu stellen, dass kein Ereignis nicht geschieht – was vertretbar ist.

Dagegen hätte es einen sehr hohen – meines Erachtens: einen zu hohen – Preis, den onto-re-gional uneingeschränkten Aktualismus dadurch zu verteidigen, dass man behauptet, dass kein Sachverhalt nicht besteht und dass keine Eigenschaft nicht exemplifiziert ist. Da der Sachverhalt, dass der Mars kleiner als die Erde ist, besteht, muss wohl der Sachverhalt, dass die Erde kleiner als der Mars ist, nicht bestehen. Da die Eigenschaft, mit sich selbst identisch zu sein, von allem exemplifiziert wird, muss wohl, die Eigenschaft, von sich selbst verschieden zu sein, von nichts exemplifiziert werden, also nicht exemplifiziert sein.

Soll man nun annehmen, dass der Name „der Sachverhalt, dass die Erde kleiner als der Mars ist“ nichts bezeichnet, jedenfalls nichts, was seinem Sinn entspricht? Soll man annehmen, dass der Name „die Eigenschaft, von sich selbst verschieden zu sein“ nichts bezeichnet, jedenfalls nichts, was seinem Sinn entspricht? Letzteres ginge vielleicht noch an, Ersteres aber doch nicht. Leugnet man nämlich, dass der Name „der Sachverhalt, dass die Erde kleiner als der Mars ist“ etwas seinem Sinn Gemäßes bezeichnet, so wäre es nur konsequent, doch gleich anzunehmen, dass nichts ein Sachverhalt ist – so sehr an sich unverdächtig und paradigmatisch ist der fragliche Sachverhaltsname in der Bezugnahme, die er vorgibt. (Wem jener Name noch nicht unverdäch-tig und paradigmatisch genug ist, mögen den folgenden Sachverhaltsnamen betrachten: „der Sachverhalt, dass die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum 299792457 m/s beträgt“; wenn dieser Name etwas seinem Sinn Gemäßes bezeichnet, dann einen nichtbestehenden Sachverhalt.11)

Also: Es ist keine gute Idee, den Aktualismus dadurch zu verteidigen, dass man behauptet, alle Sachverhalte würden bestehen (und somit – durch ihr ausnahmsloses Bestehen – keinen Anlass bieten, mit dem Schluss „er besteht nicht, also ist er nichts Wirkliches“ von Nichtwirklichem auszugehen). Denn das führt angesichts schlagender Gegenbeispiele nur dazu, dass man dazu gedrängt wird, die Leere der Sachverhaltskategorie anzunehmen (wovor freilich so mancher Aktualist auch wieder nicht zurückschrecken dürfte).

Einem gewissen onto-regional eingeschränkten Aktualismus kann auch ein Nichtaktualist zu-stimmen: Alle abstrakten singulären Entitäten sind etwas und alle sind wirklich . Möglicher-weise sind auch alle Individuen ohne modale und ohne temporale Dimension (K12111) – alle

4. Aktualismus und NichtaktualismusOMOZen – nicht nur etwas , sondern auch wirklich ? Bei dieser letzteren Sorte singulärer Enti-täten ist es jedenfalls am schwierigsten, mit schlagenden Beispielen des Nichtwirklichen auf-zuwarten. Bei den OMOZen sind eher nichtaktualistische Argumente einschlägig, die nicht so direkt sind wie das mehr oder minder unmittelbare Vorweisen von Nichtwirklichem, sondern komplexere Argumentationen darstellen:

(I) Ich bin etwas Wirkliches, hätte aber nichts Wirkliches sein können. Verlangt nicht die onto-logische Symmetrie, dass eine andere menschliche Person – also ein OMOZ wie ich – nichts Wirkliches ist, aber etwas Wirkliches hätte sein können? (Man denke etwa an den Sohn oder die Tochter, die an meiner Stelle im selben Zeugungsakt meiner Eltern hätten gezeugt werden können.) Das verlangt sie. Mithin ist manches OMOZ nicht etwas Wirkliches.

(II) Ich bin notwendigerweise ein OMOZ, aber nicht notwendigerweise etwas Wirkliches. Es ist also möglich, dass ich ein OMOZ und nicht etwas Wirkliches bin. Es ist also möglich, dass manches OMOZ nicht etwas Wirkliches ist. Wären jedoch alle OMOZen etwas Wirkliches, so wäre es im Gegenteil notwendig, dass alle OMOZen etwas Wirkliches sind. Mithin ist manches OMOZ nicht etwas Wirkliches.

Beide Argumentationen sind angreifbar (jede Argumentation ist es), aber sie machen doch deut-lich, dass selbst der auf OMOZen eingeschränkte Aktualismus „etwas kostet“. Metaphysiker, die meinen, dass jedenfalls alle OMOZen etwas Wirkliches seien, dürfen von einer gewissen Art ontologischer Symmetrie nichts halten, und sie müssen, dass alle OMOZen etwas Wirkliches sind, als kontingent wahr ansehen: als wahr, aber nicht als notwendigerweise wahr – wodurch eine große explanatorische Frage aufgeworfen wird: Warum sind – de facto  – alle OMOZen et-was Wirkliches, wenn es doch auch anders hätte sein können?

Aber auch der Nichtaktualist kommt um große explanatorische Frage nicht herum: Offenbar sind manche OMOZen etwas Wirkliches, obwohl sie nichts Wirkliches hätten sein können; und andere OMOZen sind nichts Wirkliches, obwohl sie etwas Wirkliches hätten sein können. Wa-rum also sind die einen – de facto  – etwas Wirkliches und die anderen – de facto  – nicht ? Und weder Aktualist noch Nichtaktualist kommen herum um die Leibniz’sche Frage , die gelegentlich (und fälschlich) als Zentralfrage der Metaphysik überhaupt hingestellt wird: „Warum ist etwas und nicht vielmehr nichts?“ Aber sie lässt sich – so allgemein, wie sie lautet (wie gerade eben in Leibnizens Weise formuliert) – an Ort und Stelle beantworten, ohne noch tiefer in die Allgemei-ne Metaphysik eingestiegen zu sein. Sie ist tatsächlich alles andere als ein metaphysisches Rätsel; sie ist kein Anlass, sich dauerhaft philosophisch zu wundern.

Man muss sie freilich verstehen. Was fragt die Leibniz’sche Frage ? Die drei möglichen In-terpretationen sind: (A) Warum ist etwas existent/ein Seiendes , und nicht vielmehr nichts

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existent/ein Seiendes ? (B) Warum ist etwas ein Etwas , und nicht vielmehr nichts ein Etwas ? (C) Warum ist etwas etwas Wirkliches , und nicht vielmehr nichts etwas Wirkliches ? Frage (A) (die man auch so formulieren kann: „Warum existiert etwas, und nicht vielmehr nichts?“) braucht nicht gesondert betrachtet zu werden, denn ihre volle Interpretation läuft (wenn die Vorder-handsynonymität zwischen „existent“ und „seiend“ gewahrt wird) entweder auf Frage (B) oder auf Frage (C) hinaus (siehe die Überlegungen in Abschnitt 3). Die Antwort auf Frage (B) ist: „Es kann nicht anders sein, als dass etwas ein Etwas ist; es ist notwendig , wie sich leicht zeigen lässt: Angenommen, es wäre nichts ein Etwas; dann wäre notwendig der Sachverhalt/die Proposition, dass nichts ein Etwas ist, eine Tatsache/etwas Wahres, also ein Etwas.“ Die Antwort auf Frage (C) ist: „Es kann nicht anders sein, als dass etwas etwas Wirkliches ist; es ist notwendig , wie sich leicht zeigen lässt: Angenommen, es wäre nichts etwas Wirkliches; dann wäre notwendig der Sachverhalt, dass nichts etwas Wirkliches ist, eine Tatsache, folglich etwas Wirkliches.“ (Auch für einen Aktualisten ist diese Argumentation akzeptabel; denn Aktualisten bezweifeln ja nicht, dass aus „ist eine Tatsache“ logisch folgt „ist etwas Wirkliches“; sie bezweifeln nur, dass aus „ist ein Sachverhalt, aber keine Tatsache“ logisch folgt „ist nicht etwas Wirkliches“.)

Weit interessantere Fragen als die Leibniz’sche Frage sind die folgenden beiden spezifischeren Fragen: (D) Warum ist manches OMOZ etwas Wirkliches, und nicht vielmehr keines? (E) Wa-rum ist manches Leibniz-Individuum etwas Wirkliches, und nicht vielmehr keines? (Es ist nicht ausgeschlossen, dass Leibniz mit seiner Frage – der Leibniz’schen Frage  – eigentlich Frage (E) im Sinn hatte.) Frage (D) präsupponiert als wahr, dass manches OMOZ etwas Wirkliches ist, und fragt nach einer Erklärung dafür. Frage (E) präsupponiert als wahr, dass manches Leibniz-Individuum etwas Wirkliches ist, und fragt nach einer Erklärung dafür. Im Gegensatz zu den als wahr präsupponierten Explananda von (B) und (C) („Etwas ist ein Etwas“, „Etwas ist etwas Wirkliches“) sind die als wahr präsupponierten Explananda von (D) und (E) keine feststellungs-mäßigen Offensichtlichkeiten; denn es ist ja schon keine offensichtlich wahre Feststellung, dass manches ein OMOZ bzw. ein Leibniz-Individuum ist. Doch davon, diese Feststellungen in Zwei-fel zu ziehen, muss, solange die Erklärung ihrer Wahrheit das Ziel ist, abgesehen werden.

Aktualisten bzgl. OMOZen mögen meinen, sie könnten die Frage (D) einfach wie folgt be-antworten: „Manches ist ein OMOZ. Alle OMOZen sind etwas Wirkliches. Also ist manches OMOZ etwas Wirkliches.“ Selbst wenn man die Wahrheit der Prämissen dieses explanatori-schen Arguments „schenkt“, funktioniert es nicht als Erklärung : als Antwort auf Frage (D) (die eine erklärungheischende Warum -Frage ist). Denn warum sind alle OMOZen etwas Wirkliches (wenn sie es denn sind)? Angesichts der obigen Argumentation (II) gegen den Aktualismus bei den OMOZen, können Aktualisten nicht einfach annehmen, dass es notwendigerweise so ist, dass alle OMOZen etwas Wirkliches sind (welcher Notwendigkeit die Argumentation (II) nicht nur widerspricht, sondern welche Notwendigkeit durch die Argumentation (II), wenn man die Modallogik nicht metaphysischen Interessen opfern will, sogar widerlegt wird).

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5. Possibilismus, Impossibilismus und Grade des Nichtaktualismus

Aktualisten bzgl. Leibniz-Individuen, die die Frage (E) einfach wie folgt beantworten wollten: „Manches ist ein Leibniz-Individuum. Alle Leibniz-Individuen sind etwas Wirkliches. Also ist manches Leibniz-Individuum etwas Wirkliches“, stünden vor einem noch größeren Problem: Es ist angesichts der modalen Dimensioniertheit der Leibniz-Individuen (siehe den Unterab-schnitt Individuen mit modaler Dimension   im Abschnitt 5 von Kapitel 2) ausgeschlossen, dass alle Leibniz-Individuen etwas Wirkliches sind, solange auch nur ein wirkliches OMOZ manche Eigenschaft hätte haben können, die es nicht hat. Zu jedem solchen OMOZ gehört ja neben einem wirklichen Leibniz-Individuum auch ein nichtwirkliches. Da z. B. ich, ein wirk-liches OMOZ, gewisse Eigenschaften nicht habe, die ich hätte haben können, gehört zu mir neben dem wirklichen Leibniz-Individuum ich* auch das nichtwirkliche Leibniz-Individuum ich**. Ich** ist nichts Wirkliches; wäre es etwas Wirkliches, so müsste es in der wirklichen Welt verortet sein – was es nicht ist (sondern was ich* ist). Das Leibniz-Individuum ich** (siehe die Aussagen zu mir, ich* und ich** in Abschnitt 5 von Kapitel 2) ist vielmehr mein modaler Reprä-sentant in einer gewissen anderen möglichen Welt als der wirklichen; es ist dort allein modal verortet (aus sich allein heraus) und nicht auch in der wirklichen Welt. Angesichts dessen ist Aktualisten bzgl. Leibniz-Individuen, die nicht annehmen wollen, dass jedes wirkliche OMOZ keine Eigenschaft hätte haben können, die es nicht hat (also ich z. B. nicht eine Sekunde später meinen ersten Atemzug hätte tun können, als ich ihn getan habe), wohl der radikale Schritt zu empfehlen, die Repräsentation von OMOZen durch Leibniz-Individuen zu streichen, indem sie entschlossen annehmen, dass notwendigerweise nichts ein Leibniz-Individuum ist; damit würde der Aktualismus bzgl. Leibniz-Individuen aus logischen Gründen zur (notwendigerweise wahren) Trivialität und es entfiele die Aufgabe zu erklären, warum manches Leibniz-Individu-um etwas Wirkliches ist.

Doch es stehen für eine Beantwortung der Fragen (D) und (E) gewiss andere Wege offen, als die eben beschriebenen, insbesondere solche, die nicht vom Aktualismus ausgehen, nicht vom onto-regional uneingeschränkten und auch nicht von einem auf OMOZen bzw. Leibniz-Indi-viduen eingeschränkten. Will man Antworten auf die Fragen (D) und (E), so muss man aber gewiss tiefer einsteigen in die Allgemeine Metaphysik und insbesondere in die Transzenden-talienlehre, als das bisher geschehen ist.

5. Possibilismus, Impossibilismus und Grade des Nichtaktualismus

Die Worte „Possibilismus“ und „Impossibilismus“ ließen sich analog zu den Worten „Aktualis-mus“ und „Nichtaktualismus“ verstehen. Dann würde gelten:

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De facto wird aber das Wort „Possibilismus“ im ontologischen Sprachgebrauch keineswegs in Analogie zum Wort „Aktualismus“ verwendet. Statt unter der Bezeichnung „der onto-re-gional uneingeschränkte Possibilismus“ eine These zu verstehen, die aus dem onto-regional uneingeschränkten Aktualismus logisch folgt, wird darunter de facto eine These verstanden, die (nicht nur dem Impossibilismus, sondern auch) dem onto-regional uneingeschränkten Aktualismus logisch widerspricht, nämlich die folgende These: Alles ist möglich, aber manches Mögliche ist nichts Wirkliches . Statt unter „der Individuenpossibilismus“ eine These zu verste-hen, die aus dem Individuenaktualismus („Alle Individuen sind wirklich“) logisch folgt, wird darunter de facto eine These verstanden, die dem Individuenaktualismus logisch widerspricht, nämlich: Jedes Individuum ist möglich, aber manches mögliche Individuum ist nichts Wirkliches , oder kurz (da alle Individuen schon als solche möglich sind): Manches Individuum ist nichts Wirkliches .

Ob das Wort „Possibilismus“ nun in der einen oder der anderen Weise gebraucht wird, man kann vier, sich einander ausschließende Grade des Nichtaktualismus unterscheiden, wobei der 0-Grad des Nichtaktualismus der onto-regional uneingeschränkte Aktualismus ist und den Nicht-aktualismus nun gerade ausschließt:

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5. Possibilismus, Impossibilismus und Grade des Nichtaktualismus Grad 3: Manches ist unmöglich, und manches Mögliche ist nichts Wirkliches.

Grad 2: Manches ist unmöglich, und alles Mögliche ist etwas Wirkliches.

Grad 1: Alles ist möglich, und manches Mögliche ist nichts Wirkliches.

Grad 0: Alles ist möglich, und alles Mögliche ist etwas Wirkliches.

Grade 3 und 2 sind die impossibilistischen Grade des Nichtaktualismus. Grad 0 ist, wenn man so will, der aktualistische Grad des Nichtaktualismus. Wählt man das oben zuerst angegebene Verständnis von „Possibilismus“, so sind Grade 1 und 0 die possibilistischen Grade des Nichtak-tualismus; bleibt man beim De-facto -Verständnis von „Possibilismus“, so ist Grad 1 der possibi-listische Grad des Nichtaktualismus.

Die Gradunterscheidung lässt sich auch auf onto-regional eingeschränkte Formen des Nicht-aktualismus anwenden. Beim Nichtaktualismus bzgl Individuen (also: bei der Verneinung des Individuenaktualismus) entfallen die Grade 2 und 3 (wegen des Möglichseins aller Individuen). Es bleiben als Optionen nur der Grad 0 des Individuen-Nichtaktualismus: der Individuenaktua- lismus , und der Grad 1: der Individuenpossibilismus (im Sinne des De-facto -Verständnisses von „Possibilismus“). Von besonderem Interesse ist die Anwendung der Gradunterscheidung auf den Nichtaktualismus bzgl Individuale :

Grad 3: Manches Individual ist unmöglich, und manches mögliche Individual ist nichts Wirkliches.

Grad 2: Manches Individual ist unmöglich, und jedes mögliche Individual ist etwas Wirk-liches.

Grad 1: Jedes Individual ist möglich, und manches mögliche Individual ist nichts Wirkliches.Grad 0: Jedes Individual ist möglich, und jedes mögliche Individual ist etwas Wirkliches.

Grad 3 des Individualen-Nichtaktualismus ist die meinongsche Position. Niemand scheint sich für Grad 2 dieses Nichtaktualismus erwärmen zu können; dessen Grad 1 hingegen findet sich bei Leibniz und Lewis. Die meisten Metaphysiker vertreten aber wohl tatsächlich den Grad 0 des Individualen-Nichtaktualismus (und damit übrigens auch den Grad 0 des Individuen -Nicht-aktualismus, denn Individuum ist ja eine Subkategorie von Individual ).

Es ist der Beachtung wert, dass der Grad 3 beim schlechthinnigen Nichtaktualismus (der Verneinung des onto-regional uneingeschränkten Aktualismus) von allen vier Graden der plausibelste ist, während derselbe Grad beim Individuen-Nichtaktualismus komplett ausge-schlossen und beim Individualen-Nichtaktualismus jedenfalls nicht der plausibelste ist (der plausibelste ist da vielmehr der Grad 1). Es ist ersichtlich: Eine Region des singulär Seienden (und damit des Seienden überhaupt) verhält sich hier anders als das singulär Seiende insge-samt. Sie ist nicht die einzige solche Region: Beim Propositionen-Nichtaktualismus kommt

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nur der Grad 0 in Frage, beim Nichtaktualismus bzgl. propositionsbildender Funktionen ist es ebenso.

6. Theorien des Wirklich- und Möglichseins

Da der Begriff der Existenz mit dem Begriff des Wirklichseins identifiziert werden kann, sind Theorien des Wirklichseins auch Theorien der Existenz. Aber um der Klarheit willen empfiehlt es sich, in den Theorien selbst den Begriff der Existenz beiseite zu legen, kann dieser Begriff doch auch mit dem Begriff des Etwasseins identifiziert werden – was oft unversehens geschieht und dann Verwirrung stiftet.

Mit Möglichsein ist hier gemeint: das Wirklich-sein- können  – „können“ im weitesten Sinn. Mit dem Wirklichsein liegt also auch das Möglichsein begrifflich fest (sofern „können“ verstan-den ist); man kann sich auf die inhaltliche Bestimmung des Wirklichseins konzentrieren; welche freilich etwas durchaus anderes ist als eine Spezifizierung der einzelnen Wirklichen. Aber die in-haltliche Bestimmtheit des Wirklichseins ist dennoch äußerst heterogen: Das Abstrakte – es ist durchweg wirklich – ist in anderer Weise wirklich, als dasjenige Konkrete, welches wirklich ist, wirklich ist. Manche Eigenschaften sind genau dann wirklich, wenn sie durch etwas Wirkliches exemplifiziert werden; andere sind es genau dann, wenn sie schlicht exemplifiziert werden. Für Relationen verkomplizieren sich die je hinreichenden und notwendigen Bedingungen des Wirk-lichseins; in jedem Fall ist es hinreichend für das Wirklichsein einer N-stelligen Relation (N ≥ 2), wenn N singuläre Entitäten, die allesamt etwas Wirkliches sind, in geeigneter Reihenfolge in der fraglichen Relation zueinander stehen, m. a. W.: diese exemplifizieren. Sachverhalte wiederum sind wirklich genau dann, wenn sie bestehen (der Fall sind, eine Tatsache sind). Typenobjekte schließlich sind wirklich genau dann, wenn die ihnen jeweils korrespondierende Eigenschaft wirklich ist; und Eigenschaftsobjekte sind wirklich genau dann, wenn sie auf etwas Wirkliches weisen . (Das Eigenschaftsobjekt- Der-König-von-Frankreich-im-Jahre-2010 ist demnach nichts Wirkliches.)

Um mich nicht in Weitläufigkeiten zu verlieren, lasse ich die Anderen Objekte und die Anderen Funktionen bei der Betrachtung des Wirklichseins außer Betracht. Wie steht es vielmehr inhaltlich um das Wirklichsein der Individuen ? Bevor diese Frage angegangen wird, drängt sich allerdings aus der Gedankenführung des vorausgehenden Absatzes heraus eine andere Frage auf: Ist ein gewis-ses kategoriebezogenes Wirklichsein das grundlegende Wirklichsein in dem Sinne, dass sich jedes Wirklichsein durch es definieren lässt? Nun x, was es auch sei, ist zweifellos etwas Wirkliches genau dann, wenn der Sachverhalt , dass x etwas Wirkliches ist, besteht , d. h.: selbst etwas Wirkliches ist. Aber bedeutet das allein schon, dass das Wirklichsein von Sachverhalten das grundlegende Wirk-lichsein ist? Schließlich kann man ja doch wohl kaum sagen, dass das Wahrsein von Propositionen

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6. Theorien des Wirklich- und Möglichseinsgrundlegend für alles Wirklichsein ist, obwohl doch zweifelsohne gilt: x ist etwas Wirkliches genau dann, wenn die Proposition, dass x etwas Wirkliches ist, wahr ist. Auf ein Wirklichkeitsprimat der Sachverhalte weist allerdings auch noch etwas anderes hin: Aus dem vorausgehenden Absatz ist er-sichtlich, dass das Wirklichsein von Eigenschaften, Relationen, Typenobjekten an zentraler Stelle mit dem Exemplifikationsbegriff zusammenhängt. Und dasselbe gilt auch für das Wirklichsein von Eigenschaftsobjekten; denn ein Eigenschaftsobjekt weist ja genau dann auf etwas Wirkliches, wenn sein eigenschaftlicher Kern durch genau ein wirkliches Etwas exemplifiziert wird.

Wie im nächsten Kapitel gezeigt wird, lässt sich aber nun der für das Wirklichsein so vieler ver-schiedener Arten von singulären Entitäten entscheidende zentrale Exemplifikationsbegriff (der nichtmeinongsche Exemplifikationsbegriff für das Exemplifiziertwerden von Eigenschaften und Relationen) auf das Wirklichsein von Sachverhalten zurückführen.

Für das Wirklichsein von Individuen hingegen ist der Exemplifikationsbegriff nicht entschei-dend. Natürlich ist es richtig zu sagen, dass ein Individuum genau dann wirklich ist, wenn es die Eigenschaft, etwas Wirkliches zu sein, exemplifiziert – ebenso wie es richtig ist zu sagen, dass es genau dann wirklich ist, wenn der Sachverhalt, dass es etwas Wirkliches ist, besteht. Aber diese onto-logischen Äquivalenzen dringen nicht ein in das Wesen des Wirklichseins von Individuen. Sie zeigen auch nicht, dass das Wirklichsein von Individuen etwas Abgeleitetes ist. Wirkliche (d. h.: etwas Wirkliches seiende) Individuen – jedenfalls manche von ihnen – könnten dennoch  – jener onto-logischen Äquivalenzen ungeachtet – das primär Wirkliche sein. Letztlich scheint die Frage des Primats von Sachverhalten oder Individuen in Sachen Wirklichsein auf die Frage zu führen, ob ein Individuum etwas Wirkliches ist, weil der Sachverhalt, dass es etwas Wirkliches ist, besteht, oder ob der Sachverhalt, dass es etwas Wirkliches ist, besteht, weil es etwas Wirkliches ist – eine Frage, die kaum zu beantworten sein dürfte.

Allerdings kommt an dieser Stelle noch ein anderer Gesichtspunkt ins Spiel: Manche Indivi-duen machen , dass gewisse Sachverhalte bestehen: sie machen sie zu Tatsachen; dazu müssen jene Individuen zweifelsohne etwas Wirkliches sein, und es besteht zweifellos ein Wirklich-keitsprimat jener Individuen gegenüber den fraglichen Sachverhalten. Aber daraus kann man kein generelles Wirklichkeitsprimat der Individuen gegenüber den Sachverhalten ableiten. Wo-möglich kommen sogar einzig und allein Individuen als Wirklichmacher in Frage; das scheint sehr plausibel. Gehen wir davon aus: Alle Wirklichmacher sind Individuen, und manche In-dividuen machen etwas zu etwas Wirklichem. Doch selbst, wenn wir nun hiervon ausgehen,

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können wir noch nicht schließen, dass die Individuen ein generelles Wirklichkeitsprimat ge-genüber den Sachverhalten haben; denn manche wirklichen Sachverhalte brauchen  – darin allem Abstrakten gleich –, um wirklich zu sein, rein gar nichts (so z. B. der Sachverhalt, dass überhaupt etwas wirklich ist, wie wir gesehen haben). Braucht auch manches wirkliche Indi-viduum, um wirklich zu sein, rein gar nichts? Ein solches wirkliches Individuum wäre offen-sichtlich nicht deshalb wirklich, weil der Sachverhalt seines Wirklichseins besteht. Besteht dann das umgekehrte explanatorische Verhältnis? Eher nicht. Statt zu sagen, dass der Sachverhalt des Wirklichseins eines solchen Individuums deshalb besteht, weil es etwas Wirkliches ist, ist es wohl angemessener zu sagen, dass der Sachverhalt seines (des Individuums) Wirklichseins zum Bestehen – zum Wirklichsein – nichts braucht , so wie das fragliche Individuum zu seinem Wirklichsein nichts braucht .

Aber nun zu den beiden zentralen Fragen: (1.) Worin besteht das Wirklichsein von Indi-viduen? (2.) Worin besteht das Wirklichsein von Sachverhalten? Wirklichsein ist eine Trans-zendentalie und deshalb ein qualitativer Begriff. Das Adjektiv „qualitativ“ ist da dem Ad-jektiv „klassifikatorisch“ gegenübergesetzt: In diesem Sinne qualitative Begriffe dienen nicht der Klassifikation, jedenfalls nicht primär (sondern primär der Qualifizierung ) – im Unter-schied zu klassifikatorischen Begriffen: zu Einteilungsbegriffen (z. B. den Kategorien von Σ). Das Adjektiv „qualitativ“ kann aber auch dem Adjektiv „relational“ gegenübergesetzt werden. In diesem Sinn qualitative Begriffe sind einstellige Begriffe, die nicht durch einen mehrstelli-gen Begriff inhaltlich bestimmt sind, keinen mehrstelligen Begriff per se involvieren („in sich verbaut haben“).

Um die beiden Verwendungsweisen von „qualitativ“ zu unterscheiden, schreibe ich „1-quali-tativ“ und „2-qualitativ“. Wirklichsein ist ein 1-qualitativer Begriff; aber ist es auch ein 2-quali-tativer Begriff, oder aber im Gegenteil ein relationaler Begriff ?

Da Wirklichsein in Anwendung auf Eigenschaften, Relationen, Typenobjekte, Eigenschaftsobjek-te den Relationsbegriff der Exemplifikation per se involviert, ist Wirklichsein dort kein 2-quali-tativer Begriff, sondern ein relationaler. Und da Wirklichsein (und Möglichsein) in Anwendung auf abstrakte singuläre Entitäten mit Etwassein einerlei ist (Lokaltriumph des Aktualismus!), ist es auch dort kein 2-qualitativer Begriff, sondern ein relationaler – denn Etwassein ist ein relatio-naler Begriff, weil doch Etwassein nicht anderes ist als Mit-etwas-identisch-sein und Identität ein zweistelliger Begriff ist.

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6. Theorien des Wirklich- und MöglichseinsSind auch das Wirklichsein von Individuen und das von Sachverhalten nicht 2-qualitativ, sondern relational? Auf diesen Gedanken könnte man etwa deshalb kommen, weil es ja doch onto-logisch wahr ist: ein Individuum ist etwas Wirkliches genau dann, wenn es die Eigenschaft, etwas Wirk-liches zu sein, exemplifiziert; ein Sachverhalt ist etwas Wirkliches genau dann, wenn er die Eigen-schaft, etwas Wirkliches zu sein, exemplifiziert. Jedoch, das Wirklichsein von Individuen ist nicht durch den Begriff der Exemplifikation inhaltlich bestimmt, es involviert ihn nicht per se (siehe auch die weiter oben in diesem Abschnitt schon gemachten Bemerkungen zum Wirklichsein von Indivi-duen). Dasselbe gilt vom Wirklichsein von Sachverhalten (ja, der zentrale Exemplifikationsbegriff kann im Gegenteil mittels des Wirklichseins von Sachverhalten definiert werden – wie weiter oben in diesem Abschnitt schon vermerkt –, und zwar in sehr befriedigender Weise: ohne einen Anflug von Zirkularität; wie es aussieht, ist also Exemplifikation durch das Wirklichsein von Sachverhalten inhaltlich bestimmt, nicht umgekehrt das Wirklichsein von Sachverhalten durch sie).

Der Gedanke, dass das Wirklichsein von Individuen und das Wirklichsein von Sachverhalten relationale Begriffe sind, ist aber mit dem Ausschluss dessen, dass sie relationale Begriffe auf der Grundlage des Exemplifikationsbegriffs wären, keineswegs erledigt. Vielmehr steht der Ansicht, diese beiden onto-regionalen Wirklichkeitsbegriffe wären 2-qualitativ, nach wie vor die (insbe-sondere von David Lewis vertretene) Ansicht gegenüber, sie seien relational, welche Ansicht sich

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wie folgt ausbuchstabieren lässt und damit zur Theorie wird, und zwar zur relationalen Theorie des Wirklichseins von Individuen und von Sachverhalten :

Auszugehen ist nach dieser Theorie begrifflich allein und ausschließlich von dem Relations-begriff des Wirklichseins in einer möglichen Welt , der durch das zweistellige Prädikat „x ist etwas Wirkliches in der möglichen Welt w“ ausgedrückt wird.12 Handelt es sich bei x um einen Sach-verhalt, so kann man statt „x ist etwas Wirkliches in der möglichen Welt w“ auch sagen „x ist der Fall [oder: besteht] in der möglichen Welt w“. Wenn x etwas Wirkliches in der möglichen Welt w ist, dann mag es sein, dass x nichts Wirkliches in der möglichen Welt w´ ist; aber es mag im Gegenteil auch sein, dass x etwas Wirkliches auch in w´ ist. Handelt es sich bei x um eine mögliche Welt, so ist die Situation aber eine besondere: x ist dann etwas Wirkliches allein in x, in jeder anderen möglichen Welt ist x nichts Wirkliches.

Das Wirklichsein von Individuen (dieser einstellige Begriff) und das von Sachverhalten (dieser andere einstellige) Begriff sind nun gemäß der betrachteten Theorie durch das Wirklichsein in (oder: relativ zu ) einer möglichen Welt (durch diesen zwei-, also mehrstelligen Begriff) inhalt-lich bestimmt, und zwar wie folgt:

D1: x ist ein Individuum, das etwas Wirkliches ist =Def x ist ein Individuum, das etwas Wirk-liches in der möglichen Welt W* ist.

D2: x ist ein Sachverhalt, der etwas Wirkliches ist =Def x ist ein Sachverhalt, der etwas Wirkli-ches in der möglichen Welt W* ist.

„W*“ ist hierbei der Name einer bestimmten, ausgezeichneten möglichen Welt, und der Satzteil „in der möglichen Welt W* ist“ steht kurz für „in W* ist, und W* ist eine mögliche Welt“.

Gegen die relationale Theorie des Wirklichseins von Individuen und von Sachverhalten lässt sich nun Folgendes einwenden:

6. Theorien des Wirklich- und Möglichseins Einwand Alpha:

Welche mögliche Welt ist denn die durch „W*“ benannte mögliche Welt? Wenn die Definitionen D1 und D2 inhaltlich adäquat sein sollen, muss „W*“ zweifellos eine wirkliche unter den möglichen Welten benennen; denn dadurch, dass ein Individuum oder Sachverhalt etwas Wirkliches in einer nichtwirklichen möglichen Welt sind, sind sie ja gewiss noch nichts Wirkliches ( simpliciter ). Was aber ist eine wirkliche mögliche Welt, wenn man als Ausgangspunkt allein den Relationsbegriff des Wirklichseins in einer möglichen Welt zur Verfügung hat, wie es für die relationale Theorie des Wirklichseins von Individuen und von Sachverhalten ja erforderlich ist? Ist es eine mögliche Welt, die in mindestens einer möglichen Welt etwas Wirkliches ist? Das wäre freilich jede mögliche Welt. Ist es eine mögliche Welt, die in jeder möglichen Welt etwas Wirkliches ist? Das wäre keine mög-liche Welt. Ist es eine mögliche Welt, die in genau einer möglichen Welt etwas Wirkliches ist? Das wäre wiederum jede mögliche Welt (jede mögliche Welt ist ja in sich selbst und in keiner anderen möglichen Welt etwas Wirkliches). Die sich völlig im Rahmen der relationalen Theorie des Wirk-lichseins von Individuen und von Sachverhalten haltende Auskunft, dass die durch „W*“ benannte Welt diejenige mögliche Welt sei, die in der möglichen Welt W* etwas Wirkliches ist, ist zwar rich-tig, hilft aber offensichtlich nicht substanziell weiter in der Frage, welche mögliche Welt „W*“ be-nennt. Ja, es folgt aus dieser Auskunft (einstweilen) nicht einmal, dass W* eine wirkliche mögliche Welt ist (siehe aber weiter unten D3 und die auf diese Definition folgenden Betrachtungen).

Die inhaltliche Adäquatheit der Definitionen D1 und D2 verlangt nicht nur, dass „W*“ eine wirkliche unter den möglichen Welten benenne, sondern auch, dass genau eine unter den mög-lichen Welten ( simpliciter ) wirklich ist und dass „W*“ eben diese eine mögliche Welt benenne: „W*“ muss die ( simpliciter ) wirkliche mögliche Welt benennen, kurz: die wirkliche Welt .

Bei inhaltlicher Adäquatheit der Definitionen D1 und D2 muss „W*“, wie gesagt, die wirkliche Welt benennen (und die kennen wir ja – jedenfalls zu einem großen Teil). Man kann aber nicht einfach zu den Definitionen D1 und D2 hinzusetzen:

D3´: W* =Def die wirkliche Welt [die wirkliche mögliche Welt; diejenige unter den möglichen Welten, die etwas Wirkliches ist].

Wenn nämlich die möglichen Welten unter die Kategorie der Sachverhalte bzw. unter die Kate-gorie der Individuen fallen (beide Auffassungen werden vielfach vertreten) und der singuläre Kennzeichnungsterm „die wirkliche Welt“ seinem Sinn entsprechend eine mögliche Welt be-zeichnet (was die natürlichste Auffassung ist, von der hier stets ausgegangen wurde), dann wird D2 oder D1 durch Definition D3´ zirkulär; D2 oder D1 lässt sich dann (entsprechend um-formuliert) nur als generelles, mit Notwendigkeit geltendes Prinzip aufrechterhalten. Freilich blieben beide Definitionen „sauber“, wenn man mögliche Welten als Andere Objekte ansähe. Viel schwerer wiegt aber gegen D3´, dass man mit dieser Definition den Rahmen der relationa-len Theorie des Wirklichseins von Individuen und von Sachverhalten offenbar verlassen muss. Auszugehen ist ja nach dieser Theorie begrifflich allein und ausschließlich von dem Relations-begriff des Wirklichseins in einer möglichen Welt (siehe weiter oben in diesem Abschnitt); in D3´ ist aber offensichtlich nicht vom Wirklichsein in einer möglichen Welt („x ist etwas Wirk-liches in der möglichen Welt w“), sondern vom Wirklichsein einer möglichen Welt („die mög-liche Welt w ist etwas Wirkliches“) die Rede. Die relationale Theorie des Wirklichseins von Individuen und von Sachverhalten verfügt (in ihrer Selbstbeschränkung) offenbar nicht über die begrifflichen Ressourcen, um die Frage, worin das Wirklichsein ( simpliciter ) einer mög-lichen Welt besteht, zu beantworten – wie wir bereits ausgeführt haben –, und deshalb auch nicht über die begrifflichen Ressourcen, die wirkliche Welt adäquat zu charakterisieren – wie wir bereits gesehen haben.

Oder verfügt sie doch über diese begrifflichen Ressourcen? – Es ist doch ganz einfach; in Ana-logie zu D1 und D2 ist diesen Definitionen hinzuzufügen:

D3: x ist eine mögliche Welt, die etwas Wirkliches ist =Def x ist eine mögliche Welt, die etwas Wirkliches in der möglichen Welt W* ist.

Mit D3 lässt sich beweisen (und D3´ verwandelt sich in ein Theorem): W* = die wirkliche Welt [diejenige unter den möglichen Welten, die etwas Wirkliches ist]; denn in jeder möglichen

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6. Theorien des Wirklich- und MöglichseinsWelt – also auch in W* – ist allein sie selbst und keine andere mögliche Welt etwas Wirkliches;13woraus sich kennzeichnungslogisch mit D3 das Fragliche ergibt.

Aber ist damit der Einwand, welcher in der Frage besteht, welche mögliche Welt denn durch „W*“ benannt wird, ausgeräumt? Keineswegs. Die Frage lässt sich ja offenbar durchaus ohne Willkür beantworten; doch bei einer willkürfreien Antwort scheint man stets auf ein Verständ-nis des Wirklichseins von möglichen Welten zurückzugreifen, welches keineswegs dasjenige ist, was in D3 zum Ausdruck kommt, sondern den Rahmen der relationalen Theorie des Wirklich-seins von Individuen und von Sachverhalten sprengt . Die wohl beste Antwort auf die Frage, wel-che mögliche Welt durch „W*“ benannt werde, ist zu sagen, es sei die mögliche Welt, in der ich* verortet ist. Aber sofort stellt sich die Gegenfrage ein: Warum benennt „W*“ nicht stattdessen, z. B., die (andere) mögliche Welt, in der ich** verortet ist? Nun, könnte man antworten, weil das Leibniz-Individuum ich* einzig und allein in der wirklichen Welt verortet ist (als mein hiesiger modaler Repräsentant), während das Leibniz-Individuum ich** nicht in der wirklichen Welt ver-ortet ist, sondern einzig und allein in einer gewissen möglichen Welt, die nichts Wirkliches ist (als mein dortiger modaler Repräsentant). Offenbar schaut man aber hiermit über den Tellerrand der relationalen Theorie hinaus, oder vielmehr: Man verlässt sie. Am besten also, man geht auf die letzte Frage nicht ein, sondern beruft sich auf das Recht, mit etwas schlicht Gesetzten anfan-gen zu dürfen (welches Recht doch jeder Theoretiker in Anspruch nehmen müsse).

Einwand Beta:

Bleibt man, unbeeindruckt durch Einwand Alpha , bei der relationalen Theorie des Wirklich-seins von Individuen und von Sachverhalten – und zwar so, wie sie in den Definitionen D1, D2 und D3 ausformuliert ist, und mit der inhaltlichen Spezifikation, dass „W*“ diejenige mögliche Welt benenne, in der ich* verortet ist –, so liefert diese Theorie über weite Strecke die richtigen Antworten: Genau die Individuen und Sachverhalte, die man als etwas Wirkliches bzw. als nichts Wirkliches (d. h.: etwas Nichtwirkliches) ansehen möchte, erweisen sich gemäß der fraglichen Theorie als etwas Wirkliches bzw. als nichts Wirkliches. Die Übereinstimmung mit unseren In-tuitionen bzgl. des Wirklichseins hört aber auf, wenn auch die Modalitäten des Wirklichseins in die Betrachtung miteinbezogen werden. Das Grundprädikat der relationalen Theorie, „x ist etwas Wirkliches in der möglichen Welt w“, lässt keine Kontingenz zu. Ob x, was es auch sei, etwas Wirkliches in der möglichen Welt w (welche es auch sei) ist, ist eine Frage der absoluten Notwen-digkeit: Wenn es so ist, dass x etwas Wirkliches in w ist, dann ist das absolut notwendigerweise so; wenn es nicht so ist, dass x etwas Wirkliches in w ist, dann ist das absolut notwendigerweise nicht so. Denn der Inhalt allein der möglichen Welt w entscheidet darüber, ob es so ist oder nicht, und dieser Inhalt steht fest: Er macht die mögliche Welt w aus, als das, was sie ist; sie hätte keinen anderen Inhalt haben können als eben diesen Inhalt, den sie hat; hätte sie einen anderen Inhalt, so wäre sie nicht sie. Ebenso lässt das Prädikat, das bei der inhaltlichen Spezifikation der möglichen Welt, die durch „W*“ bezeichnet wird, verwendet wurde: „x ist in der möglichen Welt w [modal] verortet“, keine Kontingenz zu, weder im Zutreffen noch im Nichtzutreffen.

Für eine gewisse mögliche Welt gilt also, dass ich* absolut notwendigerweise in ihr verortet ist und dass ich* (dieses Leibniz-Individuum) in jeder von ihr verschiedenen möglichen Welt ab-solut notwendigerweise nicht verortet ist. Der Kennzeichnungsterm „diejenige mögliche Welt, in der ich* verortet ist“ kann absolut keine andere mögliche Welt bezeichnen als die, die er eben bezeichnet.

Ich bin nun etwas Wirkliches – was absolut unbezweifelbar für mich ist (worauf Descartes jedes Ich eindrucksvoll aufmerksam gemacht hat). Genauso unbezweifelbar für mich ist nun aber, dass ich nicht notwendigerweise – wenigstens nicht absolut notwendigerweise – etwas Wirkliches bin. Wende ich dann die relationale Theorie des Wirklichseins von Individuen auf mich – ein Individuum und mit absoluter Notwendigkeit eines – an, so ergibt sich (mit D1, durch definitorische Ersetzung etc.) aus den dargelegten, mein Wirklichsein betreffenden, für mich unbezweifelbaren Anschauungen: Ich bin etwas Wirkliches in der möglichen Welt W*, aber ich bin nicht mit absoluter Notwendigkeit etwas Wirkliches in der möglichen Welt W* – was gemäß der relationalen Theorie des Wirklichseins von Individuen nun aber gerade nicht sein kann. Folglich: Entweder diese Theorie oder aber meine Anschauungen müssen weichen (deren Unbezweifelbarkeit für mich hin oder her).

Man könnte meinen, diesem harten Zusammenprall ließe sich entgehen, und zwar wie folgt: Man meint, dass zu sagen sei: Ich bin gar nicht mit absoluter Notwendigkeit etwas Wirkliches in der möglichen Welt W*, wenn ich etwas Wirkliches in ihr bin; dazu, dass ich mit absoluter Notwendigkeit etwas Wirkliches in W* bin, ist vielmehr erforderlich, dass ich in jeder mögli-chen Welt (und nicht nur in W*) etwas Wirkliches bin – was ja nun nicht der Fall ist. Dagegen ist jedoch zu sagen: Dass ich etwas Wirkliches in der möglichen Welt W* bin, ist zwar, wenn ich es bin, nicht superabsolut notwendig (weil ich nicht etwas Wirkliches in jeder möglichen Welt bin); das ändert aber nichts daran, dass es absolut notwendig ist, dass ich etwas Wirkliches in der möglichen Welt W* bin, wenn ich dies bin (und ich bin es ja). (Der erwogene „Ausweg“ ist

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6. Theorien des Wirklich- und Möglichseinsin etwa so, als würde einer sagen, 1000 sei, obwohl es klein relativ zu 1000000000 ist, gar nicht mit absoluter Notwendigkeit klein relativ zu 1000000000, weil es, 1000, ja schließlich nicht klein relativ zu jeder Zahl sei.)

Das einzig Vernünftige ist, dass ich an meinen Anschauungen bzgl. meines Wirklichseins festhalte und demzufolge die relationale Theorie des Wirklichseins von Individuen ablehne (ich empfehle, dasselbe zu tun jedem und jeder im je eigenen Fall). Abzulehnen ist aber auch die relationale Theorie des Wirklichseins von Sachverhalten : Dass ich am 24.1.2020 um 6 Uhr 21 denke, ist ein Sachverhalt, der unzweifelhaft etwas Wirkliches ist (man möge es mir glauben), der aber genauso unzweifelhaft nicht absolut notwendigerweise etwas Wirkliches ist. Die rela-tionale Theorie des Wirklichseins von Sachverhalten behauptet aber im Widerspruch zu diesen Unzweifelhaftigkeiten auf der Grundlage von D2, dass der fragliche Sachverhalt absolut notwen-digerweise etwas Wirkliches ist ( weil er ein Sachverhalt ist, der etwas Wirkliches ist).

Es ist nun wichtig, nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten. Die relationale Theorie des Wirklichseins von Individuen und von Sachverhalten wird durch die 2-qualitative Theorie zwar aufgehoben, aber in ihr auch gewissermaßen (mit) aufgehoben . Zwar ändert sich der begriffliche Charakter des Wirklichseins fundamental, aber D1, D2, D3´ und D3 samt der inhaltlichen Spe-zifikation – nennen wir diese nun „D4“ – , dass „W*“ diejenige mögliche Welt benenne, in der ich* verortet ist, bleiben in der 2-qualitativen Theorie gewissermaßen erhalten: D1, D2 und D3 verwandeln sich aus Definitionen in generelle Prinzipien, D3´ verwandelt sich aus einer Defini-tion in eine Identitätsaussage, und D4 wird unverändert übernommen. Um den 2-qualitativen, durch keinen Relationsbegriff inhaltlich bestimmten Charakter des ( einstelligen Begriffs des) Wirklichseins hervorzuheben, erscheint das zugehörige Wort in der nachfolgenden Zusammen-stellung im Fettdruck:

D4: W* =Def diejenige mögliche Welt, in der ich* verortet ist.

P1 (aus D1): Für alle x: x ist ein Individuum, das etwas Wirkliches ist, genau dann, wenn x ein Individuum ist, das etwas Wirkliches in der möglichen Welt W* ist.

P2 (aus D2): Für alle x: x ist ein Sachverhalt, der etwas Wirkliches ist, genau dann, wenn x ein Sachverhalt ist, der etwas Wirkliches in der möglichen Welt W* ist.

P3 (aus D3): Für alle x: x ist eine mögliche Welt, die etwas Wirkliches ist, genau dann, wenn x eine mögliche Welt ist, die etwas Wirkliches in der möglichen Welt W* ist.

P3´ (aus D3´): W* = die wirkliche Welt.

Aus dem obigen Einwand Beta gegen die relationale Theorie des Wirklichseins von Individuen und von Sachverhalten ist nun aber auch schon ersichtlich, dass die Aussagen P1 – P3´ kon-tingent sind: Wäre ich nichts Wirkliches , was absolut möglich ist, dann wäre ich doch immer

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noch ein Individuum, das etwas Wirkliches in der möglichen Welt W* ist; und wäre, dass ich am 24.1.2020 um 6 Uhr 21 denke, nichts Wirkliches, was absolut möglich ist, so wäre doch, dass ich am 24.1.2020 um 6 Uhr 21 denke, immer noch ein Sachverhalt, der etwas Wirkliches in der möglichen Welt W* ist. Wäre W* nichts Wirkliches und nicht die wirkliche Welt, was absolut möglich ist, so wäre W* dessen ungeachtet nach wie vor eine – und zwar die einzige – mögliche Welt, die in der möglichen Welt W* etwas Wirkliches ist.

In der 2-qualitativen Theorie des Wirklichseins von Individuen verlieren die beiden folgenden, von der Leibniz’schen Frage inspirierten Fragen aus Abschnitt 4 jedenfalls nicht ohne Weiteres ihre Faszination; ich hebe in ihnen den nun 2-qualitativen Charakter des Wirklichseins durch Fettdruck hervor: (D) Warum ist manches OMOZ etwas Wirkliches , und nicht vielmehr kei-nes? (E) Warum ist manches Leibniz-Individuum etwas Wirkliches , und nicht vielmehr keines? Ja, es tritt nun noch eine dritte von der Leibniz’schen Frage inspirierte, jedenfalls prima facie faszinierende Frage hinzu: (F) Warum ist manche mögliche Welt etwas Wirkliches , und nicht vielmehr keine?

Hingegen : Gemäß der relationalen Theorie des Wirklichseins von Individuen und möglichen Weltengibt es da nichts, worüber man sich wundern könnte und was nach Erklärung riefe: Alle drei Fragen – bei der relationalen Theorie, ohne Fettdruck von „Wirkliches“ – „fallen flach“ (so-zusagen). Es kann gemäß der relationalen Theorie absolut nicht anders sein , als dass W* eine mög-liche Welt ist, die etwas Wirkliches ist (wegen D3, denn W* ist absolut notwendigerweise eine mögliche Welt, die in der möglichen Welt W* etwas Wirkliches ist); und es kann absolut nicht anders sein , als dass ich* ein Leibniz-Individuum ist, das etwas Wirkliches ist (wegen D1, denn ich* ist absolut notwendigerweise ein Leibniz-Individuum, das in der möglichen Welt W* – der Welt seiner Verortung – etwas Wirkliches ist); und es kann absolut nicht anders sein , als dass ich ein OMOZ bin, das etwas Wirkliches ist (wegen D1, denn ich bin absolut notwendigerweise als OMOZ ein Individuum, das in der möglichen Welt W* etwas Wirkliches ist: via ich*). Da gibt es nichts weiter zu erklären . Man könnte dieses bei der relationalen Theorie gegebene „Flach-fallen“ der Warum-Fragen (D), (E) und (F) als Vorteil von ihr ansehen; eher ist es die reductio ad absurdum von ihr.

Nun ist allerdings die Frage „(G) Warum ist mancher Sachverhalt etwas Wirkliches, und nicht vielmehr keiner?“ theorieunabhängig „flachgefallen“, wie wir schon gesehen haben: Ganz gleich-gültig, von welcher Theorie des Wirklichseins von Sachverhalten ausgegangen wird, es kann absolut nicht anders sein, als dass ein gewisser Sachverhalt etwas Wirkliches ist. Womöglich gibt es dieses theorieunabhängige „Flachfallen“ auch bei den Fragen (D) und (E)? Es wäre so, wenn eines der OMOZen und eines der Leibniz-Individuen ein abstraktes Individuum wäre (denn Abstraktes ist „automatisch“ etwas Wirkliches); es wäre so, wenn sich je für ein konkretes OMOZ und ein konkretes Leibniz-Individuum apriorisch beweisen ließe, dass es etwas Wirkliches ist (unter dem Titel „Gottesbeweise“ ist dergleichen im Verlauf der Geschichte der Metaphysik im-

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6. Theorien des Wirklich- und Möglichseinsmer wieder versucht worden). Womöglich gibt es dieses theorieunabhängige „Flachfallen“ auch bei der Frage (F)? Wenn keine mögliche Welt etwas Wirkliches wäre, würde dann nicht weder der Sachverhalt bestehen, dass der Mensch im Jahre 1000000 ausgestorben ist, noch der Sachver-halt, dass der Mensch im Jahre 1000000 nicht ausgestorben ist? Aber es muss doch so sein, dass einer dieser beiden Sachverhalte besteht (m. a. W.: etwas Wirkliches ist), oder?

Die Eventualität, dass außer der Frage (G) – und den Fragen (A), (B), (C) in Abschnitt 4 – auch die Fragen (D), (E) und (F) keine tiefen metaphysischen Fragen sind, lässt sich nicht ausräumen. Umso wichtiger ist es, dass nahe bei (D), (E), (F) und (G) vier andere Fragen sind, deren meta-physische Tiefe bei der 2-qualitativen Theorie des Wirklichseins von Individuen, von Sachverhalten und von möglichen Welten sicher ist: (D´) Warum bin ich – dieses OMOZ – etwas Wirkliches , und nicht vielmehr nichts Wirkliches ? (E´) Warum ist ich* – dieses Leibniz-Individuum – etwas Wirkliches , und nicht vielmehr nichts Wirkliches ? (F´) Warum ist W* – diese mögliche Welt – etwas Wirkliches , und nicht vielmehr nichts Wirkliches ? (G´) Warum ist der Sachverhalt, dass ich am 24.1.2020 um 6 Uhr 21 denke, etwas Wirkliches , und nicht vielmehr nichts Wirkliches ? Wie die Fragen (D), (E), (F) und (G) sind auch die Fragen (D´), (E´), (F´) und (G´) von Leibniz in-spiriert (und zwar von der Frage, die sich seinem späten Opusculum „In der Vernunft gegründete Prinzipien der Natur und der Gnade“ unmittelbar im Anschluss an die Frage, die hier als „Leibniz’-sche Frage“ bezeichnet wurde, entnehmen lässt). Wie die Fragen (D), (E), (F) und (G) sind auch die Fragen (D´), (E´), (F´) und (G´) bei der relationalen Theorie des Wirklichseins von Individuen, von Sachverhalten und von möglichen Welten metaphysisch flach . Während dieses „Flachfallen“ bei der ersteren Vierergruppe von Fragen als das ohnehin , als das theorieunabhängig Gegebene er-scheinen kann – egal, ob von einer relationalen oder 2-qualitativen Theorie ausgegangen wird –, ist es bei der zweiten Vierergruppe intuitiv inakzeptabel (was freilich nicht wenige Philosophen als illusionäre Fehleinschätzung betrachten würden). Nur die 2-qualitative Theorie wird dem intuitiv gegebenen Rätselcharakter der Fragen (D´), (E´), (F´) und (G´) gerecht – ihrem Rätselcharakter aufgrund der Kontingenz des in ihnen jeweils angesprochenen Falles von Wirklichsein. Ein Ver-such, diese letzteren Fragen zu beantworten, wird im 5. Kapitel dieses Buches, im Rahmen der Speziellen Metaphysik unternommen (wobei mit der Beantwortung der Frage (F´) auch die Fra-gen (E´) und (G´) beantwortet sind, wegen der essenziellen Anbindung von ich* an W* sowie der essenziellen Anbindung des Sachverhalts, von dem in (G´) die Rede ist, an W*).

Die relationale und die 2-qualitative Theorie des Wirklichseins von Individuen, von Sachver-halten und von möglichen Welten haben beide die obigen Aussagen P1 – P3´ und die Definition D4 in Geltung. Nur: Für die relationale Theorie sind diese Prinzipien – bei ihr ohne Fettdruck von „Wirkliches“ und „wirklich“ – absolut notwendigerweise wahr (P1, P2 und P3 sind triviale Konsequenzen der Definitionen D1, D2 und D3, P3´ eine Konsequenz von D3 und der Logik des Prädikats „x ist etwas Wirkliches in der möglichen Welt w“ in Anbetracht dessen, dass W* notwendigerweise eine mögliche Welt ist), für die 2-qualitative Theorie nur kontingenterweise .

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Beide Theorien werden ergänzt durch das folgende umfassende (nicht nur Individuen, Sach-verhalte und mögliche Welten betreffende) Oberprinzip, aus dem P1, P2 und P3 logisch folgen:P4: Für alle x: x ist etwas Wirkliches/ Wirkliches genau dann, wenn x etwas Wirkliches in der möglichen Welt W* ist.

Aber für die relationale Theorie ist P4 – als definitorisches Prinzip, hervorgegangen aus der Defi-nition D5: x ist etwas Wirkliches =Def x ist etwas Wirkliches in der möglichen Welt W* – absolut notwendigerweise wahr, für die 2-qualitative Theorie – mit Fettdruck des Wortes für den nicht-relationalen Begriff des Wirklichen14 – nur kontingenterweise .

Zudem: Sowohl die 2-qualitative als auch die relationale Theorie des Wirklichseins von In-dividuen, von Sachverhalten und von möglichen Welten wird ergänzt durch eine je zugehörige Theorie des Möglichseins, die in folgendem umfassenden Prinzip besteht:

P5: Für alle x: x ist etwas (im weitesten Sinne) Mögliches – d. h.: (im weitesten Sinne) mögli-cherweise Wirkliches – genau dann, wenn x etwas Wirkliches in (mindestens) einer möglichen Welt ist.

P5 ist mit absoluter Notwendigkeit wahr (erfasst jedoch nicht jede metaphysisch signifikante Deutung des ontischen Möglichseins: siehe Kapitel 5, Abschnitt 10). Aber in der Auffassung von P5 – im Verständnis von P5 – besteht zwischen der 2-qualitativen und der relationalen Theorie des Wirklichseins ein erheblicher Unterschied. Für die 2-qualitative Theorie ist das Mögliche das möglicherweise Wirkliche ; es fällt gemäß P5 mit absoluter Notwendigkeit zu-sammen mit der Summe all dessen, was in irgendeiner möglichen Welt etwas Wirkliches ist. Für die relationale Theorie nun ist das Mögliche das möglicherweise Wirkliche, aber dieses ist nicht etwa das möglicherweise in der möglichen WeltW* Wirkliche (wie man es vielleicht er-warten würde, da ja gemäß der relationalen Theorie das Wirkliche das in der möglichen Welt

7. Abstrakt und konkret , physisch und nichtphysisch W* Wirkliche ist); denn das möglicherweise in der möglichen Welt W* Wirkliche ist ja nichts anderes als das in der möglichen Welt W* Wirkliche

Zweifellos ist manches möglich, was nicht etwas Wirkliches in der möglichen Welt W* ist (den-ken wir nur an andere mögliche Welten als W*). Für die relationale Theorie ist das Mögliche – das möglicherweise Wirkliche – also was ? Nun, mit absoluter Notwendigkeit die Summe all dessen, was in irgendeiner möglichen Welt etwas Wirkliches ist (wie es P5 sagt) – ungeachtet dessen, dass es dem meisten davon im Rahmen der relationalen Theorie des Wirklichseins gar nicht möglich ist, etwas Wirkliches zu sein, weil es nämlich nicht etwas Wirkliches in der mögli-chen Welt W* ist, also mit absoluter Notwendigkeit nicht etwas Wirkliches in jener Welt ist (siehe den obigen letzten Anmerkungseinschub), also (gemäß D5) mit absoluter Notwendigkeit nichts Wirkliches ist. Es ist offensichtlich: Auch in ihrer Auffassung des Möglichseins schneidet die relationale Theorie des Wirklichseins im Vergleich mit der 2-qualitativen Theorie schlechter ab. Hinzukommt: Die erstere Theorie hat über P5 hinaus nichts weiter zum möglicherweise Wirk-lichen zu sagen (was ein Nachteil ist, wie sich herausstellen wird), die letztere durchaus etwas.

7. Abstrakt und konkret , physisch und nichtphysisch

Abstrakt und konkret (oder: nichtabstrakt ) sind sehr wichtige allgemeinmetaphysische Quali-tätsbegriffe (gemeint ist: allgemeinmetaphysische 1-qualitative Begriffe), wobei beide Begriffe den Transzendentalienstatus  – selbst den einer 4)-Transzendentalie  – verfehlen (siehe Ab-schnitt 2). In der Nähe von abstrakt und konkret befinden sich zwei andere allgemeinmetaphy-sische Qualitätsbegriffe (die allerdings ihre großen Auftritte erst in der Speziellen Metaphysik haben): physisch und nichtphysisch . Die begrifflichen Verhältnisse (sie bestehen mit absoluter Notwendigkeit) sehen wie folgt aus: (a) Jede physische singuläre Entität ist eine konkrete sin-guläre Entität; (b) jede abstrakte singuläre Entität ist eine nichtphysische singuläre Entität. Da konkret mit nichtabstrakt identisch ist („konkret“ und „nichtabstrakt“ also Synonyme sind), sind die beiden Sätze (a) und (b) miteinander logisch (logisch i. w. S.: analytisch) äquivalent. Aus demselben Grund sind auch miteinander logisch äquivalent die Umkehrungen der Sätze

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(a) und (b): (a´) Jede konkrete singuläre Entität ist eine physische singuläre Entität; (b´) jede nichtphysische singuläre Entität ist eine abstrakte singuläre Entität. Anders als (a)/(b) ist (a´)/(b´) aber keine unkontroverse Wahrheit, sondern (a´)/(b´) bringt eine nicht allgemein akzep-tierte (wenn auch heute überaus populäre) allgemeinmetaphysische Position zum Ausdruck: den Physikalismus .

Gemäß dem Physikalismus beschränken sich die nichtphysischen singulären Entitäten auf die abstrakten singulären Entitäten. Nimmt man an, dass das deshalb so ist (nämlich logisch trivia-lerweise so ist), weil rein gar nichts eine nichtphysische singuläre Entität ist (woraus sich mit (b) ergibt, dass auch rein gar nichts eine abstrakte singuläre Entität ist), dann vertritt man einen kru- den Physikalismus (der wenig plausibel ist). Nimmt man hingegen neben (a´)/(b´) [und, natür-lich, neben (a)/(b)] an, dass manche singuläre Entität nichtphysisch ist, dann vertritt man einen geschliffenen Physikalismus (wie man ihn paradigmatisch bei Willard van Orman Quine findet).Ist der Physikalismus falsch – ist (a´)/(b´) falsch –, so könnte es eine „Überraschungstranszen-dentalie“ geben: Nichtphysisch könnte eine Transzendentalie sein, mindestens eine 4)-Transzen-dentalie, möglicherweise sogar eine 2)-Transzendentalie (bezogen auf das Kategoriensystem Σ). Denn die Falschheit des Physikalismus würde angesichts der Wahrheit von (a)/(b) bedeuten, dass das Nichtphysischsein bei den singulären Entitäten über das Abstraktsein (extensional) hinausreicht ; dass die nichtphysischen singulären Entitäten sich nicht auf die abstrakten be-schränken. Damit ist auch in Kategorien, die dem Abstrakten vollkommen abhold scheinen, den Individuumskategorien, dem Nichtphysischen eine Chance gegeben. Beim Abstrakten ist überall dort, wo es unter einer Kategorie vorkommt, dadurch Nichtphysisches in jedem Einzel-fall des Vorkommens mitgegeben. Vielleicht ist auch beim Konkreten überall dort, wo es unter einer Kategorie vorkommt, zwar nicht in jedem, aber doch in manchem Einzelfall dieses Vor-kommens Nichtphysisches mitgegeben.

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7. Abstrakt und konkret , physisch und nichtphysisch

Beim Physischsein – und damit auch beim Nichtphysischsein – lässt sich das gleiche Phäno-men beobachten wie beim Wirklichsein: die kategorienbezogene Vielförmigkeit. Eine physische bzw. nichtphysische Eigenschaft oder ein physischer bzw. nichtphysischer Sachverhalt muss of-fenbar in einer anderen Weise etwas Physisches bzw. Nichtphysisches sein, als es ein Individuum ist. Es gibt hier aber auch eine besondere Schwierigkeit:

Jede Eigenschaft sollte doch wohl entweder physisch oder nichtphysisch sein, m. a. W.: sie sollte genau dann nichtphysisch [„nicht“ und „physisch“ zusammengeschrieben] sein, wenn sie nicht physisch [„nicht“ und „physisch“ auseinander geschrieben] ist. Aber es scheint un-möglich, dieser  – scheinbar trivialen  – Forderung Genüge zu tun. Ist eine Eigenschaft et-was Physisches, wenn sie durch etwas Physisches exemplifiziert wird? Das scheint zu wenig (also nicht hinreichend) für ihr Physischsein, und so definiert man: (α) Eine Eigenschaft ist etwas Physisches genau dann, wenn mit Notwendigkeit gilt: alles, durch was sie exemplifiziert wird, ist etwas Physisches. Aber ist denn eine Eigenschaft schon dann etwas Nichtphysisches, wenn es möglich ist, dass manches, durch was sie exemplifiziert wird, nichts Physisches ist (wie man im Sinne der obigen Definition nun sagen müsste)? Das scheint zu wenig (also nicht hin-reichend) für ihr Nichtphysischsein, und so definiert man: (β) Eine Eigenschaft ist etwas Nicht-physisches genau dann, wenn mit Notwendigkeit gilt: alles, durch was sie exemplifiziert wird, ist nichts Physisches. Offenbar ist jedoch bei den beiden angeführten – höchst adäquat anmu-tenden – Definitionen (α) und (β) nun manche Eigenschaft (z. B. die Eigenschaft, ein konkretes Individuum zu sein) weder physisch noch nichtphysisch, und die Eigenschaft, von sich selbst verschieden zu sein ist sogar sowohl physisch als auch nichtphysisch (denn mit Notwendigkeit gilt, dass sie durch nichts exemplifiziert wird; was zur Folge hat, dass das Definiens jede der beiden Definitionen durch sie trivialerweise erfüllt wird).

Soll man also  – kann man  – bei gewissen Eigenschaften von ihrer eigenschaftlichen Unvoll-ständigkeit bzw. Inkonsistenz ausgehen (analog der eigenschaftlichenUnvollständigkeit bzw. Inkonsistenz der Anderen Individuale; siehe Kapitel 2, Abschnitt 5, Unterabschnitt Andere In- dividuale )? Auch wenn dies keineswegs jenseits des Erwägbaren ist (siehe Abschnitt 11, wo eigenschaftliche Unvollständigkeit und Inkonsistenz auch für andere Entitäten als Andere Indi-viduale in Betracht gezogen wird), ist es bei dem beschriebenen Verhalten von „physisch“ und „nichtphysisch“ wohl besser, statt auf die eigenschaftliche Unvollständigkeit bzw. Inkonsistenz

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mancher Eigenschaft zu schließen, schlicht zuzugeben, dass man nicht weiß, was jene generel-len Terme (und zugehörigen Prädikate: „x ist physisch“, „x ist nichtphysisch“) in Anwendung auf Eigenschaften nun eigentlich bedeuten. Der Begriff physisch und seine Negation haben ihr „Zuhause“ bei den Individuen. Auch dort sind sie nicht ganz leicht zu fassen; aber die Schwie-rigkeit, sie zu fassen, wächst exorbitant an, wenn sie außerhalb ihres „Zuhauses“ eingefangen werden sollen. Andererseits ist kaum zu leugnen, dass manche Eigenschaften (gewiss nicht alle) etwas Konkretes sind – im Unterschied zu den einstelligen Begriffen , die allesamt etwas Abstrak-tes sind. Warum sollten nicht manche von den konkreten Eigenschaften etwas Physisches (und nichts Nichtphysisches) sein, andere etwas Nichtphysisches (und nichts Physisches)? Beispiele sind schnell bei der Hand: die Eigenschaft, 100 kg Masse zu haben, ist eine physische, darum konkrete, Eigenschaft, wenn irgendetwas eine physische Eigenschaft ist; die Eigenschaft, eine Schmerzempfindung zu sein, ist eine konkrete nichtphysische Eigenschaft, wenn irgendetwas eine konkrete nichtphysische Eigenschaft ist.

8. Der Begriff des Naturalen – und Naturalismus und Physikalismus

Der Begriff des Naturalen steht an der Schwelle der Speziellen Metaphysik, denn er involviert in seiner Definition den Begriff der Verursachung und den Begriff der Person (oder allgemeiner: des Personalen ); diese beiden Begriffe gehören der Speziellen Metaphysik an. Etwas ist nämlich natural (oder: etwas Naturales ) der Definition nach genau dann, wenn es unverursacht wirklich ist oder ohne personale Mitwirkung verursacht ist. Es ist demnach eine begriffliche Wahrheit, dass jede naturale singuläre Entität etwas Wirkliches ist; um dies zu sehen, ist neben der gerade angegebenen Definition des Naturalen nur zu berücksichtigen, dass aus Verursachtsein Wirk-lichsein logisch (oder: begrifflich, analytisch) folgt.

8. Der Begriff des Naturalen  – und Naturalismus und Physikalismus Die These, dass jede wirkliche (etwas Wirkliches seiende) singuläre Entität natural ist (also die Umkehrung der oben angegebenen begrifflichen Wahrheit), ist der Naturalismus . Wäre sie rich-tig, so würde damit, natural zu einer 3)-Transzendentalie – wie wirklich , denn die Wahrheit des Naturalismus bedeutete ja, dass natural und wirklich von denselben singulären Entitäten in-stanziiert werden. Wäre dann außer dem Naturalismus auch noch der (onto-regional uneinge-schränkte) Aktualismus richtig, so avancierte natural mit wirklich sogar zur 1)-Transzendentalie.

An Philosophen, die sowohl den Naturalismus als auch den Aktualismus vertreten, mangelt es nicht. Häufiger noch in diesen Tagen ist aber, dass Naturalismus („Jede wirkliche singuläre Enti-tät ist natural“) und Physikalismus („Jede konkrete singuläre Entität ist physisch“) zusammen vertreten werden und dabei, wenn nicht für dasselbe (d. h.: für dieselbe Proposition) oder für logisch (analytisch) äquivalent, so doch nicht bloß für wahrheitswertweise äquivalent , sondern zudem für hinsichtlich paralleler Konstituentenbegriffe (in ihrem Propositionsaufbau)äquiva-lent gehalten werden. Ihre Äquivalenz hinsichtlich paralleler Konstituentenbegriffe ergäbe sich, wenn (und nur wenn) die Begriffe wirklich und konkret im Bereich der singulären Entitäten ko-extensional wären, und die Begriffe natural und physisch ebenfalls. Offensichtlich wahr sind diese Voraussetzungen freilich nicht. Es kann, zum einen, metaphysisch-rational (rational in metaphysischen Dingen) vertreten werden (und wird hier ja tatsächlich vertreten), dass manche abstrakte singuläre Entität wirklich und dass manche konkrete singuläre Entität bloß möglich ist (aus jeder dieser beiden Propositionen folgt logisch die Verneinung der Ko-Extensionali-tät von wirklich und konkret im Bereich der singulären Entitäten). Und es kann, zum anderen, metaphysisch-rational vertreten werden, dass manche naturale singuläre Entität nicht physisch ist – ja sogar, dass manche physische singuläre Entität, die etwas Wirkliches ist , nicht natural ist (aus jeder dieser beiden Propositionen folgt logisch die Verneinung der Ko-Extensionalität von natural und physisch im Bereich der singulären Entitäten).

Oft meint man mit „Physikalismus“ allerdings nicht die Behauptung „Jede konkrete singuläre Entität ist physisch“ (die Umkehrung der logischen Wahrheit „Jede physische singuläre Entität

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ist eine konkrete singuläre Entität“), sondern nur die Behauptung „Jede konkrete und wirkliche singuläre Entität ist physisch“: den Wirklichkeitsphysikalismus . Und oft meint man mit „Natura-lismus“ nicht die Behauptung „Jede wirkliche singuläre Entität ist natural“ (die Umkehrung der logischen Wahrheit „Jede naturale singuläre Entität ist eine singuläre Entität, die etwas Wirk-liches ist“), sondern nur die Behauptung „Jede wirkliche und konkrete singuläre Entität ist natu-ral“: den Konkretheitsnaturalismus . Wirklichkeitsphysikalismus und Konkretheitsnaturalismus haben schon rein logisch bessere Chancen, zusammen wahr zu sein, als Physikalismus und Na-turalismus (im Sinne der obigen ersten Deutung von „Physikalismus“ und „Naturalismus“). Sind nun wenigstens sie – Konkretheitsnaturalismus und Wirklichkeitsphysikalismus – hinsichtlich paralleler Konstituentenbegriffe äquivalent ? Dazu müssten physisch und natural im Bereich der konkreten und wirklichen singulären Entitäten ko-extensional sein. Doch offensichtlich wahr ist auch diese Voraussetzung nicht: Es ist innerhalb der metaphysischen Rationalität vertretbar, (a) dass manche konkrete und wirkliche singuläre Entität zwar physisch, aber nicht natural ist, und (b) dass manche konkrete und wirkliche singuläre Entität zwar natural, aber nicht physisch ist. Aus jeder dieser beiden Propositionen folgt logisch die Verneinung der Ko-Extensionalität von physisch und natural im Bereich der konkreten und wirklichen singulären Entitäten. Zu-dem: Aus Proposition (a) folgt logisch die Verneinung des Konkretheitsnaturalismus, und aus Proposition (b) die Verneinung des Wirklichkeitsphysikalismus. Die Natur 1 als die Totalität des konkreten und wirklichen Naturalen und die Natur 2 als die Totalität des konkreten und wirk-lichen Physischen sind nicht selbstverständlich identisch; noch ist es selbstverständlich, dass die Natur in ihren heute beliebtesten Ausdeutungen: als Natur 1 oder als Natur 2

,16 alles Konkrete und Wirkliche umfasst. Ist die Natur die Natur1

, so ginge ihr Konkretes und Wirkliches ab, das physisch, aber nicht natural ist; ist sie die Natur2

, so fehlte ihr Konkretes und Wirkliches, das natural, aber nicht physisch ist.

9. Metaphysikvermeidung?

Bei vielen Philosophen findet sich das – auch behauptete – Bestreben der Metaphysikvermei- dung . Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich freilich dieses Bestreben nur allzu oft als ein un-

9. Metaphysikvermeidung?ausgesprochenes Festhalten an – und Verfechten von – einer bestimmten Metaphysik: einer, die einem sehr am Herzen liegt. Das Phänomen der (vorgeblichen) Metaphysikvermeidung lässt sich gut am Thema Existenz  – an einem der Themen dieses Kapitels – ersehen und analysieren.Gegeben sind zwei Interessen: Zum einen möchte man behaupten: „Alles existiert“; zum ande-ren möchte man behaupten: „τ existiert nicht“, und zwar für viele singuläre Terme τ. Gemäß der klassischen Logik – näherhin: gemäß dem dictum de omni , dem Grundprinzip der klassischen Prädikatenlogik (klassischen Quantorenlogik): „Was für alle gilt, das gilt auch für τ“, wobei τ ein beliebiger singulärer Term ist – ist aber beides zusammen zu behaupten ein logischer Wider-spruch. Wir haben also ein Problem. Was ist zu tun?

Der Ausgangspunkt für den ontologischen Weg , mit der geschilderten Situation umzugehen, ist im Abschnitt 3 (über Existenz) schon angegeben: Existenz als Etwassein ist zu unterscheiden von Existenz als Wirklichsein. Das Problem ergibt sich dann schlicht durch Äquivokation (und verschwindet folglich, sobald die Äquivokation erkannt ist): Wenn man behauptet „Alles exis-tiert“ (und etwas Wahres sagt), verwendet man „existiert“ in einem anderen Sinn, als wenn man gleichzeitig behauptet „τ existiert nicht“ (und etwas Wahres sagt); in der ersteren Behauptung besagt „existiert“ so viel wie „ist etwas“, in der letzteren besagt „existiert“ so viel wie „ist etwas Wirkliches“ (und wird, was τ angeht, wahrheitsgemäß verneint). Der Widerspruch löst sich also auf; er war nur ein scheinbarer: ein auf bloße Äquivokation zurückführbarer. Zwischen „Alles ist etwas“ und „τ ist nicht etwas Wirkliches“ besteht ja kein logischer Widerspruch. Man kann beides zusammen behaupten. Allerdings muss man dann auch – der klassischen Logik folgend – behaupten, dass manches nichts Wirkliches ist .

Was ist der non-ontologische Weg mit der geschilderten Situation umzugehen? Dieser: Man versteht, erstens, den Quantor „alles“ im Sinne von „alles Existierende“; man versteht ihn „exis-tenziell geladen“. Dadurch wird „Alles existiert“ nicht nur zu einer formallogischen, sondern zudem zu einer völlig trivialen Wahrheit; es ist dann gleichbedeutend mit „Alles Existierende existiert“. (Es kann hierfür völlig offen bleiben, was eigentlich mit „x existiert“ gemeint ist.) Man versteht, zweitens, „existiert“, wenn es auf einen singulären Term τ angewendet wird, in einem metasprachlichen, rein semantischen Sinn, nämlich im Sinn von „‚τ‘ bezeichnet etwas“, was, da τ ein singulärer Term ist, auf „‚τ‘ bezeichnet genau eine Entität“ hinausläuft. Es gilt also das folgende Synonymitätsschema: τ existiert := ‚τ‘ bezeichnet etwas (wobei für „τ“ links und

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rechts von „:=“ ein beliebiger singulärer Term – nicht etwa bloß der Name eines singulären Terms – eingesetzt werden kann, und zwar rechts zwischen einfachen Anführungszeichen); es gilt demnach z. B. als synonym: „Pegasus existiert“ und „‚Pegasus‘ bezeichnet etwas“. Wenn man also behauptet, wie man es so gerne möchte, „Alles existiert, aber τ existiert nicht“, so behauptet man „Alles Existierende existiert, und ‚τ‘ bezeichnet nichts“. Ein logischer Widerspruch ist nun auch das nicht. Auch der non-ontologische, rein semantische Weg, mit der oben geschilderten augenscheinlich antinomischen Situation umzugehen, führt also zu einer Lösung des Problems. Allerdings kann bei ihm das dictum de omni nicht so bleiben, wie es in der klassischen Logik ist; es muss modifiziert werden, und zwar wie folgt: „Was für alle gilt, dass gilt auch für τ“, wobei τ ein beliebiger singulärer Term ist, bei dem „τ existiert“ wahr ist . (Man geht hiermit von der klas-sischen Logik zu einer Version der sog. Freien Logik über.)

Es wäre ein kleiner Preis, der beim Beschreiten des non-ontologischen Weges zu zahlen ist, wenn diese Modifikation des dictum de omni das Einzige wäre, was jener Weg an Beschwernis-sen mit sich bringt. Hier sind andere solche: Gemäß dem non-ontologischen Weg ist „Sherlock Holmes [Harry Potter, Pegasus] existiert nicht“ deshalb wahr, weil der Name „Sherlock Holmes [etc.]“ nichts bezeichnet. Aber das passt weder zu Vergleichsaussagen über Nichtexistentes, wie „Sherlock Holmes ist intelligenter als jeder existierende Kommissar“, noch zu Anzahlaussagen über Nichtexistentes, wie „Sherlock Holmes, Harry Potter und Pegasus sind drei nichtexistente Objekte“. Offensichtlich muss der non-ontologische Weg die folgende tiefverwurzelte Intuition als Illusion ansehen: Wenn man über Sherlock Holmes redet, insbesondere sagt, dass er nicht existiert, dann redet man doch nicht über seinen Namen! Man macht da doch keine verborgen-metasprachlichen Aussagen! Intuitionen allerdings, meinen nicht wenige Philosophen, seien nur dazu da, dass man sich über sie hinwegsetzt.

Zu den Beschwernissen des non-ontologischen Weges kommt aber hinzu, dass der non-on-tologische Weg „existiert“ in namenfreien, rein quantifizierenden Kontexten – wie „Alles exis-tiert“ und „Manches existiert“ – keine Bedeutung verliehen hat. Das ließe sich freilich ändern: In namenfreien, rein quantifizierenden Kontexten möge „x existiert“ so viel bedeuten wie „x ist mit etwas identisch“. Interpretiert man „x existiert“ so , so kann man sogar auf das existenzielle Aufladen des Quantors „alles“ verzichten; es ist nicht mehr nötig, um die erwünschte unbezwei-felbare Wahrheit von „Alles existiert“ zu erreichen.

Jedoch, es gibt nun eine weitere erhebliche Beschwernis: „existiert“ in namenfreien, rein quantifizierenden Kontexten bedeutet gemäß der erfolgten Festlegung dasselbe wie „ist mit et-was identisch“; aber „τ existiert“ bedeutet nach wie vor dasselbe wie „‚τ‘ bezeichnet etwas“. Sollte „existiert“ nicht in namenfreien, rein quantifizierenden Kontexten und bei Namen (bei singu-lären Termen) τ dasselbe bedeuten? Man könnte antworten, dass „existiert“ doch sehr wohl auch bei Namen τ dasselbe wie „ist mit etwas identisch“ bedeute, weil „τ ist mit etwas identisch“ doch nichts anderes bedeute als „‚τ‘ bezeichnet etwas“; es gelte doch das folgende Synonymitäts-

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9. Metaphysikvermeidung?schema: τ ist mit etwas identisch := ‚τ‘ bezeichnet etwas. Aus diesem Grund könne man „Alles existiert, aber τ existiert nicht“ synonym auch wie folgt sagen: „Alles ist mit etwas identisch, aber τ ist mit nichts identisch [kurz: τ ist nichts ]“.

Diese Antwort ist jedoch nicht zureichend, auch wenn sie ansonsten richtig sein sollte. Denn weil „ist mit etwas identisch“ in namenfreien, rein quantifizierenden Kontexten offen-sichtlich etwas anderes bedeutet, als gemäß dem gerade angegebenen Synonymitätsschema „ist mit etwas identisch“ bei Namen bedeutet, bleibt die zuletzt aufgewiesene Beschwernis in vollem Umfang bestehen.

Wenn der non-ontologische Weg, mit der augenscheinlichen Wahrheit (für viele singuläre Ter-me τ) von „Alles existiert, aber τ existiert nicht“ umzugehen, keineswegs so beschwernisfrei ist, wie er auf den ersten Blick scheinen mag, aber viele Philosophen dennoch an ihm festhalten, was macht ihn dann so attraktiv, dass er dem ontologischen Weg vorgezogen wird? Es ist ein einziger Grund: Der non-ontologische Weg bringt nicht mit sich, was der ontologische Weg mit sich bringt, nämlich, dass manches nichts Wirkliches ist : die Verneinung des onto-regional un-eingeschränkten Aktualismus. Aus dieser Verneinung ergibt sich, da „x ist etwas Wirkliches“ in der Befolgung des ontologischen Weges eine legitime Ausdeutung von „x existiert“ ist: Manches existiert nicht  – in dem Sinn, in dem Meinong es meinte (also in dem Sinn von „Manches ist nichts Wirkliches“). Und die Wahrheit von „Manches existiert nicht“ gilt vielen Philosophen, obwohl sie bei einer der zwei legitimen Deutungen von „x existiert“ folgerbar ist, bei der ande-ren durchaus nicht, als unbedingt und schlechterdings völlig untragbar ; sie differenzieren nicht .

Hinter dem angeblich non-ontologischen Weg stecken zwei massive ontologische Interessen: der Glaube an die Wahrheit von „Alles ist wirklich“ und der Glaube an die Wahrheit von „Al-les existiert“. Und mit dem letzteren Glauben verbindet sich der Glaube an die Univozität von „existiert“ (jedenfalls in namenfreien, rein quantifizierenden Kontexten17). Diese drei ontolo-gischen Glaubensannahmen möchte man ohne ontologische Kosten gestützt sehen – was für deren Rechtmäßigkeit spräche, wenn sie sich so stützen ließen. Man übersieht aber dabei, dass man ganz erhebliche ontologische Kosten doch schon längst auf sich gezogen hat, nämlich als man sich für den onto-regional uneingeschränkten Aktualismus, für die Allexistenz (oder: den Existenzuniversalismus) und die Univozität von „existiert“ grundsätzlich entschieden hat. Und was man da „kaufte“, war keineswegs „billiger“ als der Non-Aktualismus, die Plurivozität von „existiert“ und die Negation der Allexistenz (in einer  – nicht in jeder  – der legitimen Deutungen von „existiert“).

Mit alledem soll nicht gesagt sein, dass es nicht manchmal (oder vielmehr oft) am besten ist, „τ existiert nicht“ rein semantisch (daher metasprachlich) zu gebrauchen und zu verstehen: nämlich im Sinne von „‚τ‘ bezeichnet nichts“. Wenn einer in einer gewöhnlichen Gesprächs-situation sagt, „Der Literaturnobelpreisträger des Jahres 2018 existiert nicht“, so dürfte er nichts anderes meinen als nun eben, dass der singuläre Term „der Literaturnobelpreisträger des Jahres 2018“ nichts bezeichnet. Man sollte nur nicht aus dem rein semantischen Verständnis von „τ existiert nicht“ eine Sache des generellen Prinzips machen, mit dem Anspruch dieses Verständ-nis sei in Sachen Ontologie ganz unverdächtig (weil neutral) und darum besonders „plausibel“ und darum, wiederum, in ontologischen Dingen „entscheidend“.

Der ontologische Glaube an den onto-regional uneingeschränkten Aktualismus, an die All-existenz und an die Univozität von „existiert“ steht auch hinter dem folgenden logisch-seman-tischen (gänzlich non-ontologischen) Trick , der im Rahmen der modalen Prädikatenlogik zum Standard geworden ist, obwohl starke logische Intuitionen gegen ihn sprechen.

Der Quantor „Für alle x“ wird da sowohl existenziell geladen als auch (implizit) weltenre-lativ verstanden; er wird, m. a. W., im Sinne von „Für alle x, die in der möglichen Welt w [in der jeweiligen Bezugswelt w] existieren“ verstanden. Weil ganz gleichgültig, welche möglichen Welten der Sprache zugrunde liegen, und ganz gleichgültig, um welche mögliche Welt w es sich unter diesen zugrunde liegenden möglichen Welten handelt, stets „Alle x, die in w existieren, existieren in w“ wahr ist, wird durch diesen Trick  – es handelt sich um nichts anderes – „Es ist notwendig, dass alles existiert“ (oder semiformal, deshalb „holprig“, aber strukturenthüllend gesagt: „Es ist notwendig, dass für alle x: x existiert“ [☐∀xE(x)]) zu einer modallogischen Wahr- heit . Deutet man dann „x existiert“ durch „x ist etwas Wirkliches“ (was an sich völlig legitim ist), so folgt ebenfalls als modallogische Wahrheit: „Es ist notwendig, dass alles etwas Wirkliches ist“.

9. Metaphysikvermeidung?Und ohnehin ist ja dies eine modallogische Wahrheit: „Es ist notwendig, dass alles etwas [mit etwas identisch] ist“. Die Frage, ob „existiert“ univok ist oder nicht, erscheint angesichts die-ser drei, nicht zuletzt dem Trick sich verdankenden modallogischen Wahrheiten als eine bloße Geschmacksfrage. Der Trick zeitigt Allexistenz, onto-regional uneingeschränkten Aktualismus und Univozität von „existiert“ – das, was man metaphysisch glauben will – mit einem Schlag als etwas, was doch „nur logisch“ ist.

Nun scheint aber andererseits das folgende Prinzip logisch zu gelten: Wenn es für etwas mög-lich ist, dass es nicht ϕ- t , dann ist es möglich, dass etwas nicht ϕ- t (formal: ∃x◊¬ϕ[x] ⊃ ◊∃x¬ϕ[x]). Z. B. (ein Beispiel von unzähligen): Wenn es für ein x möglich ist, dass es nicht 100 Jahre alt wird, dann ist es möglich, dass ein x nicht 100 Jahre alt wird. Auch das Folgende ist eine Instanz des fraglichen Prinzips: Wenn es für ein x möglich ist, dass es nicht existiert, dann ist es möglich, dass ein x nicht existiert [formal: ∃x◊¬E(x) ⊃ ◊∃x¬E(x)]. Und nun sieht man, dass der logisch-semantische Trick, der das den interessierten Kreisen hochwillkommene Ergebnis zeitigt, dass es aus formallogischen Gründen notwendig ist, dass alles existiert, doch einen kleinen Nachteil hat: Bei der Einsetzung von „existiert“ für „ϕ- t “ (wie gerade getätigt) gilt das fragliche Prinzip nicht: es hat da eine Ausnahme. Würde es auch bei dieser Einsetzung gelten, so würde nämlich, da es in so vielen Einzelfällen (mindestens aber in meinem Fall) möglich ist, nicht zu existieren, d. h.: nicht notwendig ist zu existieren, mit ihm folgen, dass es möglich ist, dass etwas nicht existiert – im glatten Widerspruch zur (angeblichen) Wahrheit von „Es ist notwendig, dass alles existiert“.

Die Suspendierung eines hochplausiblen modallogischen Gesetzes (nennt man es nicht gar eine „fallacy“?) macht den interessierten Kreisen freilich nichts aus, zumal es sich vollkommen verständlich machen lässt, warum es bei dem von ihnen gewählten logisch-semantischen An-satz kein Gesetz sein kann. Das darf aber den Blick dafür nicht trüben, dass es eben auch anders geht : dass es einen anderen logisch-semantischen Ansatz gibt, der andere Ergebnisse zeitigt; wodurch überaus deutlich wird, dass man nicht durch logisch-semantische Tricks ontologische Fragen – Existenzuniversalismus? Aktualismus? Univozität von „existiert“?  – entscheiden kann. Dieser Ansatz geht wie folgt:

Der Quantor „Für alle x“ [∀x] wird weder existenziell geladen noch weltenrelativ verstanden; er wird, m. a. W., im Sinne von „Für überhaupt alle x“ verstanden: nämlich, als über einen für alle möglichen Welten einheitlichen Grundbereich – Quantifikationsbereich – von Entitäten „laufend“. Dieser Ansatz ist nicht etwa automatisch ontologisch teurer als der zuvor abgehandel-te (faktische) Standardansatz: Ob man nun von vornherein jeder möglichen Welt einen ihr eige-

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nen Grundbereich der in ihr existierenden Entitäten zuordnet, oder aber zuerst von einem ein-heitlichen Grundbereich ausgeht und dann (mittels des Prädikats „x existiert in der möglichen Welt w“) aus diesem einheitlichen Grundbereich den jeder möglichen Welt eigenen Grund-bereich der in ihr existierenden Entitäten ausschneidet, und zwar ohne am Ende verbleibenden Rest 18 – das bleibt sich ganz gleich (ist „gehupft wie gesprungen“). Was nun die Ausdruckskraft des Quantors „Für überhaupt alle x“ gegenüber dem Quantor „Für alle x, die in der möglichen Welt w [in der jeweiligen Bezugswelt w] existieren“ angeht, so ist sie allerdings eine erheblich größere: Letzterer Quantor lässt sich ohne Weiteres durch den ersteren definieren; vice versa geht das nicht.

Der hauptsächliche Unterschied zum Standardansatz ist nun aber der, dass beim Alternativ-ansatz das der logischen Intuition nach logische Gesetz „Wenn es für etwas möglich ist, dass es nicht ϕ- t , dann ist es möglich, dass etwas nicht ϕ- t “ sich „ordnungsgemäß“ als logisches Gesetz beweisen lässt.

Wer will nun behaupten, dass der Standardansatz rein als ein logisch-semantischer Ansatz der richtige ist, der Alternativansatz hingegen der falsche? Man kann das nicht behaupten; denn rein als logisch-semantische Ansätze sind die beiden Ansätze gleichwertig (wenn nicht gar der Alternativansatz ein wenig überlegen ist, durch die größere Ausdruckskraft des Quantors „Für alle x“ bei ihm).

Wenn man freilich ontologisch am Existenzuniversalismus interessiert ist, dann kommt ei-nem der Standardansatz zustatten, mit seiner Konsequenz, dass „Es ist notwendig, dass alles existiert“ eine logische Wahrheit ist. Nur darf man nicht meinen, der Existenzuniversalis-mus würde dadurch schlechterdings bewiesen. Wählt man den in logisch-semantischer Hin-sicht mindestens gleichwertigen Alternativansatz, so kommt ja aufgrund dessen, dass es für manches möglich ist, nicht zu existieren (was unzweifelhaft ist), heraus, dass es möglich ist, dass manches nicht existiert . Man sollte sich nicht durch das existenziell geladene und wel-tenrelative Verständnis des Quantors „Für alle x“ (und folglich auch des Quantors „Für ein x“) – also durch einen logisch-semantischen Trick – die Einsicht verbauen lassen, dass daraus, dass man selbst in einer gewissen möglichen Welt nicht existiert (was doch bei den meisten von uns unzweifelhaft wahr ist), in einem völlig legitimen Sinn (wenn auch nicht im Sinne des Standardansatzes) logisch folgt, dass in einer gewissen möglichen Welt manches nicht exis-tiert. Dass in einer möglichen Welt manches nicht existiert , kann dann nur heißen, dass in ihr manches nichts Wirkliches ist, nicht , dass in ihr manches nicht etwas ist;19 womit die Univozität von „existiert“ dahin ist (denn „ist etwas“ bleibt selbstverständlich eine legitime Deutung von „existiert“). Und da der Existenzuniversalismus („Alles existiert“), wenn er wahr ist, wohl notwendigerweise wahr sein müsste, wird, weil er nicht notwendigerweise wahr ist (sondern es möglich ist, dass manches nicht existiert), manches nicht existieren, sprich: nichts Wirk-liches sein; womit schließlich auch der onto-regional uneingeschränkte Aktualismus dahin wäre.

9. Metaphysikvermeidung?

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10. Vage und präzise

Mit alledem soll nicht gesagt sein, dass reine Logik und Semantik niemals Metaphysik (Onto-logie) ersetzen können. Aber, wie gesagt, wenn Metaphysikvermeidung prätendiert wird, dann stehen dahinter gewöhnlich massive metaphysische Vorentscheidungen, dahinter wiederum metaphysische Interessen. Ein anderer Fall, der Anlass zu dieser Beobachtung geben kann, ist die Behandlung des sprachlichen Phänomens der Vagheit : Viele Sätze, Prädikate, singuläre Terme sind vage . Soll man annehmen, dass dem sprachlichen Phänomen auf nichtsprachlicher Ebene vage Entitäten entsprechen? Soll man annehmen, dass sprachliche Ausdrücke (Aussage-sätze, Prädikate, singuläre Terme …) deshalb vage (im sekundären Sinn) sind, weil sie Entitäten (Propositionen, Begriffe, Begriffsobjekte …) bedeuten, die (im primären Sinn) vage sind? Soll man ein weiteres Paar allgemeinmetaphysischer Qualitätsbegriffe annehmen: vage und präzise ( nicht vage )? Soll man gar annehmen, dass vage und präzise Transzendentalien sind, vielleicht sogar 2)-Transzendentalien? Geht man von vagen Propositionen, vagen Begriffen (einstelligen und mehrstelligen) und von vagen Begriffsobjekten aus, dann liegen auch vage Sachverhalte, vage Eigenschaften und Relationen und vage Eigenschaftsobjekte nahe. Um vage Typenobjekte wird man nicht herumkommen, wenn man sich auf vage Eigenschaften einlässt. Und unter jeder der angesprochenen Kategorien wird neben dem Vagen das Präzise stehen. Und warum dann nicht auch Vages und Präzises unter jeder Subkategorie der Kategorie Individual sein lassen – und zudem unter den Restkategorien Anderes Objekt und Andere Funktion ? Somit: Wenn jede der Kategorien von Σ nichtleer ist (dies vorausgesetzt), dann erscheint es gar nicht unplausibel, dass sowohl vage als auch präzise 2)-Transzendentalien sind.

Hiergegen könnte man „Metaphysikvermeidung“ in Anschlag bringen (aus dem vorigen Ab-schnitt geht hervor, warum das Wort in Anführungsstriche gesetzt ist). Besser ist es, „ehrli-cher“, die in Wahrheit metaphysische Motivierung einer rein semantischen, non-ontologischen Auffassung der Vagheit von vornherein offenzulegen. Es sei also festgehalten (und hiermit oute ich meine eigene metaphysische Überzeugung und das mit ihr verbundene metaphysische Inte-resse; „Metaphysikvermeidung“ ist nicht mein Ding): Nur der Begriff präzise ist eine Transzen-dentalie, und zwar eine 1)-Transzendentalie: Jede singuläre Entität ist präzise, m. a. W.: Keine singuläre Entität ist vage. Und präzise ist sogar eine Erztranszendentalie; wenn alle singulären Entitäten, alle Einheiten, präzise sind, so heißt das, dass auch alle Vielheiten, alle pluralen Enti-täten, präzise sind. Auch sprachliche Ausdrücke (diese Art von Typenobjekten) sind also nicht vage  – will sagen: sie sind nicht im ontologischen Sinn vage, sondern allein im semantischen Sinn (und das nicht selten): Ein sprachlicher Ausdruck ist im semantischen Sinn vage genau dann, wenn er zwischen mehreren Bedeutungen (es können unendlich viele sein, aber nicht alle mög-lichen) gewissermaßen „unentschieden“ ist. Tatsächlich hat er da keine Bedeutung, wenn auch die ontologische Gegend, wo seine Bedeutung zu finden wäre, durchaus eingegrenzt ist und er

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10. Vage und präzise auf diese Gegend gewissermaßen schon ausgerichtet ist. Man sollte aber angesichts dessen bes-ser nicht sagen, er habe eine „vage Bedeutung“; das wäre irreführend.

Man kann einen im semantischen Sinn vagen Ausdruck im semantischen Sinn präzise machen (im ontologischen Sinn ist er es schon), indem man genau eine der (als Entitäten präzisen) Be-deutungen, zwischen denen er unentschieden ist (oder positiver gesagt: „die für ihn in Frage kommen“), als seine Bedeutung festlegt. Denn es ist ja klar: Die Wendungen „bedeutet“, „ist zwischen mehreren Bedeutungen unentschieden“, „kommt als Bedeutung in Frage“ beziehen sich stets auf die Sprache, so wie sie gerade ist . Durch Präzisierungsarbeit kann die Sprache aus dem Status quo heraus verändert werden (und wird sie ja auch beständig verändert). Alles, was sich dabei wirklich ändert, ist freilich die Sprache, nämlich die semantischen Verhältnisse bei ihr. Man macht dabei nicht etwa (ontologisch) vage Entitäten – z. B. vage Begriffe – präzise (jeden-falls nicht im eigentlichen Sinn). Denn keine Entität ist vage – es sei denn: im rein semantischen Sinn nicht wenige sprachliche Ausdrücke.

Ein Einwand gegen diese rein semantische Auffassung der Vagheit ist nun das Folgende. Zu-nächst sei bemerkt: Der Ausdruck „die Spanne der Vagheit von Ausdruck ‚Π‘ “ – m. a. W.: „die [mengentheoretische] Klasse der Entitäten, die als die Bedeutung von Ausdruck ‚Π‘ in Frage kommen“, oder auch schlicht der pluralisch-partikulare Ausdruck „die Entitäten, die als die Be-deutung von Ausdruck ‚Π‘ in Frage kommen“ – ist nicht bei jedem Ausdruck, den man in ihn für „Π“ einsetzen mag (also zwischen die einfachen Anführungszeichen setzen mag21), ein präziser Ausdruck. Z. B. ist er es nicht bei dem vagen Prädikat „x ist ein körperlich großer Mann“. Zur Spanne der Vagheit dieses Prädikats gehören sicherlich, z. B., die Begriffe mindestens 195 cm großer Mann und mindestens 200 cm großer Mann , und sicherlich nicht, z. B., der Begriff min- destens 165 cm großer Mann . Welcher Begriff aber stellt die untere Grenze der Spanne dar? Es ist der Begriff mindestens R0 cm großer Mann , wobei R0

, wie wir schon wissen, eine reelle Zahl ist mit 165 < R0

< 200. Aber welche reelle Zahl präzise ist R0

? Solange diese Frage nicht beantwortet ist, ist der Ausdruck „der Begriff mindestens R0 cm großer Mann “ kein singulärer Term der einen Begriff benennt, sondern nur das Schema eines solchen Terms. Welche reelle Zahl ist R0

? Es gibt überabzählbar viele gleichberechtigte Kandidaten.

Der Ausdruck „die Spanne der Vagheit von ‚x ist ein körperlich großer Mann‘ “ ist also vage, da keine untere Grenze der fraglichen Spanne existiert (jedenfalls keine, die unabhängig von einer willkürlichen Entscheidung wäre). Damit sind auch vage die beiden Ausdrücke, die (je für sich) als Definiens des fraglichen Ausdrucks verwendet werden können: „die [mengentheo-retische] Klasse der Entitäten, die als die Bedeutung von ‚x ist ein körperlich großer Mann‘ in Frage kommen“; „die Entitäten, die als die Bedeutung von ‚x ist ein körperlich großer Mann‘ in Frage kommen“. Aber beide Ausdrücke benennen doch etwas; der erste ist ein singulärer (sin-gularisch-partikularer) Term und benennt eine singuläre Entität: eine Klasse (ja, eine Menge) im mengentheoretischen Sinn; der zweite ist ein pluralisch-partikularer Term und benennt eine plurale Entität (ebenfalls eine Klasse, aber keine im mengentheoretischen Sinn). Und beide En-titäten, die beide nichtsprachlich sind, sind offensichtlich vage : ontologisch vage (woraus folgt, dass präzise keine Erztranszendentalie und auch keine 1)-Transzendentalie ist).

Diesem Gedankengang ist entgegenzuhalten: Es ist zuzugeben, dass nicht nur der Ausdruck „x ist ein körperlich großer Mann“, sondern auch die Ausdrücke „die Spanne der Vagheit von ‚x ist ein körperlich großer Mann‘ “, „die Klasse der Entitäten, die als die Bedeutung von ‚x ist ein körperlich großer Mann‘ in Frage kommen“ und „die Entitäten, die als die Bedeutung von ‚x ist ein körperlich großer Mann‘ in Frage kommen“ vage sind. Aber daraus folgt nicht, dass sie vage Entitäten benennen. Auch die drei letzteren Ausdrücke sind semantisch vage : sie sind zwischen

11. Vollständig und unvollständig , konsistent und inkonsistent unendlich vielen Bedeutungen (beim ersten und zweiten Ausdruck in mengentheoretischer Auffassung: zwischen unendlich vielen Begriffsobjekten) unentschieden. Das, und nur das, ist es, was aus den obigen Überlegungen tatsächlich folgt.

Was einen hier überraschen mag, ist, dass mit einem – durch „Π“ schematisch angedeuteten – Ausdruck, der semantisch vage ist, auch die Ausdrücke „die Spanne der Vagheit von ‚Π‘ “, „die Klasse der Entitäten, die als die Bedeutung von ‚Π‘ in Frage kommen“ und „die Entitäten, die als die Bedeutung von ‚Π‘ in Frage kommen“ zumindest manchmal ebenfalls semantisch vage sind (wie anhand eines Beispiels vorgeführt). Aber man darf eben nicht erwarten, dass die Vagheit jedes Falls von semantischer Vagheit sich präzise umreißen lässt. Mit jedem semantisch vagen Ausdruck α lässt sich das Prädikat „α bedeutet y“22 als semantisch vage ansehen (wenn man nicht gleich sagen will, dass α – so wie die Sprache aktuell ist – nichts bedeutet); semantisch vage kann dann ja wohl auch das Prädikat „α kann [so wie die Sprache aktuell ist] y bedeuten“ sein, m. a. W.: das Prädikat „y kommt als die Bedeutung von α in Frage“.

11. Vollständig und unvollständig , konsistent und inkonsistent

Die Worte „unvollständig“ und „vollständig“ haben mehrere, jeweils per Negation gepaarte ontologische Bedeutungen. Betrachten wir zwei davon. Die Funktionen sind 1-unvollstän-dig: sie sind alle „ungesättigt“, ergänzungsbedürftig ; die Objekte hingegen sind 1-vollständig: sie sind alle „gesättigt“, nicht ergänzungsbedürftig. Die Anderen Individuale wiederum sind zwar 1-vollständig (und Objekte); aber viele von ihnen (genauer gesagt: alle konsistenten von ihnen) sind zugleich 2-unvollständig: es fehlt einem jeden von ihnen die ihm angemessene eigenschaftlichen Vollständigkeit. Die Individuen hingegen sind nicht nur 1-vollständig, son-dern auch 2-vollständig: die je angemessene eigenschaftliche Vollständigkeit geht keinem von ihnenab.

Was sich hier, erstens , beobachten lässt, ist, dass zwei qualitative (1-qualitative!) ontologische Begriffe und ihre Negationen als „Kategorien(mit)macher“, also als „(Mit-)Macher“ von Ein-teilungsbegriffen auftreten: Die Objekte sind ja diejenigen singulären Entitäten, die 1-vollständig sind; die Funktionen diejenigen, die 1-unvollständig sind. Die Individuen wiederum sind die-jenigen Individuale, die 2-vollständig und zudem konsistent sind; die Anderen Individuale die-jenigen, die 2-unvollständig ,oder aber inkonsistent sind. Auch ein qualitativer Begriff kann der Einteilung dienstbar gemacht werden.

Was sich hier, zweitens , spekulieren lässt, ist, dass die 2-Unvollständigkeit eventuell nicht nur auf gewisse Individuale beschränkt ist. Nicht nur von Individualen, sondern von je-der singulären Entität lassen sich gewisse Eigenschaften sinnvoll aussagen (und wohl von jeder gewisse andere nicht). Sollte es nicht auch bei singulären Entitäten, die keine Indivi-duale sind, vorkommen, dass von ihnen eine gewisse Eigenschaft und deren Negation zwar sinnvoll aussagbar (behauptbar) ist, dass sie (die singulären Entitäten, die keine Individuale sind) aber weder diese Eigenschaft noch deren Negation haben (exemplifizieren)? Wäre also eventuell nicht nur in der Kategorie der Individuale, sondern, z. B., auch in der Kategorie der Sachverhalte und in der Kategorie der Eigenschaften je eine Subkategorie der Anderheit einzurichten: Anderer Sachverhalt und Andere Eigenschaft ? Ein Anderer Sachverhalt wäre ein eigenschaftlich unvollständiger oder eigenschaftlich inkonsistenter Sachverhalt; eine Ande-re Eigenschaft wäre eine eigenschaftlich unvollständige oder eigenschaftlich inkonsistente Eigenschaft.

Dass es nicht ganz einfach ist, für eigenschaftlich unvollständige Sachverhalte und eigenschaft-lich unvollständige Eigenschaften  – geschweige denn für eigenschaftlich inkonsistente Sach-verhalte und eigenschaftlich inkonsistente Eigenschaften – Beispiele anzugeben, spricht jedoch dafür, dass es nicht gerade angezeigt ist, jene Kategorien einzurichten. Die bzgl. Eigenschaf-ten-der-Individuale unvollständigen oder inkonsistenten Individuale23 haben aufgrund ihrer

11. Vollständig und unvollständig , konsistent und inkonsistent sprachlichen Prominenz (viele Namen geben vor, solche Individuale zu benennen) und auf-grund ihrer Anschlussfähigkeit an die Leibniz-Individuen (sie erscheinen wie Verallgemeine-rungen von diesen) ihre eigene Kategorie im Kategoriensystem Σ bekommen; eigenschaftlich unvollständige oder inkonsistente Sachverhalte bzw. Eigenschaften sind offenbar von keiner vergleichbaren sprachlichen Prominenz. Zudem: Weithin besteht trotz Prominenz der Verdacht, dass die Kategorie Anderes Individual leer ist; der Verdacht, dass Anderer Sachverhalt und Ande- re Eigenschaft leere Kategorien wären (wenn sie Kategorien wären), muss zweifellos noch größer sein als bei der vorderhand akzeptierten Kategorie Anderes Individual .

Ohne Zweifel ist jedenfalls 2-vollständig  – eigenschaftlich vollständig  – eine Transzendenta-lie: ganz sicher eine 3)- und 4)-Transzendentalie, möglicherweise ( andere würden sagen: ganz sicher ) eine 1)-Transzendentalie; das Gleiche gilt für konsistent , oder: 2-konsistent (wie man bes-ser sagen sollte), d. h.: für eigenschaftlich konsistent . Dass beide Begriffe, eigenschaftlich vollstän- dig und eigenschaftlich konsistent , als 1)-Transzendentalien gelten, ist beim Kategoriensystem Σ allerdings nur um den Preis möglich, dass man die Kategorie Anderes Individual (K122) als leer ansieht (was dann dazu führt, dass der 2)-Transzendentalienstatus jener zwei Begriffe trivialer-weise ausgeschlossen werden muss – jedenfalls bzgl. Σ); sieht man diese Kategorie nämlich als erfüllt an, so bedeutet das, dass manches Individual (also auch manche singuläre Entität) eigen-schaftlich unvollständig oder eigenschaftlich inkonsistent ist.

Und ist die Erfülltheit der Kategorie Anderes Individual zugegeben, dann erscheint es als will-kürlich, nicht gleich auch noch zuzugeben, dass manches Individual eigenschaftlich unvollstän-dig und zudem manches Individual eigenschaftlich inkonsistent ist. Es sei daher davon ausge-gangen, dass wenn die Kategorie Anderes Individual erfüllt ist, dass sie dann sowohl durch ein eigenschaftlich unvollständiges als auch durch ein eigenschaftlich inkonsistentes Individual er-füllt wird (wenn auch nicht durch ein zugleich eigenschaftlich unvollständiges und eigenschaft-lich inkonsistentes Individual; das ist wegen des Eigenschaftsbeschlossenheitsprinzips – siehe Kapitel 2, Abschnitt 5 – ausgeschlossen). Damit entfällt bei Erfülltheit der Kategorie Anderes Individual sowohl die 1-Transzendentalität von eigenschaftlich vollständig als auch die von eigen- schaftlich konsistent .

Wäre es nun ein unbedingter Verstoß gegen die metaphysische Vernunft, eigenschaftlich un- vollständig auch in anderen Kategorien von Σ als der als erfüllt akzeptierten Kategorie Anderes Individual  – aber natürlich nicht in der Kategorie Individuum und ihren Subkategorien – als instanziiert anzunehmen, ungeachtet der Schwierigkeit, Beispiele beizubringen (dazu gleich noch mehr)? Das würde den Transzendentalienstatus von eigenschaftlich vollständig nicht be-seitigen, diesen Begriff allerdings vom Status einer 1)-Transzendentalie ausschließen (auch ohne auf die Anderen Individuale zu blicken) und ihn zu einer 2)-Transzendentalie (also auch 3)- und 4)-Transzendentalie24) machen – zu einer 2)-Transzendentalie, die mindestens da und dort im Kategoriensystem (vielleicht nicht selten) begleitet von eigenschaftlich unvollständig instanziiert ist.25 Die letzten beiden Sätze lassen sich bei Ersetzung von „ eigenschaftlich unvollständig “ durch „ eigenschaftlich inkonsistent “, und von „ eigenschaftlich vollständig “ durch „ eigenschaftlich konsis- tent “ mit gleicher Chance auf Wahrheit wiederholen.26

Um nun noch einmal auf die Frage eines Beispiels für eine eigenschaftlich unvollständige singu-läre Entität, die kein Individual ist, zurückzukommen: Sieht man in den reichen Schatz der fiktio-nalen Literatur und ist dabei nicht auf singuläre Terme fixiert, sondern schaut auch generelle an, so wird man, wie es scheint, fündig: Die einstelligen Prädikate „x ist ein [homerischer] Lotophage“, „x ist ein Krümelchen [biblisches] Manna“, „x ist ein Raumschiff der Orion-Klasse“ usw. drücken, wie es scheint, eigenschaftlich unvollständige einstellige Begriffe aus und meinen eigenschaftlich un-vollständige Eigenschaften.27 Um deren eigenschaftliche Unvollständigkeit augenfällig zu machen, kann man sich z. B. fragen: Hat der jeweilige Begriff F bzw. die jeweilige Eigenschaft F´ die Eigen- schaft Φ, nämlich: dem bestimmten Begriff G bzw. der bestimmten Eigenschaft G´ extensional subordiniert zu sein , oder hat er/sie vielmehr die Negation von Φ? Z. B.: Hat die Eigenschaft, ein Lotophage zu sein, die Eigenschaft (2 Stufe) , der Eigenschaft, sich vegan zu ernähren, extensional subordiniert zu sein , oder hat sie die Eigenschaft (2 Stufe) , der Eigenschaft, sich vegan zu ernähren,

11. Vollständig und unvollständig , konsistent und inkonsistent nicht extensional subordiniert zu sein ? Diese Frage ließe sich genau dann informativ beantworten, wenn man die folgende Frage informativ beantworten könnte: Ernähren sich alle Lotophagen ve-gan, oder ernährt sich mancher Lotophage nicht vegan (etwa, weil er neben „Lotus“ und anderem Pflanzlichen gelegentlich auch Joghurt isst)? Aber es ist unmöglich, diese letztere Frage informativ zu beantworten – nicht , weil es da eine Erkenntnisschranke gäbe, hinter der – uns unzugäng-lich – die eine oder aber die gegenteilige Wahrheit ist; sondern weil es da überhaupt keine Wahr-heit gibt. Es bleibt – aus ontologischen, nicht bloß aus epistemologischen Gründen – nur übrig, die aufgestellten Fragen nichtinformativ zu beantworten, nämlich zu sagen: Die Eigenschaft, ein Lotophage zu sein, hat weder die Eigenschaft , der Eigenschaft, sich vegan zu ernähren, extensional subordiniert zu sein , noch hat sie die Negation der fraglichen Eigenschaft. Sowohl die Eigenschaft , der Eigenschaft, sich vegan zu ernähren, extensional subordiniert zu sein , als auch die Eigenschaft , der Eigenschaft, sich vegan zu ernähren, nicht extensional subordiniert zu sein , sind aber geeignet, von der Eigenschaft, ein Lotophage zu sein, sinnvoll ausgesagt zu werden (kurz: sind von dieser Eigenschaft sinnvoll aussagbar). Es folgt die Konklusion, dass die Eigenschaft, ein Lotophage zu sein, eigenschaftlich unvollständig ist. Eine völlig analoge Argumentation zeigt (mutatis mutan-dis), dass der Begriff Lotophage ein eigenschaftlich unvollständiger Begriff ist.

Freilich kann man diesen Argumentationen grundsätzlich, von Anfang an, entgegenhalten, dass „x ist ein Lotophage“ als fiktionales Prädikat – „Lotophage“ als fiktionaler genereller Term – weder einen Begriff ausdrückt noch eine Eigenschaft meint, also auch keinen eigenschaftlich unvollständigen Begriffausdrückt und keine eigenschaftlich unvollständige Eigenschaft meint. Immerhin wird man dann aber zugeben müssen, dass, da doch das fragliche Prädikat – „x ist ein Lotophage“ – eine Bedeutung hat, diese Bedeutung , wenn schon kein Begriff, so doch eine Instanz der Kategorie Andere Funktion ist und sie, diese Bedeutung, doch klarerweise eigen-schaftlich unvollständig ist; wenn man will, kann man sie als „[einstelligen] Pseudobegriff“ be-zeichnen (und die Bezeichnung wäre sehr treffend).

Lässt man gelten, dass der Satz „Alle Lotophagen ernähren sich vegan“ eine Proposition aus-drückt und einen Sachverhalt meint (und nicht etwa eine Pseudoproposition ausdrückt und einen Pseudosachverhalt meint: Instanzen der Kategorie Anderes Objekt ), so bringen die obigen Argumentationen „nebenbei“ auch dies zutage: Der Sachverhalt/die Proposition, dass alle Loto-phagen sich vegan ernähren, ist eigenschaftlich unvollständig (ebenso wie die Negation dieses Sachverhalts bzw. dieser Proposition). Die Proposition, dass alle Lotophagen sich vegan ernäh-ren, hat dann (wenn man das Besagte gelten lässt) nämlich weder die (von ihr sinnvoll aussagba-re) Eigenschaft, wahr zu sein, noch die (gleichfalls von ihr sinnvoll aussagbare) Negation dieser Eigenschaft: die Eigenschaft, nicht wahr zu sein. Und der Sachverhalt, dass alle Lotophagen sich vegan ernähren, hat weder die (von ihm sinnvoll aussagbare) Eigenschaft, der Fall zu sein, noch die (von ihm ebenfalls sinnvoll aussagbare) Negation dieser Eigenschaft: die Eigenschaft, nicht der Fall zu sein.

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Wird da aber nicht im Widerspruch zur klassischen Logik – wird da nicht widersprüchlich im vertrauten Sinn – behauptet, dass manche Proposition weder wahr noch nicht wahr ist, mancher Sachverhalt weder der Fall noch nicht der Fall ist? Das wird nicht behauptet, wenn auch die Linie, die nicht überschritten wird, eine sehr feine ist. Dies sei, was Propositionen angeht, ge-zeigt (für Sachverhalte ist die Argumentation analog): Es gilt für alle Propositionen p: p ist wahr genau dann, wenn p die Eigenschaft hat, wahr zu sein. Also gilt auch für alle Propositionen p: p ist nicht wahr genau dann, wenn p nicht die Eigenschaft hat, wahr zu sein (wie auch: non-p ist wahr genau dann, wenn non-p die Eigenschaft hat, wahr zu sein). Damit, dass eine Proposition p weder die Eigenschaft hat, wahr zu sein, noch die Eigenschaft hat, nicht wahr zu sein (wovon oben ein Beispiel gegeben wurde), ist aber nun nicht der Widerspruch gesagt, dass p weder die Eigenschaft hat, wahr zu sein, noch nicht die Eigenschaft hat, wahr zu sein. Mit dem Ersteren wäre das Letztere nur dann gesagt, wenn daraus, dass p nicht die Eigenschaft hat, nicht wahr zu sein, folgen würde, dass p nicht nicht die Eigenschaft hat, wahr zu sein (m. a. W.: die Eigenschaft hat, wahr zu sein). Das folgt aber nicht – wie, im Übrigen, auch nicht daraus, dass p nicht nicht die Eigenschaft hat, wahr zu sein (m. a. W.: die Eigenschaft hat, wahr zu sein), nicht folgt, dass p nicht die Eigenschaft hat, nicht wahr zu sein. Dass nicht für alle Propositionen p gilt, dass p genau dann die Eigenschaft hat, nicht wahr zu sein, wenn es nicht die Eigenschaft hat, wahr zu sein; sondern dass vielmehr manche Proposition, nicht die Eigenschaft hat, wahr zu sein, aber auch nicht die Eigenschaft hat, nicht wahr zu sein; und zudem manche Proposition, die Eigenschaft hat, nicht wahr zu sein, aber auch die Eigenschaft hat, wahr zu sein – das sind, wenn man so will, zwei seidene Fäden , an denen, jeweils, die eigenschaftliche Unvollständigkeit bei Propositionen und die eigenschaftliche Inkonsistenz bei ihnen gerade noch logisch konsistent, wie es scheint, aufgehängt ist (siehe den unten noch folgenden Exkurs , der die Heikelkeit der Lage noch deut-licher hervorhebt).

Angesichts dessen mag es nun doch besser sein, die sprachlichen Phänomene anders zu deu-ten und statt von der eigenschaftlichen Unvollständigkeit bzw. Inkonsistenz bei Propositionen lieber von dergleichen Erscheinungen bei Pseudopropositionen  – bei gewissen Anderen Objek-ten – zu reden. Dann ist es aber auch besser, eigenschaftliche Unvollständigkeit bzw. Inkonsis-tenz auf Pseudosachverhalte statt auf Sachverhalte zu beziehen – und letztendlich auch besser, sie auf Pseudobegriffe und Pseudoeigenschaften zu beziehen, auf gewisse Andere Funktionen, statt auf Begriffe und Eigenschaften.

Zu berücksichtigen ist jedoch auch dies: Eigenschaftliche Unvollständigkeit bzw. Inkonsistenz singulärer Entitäten passt zum Meinong’schen Exemplifizieren (wie in Kapitel 2 für Individuale vorgeführt); inwieweit es auch zum „normalen“ Exemplifizieren passt – welches nun gerade, an- stelle des Meinong’schen Exemplifizierens, in den obigen Betrachtungen zur eigenschaftlichen Unvollständigkeit bzw. Inkonsistenz bei Propositionen herangezogen wurde –, steht dahin (sie-he dazu des Weiteren Kapitel 4, Abschnitte 5 und 6). Selbst wenn dann bei Zugrundelegung des „normalen“ Exemplifizierens eigenschaftliche Unvollständigkeit bzw. Inkonsistenz bei gewissen Entitäten auszuschließen ist, könnten sie bei Zugrundelegung des Meinong’schen Exemplifizie-rens bei denselben Entitäten doch ihre Auftritte haben.

Auf ein Letztes ist noch hinzuweisen: Es ist das eine, einen generellen Term (ein „Begriffs-wort“) als „vage“ zu bezeichnen; es ist das andere, ihn „unvollständig“ zu nennen. Beide Mal geht es um eine semantische Eigenschaft des Terms; aber während es im Fall von „vage“ eine rein semantische Eigenschaft ist (wofür im vorausgehenden Abschnitt plädiert wurde), ist es im Fall von „unvollständig“ nicht so: Ein genereller Term (und das zugehörige Prädikat)

11. Vollständig und unvollständig , konsistent und inkonsistent

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ist unvollständig genau dann, wenn er eine eigenschaftlich unvollständige Entität – nämlich einen eigenschaftlich unvollständigen Begriff, oder wohl besser: keinen solchen Begriff, son-dern einen eigenschaftlich unvollständigen Pseudobegriff  – ausdrückt; und eigenschaftliche Unvollständigkeit ist nun einmal keine Sache der Semantik. „Lotophage“ ist also ein unvoll-ständiger genereller Term: er ist sekundär unvollständig aufgrund dessen, dass der Pseudobe-griff Lotophage primär unvollständig (nämlich 2-unvollständig: eigenschaftlich unvollständig) ist.

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4 — Themen der Allgemeinen Metaphysik, 3. Teil: Ontologische Relationsbegriffe und Gesetze

0. Relationsbegriffe und Gesetze

Auch in den Kapiteln 2 und 3, die von Einteilungsbegriffen, insbesondere Kategorien, und Qua-litätsbegriffen, insbesondere Transzendentalien, handelten, sind schon allgemeinmetaphysische allgemeine Prinzipien als wahr aufgestellt worden: allgemeinmetaphysische Gesetze . Relations- begriffe sind aber, wie sich nun in großer Reichhaltigkeit zeigen wird, ganz besonders „geset-zesfreudig“. So, wie die allgemeinmetaphysischen Relationsbegriffe kategorienintern oder auch kategorienüberschreitend sind, so sind es auch die allgemeinmetaphysischen Gesetze, zu denen diese Begriffe Anlass geben. Die Totalität alles singulär Seienden (aller singulären Etwasse) ist eine Vielheit, keine Einheit (keine singuläre Entität); aber das bedeutet nicht, dass in ihr kein fester Zusammenhalt und kein Aufeinanderangewiesensein wäre.

1. Die „ist“-Relationsbegriffe

Eine ganze Reihe äußerst eminenter allgemeinmetaphysischer Relationsbegriffe tritt in drei un-terschiedlichen kopulativen Verwendungsweisen von „ist“ an der Sprachoberfläche zutage. Die-se drei Verwendungsweisen lassen sich wie folgt durch Schemata charakterisieren: „a ist (ein/-e) F“, „a ist b“, „F ist G“ (wobei die Kleinbuchstaben „a“ und „b“ schematisch für singuläre Terme stehen, die Großbuchstaben „F“ und „G“ für generelle Terme). Das „ist“ in „a ist (ein/-e) F“ ist das prädikative „ist“; das „ist“ in „a ist b“ ist das identifikative „ist“; das „ist“ in „F ist G“ ist das subsumptive (oder subordinative ) „ist“.

Mit dem prädikativen „ist“ sind vier allgemeinmetaphysische Relationsbegriff verbunden: Eigen- schaftshabe und Begriffsinstanziierung [genauer gesagt: Instanziierung einstelliger Begriffe], zudem deren Vernotwendigungen (Necessitierungen): (absolut) notwendige Eigenschaftshabe, (absolut) notwendige Begriffsinstanziierung. Mit dem subsumptiven „ist“ sind ebenfalls vier allgemeinmeta-physische Relationsbegriffe verbunden: Eigenschaftssubsumption und Begriffssubsumption [genauer gesagt:Subsumption einstelliger Begriffe], zudem deren Vernotwendigungen: notwendige Eigen-schaftssubsumption und notwendige Begriffssubsumption. Mit dem identifikativen „ist“ ist hin-gegen nur ein allgemeinmetaphysischer Relationsbegriff verbunden: Identität , die mit ihrer Ver-notwendigung identisch ist; denn identisch und notwendigerweise identisch sind identische Begriffe.Von den allgemeinmetaphysischen Relationsbegriffen seien nun zunächst die neun „ist“-Re-lationsbegriffe betrachtet (weitere allgemeinmetaphysische Relationsbegriffe folgen später). Bei den „ist“-Relationsbegriffen steht, wie deutlich werden wird, die Eigenschaftshabe an zentraler Stelle. Demnach: Zuerst nun zur Eigenschaftshabe (wenn man so will: dasjenige Haben, das ein Sein ist  – weil die Eigenschaftshabe ja durch das prädikative „ist“ ausgedrückt werden kann).

2. Eigenschaftshabe und Stehen-in-Relation

Eigenschaftshabe ist dasselbe wie Eigenschaftsexemplifikation, aber nicht dasselbe wie Exempli-fikation überhaupt (da auch Typen – nicht bloß Eigenschaften – exemplifiziert werden und zu-dem auch Relationen). Die Eigenschaftsexemplifikation wiederum kennt Sonderformen, wie die Exemplifikation von Eigenschaften durch Meinong’sche Individuale (das sind die Anderen In-dividuale plus die Leibniz-Individuen): das Meinong’sche Exemplifizieren ; oder das zweinaturige Exemplifizieren (wie es z. B. von einer Person an den Tag gelegt wird, die zwei Naturen hat, etwa

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2. Eigenschaftshabe und Stehen-in-Relationdie menschliche und die göttliche Natur). Eine Sonderform der Eigenschaftsexemplifikation wird hier nun nicht betrachtet (außer gewissermaßen ausnahmsweise: zur Gegenüberstellung); betrachtet wird hier allein die „normale“ Eigenschaftshabe.

Das eine Wort – „Exemplifikation“ – suggeriert, man habe es mit einem Relationsbegriff zu tun. Auch wenn man von der Typenexemplifikation absieht, ist das nicht zutreffend. Unter der Be-zeichnung „Exemplifikation“ hat man es mit unendlich vielen Relationsbegriffen – mit unendlich vielen mehrstelligen Begriffen – zu tun: der zweistellige Exemplifikationsbegriff, der dreistellige, der vierstellige, usw. Der (zweistellige) Begriff der Eigenschaftshabe  – der Eigenschaftsexempli-fikation – ist dann der zweistellige Exemplifikationsbegriff, bei dem die zweite Stelle zu seiner Instanziierung [zu seinem wahrheitlichen Ausgesagtwerden] auf Eigenschaften beschränkt ist: x hat die Eigenschaft F =Def

F ist eine Eigenschaft, und x exemplifiziert F. Der dreistellige Begriff des In-Relation-Stehens hingegen ist der dreistellige Exemplifikationsbegriff, bei dem die dritte Stelle zu seiner Instanziierung auf zweistellige Relationen beschränkt ist: x, y (in dieser Reihen-folge) stehen in der Relation R zueinander1 =Def

R ist eine zweistellige Relation, und x, y (in dieser Reihenfolge) exemplifizieren R. Der vierstellige Begriff des In-Relation-Stehens ist der vierstellige Exemplifikationsbegriff, bei dem die vierte Stelle zur Instanziierung auf dreistellige Relationen beschränkt ist: x, y, z (in dieser Reihenfolge) stehen in der Relation R zueinander =Def

R ist eine dreistellige Relation, und x, y, z (in dieser Reihenfolge) exemplifizieren R. Usw .

Betrachten wir von diesen unendlich vielen Exemplifikationsbegriffen nun den zweistelligen auf Eigenschaften eingeschränkten und – zum Kontrast und um eine bedeutsame Verallgemei-nerbarkeit sichtbar zu machen – den dreistelligen auf zweistellige Relationen eingeschränkten (das wird genügen, um vor Augen zu führen, wie es beim vierstelligen auf dreistellige Relationen eingeschränkten, beim fünfstelligen auf vierstellige Relationen eingeschränkten und bei jedem weiteren Exemplifikationsbegriff in der Reihe weitergeht).

Lassen sich diese beiden Begriffe weiter analysieren? Eigenschaften F und zweistellige Relatio-nen R sind sachverhaltsbildende Funktionen. Das heißt: Wenn sie durch dafür geeignete singu-läre Entitäten x bzw. durch in der angegebenen Reihenfolge dafür geeignete singuläre Entitäten y, z gesättigt werden, dann, und nur dann, resultieren Sachverhalte; dann, und nur dann, gilt mit anderen Worten: [F; x] – lies: die Füllung von F durch x – ist ein Sachverhalt; [R; y, z] – lies: die Füllung von R durch y und z (in dieser Reihenfolge)  – ist ein Sachverhalt.2 Wir können definieren:F ist eine von x (sinnvoll) aussagbare Eigenschaft =Def

F ist eine Eigenschaft, und [F; x] ist ein

Sachverhalt.3

R ist eine von x und y (in dieser Reihenfolge sinnvoll) aussagbare zweistellige Relation =Def

R ist eine zweistellige Relation, und [R; x, y] ist ein Sachverhalt.

Daraus, dass x die Eigenschaft F exemplifiziert, folgt logisch (begrifflich), dass F eine Eigenschaft ist, die von x aussagbar ist; Eigenschaftshabe – Eigenschaftsexemplifikation – geht aber über Eigenschaftsaussagbarkeit hinaus. Das Mehr an begrifflichem Gehalt bei der Eigenschaftshabe besteht darin, dass das Sachverhaltsein von [F; x] – welches die Aussagbarkeit der Eigenschaft F von (der singulären Entität) x ausmacht – bei der Eigenschaftshabe durch das Wirklichsein von [F; x] ergänzt ist. Es kann daher definiert werden:x hat [exemplifiziert] die Eigenschaft F =Def

F ist eine Eigenschaft, und [F; x] ist ein Sachverhalt, und [F; x] ist etwas Wirkliches.

2. Eigenschaftshabe und Stehen-in-RelationUnd in offensichtlich möglicher Verallgemeinerung kann zudem definiert werden:x, y (in dieser Reihenfolge) stehen in der Relation R zueinander [exemplifizieren die zweistellige Relation R] =Def

R ist eine zweistellige Relation, und [R; x, y] ist ein Sachverhalt, und [R; x, y] ist etwas Wirkliches.

Die grundlegende Bedeutung des Wirklichseins von Sachverhalten für das Wirklichsein von Universalien tritt in den letzteren beiden Definitionen zutage (denn etwas Wirkliches sind Eigenschaften und Relationen nur dann, wenn sie exemplifiziert sind, und immer dann, wenn sie von Wirklichem exemplifiziert sind).

Statt „[F; x] ist ein Sachverhalt, und [F; x] ist etwas Wirkliches“ bzw. „[R; x, y] ist ein Sach-verhalt, und [R;x, y] ist etwas Wirkliches“ kann man kurz sagen: „[F; x] ist ein bestehender Sachverhalt“ bzw. „[R; x, y] ist ein bestehender Sachverhalt“, oder noch kürzer: „[F; x] ist eine Tatsache“ bzw. „[R; x, y] ist eine Tatsache“. Eine weitere Kürzung der Definientia der obigen beiden Definitionen – und der ihnen vorausgehenden beiden (die die Aussagbarkeit betreffen) – erscheint prima facie dadurch möglich, dass [F; x] ein Sachverhalt (und erst recht eine Tatsache) doch offenbar nur dann ist, wenn F eine Eigenschaft ist; bzw. dass [R; x, y] ein Sachverhalt (und erst recht eine Tatsache) nur dann ist, wenn R eine zweistellige Relation ist. Doch die Identitäts-funktion, die mit jeder beliebigen singulären Entität – gesättigt durch diese – diese selbe Entität bildet, bildet gesättigt durch einen Sachverhalt einen Sachverhalt (diesen selbst); sie ist aber keine Eigenschaft. Und womöglich lässt sich auch eine zweistellige Funktion finden, die gesättigt mit gewissen x, y einen Sachverhalt bildet – ohne eine Relation zu sein. Also unterbleiben die ins Auge gefassten weiteren Kürzungen.

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3. Begriffsinstanziierung und Eigenschaftsexemplifikation

Überlegungen, die unter Berücksichtigung der Eigenart von Begriffen den Überlegungen im vorausgehenden Abschnitt ganz analog sind, führen zu folgendem Ergebnis für einstellige und für zweistellige Begriffe (wobei die zweistelligen Begriffe exemplarisch für N-stellige Begriffe mit N ≥ 2 einstehen):

F´ ist ein von x (sinnvoll) aussagbarer einstelliger Begriff =Def

F´ ist ein einstelliger Begriff, und [F´; x] ist eine Proposition.

R´ ist ein von x und y (in dieser Reihenfolge sinnvoll) aussagbarer zweistelliger Begriff =Def

R´ ist ein zweistelliger Begriff, und [R´; x, y] ist eine Proposition.x instanziiert den einstelligen Begriff F´ =Def

F´ ist ein einstelliger Begriff, und [F´; x] ist eine

Proposition, und [F´; x] ist wahr.x, y (in dieser Reihenfolge) instanziieren den zweistelligen Begriff R´ =Def

R´ ist ein zweistelli-ger Begriff, und [R´; x, y] ist eine Proposition, und [R´; x, y] ist wahr.

Unter „Begriffen“ werden oft nur einstellige Begriffe verstanden; in diesem Sinne und nur in diesem Sinne ist das hier an dritter Stelle definierte Prädikat das Prädikat„der Begriffsinstan-ziierung“. In jedem Fall ist es das Prädikat derjenigen Begriffsinstanziierung, die in Paralleli-tät zur Eigenschaftshabe steht. Dass Begriffsinstanziierung aber eigentlich mehr ist als bloß die Instanziierung einstelliger Begriffe – ebenso wie die Exemplifikation prädikativer Universalien mehr ist als bloß Eigenschaftshabe, Eigenschaftsexemplifikation –, wird durch die obige vierte Definition angezeigt .

Die Definientia der dritten bzw. der vierten Definition lassen sich kürzen, denn daraus, dass [F´; x] bzw. [R´; x, y] wahr ist, folgt zweifellos logisch, dass [F´; x] bzw. [R´; x, y] eine Proposition ist. Und kann nicht weiter gekürzt werden (und zwar in allen vier Definitionen)? Wenn [F´; x] bzw. [R´; x, y] eine Proposition ist, muss dann nicht F´ ein einstelliger Begriff bzw. R´ ein zwei-stelliger Begriff sein? Dies ist zu verneinen – aus analogen Gründen wie bei der Frage, die aus der vorstehenden Frage hervorgeht, wenn in ihr das Wort „Proposition“ durch das Wort „Sach-verhalt“ ersetzt wird (siehe dazu den vorausgehenden Abschnitt).

Zusammenfassend sei festgehalten, dass neben den Langformen der im vorausgehenden Ab-schnitt und in diesem Abschnitt angegebenen Definitionen, die Exemplifikation bzw. Instanziie-rung betreffen, die folgenden Kurzformen – mit verkürzten Definientia  – gleichwertig verwendet werden dürfen:x hat [exemplifiziert] die Eigenschaft F =Def

F ist eine Eigenschaft, und [F; x] ist eine Tatsache.

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3. Begriffsinstanziierung und Eigenschaftsexemplifikationx, y (in dieser Reihenfolge) stehen in der Relation R zueinander [exemplifizieren die zweistelli-ge Relation R] =Def

R ist eine Relation, und [R; x, y] ist eine Tatsache.x instanziiert den einstelligen Begriff F´ =Def

F´ ist ein einstelliger Begriff, und [F´; x] ist wahr.x, y (in dieser Reihenfolge) instanziieren den zweistelligen Begriff R´ =Def

R´ ist ein zweistelli-ger Begriff, und [R´; x, y] ist wahr.

Noch kürzer geht es aber nicht.

Es mag nun die Frage entstehen, ob die Propositionsnegation (propositionale Negation, P-Negation) ein einstelliger Begriff ist, die Sachverhaltsnegation (S-Negation) eine Eigenschaft. Aber, möchte man vielleicht fragen, warum soll die Propositionsnegation denn kein einstelliger Begriff sein, die Sachverhaltsnegation keine Eigenschaft? Was in beiden Fällen zögern lässt, in die rhetorische Suggestion der Frage „einzuwilligen“, ist dies: Wenn die Sachverhaltsnegation eine Eigenschaft wäre und die Propositionsnegation ein einstelliger Begriff, dann müssten sie doch von irgendeinem Sachverhalt bzw. irgendeiner Proposition aussagbar (prädizierbar) sein; es scheint aber prima facie, dass die Sachverhaltsnegation von keinem Sachverhalt, die Proposi-tionsnegation von keiner Proposition aussagbar ist, und zwar ungeachtet dessen , dass die Erstere bei Sättigung mit einem Sachverhalt stets einen Sachverhalt bildet, die Letztere bei Sättigung mit einer Proposition stets eine Proposition (die Erstere, scheint es, wird durch Ersteres eben noch nicht zu einer Eigenschaft, die Letztere durch Letzteres noch nicht zu einem einstelligen Begriff).

Wir befinden uns hier im Machtbereich einer Illusion, auf die schon Frege hereingefallen ist: Die Benennung einer Eigenschaft, eines Begriffs kann den prädikativen Charakter die-ser singulären Entitäten unsichtbar machen, woraufhin man der Täuschung unterliegt, der verwendete Name benenne gar keine Eigenschaft, benenne gar keinen Begriff. Wenn wir nun auch hoffentlich, anders als Frege, nicht mehr meinen, der Name „der Begriff Pferd “ benenne keinen Begriff (Begriffe, so Frege, können vielmehr überhaupt nicht benannt wer-den), so sind wir doch offenbar in erheblichem Maße der Gefahr ausgesetzt, zu meinen, die Namen „die Sachverhaltsnegation“ und „die Propositionsnegation“ benennten keine Eigen-schaft bzw. keinen einstelligen Begriff. Wie lässt sich verhindern, dass wir uns tatsächlich täuschen lassen?

Wie folgt: Der einstellige Begriff falsch ist (bei der intendierten Bedeutung von „falsch“) von allen Propositionen und nur von Propositionen (sinnvoll) aussagbar; es gilt folglich (unter Her-anziehung der Aussagbarkeitsdefinition für einstellige Begriffe) für alle x: x ist eine Proposition genau dann, wenn [ falsch , x] eine Proposition ist. Ebenso gilt für alle x: x ist eine Proposition genau dann, wenn [P-Negation; x] eine Proposition ist. Also: Die Propositionen sind sowohl für falsch (den Begriff) als auch für die Propositionsnegation diejenigen Entitäten, von denen die beiden Funktionen jeweils gesättigt werden können: sie sind für alle Propositionen definiert, und

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für alle Nichtpropositionen sind sie nicht definiert (was bedeutet: für jede Nichtproposition y ist sowohl „[ falsch ; y]“ als auch „[P-Negation; y]“ nicht definiert). Zudem gilt für alle Propositionen x: [ falsch ; x] = [P-Negation; x].

Es ist also offensichtlich geworden (durch Identität der Definitionsbereiche und Identität der Funktionswerte für jedes Argument): Falsch ist dieselbe einstellige Funktion wie die Proposi-tionsnegation. Da falsch ein einstelliger Begriff ist, ist folglich auch die Propositionsnegation ein einstelliger Begriff.

Die Eigenschaft, falsch zu sein , kann nun nicht verwendet werden, um mit ihr völlig analog zu der eben angegebenen Argumentation zu zeigen, dass die Sachverhaltsnegation eine Eigenschaft ist; denn die Eigenschaft, falsch zu sein, ist nicht von Sachverhalten aussagbar, sondern von Pro-positionen (nämlich allen) und nur von Propositionen.

4. Notwendige Eigenschaftsexemplifikation und notwendige BegriffsinstanziierungAber die Eigenschaft, ein nichtbestehender Sachverhalt zu sein , leistet das Gewünschte. Wie folgt: Die Eigenschaft, ein nichtbestehender Sachverhalt zu sein, ist von allen Sachverhalten und nur von Sachverhalten aussagbar; es gilt folglich (unter Heranziehung der Aussagbarkeitsdefinition für Eigenschaften) für alle x: x ist ein Sachverhalt genau dann, wenn [die Eigenschaft, ein nicht-bestehender Sachverhalt zu sein; x] ein Sachverhalt ist. Ebenso gilt für alle x: x ist ein Sachverhalt genau dann, wenn [S-Negation; x] ein Sachverhalt ist. Also: Die Sachverhalte sind sowohl für die Eigenschaft, ein nichtbestehender Sachverhalt zu sein, als auch für die Sachverhaltsnegationdiejenigen Entitäten, von denen die beiden Funktionen jeweils gesättigt werden können: sie sind für alle Sachverhalte definiert, und für alle Nichtsachverhalte sind sie nicht definiert (was bedeutet: für jeden Nichtsachverhalt y ist sowohl „[die Eigenschaft, ein nichtbestehender Sach-verhalt zu sein; y]“ als auch „[S-Negation; y]“ nicht definiert). Zudem gilt für alle Sachverhalte x: [die Eigenschaft, ein nichtbestehender Sachverhalt zu sein; x] = [S-Negation; x]. Es ist also offensichtlich geworden: Die Eigenschaft, ein nichtbestehender Sachverhalt zu sein, ist dieselbe einstellige Funktion wie die Sachverhaltsnegation; Letztere ist also ebenfalls eine Eigenschaft.

4. Notwendige Eigenschaftsexemplifikation und notwendige Begriffsinstanziierung

Ich konzentriere mich – von aller Exemplifikation und Instanziierung – auf die Eigenschaftsex-emplifikation und die Begriffsinstanziierung (womit hier nun stets die Begriffsinstanzierung für einstellige Begriffe gemeint ist). Das folgende Prädikat bringt die Necessitierung der Ersteren, das nächste die Necessitierung der Letzteren zum Ausdruck: „x exemplifiziert [hat] die Eigenschaft F notwendigerweise “, „x instanziiert den einstelligen Begriff F´ notwendigerweise “.4 Das Prädikat der notwendigen Eigenschaftsexemplifikation besagt gemäß den in den vorausgehenden beiden Abschnitten angegebenen Definitionen und den Gesetzen der Modallogik in Langform so viel wie: „F ist notwendigerweise eine Eigenschaft, und [F; x] ist notwendigerweise ein Sachverhalt, und [F; x] ist notwendigerweise etwas Wirkliches“; und in Kurzform so viel wie: „F ist notwendi- gerweise eine Eigenschaft, und [F; x] ist notwendigerweise eine Tatsache“. Das Prädikat der not-wendigen Begriffsinstanziierung (für einstellige Begriffe) besagt gemäß den im vorausgehenden Abschnitt angegebenen Definitionen und den Gesetzen der Modallogik in Langform so viel wie: „F´ ist notwendigerweise ein einstelliger Begriff, und [F´; x] ist notwendigerweise eine Proposi-tion, und [F´; x] ist notwendigerweise wahr“; und in Kurzform so viel wie „F´ ist notwendiger- weise ein einstelliger Begriff, und [F´; x] ist notwendigerweise wahr“. Da jede Entität [absolut] notwendigerweise eine Eigenschaft oder [absolut] notwendiger keine Eigenschaft ist, notwen-digerweise ein Sachverhalt oder notwendigerweise kein Sachverhalt, notwendigerweise ein ein-stelliger Begriff oder notwendiger kein einstelliger Begriff, notwendigerweise eine Proposition oder notwendigerweise keine Proposition, ist die Hinzufügung von „notwendigerweise“ bei den Prädikaten „x ist eine Eigenschaft“, „x ist ein Sachverhalt“, „x ist ein einstelliger Begriff“, „x ist eine Proposition“ und bei den Negationen dieser Prädikate logisch redundant , d. h.: sie bringt keine logisch relevante Modifikation der Ausgangsbedeutungen mit sich. Dasselbe gilt folglich aufgrund ihrer Definitionen und der Modallogik von den Prädikaten „F ist eine von x (sinnvoll) aussagbare Eigenschaft“ und „F´ ist ein von x (sinnvoll) aussagbarer einstelliger Begriff“5: Die Hinzufügung von „notwendigerweise“ bei diesen beiden Prädikaten und bei deren Negationen bringt keine logisch relevante Modifikation der Ausgangsbedeutungen mit sich. Eine Folge des oben eben Festgestellten ist auch: Eine Eigenschaft bzw. ein einstelliger Begriff ist notwendiger-weise von x aussagbar, oder notwendigerweise nicht. Auch bei der Aussagbarkeit – ob für Eigen-schaften oder für einstellige Begriffe – ist somit kein Raum für Kontingenz.

Bei Eigenschaftsexemplifikation und Begriffsinstanziierung hingegen ist Raum für Kontin-genz. Schauen wir dazu auf den Schluss ihres jeweiligen Definiens (in der Kurzform): [F; x] ist eine Tatsache bzw. [F´; x] ist wahr . Wenn [F; x] eine Tatsache ist bzw. [F´; x] wahr ist , dann mag es (nach allem, was man weiß) notwendigerweise so sein ; aber es mag, während es so ist , auch nicht notwendigerweise so sein; was von beiden vorliegt – dafür kommt es auf den jeweiligen Einzelfall

4. Notwendige Eigenschaftsexemplifikation und notwendige Begriffsinstanziierungan. Die Frage ist also, für welche Eigenschaften F und singuläre Entitäten x ist [F; x] notwendi-gerweise eine Tatsache, und für welche zwar eine Tatsache, aber nicht notwendigerweise? Und für welche einstelligen Begriffe F´ und singuläre Entitäten x ist [F´; x] notwendigerweise wahr, und für welche zwar wahr, aber nicht notwendigerweise? Da es bei jeder dieser beiden Fragen schwierig ist, auf sie eine befriedigende Antwort zu geben, und weil zudem, lässt man bei [F; x] ein Tatsachesein zu, das nicht notwendig ist, und bei [F´; x] ein Wahrsein, das nicht notwen-dig ist, die höchst unbequemen Nachfolgefragen sich einstellen: Warum (aus welchem „letzten“ oder „ersten“ Grunde6) ist [F; x] eine Tatsache? Warum (aus welchem „letzten“ oder „ersten“ Grunde) ist [F´; x] wahr? – darum ist es eine stete Verlockung für Metaphysiker, [F; x] für alle Eigenschaften F und singulären Entitäten x notwendigerweise eine Tatsache sein zu lassen, oder aber notwendigerweise keine Tatsache; und [F´; x] für alle einstelligen Begriffe F´ und singulären Entitäten x notwendigerweise wahr sein zu lassen, oder aber notwendigerweise nicht wahr. Da-gegen lassen sich Intuitionen in Stellung bringen, aber eben auch nicht mehr als Intuitionen : [Die Eigenschaft, niemals Geographie zu studieren; U.M.] ist eine Tatsache (und folglich exemplifizie-re / habe ich die Eigenschaft, niemals Geographie zu studieren); und [ studiert niemals Geogra- phie ; U.M.] ist wahr (und folglich instanziiere ich / falle ich unter den einstelligen Begriff studiert niemals Geographie ). Aber die erstere Komplettierung ist nicht notwendigerweise eine Tatsache,7und die zweite Komplettierung ist nicht notwendigerweise wahr – so das Urteil der Intuition . Es ist eine fundamentale metaphysische Entscheidung (von größter Konsequenz), den Intuitionen zu folgen und anzunehmen, dass [F; x] für manche Eigenschaften F und singuläre Entitäten x weder notwendigerweise eine Tatsache noch notwendigerweise keine Tatsache ist; dass [F´; x] für manche einstelligen Begriffe F´ und singulären Entitäten x weder notwendigerweise wahr noch notwendigerweise nicht wahr ist; oder aber im Gegenteil den Intuitionen nicht zu folgen und an-zunehmen, dass [F; x] für alle Eigenschaften F und singuläre Entitäten x notwendigerweise eine Tatsache oder notwendigerweise keine Tatsache ist; dass [F´; x] für alle einstelligen Begriffe F´ und singulären Entitäten x notwendigerweise wahr oder notwendigerweise nicht wahr ist. Keine der beiden Optionen ist logisch inkohärent. Bei der zweiten Option wird manches einfacher (wie gesagt). Ich entscheide mich dennoch für das Erstere (und meine Intuitionen).

Dadurch ist einem unbenommen, für viele einstelligen Begriffe F´ (auf die ich mich hier kon-zentrieren will; für Eigenschaften F verhält es sich mutatis mutandis analog) und singuläre Enti-täten x anzunehmen, dass [F´; x] notwendigerweise wahr ist – wie das ja ebenfalls weitverbrei-teten Intuitionen entspricht. [ Ungerade Zahl ; 5] – die Füllung (und nicht nur Füllung, sondern Sättigung) des einstelligen Begriffs ungerade Zahl durch 5 – ist notwendigerweise wahr, und deshalb instanziiert 5 notwendigerweise jenen Begriff. Die Proposition [ ungerade Zahl ; 5] ist ja keine andere als die Proposition, dass 5 eine ungerade Zahl ist.

Doch ist es keineswegs immer so, dass die Proposition [Φ; x] (wo „Φ“ einen substantivischen, adjektivischen oder auch verbalen, einfachen oder komplexen Ausdruck vertritt, der als Be-griffsname fungiert) ohne Weiteres identifizierbar ist mit der (mit der einen , ohne Weiteres ein-deutig bestimmten) umgangssprachlich entsprechenden mittels „dass“ benannten Proposition. Betrachten wir die Proposition, dass die Zahl der Planeten identisch mit der Zahl der Planeten ist. Ist [ identisch mit der Zahl der Planeten ; die Zahl der Planeten] identisch mit jener Proposi-tion? Die Sache ist unerwartet komplex, da der Satz „Die Zahl der Planeten [der Sonne] ist iden-tisch mit der Zahl der Planeten“ vier Lesarten hat und je nach Lesart eine andere Proposition ausdrückt. Der Satz kann im Sinne von (1) „Die von den jeweils obwaltenden Verhältnissen bestimmte Zahl der Planeten ist mit sich selbst identisch“ gelesen werden – in welcher Lesart der Satz wahr ist und necessitiert (mit „notwendigerweise“ eingefügt) immer noch wahr ist; oder aber im Sinne von (2) „Die [modal irrelativ] tatsächliche Zahl der Planeten ist identisch mit der von den jeweils obwaltenden Verhältnissen bestimmten Zahl der Planeten“ bzw. (3) „Die von den jeweils obwaltenden Verhältnissen bestimmte Zahl der Planeten ist identisch mit der [modal irrelativ] tatsächlichen Zahl der Planeten“ – in welchen Lesarten der Satz zwar wahr ist, aber necessitiert nicht mehr wahr ist; oder aber im Sinne von (4) „Die [modal irrelativ] tatsäch-liche Zahl der Planeten ist mit sich selbst identisch“ – in welcher Lesart der Satz wiederum wahr ist und necessitiert immer noch wahr ist. Der Satz „Die Zahl der Planeten ist identisch mit der Zahl der Planeten“ ist also vierdeutig. Entsprechend ist der Propositionsname „die Proposition, dass die Zahl der Planeten identisch mit der Zahl der Planeten ist“ nicht nur vierdeutig, sondern auch vier referentiell : d. h., er kann so verstanden werden, dass er auf die von Satz (1) ausgedrück-te Proposition Bezug nimmt; und er kann auch so verstanden werden, dass er auf die von Satz (2), die von Satz (3), oder die von Satz (4) ausgedrückte Proposition Bezug nimmt. Mit welchem der vier möglichen Bezüge des fraglichen Propositionsnamens ist also [ identisch mit der Zahl der Planeten ; die Zahl der Planeten] identisch? Die einzige passable Antwort ist, dass sich die Frage, so gestellt , nicht beantworten lässt, sondern dass „[ identisch mit der Zahl der Planeten ; die

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5. Abstraktionsschema und AbstraktionsprinzipienZahl der Planeten]“ im Einklang mit „die Proposition, dass die Zahl der Planeten identisch mit der Zahl der Planeten ist“ vierdeutig und vierreferentiell ist. Wenn man sagen möchte (wie es einen doch anwandelt): „Die Zahl der Planeten instanziiert den einstelligen Begriff identisch mit der Zahl der Planeten , aber instanziiert ihn nicht notwendigerweise“, so ist das gemäß der De-finition des (zweistelligen) Instanziierungsbegriffs gleichbedeutend mit „ Identisch mit der Zahl der Planeten ist ein einstelliger Begriff, und [ identisch mit der Zahl der Planeten ; die Zahl der Planeten] ist wahr, aber nicht notwendigerweise wahr“. Der letztere Satz kann nur wahr sein, wenn „[ identisch mit der Zahl der Planeten ; die Zahl der Planeten]“ im Sinne von „[ identisch mit der von den jeweils obwaltenden Verhältnissen bestimmten Zahl der Planeten ; die tatsächliche Zahl der Planeten]“, oder aber im Sinne von „[ identisch mit der tatsächlichen Zahl der Planeten ; die von den jeweils obwaltenden Verhältnissen bestimmte Zahl der Planeten]“ verstanden wird; m. a. W. im Sinne von „die Proposition, dass die [modal irrelativ] tatsächliche Zahl der Planeten identisch mit der von den jeweils obwaltenden Verhältnissen bestimmten Zahl der Planeten ist“, oder aber im Sinne von „die Proposition, dass die von den jeweils obwaltenden Verhältnissen bestimmte Zahl der Planeten die [modal irrelativ] tatsächliche Zahl der Planeten ist“.

5. Abstraktionsschema und Abstraktionsprinzipien

Das sogenannte Abstraktionsschema (sogenannt, denn eigentlich wird in ihm nichts abstrahiert und das „Abstrahierte“ ist oftmals nicht abstrakt) ist das folgende Schema:

Für alle [singulären Entitäten] y: y hält sich zu λΔxΦ[x] genau dann, wenn Φ[y].

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Zur Erläuterung ist zu sagen: 0. Mit „Φ[x]“ und „Φ[y]“ ist ein beliebig komplexes einstelliges Prädikat schematisch angedeutet, allerdings nur ein solches, das „abstrahierbar“ ist; das Krite-rium für seine Abstrahierbarkeit ist, dass es als seine Bedeutung einen einstelligen Begriff aus-drückt und als seine Intension eine Eigenschaft meint; 1. „Δ“ ist ein Schemabuchstabe, der durch folgende Kurzbezeichnungen ersetzt werden kann: „EI“ für „Eigenschaft“; „TY“ für „Typenob-jekt“; „BE“ für „einstelliger Begriff“; „ME“ für „Menge“; „PR“ für „einstelliges Prädikat“ (und durch weitere Kurzbezeichnungen, wenn es weitere geeignete geben sollte); 2. „λΔ

“ ist derjenige (sogenannte) Abstraktionsoperator , der aus einem einstelligen Prädikat (hier schematisch ver-treten durch „Φ[x]“) einen singulären Term für die dem Prädikat ontologisch-funktional korre-spondierende singuläre Entität der Art Δ bildet8 (die benannte Entität muss übrigens durchaus nicht abstrakt sein, wenn sie es auch oftmals ist, vor allem natürlich dann, wenn Δ eine Sorte abstrakter singulärer Entitäten ist); 3. „ hält sich zu “ dient als Platzhalter für den Ausdruck, der „am Platz ist“, wenn „Δ“ durch eine konkrete Kurzbezeichnung (insbesondere eine der eben auf-gezählten) ersetzt wird, nämlich als Platzhalter für denjenigen Zugehörigkeitsausdruck , der dem Sinn der Kurzbezeichnung entspricht.

Die folgenden (sogenannten) Abstraktionsprinzipien (allesamt ebenfalls Schemata, aber nicht mehr so allgemeine wie das Abstraktionsschema selbst) gehen aus dem Abstraktionsschema hervor, wenn „Δ“ in ihm durch eine konkrete Kurzbezeichnung ersetzt wird (jeweils durch eine andere) und der zu dieser Ersetzung passende Zugehörigkeitsausdruck an die Stelle von „ hält sich zu “ tritt:

1. Das Abstraktionsprinzip für Eigenschaften :

Für alle y: y exemplifiziert λEIxΦ[x]9 genau dann, wenn Φ[y].

2. Das Abstraktionsprinzip für Typenobjekte :

Für alle: y exemplifiziert λTYxΦ[x] völlig genau dann, wenn Φ[y].

3. Das Abstraktionsprinzip für einstellige Begriffe :

5. Abstraktionsschema und AbstraktionsprinzipienFür alle y: y instanziiert λBExΦ[x] genau dann, wenn Φ[y].

4. Das Abstraktionsprinzip für Mengen :

Für alle y: y ist Element von λMExΦ[x] genau dann, wenn Φ[y].

5. Das Abstraktionsprinzip für Prädikate :

Für alle y: y erfüllt λPRxΦ[x] genau dann, wenn Φ[y].λEIxΦ[x] ist nichts anderes als die Eigenschaft, zu Φ- en ( ein/-e Φ zu sein , Φ zu sein ). λTYxΦ[x] ist nichts anderes als der/die/das Φ an sich . λBExΦ[x] ist nichts anderes als der einstellige Begriff Φ . λMExΦ[x] ist nichts anderes als {x: Φ[x]} – die Menge der x, sodass gilt : Φ[x]. λPRxΦ[x] schließlich ist nichts anderes als ‚Φ[x]‘ (m. a. W.: der Ausdruck, den man erhält, wenn man das Prädikat Φ[x] in einfache Anführungszeichen (deutscher Typographie) einschließt.

Es ist seit Langem bekannt, dass bei jedem dieser fünf Schemata nicht alle Instanzen wahr sind (diese Instanzen erhält man aus ihnen, wenn man in ihnen „Φ[x]“ und „Φ[y]“ durch ein spezifi-sches einstelliges Prädikat (einmal mit der freien Variable „x“ und einmal mit der freien Variable „y“) ersetzt. Dass das Abstraktionsprinzip für Typenobjekte schwerlich für beliebige Prädikate Φ[y] gilt, entdeckte schon Platon (wie sich seinem Dialog Parmenides entnehmen lässt). Und Bertrand Russell fand vor etwas mehr als hundert Jahren heraus, dass das Abstraktionsprin-zip für Mengen für das Prädikat „y ist nicht Element von y“ nicht gilt. Diese Erkenntnis war so überraschend, dass man von einer „Antinomie“ sprach: von der (dann bald) so genannten „ Russell’schen Antinomie“. Von einer „Antinomie“ kann tatsächlich keine Rede sein, sondern nur davon, dass Russell der Erste war, der das folgende einfache Gesetz der elementaren Prä-dikatenlogik nicht übersah (ein Versehen, das auch deren Erfinder, Gottlob Frege, unterlaufen war – in Freges Fall tragischerweise, da es den Einsturz seines Lebenswerkes, eines gewaltigen Theoriegebäudes des mathematischen Logizismus, bedingte):

¬∀y(R(y, t) ≡ ¬R(y, y)) (ist eine logische Wahrheit, gleichgültig, welches zweistellige Prädikat man auch für „R(_, _)“ einsetzen mag und welchen singulären Term für „t“). Um einzusehen, dass ¬∀y(R(y, t) ≡ ¬R(y, y)) ein logisches Gesetz ist, braucht man nur vom Gegenteil, ∀y(R(y, t) ≡ ¬R(y, y)), auszugehen und die Allinstanziierung mit „t“ vorzunehmen: Das Ergebnis ist R(t, t) ≡ ¬R(t, t) – ein glatter Widerspruch; womit ¬∀y(R(y, t) ≡ ¬R(y, y)) gezeigt ist. Alle fünf oben angeführten Abstraktionsprinzipien und das Abstraktionsschema selbst verstoßen nun gegen dieses Gesetz, wie sich sehr einfach zeigen lässt: Setzt man im Abstraktionsschema an die Stelle von „Φ[x]“: „x hält sich nicht zu x“, und an die Stelle von „Φ[y]“: „y hält sich nicht zu y“, dann erhält man: „Für alle [singulären Entitäten] y: y hält sich zu λΔx(x hält sich nicht zu x) genau dann, wenn y sich nicht zu y hält “, dessen prädikatenlogische Form dies ist: ∀y(R(y, t) ≡ ¬R(y, y)) – eine prädikatenlogische Kontradiktion (wie gerade gezeigt). Kein Wunder, dass im nächs-ten Schritt – bei der Allinstanziierung mit „λΔx(x hält sich nicht zu x)“ – der grelle Widerspruch herausspringt: „λΔx(x hält sich nicht zu x) hält sich zu λΔx(x hält sich nicht zu x) genau dann,

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wenn λΔx(x hält sich nicht zu x) sich nicht zu λΔx(x hält sich nicht zu x) hält “. Nach diesem Mus-ter lässt sich aus jedem der obigen fünf Abstraktionsprinzipien eine „Antinomie“ produzieren. Besonders interessant (weil ungewohnt) ist das beim Abstraktionsprinzip für Prädikate: Der einschlägige Einsetzungsfall bei diesem Prinzip ist „Für alle y: y erfüllt λPRx(x erfüllt nicht x) genau dann, wenn y y nicht erfüllt “, m . a. W.: „Für alle y: y erfüllt ‚x erfüllt nicht x‘ genau dann, wenn y y nicht erfüllt “, woraus sich durch Allinstanziierung mit ‚x erfüllt nicht x‘ ergibt: „‚x er-füllt nicht x‘ erfüllt ‚x erfüllt nicht x‘ genau dann, wenn ‚x erfüllt nicht x‘ ‚x erfüllt nicht x‘ nicht erfüllt “.

Die nächste Frage ist, wie dieses oder jenes der obigen fünf Abstraktionsprinzipien möglichst sinn-voll zu modifizieren wären, sodass es widerspruchsfrei würde. Ich konzentriere mich auf das Abstrak-tionsprinzip für Eigenschaften;10 dieses ist widersprüchlich, weil im Gegenteil das Folgende logisch wahr ist: „Für mindestens ein y: (A) y exemplifiziert λEIx(x exemplifiziert nicht x) und y exemplifiziert y, oder aber (B) y exemplifiziert y nicht und y exemplifiziert nicht λEIx(x exemplifiziert nicht x)“. Und der Quantor lässt sich über die Disjunktionsglieder verteilen (sodass das Ergebnis logisch äquivalent mit dem Ausgangspunkt ist): „(A´) Für mindestens ein y: y exemplifiziert λEIx(x exemplifiziert nicht x) und y exemplifiziert y, oder aber: (B´) Für mindestens ein y: y exemplifiziert y nicht und y exempli-fiziert nicht λEIx(x exemplifiziert nicht x)“. M. a. W.: „(A´) Für mindestens ein y: y exemplifiziert die Eigenschaft, sich nicht selbst zu exemplifizieren, und exemplifiziert sich selbst, oder aber: (B´) Für mindestens ein y: y exemplifiziert sich nicht selbst und exemplifiziert nicht die Eigenschaft, sich nicht selbst zu exemplifizieren“. Lässt sich aus dieser logischen Wahrheit [„(A´) oder (B´)“] Kapital schlagen?

Das erste Disjunktionsglied – (A´) – klingt wie ein glatter Widerspruch. Es sei dann auch davon ausgegangen: Die Negation von (A´) ist eine logische Wahrheit. In der Tat dürfte nicht nur die Negation von (A´), sondern sogar die „zweitgrößte“ Verallgemeinerung der Negation von (A´) – „Für alle y: wenn y λEIx¬Φ[x] exemplifiziert, dann ¬Φ[y]“ – eine logische Wahrheit sein; ja, es dürfte sogar die größte Verallgemeinerung der Negation von (A´) – „Für alle y: wenn y λEIxΦ[x] exemplifiziert, dann Φ[y]“ – eine logische Wahrheit sein11 (sodass „die Hälfte“ des Abstraktionsprinzips für Eigenschaften stehen gelassen werden kann).

5. Abstraktionsschema und AbstraktionsprinzipienEs ist folglich von der logischen Wahrheit von (B´) auszugehen (denn „(A´) oder (B´)“ ist eine logische Wahrheit, (A´) aber, wie festgestellt, eine logische Falschheit), also vonder logischen Wahrheit von„ Für mindestens ein y: y exemplifiziert sich nicht selbst und exemplifiziert nicht die Eigenschaft, sich nicht selbst zu exemplifizieren“. Was macht wohl dies zur logischen Wahrheit? Es ist kein Geheimnis: Die logische Wahrheit (B´) folgt (per „Existenzgeneralisierung“) aus der logische Wahrheit „Die Eigenschaft, sich nicht selbst zu exemplifizieren, exemplifiziert sich nicht selbst und exemplifiziert nicht die Eigenschaft, sich nicht selbst zu exemplifizieren“, oder kurz und logisch äquivalent: „Die Eigenschaft, sich nicht selbst zu exemplifizieren, exemplifiziert sich nicht selbst“. Dass dies Letztere eine logische Wahrheit ist, ergibt sich daraus, dass es aus der Ne- gation von (A´), welche (wie schon festgestellt) eine logische Wahrheit ist, logisch folgt.

„Die Eigenschaft, sich nicht selbst zu exemplifizieren, exemplifiziert sich nicht selbst“ besagt nun gemäß der Definition der Eigenschaftsexemplifikation so viel wie „Die Eigenschaft, sich nicht selbst zu exemplifizieren, ist keine Eigenschaft, oder [die Eigenschaft, sich nicht selbst zu exemplifizieren; die Eigenschaft, sich nicht selbst zu exemplifizieren] ist kein Sachverhalt, oder diese (die eben erwähnte) Füllung ist nichts Wirkliches“. Da „λEIxΦ[x] ist eine Eigenschaft“ ein Schema logischer Wahrheiten ist, nämlich für „abstrahierbare“ einstellige Prädikate, also für Eigenschaften meinende Prädikate Φ[x] (siehe die Erläuterung 0. zu Beginn dieses Abschnitts), ist „λEIx(x exemplifiziert nicht x) ist eine Eigenschaft“ eine logische Wahrheit; denn „x exempli-fiziert nicht x“ ist nun eben ein „abstrahierbares“ einstelliges Prädikat – davon wurde hier schon die ganze Zeit ausgegangen; sonst wäre das Abstraktionsprinzip für Eigenschaften ja gar nicht

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auf „x exemplifiziert nicht x“ anwendbar gewesen. Und folglich verkürzt sich die oben angeführ-te Disjunktion auf „[die Eigenschaft, sich nicht selbst zu exemplifizieren; die Eigenschaft, sich nicht selbst zu exemplifizieren] ist kein Sachverhalt, oder diese Füllung ist nichts Wirkliches“. Und über das zweite Glied dieser Disjunktion braucht man sich, was deren Wahrheit angeht, keine Gedanken zu machen, denn ihr erstes Glied ist ja schon wahr: dass die Füllung der Eigen-schaft, sich nicht selbst zu exemplifizieren, mit sich selbst kein Sachverhalt ist, dass also (laut einschlägiger Definition) die Eigenschaft, sich nicht selbst zu exemplifizieren, keine von sich selbst aussagbare Eigenschaft ist, ist ja alles andere als unplausibel.

Wie das Abstraktionsprinzip für Eigenschaften, also Für alle y: y exemplifiziert λEIxΦ[x] ge-nau dann, wenn Φ[y]“, zu modifizieren wäre, um es konsistent zu machen, liegt nun auf der Hand:

Für alle y: y exemplifiziert λEIxΦ[x] genau dann, wenn λEIxΦ[x] von y aussagbar ist 12und Φ[y]ist das Gesicherte Abstraktionsprinzip für Eigenschaften.13 Aus dem Gesicherten Abstraktions-prinzip für Eigenschaften folgt nun keine prädikatenlogische Kontradiktion, sondern nur dies: „λEIx(x exemplifiziert x nicht) exemplifiziert λEIx(x exemplifiziert x nicht) genau dann, wenn λEIx(x exemplifiziert x nicht) von λEIx(x exemplifiziert x nicht) aussagbar ist und λEIx(x exempli-fiziert x nicht) λEIx(x exemplifiziert x nicht) nicht exemplifiziert“ [die aussagenlogische Struktur ist: A ≡ (B ∧ ¬A)]; woraus sich neben „λEIx(x exemplifiziert x nicht) exemplifiziert λEIx(x exem-plifiziert x nicht) nicht“ nur noch logisch ergibt: „λEIx(x exemplifiziert x nicht) ist von λEIx(x exemplifiziert x nicht) nicht aussagbar“ – und nicht mehr neben „λEIx(x exemplifiziert x nicht) exemplifiziert λEIx(x exemplifiziert x nicht) nicht“ auch noch „λEIx(x exemplifiziert x nicht) ex-emplifiziert λEIx(x exemplifiziert x nicht)“, wie es beim Abstraktionsprinzip für Eigenschaften – dem noch ungesicherten  – der Fall ist.

Die Unwahrheit des Abstraktionsprinzips für Eigenschaften bei Wahrheit des Gesicherten Abstraktionsprinzip für Eigenschaften bedeutet freilich, dass das folgende Aussageschema nicht für beliebige Einsetzungen (von „abstrahierbaren“ Prädikaten) wahr ist:

5. Abstraktionsschema und AbstraktionsprinzipienFür alle y: Wenn Φ[y], dann ist λEIxΦ[x] von y (sinnvoll) aussagbar

Es bedeutet mit anderen Worten, dass „Für alle y: Wenn Φ[y], dann ist [λEIxΦ[x]; y] ein Sach-verhalt“ für manche Einsetzungen (für „Φ[y]“) nicht wahr ist. Das mag überraschen. Die zu der Gedankenführung beim Abstraktionsprinzip für Eigenschaften ganz analogen Überlegun-gen zum Abstraktionsprinzip für einstellige Begriffe führen (angesichts seiner Ersetzung durch das Gesicherte Abstraktionsprinzip für einstellige Begriffe) zu dem Resultat, dass „Für alle y: Wenn Φ[y], dann ist λBExΦ[x] von y (sinnvoll) aussagbar “ nicht für beliebige Einsetzungen wahr ist; dass m. a. W. „Für alle y: Wenn Φ[y], dann ist [λBExΦ[x]; y] eine Proposition“ für manche Einsetzungen nicht wahr ist. Dies mag erst recht überraschen (zumal mit „[λBExΦ[x]; τ] ist kei-ne Proposition“ auch gelten müsste „Dass Φ[τ], ist keine Proposition“). Aber beide „Überra-schungsresultate“ zusammen besagen ja nur, dass manche sprachlich möglichen Prädikationen kein nichtsprachliches ontologisches Gegenbild haben.

6. Subsumption und notwendige Subsumption

Die Eigenschaftssubsumption lässt sich mittels der Eigenschaftsexemplifikation wie folgt defi-nieren:

Die Eigenschaft F ist der Eigenschaft G subsumiert [subordiniert] =Def

F und G sind Eigenschaf-ten, und für alle [singulären Entitäten] x: wenn x F exemplifiziert, dann exemplifiziert x auch G.Die Begriffssubsumption – wie hier aus Gründen „der theoretischen Praxis“ (nämlich um sich nicht allzu umständlich ausdrücken zu müssen) das genannt wird, was eigentlich nur die Sub-sumption für einstellige Begriffe ist – lässt sich mittels der Begriffsinstanziierung (wie aus Grün-den „der theoretischen Praxis“ das genannt wurde, was eigentlich nur die Instanziierung für einstellige Begriffe ist) wie folgt definieren:

Der einstellige Begriff F´ ist dem einstelligen Begriff G´ subsumiert [subordiniert] =Def

F´ und G´ sind einstellige Begriffe, und für alle x: wenn x F´ instanziiert [unter F´ fällt], dann instan-ziiert x auch G´ [fällt x auch unter G´].

Ich konzentriere mich auf die Betrachtung der Eigenschaftssubsumption; was dort ausgeführt wird gilt (mutatis mutandis) auch für die Begriffssubsumption.14 Seien F und G Eigenschaften. Statt „F ist G subsumiert“ sagt man auch „F ist in G extensional [umfangsmäßig] enthalten“, statt „F ist G notwendigerweise subsumiert“ dementsprechend „F ist in G notwendigerweise extensional enthalten – wofür man mit inverser Reihenfolge der Relata dann auch sagt: „G ist in F intensional [d. h.: inhaltsmäßig] enthalten“ (oder auch „G ist in F per se beschlossen“ – wie

6. Subsumption und notwendige Subsumptionin Kapitel 2, Abschnitt 5, wo vom Eigenschaftsbeschlossenheitsprinzip die Rede ist). Es gilt also analytisch (und geradezu trivialerweise) das folgende Reziprozitätsgesetz :

Für alle Eigenschaften F und G: F ist in G genau dann notwendigerweise extensional [umfangs-mäßig] enthalten, wenn G in F intensional [inhaltsmäßig] enthalten ist.

Und es gilt (wiederum analytisch):

Für alle Eigenschaften F und G: Wenn G in F intensional enthalten ist, dann ist F in G extensi-onal enthalten.

Die Umkehrung hiervon gilt hingegen nicht (wie soeben – in der Anmerkung – gezeigt).

„Die Eigenschaft G ist in der Eigenschaft F intensional enthalten“ läuft – nach dem Gesagten unter Anwendung der Definition der Eigenschaftssubsumption – hinaus auf „ Notwendigerweise : F und G sind Eigenschaften, und für alle x: wenn x F exemplifiziert, dann exemplifiziert x G“. Gemäß der Modallogik und wegen der Nichtkontingenz des Eigenschaftsseins ist das zuletzt Angeführte logisch äquivalent mit „F und G sind Eigenschaften, und notwendigerweise für alle x: wenn x F exemplifiziert, dann exemplifiziert x G“.

Eigenschaftssubsumption und Eigenschaftsexemplifikation – und Begriffssubsumption und Begriffsinstanziierung  – wurden in der weiter zurückliegenden Vergangenheit nicht aus-einandergehalten und werden wohl auch heute noch vielfach nicht auseinandergehalten.16Einer Identifizierung der Verschiedenen (die nur fehlerhaft sein kann) wird Vorschub ge-leistet durch sprachliche Erscheinungen – wie die Abwesenheit der bestimmten Artikel im Lateinischen ( der Wissenschaftssprache bis ins 17. Jahrhundert), wodurch Exemplifika-tionsaussagen („Socrates est animal“) stets wie Subsumptionsaussagen aussehen („homo est animal“), und der Existenz rhetorischer Figuren im Deutschen, die den bestimmten Artikel auch da verwenden, wo eigentliche eine Subsumptionsaussage, keine Exemplifi-kationsaussage gemacht wird („Der Löwe ist ein Säugetier“). Frege hat den Unterschied zwischen „X ist Merkmal des Begriffs F´“ (der Begriff F´ ist X subordiniert) und „x fällt unter den Begriff F´“ (x instanziiert den Begriff F´) gegenüber den Verwirrungen seiner Zeitgenossen wiederholt herausgestellt. Was aber auch ihm offenbar fremd war, war die Unterscheidung zwischen Subordination (Subsumption) simpliciter und notwendiger Sub-ordination, also auch zwischen umfangsmäßigem Enthaltensein (von F´ in G´) und in-haltsmäßigem Enthaltensein (von G´ in F´: das notwendige umfangsmäßige Enthaltensein von F´ in G´; die Rede, dass Begriff G´ ein „Merkmal“ von Begriff F´ sei, ist eigentlich nur bei Notwendigkeit des umfangsmäßigen Enthaltenseins von F´ in G´ angemessen).

6. Subsumption und notwendige Subsumption

Allerdings gibt es eine Form der Eigenschaftssubsumption, die der Eigenschaftsexemplifi-kation logisch äquivalent ist (und entsprechend eine Form der Begriffssubsumption, die der Begriffsinstanziierung logisch äquivalent ist); denn es gilt ja logisch für alle x: x exemplifiziert die Eigenschaft F genau dann, wenn die Eigenschaft, mit x identisch zu sein, der Eigenschaft F subsumiert ist. Das lässt sich sogar rein intuitiv einsehen, ohne dass man dabei schon die Defi-nition der Eigenschaftssubsumption durch die Eigenschaftsexemplifikation voraussetzt. Würde man also den Begriff der Eigenschaftssubsumption als Grundbegriff wählen, so könnte man mit ihm den Begriff der Eigenschaftsexemplifikation definieren. Doch dürfte dennoch der letztere Begriff sowohl in der Ordnung der Erkenntnis als auch in der Ordnung des Seins der frühere sein (wie es die Altvordern formulieren würden).

6. Subsumption und notwendige SubsumptionSchließlich ist auch noch auf Folgendes hinzuweisen: Daraus, dass Eigenschaft F der Eigenschaft G subsumiert ist (ob notwendigerweise oder nicht), folgt nicht ohne Weiteres, dass Eigenschaft non-G der Eigenschaft non-F subsumiert ist. Ein Satz der Gestalt „Für alle x: wenn x F exemplifiziert, dann exemplifiziert x auch G“ ist zwar logisch äquivalent mit einem Satz der Gestalt „Für alle x: wenn x G nicht exemplifiziert, dann exemplifiziert x auch nicht F“; aber daraus ergibt sich nicht ohne Weiteres „Für alle x: wenn x non-G exemplifiziert, dann exemplifiziert x non-F“. Warum nicht?

Versuchen wir die Ableitung! Es sei vorausgesetzt, dass für alle y gilt: wenn y G nicht exempli-fiziert, dann exemplifiziert y auch nicht F (wobei selbstverständlich sei, dass F und G und deren Negationen von y aussagbare Eigenschaften sind); und es sei nun angenommen, dass x non-G exemplifiziert. Und nun kommt man nicht weiter – es sei denn, man setzt zusätzlich voraus, (i) dass x eigenschaftlich konsistent ist (also nicht so ist, wie manche Andere Individuale sind). Dann kann man daraus, dass x non-G exemplifiziert, schließen, dass x G nicht exemplifiziert, und daraus mit der zuerst gemachten Voraussetzung weiter schließen, dass x F nicht exempli-fiziert. Hier jedoch kommt man abermals nicht weiter – es sei denn, man setzt zusätzlich vo-raus, (ii) dass x eigenschaftlich vollständig ist (also nicht so ist, wie, wiederum, manche Andere Individuale sind). Dann kann man daraus, dass x F nicht exemplifiziert, schließen, dass x non-F exemplifiziert – und ist am Ziel.

Die Aussage „Wenn G intensional in F enthalten ist (d. h.: F G [ Dativ : der Eigenschaft G] notwendigerweise subsumiert ist), dann ist non-F intensional in non-G enthalten (d. h.: non-G non-F [ Dativ : der Eigenschaft non-F] notwendigerweise subsumiert)“ ist eines der Boole’schen Gesetze für Eigenschaften : der Gesetze für deren Konjunktionen und Negationen (und Dis-junktionen)20 in den Verhältnissen des intensionalen Enthaltenseins und der Identität. Wie nun

7. Identität bei Funktionen(im vorausgehenden Absatz) deutlich geworden ist, sind diese Gesetze ontologisch vorausset-zungsreicher und darum in ihrer Geltung beschränkter, als es zunächst scheint. Aber selbst-verständlich gibt es „Familien“ von Eigenschaften, für die sie gelten. Welche z. B. – das wird im Folgenden deutlicher werden; siehe Unterabschnitt Gamma in Abschnitt 11.

7. Identität bei Funktionen

Daraus, dass Eigenschaften (gewisse Funktionen ) F und G wechselseitig einander subsumiert sind (gegenseitig ineinander extensional enthalten sind), folgt bekanntlich nicht ihre Identität, sondern nur ihre Umfangsgleichheit (was allerdings Anlass für die Identität gewisser Objekte ist, nämlich ihrer Umfänge , die ja mengentheoretische Klassen , im Normalfall Mengen sind, aber auch als Wertverläufe im Sinne Freges – genauer gesagt:als W[ahr]-F[alsch]-Wertverläufe  – auf-gefasst werden können). Folgt daraus, dass Eigenschaften F und G wechselseitig einander not- wendigerweise subsumiert sind (gegenseitig ineinander intensional enthalten sind) ihre Identi-tät? Nimmt man hinzu, dass die Eigenschaften F und G von denselben (singulären) Entitäten aussagbar sind (d. h.: von allen x, von denen F aussagbar ist, ist G aussagbar, und umgekehrt, was besagt: für jedes x, wo [F; x] ein Sachverhalt ist, ist auch [G; x] ein Sachverhalt, und umgekehrt), dann ergibt sich – hinzugenommen ihre Aussagbarkeitsgleichheit – aus ihrem wechselseitigen notwendigen Subsumiertsein in der Tat ihre Identität.

Für einstellige Begriffe hingegen hat dieses Identitätsgesetz kein Analogon. Manche einstel-ligen Begriffe sind wechselseitig einander notwendigerweise subsumiert und zudem von den-selben Entitäten aussagbar – und sind dennoch voneinander verschieden. So ist es bei den Be-griffen gleichseitiges Dreieck und gleichwinkliges Dreieck (aber die Eigenschaft, ein gleichseitiges Dreieck zu sein , und die Eigenschaft, ein gleichwinkliges Dreieck zu sein , die ebenfalls wechsel-seitig einander notwendigerweise subsumiert und von denselben Entitäten aussagbar sind – die sind identisch ). Es erhebt sich die Frage, wann denn Begriffe überhaupt identisch sind? Hier ist die Antwort. Die Identität von einstelligen Begriffen beruht auf der Identität ihrer Füllungen, gemäß folgendem Identitätsgesetz:

Wenn von den einstelligen Begriffenundgilt , dass für jede Entität y: [F´; y] = [G´; y],21 dann gilt : F´ ist identisch mit G´.

Wie dies für mehrstellige (aber endlichstellige) Begriffe zu verallgemeinern wäre, sei durch den besonderen Fall des Identitätsgesetzes für zweistellige Begriffe illustriert:

Wenn von den zweistelligen Begriffenund Q´ gilt, dass für alle Entitäten u und v: [R´; u, v] = [Q´; u, v],22 dann gilt : R´ ist identisch mit Q´.

Von den Begriffen auf die Eigenschaften zurückschauend sieht man nun, dass der Identität von Eigenschaften auch eine andere Analyse als bislang (siehe oben) gegeben werden kann. Wie die Identität von einstelligen Begriffen auf der Identität ihrer Füllungen beruht, so beruht auch die Identität von Eigenschaften auf der Identität ihrer Füllungen, gemäß folgendem Identitätsgesetz: Wenn von den Eigenschaften F und G gilt , dass für jede Entität y: [F; y] = [G; y],23 dann gilt : F ist identisch mit G.

Ist aber dieses zweite Identitätsgesetz für Eigenschaften mit dem oben schon angegebenen ers-ten, anderslautenden äquivalent? Um diese Frage zu bejahen, bräuchte für (beliebige) Eigen-schaften F und G nur gezeigt zu werden: F und G sind von denselben Entitäten aussagbar und F und G sind wechselseitig einander notwendigerweise subsumiert genau dann, wenn für jede Entität y: [F; y] = [G; y]. Von rechts nach links (beim „genau dann, wenn“) bereitet das keine Schwierigkeiten (und es bedeutet, dass das zweite Identitätsgesetz aus dem ersten folgt):

7. Identität bei FunktionenVon links nach rechts hingegen: „Wenn Eigenschaften F und G von denselben Entitäten aussag-bar sind und wechselseitig einander notwendigerweise subsumiert sind, dann gilt für jede Entität y: [F; y] = [G; y]“ – das muss postuliert werden; nur so bekommt man das erste Identitätsgesetz aus dem zweiten.24 Es kommt darin eine Eigentümlichkeit von Eigenschaften im Unterschied zu einstelligen Begriffen zum Ausdruck; für einstellige Begriffe F´ und G´, die von denselben Entitäten aussagbar sind und wechselseitig einander notwendigerweise subsumiert sind, gilt ja keineswegs immer (welche sie auch seien) für jede Entität y: [F´; y] = [G´; y].

Das zweite Identitätsgesetz für Eigenschaften ist eine Spezialisierung des Identitätsgesetzes für normale einstelligen Funktionen – einfach aufgrund dessen, dass alle Eigenschaften normale einstellige Funktionen sind:

Für alle normalen einstelligen Funktionen Z und Z´: Gilt für alle Entitäten y: [Z; y] = [Z´; y], dann gilt: Z = Z´.

Ebenso ist das (oben schon angegebene) Identitätsgesetz für einstellige Begriffe eine Spezialisie-rung des Identitätsgesetzes für normale einstellige Funktionen – denn einstellige Begriffe sind normale einstellige Funktionen. Es ist offensichtlich: Weder die eine Spezialisierung noch die andere verrät für sich genommen viel über die Entitäten, auf die sich die jeweilige Spezialisierung bezieht.

Die Identität normaler einstelliger Funktionen wird gemäß dem angegebenen Identitätsgesetz für derartige Funktionen zurückgeführt auf die Identität ihrer Füllungen – und wie die Iden-titätsgesetze für normale zweistellige, dreistellige, allgemein: N-stellige Funktionen aussehen, liegt ( per analogiam ) auf der Hand. (Alle diese – unendlich vielen – Identitätsgesetze lassen sich durch ein knappes Gesetzes schema  – „das Identitätsgesetz für normale N-stellige Funktio-nen“ – darstellen; siehe unten.) Auch die Identität normaler mehrstelliger Funktionen wird also zurückgeführt auf die Identität ihrer Füllungen. Aber – die Frage brennt schon auf den Nägeln – was heißt hier „normal“? Gibt es auch „unnormale“ Funktionen?

Um diese Fragen zu beantworten, muss ein wenig ausgeholt werden. Bei den Füllungen einer Funktion Z ist (wie schon gesagt wurde: in Fußnote 3) zu unterscheiden zwischen Füllungen, die Sättigungen von Z sind, und Füllungen, die keine Sättigungen von Z sind (wobei jede Sättigung von Z eine Füllung von Z ist).

(I) Ist Z eine N-stellige Funktion (N ≥ 1) und sind y1

, …, yk

Entitäten, sodass k ≠ N, so ist „[Z; y1

, …, yk

]“ eigentlich nicht definiert; wir legen aber fest: [Z; y1

, …, yk

] = Nichts (wo „ Nichts “ als singulärer Term verwendet wird, nämlich als Eigenname, der aus dem generellen Term „(ein) Nichts“ abgeleitet ist, ganz so, wie der Eigenname „Gott“ aus dem generellen Term „(ein) Gott“ abgeleitet ist). (II) Ist Z eine N-stellige Funktion und sind y1

, …, yN

Entitäten, sodass y1

, …, yN(in dieser Reihenfolge) Z (zwar füllen, aber) nicht sättigen, so ist „[Z; y1

, …, yN

]“ eigentlich nicht definiert; wir legen aber fest: [Z; y1

, …, yN

] = Nichts . (III) Ist Z ein Objekt (also keine Funktion), so ist „[Z; y1

, …, yN

]“ eigentlich nicht definiert; wir legen aber fest: [Z; y1

, …, yN

] = Nichts (egal, um welche y1

, …, yN und um welche natürliche Zahl N (≥ 1) es sich handeln mag).

Wenn also [Z; y1

, …, yN

] nicht Nichts ist, dann ist Z eine N-stellige Funktion, die durch y1

, …, yN

(in dieser Reihenfolge) nicht nur gefüllt, sondern auch gesättigt wird, und [Z; y1

, …, yN

] ist eine Sättigung, nicht nur eine Füllung von Z. Gilt aber auch die Umkehrung des vorausgehenden „Wenn, dann“-Satzes? Gilt auch „Wenn Z eine N-stellige Funktion ist, die durch y1

, …, yN

(in dieser Reihenfolge) nicht nur gefüllt, sondern auch gesättigt wird (bei der, m. a. W., [Z; y1

, …, yN

] eine Sättigung, nicht nur eine Füllung von Z ist), dann ist [Z; y1

, …, yN

] nicht Nichts “? Leider nein. Die (einstellige) Identitätsfunktion , die durch jede Entität sättigbar ist und deren Sättigung stets die sie sättigende Entität ist, liefert das folgende Resultat: [λx(die mit x identische Entität);25

7. Identität bei Funktionen Nichts ] ist eine Sättigung von λx(die mit x identische Entität) – λx(die mit x identische Entität) wird durch Nichts gesättigt –, aber [λx(die mit x identische Entität); Nichts ] = Nichts .

Eine normale Funktion ist nun (definitorisch) eine Funktion, bei der keine ihrer Sättigungen (sondern allenfalls eine Füllung von ihr, die keine Sättigung von ihr ist) mit Nichts identisch ist. Die Identitätsfunktion ist, wie gerade gesehen, keine normale Funktion, während alle Eigen-schaften, Relationen, ein- und mehrstellige Begriffe normale Funktionen sind (wie schon be-hauptet); denn ihre Sättigungen sind stets Sachverhalte bzw. Propositionen, und die sind alle von Nichts verschieden. Nichts fällt nämlich unter die Kategorie Anderes Objekt ; es ist ein Anderes Objekt, das niemals vom menschlichen Geist berührt wird (außer natürlich, immerhin, durch die Namensgebung „ Nichts “ und die gerade geschehenen Beschreibungen und durch Verwen-dungen in deren Sinn – sowie durch eine zusätzliche Beschreibung in Abschnitt 14, Fußnote 63, und zudem durch etwas im nächsten Kapitel noch Kommendes); es ist ein (weitgehendes) epistemologisches Nichts (ähnlich wie „die Dinge an sich“ in Kants theoretischer Philosophie).Sind Z und Z´ beide normale N-stellige Funktionen, dann folgt aus (a): Für alle Entitäten y1

, …, yN

: [Z; y1

, …, yN

] = [Z´; y1

, …, yN

], dies: dass Z undvon denselben Entitäten in derselben Weise sättigbar sind , m. a. W. (b): Für alle Entitäten y1

, …, yN

: [Z; y1

, …, yN

] ist eine Sättigung von Z genau dann, wenn [Z´; y1

, …, yN

] eine Sättigung von Z´ ist. Denn aus (a) folgt offensichtlich (c): Für alle Entitäten y1

, …, yN

: [Z; y1

, …, yN

] ≠ Nichts genau dann, wenn [Z´; y1

, …, yN

] ≠ Nichts , und es gilt (d): Für alle Entitäten y1

, …, yN

: [Z; y1

, …, yN

] ist eine Sättigung von Z genau dann, wenn [Z; y1

, …, yN

] ≠ Nichts , und für alle Entitäten y1

, …, yN

: [Z´; y1

, …, yN

] ist eine Sättigung von Z´ genau dann, wenn [Z´; y1

, …, yN

] ≠ Nichts .

Das obige Ergebnis bedeutet, dass im Identitätsgesetz (eigentlicher gesprochen: in den Iden-titätsgesetzen) für normale N-stellige Funktionen die Identitätsbedingung (a) nicht durch die Identitätsbedingung (b) ergänzt zu werden braucht, denn (b) ist bei normalen N-stel-ligen Funktionen schon in (a) enthalten. Im Allgemeinen Identitätsgesetz für alle N-stelligenFunktionen (gleichgültig, ob sie normal sind oder nicht) ist aber (b) neben (a) anzugeben. Denn es kann folgende Situation eintreten: Z und Z´ sind N-stellige Funktionen, und (a): Für alle Entitäten y1

, …, yN

: [Z; y1

, …, yN

] = [Z´; y1

, …, yN

], also auch (c): Für alle Entitäten y1

, …, yN

: [Z; y1

, …, yN

] ≠ Nichts genau dann, wenn [Z´; y1

, …, yN

] ≠ Nichts . Nun gelte aber auch für gewisse x1

, …, xN

: [Z; x1

, …, xN

] ist keine Sättigung (sondern nur eine Füllung) von Z, also mit (II) [siehe oben die Festlegungen für die Verwendung von „ Nichts “]: [Z; x1

, …, xN

] = Nichts . Folglich: [Z´, x1

, …, xN

] = Nichts , wobei aber nun – es wird durch nichts ausgeschlossen – [Z´; x1

, …, xN

] eine Sättigung vonsei . Z und Z´ sind demnach offensichtlich verschieden, denn (b) ist für Z und Z´ nicht wahr (und Z und Z´ sind nicht beide eine normale Funktion: Z´ zumindest ist keine).

Es bleibt, das eben schon erwähnte Identitätsgesetz für normale N-stellige Funktionen und das ebenfalls eben erwähnte Allgemeine Identitätsgesetz für N-stellige Funktionen auch tat-sächlich hinzuschreiben (eigentlich sind beide sog. „Gesetze“ Schemata für unendlich viele Gesetze):

Für alle normalen N-stelligen Funktionen Z und Z´: wenn für alle Entitäten y1

, …, yN

: [Z; y1

, …, yN

] = [Z´; y1

, …, yN

], dann gilt: Z = Z´.

Für alle N-stelligen Funktionen Z und Z´: wenn , (a), für alle Entitäten y1

, …, yN

: [Z; y1

, …, yN

] = [Z´; y1

, …, yN

], und, (b), für alle Entitäten y1

, …, yN

: [Z; y1

, …, yN

] ist eine Sättigung von Z genau dann, wenn [Z´; y1

, …, yN

] eine Sättigung von Z´ ist, dann gilt: Z = Z´.

185

8. Identität bei Sachverhalten und Propositionen, und Identität überhaupt

8. Identität bei Sachverhalten und Propositionen, und Identität überhaupt

Bei der Identität von Eigenschaften gibt es, wie im vorausgehenden Abschnitt gesehen, zwei Identitätsgesetze:

IEI1: Für alle Eigenschaften F und G: Sind F und G wechselseitig einander notwendigerweise subsumiert26 und von denselben Entitäten aussagbar,27 dann gilt: F = G.

IEI2: Für alle Eigenschaften F und G: Wenn für alle Entitäten y gilt: [F; y] = [G; y], dann gilt: F = G.Bei der Identität von Sachverhalten gibt es ebenfalls zwei Identitätsgesetze:

ISA1: Für alle Sachverhalte S und T: Wenn es (absolut) notwendig ist, dass S genau dann der Fall ist, wenn T der Fall ist, dann gilt: S = T.

ISA2: Für alle Sachverhalte S und T: Wenn für alle einstelligen Funktionen Z gilt: [Z; S] = [Z; T], dann gilt: S = T.

ISA2 ergibt sich vor dem Hintergrund der anerkannten Prinzipienlage logisch aus ISA1 (wäh-rend die Umkehrung – dass sich ISA1 aus ISA2 ergibt – postuliert werden muss28):

ISA1 hat kein Analogon auf Seite der Propositionen: Es ist notwendig, dass die Proposition, dass 2+2 4 ist, genau dann wahr ist, wenn die Proposition, dass 22+22 44 ist, wahr ist; aber die beiden Propositionen sind dennoch verschieden – während der Sachverhalt , dass 2+2 4 ist, mit dem

8. Identität bei Sachverhalten und Propositionen, und Identität überhaupt Sachverhalt , dass 22+22 44 ist, identisch ist. Überhaupt sind gemäß ISA1 alle notwendigerweise bestehenden (der Fall seienden) Sachverhalte – dass 2+2 = 4 und dass 22 + 22 = 44, sind triviale Beispiele für solche Sachverhalte – ein einziger Sachverhalt (und der eben gebrauchte Plural ist ein Plural ohne ontologische Bedeutung); das ist eine Folge von ISA1 und dem elementaren modallogischen Gesetz „Wenn es notwendig ist, dass A [z. B. dass S der Fall ist], und notwendig ist, dass B [z. B. dass T der Fall ist], dann ist es notwendig, dass A genau dann, wenn B“. Hieran Anstoß nehmen kann man nur dann, wenn man Sachverhalte und Propositionen nicht unter-scheidet.

ISA2 hingegen hat ein Analogon auf Seite der Propositionen:

IPR: Für alle Propositionen S´ und T´: Wenn für alle einstelligen Funktionen Z gilt: [Z; S´] = [Z; T´], dann gilt: S´ = T´.

Sowohl ISA2 als auch IPR sind offensichtliche Spezialisierungen (neben anderen Spezialisierun-gen) eines völlig universellen Identitätsgesetzes:

UI: Für alle x und y: Wenn für alle einstelligen Funktionen Z gilt: [Z; x] = [Z; y], dann gilt: x = y.Neben ISA2 und IPR ist eine weitere Spezialisierung von UI das folgende Identitätsgesetz:

IFU2: Für alle Funktionen x und y: Wenn für alle einstelligen Funktionen Z gilt: [Z; x] = [Z; y], dann gilt: x = y.

Hieran ist nichts auszusetzen; denn auch Funktionen – nicht nur Objekte – füllen einstellige Funktionen – und wenn sie das stets mit identischen Resultaten tun, dann sind sie identisch. IFU2 heißt deshalb so, weil es an die Seite von IN-FU1 – dem Allgemeinen Identitätsgesetz für N-stellige Funktionen29 – tritt, das am Ende des vorausgehenden Abschnitts aufgestellt wurde. IFU2 hat nicht nur einen anderen Grundgedanken als IN-FU1, es ist auch allgemeiner, weil es auch unendlichstellige Funktionen berücksichtigt. Sowohl IN-FU1 als auch IFU2 sind gewiss wahr; wie es auf der Grundlage plausibler Prinzipien um die logische Herleitbarkeit des einen der beiden Gesetze aus dem andern steht, wenn IFU2 auf N -stellige Funktionen eingeschränkt wird (das Resultat ist IN-FU2) – das ist eine interessante Frage, die hier aber nicht weiterverfolgt werden soll.

Zurück zu UI. Das folgende Prinzip, das logisch stärker als UI ist (anders als UIs Spezialisie-rungen ISA2, IPR und IFU2), ist genauso ein Identitätsgesetz wie UI selbst (es ist logisch stärker, weil die hinreichende Bedingung für Identität, die es anbietet, weniger stark ist – weniger ver-langt – als die von UI):

EIUI: Für alle x und y: Wenn für alle Eigenschaften F gilt: [F; x] = [F; y], dann gilt: x = y.

Damit sind wir in der Nähe eines berühmten Prinzips, nämlich von Leibnizens principium iden- titatis indiscernibilium . Ist EIUI logisch stärker als UI, so ist Leibnizens principium logisch stär-ker als EIUI (seine Antezedensbedingung ist nämlich logisch schwächer als die von EIUI):

PII: Für alle x und y: Wenn für alle Eigenschaften F gilt: x exemplifiziert F genau dann, wenn y F exemplifiziert, dann gilt: x = y.

Gegen PII – als notwendiges Prinzip gedacht – ist zuweilen durch Gedankenexperimente ver-sucht worden, darzutun, dass doch zwei verschiedene Entitäten genau dieselben Eigenschaften haben könnten. Doch schon daraus, dass y jede Eigenschaft hat, die x hat, ergibt sich notwendig, dass x mit y identisch ist: λEIz(z = x) – die Eigenschaft, mit x identisch zu sein – ist wegen des (notwendig geltenden) Gesicherten Abstraktionsprinzips für Eigenschaften und wegen der (not-wendigen) Wahrheit von „x = x und λEIz(z = x) ist von x aussagbar“ (für beliebige x) eine Eigen-schaft, die x hat (exemplifiziert), die also y ebenfalls hat (wenn es jede Eigenschaft hat, die x hat), woraus nach dem Gesicherten Abstraktionsprinzip für Eigenschaften wiederum folgt, dass y mit x identisch ist, also auch x mit y.

Also: Nicht nur PII, sondern auch das folgende Prinzip ist ein universelles Identitätsgesetz:

189

8. Identität bei Sachverhalten und Propositionen, und Identität überhaupt PII+: Für alle x und y: Wenn für alle Eigenschaften F gilt: wenn x F exemplifiziert, dann exempli-fiziert y F, dann gilt: x = y.

Und es ist ein Identitätsgesetz, das aufgrund des Gesicherten Abstraktionsprinzips für Eigen-schaften beweisbar ist – wie gesehen. PII+ ist im Übrigen nicht logisch stärker als PII (mag es auch auf den ersten Blick anders scheinen), weil aus „Für alle Eigenschaften F: wenn x F exem-plifiziert, dann exemplifiziert y F“ sich „Für alle Eigenschaften F: wenn y F exemplifiziert, dann exemplifiziert x“ ergibt, mithin auch „Für alle Eigenschaften F: x exemplifiziert F genau dann, wenn y F exemplifiziert“.

Das folgende Diagramm fasst die Ergebnisse dieses Abschnitts zusammen. (Der Pfeil  – ob senkrecht oder waagrecht – steht für die Folgerbarkeit des „an der Pfeilspitze“ Stehenden aus dem „am Schaftende“ Stehenden, wobei bei der Folgerbarkeit deren Transitivität zu berück-sichtigen ist.)

ISA1

ISA2

PII+/PII → EIUI → UI → IPR

IEI3+/IEI3

IFU2 → IN-FU2

Die bislang noch nicht erwähnten Prinzipien IEI3 und IEI3+ sind Spezialisierungen von PII bzw. PII+ einfach dadurch, dass statt „Für alle x und y“ gesetzt wird (an ihrem Anfang): „Für alle Eigenschaften x und y“. (An IEI3+/IEI3 ist genauso wenig Anstoß zu nehmen wie an IFU2.)

Die Ergebnisse des vorausgehenden Abschnitts lassen sich in folgendem Diagramm dar-stellen:

190

IN-FU130

IN-FU1!31→ I2-BE,32 etc.

I1-FU1!33→ I1-BE34

IEI1 → IEI2

Es ist zu ergänzen, was im vorausgehenden Abschnitt nicht eigens zur Sprache kam: Aus IN-FU1! ergeben sich auch Identitätsgesetze für zweistellige Relationen, dreistellige Rela-tionen, allgemein: N-stellige Relationen (N ≥ 2). Nach dem Muster von I2-BE (das Gesetz – noch ohne Kurznamen – findet sich ausbuchstabiert gegen Anfang des vorausgehenden Ab-schnitts) ist in offensichtlicher Generalisierung ersichtlich, wie I3-BE, I4-BE, etc. aussehen; nach demselben Muster ist durch Ersetzung der Rede von mehrstelligen Begriffen durch die Rede von Relationen ersichtlich, wie I2-RE2 aussieht – und I3-RE2, I4-RE2, etc. Die Ziffer „2“ am Schluss der Kurzbezeichnungen für die N-stellige Relationen betreffenden Identitäts-gesetze ist kein Versehen. I2-RE2, z. B., ist ein zweites Identitätsgesetz für zweistellige Rela-tionen; das erste für diese Entitäten – also I2-RE1 – ist, demselben Grundgedanken folgend wie IEI1, dieses:

Für alle zweistelligen Relationen R und R´: Wenn es (1) notwendig ist, dass für alle x, y gilt: x, y (in dieser Reihenfolge) exemplifizieren R genau dann, wenn sie (in derselben Reihen-folge) R´ exemplifizieren, und zudem (2) für alle x, y gilt: R ist von x, y (in dieser Reihen-folge aussagbar genau dann, wenn R´ von x, y (in dieser Reihenfolge) aussagbar ist, dann gilt: R = R´.

Wie I3-RE1, I4-RE1, etc. aussehen, ist nach dem Muster von I2-RE1 ersichtlich. Es lässt sich beweisen: IN-RE1 → IN-RE2 (für jede natürliche Zahl N ≥ 2); was dafür wesentlich ist, ist aus dem Beweis von IEI1 → IEI2 im vorausgehenden Abschnitt ersichtlich.

9. Teil und Ganzes

Willard van Orman Quine forderte einst: „No entity without identity.“35 Er meinte damit, dass für jede Entität y eine Bedingung existieren müsse, sodass, wenn eine Enität x sie erfüllt, x mit y identisch ist; wenn x sie hingegen nicht erfüllt, x von y verschieden ist. Aus diesem und dem vorausgehenden Abschnitt geht nun ohne Zweifel hervor: „There is [a criterion of] identity for every entity.“ Das bedeutet allerdings nicht, dass die Identitätskriterien, die sich aus den be-trachteten Identitätsgesetzen ablesen lassen (die von diesen jeweils dargebotene hinreichende Bedingung der Identität – sei es für beliebige Entitäten oder für Entitäten einer gewissen Art – ist ja bei jedem von ihnen auch eine notwendige ), stets auch epistemisch brauchbar sind. Das Identitätskriterium, das sich PII entnehmen lässt, ist z. B. nur geeignet, um (per seine Nicht-erfüllung) Verschiedenheit festzustellen; dafür, um (per seine Erfüllung) Identität festzustellen, ist es hingegen nicht geeignet. Denn um zu wissen, dass x und y genau dieselben Eigenschaften haben, muss man schon wissen, dass x mit y identisch ist: weil x die Eigenschaft, mit y identisch zu sein, die y zweifelsohne hat, in der Ordnung der Erkenntnis nur deshalb hat – wenn es sie hat –, weil es mit y identisch ist.

Zudem: Keines der Identitätskriterien, die sich aus den betrachteten Identitätsgesetzen ab-lesen lassen, kann dazu verhelfen, die Frage zu beantworten, welches Objekt Nichts ist. Es kann nicht anders sein, weil ja Nichts ein epistemologisches Nichtsist. Das ändert aber nichts daran, dass es mit etwas identisch ist und Identitätsgesetzen untersteht (PII, EIUI, UI): Auch Nichts ist keine Entität ohne Identität.

9. Teil und Ganzes

Nach den „ist“-Relationsbegriffen ist nun zu sprechen über allgemeinmetaphysische Relations-begriffe, die nicht zu diesen gehören. An erster Stelle sind hier zu nennen die allgemeinmeta-physischen Teil-Ganzes-Begriffe, die alle durch das plurivoke Prädikat „x ist ein Teil von y“ ausgedrückt wird (oder durch das ebenso plurivoke – allerdings ungebräuchliche – Prädikat „y ist ein Ganzes zu x“).

Sowohl „x ist identisch mit y“ als auch „x ist ein Teil von y“ sind hochontologische Prädikate. Aber im Gegensatz zu „x ist mit y identisch“ hat „x ist ein Teil von y“ keinen einheitlichen Sinn, drückt (de facto) nicht einen Begriff aus, sondern viele (in verschiedenen Kontexten).37 Dabei kann es sogar so scheinen, als drücke „x ist ein Teil von y“ einen weiteren (bisher noch nicht be-trachteten) „ist“-Relationsbegriff aus: Jemand deutet auf ein Stück eines Flusses und sagt: „Das ist der Lech.“ Das kann bedeuten, dass der Fluss, von dem man einen Teil sieht, der Lech ist; in (der Äußerung von) „Das ist der Lech“ liegt dann ein identifikatives „ist“ vor. Es kann aber auch bedeuten, dass der Wasserlauf, den man sieht, ein Teil des Lechs ist ; in diesem Fall ist man ver-sucht zu sagen, dass das „ist“ in (der Äußerung von) „Das ist der Lech“ ein mereologisches sei. Es scheint aber angemessener, im letzteren Fall von einer gewissermaßen quasi-metaphorischen, pars-pro-toto- identifikativen, also pseudo-identifikativen Verwendung von „ist“ zu sprechen.

Welche Begriffe kann „x ist ein Teil von y“ (im Rahmen seiner im weitesten Sinne legiti-men Interpretationen) alles ausdrücken? Verschaffen wir uns einen gewissen Überblick! Um die Unterschiede sichtbar zu machen, beschränke ich mich dabei auf die Betrachtung von reinen Teil-Ganzes-Aussagen Π und nicht-Π,38 von denen der eine Teil-Ganzes-Begriff die eine Aus-sage wahr sein lässt (was nicht unbedingt heißen muss, dass er – schon für sich genommen – sie wahr macht ), der andere aber die andere. Zunächst jedoch ist festzuhalten, dass zwischen allen Teil-Ganzes-Begriffen sehr wohl ein nicht bloß formallogischer Konsens besteht: Alle lassen sie „Manches ist von manchem ein Teil“ [∃x∃yT(x, y)] und „Manches ist von manchem nicht ein

9. Teil und GanzesTeil“ [∃x∃y¬T(x, y)] wahr sein, und alle lassen sie „Alles ist ein Teil von sich selbst, oder nichts ist ein Teil von sich selbst“ [∀xT(x, x)∨ ¬∃xT(x, x)] wahr sein.

Nun zu den Unterschieden zwischen den Teil-Ganzes-Begriffen. Im Folgenden ist bei den Satzpaaren Π und nicht-Π (wobei statt nicht-Π auch ein Satz stehen kann, der mit nicht-Π prädikatenlogisch äquivalent ist) die sonst in diesem Buch geltende Interpretation der mit „alle“ und „manche“ (oder Ähnlichem) erfolgenden Quantifikation – nämlich als über alle singulä-ren Entitäten erfolgend bzw. (manchmal) als über alles überhaupt erfolgend – ausgesetzt , und die Π bzw. nicht-Π (oder prädikatenlogisch Äquivalentes) in Zusammenarbeit mit dem jeweils passenden Teil-Ganzes-Begriff wahrmachenden Alle sind gegebenenfalls erst interpretatorisch anzugeben (z. B. können sie alle Sachverhalte sein, oder alle Propositionen, usf.); zum Zeichen dafür (vor allem aber, um die logischen Strukturen optimal offenzulegen) werden Π und nicht-Π auch in symbolisch-prädikatenlogischer Schreibweise angegeben. (Aber wenn weiter nichts gesagt wird, ist die – in diesem Buch normale – Quantifikation über alle singulären Entitäten unterstellt.)

1. Bei manchen Teil-Ganzes-Begriffen ist (a) „Alles ist ein Teil von sich selbst“ wahr, bei anderen jedoch (im Gegenteil) (b) „Manches ist kein Teil von sich selbst“. ∀xT(x, x) vs . ∃x¬T(x, x).

2. Bei manchen Teil-Ganzes-Begriffen ist (a) „Etwas ist so, dass alles ein Teil von ihm ist“ wahr, bei anderen jedoch (b) „Nichts ist so, dass alles ein Teil von ihm ist“. ∃y∀xT(x, y) vs ¬∃y∀xT(x, y).

3. Bei manchen Teil-Ganzes-Begriffen ist (a) „Etwas ist so, dass es von allem ein Teil ist“ wahr, bei anderen jedoch (b) „Nichts ist so, dass es von allem ein Teil ist“. ∃x∀yT(x, y) vs ¬∃x∀yT(x, y).

4. Bei manchen Teil-Ganzes-Begriffen ist (a) „Manches ist so, dass nichts von ihm ein Teil ist“ wahr, bei anderen jedoch (b) „Alles ist so, dass etwas von ihm ein Teil ist“. ∃y¬∃xT(x, y) vs ∀y∃xT(x, y).

5. Bei manchen Teil-Ganzes-Begriffen ist (a) „Manches ist so, dass alles, was ein Teil von ihm ist, mit ihm identisch ist“ wahr, bei anderen jedoch (b) „Alles ist so, dass manches ein Teil von ihm und von ihm verschieden ist“. ∃y∀x(T(x, y) ⊃ x = y) vs ∀y∃x(T(x, y) ∧ x ≠ y).6. Bei manchen Teil-Ganzes-Begriffen ist (a) „Manches ist kein Teil von etwas“ wahr, bei anderen jedoch (b) „Alles ist ein Teil von etwas“. ∃x¬∃yT(x, y) vs ∀x∃yT(x, y).

7. Bei manchen Teil-Ganzes-Begriffen ist (a) „Manches ist so, dass alles, von dem es ein Teil ist, mit ihm identisch ist“ wahr, bei anderen jedoch (b) „Alles ist so, dass es von manchem ein Teil ist und dieses nicht mit ihm identisch ist“. ∃x∀y(T(x, y) ⊃ y = x) vs ∀x∃y(T(x, y) ∧ y ≠ x).

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8. Bei manchen Teil-Ganzes-Begriffen ist (a) „Alles, was voneinander ein Teil ist, ist mit-einander identisch“ wahr, bei anderen jedoch (b) „Manches ist voneinander ein Teil und (dennoch) voneinander verschieden“. ∀x∀y(T(x, y) ∧ T(y, x) ⊃ x = y) vs ∃x∃y(T(x, y) ∧ T(y, x) ∧ x ≠ y).

9. Bei manchen Teil-Ganzes-Begriffen ist (a) „Jedes y ist so, dass jeder von y verschiedene Teil von y mit einem Teil von y keinen gemeinsamen Teil hat“ wahr, bei anderen jedoch (b) „Manches hat einen von sich verschiedenen Teil und keinen Teil, der mit jenem Teil keinen gemeinsamen Teil hat“. ∀y∀x(T(x, y) ∧ x ≠ y ⊃∃z(T(z, y) ∧ ¬∃u(T(u, x) ∧ T(u, z)))) vs ∃y∃x(T(x, y) ∧ x ≠ y ∧∀z(T(z, y) ⊃∃u(T(u, x) ∧ T(u, z)))).

10. Bei manchen Teil-Ganzes-Begriffen ist (a) „Jedes y ist so, dass jeder Teil eines Teils von y, ein Teil von y ist“ wahr, bei anderen jedoch (b) „Manches y ist so, dass mancher Teil eines Teils von y, kein Teil von y ist“. ∀y∀z(∃x(T(z, x) ∧ T(x, y)) ⊃ T(z, y)) vs ∃y∃z(∃x(T(z, x) ∧T(x, y)) ∧ ¬T(z, y)).

Grundsätzlich ist bei den Teil-Ganzes-Begriffen  – ausgedrückt durch „x ist ein Teil von y“ – zu unterscheiden, zwischen dem Begriff , bei dem (durch ihn gedeutet) „x ist ein Teil von y“ so viel besagt wie „x ist eine Konstituente (überhaupt) von y“, und den Begriffen , bei denen „x ist ein Teil von y“ so viel besagt wie „x ist ein Stück 39 von y“. Die letzteren Begriffe verlangen, dass Teil, x, und Ganzes, y, unter dieselbe Kategorie bzw. dieselbe Spezialisierung einer Kategorie (die nicht unbedingt selbst eine Kategorie sein muss) fallen; der erstere Be-griff – Konstituente-von  – verlangt das nicht. Betrachten wir den Sachverhalt, dass die Erde um die Sonne kreist. Dieser Sachverhalt ist identisch mit [die Relation Kreist-um; die Erde, die Sonne] – die Sättigung der Relation Kreist-um mit der Erde und der Sonne (in dieser Reihenfolge) – und ebenfalls identisch mit [die Eigenschaft, um die Sonne zu kreisen; die Erde] – die Sättigung der Eigenschaft, um die Sonne zu kreisen, mit der Erde. In einem ge- wissen Sinn von „x ist ein Teil von y“ kann man sagen, dass die Individuen Erde und Sonne, die zweistellige Relation Kreist-um und die Eigenschaft, um die Sonne zu kreisen, Teile des Sachverhalts sind, dass die Erde um die Sonne kreist: sie sind Konstituenten dieses Sach-verhalts. In einem gewissen anderen Sinn von „x ist ein Teil von y“ kann man dies von den genannten vier Entitäten jedoch nicht sagen: sie sind keine Stücke jenes Sachverhalts. Wohl aber ist beispielsweise der Sachverhalt, dass mancher Himmelskörper um einen anderen kreist, ein Stück  – nämlich ein Teilsachverhalt  – des Sachverhalts, dass die Erde um die Sonne kreist. (Wie in Fußnote 39 gesagt: Ein materielles Verständnis von „Stück“ ist hier nicht angemessen.)

9. Teil und Ganzes Zu 10 : Jeder Teil-Ganzes-Begriff, wonach „x ist ein Teil von y“ so viel besagt wie „x ist ein Stück von y“ macht 10.a [∀y∀z(∃x(T(z, x) ∧ T(x, y)) ⊃ T(z, y))] wahr. Und auch jeder Teil-Ganzes-Be-griff, wonach „x ist ein Teil von y“ so viel besagt wie „x ist eine Konstituente überhaupt von y“, kann als 10.a wahrmachender gelten. Besagt „x ist ein Teil von y“ hingegen so viel wie „x ist eine direkte Konstituente von y“ – was eine legitime Deutung von „x ist ein Teil von y“ ist –, dann gibt es Gegenbeispiele zu 10.a, und 10.b [∃y∃z(∃x(T(z, x) ∧ T(x, y)) ∧ ¬T(z, y))] ist folglich wahr: Die Erde ist eine direkte Konstituente (und darum eine Konstituente überhaupt) des Sachverhalts, dass die Erde um die Sonne kreist; welcher Sachverhalt wiederum eine direkte Konstituente (und darum eine Konstituente überhaupt) der Menge {der Sachverhalt, dass die Erde um die Sonne kreist} ist; aber die Erde ist keine direkte Konstituente dieser Menge (wenn sie auch als Konstituente überhaupt von ihr durchgehen kann). Das Teil-Ganzes-Prädikat ist also nur in manchen seiner legitimen Deutungen transitiv , in anderen nicht.

Zu 8 : Wird „x ist ein Teil von y“ im Sinne von „x ist ein Teilsachverhalt von y“ (oder: „Sachverhalt x ist ein Stück [ i w S ] von Sachverhalt y“) gedeutet, dann ist 8.a [∀x∀y(T(x, y) ∧ T(y, x) ⊃ x = y)] wahr; wird „x ist ein Teil von y“ hingegen im Sinne von „x ist eine Teilproposition von y“ gedeu-tet, dann ist im Gegenteil 8.b [∃x∃y(T(x, y) ∧ T(y, x) ∧ x ≠ y)] wahr: Die Proposition, dass Dreieck ABC gleichseitig ist, ist eine Teilproposition der Proposition, dass Dreieck ABC gleichwinklig ist, und umgekehrt; aber die beiden Propositionen sind verschieden . – Kommt es vor, dass u und z voneinander Konstituenten sind? Und wenn sie es sind, sind sie dann stets miteinander identisch? Die Sättigung der Identitätsfunktion mit (einer beliebigen Entität) y ist y: [λx(die mit x identische Entität); y] = y. Da y offensichtlich eine Konstituente von [λx(die mit x identische Entität); y] ist, folgt mit der Identitätsfeststellung, mit der der vorausgehende Satz endet, zunächst: y ist eine Konstituente von y, dann aber auch: [λx(die mit x identische Entität); y] ist eine Konstituente von y. Hier haben wir also Entitäten, y und [λx(die mit x identische Entität); y], die voneinander Konstituenten sind – und die miteinander identisch sind (wie schon festgestellt). Entitäten, die voneinander Konstituenten sind, aber verschieden sind, sehe ich keine.

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Zu 1 : Wird „x ist ein Teil von y“ im Sinne von „x ist eine Konstituente von y“ gedeutet, so ist 1.a [∀xT(x, x)] wahr – wie in Zu 8 gezeigt (alles ist eine Konstituente von sich selbst). Dasselbe Ergebnis stellt sich ein, wenn „x ist ein Teil von y“ im Sinne von „x ist ein Stück i w S von y“ gedeutet wird, denn alles ist ein Stück im weiten Sinn von sich selbst. 1.b [∃x¬T(x, x)] hingegen ist wahr, wenn „x ist ein Teil von y“ im Sinne von „x ist ein Stück i e S von y“ gedeutet wird; denn nichts ist ein Stück im engen Sinn von sich selbst, und also ist auch manches nichtein Stück im engen Sinn von sich selbst.

Zu 6 : 6.b [∀x∃yT(x, y)] ist eine prädikatenlogische Folge von 1.a [∀xT(x, x)]. Jede Deutung von „x ist ein Teil von y“, die 1.a wahr sein lässt, lässt also auch 6.b wahr sein. Eine Deutung hingegen, die 6.a [∃x¬∃yT(x, y)] wahr sein lässt und 1.b [∃x¬T(x, x)] (mithin auch „Nichts ist ein Teil von sich selbst“, weil allen – zulässigen, legitimen – Deutungen von „x ist ein Teil von y“ gemeinsam ist, dass sie „Alles ist ein Teil von sich selbst, oder nichts ist ein Teil von sich selbst“ wahr werden lassen, wie oben – mit anderen Worten – schon gesagt) ist diese: „x ist ein Teil von y“ besage, dass x ein Raumstück i e S von y ist. 6.a wird bei dieser Deutung wahr, denn der Weltraum (insgesamt) ist kein Raumstück i e S von irgendetwas.

Zu 4 : 4.b [∀y∃xT(x, y)] ist ebenfalls eine prädikatenlogische Folge von 1.a [∀xT(x, x)]. Jede Deutung von „x ist ein Teil von y“, die 1.a wahr sein lässt, lässt also auch 4.b wahr sein. Hier aber nun eine Deutung des Teil-Ganzes-Prädikats, die 1.a nicht wahr sein lässt (sondern 1.b [∃x¬T(x, x)]) und 4.b dennoch wahr sein lässt: Besage „x ist ein Teil von y“ dasselbe wie gerade eben, nämlich so viel wie „ x ist ein Raumstück i e S von y“, und reden wir nun allein über die räumlichen Gebiete im räumlichen Kontinuum. („Für alle x“ [∀x] besagt also nun: für alle räumlichen Gebiete x im räumlichen Kontinuum , und „Für ein y“ [∃y]: für ein räumliches Gebiet y im räumlichen Kontinuum )Diese Deutung lässt 4.b wahr sein, denn von jedem räumlichen Ge-biet im räumlichen Kontinuum ist ein (anderes) räumliches Gebiet im räumlichen Kontinuum ein Raumstück i e S . Gibt es auch eine Deutung von „x ist ein Teil von y“, die 4.a [∃y¬∃xT(x, y)] wahr sein lässt? Gewiss: Besage „x ist ein Teil von y“ so viel wie „x ist eine echte Teilmenge von y“ (m. a. W.: „Menge x ist ein Stück i e S von Menge y“), und reden wir allein über die Mengen; dann ist 4.a wahr (denn keine Menge ist eine echte Teilmenge der leeren Menge).

Zu 5 : 5.a [∃y∀x(T(x, y) ⊃ x = y)] ist eine triviale prädikatenlogische Folge von 4.a [∃y¬∃xT(x, y)]. Um nun aber auch eine Deutung zu erhalten, die 5.a wahr sein lässt, ohne 4.a ebenfalls wahr sein zu lassen, ist die soeben angegebene Deutung, die 4.a wahr sein lässt, nur ein wenig zu mo-difizieren: Besage „x ist ein Teil von y“ so viel wie „x ist eine Teilmenge von y“ (m. a. W.: „Menge x ist ein Stück i w S von Menge y“), und reden wir allein über die Mengen; dann ist 5.a wahr (denn jede Teilmenge der leeren Menge ist mit der leeren Menge identisch), aber 4.a nun nicht

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9. Teil und Ganzesmehr. 5.b [∀y∃x(T(x, y) ∧ x ≠ y)] ist hingegen bei derselben unter Zu 4 betrachteten Deutung wahr, bei der 4.b [∀y∃xT(x, y)] wahr ist. (Mit der Deutung von 4.b in Zu 4 wurde im Effekt eine auch für die Wahrheit von 5.b hinreichende Deutung angegeben; man beachte, dass 4.b eine prädikatenlogische Folge von 5.b ist.)

Zu 7 : 7.a [∃x∀y(T(x, y) ⊃ y = x)] ist eine triviale prädikatenlogische Folge von 6.a [∃x¬∃yT(x, y)]. Um nun aber auch eine Deutung zu erhalten, die 7.a wahr sein lässt, ohne 6.a ebenfalls wahr sein zu lassen, ist die Deutung, die 6.a wahr sein lässt, zu modifizieren: Besage „x ist ein Teil von y“ so viel wie „x ist ein Raumstück i w S von y“, und reden wir allein über die räumlichen Ge-biete des räumlichen Kontinuums. Der Weltraum (insgesamt) ist derart, dass jedes räumliche Gebiet des räumlichen Kontinuums, von dem er ein Raumstück i w S ist, mit ihm identisch ist; also ist 7.a bei dieser Deutung wahr. 6.a hingegen ist bei ihr nicht wahr, denn kein räumliches Gebiet des räumlichen Kontinuums ist so, dass es von keinem räumlichen Gebiet des räum-lichen Kontinuums ein Raumstück i w S ist. Eine Deutung wiederum, die 7.b [∀x∃y(T(x, y) ∧ y ≠ x)] wahr sein lässt, ist diese: Besage „x ist ein Teil von y“ so viel wie „x ist eine Teilmenge von y“, und reden wir allein über die endlichen Teilmengen der Menge der natürlichen Zahlen. Zu 2 : Die zuletzt betrachtete Deutung lässt auch 2.b [¬∃y∀xT(x, y)] wahr sein. Modifiziert man diese Deutung ein wenig – redet statt allein über die endlichen Teilmengen der Menge der natür-lichen Zahlen nun allein über die Teilmengen der Menge der natürlichen Zahlen –, so wird 2.a [∃y∀xT(x, y)] wahr.

Zu 3 : Reden wir allein über die Mengen und lesen „x ist ein Teil von y“ im Sinne von „x ist eine Teilmenge von y“, dann ist (so gedeutet) 3.a [∃x∀yT(x, y)] wahr (man denke an die leere Menge: ∅). Reden wir hingegen allein über die räumlichen Gebiete des räumlichen Kontinuums und lesen „x ist ein Teil von y“ im Sinne von „x ist ein Raumstück i w S von y“, dann ist (so gedeu-tet) 3.b [¬∃x∀yT(x, y)] wahr.

Zu 9 : Reden wir wiederum allein über die Mengen und lesen „x ist ein Teil von y“ im Sinne von „x ist eine Teilmenge von y“, dann ist (so gedeutet) 9.b [∃y∃x(T(x, y) ∧ x ≠ y ∧∀z(T(z, y) ⊃∃u(T(u, x) ∧ T(u, z))))] wahr; denn ∅ ist eine Teilmenge von {∅} und ∅ ≠ {∅} und für jede Teilmenge z von {∅} (also für {∅} und ∅) gilt: eine Menge u (nämlich ∅) ist Teilmenge von ∅und von z. Reden wir dagegen allein über die Abschnitte (mit Anfangs- und Endpunkt) einer Strecke L (mit Anfangs- und Endpunkt) und lesen „x ist ein Teil von y“ im Sinne von „x ist ein Streckenstück i w S von y“ dann ist (so gedeutet) 9.a [∀y∀x(T(x, y) ∧ x ≠ y ⊃∃z(T(z, y) ∧¬∃u(T(u, x) ∧ T(u, z))))] wahr.

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10. Mereologische Einfachheit – Konstituente und Stück – notwendige Teil-Ganzes-Verhältnisse und kontingente

In der Geschichte der Metaphysik hat die Idee der mereologischen Einfachheit eine – vielleicht unverhältnismäßig große – Rolle gespielt. Mereologische Einfachheit wurde mit Unwandelbar-keit und Unvergänglichkeit assoziiert (etwa Gottes oder auch der Seele). Besteht die Assoziation zu Recht? Was ist überhaupt mereologische Einfachheit?

Wie „x ist ein Teil von y“ ist auch „y ist mereologisch einfach“ ein mehrdeutiges Prädikat. Formal (oder: interpretatorisch unspezifisch) wird, dass manches mereologisch einfach ist, durch 4.a: „Manches ist so, dass nichts von ihm ein Teil ist“ [∃y¬∃xT(x, y)], oder auch durch „Manches ist so, dass etwas von ihm ein Teil ist und alles, was von ihm ein Teil ist, mit ihm identisch ist“ [∃y(∃zT(z, y) ∧∀x(T(x, y) ⊃ x = y))40] zum Ausdruck gebracht. Geht man von der Wahrheit von 1.a [∀xT(x, x)] aus (ob generell oder nur bei gewisser Interpretation), so kann, dass manches mereologisch einfach ist, nur durch die letztere der beiden im vorausgehenden Satz erwähnten Aussagen formal zum Ausdruck gebracht werden (denn aus der Wahrheit von 1.a folgt logisch, dass 4.a nicht wahr ist). Nun wird, wie schon gesehen, 1.a bei der Deutung von „x ist ein Teil von y“ als „x ist eine Konstituente von y“ wahr. Eine konstituenteneinfache Entität muss demnach eine Entität sein, die von sich selbst die einzige Konstituente ist. Eine 1-stückeeinfache Entität ist analog (weil 1.a auch bei Deutung von „x ist ein Teil von y“ durch „x ist ein Stück i w S von y“ wahr wird) eine Entität, die von sich selbst das einzige Stück i w S ist. Eine 0-stückeeinfache Entität ist hingegen eine Entität, von der nichts ein Stück i e S ist. Was mit „y ist 1-/0-stücke-einfach“ spezifisch gemeint ist, hängt aber natürlich davon ab, was mit „x ist ein Stück i w S/i e S von y“ spezifisch gemeint ist; an sich selbst haben diese Prädikate (im Unterschied zu „x ist eine Konstituente von y“ und „y ist konstituenteneinfach“) keine bestimmte Bedeutung, drücken keinen bestimmten Begriff aus. Wenn man so will (nämlich: ihr Prädikatsein nicht bloß an ihrer syntaktischen Gestalt festmacht und an dem semantischen Gehalt, den sie schon haben), dann sind sie eigentlich keine Prädikate, sondern nur Prädikatsschemata . Das lässt sich ändern.

Besage „x ist ein Stück i w S von y“ so viel wie „x ist ein Teilsachverhalt von y“ – was, wie es scheint, durch „x und y sind Sachverhalte, und es ist (absolut) notwendig : wenn y der Fall ist, dann ist x der Fall“ definiert werden sollte. Aber es ist in der Ordnung jedenfalls des Seins – nicht der Erkenntnis – wohl eher so, dass der von „x ist ein Teilsachverhalt von y“ ausgedrückte Teil-Ganzes-Begriff dem vom vorgeschlagenen Definiens ausgedrückten Begriff vorangeht (in der Ordnung der Erkenntnis verhält es sich umgekehrt). „x ist ein Teilsachverhalt von y“ und „x

10. Mereologische Einfachheit – Konstituente und Stück – notwendige Teil-Ganzes-Verhältnisse und kontingenteund y sind Sachverhalte, und es ist (absolut) notwendig : wenn y der Fall ist, dann ist x der Fall“ sind demnach „nur“ logisch (analytisch) äquivalent, nicht synonym.

Wenn „x ist ein Stück i w S von y“ so viel besagt, wie „x ist ein Teilsachverhalt von y“ besagt, dann ist der Sachverhalt, dass 2+5 7 ist, eine 1-stückeeinfache Entität; denn dieser Sachverhalt ist von sich selbst ein Teilsachverhalt, und nichts anderes (erst recht kein anderer Sachverhalt) ist von ihm ein Teilsachverhalt. Der fragliche Sachverhalt ist aber keine konstituenteneinfache Enti-tät, denn neben ihm selbst sind auch die Zahlen 2, 5, 7 und anderes mehr Konstituenten von ihm. Der Sachverhalt, dass 2+5 7 ist, ist bei anderer Deutung – nämlich bei Deutung von „x ist ein Teil von y“ durch „x ist ein Stück von y“, und von „x ist eine Stück von y“ durch „x ist ein Stück i e S von y“, und von „x ist ein Stück i e S von y“ durch „x ist ein echter Teilsachverhalt von y“ – eine 0-stückeeinfache Entität; denn nichts (erst recht kein Sachverhalt) ist von ihm ein ech- ter Teilsachverhalt. Das ist allerdings keine besondere Auszeichnung; denn jede Entität, die kein Sachverhalt ist, ist so, dass von ihr nichts ein echter Teilsachverhalt ist. 1-Stückeeinfachheit – wie oben spezifiziert: 1-Stückeeinfachheit für Sachverhalte  – ist hingegen tatsächlich eine besondere Auszeichnung: Nur eine einzige Entität ist im spezifizierten sachverhaltsbezogenen Sinn 1-stü-ckeeinfach (dabei aber alles andere als konstituenteneinfach); diese Entität ist der Sachverhalt, den der Satz „2+5 = 7“ meint (den aber auch jeder andere notwendigerweise wahre Satz meint , sei seine Wahrheit nun trivial oder nicht).

Was wäre aber ein Beispiel für eine konstituenteneinfache Entität? Die Einfachheit, die das hen („das Eine“) Plotins auszeichnet und in Folge davon auch den plato-plotinisch gedachten Gott, ist Konstituenteneinfachheit; freilich wäre das hen  – „natürlich“ – ein „problematisches“ Beispiel. Eine konstituenteneinfache Entität ist, wie hier deutlich wird, etwas wahrhaft Beson-deres. Ist denn die leere Menge etwas Konstituenteneinfaches – und ein „säkulares“, insofern „unproblematisches“ Beispiel für so etwas? Sicher ist, dass die leere Menge 0-stückeeinfach/1-stückeeinfach ist – bei Deutung von „x ist ein Stück i w S/i e S von y“ durch „x ist eine Teil-menge/echte Teilmenge von y“. Aber daraus folgt nicht ihre Konstituenteneinfachheit. Gegen diese scheint vielmehr zu sprechen, dass die leere Menge sich auf unendliche viele Weisen in der folgenden Weise benennen lässt: {x: A[x, N] ∧ ¬A[x, N]}, z. B.: „{x: x ist identisch mit 1 und x ist nicht identisch mit 1}“, „{x: ist größer als 2 und x ist nicht größer als 2}“, usw. Doch bedeutet das, dass 1, 2, etc. Konstituenten der leeren Menge sind? Das wäre ein Fehlschluss: Daraus, dass gewisse singuläre Terme Konstituenten irgendeines singulären Terms sind, der eine Entität x benennt, kann man nicht ohne Weiteres schließen, dass die Entitäten, die von jenen singulären Termen benannt werden, Konstituenten von x sind. (Sehr wohl kann man aber daraus, dass ein singulärer Term der Gestalt „[τ0

; τ1

, …, τN

]“ eine Sättigung von τ0 benennt, schließen, dass τ0eine Konstituente von [τ0

; τ1

, …, τN

] ist, und τ1 ebenso, …, und τN ebenso.)

Die leere Menge scheint konstituenteneinfach zu sein. Tatsächlich ist sie es nicht . Dazu braucht man nur auf die Argumentation unter Zu 8 im vorausgehenden Abschnitt zurückzugreifen: Für

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jede beliebige Entität y gilt: [λx(die mit x identische Entität); y] = y, wobei λx(die mit x identische Entität) die Identitätsfunktion ist, die durch jede beliebige Entität sättigbar ist. Demnach (für je-des y): λx(die mit x identische Entität) ist eine Konstituente von [λx(die mit x identische Entität); y], und y ist eine Konstituente von [λx(die mit x identische Entität); y]. Folglich aber auch (für jedes y): y ist eine Konstituente von y, und λx(die mit x identische Entität) ist eine Konstituente von y. Jede von der Identitätsfunktion verschiedene Entität (also auch die leere Menge) hat also mindestens zwei verschiedene Konstituenten: sich selbst und die Identitätsfunktion.

Hiernach steht nun fest, dass, wenn überhaupt irgendetwas konstituenteneinfach ist , die Identi-tätsfunktion die einzige konstituenteneinfache Entität ist.41 Und die Identitätsfunktion dürfte in der Tat konstituenteneinfach sein. Den Namen „das Eine“, wenn damit nicht mehr als mit „das (einzige) Konstituenteneinfache“ gemeint wäre (traditionell war allerdings mehr gemeint), trüge sie zu Recht. (Aber der Zweifel meldet sich sofort: Ist nicht die Identitätsrelation eine Konsti-tuente der Identitätsfunktion: eine von dieser Letzteren verschiedene Konstituente von ihr? – Wenn dem so wäre, dann wären die Identitätsrelation und die Identitätsfunktion Konstituenten voneinander und dabei verschieden  – was in Zu 8 im vorausgehenden Abschnitt jedoch als nicht Anzunehmendes konstatiert wird.)

Was nun Unwandelbarkeit (in der und der Hinsicht) und Unvergänglichkeit angeht, so ist me-reologische Einfachheit nicht (begrifflich) notwendig für das eine oder das andere: Etwas, x, mag eine Eigenschaft haben, die es, da es sie nun einmal hat, nicht verlieren kann: mag somit in einer gewissen Hinsicht unwandelbar sein, und eine unverlierbare Eigenschaft von x mag sogar die Eigenschaft sein, etwas Wirkliches zu sein (sodass x unvergänglich wäre) – ohne dass x mereolo-gisch einfach ist: weder konstituenteneinfach noch in einem für die Kategorie oder Spezialisie-rung einer Kategorie, unter die x fällt, spezifischen Sinn (sachverhaltsbezogen, mengenbezogen, usw.) 1-stückeeinfach oder 0-stückeeinfach. Der Sachverhalt, dass A.M. am 4.1.1925 geboren

10. Mereologische Einfachheit – Konstituente und Stück – notwendige Teil-Ganzes-Verhältnisse und kontingenteist, hat mehrere Eigenschaften, die dieser Sachverhalt, da er sie nun einmal hat, nicht verlieren kann, darunter die Eigenschaft, etwas Wirkliches zu sein; er ist also in mehreren Hinsichten un-wandelbar, er ist insbesondere unvergänglich. Aber er ist weder konstituenteneinfach noch (im sachverhaltsbezogenen Sinn) 1-stückeeinfach oder 0-stückeeinfach.

Nicht weniger bedeutsam als die Unterscheidung von Konstituente und Stück in der Teil-Ganzes-Lehre ist die Unterscheidung zwischen notwendigen Teil-Ganzes-Verhältnissen – ob per Konstituentesein oder per Stücksein i w S/i e S  – und kontingenten. Die Identitäts-funktion, z. B., ist absolut notwendigerweise eine Konstituente jeder Entität, und jede von ihr verschiedene Entität ist absolut notwendigerweise keine Konstituente von ihr (außer vielleicht die Identitätsrelation: die ist vielleicht eine Konstituente von ihr – was jedoch nicht im Ein-klang mit der Stellungnahme in Zu 8 in Abschnitt 9 stünde). Und die leere Menge ist absolut notwendigerweise eine Teilmenge [ein Mengenstück i. w. S.] jeder Menge, und jede von ihr verschiedene Menge (ja, jede von ihr verschiedene Entität) ist absolut notwendigerweise keine Teilmenge [kein Mengenstück i. w. S] von ihr.42 Hingegen ist mein Arm zwar eine Konstituen-te von mir, aber nicht absolut notwendigerweise (ja, nicht einmal bedingt notwendigerweise; es ist ja möglich , dass ich ohne meinen Arm etwas Wirkliches bin, ja sogar etwas Lebendiges und Bewusstes). Mein Arm ist im Übrigen ein Stück (sowohl i. w. S. als auch i. e. S.) meines Körpers, aber wiederum nicht notwendigerweise (nicht absolut notwendigerweise und auch nicht bedingt).

11. Mereologien

11. Mereologien

Eine Mereologie ist eine Theorie, in der in umfassender (idealiter vollständiger) Weise wahre reine Teil-Ganzes-Aussagen43 für bestimmte Entitäten und einen bestimmten Teil-Ganzes-Be-griff axiomatisch zusammengefasst sind. Im Folgenden ist ein formales Satzsystem – mit vorder-hand in ihrem Bereich unbestimmten Quantoren „∀“ [„Jedes“] und „∃“ [„Manches“] – ange-geben, das in unendlich vielfacher Weise als eine Mereologie deutbar ist (drei hervorstechende Deutungen – Alpha , Beta und Gamma  – werden weiter unten angegeben):

A1 ∀x∀y∀z(T(x, y) ∧ T(y, z) ⊃ T(x, z)).

A2 ∀xT(x, x).

A3 ∀x∀y(T(x, y) ∧ T(y, x) ⊃ x = y).

A4 ∃u(∀y(A[y] ⊃ T(y, u)) ∧∀x(∀y(A[y] ⊃ T(y, x)) ⊃ T(u, x))).

A5 ∀x∀y(∀z(EL(z) ∧ T(z, x) ⊃ T(z, y)) ⊃ T(x, y)).

A6 ∀x(T*(x, σuA[u]) ⊃∃z(T*(z, x) ∧∃y(A[y] ∧ T*(z, y)))).

A7 ∃≥1z(EL(z) ∧ ¬AT(z)) ∧ (∃≥Nz(EL(z) ∧ ¬AT(z)) ⊃∃≥N+1z(EL(z) ∧ ¬AT(z))) [für alle N ≥ 1].D1 T*(x, y) =Def

T(x, y) ∧ ¬∀uT(x, u).

D2 EL(z) =Def

∀x(T*(x, z) ⊃ x = z).

D3 σyA[y] =Def

ιu(∀y(A[y] ⊃ T(y, u)) ∧∀x(∀y(A[y] ⊃ T(y, x)) ⊃ T(u, x))).44

D4 AT(z) =Def

∀x(T(x, z) ⊃ x = z).

A1: „Wenn ein Erstes ein Teil eines Zweiten ist, welches seinerseits ein Teil eines Dritten ist, dann ist von diesem Dritten auch jenes Erste ein Teil.“

A2: „Alles ist ein Teil von sich selbst.“

A3: „Was voneinander ein Teil ist, ist miteinander identisch.“

A4: „Manches ist so, dass jedes A [jedes der Beschreibung A[y] Genügende] ein Teil von ihm ist und dass es selbst ein Teil von allem ist, von dem jedes A ein Teil ist.“

A5: „Wenn jedes Element , welches ein Teil eines Ersten ist, auch ein Teil eines Zweiten ist, dann ist jenes Erste ein Teil dieses Zweiten.“ [Ein Element ist gemäß D1 und D2 etwas, so-dass jeder Teil von ihm, der nicht ohnehin Teil von allem ist, mit ihm identisch ist.]

A6: „Jeder nichttriviale Teil der Konjunktion der A [der Konjunktion aller der Beschreibung A[y] Genügenden] ist so, dass etwas sowohl von ihm wie auch von einem A ein nichttrivialer Teil ist.“ [Ein nichttrivialer Teil von etwas ist gemäß D1 ein Teil von ihm, der nicht ohnehin ein Teil von allem ist. Die Konjunktion der A ist gemäß D3 dasjenige, von dem jedes A ein Teil ist und das selbst ein Teil von allem ist, von dem jedes A ein Teil ist.]

A7: „Mindestens 1 Element ist kein Atom , und sind [ist] mindestens N Element[e] kein Atom , so auch mindestens N+1 (für alle natürlichen Zahlen N ab 1).“ [Ein Atom ist gemäß D4 et-was, sodass alles, was von ihm ein Teil ist, mit ihm identisch ist.]

Weitere wichtige Definitionen sind die folgenden:

D5 neg(x) =Def

σz(EL(z) ∧ ¬T(z, x)) – die Negation (oder: das Komplement ) von x.

D6 conj(x, y) =Def

σz(T(z, x) ∨ T(z, y)) – die Konjunktion (oder: die Vereinigung ) von x und y.45D7 disj(x, y) =Def

σz(T(z, x) ∧ T(z, y)) – die Disjunktion (oder: der Schnitt ) von x und y.46

D8 T°(x, y) =Def

T(x, y) ∧ ¬∀uT(u, y) – x ist ein auffälliger Teil von y. (Ein auffälliger Teil von etwas, ist ein Teil von ihm, wobei nicht ohnehin alles ein Teil von ihm ist.)

D9 KO(z) =Def

∀x(T°(z, x) ⊃ x = z) – z ist ein Komprehensivum . (Ein Komprehensivum ist etwas, sodass alles, von dem es ein auffälliger Teil ist, mit ihm identisch ist.)

D10 TO(z) =Def

∀x(T(z, x) ⊃ x = z) – z ist eine Totalität . (Eine Totalität ist etwas, sodass alles, von dem es ein Teil ist, mit ihm identisch ist.)

Nun zu den oben angekündigten drei hervorstechenden Interpretationen, die sämtliche Axiome des Axiomensystems A1 – A7 wahr sein lassen, und damit auch alle Theoreme, die aus ihnen lo-gisch folgen, und die diese Axiome und Theoreme und die zehn angegebenen Definitionen (und welche weiteren Definitionen noch angegeben werden mögen) mit je spezifischem Inhalt füllen. Am nächsten liegt wohl (gegeben die Denkgewohnheiten der in den formalen Wissenschaften ausgebildeten Philosophen) die folgende Interpretation:

11. Mereologien Alpha : Mit „∀x“ und „∃x“ (wobei statt „x“ natürlich auch irgendeine andere Variable stehen kann) werde präzise über die Teilmengen (über alle und nur die Teilmengen) einer gewissen un-endlichen Menge – sagen wir der Spezifität halber: der Menge der natürlichen Zahlen – quanti-fiziert, und „T(x, y)“ besage so viel wie „x ist eine Teilmenge von y“.

Aus dem Axiomensystem A1 – A7 folgt, dass etwas, aber nichts von ihm Verschiedenes, eine Totalität (im Sinne von D10) ist; dieses Etwas ist – bei der betrachteten Interpretation – die Menge der natürlichen Zahlen . Aus dem Axiomensystem folgt auch, dass etwas, aber nichts von ihm Verschiedenes, ein Atom (im Sinne von D4) ist; dieses Etwas ist – bei der betrachteten Inter-pretation – die leere Menge .

Jedes Atom ist ein Element, und jede Totalität ein Komprehensivum (wie aus D2, D1, D4 und D9, D8, D10 ersichtlich ist); aber der Elemente, die kein Atom sind, und der Komprehensiva, die keine Totalität sind – derer sind es nicht nur einige, sondern unendlich viele. Was die nichtatoma-ren Elemente angeht, so steht das eben Behauptete mit A7 fest; was die nichttotalitären Kompre-hensiva angeht, so lässt es sich im Axiomensystem beweisen. Denn es lässt sich in ihm beweisen, dass die Elemente mittels der Negationsfunktion umkehrbar eindeutig auf die Komprehensiva ab-bildbar sind: Die Negation jedes Elements ist ein Komprehensivum; die Negationen verschiedener Elemente, sind verschiedene Komprehensiva; jedes Komprehensivum ist die Negation eines Ele-ments. Insbesondere ist die Totalität die Negation des Atoms . Folglich sind auch die nichtatomaren Elemente (die Elemente abzüglich des Atoms) umkehrbar eindeutig mittels der Negationsfunk-tion auf die nichttotalitären Komprehensiva (die Komprehensiva abzüglich der Totalität) abbild-bar. Sind es also unendlich viele der Ersteren (was mit A7 feststeht), so auch unendlich viele der Letzteren.

Bei der betrachteten mengentheoretischen Interpretation wird das alles quasi -anschau-lich: Die nichtatomaren Elemente sind bei dieser Interpretation (wie man unter Verwendung der Definitionen leicht nachprüft) die Einermengen natürlicher Zahlen: {0}, {1}, {2}, … ∞; die nichttotalitären Komprehensiva sind die Teilmengen der Menge der natürlichen Zahlen, denen zur Identität mit dieser Menge jeweils nur eine einzige natürliche Zahl fehlt: ℕ − {0}, ℕ − {1}, ℕ − {2}, … ∞.

Die nichttotalitären Komprehensiva haben – wie sich im Axiomensystem A1 – A7 zeigen lässt – eine bemerkenswerte, sie auszeichnende Eigenschaft: sie, und nichts anderes als sie, sind mereologisch maximalkonsistent , was bedeutet: von jedem Etwas [d. h., von jedem Etwas im Sinne der unterlegten Interpretation ] ist entweder es selbst oder seine Negation ein Teil von ihnen:

206

D11 MK(x) =Def

∀y(T(y, x) ≡ ¬T(neg(y), x).47

Bei der betrachteten Interpretation bedeutet dies: Die „Beinahetotalitäten“ (ℕ − {0}, ℕ − {1}, ℕ − {2}, … ∞) haben von jeder Teilmenge der Menge der natürlichen Zahlen entweder diese Teilmenge selbst oder aber deren Negation (deren ℕ-relatives Komplement) als Teilmenge. Sie haben, anders gesagt, jeweils die Teilmengen der Menge der natürlichen Zahlen als Teilmengen, von denen ihre (der „Beinahetotalitäten“ jeweilige) Negation keine Teilmenge ist; ℕ − {0} z. B. hat somit genau die Teilmengen der Menge der natürlichen Zahlen als Teilmengen, von denen {0} keine Teilmenge ist.

Es bleibt noch hinzuzufügen, dass die mengentheoretischen Gesetze für Komplement, Vereini-gung und Schnitt (solange die beteiligten Mengen alle Teilmengen ein und derselben Menge sind) im Axiomensystem A1 – A7 beweisbar sind: Sie sind mereologische Gesetze  – in mengen-theoretischer Interpretation.

Aber nun zu einer A1 – A7 verifizierenden Interpretation, der gemäß A1 – A7 auf die In-stanzen einer ganzen allgemeinmetaphysischen Kategorie exakt passt (was übrigens unter allen Kategorien des Kategoriensystems Σ nur bei dieser einen Kategorie der Fall ist).

Beta : Mit „∀x“ und „∃x“ werde präzise über die Sachverhalte (über alle und nur die Sachver-halte) quantifiziert, und „T(x, y)“ besage so viel wie „x ist ein Teilsachverhalt von y“ – was, wie gesagt (in Abschnitt 10), mit „x und y sind Sachverhalte, und es ist (absolut) notwendig : wenn y der Fall ist, dann ist x der Fall“ logisch äquivalent ist, ohne davon ein Synonym zu sein. Diese logische Äquivalenz bedingt angesichts dessen, was in Abschnitt 8 über die Identität von Sach-verhalten – über allgemein hinreichende Identitätsbedingungen für Sachverhalte – festgestellt wurde (siehe insbesondere ISA1), die Wahrheit von A3 bei der nun aktuellen Interpretation.

Der übervolle Sachverhalt (m. a. W.: der mit jedem absolut notwendigerweise falschen Satz gemeinte Sachverhalt) ist bei der nun aktuellen Interpretation die Totalität (der einzige Sach-verhalt – wie in A1 – A7 beweisbar ist –, der im Sinne von D10 eine Totalität ist) und somit die

11. MereologienNegation des Atoms (des einzigen Sachverhalts – wie in A1 – A7 beweisbar ist –, der im Sinne von D4 ein Atom ist), also des leeren Sachverhalts (m. a. W.: des mit jedem absolut notwendiger-weise wahren Satz gemeinten Sachverhalts). Noch einmal anders gesagt: Der übervolle Sachver-halt ist die Konjunktion aller Sachverhalte [formal: σy(y = y)];48 der leere Sachverhalt ist hin-gegen der Schnitt aller Sachverhalte, m. a. W.: die Konjunktion aller Sachverhalte, die von allen Sachverhalten ein Teilsachverhalt sind [formal: σy∀xT(y, x)].

Die unendlich vielen mereologisch maximalkonsistenten Sachverhalte nun, die „Beinahetotali-täten“ bei den Sachverhalten, sind nichts anderes als die möglichen Welten in der Sachverhalts- auffassung ; über diese Auffassung der möglichen Welten wird im nächsten Kapitel zu sprechen sein. Die unendlich vielen Negationen der „Beinahetotalitäten“ bei den Sachverhalten, aber, die sachverhaltlichen „Beinahe-Atome“, entsprechen in ontologischer Hinsicht wahrhaft unüber-trefflich der traditionellen Vorstellung von atomic states of affairs (einschließlich der atomic facts , die nichts anderes sind als die Tatsachen unter den atomic states of affairs ): sie sind die minimal gehaltvollen Sachverhalte (darunter die minimal gehaltvollen Fakten), aus denen je-der Sachverhalt (insbesondere jedes Faktum: jede Tatsache) rein konjunktiv (rein vereinigend) zusammengesetzt ist. Im Axiomensystem A1 – A7 lässt sich ja beweisen: ∀x(x = σy(EL(y) ∧¬AT(y) ∧ T(y, x))). In erkenntnistheoretischer Hinsicht hingegen entsprechen sie jener traditio-nellen Vorstellung nicht : Ein sachverhaltliches Beinahe-Atom lässt sich (von einem Menschen) ebenso wenig vollständig beschreiben wie diejenige sachverhaltliche Beinahetotalität (diejenige mögliche Welt in der Sachverhaltsauffassung), deren Negation es ist; und genau Hinschauen reicht zur Feststellung dessen, dass ein sachverhaltliches Beinahe-Atom der Fall ist (besteht, eine Tatsache, ein Faktum) ist, allemal nicht aus. (Wüsste man freilich vollständig, welche sach-verhaltlichen Beinahe-Atome der Fall sind, dann wüsste man vollständig, welche mögliche Welt in der Sachverhaltsauffassung die wirkliche ist; denn diese ist nichts anderes als die Konjunktion jener Beinahe-Atome.)

Auf Folgendes ist hier besonders hinzuweisen: Die Gesetze der Aussagenlogik sind Bilder von Theoremen der durch das Axiomensystem A1 – A7 und die zugehörigen Definitionen gegebenen Mereologie der Sachverhalte . Sie sind Bilder gemäß folgender Übersetzungsregelung: (i) Aus A 1

, …, A N folgt aussagenlogisch B genau dann, wenn T(s( B ), conj(s( A 1

), …, s( A N

))) ein Theorem der Mereologie der Sachverhalte ist; (ii) s( ¬ . A ) = neg(s( A )); s( A ∧. B ) = conj(s( A ), s( B )); s( A ∨. B ) = disj(s( A ), s( B )).

Nicht nur die Gesetze der wahrheitsfunktionalen Aussagenlogik, sondern auch die der S5-mo-dalen Aussagenlogik (für absolute Notwendigkeit) sind Bilder von Theoremen der Mereologie der Sachverhalte. Dazu braucht die obige Übersetzungsregelung nur wie folgt ergänzt zu wer-den: (iii) s( . A ) = necess(s( A )), wobei von folgender Definition auszugehen ist:

D12 necess(x) =Def

σy(y = y ∧ x ≠ ιzAT(z)).

Hiernach ist necess(x), die absolute Necessitierung von x, dann das Atom (ιzAT(z)) – also bei ge-gebener Interpretation: der leere Sachverhalt –, wenn x mit dem Atom (dem leeren Sachverhalt) identisch ist; die Beschreibung „y = y ∧ x ≠ ιzAT(z)“ wird dann nämlich von keinem y (keinem Sachverhalt) erfüllt.

Sonst – wenn x von dem Atom verschieden ist – ist necess(x) die Totalität (ιzTO(z)), also bei gegebener Interpretation: der übervolle Sachverhalt; die Beschreibung „y = y ∧ x ≠ ιzAT(z)“ ist dann nämlich äquivalent mit der Beschreibung „y = y“, die von jedem y (jedem Sachverhalt) erfüllt wird.

11. MereologienDem einstelligen Funktor „necess(x)“ lässt sich ein einstelliges Prädikat zur Seite stellen:

D13 Necess(x) =Def

AT(x).

Auf der Grundlage des Axiomensystems A1 – A7 lässt sich dann unter Verwendung von D13 und D11 zeigen: ∀x(Necess(x) ≡∀y(MK(y) ⊃ T(x, y))) – was bei der nun gegebenen Interpre-tation so viel wie Folgendes besagt: „Ein Sachverhalt ist absolut notwendig genau dann, wenn er ein Teilsachverhalt jeder möglichen Welt [in der Sachverhaltsauffassung] ist.“ Der Zusam-menhang, schließlich, zwischen Notwendigkeitsfunktor und Notwendigkeitsprädikat kommt in folgendem weiteren Theorem zum Ausdruck: ∀x(Necess(x) ≡ necess(x) = ιzAT(z)) [„Ein Sach-verhalt ist absolut notwendig genau dann, wenn seine absolute Necessitierung der leere Sach-verhalt ist“].

Doch nun zur dritten von den drei hervorstechenden, die Axiome A1 – A7 verifizierenden, die zugehörigen Definitionen mit spezifischem Inhalt füllenden Interpretationen, die hier zur Sprache kommen sollen (sie ist zumindest objektiv hervorstechend, was freilich nicht bedeutet, dass sie allen Metaphysikern sofort ins Auge sticht).

Gamma : Mit „∀x“ und „∃x“ werde präzise über die Eigenschaften-der-Individuale quantifiziert, die von mir sinnvoll ausgesagt werden können (m. a. W.: die gefüllt mit mir stets einen Sachver-halt ergeben; deren Füllung mit mir stets eine Sättigung von ihnen ist: ein gewisser Sachverhalt); es ist davon auszugehen, dass die Eigenschaften-der-Individuale, die von mir sinnvoll ausgesagt werden können, auch die Eigenschaften-der-Individuale sind, die von jedem anderen mensch-lichen Individual sinnvoll ausgesagt werden können, gleichgültig, ob es etwas Wirkliches ist (wie ich), oder nichts Wirkliches ist, aber etwas Wirkliches sein kann (wie ich es wäre, wenn ich nichts Wirkliches wäre), oder nicht einmal fähig ist, etwas Wirkliches zu sein (wie z. B. Anna Karenina). Es geht also in der nun betrachteten Interpretation präzise um die Hom-Eigenschaf- ten-der-Individuale .50

„T(x, y)“ wiederum besage bei der nun betrachteten Interpretation so viel wie „x ist eine Teil-eigenschaft von y“ – ein Prädikat, das logisch (d. h., i w S logisch: analytisch ) äquivalent ist mit den folgenden (untereinander logisch äquivalenten) Prädikaten:

„x und y sind Eigenschaften, und x ist in y intensional [d. h.: inhaltsmäßig] enthalten“,

„x und y sind Eigenschaften, und x ist in y per se beschlossen“,

„x und y sind Eigenschaften, und y ist in x notwendigerweise extensional [d. h.: umfangs-mäßig] enthalten“,

„x und y sind Eigenschaften, und y ist x notwendigerweise subsumiert [oder: subordiniert]“,„x und y sind Eigenschaften, und notwendigerweise gilt für alle z: wenn z y exemplifiziert, dann exemplifiziert z x“.

11. MereologienDie Liste von mit „x ist eine Teileigenschaft von y“ logisch äquivalenten Prädikaten lässt sich in ontologisch sehr signifikanter Weise verlängern. Ihr lässt sich nämlich das Prädikat „x und y sind Eigenschaften, und es gilt für alle z: ist [y; z] ein Sachverhalt, dann ist [x; z] ein Teilsachver-halt von [y; z]“ hinzufügen. Damit wird deutlich, dass die stück -mereologischen Verhältnisse bei Eigenschaften abhängen von den stück -mereologischen Verhältnissen bei Sachverhalten.

Das Prädikat „TO(x)“ trifft dann – bei der nunmehr angegebenen Interpretation – genau auf die Konjunktion aller Hom-Eigenschaften-der-Individuale zu (m. a. W.: auf die Konjunktion aller Eigenschaften-der-Individuale, die von mir sinnvoll ausgesagt werden können), das Prä-dikat „AT(x)“ genau auf die Negation dieser Konjunktion (welche Negation – wie jede andere Hom-Eigenschaft-der-Individuale – von der genannten Konjunktion eine Teileigenschaft ist). Jeder Hom-Eigenschaft-der Individuale y korrespondiert eins-zu-eins ein Meinong’sches Indivi-dual o(y), sodass die Hom-Eigenschaften-der-Individuale, die von o(y) Meinong-exemplifiziert werden, nichts anderes sind als die Hom-Eigenschaften-der-Individuale x, die von y Teileigen-schaften sind (was durch das Prädikat „T(x, y)“ ausgedrückt wird).

Nennen wir die den Hom-Eigenschaften-der-Individuale eins-zu-eins korrespondierenden Meinong’schen Individuale „die Hom-Individuale“. Für jede Eigenschaft-der-Individuale F und jedes Hom-Individual z gilt: F ist von z (sinnvoll) aussagbar genau dann, wenn F eine Hom-Eigenschaft-der-Individuale ist (m. a. W.: wenn F eine Eigenschaft-der-Individuale ist, die von mir sinnvoll aussagbar ist).

Der Totalität  – derjenigen Hom-Eigenschaft-der-Individuale, von der alle Hom-Eigenschaf-ten-der-Individuale Teileigenschaften sind [es ist das Theorem beweisbar: ιyTO(y) = σy(y = y) = ιy∀xT(x, y)] – korrespondiert dann das (eigenschaftlich) inkonsistente Hom-Individual, o(ιyTO(y)). Das Individual o(ιyTO(y)) ist inkonsistent,52 denn es (Meinong-)exemplifiziert (bei der gegebenen Interpretation der symbolischen Ausdrücke) z. B. sowohl σy(y = y) als auch neg(σy(y = y)) – beides Hom-Eigenschaften-der-Individuale –, da ja gilt: T(σy(y = y), ιyTO(y)) ∧ T(neg(σy(y = y)), ιyTO(y)). Und ein weiteres inkonsistentes Hom-Individual gibt es nicht; denn sonst müsste es (angesichts der Eins-zu-eins-Korrespondenz zwischen Hom-Individualen und Hom-Eigenschaften-der-Individuale) auch eine von der Totalität verschiedene Hom-Eigen-schaft-der-Individuale geben, von der sowohl eine Hom-Eigenschaft-der-Individuale F als auch die Hom-Eigenschaft-der Individuale neg(F) eine Teileigenschaft ist; die gibt es (beweisbar) nicht.

Den Hom-Eigenschaften-der-Individuale, die mereologisch maximalkonsistent sind (d. h.: auf die das Prädikat „MK(x)“ bei der nun gegebenen Interpretation zutrifft), korrespondieren eins-zu-eins die Hom-Individuale, die eigenschaftlich maximalkonsistent sind, m. a. W.: die Leibniz-Individuen unter den Hom-Individualen. Eines – genau eines – von diesen ist das mir in der

11. Mereologienwirklichen Welt entsprechende Leibniz-Individuum: ich* (nach Leibniz und Lewis jedoch ist dieses Leibniz-Individuum unter den Hom-Individualen sogar ich selbst ); denn von den ma-ximalkonsistenten (vollständigen und konsistenten) Auswahlen aus den Hom-Eigenschaften-der-Individuale (von jeder wird entweder sie selbst oder ihre Negation „gewählt“) ist genau eine diejenige, zu der genau die von mir aussagbaren Eigenschaften-der-Individuale (d. h.: diejeni-gen Hom-Eigenschaften-der-Individuale) gehören, die ich in der wirklichen Welt habe – und konjunktiv zusammengefasst (in Konjunktion) ergibt sie genau eine mereologisch maximal-konsistente Hom-Eigenschaft-der-Individuale, der nun ein Leibniz-Individuum eins-zu-eins korrespondiert, nämlich ich*.

11. MereologienZu den Leibniz-Individuen unter den Hom-Individualen gehören auch anderweltliche Gegenstü-cke von ich* (m. a. W.: anderweltliche Varianten von ich*, d. h.: anderweltliche Leibniz-Individu-um-Entsprechungen von mir  – der ich kein Leibniz-Individuum bin; nach Leibniz und Lewis je-doch sind jene Gegenstücke schlicht anderweltliche Varianten von mir , da für Leibniz und Lewis gilt: ich bin ich*). Welche Hom-Individuale diese Gegenstücke von ich* genau sind, hängt davon ab, welche der Hom-Eigenschaften-der-Individuale von mir konjunktiv zusammengefasst den „harten Kern“, k*(ich), der von mir gehabten Hom-Eigenschaften-der Individuale ausmachen. Unter den mereologisch maximalkonsistenten Hom-Eigenschaften-der-Individuale finden sich dann diejenigen y von denen gilt: k*(ich) ist eine Teileigenschaft von y [T(k*(ich), y)]; eben diese y sind die Hom-Eigenschaften-der-Individuale, denen die folgenden Hom-Individuale eins-zu-eins korrespondieren: ich* und alle anderweltlichen Gegenstücke von ich* (und keine anderen Hom-Individuale), m.  a.  W.: alle Hom-Individuale, die Leibniz-Individuum-Entsprechungen von mir sind. Während ich nur die Hom-Eigenschaften-der-Individuale, die Teileigenschaften von k*(ich) sind, mit Notwendigkeit habe, haben sie , die Leibniz-Individuum-Entsprechungen von mir, alle Hom-Eigenschaften-der-Individuale, die sie haben, mit (absoluter) Notwendigkeit. Bei ihnen gibt es nur Pseudokontingenz, wie bei allen Leibniz-Individuen unter den Hom-In-dividualen (und überhaupt bei allen Hom-Individualen): diejenige „Kontingenz“, die darin be-steht, dass ein anderes, aber ihnen verwandtes Hom-Individual – ihnen verwandt etwa darin, dass es wie sie einer maximalkonsistenten Hom-Eigenschaft-der-Individuale entspricht, die k*(ich) als Teileigenschaft hat  – nun diese gewisse Hom-Eigenschaft-der-Individuale (Meinong-)hat, die sie nicht haben, bzw. jene gewisse nicht hat, die sie haben. Dass ihnen nur Pseudokontin-

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genz übrigbleibt, liegt an ihrer definitorischen Eins-zu-eins-Korrespondenz je zu einer gewissen mereologisch maximalkonsistenten Hom-Eigenschaft-der-Individuale und an der meinongisch-leibnizianischen Auffassung der Eigenschaftshabe.

An der Spitze der Hierarchie des intensionalen, inhaltsmäßigen Umfassendseins der Hom-Eigenschaften-der-Individuale stehen die Komprehensiva: zuerst die Totalität (die allumfas-send ist), dann die Maximalkonsistentia (die beinahe allumfassend, aber nicht allumfassend sind). Unterhalb der schon genannten Hom-Eigenschaften-der-Individuale ist das riesige Reich der weder all- noch beinahe allumfassenden Hom-Eigenschaften-der-Individuale: der Non-Komprehensiva. Die Hom-Individuale, die ihnen eins-zu-eins korrespondieren, sind die eigenschaftlich unvollständigen Hom-Individuale; allesamt sind sie Andere Individuale (Kategorie: K122) – zu welchen aber, im Übrigen, auch das eigenschaftlich inkonsistente (und deshalb eigenschaftlich vollständige) Hom-Individual zählt (welches der Totalität entspricht). Die eigenschaftlich unvollständigen Hom-Individuale sind mehr als alle menschlichen Fik-tionsmacher zusammengenommen jemals in den Blick genommen haben werden, um „eine Geschichte zu erzählen“. Viele dieser Individuale würden sie freilich dafür schon gar nicht in den Blick nehmen wollen , insbesondere nicht diejenigen Hom-Individuale, die den Elementen unter den Hom-Eigenschaften-der-Individuale – Elemente im Sinne des durch D2 definier-ten mereologischen Prädikats „EL(x)“ (bei gegebener Deutung) – korrespondieren. Denn die atomare Hom-Eigenschaft-der-Individuale hat nur eine Teileigenschaft: sich selbst, nämlich die Negation der Konjunktion aller Hom-Eigenschaften-der-Individuale – eine Negation, die so inhaltsleer ist, wie das, was sie negiert, inhaltsvoll ist. Und die nichtatomaren Elemente unter den Hom-Eigenschaften-der-Individuale haben nur zwei Teileigenschaften: zum einen sich selbst  – die Negation einer maximalkonsistenten Hom-Eigenschaft-der-Individuale  – und zum anderen eben die atomare Hom-Eigenschaft-der-Individuale; sie sind somit nicht viel inhaltsvoller als diese letztere Eigenschaft: die leere Hom-Eigenschaft-der-Individuale. Dementsprechend hat das Hom-Individual, das der Negation der Konjunktion der von mir (wirklich) gehabten Hom-Eigenschaften-der-Individuale53 korrespondiert – gewissermaßen das Negativ von ich* –, nur zwei Hom-Eigenschaften-der-Individuale; eine davon ist leer, die andere beinahe leer. Dieses Hom-Individual ist gänzlich unbrauchbar dafür, „eine Geschichte zu erzählen“.

12. Wesen, insbesondere das eigenschaftliche Wesen von etwasAus den Darlegungen in Abschnitt 9 (dem vorletzten Abschnitt) geht hinreichend hervor, dass die drei Mereologien, die durch die Axiome A1 – A7, durch die damit verbundenen Definitio-nen D1 – D13 und die Interpretationen Alpha , Beta und Gamma gegeben werden, schon im strukturellen Grundsatz – also bei den formalen Axiomen – nur eine kleine und nicht repräsen-tative Auswahl aus einer viel größeren Vielheit von Mereologien sind. Statt hier weiter vorzu-dringen, wende ich mich nun aber einem weiteren Relationsbegriff der Allgemeinen Metaphysik zu, einem (eigentlich sind es mehrere), der in der Geschichte der Metaphysik eine sehr große Rolle gespielt hat. Für seine Diskussion ist nach den letzten Ausführungen der Boden schon bereitet.

12. Wesen, insbesondere das eigenschaftliche Wesen von etwas

Vom Wesen wird in zweierlei Weise gesprochen, zum einen mithilfe eines einstelligen (einen einstelligen Begriff ausdrückenden) Prädikats: „x ist ein Wesen“; zum anderen mithilfe einer zweistelligen (einen zweistelligen Begriff ausdrückenden) Prädikats: „x ist ein Wesen von y“. Spricht man in der ersten Weise, so ist „Wesen“ ein anderes, heute ungebräuchliches, Wort für „Entität“; es ist im Allgemeinen ungebräuchlich, aber immer noch sagt man statt „eine lebendige Entität“ viel lieber „ein lebendiges Wesen“, statt „lebende Entitäten“ viel lieber „lebende Wesen“, oder kurz: „Lebewesen“, oder ganz kurz: „Wesen“.

Spricht man in der zweiten Weise, so fragt man sich in der Regel, ob eine Entität y überhaupt ein Wesen hat: ob überhaupt ein x ein Wesen von y ist. Ist man sich aber sicher, dass es so ist, so spricht man nicht von einem Wesen x von y, sondern gleich von dem Wesen von y. Man sagt dann nicht, ein Wesen von y sei dies oder das, sondern man sagt, das Wesen von y sei dies oder das. Ersichtlich gilt für das Prädikat „x ist ein Wesen von y“, was auch immer man damit genau ausdrücken will, das folgende Bedeutungspostulat: „Für alle y, x und z: ist x ein Wesen von y und z ein Wesen von y, dann ist x identisch mit z“, oder anders gesagt: „Alles hat höchstens ein Wesen“.

Aber hat alles ein Wesen? Gilt für alle y, dass ein x ein (also: das ) Wesen von y ist? Wie diese (äquivalenten) Fragen zu beantworten sind, hängt nicht zuletzt davon ab, was man mit „x ist ein Wesen von y“ genau sagen will. Tatsächlich gibt es zwei Deutungen von „Wesen von etwas“, bei denen gilt: Alles hat ein Wesen . Sowohl der Satz „Für alle y, x und z: ist x ein Wesen von y und z ein Wesen von y, dann ist x identisch mit z“ als auch der Satz „Für alle y: für mindestens ein x gilt: x ist ein Wesen von y“ sind bei jeder dieser zwei Deutungen absolut notwendigerweise wahr. Somit sind die Prädikate „x ist ein Wesen von y“ und „x ist das Wesen von y“ bei jeder der frag-

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lichen Deutungen äquivalent (extensionsgleich), und zwar absolut notwendigerweise.54 Im Wei-teren verwende ich nur noch das Prädikat „x ist das Wesen von y“ (von Ausnahmen abgesehen).

Aber was sagt dieses Prädikat nun? Man kann damit zweierlei sagen: so viel wie mit „x ist das eigenschaftliche Wesen von y“, oder aber so viel wie mit „x ist das mereologische Wesen von y“. Hierbei ist das eigenschaftliche Wesen von y die inhaltsmäßig kleinste universell aussag-bare notwendige Eigenschaft von y, von der alle Eigenschaften, die y (absolut) notwendiger-weise hat, Teileigenschaften sind; das mereologisches Wesen von y hingegen ist der kleinste notwendige Teil von y, von dem jeder Teil, den y (absolut) notwendigerweise hat, ein Teil ist.Werden wir hochspezifisch ( exempli gratia ): Was ist U.M.s (also mein ) eigenschaftliches Wesen, was U.M.s mereologisches Wesen? – Ich gehe zunächst auf die erstere Frage ein (die zweite wird im nächsten Abschnitt beantwortet). Die Antwort auf jene Frage ist: U.M.s eigenschaftliches Wesen ist die Eigenschaft, mit U.M. identisch zu sein.

12. Wesen, insbesondere das eigenschaftliche Wesen von etwas Und was von U.M. gilt, gilt auch von jeder anderen Entität y (die soeben gegebene Demonstrati-on ist offensichtlich verallgemeinerbar; darauf, dass es in ihr um mich, den U.M., geht, kommt es in ihr nicht an): Das eigenschaftliche Wesen von y ist die Eigenschaft, mit y identisch zu sein . Das eigenschaftliche Wesen einer Entität ist also in jedem Fall etwas von ihr Verschiedenes (auch dann, wenn die Entität selbst eine Eigenschaft, ja das eigenschaftliche Wesen von etwas ist): eine Eigen-schaft, die sie exemplifiziert, und zwar notwendigerweise als einzige und als einzige notwendiger-weise.

Vielleicht stellt sich Lesern die Frage, wie sich das eigenschaftliche Wesen von mir (U.M.) zu der Hom-Eigenschaft-der-Individuale k*(ich) im vorausgehenden Abschnitt verhält. Von k*(ich) war ausgesagt worden, dass es, (a), der „harte Kern“ der von mir gehabten Hom-Ei-genschaften-der Individuale ist: die Konjunktion von gewissen von-mir-gehabten Hom-Eigen-schaften-der-Individuale; dass ich, (b), nur die Hom-Eigenschaften-der-Individuale mit Not-wendigkeit habe, die Teileigenschaften von k*(ich) sind. Nun, k*(ich) ist nichts anderes als die Konjunktion der Hom-Eigenschaften-der-Individuale, die ich notwendigerweise habe.

Um dann die angesprochene Frage zu beantworten, muss ein wenig ausgeholt werden (dabei wird ein wichtiger Aspekt der Theorie der Eigenschaften beleuchtet). Der Name „die Eigen-schaft, mit U.M. identisch zu sein“ bezeichnet in dem Sinn, den ihm der natürliche Sprach-gebrauch gibt, eine universell sinnvoll aussagbare Eigenschaft. Von diesem Sinn und dem ent-sprechenden Bezug wurde hier ausgegangen. Die Eigenschaft, mit U.M. identisch zu sein, kurz: IUM, ist also keine Eigenschaft-der-Individuale (um eine solche Eigenschaft zu sein, müsste sie nur von Individualen sinnvoll aussagbar sein), und sie ist folglich auch keine Hom-Eigenschaft-der-Individuale. Jedoch hat sie unter den Hom-Eigenschaften-der-Individuale eine Repräsenta- tion : die Eigenschaft I*UM. Inwiefern? Solchermaßen:

Das Repräsentationsstatut für IUM und I*UM:

Für alle Individuale y gilt: [IUM; y] ist ein Sachverhalt und [I*UM; y] = [IUM; y]; für alle

Nichtindividuale z gilt: [IUM; z] ist ein Sachverhalt und [I*UM; z] = Nichts (und ist also keine Sättigung von I*UM; denn Nichts ist kein Sachverhalt).

I*UM ist also eine Eigenschaft, die von allen Individualen und nur von Individualen sinnvoll aussagbar ist (die, m. a. W., bei Füllung mit einem beliebigen Individual und nur bei Füllung mit einem Individual einen Sachverhalt liefert). Mithin ist sie auch von mir sinnvoll aussagbar; folglich ist sie eine Hom-Eigenschaft-der-Individuale. Von I*UM ist zudem beweisbar, dass sie von genau denselben Entitäten exemplifiziert wird wie IUM (also auch von genau denselben Entitäten nicht exemplifiziert wird wie IUM56).

12. Wesen, insbesondere das eigenschaftliche Wesen von etwas Die Ko-Exemplifikation von IUM und I*UM ist zweifelsohne eine Sache der Notwendigkeit (nichts Kontingentes geht in dieses Resultat ein). Und doch sind IUM und I*UM verschie-dene Eigenschaften. Die letztere Eigenschaft ist eine Herunterrepräsentation von IUM. Eine Herunterrepräsentation einer Eigenschaft (stets ist die Erstere eine andere Eigenschaft als die Letztere) ergibt sich dadurch, dass man den Kreis der Aussagbarkeit, den die Eigenschaft eigentlich hat, einschränkt. Dabei kann – wie im vorliegenden Fall – die Einschränkung des Kreises der Aussagbarkeit einer Eigenschaft den Kreis ihrer Exemplifikation ganz unberührt lassen.

Die Hom-Eigenschaft-der-Individuale I*UM ist nun mit der Hom-Eigenschaft-der-Individua-le k*(ich) identisch: I*UM ist, weil ich I*UM (wie IUM) notwendigerweise habe, in k*(ich), der Konjunktion der von mir notwendigerweise gehabten Hom-Eigenschaften-der-Individua-le, intensional enthalten (letztere Eigenschaft ist der ersteren notwendig subsumiert); k*(ich) ist umgekehrt, weil ich k*(ich) notwendigerweise habe (denn k*(ich) habe ich genauso not-wendigerweise wie ihre Konjunktionsglieder), in I*UM intensional enthalten,58 und I*UM und k*(ich) sind genau von denselben Entitäten aussagbar. Gemäß IEI1 folgt also, dass sie miteinan-der identisch sind. Damit ist die Frage beantwortet, wie sich das eigenschaftliche Wesen von mir zu der Hom-Eigenschaft-der-Individuale k*(ich) verhält: Die Herunterrepräsentation meines eigenschaftlichen Wesens in den Kreis der Hom-Eigenschaften-der Individuale – von IUM zu I*UM – ist mit k*(ich) identisch.

Was machen aber nun alle diejenigen, die – wie David Lewis – nicht glauben, dass ich ein OMOZ bin, vielleicht deshalb, weil sie meinen, dass nichts ein OMOZ (ein Individuum ohne modale und ohne zeitliche Dimension) ist? Für sie entfällt die Möglichkeit k*(ich) im normalen Sinn aufzufassen: als Konjunktion der Hom-Eigenschaften-der-Individuale, die ich , ein OMOZ, not-wendigerweise habe im normalen Sinn (nämlich in dem in Abschnitt 2 angegebenen Exempli-fikationssinn); als (folglich) identisch mit I*UM. Sie gehen ja davon aus, dass ich und ich* – also ich und das mir in der wirklichen Welt entsprechende Leibniz-Individuum – ein und dasselbe

13. Das mereologische Wesen von etwassind (was sollte ich auch, wenn ich kein OMOZ bin, sonst sein außer ich*?) und dass Exemp-lifikation der Eigenschaften-der-Individuale und Meinong-Exemplifikation von ihnen ein und dasselbe sind. Eigentlich , wenn sie der Definition von „k*(ich)“ folgten, so müssten sie – wegen ihrer Auffassung von mir als ich* und von der Exemplifikation der Eigenschaften-der-Indivi-duale als Meinong-Exemplifikation von ihnen  – k*(ich) mit derjenigen maximalkonsistenten Hom-Eigenschaft-der-Individuale identifizieren, die dem Leibniz-Individuum ich* eins-zu-eins korrespondiert (denn diese Eigenschaft ist die Konjunktion aller Hom-Eigenschaften-der-Indivi-duale, die ich* notwendigerweise Meinong-exemplifiziert, da ich* sie Meinong-exemplifiziert59); wodurch aber k*(ich) als Bestimmungseigenschaft der Gegenstücke („counterparts“) von ich* unter den Hom-Individualen (wie im vorausgehenden Abschnitt erwogen) völlig unbrauch-bar würde; denn einziges Gegenstück von ich* wäre dann – ich*! Nicht nur Kontingenz, son- dern auch Pseudokontingenz wären damit ganz hinfällig für ich*. Doch die, die mich nicht als ein OMOZ betrachten, sondern als ein Leibniz-Individuum, werden gar nicht verlegen sein: Sie werden insistieren, dass k*(ich) genau dieselbe Eigenschaft ist wie die, die ich, der ich mich für ein OMOZ halte, darunter verstehe, nämlich: die Konjunktion der Hom-Eigenschaften-der-Individuale, die ich notwendigerweise habe (wenn sie auch mit der der Identifikation von k*(ich) mit I*UM nichts anfangen können). Den Einwand, dass sie da die hypernotwendige Eigenschaftshabe („ich* und jedes Gegenstück von ich* exemplifiziert F“) für die notwendi- ge Eigenschaftshabe („ich* exemplifiziert notwendigerweise F“) halten, wie schon zuvor die notwendige Eigenschaftshabe für die Eigenschaftshabe simpliciter („ich* exemplifiziert F“), werden sie von sich weisen. Sie wüssten gar nicht, worauf der Einwand eigentlich hinauswolle. Hierauf: „ich* exemplifiziert F“ ist ihnen im Effekt so viel wie eigentlich „ich* exemplifiziert notwendigerweise F“, „ich* exemplifiziert notwendigerweise F“ aber so viel wie eigentlich „ich* und jedes Gegenstück von ich* exemplifiziert F“; die Semantik von „notwendig“ ist ver- zerrt . Egal, wird man vielleicht sagen, solange nur der gewöhnliche modale Diskurs reibungs-los ontologisch wiedergegeben wird. Aber wird er das?

13. Das mereologische Wesen von etwas

Das mereologische Wesen einer Entität y ist, wie gesagt, der kleinste notwendige Teil von y, von dem jeder Teil, den y (absolut) notwendigerweise hat, ein Teil ist.

Aber besagt hier „Teil“ Konstituente , oder vielmehr Stück , im letzteren Fall Stück i w S oder Stück i e S ?60 Will man erreichen, dass alles ein (jeweiliges) mereologisches Wesen ein und desselben Sinns hat, und zwar unter Wahrung des Bedeutungspostulats, dass alles nicht mehr als ein Wesen hat – was bei der hier nun betrachteten Globaldeutung von „Wesen von etwas“ besagt: nicht mehr mereo- logische Wesen hat als eines  –, so muss „Teil“ hier im Sinne von „Konstituente“ verstanden werden.

Angenommen nämlich, man verstünde hier „Teil“ nicht so , sondern, erstens , im Sinne von „Stück i. w. S.“. Bezogen auf Propositionen x und y besagt „x ist ein Stück i. w. S. von y“ so viel wie „x ist [inhaltsmäßig] eine Teilproposition von y“, oder logisch äquivalent: „x und y sind Pro-positionen, und notwendigerweise gilt: wenn y wahr ist, dann ist auch x wahr“. Betrachten wir dann die Proposition, dass ABC ein gleichseitiges Dreieck ist , kurz: P. P ist notwendigerweise eine Teilproposition von P, und jede notwendige Teilproposition von P ist zweifelsohne eine Teilpro-position von P. Zudem ist P eine Teilproposition von jeder Entität, von der alle notwendigen Teilpropositionen von P Teilpropositionen sind – denn P ist ja notwendigerweise eine Teilpro-position von P. So weit, so gut. Aber P ist dennoch nicht das – qua Stück i. w. S. – mereologische Wesen von P. Denn betrachten wir zudem die Proposition, dass ABC ein gleichwinkliges Dreieck ist , kurz: P´. P´ ist notwendigerweise eine Teilproposition von P, und jede notwendige Teilpro-position von P, ist eine Teilproposition (nicht nur von P, sondern auch) von P´. Zudem ist P´ – wie P – eine Teilproposition von jeder Entität, von der alle notwendigen Teilpropositionen von P Teilpropositionen sind – denn P´ ist ja notwendigerweise eine Teilproposition von P. P´ erfüllt also offenbar genauso gut wie P die Bedingungen dafür, ein mereologisches Wesen von P zu sein (bei Interpretation von „Teil“ als „Stück i. w. S.“). Zählt man P als ein mereologisches Wesen von P, so muss man zweifelsohne auch P´ als ein mereologisches Wesen von P zählen. Jedoch,

13. Das mereologische Wesen von etwasobwohl P und P´ wechselseitig voneinander Stücke i. w. S. sind, sind sie verschieden [was zeigt, dass das Axiom A3 – ∀x∀y(T(x, y) ∧ T(y, x) ⊃ x = y) – nicht gilt, wenn unter „x ist ein Teil von y“ dasselbe verstanden wird wie unter „x ist (inhaltsmäßig) eine Teilproposition von y“, während A3 ja sehr wohl gilt, wenn unter „x ist ein Teil von y“ dasselbe verstanden wird wie unter „x ist (inhaltsmäßig) ein Teilsachverhalt von y“]. Zählt man nun mit P auch die von ihm verschiedene Proposition P´ als ein mereologisches Wesen von P, so wird das Bedeutungspostulat, dass alles höchstens ein mereologisches Wesen hat, verletzt – was im Endeffekt bedeutet, dass weder P noch P´ als ein mereologisches Wesen von P angesehen werden kann (denn sonst müsste man wegen der aufgezeigten Symmetrie zwischen P und P´ – unzulässigerweise – P und zudem P´ bzw. P´ und zudem P als ein solches ansehen). Wenn aber weder P noch P´ ein mereologisches Wesen von P ist – im definierten Sinn, bei der gegebenen Interpretation von „x ist ein Teil von y“ –, was soll sonst ein solches sein? Es ist offenbar geworden: P hat kein mereologisches Wesen im definierten Sinn – nicht bei der gegebenen Interpretation von „x ist ein Teil von y“.

Angenommen nun aber, man verstünde „Teil“ wiederum nicht im Sinne von „Konstituente“, sondern, zweitens , im Sinne von „Stück i. e. S.“. Dann scheitert, dass alles ein mereologisches Wesen hat, bereits daran, dass nicht alles ein Stück i. e. S. hat: Die leere Menge hat kein Stück i. e. S. (sie hat keine echte Teilmenge), der leere Sachverhalt auch nicht (er hat keinen echten Teil-sachverhalt). Zudem hat nicht jedes y, selbst wenn es ein Stück i. e. S. hat, ein Stück i. e. S., von dem alle Stücke i. e. S. von y, ein Stück i. e. S. sind: Die Menge {1, 2} hat die echten Teilmengen {1}, {2} und ∅, aber sie hat keine echte Teilmenge, von der alle ihre echten Teilmengen echte Teilmengen sind. Die Menge {1, 2} hat somit (denn „echte Teilmenge“ ist logisch äquivalent mit „ notwendigerweise echte Teilmenge“) kein notwendiges Stück i. e. S., von dem jedes Stück i. e. S., das {1, 2} notwendigerweise hat, ein Stück i. e. S. ist. Auch die Menge {1, 2} hat folglich kein mereologisches Wesen im definierten Sinn – nicht bei der gegebenen Interpretation von „x ist ein Teil von y“. Das Gleiche gilt von jeder Menge (sogar von Einermengen) . Das Gleiche gilt auch von der Sachverhaltstotalität: Die maximalkonsistenten Sachverhalte sind allesamt echte Teil-sachverhalte der Sachverhaltstotalität, aber sie hat keinen echten Teilsachverhalt, von dem alle ihre echten Teilsachverhalte, also insbesondere alle maximalkonsistenten Sachverhalte, echte Teilsachverhalte wären. Die Sachverhaltstotalität hat somit (denn „echter Teilsachverhalt“ ist logisch äquivalent mit „notwendigerweise echter Teilsachverhalt“) kein notwendiges Stück i.

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e. S., von dem jedes Stück i. e. S., das die Sachverhaltstotalität notwendigerweise hat, ein Stück i. e. S. ist.

Die Vorstellung, das mereologische Wesen einer Entität sei der von ihr verschiedene notwen- dige Kern von ihr  – welcher Vorstellung die Deutung von „Teil“ in „der kleinste notwendige Teil von y, von dem jeder Teil, den y (absolut) notwendigerweise hat, ein Teil ist“ im Sinne von „Stück i. e. S.“ sehr entgegenzukommen scheint –, lässt sich nicht generell einlösen. Ja, bei Deu-tung von „Teil“ als „Stück i. e. S.“ ist jene Vorstellung inkohärent : da nichts ein Stück i. e. S. von sich selbst ist (aber der kleinste notwendige Teil von y, von dem jeder Teil, den y notwendiger-weise hat, ein Teil ist, doch ebenfalls ein Teil von y ist, den y notwendigerweise hat , also ein Teil von sich selbst ist).

Nun nach zwei negativen Ergebnissen zum schon vorbedeuteten positiven: Es lässt sich zeigen, dass wenn man „Teil“ in „der kleinste notwendige Teil von y, von dem jeder Teil, den y (absolut) notwendigerweise hat, ein Teil ist“ im Sinne von „Konstituente“ auffasst, alles sein mereologi-sches Wesen hat. Das mereologische Wesen von y ist dann (also: bei der nun ins Auge gefassten Interpretation der Definition von „das mereologische Wesen von y“) für alle y: y – was freilich der Vorstellung von einem von y verschiedenen notwendigen Kern von y als mereologischem Wesen von y widerspricht und die Rede vom mereologischen Wesen (von etwas) gleichsam tri-vialisiert.

13. Das mereologische Wesen von etwasMein eigenschaftliches Wesen ist die Eigenschaft, ich , U.M., zu sein ; mein mereologisches We-sen – in der generell anwendbaren, jeder Entität genau ein mereologisches Wesen verschaffen-den Interpretation durch den Konstituentenbegriff – bin ich , U.M. Weder mein eigenschaft-liches noch mein mereologisches Wesen verraten für sich genommen viel über mich. Sollte ich Stücke i. w. S. haben (immerhin lautet der Titel der Autobiographie von Carl Zuckmayer: „Als wär’s ein Stück von mir“ – ein Vers aus dem Lied „Der gute Kamerad“) und die nicht generell anwendbare Interpretation von „das mereologische Wesen von y“ durch den Begriff des Stücks i. w. S. in meinem Fall anwendbar sein (in vielen Fällen ist sie ja anwendbar), so wäre mein mereologisches Wesen wiederum: ich . Sollte ich Stücke i. e. S. haben (mein Körper hat sie zwei-fellos, ebenso meine Lebensgeschichte) und die nicht generell anwendbare Interpretation von „das mereologische Wesen von y“ durch den Begriff des Stücks i. e. S. in meinem Fall anwendbar sein, so wäre mein mereologisches Wesen nun allerdings nicht ich. Das kleinste notwendige Stück i. e. S. von mir, von dem jedes Stück i. e. S., das ich notwendigerweise habe, ein Stück i w S ist (denn mit „Stück i. e. S.“ anstelle von „Stück i. w. S.“ auch am Ende der Definition lässt sich, wie gesagt, die angezielte Konzeption nicht kohärent durchführen) – was könnte das nur sein? Angenommen, etwas – nennen wir es: K* – wäre notwendigerweise ein Stück i. e. S. von mir und nichts sonst wäre notwendigerweise ein Stück i. e. S. von mir. K* hätte dann kein not-wendiges Stück i. e. S. (denn sonst hätte ich ja wegen der Transitivität jedes Stückbegriffs ein notwendiges Stück i. e. S., das von K* verschieden ist). Vielleicht hätte K* überhaupt kein Stück i. e. S. Jedenfalls wäre, wenn K* mein einziges notwendiges Stück i. e. S. wäre, jedes notwendige Stück i. e. S. von mir ein Stück i w S von K*, und K* wäre ein Stück i. w. S. von jeder Entität, von der alle notwendigen Stücke i. e. S. von mir ein Stück i. w. S. sind (denn K* wäre ja not-wendigerweise ein Stück i. e. S. von mir). Sei nun z, wie K*, ein notwendiges Stück i. e. S. von mir – und mehr braucht man nicht anzunehmen, weil schon jetzt folgt, dass z mit K* identisch wäre (angesichts der über K* gemachten Annahmen).

K* wäre also das kleinste notwendige Stück i. e. S. von mir, von dem jedes Stück i. e. S., das ich notwendigerweise habe, ein Stück i w S ist; K* wäre mein mereologisches Wesen in diesem Sinn . Aber K* wäre was ? Sicher ist nur eins: K* wäre nichts rein Stoffliches; denn nichts rein Stoffliches ist notwendigerweise ein Stück i. e. S. von mir ( diese  – in diese Atome gefasste – Mate-rie von mir kann ja vollständig ausgetauscht werden). Und K* wäre, da ein Stück von mir (siehe die Unterscheidung von Stück und Konstituente im Abschnitt 9), von derselben (allgemeinmeta-physischen) Kategorie wie ich selbst: Es wäre also ein unabhängiges/selbstständiges Individuum

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ohne modale und ohne zeitliche Dimension, kurz: ein unabhängiges/selbstständiges OMOZ, m. a. W.: eine individuelle Substanz (K121111; zu dieser Kategorie bzw. Kategorialklasse siehe die Ausführungen in Kapitel 2, in Abschnitt 2 und 5). Wäre K* so etwas wie eine Seele? Meine Seele?  – Es bleibe dahingestellt.

Das eigenschaftliche Wesen von etwas – was es auch sei – ist die Eigenschaft, dieses Etwas zu sein; das mereologische Wesen von etwas – was es auch sei – ist dieses Etwas selbst. Diese Re-sultate mögen als trivial empfunden werden. In der Philosophiegeschichte ist demgegenüber immer wieder diese oder jene als besonders wichtig empfundene einzelne Eigenschaft von etwas (z. B. die Eigenschaft, rational zu denken) als das eigenschaftliche Wesen von ihm, dieser oder jener als besonders wichtig empfundene einzelne Teil von etwas als das mereologische Wesen von ihm ausgegeben worden. So nichttrivial dies war, so willkürlich und so angreifbar schien es freilich auch .

14. Existenzabhängigkeit und Wirklichmachen

Der Modaloperator der (stärksten, absoluten, unbedingten, „logischen“, „begrifflichen“, „analy-tischen“61) Notwendigkeit hat in diesem Kapitel und den vorhergehenden eine nicht unwesent-

14. Existenzabhängigkeit und Wirklichmachenliche Rolle (die Rolle eines zentralen logischen Funktors) gespielt. Nun hat er abermals einen Auftritt; denn Existenzabhängigkeit ist unter Verwendung dieses Modaloperators zu definieren.

Existenzabhängigkeit gibt es als Suffizienz -Existenzabhängigkeit und als Sine-qua-non -Exis-tenzabhängigkeit; ich sage kurz: „ Suffex abhängigkeit“ und „ Sinex abhängigkeit“. Hier die Defi-nitionen:

DF1 x ist suffexabhängig von y =Def es ist [absolut] notwendig: wenn y existiert, dann existiert auch x.

DF2 x ist sinexabhängig von y =Def es ist notwendig: wenn x existiert, dann existiert auch y.

Diese beiden Definitionen bedingen das folgende Reziprozitätstheorem :

Für alle u und v: u ist suffexabhängig von v genau dann, wenn v sinexabhängig von u ist.

Das Reziprozitätstheorem führt vor Augen, dass Existenzabhängigkeit, recht besehen, nicht ge-eignet ist, durch ihr Vorliegen hierarchische Verhältnisse (der Vorrangigkeit oder Nachrangig-keit) zwischen Entitäten zu begründen. Denn auf „α ist sinexabhängig von β“ kann man stets antworten: „Ja, aber β ist dafür suffexabhängig von α“; und auf „α ist suffexabhängig von β“ kann man stets antworten: „Ja, aber β ist dafür sinexabhängig von α“.

Es hilft nichts, die Begriffe asymmetrisch zu machen:

DF3 x ist einseitig suffexabhängig von y =Def x ist suffexabhängig von y, und y ist nicht suffex-abhängig von x.

DF4 x ist einseitig sinexabhängig von y =Def x ist sinexabhängig von y, und y ist nicht sinexab-hängig von x.

Denn der einseitigen Suffexabhängigkeit eines x von einem y entspricht die einseitige Sinex-abhängigkeit eben dieses y von eben diesem x, und umgekehrt („umgekehrt“ hinsichtlich der Reihenfolge der Worte „Suffexabhängigkeit“ und „Sinexabhängigkeit“ im vorstehenden Satz).

Es ist ein sachlich nicht gerechtfertigtes und ontologisch irreführendes Faktum des philo-sophischen Sprachgebrauchs, dass „Existenzabhängigkeit“ fast ausschließlich im Sinne von „Sinexabhängigkeit“ verstanden wird, während das ebenso angemessene Verständnis von „Existenzabhängigkeit“ im Sinne von „Suffexabhängigkeit“ unter den Tisch fällt. Die Illu-sion ist da unvermeidlich, dass das Vorliegen von Existenzabhängigkeit (schlechthinnige, unrelativierbare) hierarchische Verhältnisse des Vorrangs und Nachrangs zwischen Entitä-ten etabliere.

Existenzabhängigkeit erscheint als ein bedeutenderer Begriff, als sie tatsächlich ist. Das bedeu-tet nicht, dass sie unbedeutend ist; aber in der Tat resultiert ein degenerierter, völlig unbedeu-tender Begriff der Existenzabhängigkeit, wenn man „x existiert“ – wie es an sich legitim, doch meines Dafürhaltens nicht immer angebracht ist – im Sinne von „x ist ein Etwas“ („x ist mit etwas identisch“, „x ist etwas“) versteht. Denn es ist ja notwendig, dass alles notwendigerweise ein Etwas ist. Es folgt bei der fraglichen Deutung von „x existiert“, dass alles notwendigerweise existiert, woraus aber wiederum folgt, dass alles von allem sowohl suffex- als auch sinexabhängig ist, folglich, wie man es auch dreht und wendet, alles von allem existenzabhängig ist. Eine weite-re Konsequenz jener Deutung ist, dass nichts von irgendetwas einseitig existenzabhängig ist – ob man nun „x ist existenzabhängig von y“ im Sinne von „x ist von y suffexabhängig“ deutet, oder aber (wie üblich) im Sinne von „x ist von y sinexabhängig“.

Die Trivialisierung der Existenzabhängigkeit lässt sich vermeiden, wenn akzeptiert wird, was nicht wenige Metaphysiker ablehnen: dass das Existenzprädikat auch durch „x ist etwas Wirkli-ches“ legitim gedeutet werden kann, wobei aus dem letzteren Prädikat zwar „x ist etwas“ logisch folgt, aber die Umkehrung dieser logischen Folge nicht besteht; nicht bloß deshalb, weil es mög-lich ist, dass ein x etwas ist, ohne etwas Wirkliches zu sein, sondern auch deshalb, weil tatsäch-lich manches zwar etwas, aber nichts Wirkliches ist (kurz: weil manches nichts Wirkliches ist). Dass diese zweite, andere Deutung des Existenzprädikats legitim ist und dass sie als Deutung des Existenzprädikats weithin im Gebrauch ist – davon gehe ich nach den in Kapitel 3 gegebenen Argumenten aus. Wer nicht überzeugt ist, möge erwägen, dass die Deutung von „existieren“ durch „etwas Wirkliches sein“ die Existenzabhängigkeit vor der sonst sicheren Trivialität be-

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14. Existenzabhängigkeit und Wirklichmachenwahrt, wenn sie bei der Analyse der Existenzabhängigkeit anstelle der Deutung von „existieren“ durch „etwas sein“ zum Einsatz kommt.

Ich gehe davon aus, dass Existenzabhängigkeit nichts anderes ist als Wirklichkeits-, oder: Aktu- alitätsabhängigkeit ; diese Begriffe sind nicht nur logisch äquivalent (werden nicht nur mit lo-gischer Notwendigkeit ko-instanziiert), sondern sie sind identisch; mithin sind identisch auch Suffexabhängigkeit und Suffizienz-Aktualitätsabhängigkeit , kurz: Suffakabhängigkeit , und Sinex- abhängigkeit und Sine-qua-non-Aktualitätsabhängigkeit , kurz: Sinakabhängigkeit . Entspre-chend sind die Prädikate „x ist existenzabhängig von y“ und „x ist wirklichkeitsabhängig von y“ Synonyme , und zudem die Prädikate „x ist suffexabhängig von y“ und „x ist suffakabhängig von y“, und die Prädikate „x ist sinexabhängig von y“ und „x ist sinakabhängig von y“ ebenfalls. Die obigen Definitionen DF1 – DF4 gelten dementsprechend auch, wenn in ihnen „ex“ durch „ak“ ersetzt wird – außer natürlich im Wort „existiert“ selbst; dieses Wort ist da aber durchgängig (in DF1 – DF4 und in ihren „ak“-Varianten DF1´ – DF4´) im Sinne von (als synonym mit) „ist etwas Wirkliches“ zu verstehen.

Ist nun Existenzabhängigkeit als Wirklichkeitsabhängigkeit erkannt, so wird offenbar, dass Existenzabhängigkeit schon einmal in diesem Kapitel einen sozusagen „anonymen“ Auftritt hat-te. Das Prädikat „x ist Teilsachverhalt von y“ ist logisch äquivalent mit „x und y sind Sachver-halte, und es ist (absolut) notwendig : wenn y der Fall ist, dann ist x der Fall“ (siehe Abschnitt 11, Beta ), was seinerseits logisch äquivalent ist mit „x und y sind Sachverhalte, und es ist notwendig: wenn y etwas Wirkliches ist, dann ist auch x etwas Wirkliches“;62 Letzteres bedeutet aber nichts anderes als „x und y sind Sachverhalte, und x ist suffexabhängig [suffakabhängig] von y“, und es bedeutet auch nichts anderes als „x und y sind Sachverhalte, und y ist sinexabhängig [sinakab-hängig] von x“.

Es ist das große philosophische Verdienst David Humes, in eindrücklicher Weise dargelegt zu haben, dass Kausalität nicht Existenzabhängigkeit, nicht Wirklichkeitsabhängigkeit ist. Denn es kann ,64 wie er aufweist, in jedem augenscheinlichen Kausalverhältnis die Ursache existieren ( etwas Wirkliches sein – z. B., wenn es sich bei ihr um ein Ereignis handelt , geschehen ), ohne dass die Wirkung existiert ( etwas Wirkliches ist , z. B.: geschieht ). Und es kann  – worauf Hume allerdings nicht besonders hinweist – in jedem augenscheinlichen Kausalverhältnis auch die Wirkung existieren ( etwas Wirkliches sein ,z. B.: geschehen ), ohne dass die Ursache existiert ( et- was Wirkliches ist ,z. B.: geschieht ). In jedem augenscheinlichen Kausalverhältnis ist also die Wir-kung weder suffex- noch sinexabhängig von der Ursache – schlicht deshalb, weil die dafür not-wendige absolute Notwendigkeit in ihrem Verhältnis nicht gegeben ist. Daraus folgt nicht, dass

15. Wirklichkeitsabhängigkeit und Verwirklichung bei Sachverhalten alle augenscheinlichen Kausalverhältnisse in Wirklichkeit keine sind, oder gar, dass Kausalität nichtexistent ist, sondern schlicht, dass Kausalität etwas anderes ist als Existenzabhängigkeit. Man hat die Kausalität in der reinen, faktischen Abfolgeregularität gesucht; oder, weil man die Finger von der Notwendigkeit nicht lassen konnte, in der gesetzmäßigen , also insofern irgendwie notwendigen (wenn auch nicht absolut notwendigen)Abfolgeregularität; oder in kontrafakti-schen Sine-qua-non-Konditionalen, in denen ebenfalls eine andere Notwendigkeit als die ab-solute Notwendigkeit (semantisch) steckt: eine durch diese oder jene Gesichtspunkte bedingte , am Ende gar durch deren jeweilige Gewichtung (wie sich bei David Lewis zeigt) stark subjektiv bedingte Notwendigkeit. Für die Metaphysik kommt jedoch nur eine Notwendigkeit in Frage: die absolute. Nur der Begriff der absoluten Notwendigkeit (primär anwendbar auf Propositio-nen und Sachverhalte) ist unter den Notwendigkeitsbegriffen ein Begriff der Metaphysik (und korrelativ unter den Möglichkeitsbegriffen nur der Begriff der absoluten Möglichkeit); er allein unter den Notwendigkeitsbegriffen ist ein metaphysischer , und zwar wegen der von der Meta-physik angestrebten umfassenden Allgemeinheit, und wegen der Radikalität ihres Fragens, das stets ins absolut Grundsätzliche geht.

Bedeutet dies, dass Kausalität kein metaphysischer Begriff ist; dass auf eine Analyse von Kau-salität im Rahmen der Metaphysik verzichtet werden muss? Viele Kausalbegriffe – viele Ursa-che-Wirkungs-Begriffe – sind in der Tat keine metaphysischen; sie sind es insbesondere dann nicht, wenn in ihnen eine andere Notwendigkeit als die absolute involviert ist. Es gibt aber sehr wohl einen metaphysischen Kausalbegriff. Es ist der Begriff des Wirklichmachens , ausgedrückt durch das Prädikat „x macht y zu etwas Wirklichem“, oder kurz: „x verwirklicht y“.

15. Wirklichkeitsabhängigkeit und Verwirklichung bei Sachverhalten, der Satz von der Maximalkonsistenz des Tatsächlichen und das Allgemeine Metaphysische Kausalprinzip

Die Analyse des Begriffs des Wirklichmachens (des Verwirklichens) und die tiefergehende meta-physische Beschreibung der Instanziierung dieses Begriffs sind dem nachfolgenden Kapitel vor-

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behalten. Hier sei ohne seine Analyse auf einiges zu seiner Instanziierungsbeschreibung Gehörige hingewiesen – im Zusammenhang mit Wirklichkeitsabhängigkeit (Existenzabhängigkeit).

Die Wirklichkeitsabhängigkeit und das Verwirklichen können in der Verteilung des Wirk-lichseins über die singulären Entitäten „zusammenarbeiten“: Das Verwirklichen kann bei etwas, x, die Setzung des Wirklichseins „leisten“,65 und die Wirklichkeitsabhängigkeitdie Weiterleitung des Wirklichseins von x an anderes, y – ohne dass eine eigene Wirklichkeitssetzung bei y er-forderlich wäre. Aber in welcher Weise genau eine solche „Zusammenarbeit“ unter den singulär Seienden global oder auch nur lokal vorliegt, und ob sie überhaupt vorliegt, das ist einstweilen ganz unklar. Schauen wir zur Illustration auf die Sachverhalte.

Die durch die Axiome A1 – A7 (und die sie begleitenden Definitionen) in der Interpretation Beta gegebene Mereologie der Sachverhalte (siehe Abschnitt 11) ist zugleich eine Beschreibung der unter Sachverhalten obwaltenden allgemeinen und notwendigen Ordnung der Wirklichkeits-abhängigkeit (Existenzabhängigkeit); denn „x ist Teilsachverhalt von y“ ist ja logisch äquivalent mit „Sachverhalt x ist suffakabhängig [suffexabhängig] von Sachverhalt y“ und mit „Sachverhalt y ist sinakabhängig [sinexabhängig] von Sachverhalt x“ (wie im vorausgehenden Abschnitt gezeigt worden ist). Diese Ordnung ist insofern eine reine Ordnung der Wirklichkeitsabhängigkeit , als sich ihr nicht  – nicht ohne Weiteres  – die mindeste Information darüber entnehmen lässt, welche Sachverhalte nun etwas Wirkliches sind – der Fall sind, Tatsachen sind, bestehen – und welche nicht. Es lässt sich ihr nicht einmal entnehmen, dass der übervolle Sachverhalt ( die Totalität unter den Sachverhalten, von der jeder Sachverhalt ein Teilsachverhalt ist) nicht besteht und dass der leere Sachverhalt ( das Atom unter den Sachverhalten, das von jedem Sachverhalt ein Teilsachver-halt) besteht, wiewohl sich ihr entnehmen lässt (und zwar als notwendige Wahrheiten), (i) dass der übervolle Sachverhalt genau dann nicht besteht, wenn nicht jeder Sachverhalt besteht, und dass genau dann nicht jeder Sachverhalt besteht, wenn für keinen Sachverhalt sowohl er selbst als auch seine Negation besteht; und (ii) dass der leere Sachverhalt genau dann besteht, wenn über-haupt ein Sachverhalt besteht, und dass genau dann überhaupt ein Sachverhalt besteht, wenn für mindestens einen Sachverhalt er selbst oder seine Negation besteht.

15. Wirklichkeitsabhängigkeit und Verwirklichung bei Sachverhalten Nun ist die Verteilung des Wirklichseins unter den Sachverhalten tatsächlich derart, dass von jedem Sachverhalt entweder er selbst oder seine Negation besteht ; oder notwendigerweise äquiva-lent gesagt (die – notwendig geltende – Mereologie der Sachverhalte und die gerade festgestell-ten „Selbstverständlichkeiten“ vorausgesetzt): dass die Konjunktion der bestehenden Sachverhalte ein bestehender maximalkonsistenter Sachverhalt ist

Und noch einmal notwendig äquivalent gesagt: Die Verteilung des Wirklichseins unter den Sachverhalten ist derart, dass genau ein maximalkonsistenter Sachverhalt besteht

Aus der Mereologie der Sachverhalte allein (samt den „Selbstverständlichkeiten“) ist dieses, in drei verschiedenen Weisen soeben dargestellte Wirklichkeitsverteilungsphänomen nicht dedu-zierbar, und also auch nicht allein auf dieser Grundlage erklärbar – was aber nun noch nicht bedeutet, dass zu seiner Erklärung der Begriff des Verwirklichens herangezogen werden muss. Man könnte „Von jedem Sachverhalt besteht entweder er selbst oder seine Negation“, d. h.: den Satz von der Maximalkonsistenz des Tatsächlichen (und also auch jedes notwendige Äquivalent dieses Satzes gemäß der Mereologie der Sachverhalte und der oben festgehaltenen „Selbstver-ständlichkeiten“) als eine unhintergehbar kontingente Wahrheit ansehen, gewissermaßen als einen metaphysischen Zufall; dann gäbe es da nichts zu erklären, sondern nur zu konstatieren: „So ist es eben.“ Viel plausibler ist es, den fraglichen Satz ganz im Gegenteil als notwendigerwei-se wahr anzusehen, bildet er doch offensichtlich zwei zentrale logische Gesetze zusammengefasst ab: den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch und den Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Von der notwendigen Wahrheit des Satzes von der Maximalkonsistenz des Tatsächlichen sei denn auch – im Interesse der Minimierung des Erklärungsbedarfs – ausgegangen (eine weitere „Selbstverständlichkeit“ ist das aber nicht, so sehr erscheint das, was er beschreibt, gar nicht logisch zwangsläufig, sondern „erstaunlich“ zu sein, wenigstens prima facie ).

15. Wirklichkeitsabhängigkeit und Verwirklichung bei Sachverhalten Wenn von der notwendigen Wahrheit des Satzes von der Maximalkonsistenz des Tatsächlichen ausgegangen wird, so gibt es hinsichtlich des besagten Verteilungsphänomens abermals nichts zu erklären;66 denn die Erklärung liegt auf der Hand: Es muss (absolut) so sein, es kann (ab-solut) nicht anders sein. Jedoch ist damit nicht aller Erklärungsbedarf aus der Welt geschafft. Denn der Satz von der Maximalkonsistenz des Tatsächlichen ist zwar notwendigerweise wahr, aber er kann in unendlich vielen Weisen wahr sein, und nur eine von diesen ist die tatsächliche Weise, in der er wahr ist. Um dies einzusehen, muss man nur die Mereologie der Sachverhalte kennen und auf die beiden (oben demonstrierten) notwendigen Äquivalente des Satzes von der Maximalkonsistenz des Tatsächlichen blicken: Es stehen unendlich viele maximalkonsistente Sachverhalte zur Verfügung; jeder von diesen kann an sich, muss aber nicht, der (einzige) be- stehende maximalkonsistente Sachverhalt sein: derjenige maximalkonsistente Sachverhalt, mit dem die Konjunktion aller Tatsachen (aller bestehenden Sachverhalte) identisch ist. Aber nur ein maximalkonsistenter Sachverhalt – S* – unter den unendlich vielen ist derjenige Warum ausgerechnet S*?

Äquivalent mit der (An-sich-)Kandidatur jedes der unendlich vielen maximalkonsistenten Sachverhalte für den Status des bestehenden maximalkonsistenten Sachverhalts ist, dass jeder vom leeren und vom übervollen Sachverhalt verschiedene Sachverhalt sowohl an sich bestehen kann als auch an sich nicht bestehen kann.67 Denn würde ein solcher Sachverhalt (absolut) not- wendigerweise bestehen , so wären dadurch alle diejenigen maximalkonsistenten Sachverhalte von der fraglichen Kandidatur ausgeschlossen (und es wären so manche), die die Negation je-nes Sachverhalts als Teilsachverhalt haben; und würde ein solcher Sachverhalt notwendigerwei- se nicht bestehen , so wären dadurch alle diejenigen maximalkonsistenten Sachverhalte von der fraglichen Kandidatur ausgeschlossen (und es wären wiederum so manche), die jenen Sachver-halt als Teilsachverhalt haben. Warum also sind genau diese vom übervollen und vom leeren Sachverhalt verschiedenen Sachverhalte die bestehenden? Warum gerade die ?

Hier nun ist ein Ansatzpunkt für den Einsatz des Verwirklichungsbegriffs – neben dem Be-griff der Wirklichkeitsabhängigkeit (in „Zusammenarbeit“ mit diesem) und, natürlich, neben dem Wirklichkeitsbegriff selbst – in der Tat gegeben. Aber wie ist jener Begriff einzusetzen? Das ist alles andere als ausgemacht. Die erste Frage ist, ob der Zufälligkeit des Bestehens von Sach-verhalten neben der Verwirklichung von Sachverhalten ein Platz als „Wirklichkeitsursprung“ einzuräumen ist? Soll man, oder soll man nicht, annehmen: Jeder Sachverhalt, der sowohl an sich bestehen kann als auch an sich nicht bestehen kann [d. h.: jeder Sachverhalt außer dem leeren und dem übervollen], ist dann, wenn er besteht , entweder selbst von etwas verwirklicht, oder er ist zwar nicht selbst von etwas verwirklicht, aber ist doch eine Konjunktion von verwirk-lichten Sachverhalten oder besteht wenigstens in Suffakabhängigkeit von einem Sachverhalt, der von etwas verwirklicht ist? Ob man dies – es ist das Metaphysische Kausalprinzip für Sachverhal- te  – annimmt oder nicht, hängt davon ab, ob man das Allgemeine Metaphysische Kausalprinzip akzeptiert oder nicht: Akzeptiert man es, muss man auch seine Spezialisierung auf Sachverhalte akzeptieren; akzeptiert man es nicht, hat man keinen rechten Grund, dennoch seine Spezia-lisierung auf Sachverhalte zu akzeptieren. Das Allgemeine Metaphysische Kausalprinzip ist die folgende Aussage:

Jede Entität (ob singulär oder plural), die sowohl an sich etwas Wirkliches sein kann als auch an sich nichts Wirkliches sein kann, ist dann, wenn sie etwas Wirkliches ist, entweder selbst von etwas verwirklicht, oder sie ist zwar nicht selbst von etwas verwirklicht, aber ihre Wirklichkeit geht auf in der Wirklichkeit gewisser verwirklichter Entitäten oder sie [die Entität] ist wenigstens in Suffakab- hängigkeit von einer verwirklichten Entität etwas Wirkliches

Ob man das Allgemeine Metaphysische Kausalprinzip akzeptiert oder nicht, ist eine der wich-tigsten „Wasserscheiden“ in der Metaphysik. Das Allgemeine Metaphysische Kausalprinzip ist ein Rationalitätsprinzip bei Anerkenntnis von Kontingenz , und durch seine Akzeptanz scheiden sich diejenigen, die das Auftreten von kontingent Wirklichem, von welchem Auftreten sie ausge-hen, für stets bis zu einem gewissen Grad erklärbar halten  – die „Kontingenzrationalisten“ – von denjenigen, die ebenfalls vom Auftreten von kontingent Wirklichem ausgehen, aber nicht die besagte Erklärbarkeitsmeinung teilen.

Man beachte es wohl : Auch diejenigen, die vom Allgemeinen Metaphysischen Kausalprinzip ausgehen, müssen zugeben, dass es eine vollkommene, vollständige, restlose Erklärung von kon-tingent Wirklichem nicht geben kann. Warum nicht? Es liegt u. a. daran, dass das, was verwirk-

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15. Wirklichkeitsabhängigkeit und Verwirklichung bei Sachverhaltenlicht, selbst wirklich sein muss: Kein Verwirklichen ohne Wirklichsein des Verwirklichenden. Das hat unter dem Allgemeinen Metaphysischen Kausalprinzip, und weil es (absolut) unmög-lich ist, dass etwas sich selbst wirklich macht (also: wegen der Unmöglichkeit einer causa sui ipsius 68), einen Regress zur Folge, der nur dann zum Halten kommt (und nicht unendlich wird), wenn in ihm auf ein Verwirklichendes gestoßen wird, das notwendigerweise wirklich ist. Manche oder gar alle solche Verwirklichungsregresse mögen mit einem notwendigerweise wirklichen Verwirklichenden enden (viele haben mit Aristoteles angenommen, dass es nicht anders sein kann , als dass alle Verwirklichungsregresse so enden). Aber wenn nun auch dieses oder jenes Verwirklichende notwendigerweise wirklich ist – vielleicht ist ja auch nur ein einziges Verwirk-lichendes, und zwar ein gewisser Verwirklicher , notwendigerweise wirklich –, es ist davon aus-zugehen, dass auch das Verwirklichen eines notwendigerweise wirklichen Verwirklichers nicht mit Notwendigkeit statthat; denn Verwirklichen fordert logisch die Kontingenz des Wirklichseins des Verwirklichten .

Eine gewisse Grundlosigkeit des kontingent Wirklichen bleibt somit auch unter dem Allgemei-nen Metaphysischen Kausalprinzip bestehen. Insbesondere mag ja ein göttlicher Verwirklicher von kontingent Wirklichem „gute Gründe“ für sein Verwirklichen haben, aber sie machen sein Verwirklichen nun eben durchaus nicht notwendig. Es bleibt in gewissem Sinne „willkürlich“: Sache des freien göttlichen Willens ( andere würden sagen: Es bleibt in gewissem Sinne „zufällig“: Sache des göttlichen Zufalls).

Mit dem Allgemeinen Metaphysischen Kausalprinzip akzeptiere ich auch das Metaphysische Kausalprinzip für Sachverhalte. Mithin: Der Zufälligkeit des Bestehens von Sachverhalten (da-mit ist gemeint: dass sie „einfach so“ bestehen; dass sie kontingent wirklich sind, ohne dass ihr Wirklichsein auf Verwirklichung zurückgeht) wird neben der Verwirklichung von Sachverhal-ten kein Platz als „Wirklichkeitsursprung“ eingeräumt.

Davon ausgehend ist dann der in gewisser Weise sparsamste oder einfachste Einsatz des Ver-wirklichungsbegriffs der extreme Top-Down-Einsatz : Derjenige maximalkonsistente Sachver-halt, der besteht: der Sachverhalt S*, besteht, weil er verwirklicht ist ( wer oder was ihn ver-wirklicht hat und warum , ist natürlich die nächste Frage); jeder andere nicht notwendigerweise bestehende Sachverhalt (also jeder bestehende Sachverhalt außer dem „untersten“ Sachverhalt, dem leeren Sachverhalt) besteht aufgrund von Suffizienz-Wirklichkeitsabhängigkeit von S*.

Doch der extreme Top-Down-Einsatz des Verwirklichungsbegriff ist nur eine  – wenn auch eine offensichtlich ausgezeichnete  – unter unendlich vielen Einsatzmöglichkeiten des Verwirkli-chungsbegriff zur Erklärung des Bestehens derjenigen Sachverhalte, die tatsächlich bestehen und nicht notwendigerweise bestehen. Alle solche Einsatzmöglichkeiten, die vom extremen

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15. Wirklichkeitsabhängigkeit und Verwirklichung bei Sachverhalten Top-Down-Einsatz des Verwirklichungsbegriffs verschiedenen sind, sind Bottom-Up-Einsätze mit mehr oder minder starkem Top-Down-Anteil, d. h.: Es wird bei ihnen davon ausgegangen, dass bestehende Sachverhalte mehr oder minder weit unterhalb der Ebene der Maximalkonsis-tenz deshalb bestehen, weil sie verwirklicht sind. Mit ihnen sind dann auch alle ihre echten Teil-sachverhalte wirklich geworden (aber ohne – eigentlich – verwirklicht zu sein). In Konjunktion ergeben jene verwirklichten Sachverhalte den bestehenden maximalkonsistenten Sachverhalt S*; der folglich deshalb besteht (und mit ihm alle seine nicht notwendigerweise bestehenden Teilsachverhalte), weil jene Sachverhalte, die hinreichen, ihn konjunktiv auszumachen, eben die verwirklichten sind.

Dem extremen Top-Down-Einsatz des Verwirklichungsbegriffs steht polar gegenüber der ex- treme Bottom-Up-Einsatz  – der sich aber im Gegensatz zum extremen Top-Down-Einsatz dem Betrachter nun nicht gerade aufdrängt. Blicken wir auf die Negationen der maximalkonsistenten Sachverhalte, auf die beinaheleeren, aber doch nicht leeren, Sachverhalte (es sind die Sachverhal-te, die in der Deutung Beta des formalen mereologischen Systems in Abschnitt 11 das Prädikat „EL(x) ∧ ¬AT(x)“ erfüllen). Alle diese Sachverhalte bestehen, bis auf einen einzigen unter ihnen, der nicht besteht . Es ist dieser Satz (der vorausgehende) ein weiteres notwendiges Äquivalent (auf der Grundlage der – notwendig geltenden – Mereologie der Sachverhalte samt den oben fest-gehaltenen „Selbstverständlichkeiten“) zum Satz von der Maximalkonsistenz des Tatsächlichen .Dass von den beinaheleeren Sachverhalten alle bis auf einen bestehen, ist also so notwendig wie der Inhalt des Satzes von der Maximalkonsistenz des Tatsächlichen – wobei das genaue Wie der Umsetzung der ersteren Notwendigkeit so kontingent ist wie das genaue Wie der Umsetzung der letzteren.

Im extremen Bottom-Up-Einsatz des Verwirklichungsbegriffs zur Erklärung des Bestehens der Sachverhalte, die nicht notwendigerweise bestehen, wird jeder der bestehenden beinahelee-ren Sachverhalte als verwirklicht aufgefasst – sei es, alle durch ein und dasselbe Verwirklichen-de; sei es, manche durch ein gewisses Verwirklichendes, andere durch ein anderes; sei es, dass jeder dieser Sachverhalte sein eigenes Verwirklichendes hat.

Erst die Spezielle Metaphysik wird Gesichtspunkte dafür liefern, welche Entitäten – welcher Art und wie viele – plausiblerweise als wirklichmachende Entitäten in Frage kommen, und spe-ziell als tatsachenmachende Entitäten (dann auch dafür, auf welcher Ebene im Reich der Sach-verhalte deren verwirklichender „Zugriff“ wohl erfolgt). Hier bleibt nur kapitelabschließend festzustellen, dass mit der Verwirklichung aller beinaheleeren Sachverhalte bis auf einen von ihnen  – dem nichtbestehenden unter ihnen, der (wie gesagt) „non*“ heiße70 – alles Übrige, was die Wirklichkeit von Sachverhalten anbetrifft, feststeht und insofern durch jene Verwirk-lichung erklärt wird:

Das Wirklichsein des leeren Sachverhalts und das Nichtwirklichsein des übervollen Sachver-halts erklärt sich, wie gesagt, aus der Notwendigkeit. Nun ist jeder Sachverhalt identisch mit der Konjunktion der beinaheleeren Sachverhalte, die Teilsachverhalte von ihm sind.71 Für die bestehenden Sachverhalte oberhalb der Ebene der beinaheleeren Sachverhalte gilt, dass non* – dieser gewisse beinaheleere Sachverhalt – kein Teilsachverhalt von ihnen ist ( sonst würden sie ja nicht bestehen, da non* nicht besteht), und sie bestehen deshalb, weil sie jeweils eine Kon-junktion rein von verwirklichten (deshalb bestehenden) beinaheleeren Sachverhalten sind: Ihre Wirklichkeit geht auf in der (auf Verwirklichung zurückzuführenden) Wirklichkeit der beinaheleeren Sachverhalten, aus denen sie konjunktiv zusammengesetzt sind. Insbesondere ist der bestehende maximalkonsistente Sachverhalt S* die Konjunktion der (aller) verwirklich-ten beinaheleeren Sachverhalte: Seine Wirklichkeit geht konjunktiv auf in ihrer Wirklichkeit. Die nichtbestehenden Sachverhalte unterhalb der Ebene des übervollen Sachverhalts und ober- halb der Ebene der beinaheleeren Sachverhalte bestehen deshalb nicht , weil der nichtbestehende beinaheleere Sachverhalt non* ein Teilsachverhalt von ihnen ist (wie sich in der Mereologie der Sachverhalte zeigen lässt; in Fußnote 70 erwähnte Theoreme kommen dabei zum Einsatz). Aber warum besteht non* nicht? Die zufriedenstellende Beantwortung dieser Frage ist der Schluss-stein der Erklärung des Wirklichseins bzw. Nichtwirklichseins derjenigen Sachverhalte, die we-der notwendigerweise etwas Wirkliches noch notwendigerweise nichts Wirkliches sind, durch den extremen Bottom-Up-Einsatz des Verwirklichungsbegriffs. Nun, non* ist als beinaheleerer Sachverhalt die Negation eines maximalkonsistenten Sachverhalts. Wäre dieser maximalkon-sistente Sachverhalt ein nichtbestehender Sachverhalt, so müsste non* gemäß dem Satz von der Maximalkonsistenz des Tatsächlichen ein bestehender Sachverhalt sein – was jedoch nicht der Fall ist. Mithin ist non* die Negation eines bestehenden maximalkonsistenten Sachverhalts, das heißt aber: des bestehenden maximalkonsistenten Sachverhalts, S*. Das Nichtbestehen von non* erklärt sich folglich (gemäß dem Satz von der Maximalkonsistenz des Tatsächlichen) aus dem Bestehen von S* – welches Bestehen oben soeben mittels des extremen Bottom-Up-Ein-

15. Wirklichkeitsabhängigkeit und Verwirklichung bei Sachverhalten

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satzes des Verwirklichungsbegriffs erklärt wurde. Damit ist hinsichtlich der Wirklichkeit von Sachverhalten auch durch den extremen Bottom-Up-Einsatz des Verwirklichungsbegriffs ein gewisser explanatorischer Abschluss erreicht, wenn auch – natürlich – keineswegs alle Fragen beantwortet sind. (Denn: Warum ist dieser beinaheleere Sachverhalt als einziger unter allen beinaheleeren Sachverhalten nicht verwirklicht worden, und nicht vielmehr ein anderer sol-cher Sachverhalt?)

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5 — Die drei Hauptthemen der Speziellen Metaphysik: Ich, Welt(en), Gott

0. Die Spezielle Metaphysik im Verhältnis zur Allgemeinen

Nicht nur die Allgemeine, sondern auch die Spezielle Metaphysik ist Wissenschaft von den all-gemeinsten Grundstrukturen und allgemeinsten Charakteristika aller Seienden, m. a. W.: beide sind Wissenschaft von den Seienden qua Seienden. Was macht dann die Spezielle Metaphysik speziell ? Bei der Speziellen Metaphysik kommt etwas hinzu, was bei der Allgemeinen fehlt, näm-lich eine gewisse inhaltliche Fokussierung (ein „Zooming-in“): die besondere Berücksichtigung des Menschen und seiner ultimativen Erkenntnisinteressen. Die Spezielle Metaphysik baut also auf der Allgemeinen Metaphysik auf, und sie verlässt nicht deren wissenschaftlichen Stil, welcher der Betrachtung des allgemeinen Grundsätzlichen, des gewissermaßen Formalen angemessen ist. Aber es kommen neue Fragen hinzu, die sich nun eben aus der besonderen Berücksichtigung des Menschen und seiner ultimativen Erkenntnisinteressen ergeben.

Diese Fragen sind in erster Linie drei Fragen. Es ist kein Zufall, sondern tief in der Sache be-gründet, dass die Spezielle Metaphysik sich in ihrer langen Geschichte an diesen Fragen – ihren drei Hauptfragen – abgearbeitet hat. Die erste von ihnen ist: Was ist  – rein in metaphysischer, ontologischer Hinsicht – der Mensch? Und es wird nicht möglich sein, diese Frage zu beant-worten, ohne die zweite Hauptfrage zu beantworten: Was ist  – rein metaphysisch, ontologisch betrachtet – die Welt?

Die metaphysischen Fragen nach Mensch und Welt stehen im Gravitationsfeld der ultimativen Erkenntnisinteressen des Menschen – was naheliegt, da diese Fragen ja von Menschen gestellt werden, und Menschen sind ultimative Erkenntnisinteressen gewissermaßen angeboren. Die ul-timativen Erkenntnisinteressen des Menschen geben den besagten Fragen nicht nur ein über-aus großes Gewicht für uns (uns Menschen ), sondern diese Erkenntnisinteressen bleiben – wird ihrer Befriedigung nachgegangen – nicht ohne Einfluss darauf, wie jene Fragen beantwortet werden. Was aber sind die ultimativen Erkenntnisinteressen des Menschen? Es handelt sich um Erkenntnisinteressen existenziell bedeutsamster und grundsätzlichster Art, nämlich um die Er-kenntnisinteressen, die in zwei anderen Fragen (als den schon angeführten) unmittelbar zum Ausdruck kommen: (I) „Was bestimmt letztlich mein Leben [wozu insbesondere mein Handeln und Erleben gehört] und den großen Lauf der Dinge, zu der mein Leben gehört?“ und (II) „Was wird letztlich aus mir und meinem Leben?“. Wer so fragt, kommt aber kaum darum herum, un-mittelbar, „noch ohne Hebung des Blicks“, die dritte Hauptfrage der Speziellen Metaphysik zu stellen: Was – rein ontologisch, metaphysisch – ist Gott, und existiert er?

Auch die metaphysische Frage nach Gott ist somit unmittelbarer Ausdruck eines ultimati-ven Erkenntnisinteresses des Menschen; zusammen mit den Fragen (I) und (II) bildet sie das Zentrum des Gravitationsfelds, in welchem, wie gesagt, die beiden anderen Hauptfragen der Speziellen Metaphysik stehen. Anders als die metaphysische Frage nach Gott stehen diese letz-teren Fragen abständig vom Zentrum , und es ist zudem auffällig, dass die dritte Hauptfrage der Speziellen Metaphysik einen etwas anderen Charakter hat als die erste und zweite. Die Fragen nach Mensch und Welt sind reine Wesensfragen.

Die Frage nach Gott ist demgegenüber keine reine Wesensfrage, sondern darüber hinaus auch eine Existenzfrage – genauer gesagt: eine Wirklichkeitsfrage: Ihr zweiter Teil ist die Frage, ob Gott etwas Wirkliches ist (nicht bloß, ob er etwas ist, was, wenn er es ist, bei Weitem noch „zu wenig“ ist – auch Zeus ja ist etwas , wie auch Athene). Dass es sich mit der metaphysischen Frage nach Gott so verhält, ist offenbar natürlich  – offenbar „menschenvernunftnatürlich“ –, denn der

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1. IchGedanke, dass die Existenz – die Wirklichkeit – Gottes problematisch sei, fragwürdig , „der Frage würdig“, hat die Spezielle Metaphysik durch all die Jahrtausende ihres Lebens begleitet (und nicht erst seit Beginn der Neuzeit), wenn auch im Laufe der Zeiten einmal mehr, einmal weniger stark hervortretend.

Hingegen: Dass mancher Mensch etwas Wirkliches ist (oder äquivalent gesagt: dass die Eigen-schaft, ein Mensch zu sein, durch etwas Wirkliches exemplifiziert wird)1 und dass die Welt etwas Wirkliches ist – das erscheint jenseits vernünftigen Zweifels wahr zu sein. Bei näherem Zusehen zeigt sich aber, dass es – damit es wirklich so ist und nicht nur so scheint – darauf ankommt , was genau unter „Mensch“ verstanden wird: welchen Begriff dieser generelle Term (oder das Prädi-kat „x ist ein Mensch“) ausdrückt; bzw. darauf ankommt, was genau unter „die Welt“ verstanden wird: welches Begriffsobjekt dieser singuläre Term ausdrückt ( welches Objekt dann maßgeblich dafür ist [wenn auch nicht allein maßgeblich dafür ist], welche Entität von dem Term bezeichnet wird). Es stehen tatsächlich mehrere legitime („wählbare“) Kandidaten bei den Begriffen bzw. Begriffsobjekten für die fraglichen „Positionen“ zur Verfügung.

1. Ich

Der Titel dieses Abschnitts lautet „Ich“ und nicht „Mensch“, obwohl es in diesem Abschnitt um die Frage „Was ist der Mensch?“ geht. Warum ist der besagte Titel gewählt worden statt des eigentlich naheliegenden? Obwohl ich ein Mensch bin, ist die Einordnung meiner selbst als ein Ich  – als eine Person  – erkenntnismäßig grundlegender und gewisser als die Einordnung meiner selbst als ein Mensch. Was weiß ich von mir jenseits jeder rationalen Zweifelsmöglich- keit , kurz: Was weiß* ich von mir? Descartes hat darüber das Wesentlichste gesagt. Ich weiß*, dass ich bin [„sum“], will sagen: dass ich etwas Wirkliches bin (und deshalb auch  – aber nicht nur – ein Etwas bin). Ich weiß* auch, dass ich über Bewusstsein verfüge (mit den Worten Des-cartes’: dass ich denke [„cogito“]). Einiges lässt sich aufgrund analytischer Folge hinzufügen: Wenn ich weiß*, dass ich über Bewusstsein verfüge (dass ich denke), so muss ich über reflexives Bewusstsein verfügen. Denn wenn ich weiß*, dass ich über Bewusstsein verfüge, so muss ja gelten: ich habe Bewusstsein davon, dass ich über Bewusstsein verfüge (dass ich denke); sonst würde ich nicht wissen*, dass ich über Bewusstsein verfüge. Mithin weiß* ich, dass ich über reflexivesBewusstsein verfüge – schon wegen meines Wissens*, dass ich über Bewusstsein ver-füge. Reflexives Bewusstsein wiederum ist eine Form intentionalen Bewusstseins (des Bewusst-seins-von-etwas). Mithin weiß* ich, dass ich über intentionales Bewusstsein verfüge – schon deshalb, weil ich weiß*, dass ich über reflexives Bewusstsein verfüge (und, wie ich weiß*, alles reflexive Bewusstsein per se intentionales Bewusstsein ist). Ich weiß* zudem, dass ich über ein überaus inhaltlich reichhaltiges zugleich reflexives, intentionales und durch mich artikulierbares Bewusstsein verfüge; denn ich weiß* bei unzähligen Sätzen der Gestalt „Ich habe Bewusstsein von E“ bzw. „Ich habe Bewusstsein davon, dass P“, dass sie wahr sind. Ich weiß*, dass mein Bewusstsein so reichhaltig und so geordnet ist, dass ich von der Welt meines Bewusstseins spre-chen könnte.

Aber weiß* ich, dass ich ein Mensch bin? – Dass ich ein Mensch bin, weiß ich wohl, aber ich weiß * es nicht, d. h.: ich weiß es nicht jenseits jeder rationalen Zweifelsmöglichkeit  – wie Des-cartes in seinem eigenen Fall dem philosophischen Publikum seiner und aller späteren Zeit vor Augen geführt hat. Ich weiß*, dass ich beständig Bewusstsein von einem Körper gewisser Art und Gestalt – von einem menschlichen Körper – habe und dass ich beständig und in viel-fältigster, dabei konsistenter Weise Bewusstsein davon habe, dass er etwas Wirkliches ist und auf das Innigste mein Körper ist. Daraus folgt aber nicht, dass ich weiß*, dass ich einem wirklichen menschlichen Körper auf das Innigste verbunden bin. Vielmehr weiß* ich tatsächlich nicht, dass ich einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden bin; denn ich kann z. B. nicht absolut ausschließen, dass Gegebenheiten vorliegen, denen zufolge nichts Wirkliches ein Körper ist, also nichts Wirkliches ein menschlicher Körper ist, also auch kein wirklicher menschlicher Körper mir aufs Innigste verbunden ist – obwohl ich, wie ich weiß*, beständig und in vielfältigster, dabei konsistenter Weise davon Bewusstsein habe, dass ein wirklicher mensch-licher Körper mir aufs Innigste verbunden ist. Das bloße Bewusstsein davon  – auch das bestän-dige und dabei vielfältigst konsistent variierte – necessitiert eben nicht, dass es tatsächlich so ist. Es erscheint mir in umfassendster und sich durchhaltend konsistenter Weise so, also ob mir ein wirklicher menschlicher Körper aufs Innigste verbunden ist; es folgt nicht, dass es tatsäch-lich so ist, wie es mir erscheint. Da ich nun nicht weiß*, dass mir ein wirklicher menschlicher Körper aufs Innigste verbunden ist, weiß* ich auch nicht, dass ich ein Mensch bin (obwohl ich natürlich beides weiß , im normalen Sinn weiß ). Ich weiß* nicht einmal, dass mancher Mensch etwas Wirkliches ist; denn, wie gesagt, ich kann nicht absolut ausschließen, dass Gegebenhei-ten vorliegen, denen zufolge nichts Wirkliches ein menschlicher Körper ist – obwohl es mir in umfassendster und sich durchhaltend konsistenter Weise so erscheint, als ob viele menschliche Körper etwas Wirkliches sind.

Bei so viel Unwissend*heit ist allerdings ein Mensch -Begriff unterstellt, gemäß dem

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1. Ich[1] analytisch notwendigerweise für jede Entität gilt: wenn sie ein Mensch ist, dann ist sie mit einem menschlichen Körper aufs Innigste verbunden;und gemäß dem zudem

[2] analytisch notwendigerweise für jede Entität gilt: wenn sie ein Mensch und etwas Wirk- liches ist , dann ist sie mit einem menschlichen Körper, der etwas Wirkliches ist , aufs Innigste verbunden.2

Ein Mensch-Begriff, gemäß dem [1] und [2] wahr sind, ist zweifelsohne ein legitimer Mensch-Begriff. Im Sinne eines solchen Mensch-Begriffs sagt Vergil zu Dante (in der Göttlichen Komö- die , Inferno, 1. Gesang, V. 67): „Non uomo, uomo già fui [Kein Mensch [bin ich], ein Mensch bin ich gewesen].“ Denn im Jenseits ist Vergil (zur fraglichen Zeit: t0

) mit keinem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden; gemäß [2] ist er also (zu t0

) nicht zugleich ein Mensch und etwas Wirkliches. Da er zweifelsohne (zu t0

) etwas Wirkliches ist, ist er also (zu t0

) kein Mensch – ganz, wie er sagt. Und doch ist Vergil, der sich absolut sicher ist, kein Mensch zu sein, zweifelsohne ein Ich , wie auch ich, der ich mir nicht absolut sicher bin, ein Mensch zu sein, zweifelsohne ein Ich bin – wobei zum Ichsein einer Entität auf jeden Fall gehört, über durch-die-Entität-selbst-artikulierbares reflexives (dadurch allein schon intentionales) Bewusstsein zu verfügen (aber sehr wohl noch mehr als nur dies gehören mag).

1. IchMensch-Begriffe, gemäß denen die Prinzipien [1] und [2] gelten, sind aber nicht die einzigen legitimen Mensch-Begriffe. Legitime Mensch-Begriffe sind auch solche, in welchen liegt, dass

[3] analytisch notwendigerweise für jede Entität gilt: sie ist ein Mensch genau dann, wenn sie über ein menschliches Bewusstsein verfügt; anders gesagt: sie ist ein Mensch genau dann, wenn sie ein menschliches Ich / eine menschliche Person ist.

Was aber macht ein menschliches Bewusstsein aus? Eine Entität, die über menschliches Be-wusstsein verfügt, ist gewiss eo ipso ein menschliches Ich (und umgekehrt); und als ein Ich, verfügt sie auf jeden Fall (wie schon gesagt) über durch-sie-selbst-artikulierbares reflexives (dadurch intentionales) Bewusstsein. Darin allein kann ihr menschliches Bewusstsein aber nicht bestehen, weil es nichts enthält, was spezifisch menschlich wäre. Was muss hinzukom-men? Nun, das beständige und dabei vielfältigst konsistent variierte Bewusstsein davon, mit einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden zu sein. Dieses Bewusstsein ist offensichtlich eo ipso ein reflexives (denn es ist ja das Bewusstsein davon, dass das Be-wusstseinhabende selbst, das Subjekt, eine gewisse Eigenschaft hat). Wir können also, ohne im Definiens explizit zu erwähnen, dass es sich um reflexives (daher intentionales) Bewusstsein handelt, definieren:

[4] x verfügt über ein menschliches Bewusstsein [x ist ein menschliches Ich, x ist eine menschliche Person] =Def x verfügt über das durch-x-selbst-artikulierbare beständige und vielfältigst konsistent variierte Bewusstsein, mit einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden zu sein.

Es ist nicht Sache der Metaphysik, sondern Sache der Bewusstseinsphänomenologie (der von Franz Brentano begründeten und von Edmund Husserl und anderen weitergeführten Wissen-schaft) zu beschreiben, was darin wesenhaft liegt, beständiges und vielfältigst konsistent vari-iertes Bewusstsein davon zu haben, mit einem wirklichen menschlichen Körper – dem je eige-nen – aufs Innigste (und darin muss zweifellos liegen: „von Innen her“) verbunden zu sein.4Aber man wird wohl fragen (indem man sich an die differentia specifica der aristotelischen De-finition des Menschen als animal rationale erinnert, oder auch an die differentia specifica der boethianische Definition der Person als rationabilis naturae individua substantia ): Gehört zum menschlichen Bewusstsein – welches, als solches, menschliche Personalität, menschliche Ichheit ausmacht – nicht auch Vernunft dazu? Müsste man nicht die Vernünftigkeit in die Definition hineinschreiben? Die Antwort ist: Sie steht schon darin; denn einem Wesen, das sein Eigenkör-perbewusstsein (wenigstens einen Teil davon) artikulieren kann , wird man die Vernünftigkeit nicht absprechen können, und je differenzierter und umfassender es dieses artikulieren kann, umso vernünftiger wird es sein. Bei einem Wesen, das über menschliches Bewusstsein verfügt, ist gewöhnlich ein relativ hoher Grad der so bestimmten Vernünftigkeit gegeben;5 aber hier einen Grenzgrad setzen zu wollen, wäre vollkommen arbiträr. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass Artikulieren nicht dasselbe ist wie Nach-außen-Artikulieren, und schon gar nicht dasselbe wie In-einer-intersubjektiv-verständlichen-Sprache-nach-außen-Artikulieren (obwohl natür-lich das letztere Artikulieren das Artikulierenkönnen in hervorragender Weise anzeigt).

Während gemäß [1] und [2] das Menschsein keine bloße Sache des Bewusstseins ist, ist gemäß [3] und [4] das Menschsein allerdings eine bloße Sache des Bewusstseins: es fällt mit menschli-cher Ichheit, mit menschlicher Personalität – bloßen Sachen des Bewusstseins – zusammen. Das hat zur Folge, dass ich gemäß [3] und [4] weiß* – es weiß jenseits jeder rationalen Zweifelsmög-lichkeit –, dass ich ein Mensch bin; denn ich kann in keiner Weise vernünftig daran zweifeln, dass ich über das durch mich selbst artikulierbare beständige und vielfältigst konsistent variierte Bewusstsein verfüge, mit einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden zu sein, m. a. W. gemäß Definition [4]: dass ich über ein menschliches Bewusstsein verfüge (ein menschliches Ich bin, eine menschliche Person), also gemäß [3] (in absolut notwendiger Folge) ein Mensch bin.

1. IchDamit weiß* ich auch, dass mancher Mensch etwas Wirkliches ist (denn ich weiß* zum einen, dass ich ein Mensch bin, und zum anderen, dass ich etwas Wirkliches bin). Was ich aber nach wie vor – sei es unter [1] und [2], sei es unter [3] und [4] – nicht weiß*, sondern bloß weiß, ist, dass manches von mir Verschiedenes ein Mensch und etwas Wirkliches ist. Und es gibt noch etwas Bedeutsames, was bei [3] und [4] vis-à-vis [1] und [2] gleich ist: Dantes Vergil würde auch bei einem (ihm von Dante zugedachten) Mensch-Begriff auf der Grundlage von [3] und [4] im-mer noch sagen müssen: „Ich bin kein Mensch, ein Mensch war ich.“ Denn Vergils Bewusstsein in der Jenseitswelt dürfte von einem menschlichen Bewusstsein im Sinne von [4] ganz erheblich abweichen (aber in anderer Hinsicht als dem in [4] angesprochenen Körper bewusstsein, kann man es natürlich durchaus noch ein „menschliches“ nennen), und dieses Abweichen und dessen Konsequenz (gemäß [3]) für sein Menschsein würde Vergil nicht entgangen sein.

Ist ein Mensch-Begriff zu wählen, der von [1] und [2] ausgeht, oder aber einer der von [3] und [4] ausgeht? – Es ist dies eine Sache der freien Wahl in fundamentalen theoretischen Dingen, welche Wahl man in der Metaphysik auf Schritt und Tritt hat. Jedoch, man muss hier nur dann wie gerade vorgelegt tatsächlich wählen (das eine, oder aber das andere), wenn man kein Idealist ist. Idealisten  – seien es ontologische, wie Berkeley und Husserl, oder bloß erkenntnistheoreti-sche, wie Kant – gehen nämlich davon aus, dass

[5] mit analytischer Notwendigkeit für alle x gilt: wenn x über das durch-x-selbst-artikulier-bare beständige und vielfältigst konsistent variierte Bewusstsein verfügt, mit einem wirkli-chen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden zu sein, dann ist x mit einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden.

In dem beständigen und vielfältigst konsistent variierten Bewusstsein von x, F zu sein , liegt näm-lich, dass dieses Bewusstsein immer nur bestätigt wird, ihm niemals ernstlich widersprochen wird (auch nicht von den im eigenen Bewusstsein auftretenden anderen Subjekten); für Idea-listen bedeutet das: Es ist so, wie es das Bewusstsein von x sagt: x ist F. Der Idealismus hat also den nicht unerheblichen Vorteil (auf den allerdings sehr wohl ohne Verletzung der Vernunft verzichtet werden kann), dass er manche Aspekte des cartesianischen radikalen (nämlich hy-perbolischen, gleichwohl noch nicht unvernünftigen) Zweifels vereitelt: Für einen Idealisten ist es schlicht nicht möglich, absolut unmöglich, über das durch ihn selbst, den Idealisten, arti-kulierbare beständige und vielfältigst konsistent variierte Bewusstsein zu verfügen, mit einem menschlichen Körper aufs Innigste verbunden zu sein, und dennoch – der konstant konsistenten

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Botschaft dieses Bewusstseins entgegen – mit keinem menschlichen Körper aufs Innigste ver-bunden zu sein. Freilich liegt hier zweifellos eine Umdeutung des Ausdrucks „menschlicher Körper“ vor; sie erst ermöglicht dieses „Umschalten“ von „es ist absolut möglich, dass es anders ist, als (selbst) einstimmigstes Bewusstsein es sagt“ (im Realismus) auf „es ist absolut unmög-lich, dass es anders ist, als einstimmigstes Bewusstsein es sagt“ (im Idealismus) – ein Hauptstück der gigantischen idealistischen Umdeutung der normalen Rede über Physisches und Materielles, welche Rede dem Physischen und Materiellen ein An-sich-sein unterstellt, die Physisches und Materielles für den Idealismus nun nicht hat, weshalb jene Rede umgedeutet – „richtig“ gedeu-tet – werden müsse (ohne die Implikation eines „völlig sinnlosen An-sich“).

Jedenfalls gilt: Ist das idealistische Prinzip [5] vorausgesetzt, so folgen mit dem ebenfalls voraus-gesetzten Prinzip [3] und der Definition [4] die Prinzipien [1] und [2].

Der ontologische Idealismus  – wonach alles Seiende gänzlich im menschlichen Bewusstsein ist – und der (logisch schwächere) erkenntnistheoretische Idealismus  – wonach alles, was Gegenstand

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1. Ich unserer Erkenntnis ist , gänzlich im menschlichen Bewusstsein ist – sind Fundamentalpositionen der Speziellen Metaphysik, ebenso wie ihre Gegenteile: der ontologische Realismus  – wonach manches Seiende nicht gänzlich [gegebenenfalls: zur Gänze nicht] im menschlichen Bewusst-sein ist – und der erkenntnistheoretische Realismus  – wonach manches, was Gegenstand unserer Erkenntnis ist , nicht gänzlich im menschlichen Bewusstsein ist. Der Idealismus ist aufgrund seines manifesten Anthropozentrismus wenig plausibel (denn der Anthropozentrismus scheint jedenfalls uns Heutigen wenig plausibel). Vom Anthropozentrismus frei ist hingegen der Theo -Idealismus, der ontologische, wonach alles Seiende gänzlich im göttlichen Bewusstsein ist; und der erkenntnistheoretische, wonach alles, was Gegenstand göttlicher Erkenntnis ist, gänzlich im göttlichen Bewusstsein ist. Für jeden, der sich in der Gottesfrage für einen Monotheismus entscheidet, ist der Theo-Idealismus (auch bekannt als Panentheismus ) eine höchst attraktive Position; unabhängig von jener Entscheidung ist der Theo-Idealismus aber nicht plausibler als der Idealismus  – der Idealismus nach gewöhnlichem Verständnis: der Anthropo -Idealismus.

Wie ich vom Idealismus, ob ontologisch oder erkenntnistheoretisch gefasst, nicht ausgehe, so auch nicht vom Prinzip [5],6 und es bleibt somit (für mich) dabei, dass eine Entscheidung zu treffen ist zwischen einem Mensch-Begriff im Sinne von [1] und [2] und einem Mensch-Begriff im Sinne von [3] und [4]. Meine Wahl fällt auf einen Mensch-Begriff im Sinne von [3] und [4], damit auf die Gleichsetzung von Mensch mit Ich/Person mit bewusstseinsmäßig menschlicher Prägung , wobei die Menschlichkeit dieser Prägung darin besteht, über das durch einen selbst ar-tikulierbare beständige und vielfältigst konsistent variierte Bewusstsein zu verfügen, mit einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden zu sein. (Es ist aber, wie gesagt, nicht Sache der Metaphysik dieses Eigenkörperbewusstsein näher zu beschreiben.)

Auch ohne [5] und Idealismus ist ein Mensch-Begriff im Sinne von [3] und [4] revisionistisch gegenüber vorherrschenden Tendenzen der Begriffswahl in Sachen „Mensch“ (z. B. besagt „x ist ein menschlicher Körper“ ebenfalls einen legitimen Mensch-Begriff – und einen, der heute sehr viele Anhänger hat). Einigermaßen eine Kleinigkeit ist es da, dass das Prädikat „x ist ein Mensch“ nun (bei [3] und [4]) mit Aktualität geladen ist (zu diesem Begriff siehe weiter oben in diesem Abschnitt eine ausführliche Anmerkung); denn „x verfügt über menschliches Bewusst-sein“ – was gemäß [3] mit „x ist ein Mensch“ logisch äquivalent ist – ist ja mit Aktualität geladen. Das hindert nicht, Hamlet und andere dramatis personae als Menschen anzusehen; nur ist der wahre Satz „Hamlet ist ein Mensch“ (der wahr ist, wie auch immer man „Mensch“ legitimer-weise versteht) sinnmodifiziert ; denn jener Satz ist nicht onto-logisch äquivalent mit „Hamlet exemplifiziert [im normalen Sinn] die Eigenschaft, ein Mensch zu sein“ (wäre er mit dem letz-teren Satz onto-logisch äquivalent, so wäre er bei [3] und [4] falsch), sondern ist vielmehr onto-logisch äquivalent mit „Hamlet Meinong -exemplifiziert die Eigenschaft, ein Mensch zu sein“.

Es folgt unter [3] und [4] im Übrigen nicht, dass z. B. ich, weil ich zeitweilig im Tiefschlaf oder in Bewusstlosigkeit bin, kein Mensch bin; denn „beständiges Bewusstsein“ muss ja nicht dasselbe bedeuten wie „ununterbrochenes Bewusstsein“. Es folgt unter [3] und [4] auch nicht, dass ich, weil ich zeitweilig im Tiefschlaf oder in Bewusstlosigkeit bin, zeitweilig kein Mensch bin; denn „über Bewusstsein der Art X zu verfügen“ muss ja nicht beinhalten „jetzt im Augen-blick Bewusstsein der Art X zu haben“, „jetzt im Augenblick mit Bewusstsein der Art X zu leben“. „Ich verfüge über das durch mich artikulierbare beständige und vielfältigst konsistent variierte Bewusstsein mit einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden zu sein“ be-inhaltet, dass das darin angesprochene Bewusstsein eine Art cantus firmus meines Bewusstseins-lebens – mindestens meines diesseitigen – ist, mehr nicht.

Warum sollte man sich für einen Mensch-Begriff im Sinne von [3] und [4] entscheiden? Des-halb, weil mehr als alles andere ein gewisses Bewusstsein den Menschen ausmacht: ein Bewusst-sein, das darin besteht, ein menschliches Ich, eine menschliche Person zu sein: menschliches Bewusstsein – ein Bewusstsein, für dessen Gegebensein bei einer Entität die in [4] angegebene Bedingung per se hinreichend und notwendig ist (wenn es auch in jedem Einzelfall seines Gege-benseins mehr als bloß das in dieser Bedingung Angegebene beinhaltet). Der Ich-Begriff, der Per-son-Begriff – für den (weit mehr denn bloß rudimentäres) Bewusstsein inhaltlich unabdingbar ist – ist im Übrigen (mindestens) erkenntnismäßig grundlegender als der Mensch-Begriff. Und nicht zu verachten ist, dass bei einem Mensch-Begriff im Sinne von [3] und [4] ich weiß*, dass ich ein Mensch bin – und jeder Mensch in seinem hiesigen Leben weiß*, dass er ein Mensch ist.2. Zur ontologischen Kategorisierung und Identität menschlicher Personen – und deshalb zur Gegenwärtigkeit

2. Zur ontologischen Kategorisierung und Identität menschlicher Personen – und deshalb zur Gegenwärtigkeit

Eine menschliche Person verfügt definitionsgemäß über das durch sie artikulierbare beständi-ge und vielfältigst konsistent variierte Bewusstsein mit einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden zu sein. Eine Entität, die eine menschliche Person ist, ist daher etwas Wirkliches . Aber nicht nur dies: Sie ist, qua menschliche Person, auch zu (mindestens) zwei Zeit- punkten und zudem zu allen Zeitpunkten zwischen den zweien etwas Gegenwärtiges ; sonst könnte nicht wahrheitsgemäß die Rede davon sein, dass sie über ein beständiges Bewusstsein (von was auch immer) verfügt – und sie wäre folglich nun eben keine menschliche Person.

2. Zur ontologischen Kategorisierung und Identität menschlicher Personen – und deshalb zur Gegenwärtigkeit Eine Entität, die zu zwei verschiedenen Zeitpunkten (ein und derselben Zeitordnung) und zu allen Zeitpunkten dazwischen etwas Gegenwärtiges ist (in diesem Sinne „existiert“), ist etwas Persistentes . Wenn nun etwas zu verschiedenen Zeitpunkten etwas Gegenwärtiges ist, dann ist es numerisch dasselbe , was da zu dem einen und zu dem anderen Zeitpunkt etwas Gegenwärtiges ist. Folglich erfordert Persistenz – wie sie z. B. bei jeder menschlichen Person vorliegt – die numeri-sche Identität über die Zeit hinweg des Persistenten. Der Begriff der numerischen Identität über die Zeit hinweg ist klar, und unbestreitbar ist die Instanziiertheit dieses Begriffs im Fall mensch-licher Personen (wegen deren Persistenz); insofern gibt es kein Problem der (human)personalen Identität (über die Zeit hinweg). Ein Problem ist allerdings, woran man erkennt , ob die mensch-liche Person x mit der menschlichen Person y identisch oder von y verschieden ist – insbeson-dere dann, wenn x und y sich zu jeweils verschiedenen Zeitpunkten dem Betrachter darbieten.

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Dieses erkenntnistheoretische Problem verweist auf ein ontologisches: das Problem eines spezi-fischen Identitätsgesetzes für menschliche Personen innerhalb der Speziellen Metaphysik, ana-log den in den Abschnitten 7 und 8 des vorausgehenden Kapitels behandelten, zur Allgemeinen Metaphysik gehörigen all-allgemeinen bzw. kategoriespezifisch allgemeinen Identitätsgesetzen.

Die Beantwortung von Fragen (human)personaler Identität ist derart wichtig für das mensch-liche Zusammenleben, dass man nicht auf ein Identitätsgesetz für menschliche Personen wartet (man könnte ja u. U. „ewig“ warten!), sondern sich mit einer „pragmatischen Lösung“ begnügt (was man aber doch auch wiederum, ganz unphilosophisch, gerne tut). Das diesbezügliche Op-timum ist derzeit das DNS-Verfahren . Wie stellt man fest, dass die Person, die den Mord began-gen hat, die Person N.N. ist bzw. nicht die Person N.N. ist? So: Indem man die DNS-Spuren am Tatort, die so gut wie sicher vom Täter stammen, mit der DNS von N.N. (einer Probe davon) vergleicht; stellt man da eine strukturelle Identität fest, wird davon ausgegangen, dass N.N. der Täter ist; stellt man da keine strukturelle Identität fest, wird davon ausgegangen, dass N.N. nicht der Täter ist. Damit dieses Verfahren – das DNS-Verfahren – funktioniert, wird an erster Stelle bei seiner Anwendung manches unterstellt, anderes ausgeschlossen. Unterstellt wird, dass der (wirkliche) menschliche Körper k1

, der zum Zeitpunkt t1 die DNS-Probe (DNS-Spur) d1

 – also einen Teil von sich – hinterlässt (was gesichert sei), mit dem (wirklichen) menschlichen Körper k2

, dem zum Zeitpunkt t2 die DNS-Probe d2 entnommen wird, genau dann identisch ist, wenn d1 und d2 strukturell identisch sind. Ausgeschlossen wird dabei, dass k2 ein eineiiger Zwilling (oder ein Klon) von k1 ist, und außerdem, dass k2 aus Gründen, die mit k1 nichts zu tun haben (also, wie man sagt, „rein zufällig“), eine DNS hat, die mit der von k1 strukturell identisch ist. Aber auch dann, wenn beides mit guten Gründen ausgeschlossen werden kann, erscheint das unterstellte Identitätsprinzip noch keineswegs evident. Die Kenntnis der Humanbiologie wird hier gewiss ein Stück weit weiterhelfen, aber mehr als nur hohe Akzeptabilität wird dem fragli-chen Prinzip nicht zugeschrieben werden können. Damit das DNS-Verfahren funktioniert, wird zudem unterstellt, dass, (i), k1 zu t1 mit genau einer menschlichen Person als deren Handlungs- pforte 12 verbunden ist; dass, (ii), k1 mindestens bis einschließlich t2 mit dieser Person als deren Handlungspforte verbunden bleibt; dass, (iii), k2 zu t2 mit genau einer menschlichen Person

2. Zur ontologischen Kategorisierung und Identität menschlicher Personen – und deshalb zur Gegenwärtigkeit

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als deren Handlungspforte verbunden ist. Würde man (i) und (iii), aber nicht (ii), unterstellen, dann wäre nicht ausgeschlossen, dass (a) k2 zwar mit k1 identisch ist, aber die mit k2 zu t2 ver-bundene Person – die Person N.N. – dennoch nicht die zu t1 mit k1 verbundene Person – der Täter – ist; und es wäre dann auch nicht ausgeschlossen, dass (b) k2 zwar von k1 verschieden ist, aber die mit k2 zu t2 verbundene Person – die Person N.N. – dennoch die zu t1 mit k1 verbundene Person – der Täter – ist. N.N. könnte dann, bei (a), den Körper k1

(= k2

) erst nach der Mordtat unschuldig vom Täter übernommen haben, wäre also nicht der Täter; bei (b) aber könnte der Täter nach seiner Mordtat vom Körper k1 auf den Körper k2

(≠ k1

) übergegangen und dort ge-blieben sein, sodass N.N. ungeachtet der Verschiedenheit von k2 und k1 doch der Täter wäre. Würde man aber (i) oder (iii) nicht unterstellen, sondern ernstlich in Betracht ziehen, dass kei-ne oder mehr als eine menschliche Person zu t1 mit k1 oder zu t2 mit k2 als der Person jeweils zugehörige Handlungspforte verbunden ist, dann ist dem DNS-Verfahren zur Identifizierung bzw. Unterscheidung menschlicher Personen der Boden entzogen. Die über DNS-Gleichheit festgestellte Identität oder Verschiedenheit der menschlichen Körper k1 und k2 gibt dann keine Auskunft über die Identität oder Verschiedenheit gewisser menschlicher Personen über die Zeit hinweg.

Das DNS-Verfahren zur Feststellung (human)personaler Identität bzw. Verschiedenheit über die Zeit hinweg beruht also auf Voraussetzungen (siehe den vorausgehenden Absatz, wo sie am Beispiel vorgeführt werden), deren Erfülltheit zumindest nicht metaphysisch selbstverständlich ist. Auf dem Weg zu einer metaphysischen Selbstverständlichkeit wäre man allerdings, wenn man den Begriff der menschlichen Person mit dem Begriff des menschlichen Körpers identi-fizierte (wodurch „menschliche Person“ und „menschlicher Körper“ zu Synonymen würden) – womit man freilich einen begrifflichen Beschluss fasste, der, wenn er auch manches vereinfachte, in anderen Hinsichten kontraintuitiv wäre (was seiner derzeitigen Beliebtheit keinen Abbruch zu tun scheint).

Keineswegs wäre mit der Identifikation des Begriffs der menschlichen Person mit dem des menschlichen Körpers die Suche nach einem Identitätsgesetz für menschliche Personen an ihr Ziel gelangt; sie wäre nur zur Suche nach einem Identitätsgesetz für menschliche Körper ge-worden. Letzteres Identitätsgesetz ist nicht etwa leichter zu finden als ersteres. Das mit Anwen-dungseinschränkungen versehene Identitätsprinzip für menschliche Körper, das im DNS-Ver-fahren unterstellt wird (um dieses Prinzip vorliegen zu haben, muss man nur die Bezeichnungen „k1

“ und „k2

“ nicht auf die besondere Beispielsituation beziehen, sondern für beliebige mensch-liche Körper stehen lassen), ist nur ein Behelf: für die (unausweichlichen) Zwecke der Praxis; von einem Identitätsgesetz für menschliche Körper ist es weit entfernt.

Es ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass der Identitätsbegriff eigentlich nicht zeitlich rela-tivierbar ist: Wenn man ihn denn unbedingt zeitlich relativieren wollte, dann ginge das nur in dem trivialen, wirkungslosen Sinn, dass das, was zum Zeitpunkt t identisch bzw. nicht identisch [verschieden] ist, immer – zu allen Zeitpunkten – identisch bzw. nicht identisch ist.13 Identität über die Zeit hinweg ist also, im Effekt, nichts anderes als Identität , Verschiedenheit über die Zeit hinweg nichts anderes als Verschiedenheit . Der Ausdruck „über die Zeit hinweg“ charakterisiert keinen nennenswerten begrifflichen Unterschied zwischen Identität über die Zeit hinweg und Identität , oder Verschiedenheit über die Zeit hinweg und Verschiedenheit , sondern nur einen Unterschied in der Erkenntnissituation: Bei „über die Zeit hinweg“ muss Identität bzw. Ver-schiedenheit über die Zeit hinweg erkannt werden: von der Vergangenheit zur Gegenwart – und eben nicht einfach in der Gegenwart. Identitätsgesetze nehmen – als zur Metaphysik gehörige Gesetze – keine besondere Rücksicht auf Erkenntnissituationen; dennoch sind sie für die Iden-titäts- bzw. Verschiedenheitsfeststellung hilfreich, sofern die jeweilige hinreichende Identitäts-bedingung, die sie für eine gewisse Art von Entitäten (oder gar für alle Entitäten überhaupt) angeben, immer oder meistens in ihrem Vorliegen und in ihrem Nichtvorliegen feststellbar ist.14(Leibnizens principium identitatis indiscernibilium  – PII in Abschnitt 8 von Kapitel 4 – ist ein Beispiel für ein Identitätsgesetz, das für die Identitäts feststellung nicht hilfreich ist, denn die in ihm angegebene hinreichende Identitätsbedingung ist in ihrem Vorliegen niemals feststellbar [jedenfalls nicht von Menschen] – in ihrem Nichtvorliegen allerdings unzählige Mal.)

Nun ist zwar im vorausgehenden Abschnitt die Entscheidung für einen Begriff der menschli-chen Person gefallen, der vom Begriff des menschlichen Körpers verschieden ist (wenn auch der letztere Begriff in der Definition – und damit Konstitution – des ersteren Begriffs sehr wohl eine essenzielle Rolle spielt); aber in der Suche nach einem spezifischen Identitätsgesetz für mensch-liche Personen bzw. menschliche Körper stellen sich dennoch zum Teil analoge Fragen. Für diese spezifischen Identitätsgesetze ist die Frage, was eine menschliche Person, bzw. ein menschlicher

2. Zur ontologischen Kategorisierung und Identität menschlicher Personen – und deshalb zur Gegenwärtigkeit

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Körper, dem Begriff nach sei, nicht unerheblich. Die Frage, was eine menschliche Person dem Begriff nach ist, ist im vorausgehenden Abschnitt in gewisser Weise beantwortet worden: durch die Definition [4], wenn auch nicht so, dass sich an diese Antwort keine weiteren Fragen knüp-fen würden – was schon daraus ersichtlich ist, dass der Ausdruck „menschlicher Körper“ im Definiens von [4] auftaucht. Wie wäre der Begriff des menschlichen Körpers zu definieren?

Obwohl der Begriff der menschlichen Person  – und erst recht der des Menschen  – nicht ohne die Verwendung des Begriffs des menschlichen Körpers expliziert werden kann, so sollte doch umgekehrt der Begriff des menschlichen Körpers ohne die Verwendung des Begriffs der menschlichen Person explizierbar sein; sonst wäre ja die Folge die, dass keiner der beiden Begrif-fe korrekt , nämlich insbesondere nichtzirkulär , definiert werden kann.15 Hier nun ein Vorschlag für eine diesem Sollte entsprechende (explikative) Definition (deren Nummer resultiert in Fort-setzung der Prinzipienzählung in Abschnitt 1):

[6] Ein menschlicher Körper ist ein animalischer Körper der Ausführung homo sapiens (oder formell: x ist ein menschlicher Körper =Def x ist ein animalischer Körper der Art homo sapiens ).

Ohne mich hiermit näher aufzuhalten, sondern schlicht von dieser Definition ausgehend, drin-ge ich gleich zu der Frage vor, die jeweils bei beiden Begriffen, dem der menschlichen Person und dem des menschlichen Körpers, aus metaphysischer Perspektive die fundamentalste ist – und die sich immer noch stellt, obwohl nun von beiden Begriffen Definitionen vorliegen ([4] und [6]); denn diese Definitionen geben keine Antwort auf sie: Was ist die ontologische Kategorie (im Sinn des Kategoriensystems Σ) einer menschliche Person bzw eines menschlichen Körpers?

Nun, die Frage, welcher Kategorie eine menschliche Person ist, wurde bereits in Kapitel 2 im Abschnitt 5, Unterabschnitt Unabhängige und abhängige Individuen ohne modale und ohne zeitliche Dimension beantwortet; dort heißt es: „Ein Beispiel für ein Individuum ohne modale und ohne zeitliche Dimension bin ich, und ist jede Person (ob eine menschliche oder nicht).“ Da-rüber hinaus – nämlich noch kategorial spezifischer  – ist dort auch festgestellt worden, dass ich, qua Lebewesen , ein unabhängiges  – oder: selbstständiges  – Individuum ohne modale und ohne zeitliche Dimension bin, also unter die Kategorie K121111 falle (und damit auch unter die Kate-gorien: K12111 [Individuen ohne modale und ohne zeitliche Dimension, kurz: OMOZen], K1211 [Individuen ohne modale Dimension], K121 [Individuen], K12 [Individuale/Partikularien], K1 [Objekte]). Da jede Person ein Lebewesen ist (wenn auch nicht unbedingt ein hylomorphes, ein leibseelisches), folgt somit logisch, dass jede Person, also auch jede menschliche Person, eine individuelle Substanz ist; denn die selbstständigen – oder: unabhängigen – OMOZen sind die individuellen Substanzen .

Dieses Ergebnis steht im vollkommenen Einklang mit dem genus proximum der klassischen Person-Definition des Boethius: „Persona est rationabilis naturae individua substantia .“16 Aber die Substantialiät menschlicher Personen ergibt sich eben nicht schon aus der Definition [4] al-lein (wie schon oben per implicationem gesagt ist), ebenso wenig wie die Substantialität mensch-licher Körper sich aus der Definition [6] allein ergibt. Beide Definitionen sind damit verein-bar, dass alle Personen und alle Körper Individuen mit zeitlicher Dimension sind, also keine OMOZen sind, also keine (individuellen) Substanzen. Die Definition [4] fordert zwar, dass menschliche Personen etwas Persistentes sind (das zu dieser Erkenntnis Notwendige steht am Anfang dieses Abschnitts), und aus der Definition [6] kann die Forderung der Persistenz auch für menschliche Körper herausgelesen werden (nämlich als in der Animalität menschlicher Körper steckend); aber um etwas Persistentes zu sein, braucht ein Individuum keine Substanz zu sein, muss es nicht einmal ein OMOZ sein. Auch Individuen, die eine zeitliche Dimension haben – die Individuen unter den Kategorien K12112 und K12122, nennen wir sie „Ereignis-individuen“ –, können etwas Persistentes sein; dazu brauchen sie ja nur zu zwei verschiedenen Zeitpunkten und zu allen Zeitpunkten dazwischen etwas Gegenwärtiges zu sein. Mein Leben , z. B., ist ein persistentes Ereignisindividuum. Mein Leben – und jedes persistente Ereignisindi-viduum – ist etwas Persistentes allerdings in ganz anderer Weise als jedes persistente OMOZ: Zu jedem Zeitpunkt, in dem ein persistentes Ereignisindividuum etwas Gegenwärtiges ist, ist ja nur eine Momentanphase von ihm etwas Gegenwärtiges; während ein persistentes OMOZ zu jedem Zeitpunkt, zu dem es etwas Gegenwärtiges ist, zur Gänze gegenwärtig ist. Also: Ein persistentes OMOZ O ist persistent unmittelbar, „mittels seiner selbst“; ein persistentes Ereignisindividuum E hingegen ist persistent nur mittelbar, nur mittels seiner Momentanphasen : der zeitlich in Voll-

2. Zur ontologischen Kategorisierung und Identität menschlicher Personen – und deshalb zur Gegenwärtigkeit

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ständigkeit punktuell verorteten Ereignisindividuen, die in inhaltlicher (also nichtzeitlicher) Hinsicht jeweils vollständige – jeweils zu ihrem Zeitpunkt hinsichtlich E inhaltlich vollständi-ge – zeitliche Teile von E sind. Diese Momentanphasen können zur Gänze gegenwärtig sein (jeweils zu ihrem – ihnen eigenen – Zeitpunkt ), aber sie können nicht persistent sein – während das Ereignisindividuum E, das von ihnen ausgemacht wird (das, m. a. W., ihre Summe oder Konjunktion ist), persistent, aber nicht zur Gänze gegenwärtig sein kann. Das OMOZ O hin-gegen kann beides: persistent sein und dabei (je zu den verschiedenen Zeitpunkten) zur Gänze gegenwärtig sein.

Für die Anerkennung als Basisentitäten für Personen und/oder Körper hat diese Fähigkeit den persistenten OMOZen nicht zum Vorteil gereicht: Unter den Metaphysikern, jedenfalls unter denjenigen analytischer Methodik, ist heute mehrheitlich die Auffassung verbreitet, Personen wie Körper seien keine OMOZen – schlicht deshalb, meint man, weil nichts ein OMOZ ist –, sondern persistente Ereignisindividuen. Mit dieser Meinung tritt man tatsächlich nicht in Wi-derspruch zu den Definitionen [4] und [6], auch dann nicht, wenn man deren vollen Gehalt berücksichtigt.

Die Entscheidung, ob ich (eine menschliche Person) bzw. mein Körper (ein menschlicher Kör-per) ein Individuum ohne zeitliche Dimension ist oder nicht – die Frage der modalen Dimen-sion (ob ohne oder mit ) lassen wir einmal außer Betracht –, muss anderswo fallen. Der tiefere Grund (also nicht die seit Hume bestehende philosophische Mode der Ablehnung der Substan-

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zen ), warum  – entgegen der Intuition: entgegen dem unmittelbaren Bewusstsein, das wir jeweils von uns selbst und unserem Körper haben – so viele moderne Metaphysiker der Auffassung von Personen und Körpern als Ereignisindividuen anhängen, liegt, wie sich zeigen wird, in deren Zeitauffassung, genauer gesagt: in ihrer Auffassung der Gegenwärtigkeit.

3. Eine Schwierigkeit bei Ereignisindividuen – und abermals zur Gegenwärtigkeit

Eine Schwierigkeit tut sich bei Ereignisindividuen auf, die es bei OMOZen nicht gibt. Angenom- men , manche Momentanphasen eines Ereignisindividuums E sind einmal etwas Gegenwärtiges (für jede dieser Momentanphasen gibt es einen Zeitpunkt, an dem sie gegenwärtig ist), aber andere Momentanphasen von ihm sind niemals etwas Gegenwärtiges. Soll man sagen, dass E etwas ZANTI-Wirkliches ist: etwas zeitbezogen, aber nicht temporal-indexikalisch Wirkliches ist (zu diesem Begriff, insbesondere seine Definition, siehe den Exkurs im vorausgehenden Ab-schnitt), oder soll man dies verneinen? Für beides lässt sich argumentieren: (1) Da manche Momentanphasen von E etwas ZANTI-Wirkliches sind, andere Momentanphasen von ihm aber nicht, kann man sagen, dass E zum Teil etwas ZANTI-Wirkliches ist; aber man kann gewiss nicht sagen, dass E etwas ZANTI-Wirkliches ist (dies schlechthin ist). (2) Betrachten wir eine der ZANTI-wirklichen Momentanphasen von E: ϕ; ϕ ist ZANTI-wirklich, weil es zu mindestens einem Zeitpunkt t [und zwar im Fall von ϕ – einem Momentanereignis – zu genau dem Zeit-punkt, der zu ϕ s innerer Verfasstheit gehört] etwas Gegenwärtiges ist. Kraft dessen ist dann aber auch E zu t etwas Gegenwärtiges; denn ein Ereignisindividuum ist zu einem beliebigen Zeit-punkt t´ etwas Gegenwärtiges, wenn es eine Momentanphase hat (im Extremfall: ist ), die zu t´ etwas Gegenwärtiges ist. E ist also zu einem Zeitpunkt (nämlich t) etwas Gegenwärtiges; mithin ist E etwas ZANTI-Wirkliches (laut Definition der ZANTI-Wirklichkeit; siehe den Exkurs im vorausgehenden Abschnitt).

Aus diesem Dilemma kommt man nicht heraus, es sei denn, man schließt die Annahme aus, auf der es beruht, und postuliert das Phasenpostulat der Ereignisindividuen :

PHEI: Wenn eine Momentanphase eines Ereignisindividuums zu einem Zeitpunkt etwas Gegen- wärtiges ist, dann ist jede Momentanphase des Ereignisindividuums zu einem Zeitpunkt etwas Gegenwärtiges

3. Eine Schwierigkeit bei Ereignisindividuen – und abermals zur Gegenwärtigkeit

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Da die Momenanphasen eines Ereignisindividuums Ereignisindividuen sind, die zu keinem an-deren Zeitpunkt außer demjenigen, der ihnen jeweils wesenhaft-intrinsisch ist, gegenwärtig sein können, kann das Phasenpostulat auch so formuliert werden:

PHEI: Wenn eine Momentanphase eines Ereignisindividuums zu ihrem Eigenzeitpunkt etwas Ge- genwärtiges ist, dann ist jede Momentanphase des Ereignisindividuums zu ihrem Eigenzeitpunkt etwas Gegenwärtiges

PHEI kann als trivialerweise wahr erscheinen. So erscheint es allen, die fragen: „Wie soll denn eine Momentanphase eines Ereignisindividuums sonst sein als zu ihrem Eigenzeitpunkt – dem ihr per se innerlich zugehörigen Datum – etwas Gegenwärtiges?“ Andere (es handelt sich bei ihnen um eine Minderheit) werden (z. B.) fragen: „Aber könnte es nicht sein, dass die Zeit mit-ten im Ablauf eines Ereignisindividuums stehenbleibt, also die restlichen Momentanphasen von ihm nicht etwas einmal Gegenwärtiges werden, vielmehr niemals etwas Gegenwärtiges sind?“ Diesen letzteren Fragenden ist PHEI, mag es ihnen auch als wahr gelten, gar nichts Triviales.

Es offenbart sich hier eine Doppeldeutigkeit des Prädikats „x ist zu t etwas Gegenwärtiges“ (und damit auch eine Doppeldeutigkeit aller Prädikate, die im Exkurs im vorausgehenden Ab-schnitt auf seiner Grundlage definiert wurden) – eine Doppeldeutigkeit, die auf eine Doppel-deutigkeit schon des temporal-indexikalischen Prädikats „x ist etwas Gegenwärtiges“ zurück-geht (die letztere Doppeldeutigkeit überträgt sich auf alle temporal-indexikalischen Prädikate, die auf der Grundlage von „x ist etwas Gegenwärtiges“ im erwähnten Exkurs definiert wurden): Man kann „x ist etwas Gegenwärtiges“ in zweierlei Sinn verstehen; die Depotenzierung der tem-poralen Indexikalität des Prädikats „x ist etwas Gegenwärtiges“ durch die Einfügung von „zu t“ in es liefert dann das Prädikat „x ist zu t etwas Gegenwärtiges“, welches nun aber ebenfalls in zweierlei Sinn verstanden werden kann (wie das Prädikat aus dem es hervorgegangen ist). Wenn „x ist etwas Gegenwärtiges“ schlicht dasselbe bedeutet wie „x ist hier [am implizit unterstellten Zeitort] zeitlich punktlokalisiert [ganz oder partiell]“, dann wird „x ist etwas Gegenwärtiges“ im Sinne von „x ist etwas per zeitliche Punktlokalisierung Gegenwärtiges“ verstanden. Und entspre-chend: Wenn „x ist zu t etwas Gegenwärtiges“ schlicht dasselbe bedeutet wie „x ist an t zeitlich punktlokalisiert [ob zur Gänze oder nur zum Teil]“, dann wird „x ist zu t etwas Gegenwärtiges“ im Sinne von „x ist zu t etwas per zeitliche Punktlokalisierung Gegenwärtiges“ verstanden.

3. Eine Schwierigkeit bei Ereignisindividuen – und abermals zur Gegenwärtigkeit Bei einem Verständnis von „gegenwärtig“ als „per zeitliche Punktlokalisierung gegenwärtig“ ergibt sich PHEI als eine triviale analytische Wahrheit.

Anders sieht es aus, wenn „x ist etwas Gegenwärtiges“ bzw. „x ist etwas zu t Gegenwärtiges“ nicht die (zeit)punktuelle zeitliche Lokalisiertheit ausdrückt, sondern dasselbe bedeutet wie „x hat momentan die Augenblicksqualität der Gegenwärtigkeit“, bzw. dasselbe bedeutet wie „x hatte zu t die Augenblicksqualität der Gegenwärtigkeit, hat sie zu t oder wird sie zu t haben“. Bei einem Verständnis von „gegenwärtig“ als „per Habe der Augenblicksqualität der Gegenwärtigkeit ge-genwärtig“ mag PHEI zwar immer noch eine Wahrheit sein, aber es ist dann gewiss keine triviale.

Tatsächlich ist PHEI auch beim letzteren Verständnis eine Wahrheit, und zwar deshalb, weil de facto (ob es irgendwie  – gegeben diese oder jene Voraussetzungen – notwendig ist oder nicht, bleibe dahingestellt) die Augenblicksqualität der Gegenwärtigkeit im Laufe der Zeit alle Zeit-punkte der Zeitordnung einer bestimmten möglichen Welt erfasst, damit aber auch alle zeitli-chen Orte progressiv „abdeckt“, an denen in jener Welt Ereignisindividuen (mit ihren jeweiligen mehr oder minder umfassenden Inhalten) zeitlich verortet sind. Folglich gilt gemäß jenem zwei- ten Verständnis insbesondere dies: Weil mein Leben ein Ereignisindividuum ist,17 von dem ohne Zweifel die bisherigen Momentanphasen zu ihren jeweiligen Eigenzeitpunkten etwas Gegen-wärtiges sind (gemäß jenem Verständnis ist das deshalb so, weil sie jeweils zu ihrem Eigenzeit-punkt die Augenblicksqualität der Gegenwärtigkeit hatten und eine von ihnen jetzt gerade zu ihrem Eigenzeitpunkt diese hat , womit zudem angezeigt ist, dass das fragliche Ereignisindividu-um samt seinen Momentanphasen in ein und derselben möglichen Welt – derjenigen, die zur wirklichen wird – zeitlich verortet ist, wenn auch wohl nicht in ihr allein); darum , weil dies so ist, ist jede Momentanphase meines Lebens zu ihrem Eigenzeitpunkt etwas Gegenwärtiges (wie lange dieses Leben auch dauern mag – keine Sorge!).

Die beiden Interpretationsprädikate für „x ist etwas Gegenwärtiges“  – „x ist hier zeitlich punktlokalisiert“ und „x hat momentan die Augenblicksqualität der Gegenwärtigkeit“ – folgen nicht generell (für alle x) auseinander und sie schließen einander nicht generell aus. Gleiches gilt von den beiden Interpretationsprädikaten für „x ist zu t etwas Gegenwärtiges“: „x ist an t zeit-lich punktlokalisiert“ und „x hatte zu t die Augenblicksqualität der Gegenwärtigkeit, hat sie zu t oder wird sie zu t haben“, kurz : „x hat zu t einmal die Augenblicksqualität der Gegenwärtigkeit“. Demnach: (I) Etwas kann an einem Zeitpunkt t zeitlich punktlokalisiert sein, aber zu t niemals (weder in der Vergangenheit, noch in der Gegenwart, noch in der Zukunft) die Augenblicks-qualität der Gegenwärtigkeit haben; so ist es z. B. tatsächlich bei der Atombombenexplosion am 21. Januar 1945, 12:43:18 MEZ über Nürnberg und dem gerade genannten Zeitpunkt, dem 21. Januar 1945, 12:43:18 MEZ. (II) Etwas kann zu einem Zeitpunkt t einmal (in Vergangen-heit, Gegenwart, oder Zukunft) die Augenblicksqualität der Gegenwärtigkeit haben, aber an t nicht zeitlich punktlokalisiert sein; so ist es tatsächlich bei mir selbst ( als OMOZ; OMOZen haben – im primären, eigentlichen Sinn – keine zeitliche Verortung) und dem 30. Mai 2020, 5:06:53 MEZ. (III) Etwas kann aber auch an einem Zeitpunkt t zeitlich punktlokalisiert sein und zu t einmal die Augenblicksqualität der Gegenwärtigkeit haben; so ist es tatsächlich bei meinem Leben und dem 30. Mai 2020, 5:06:53 MEZ (und bei seiner Momentanphase dieses Zeitpunkts). John M. E. McTaggart hat diese Vereinbarkeit nicht gesehen und gelangte so zu der berühmten (wenn auch nur vermeintlichen ) Unvereinbarkeit der sogenannten A-Reihe – Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft, m. a. W.: des Fließens der Gegenwärtigkeit – mit der sogenannten B-Reihe: der quasi-räumlichen, statischen Zeitordnung.

Eine gewisse Unvereinbarkeit der beiden Prädikate „x ist an t nicht zeitlich punktlokalisiert“ und „x hatte zu t die Augenblicksqualität der Gegenwärtigkeit, hat sie zu t oder wird sie zu t haben“ gibt es allerdings; sie ist eine eingeschränkte Unvereinbarkeit, eine nur für Ereignisindi-viduen bestehende: (II*)18 Ein Ereignisindividuum kann nicht zu einem Zeitpunkt t einmal (in Vergangenheit, Gegenwart, oder Zukunft) die Augenblicksqualität der Gegenwärtigkeit haben und an t nicht zeitlich punktlokalisiert sein, m. a. W.: Absolut notwendigerweise gilt für jedes Ereignisindividuum x und jeden Zeitpunkt t: wenn x zu t einmal die Augenblicksqualität der Gegenwärtigkeit hat, dann ist x an t zeitlich punktlokalisiert [d. h.: dann ist t der zeitliche Ort von x oder gehört jedenfalls zu diesem Ort].

Das Treffen dieser Unterscheidungen ist freilich für nicht wenige Metaphysiker eine „verlorene Liebesmüh“, erklären sie doch, das Prädikat „x ist zu t etwas Gegenwärtiges“ nur im Sinne von „x ist [ganz oder zum Teil] an t zeitlich punktlokalisiert“ verstehen zu können; das (in der Reihen-folge ihrer Einführung) zweite Interpretationsprädikat für „x ist zu t etwas Gegenwärtiges“ sei, wenn es von „x ist an t zeitlich punktlokalisiert“ sinnverschieden sein soll, unverständlich oder jedenfalls „inkohärent“. Es beeindruckt sie nicht, dass man das zweite Interpretationsprädikat für „x ist zu t etwas Gegenwärtiges“ als sinnverschieden von „x ist an t zeitlich punktlokalisiert“und dennoch als verständlich und als kohärent anwendbarphänomenologisch ausweisen kann, und zwar an Ereignisindividuen (und nicht bloß an Individuen ohne zeitliche Dimension, die ja so leicht auf Ablehnung stoßen):

Ich blicke auf das Zifferblatt meiner Armbanduhr und beobachte das Wandern des Se-kundenzeigers: Am 1. Juni 2020, 5:25:10 MEZ, ist er auf der Ziffer „II“, 5 Sekunden später auf der Ziffer „III“, wieder 5 Sekunden später auf der Ziffer „IIII“, usw. Betrachten wir dementsprechend die folgenden Ereignisindividuen: An-t0

-Sekundenzeiger19-auf-„II“, An-t5

-Sekundenzeiger-auf-„III“, An-t10

-Sekundenzeiger-auf-„IIII“, usw.; hierbei ist t0 der 1. Juni 2020, 5:25:10 MEZ, t5 ist der um 5 Sekunden spätere Zeitpunkt, t10 der abermals um 5 Sekunden spätere, usw. Das Ereignisindividuum An-t0

-Sekundenzeiger-auf-„II“ ist nun an t0 zeitlich punktlokalisiert, aber es hatte zudem ( das liegt in dieser Punktlokalisierung doch noch nicht ) auch zu t0

 – wie ich mich erinnere – die Augenblicksqualität der Gegenwär-tigkeit (in der Erinnerung sehe ich den Sekundenzeiger auf „II“, wie es t0 entspricht, und sehe zugleich auch Stunden- und Minutenzeiger und Datumsanzeige, wie es t0 entspricht, gegeben, und sogleich sehe ich den Sekundenzeiger auch weiterwandern). Zu t5 hingegen hatte das Ereignisindividuum An-t5

-Sekundenzeiger-auf-„III“ die Augenblicksqualität der Gegenwärtigkeit, zu t10 hatte diese Augenblicksqualität das Ereignisindividuum An-t10

-Se-kundenzeiger-auf-„IIII“. Zu keinem Zeitpunkt vor oder nach t0 hatte An-t0

-Sekundenzei-ger-auf-„II“ die Augenblicksqualität der Gegenwärtigkeit [dazu müsste dieses Ereignisindi-viduum ja, gemäß (II*) oben , an einem Zeitpunkt vor oder nach t0 zeitlich punktlokalisiert sein – was es nicht ist]. Gleiches gilt von den beiden anderen betrachteten Ereignisindividu-en. Und jetzt gerade (eben schaute ich auf meine Armbanduhr) hatte das Ereignisindividu-um Am-1.-Juni-2020-6:30:00-MEZ-Sekundenzeiger-auf-„XII“ die Augenblicksqualität der Gegenwärtigkeit. Wann? Am 1. Juni 2020, 6:30:00 MEZ – und niemals vorher hatte es sie, und niemals danach wird es sie haben.

Wenn man vom Prädikat „x hatte zu t die Augenblicksqualität der Gegenwärtigkeit, hat sie zu t oder wird sie zu t haben“20 nichts hält , sofern es nicht als synonym zu „x ist an t zeitlich punktlo-kalisiert“ aufgefasst wird (welche Synonymie natürlich alles andere als evident ist: daran entzün-det sich ja der Streit), ihm keine „eigensinnige“ Wohlverständlichkeit und „Kohärenz“ zubilligt, es folglich als ein von „x ist an t zeitlich punktlokalisiert“ sinnververschiedenes Interpretations-prädikat für „x ist zu t etwas Gegenwärtiges“ zurückweistund somit als Interpretationsprädikat für „x ist zu t etwas Gegenwärtiges“ ausschließlich „x ist an t zeitlich punktlokalisiert“ (und seine Synonyme) gelten lässt, so hat das schwerwiegende Folgen: Es macht einen gewissermaßen blind für Individuen ohne zeitliche Dimension (also auch blind für OMOZen: Individuen ohne modale und ohne zeitliche Dimension). Wenn „x ist zu t etwas Gegenwärtiges“ nichts anderes bedeuten können soll als „x ist an t zeitlich punktlokalisiert“, dann können Individuen ohne

3. Eine Schwierigkeit bei Ereignisindividuen – und abermals zur Gegenwärtigkeit

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zeitliche Dimension zu keinem Zeitpunkt etwas Gegenwärtiges sein. ( Augenscheinlich solche Individuen mögen sich einem da als etwas zu einem Zeitpunkt Gegenwärtiges darstellen ; aber das wird man eben als Illusion erachten, als bloße Bewusstseinserscheinung.) Denn für Indivi-duen ohne zeitliche Dimension gilt nicht, dass sie aus sich heraus, in einer möglichen Welt, in der sie existieren, einen zeitlichen Ort haben;21 es gilt vielmehr per se, dass sie keinen zeitlichen Ort haben (in keiner möglichen Welt) – jedenfalls nicht im primären, eigentlichen Sinn. Sie sind also auch nicht an einem Zeitpunkt zeitlich punktlokalisiert (ob zur Gänze oder zum Teil),22 und folglich ergibt sich – wenn denn„x ist zu t etwas Gegenwärtiges“ nichts anderes soll bedeuten können als „x ist an t zeitlich punktlokalisiert“ –, dass sie zu keinem Zeitpunkt etwas Gegen-wärtiges sind.

Bin ich ein Individuum ohne zeitliche Dimension? Würde ich die Deutung von „x ist zu t etwas Gegenwärtiges“ durch „x ist an t zeitlich punktlokalisiert“ (und entsprechend die des in-dexikalischen Prädikats „x ist etwas Gegenwärtiges“ durch „x ist hier [am implizit unterstellten Zeitort] zeitlich punktlokalisiert“) als alternativlos erachten, so könnte die – in der Tat „ver-blendete“ – Antwort nur lauten: Nein . Denn ich bin ja zweifellos (wie ich ganz gewiss weiß) zum Zeitpunkt t0

(1. Juni 2020, 5:25:10 MEZ) etwas Gegenwärtiges. Aus „Ich bin zu t0 etwas Gegen-wärtiges“ ergibt sich aber bei der fraglichen Deutung: „Ich bin an t0 zeitlich punktlokalisiert“, da-raus wiederum „Ich habe einen zeitlichen Ort [im primären, eigentlichen Sinn]“ (vgl. Fußnote 22). Also bin ich unter Voraussetzung der Deutung von „x ist zu t etwas Gegenwärtiges“ durch „x ist an t zeitlich punktlokalisiert“ zwar ein Individuum (davon ist auszugehen), aber nicht ohne zeitliche Dimension (wäre ich ohne zeitliche Dimension, so dürfte ich ja keinen zeitlichen Ort haben; siehe den vorausgehenden Absatz).

Nun erachte ich jedoch die Deutung von „x ist zu t etwas Gegenwärtiges“ durch „x ist an t zeitlich punktlokalisiert“ keineswegs als alternativlos. Ich akzeptiere vielmehr eine alternative Deutung von „x ist zu t etwas Gegenwärtiges“ – die Deutung wurde ausgiebig geschildert –, die es mir, und meinem Körper nicht minder, erlaubt, ohne eine zeitliche Dimension zu haben  – gar als OMOZ – zu einem Zeitpunkt t etwas Gegenwärtiges zu sein; so, wie es meinem Bewusstsein von mir und meinem Körper (und dem Bewusstsein jedes Menschen von sich und seinem Kör-per) genau entspricht. Nurbei dieser alternativen Deutung von „x ist zu t etwas Gegenwärtiges“ kann ein Individuum ohne zeitliche Dimension zu einem Zeitpunkt etwas Gegenwärtiges sein. Lässt man sie nicht gelten, dann folgt zwar nicht, dass nichts ein Individuum ohne zeitliche Dimension ist (folglich nichts ein OMOZ ist); aber die Chance für Individuen ohne zeitliche Dimension, Anerkennung zu finden, ist dadurch erheblich herabgesetzt.

4. Ein Problem für Ereignisindividuen, aber für Individuen ohne zeitliche Dimension nicht minder

Bei der Betrachtung menschlicher Personen in ihrem zeitlichen Dasein stößt man auf ein Pro-blem, das in der philosophischen Literatur vielfach und intensiv durchdekliniert wurde (ins-besondere von Derek Parfit): das Teilungsproblem (wie ich es nennen will). Mit Personen hat es allerdings innerlich nichts zu tun; es tritt auch schon bei apersonalen lebendigen Körpern auf – und dort ganz ohne mehr oder minder realitätsferne „Gedankenexperimentiererei“.

Ein alltägliches Phänomen, das wir dank Mikroskopie ohne großen Aufwand leicht beobach-ten können, ist die Vermehrung von Einzellern und Bakterien per Zellteilung. Z. B., Amöbe A teilt sich in die gleichgroßen, gleichgesunden, gleichkonstituierten Amöben B und C. Hinter (oder unter) dem Phänomen offenbart sich eine metaphysische Schwierigkeit: Wie ist der frag-liche Vorgang ontologisch zu beschreiben? Hier sind die überhaupt denkbaren Optionen (unter-stellt ist dabei allein, dass Amöben Individuen sind, die sich zur Vermehrung teilen):

(1) A hat aufgehört, als Amöbe zu existieren (d. h.: etwas Gegenwärtiges zu sein); aus dem Tierchen sind die existierenden Amöben B und C hervorgegangen.

(2) A hat nicht aufgehört, als Amöbe zu existieren; das Tierchen ist identisch mit der exis-tierenden Amöbe B.

(3) A hat nicht aufgehört, als Amöbe zu existieren; es ist identisch mit der existierenden Amöbe C.

(4) A hat nicht aufgehört, als Amöbe zu existieren; es ist identisch sowohl mit der existieren-den Amöbe B als auch mit der existierenden Amöbe C.

4. Ein Problem für Ereignisindividuen, aber für Individuen ohne zeitliche Dimension nicht minder

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(5) A hat nicht aufgehört, als Amöbe zu existieren; es ist identisch mit der existierenden Zweiergruppe aus der existierenden Amöbe B und der existierenden Amöbe C.

Welche dieser Optionen ist die richtige? Option (4) scheidet aus, denn, da B und C verschieden sind, kann A nicht mit beiden identisch sein. Gegen Option (1) spricht, dass es mit A doch offensichtlich kontinuierlich „amöbig“ weitergeht, wenn auch in zweifacher Weise. Würde C nach der Teilung sofort zugrunde gehen, wäre alles klar: A existiert – mit Amöbe B identisch – weiter. Und würde B nach der Teilung sofort zugrunde gehen, wäre wiederum alles klar: A exis-tiert – mit Amöbe C identisch – weiter. Nur wenn beide, B und C, zugrunde gingen, würde man eindeutig sagen, dass A aufgehört hat zu existieren; nun sind aber weder B noch C zugrunde gegangen. Gegen Option (2) spricht nun allerdings, dass, sich für sie zu entscheiden, angesichts von Option (3) als vollkommen willkürlich erscheint. Gegen Option (3) wiederum spricht, dass, sich für sie zu entscheiden, angesichts von Option (2) als vollkommen willkürlich erscheint. Gegen Option (5) schließlich spricht, dass eine existierende Zweiergruppe aus existierenden Amöben keine Amöbe ist, A jedoch – laut (5) – eine existierende Amöbe ist.

Eine der Optionen (1) bis (5) muss aber doch die richtige sein, denn sie bilden – gegeben das Sichteilen des Amöbenindividuums A in die Amöbenindividuen B und C – eine logisch voll-ständige Disjunktion.

Option (4) entfällt zwar; aber es bleibt dann immer noch ein Tetralemma stehen: Wenn man sich nicht in den Agnostizismus zurückziehen will, dann kann man nicht allen seinen „Hörnern“ (es sind vier) entgehen, sondern wird eine „Unannehmlichkeit“ auf sich nehmen müssen. Welche ist die kleinste?

Die Optionen (2) und (3) sind nun wahrlich inakzeptable „Unannehmlichkeiten“. Denn würde man sich für (2) entscheiden, so könnte man dies angesichts der Konkurrenz durch (3) nur in vollkommen dogmatischer Weise tun: „(2) ist richtig und nicht (3), obwohl wir überhaupt keinen Grund haben, dies anzunehmen.“ Mutatis mutandis analog untragbar stehen die Dinge, wenn man sich für (3) entschiede. Es ist aber auch nicht zu sehen, was die Option (5) erträglich ma-chen könnte. Als Kandidat für die Wahl der kleinsten Unannehmlichkeit in Reaktion auf das aufgewiesene Tetralemma verbleibt also, recht besehen, nur die Option (1). Aber „A hat aufge-hört, als Amöbe zu existieren“ in (1) hat drei „Ausdeutungen“ (worauf in der obigen Anmerkung schon hingewiesen wurde): (α) A ist immer noch eine Amöbe, aber existiert nicht mehr; (β) A

275

4. Ein Problem für Ereignisindividuen, aber für Individuen ohne zeitliche Dimension nicht minderexistiert noch, aber ist keine Amöbe mehr; (γ) A ist keine Amöbe mehr und existiert auch nicht mehr. Hält man nun Amöben für Individuen ohne zeitliche Dimension, so wird man eher zu (1) mit (α)-oder-(γ) – oder (logisch äquivalent): zu (1) konjunktiv verbunden mit „A existiert nicht mehr“ – tendieren; hält man Amöben für Ereignisindividuen, dann eher zu (1) mit (β) – oder: zu (1) konjunktiv verbunden mit (β).

Die ganze Geschichte lässt sich auch, statt über Amöben, über menschliche Personen A, B und C erzählen (allerdings nicht ohne Annahmen, die mindestens einstweilen noch phantastisch sind). Am Ende der Geschichte steht dann: Hält man menschliche Personen für Individuen ohne zeitliche Dimension [erster Fall], so wird man eher zu (1) mit (α)-oder-(γ) tendieren [„Amöbe“ dabei ersetzt durch „menschliche Person“]; hält man menschliche Personen für Ereignisindi-viduen [zweiter Fall], dann eher zu (1) mit (β). Es ist zu betonen, dass im ersten Fall – ob bei menschlichen Personen, ob bei Amöben – im Prinzip auch (1) mit (β) wählbar ist, im zweiten Fall im Prinzip auch (1) mit (α)-oder-(γ); allerdings passt die jeweils andere Wahl nicht so gut zur jeweiligen Auffassung davon, was menschliche Personen bzw. Amöben sind.

Die Freunde der ereignisindividuellen Auffassung von Amöben und menschlichen Personen, die für (1) mit (β) optieren, werden die Kontinuität betonen, die zwischen A auf der einen Seite und B und C auf der anderen Seite besteht. Zwar könnte man A von B und C gewissermaßen „abschneiden“; aber das erscheint ihnen als unnatürlich, willkürlich. Vielmehr ist es für Freunde der ereignisindividuellen Auffassung von A, B und C natürlich, die Teilung von A in B und C schlicht als eine Gabelung im einen Ereignisfluss zu betrachten. Man habe es nach der Gabelung mit ein und demselben Individuum A zu tun wie vorher; nur dass es nun gegabelt sei, was es vorher nicht war; der eine Flussarm von A sei B, der andere C. Es sei zwar wahr, dass A, das vor der Gabelung eine Amöbe bzw. menschliche Person war, nach der Gabelung keine mehr ist; aber eine Amöbe bzw. eine menschliche Person zu sein, ist ja keine Eigenschaft, die etwas immer zu haben braucht, wenn es sie einmal hat. Gefragt, ob A die Teilung überlebt habe, werden sie dies bejahen.

Die Freunde der Auffassung von Amöben und menschlichen Personen als Individuen ohne zeitliche Dimension, die für (1) mit (α)-oder-(γ) optieren, hingegen werden die Frage, ob A die Teilung überlebt habe, verneinen. Von Überleben könne keine Rede sein; bestenfalls davon, dass A in B und C in einem uneigentlichen Sinn „weiterlebe“. Sie sehen, trotz der zweifelsfrei gegebenen Kontinuität, nun doch vordringlich den Abschluss von etwas (mindestens von des-sen Existenz) und den Neuanfang der Existenz von etwas (von zweierlei) numerisch anderem. Dabei, es so zu sehen, hilft ihnen, dass sie A, B und C als Individuen ohne zeitliche Dimension von ihren Leben , welche Leben klarerweise Ereignisindividuen: Ereignisflüsse sind (und warum soll sich ein Ereignisfluss nicht teilen und gegabelt weiterexistieren?), unterscheiden (eine Unter-scheidung, die die Freunde der ereignisindividuellen Auffassung von Amöben und mensch-lichen Personen nicht machen). Wenn es sich bei A, B und C um menschliche Personen, nicht

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um Amöben handelt, kommt (als „Sehhilfe“) hinzu, dass eine existenzerhaltende Teilung bei ihnen von vornherein als unmöglich erscheinen kann (wenn auch gewiss nicht bei Amöben). Definition [4] der menschlichen Person (in Abschnitt 1) kommt der phänomenologisch nahe-liegenden (und in der Philosophiegeschichte vielfach aufgegriffenen) Konzeption sehr entgegen, dass eine menschliche Person, ein menschliches Ich, ein punkthaft einfaches Bewusstseinssubjekt sei; ein Sichteilen – wenn man überhaupt davon sprechen will (es ist ja eigentlich nichts da, was geteilt werden könnte) – kann da nur bedeuten, dass an die Stelle des „Sichteilenden“, welches aufhört zur existieren, zwei miteinander und mit dem „Sichteilenden“ Gleichartige treten, die anfangen zu existieren.

Es bleibt festzuhalten, dass es die definitiv als korrekt erkennbare Lösung des Teilungsprob-lems – oder Auflösung des relativ harmlosen Restdilemmas , auf welches das Teilungsproblem schließlich hinausläuft:(1) mit (α)-oder-(γ), oder aber (1) mit (β) – nicht gibt (ob für mensch-liche Personen, ob für Amöben und sonstige lebendige Körper). Wie so oft in der Metaphysik, ist auch hier „die Lösung“ eine Sache der grundsätzlichen – und naturgemäß kontroversen – echten (also freien) Entscheidung.

5. Die Bedeutung des Todes

Der Tod eines Menschen – logisch äquivalent (gemäß erfolgter begrifflicher Entscheidung): der Tod einer im Sinne von Definition [4] (Abschnitt 1) verstandenen menschlichen Person – hat zwei Seiten: eine Außenseite und eine Innenseite. Das ist deshalb so, weil eine menschliche Per-son zeit ihres Lebens, das mit dem Tod endet, nicht nur – definitionsgemäß – über das durch sie selbst artikulierbare beständige und vielfältigst konsistent variierte Bewusstsein verfügt, mit einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden zu sein, sondern auch tatsäch- lich (wovon wir – einschließlich ihrer selbst – ausgehen und ausgehen dürfen) zeitlebens mit einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden ist.

Die Außenseite des Todes einer menschlichen Person besteht im Auftreten der Todeszeichen an ihrem Körper, wie: irreversibler äußerer und innerer Komplettverlust an zentraler – und da-

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5. Die Bedeutung des Todesmit auch an weniger zentraler – physischer Lebensbewegung, insbesondere irreversibler Atem-stillstand, irreversibler Herzstillstand, irreversibles Verlöschen der Hirnströme; sehr bald dann auch die beginnenden Anzeichen des Verfalls des Körpers (der zunächst nur nicht mehr lebendig ist, der aber, wenn der Natur ihr Lauf gelassen wird oder dieser Lauf gar beschleunigt wird, sehr bald auch nicht mehr existent ist). Der Körper einer menschlichen Person ist nach ihrem Tod – wie man früher sagte – „entseelt“, ein Leichnam, „eine leere Hülle“. Er ist selbst tot (d. h.: nicht mehr lebendig ). Die Außenseite des Todes einer menschlichen Person ist nichts anderes als der Tod ihres Körpers.

Was die Innenseite des Todes einer menschlichen Person ausmacht, ist demgegenüber weit weniger klar. Die Spekulation über dieses Thema – sei sie philosophisch-begrifflich gehalten, oder eher mythisch – ist eine anthropologische Konstante, sowohl in zeitlicher als auch in räum-licher Hinsicht. Eine richtungsentscheidende Frage ist, ob der Tod einer Person zwar mit Au-ßenseite, aber ohne Innenseite vorkommen könnte, und ob er zwar mit Innenseite, aber ohne Außenseite vorkommen kann. Dazu ist zu sagen, dass man zwar als eine feststehende Gewissheit davon ausgeht, dass wenn der Tod einer menschlichen Person mit einer Außenseite stattfindet, er dabei auch gleichzeitig eine Innenseite hat; wenn man sich nicht sicher wäre, dass es so ist, würde man die Außenseite nicht mit dieser Bestimmtheit „Tod eines Menschen“ nennen. Das bedeutet jedoch nicht, dass das gleichzeitige Gegebensein einer Innenseite des Todes eine be-griffliche conditio sine qua non des Gegebenseins einer Außenseite ist. Eine Außenseite des To-des einer menschlichen Person – der Tod ihres Körpers – könnte im Prinzip gegeben sein, ohne eine Innenseite: wenn nämlich ihr Bewusstsein – trotz des Todes ihres Körpers – nach wie vor so bliebe, wie ein menschliches Bewusstsein gemäß Definition [4] nun eben ist.23 Umgekehrt ist man angesichts des Phänomens offenbar irreversiblen Wachkomas zudem geneigt zu sagen, dass eine Innenseite des Todes einer menschlichen Person sehr wohl auch ohne das gleichzeitige Stattfinden einer Außenseite vorkommen kann.

Wir können festhalten: Am Tod einer menschlichen Person ist dessen Innenseite entschei-dend, während eine Außenseite nur der – eventuell fehlende – Ausdruck der Innenseite ist. Aber was ist nun die Innenseite des Todes einer menschlichen Person? Klärt einen darüber nicht – wenigstens bis zu einem gewissen Grad – dessen Außenseite auf? – Leider nicht, denn diese Außenseite ist unterschiedlich interpretierbar, selbst wenn man ihr bis hin zu den Hirnströmen nachgeht. Die Außenseite des Todes einer menschlichen Person hat Ähnlichkeit mit dem Zu-stand eines menschlichen Körpers bei Tiefschlaf (weshalb der Tod „Schlafes Bruder“ ist) oder bei Totalanästhesie, woraus in der heutigen weltanschaulichen Lage – der heutigen metaphysi-schen Grundgestimmtheit – mehrheitlich geschlossen wird, dass die Innenseite des Todes einer menschlichen Person schlicht die irreversible Bewusstlosigkeit ist. In anderen Zeiten bot die Außenseite des Menschentodes natürlich genau denselben Anblick wie heute, aber man schloss daraus nicht , dass die zugehörige Innenseite in irreversibler Bewusstlosigkeit besteht. Man war metaphysisch anders grundgestimmt als heute (und ist es da und dort auch noch heute) und ging davon aus, dass die Innenseite des Todes einer menschlichen Person, nicht in Bewusst-losigkeit, sondern nur in einer radikalen Bewusstseinsveränderung besteht, zu der auf jeden Fall gehört, irreversibel nicht mehr über das Bewusstsein zu verfügen, mit einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden zu sein.

In letzter Zeit hat diese zweite Interpretation der Todesaußenseite – die „Das Ich ist fortge-gangen“-Interpretation – gegenüber der ersten Interpretation – der „Das Ich ist nicht mehr“-Interpretation – wieder einigen Auftrieb erhalten durch die vielen Nahtod-Erfahrungen, von denen glaubwürdig  – aus der Innenperspektive  – berichtet wird. Menschliche Personen mit Nahtod-Erlebnissen haben, während sie diese Erlebnisse haben, also Bewusstsein haben, nicht das Bewusstsein, mit einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden zu sein; ihr Körper erscheint ihnen vielmehr wie etwas ihnen Äußerliches, etwas, was ihnen nicht näher ist als ein Gewand – ein Gewand zudem, welches sie nun nicht mehr „anhaben“. Allerdings sind menschliche Personen mit Nahtod-Erlebnissen, nicht tot; mögen sie auch für einige Minuten „klinisch tot“ sein, es fehlt ihrem „Tod“ offensichtlich die Irreversibilität , die den echten Tod – ob auf der Außen- oder der Innenseite – auszeichnet. Die berichteten Erfahrungen in der Nähe des Todes – Erlebnisse der Ablösung vom eigenen Körper – verraten uns also nicht, worin der Tod einer menschlichen Person auf der Innenseite besteht; wenn der echte Tod gekommen wäre, hätten jene Erlebnisse kontinuierlich, wenn auch sich wandelnd, weitergehen, oder aber in Be-wusstlosigkeit übergehen können. Welches von beiden stattgefunden hätte, bleibt – vorurteils-frei betrachtet – offen und damit Gegenstand der Spekulation.

5. Die Bedeutung des TodesFolgendes kann aber als eine Wahrheit aus begrifflichen Gründen, als eine analytische Wahrheit festgehalten werden:

[i] Für alle x und alle Zeitpunkte t: Wenn x nach dem Initium für x bis vor t, (a), eine mensch-liche Person ist, die, (b), in diesem Zeitraum aufs Innigste mit einem wirklichen menschlichen Körper verbunden ist, dann ist x tot ab t genau dann, wenn es ab t irreversibel so ist, dass x nicht mehr über das Bewusstsein verfügt, mit einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden zu sein.

Der Hintersatz des Konditionals in [i] („ Wenn … x …, dann … x …“) gibt unter der Voraus-setzung „Nach dem Initium [der Humanpersonalität] für x bis vor t: (a)+(b)“, welche (entspre-chend angepasst) seinen Vordersatz ausmacht und welche die Präsupposition der Rede vom Ab-einem-Zeitpunkt-Totsein einer menschlichen Person widerspiegelt, eine notwendige und hinreichende Bedingung für deren Totsein ab einem Zeitpunkt t an. Wenn sie – eine mensch-liche Person bislang , die zudem, ihrem Bewusstsein gemäß, menschlich real-verkörpert ist – ab t irreversibel bewusstlos ist (wie man es bei der „Das Ich ist nicht mehr“-Interpretation der Außenseite ihres Todes, des Todes ihres Körpers, annimmt), dann ist diese notwendige und hinreichende Bedingung erfüllt. Wenn sie ab t noch Bewusstsein hat, aber irreversibel nicht mehr über das Bewusstsein verfügt, mit einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden zu sein (wie man es bei der „Das Ich ist fortgegangen“-Interpretation der Außenseite ihres Todes, des Todes ihres Körpers, annimmt), dann ist jene Bedingung ebenfalls erfüllt. In beiden Fällen erhält man also, dass die fragliche Person ab t tot ist. Aus [i] folgt zudem auf der Grundlage von Definition [4]:

[ii] Für alle x und alle Zeitpunkte t: Wenn x nach dem Initium für x bis vor t, (a), eine mensch-liche Person ist, die, (b), in diesem Zeitraum aufs Innigste mit einem wirklichen menschlichen Körper verbunden ist, und ab t tot ist, dann ist x ab t irreversibel keine menschliche Person mehr

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[was nicht hindert, dass x u. U. in manchen Hinsichten sehr nahe an eine solche herankommen mag; erinnern wir uns an die Gestalt des Vergil in Dantes Göttlicher Komödie ].

Wie aber ist angesichts von [ii] die Rede von einem „toten Menschen“ zu verstehen? Ist gemäß [ii] diese Rede nicht widersprüchlich? – Sie ist es tatsächlich: Sei x – zum Bezugszeitpunkt – ein toter Mensch . Jeder Mensch ist gemäß [3] in Abschnitt 1 eine Entität mit menschlichem Bewusstsein, ein menschliches Ich, eine menschliche Person. Folglich: x ist – zum Bezugszeit- punkt – eine menschliche Person . Nun ist x zum Bezugszeitpunkt außerdem tot . Es ist angesichts dessen nur natürlich anzunehmen, dass x nicht nur eine menschliche Person ist, sondern auch zuvor einmal eine solche war . Nun gilt analytisch das folgende Prinzip:

[iii] Für alle x und alle Zeitpunkte t: Wenn x zu t tot ist und zu einem Zeitpunkt vor t eine menschliche Person ist, dann gilt für einen Zeitpunkt t* vor oder identisch mit t: die Vorausset-zung „Nach dem Initium für x bis vor t*: (a)+(b)“ ist erfüllt, und x ist tot ab t*. [t* ist offensicht-lich der Todeszeitpunkt von x.]24

Mit [iii] erhält man nun (aufgrund der Data): [iii*] Es gilt für einen Zeitpunkt t* vor oder iden-tisch mit dem Bezugszeitpunkt: die Voraussetzung „Nach dem Initium für x bis vor t*: (a)+(b)“ ist erfüllt, und x ist tot ab t*, also gemäß [ii]: x ist ab t* irreversibel keine menschliche Person

6. Die Möglichkeit der Auferstehungmehr. Folglich: x ist zum Bezugszeitpunkt (da dieser Zeitpunkt nach oder identisch mit t* ist) keine menschliche Person . Der Widerspruch ist also deduziert.

Muss man demzufolge die Rede von „toten Menschen“ aufgeben, oder aber (wenn man sie nicht aufgeben will) mindestens eine der Voraussetzungen aufgeben, aus denen ihre Wider-sprüchlichkeit deduziert wurde? Man muss keines von beiden tun, und sollte keines von beiden tun. Denn die Rede von einem (zu einem Zeitpunkt) „toten Menschen“ ist ein besonderer Fall von übertragener, uneigentlicher Rede; sie ist angesichts von [iii*] als analogische Rede rechtfertigbar; denn seit einer gewissen Zeit bis vor seinen Todeszeitpunkt war der „tote Mensch“ ja gemäß [iii*] im eigentlichen Sinne eine menschliche Person, ein Mensch . Der Fall ist ähnlich wie der, wo man sagt, „zwei Entitäten“ seien als identisch erwiesen. Das klingt widersprüchlich, ist aber nicht so gemeint, dass es widersprüchlich wäre; sondern auch hier liegt eine übertragene, un-eigentliche Rede vor, die angesichts dessen als analogische Rede rechtfertigbar ist, dass die „zwei Entitäten“ im eigentlichen Sinn ein und dieselbe Entität mit zwei Namen sind (die nicht sofort zu erkennen geben, dass sie ein und dasselbe bezeichnen).

6. Die Möglichkeit der Auferstehung

In vielen Religionen ist es ein zentraler Glaubens- und Hoffnungsinhalt, dass es eine „Aufer-stehung der Toten“ gibt. Die Thematik kann auch die Metaphysik, insbesondere die Spezielle, nicht kaltlassen – nämlich angesichts ihrer besonderen Berücksichtigung des Menschen und seiner ultimativen Erkenntnisinteressen. Jedoch geht es vom rein metaphysischen Standpunkt aus  – also außerhalb der Theologie einer Auferstehungsreligion wie der des Christentums, wo die Metaphysik zu einer das Dogma explizierenden, „angewandten [oder: dienenden ] Wissenschaft“ wird – nicht um den Glauben, dass es eine Auferstehung der Toten gibt, son-dern vielmehr um die Frage, ob es sie geben kann (wobei zu berücksichtigen ist, dass eine negative Antwort auf diese Frage eo ipso negativ für die Rationalität jenes Glaubens wäre). Zur Behandlung dieser Frage sei freilich in diesem Abschnitt der im Christentum (und in anderen Religionen) geglaubte hervorstechendste Seinsgrund einer Auferstehung der To-ten – nämlich die Existenz (die Wirklichkeit) eines allwissenden (jede Wahrheit wissenden) und allmächtigen (d. h.: alles Mögliche vermögenden) benevolenten ewigen Gottes – schlicht unterstellt (Gott wird in diesem Kapitel erst am Ende rein metaphysisch thematisiert).

Der Möglichkeit einer Auferstehung der Toten stellt sich in erster Linie das Problem der begrifflichen Irreversibilität des Todes entgegen: „Zum Begriff des Todes gehört seine Irrever-sibilität. Eine Auferstehung der Toten ist also schon per Begriff des Todes ausgeschlossen.“ Dem Konzept der Irreversibilität des Todes wurde auch hier Rechnung getragen: siehe die vielen dieses Konzept bestätigenden Aussagen im vorausgehenden Abschnitt. Was wird also

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aus „der Auferstehung der Toten“? Wenn man sie nicht aufgeben will, bleibt nur eines übrig: Die sog. „Auferstehung der Toten“ ist nichts anderes als die Auferstehung der nach mensch- lichem Ermessen Toten – die aber tatsächlich nicht im vollen Sinn tot waren, weil ihren – sehr wohl vorhandenen – Todesmerkmalen zwar die Irreversibilität unterstellt wurde, aber sie in Wahrheit fehlte. Irreversibilität gehört zweifelsohne zu unserem Konzept des Todes. Wenn wir Todesfeststellungen treffen, so wird diese Irreversibilität mitfestgestellt – zwar unausdrücklich mitfestgestellt, aber doch mitfestgestellt (sonst würden wir nicht dazu übergehen, den Leich-nam zu vergraben oder zu verbrennen). Auf der anderen Seite jedoch ist die mitgetroffe-ne Irreversibilitätsfeststellung eine nur nach menschlichem Ermessen getroffene. Alle unsere Feststellungen werden nur nach menschlichem Ermessen getroffen – aber bei der Feststellung der Irreversibilität der Todesmerkmale fällt die unhintergehbare Gebundenheit dieser Fest-stellung an unser Ermessen (das in vielen Fällen – und gerade in denen, die die Zukunft be-treffen – fallibel ist, und auch in diesem Fall fallibel jedenfalls im Prinzip ist) ganz besonders ins Auge; die oft gegebene stille, oder auch verzweifelte, Hoffnung auf eine Reversion jener Merkmale (auf ihre Ersetzung durch die gegenteiligen Lebensmerkmale) mag hier der episte-mologische Augenöffner sein.

Manches Problem für die Möglichkeit einer Auferstehung (vom Totsein) sind an spezielle meta-physische Annahmen gebunden. Wenn man Menschen mit menschlichen Körpern identifiziert (was heute gerne getan wird, und zwar verbunden mit der Meinung, es sei das einzig Vernünftige25)

6. Die Möglichkeit der Auferstehung und zugleich ein kontingentes Nichtexistieren im Sinne eines zeitabhängigen Nichtwirklichseins, aber Wirklichseinkönnens (eines zeitabhängigen bloßen Möglichseins) für nicht instanziierbar hält und zudem an die Auferstehung glaubt, wie der christliche Metaphysiker Peter van Inwagen, dann hat man – dann hat der vaninwagensche Materialist  – ein Problem, und zwar das folgende: Der tote Mensch – das ist für den vaninwagenschen Materialisten und für alle Materialisten der tote menschliche Körper26 – ist zunächst nur nicht mehr lebendig, dann aber bald (mindestens im kosmischen Maßstab) auch nicht mehr existent. Eigentlich (nämlich: vernünftigerweise) bedeu-tet das für einen materialistischen Auferstehungsgläubigen nur, dass der tote Mensch – der tote menschliche Körper – nichts Wirkliches mehr ist (und zwar im Sinne der Deutung sowohl von „x existiert zu t“ als auch von „x ist etwas Wirkliches zu t“ durch „x ist etwas Gegenwärtiges zu t“; siehe den Exkurs in Abschnitt 2), aber doch eines Tages nicht nur zur Existenz, zum Wirklichsein, zum Gegenwärtigsein, sondern darüber hinaus sogar, sein Totsein ablegend, zur Lebendigkeit zu-rückkehren kann , womit wenigstens eine Möglichkeit im schwächsten Sinne: eine absolute Mög-lichkeit ausgesprochen ist. Für einen vaninwagenschen Materialisten jedoch ist ein nicht mehr exis-tenter Mensch, ein nicht mehr existenter menschlicher Körper, im Gegenteil rein gar nichts mehr . Was garantiert also, dass dieser menschliche Körper, dieser Mensch, der am Jüngsten Tag aufersteht (wie man so sagt), tatsächlich derselbe ist wie der, der einst verstarb? Nur wenn diese Identität vor-liegt, kann man wahrhaft (im eigentlichen Sinn) von der Auferstehung jenes Menschen sprechen. Aber jene Identität scheint unmöglich. Sie scheint unmöglich, weil zwischen dem verstorbenen x und dem (wie man sagt) auferstehenden y keinerlei identitätsstiftende Kontinuität besteht.

Hierauf – auf das Diskontinuitätsproblem der Identität bei der Auferstehung  – kann ein vanin-wagenscher Materialist in zweierlei Weise reagieren (wenn er daran festhalten will, dass mit y x aufersteht – im eigentlichen Sinne aufersteht): Er kann, erstens , zugeben, dass keinerlei identi-tätsstiftende Kontinuität zwischen x und y besteht, aber bestreiten, dass für die Identität von x und y eine identitätsstiftende Kontinuität überhaupt notwendig ist (und dies näher ausführen); er kann aber auch, zweitens , bestreiten, dass keinerlei identitätsstiftende Kontinuität zwischen x und y vorliegt (und dies näher ausführen). Wählt ein vaninwagenscher Materialist den letzteren Weg, so liegt es allererst nahe zu sagen, dass der Mensch, der menschliche Körper x, obwohl er früher oder später nach seinem Tod vollkommen aus der Existenz fällt, etwas hinterlässt, was plausiblerweise bis zum Jüngsten Tag durchhält: seine Materie , m. a. W.: die Elementarteil-chen, die ihn – in gewisser Weise im Raum angeordnet – ausmachen. Die Auferstehung von x bestünde dann einfach in der Rekonstitution der zu einer gewissen Zeit x-spezifischen Anord-nung dieser Elementarteilchen im Raum. Eine Schwierigkeit hierbei ist jedoch, dass ein Mensch, ein menschlicher Körper nicht zeit seines Lebens aus denselben Elementarteilchen besteht und auch deren Anordnung in ihm nicht immer dieselbe ist. Wenn die Rekonstitution der räumli-chen, zu einer gewissen Zeit bestehenden x-spezifischen Anordnung von Elementarteilchen von x alles ist, was für die Auferstehung von x erforderlich ist, dann könnte x z. B. auferstehen als zehnjähriges Kind (wie x war an seinem zehnten Geburtstag um 12:00 Uhr), als zwanzigjähriger junger Mann (wie x war an seinem zwanzigsten Geburtstag um 16:00 Uhr), …, als neunzig-jähriger Greis (wie x war an seinem Sterbetag um 15:43 Uhr). Und warum nicht als alle neune zusammen, die sich dann (höchst unpassend) streiten, wer von ihnen denn „wirklich“ x ist? Nun könnte man festlegen , z. B., dass die letzte Materie von x – d. h.: die Elementarteilchen, die zuletzt zu Lebzeiten in x waren – die Materie von x ist (und darauf hoffen, dass sie nicht auch die letzte Materie eines anderen – insbesondere späteren – Menschen, z, ist). Hiermit kommt aber ein arbiträres Element in die Antwort auf die Frage, ob der Verstorbene, x, mit dem (sog.) Auferstehenden, y, identisch sei. Wäre die Materie von x nicht die letzte Materie von x, sondern vielmehr die erste , oder die mittlere , oder die „aus der Blüte seines Lebens“ – alle diese alterna-tiven Festlegungen haben etwas für sich und sind nicht schlechter als die zuerst angegebene –, so wäre der (sog.) Auferstehende, y, jeweils ein numerisch anderer Mensch. Aber y dürfte doch eigentlich immer nur x sein , wenn mit der sogenannten Auferstehung von y die Auferstehung von x (im eigentlichen Sinn) gegeben sein soll.

Es ist ersichtlich: Wenn ein vaninwagenscher Materialist darauf insistiert, dass eine identitäts-stiftende Kontinuität zwischen x und y vorliegt, so muss diese Kontinuität eine andere sein als bloß die Kontinuität der (letzten, oder ersten, oder mittleren, oder irgendeiner anderen) Materie von x. Peter van Inwagen – dem ursprünglichen vaninwagenschen Materialisten – war dies voll-kommen klar. Er machte einen Vorschlag, der das Diskontinuitätsproblem bei der Auferstehung zwar beseitigt, aber dessen einzige weitere Empfehlung ist, dass er von der außerordentlichen Frömmigkeit Peter van Inwagens zeugt; was den Respekt vor der Allmacht Gottes angeht, lässt der fragliche Vorschlag nämlich nichts zu wünschen übrig. Gemäß Van Inwagen hört der tote Mensch, der tote menschliche Körper, oder jedenfalls ein ihn eindeutig kennzeichnender Teil von ihm, gar nicht auf zu existieren, sondern existiert immer weiter, bis zum Jüngsten Tag, wo er (wenn nötig, um alles Fehlende ergänzt) durch Gottes fiat! wieder lebendig wird. Dass der tote Mensch, der tote menschliche Körper aufhört zu existieren – was sich doch, wie es scheint, sehr schnell durch Komplettverbrennung des Leichnams erreichen lässt –, ist nur eine – gott-gewollte – Illusion von uns Hinterbliebenen; in Wahrheit ist der tote Mensch, d. h. (für den vaninwagenschen Materialisten wie für alle Materialisten) der tote menschliche Körper, oder jedenfalls ein ihn eindeutig kennzeichnender Teil von ihm, vom Zeitpunkt seines Todes an bei Gott geborgen. Gott hat ihn hinweggenommen – und hat ihn hier auf Erden durch ein Simula-crum ersetzt, das den Weg alles Vergänglichen geht.

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6. Die Möglichkeit der Auferstehung

Eine solche Auferstehungstheorie ist, wie gesagt, außerordentlich fromm. Es gibt aber sehr wohl eine noch frommere ; sie kommt für vaninwagensche Materialisten ebenfalls in Frage, mutet dabei aber nicht so theologisch fantastisch an wie die Auferstehungstheorie Van Inwagens selbst. Dazu muss ein vaninwagenscher Materialist den ersten der oben ausgewiesenen zwei Wege (oder Weisen) wählen, wie dem Diskontinuitätsproblem der Identität bei der Auferstehung be-gegnet werden kann: er muss zugeben, dass keinerlei identitätsstiftende Kontinuität zwischen x (dem Verstorbenen) und y (dem sog. Auferstehenden) besteht, aber bestreiten, dass für die Identität von x und y eine identitätsstiftende Kontinuität überhaupt notwendig ist. Wie aber kann er das „durchziehen“? „Ganz einfach“, sagt der vaninwagensche Materialist von äußerster Frömmigkeit . „Wusste denn Gott nicht, wen er erschuf, als Er ex nihilo Van Inwagen erschuf? Ge-wiss wusste dies Gott. Und sollte dann Gott nicht wissen, wen Er in der Auferstehung ex nihilo wiedererschafft? Gewiss weiß Er es. Es ist dieser selbe Mensch: Van Inwagen. Wenn Gott diesen Menschen ex nihilo  – ohne etwas zugrunde liegen zu haben – ursprünglich erschaffen konnte, so kann Er auch denselben Menschen ex nihilo  – ohne etwas zugrunde liegen zu haben – in der Auferstehung wiedererschaffen.“ Die Frage ist natürlich, ob Er es wirklich kann . Freilich möchte einen der offensichtliche Appell an Gottes Allmacht glauben machen – wie auch sonst oft –, dass nun das Fragen aufhören kann (bzw. muss). Aber dennoch ist zu fragen.

Wegen seiner Existenzauffassung muss ein vaninwagenscher Materialist bei der Erschaffung von Menschen und in deren Auferstehung Gott gezielt handeln lassen, ohne dass sich Gottes Blick auf (in Ihm) schon gegebene reine Possibilia im Wirklichkeits- und Lebendigkeits warte- stand richtet. Gott kann also nach vaninwagensch-materialistischem Verständnis nicht zu sich sagen (wenn es erlaubt ist, so zu sprechen): „Dieser menschliche Körper [im einstweiligen Stand der Nichtexistenz, genauer gesagt: des bloßen Möglichseins] ist Peter van Inwagen. Ich will ihn – allererst bei der Schöpfung und abermals in der Auferstehung – zu etwas Existierendem, d. h. et-was Wirklichem, nämlich zu etwas Lebendigem machen. Es sei!“27 Aber wenn Gott dies nicht zu sich sagen kann (weil, wie der vaninwagensche Materialist meint, mit absoluter Notwendigkeit nichts jemals ein reines Possibile ist), wie kann Gott denn dann wissen, wen Er erschafft und, in eins damit, erschaffen will, bzw. wen Er auferstehen lässt und, in eins damit, auferstehen lassen will? Der vaninwagensche Materialist von äußerster Frömmigkeit antwortet hierauf: „Er weiß es einfach. Basta.“ Peter van Inwagen aber, der vaninwagensche Materialist von kaum geringerer Frömmigkeit, antwortet hierauf (möchte ich stark vermuten): „Was meine Auferstehung angeht, so wird Er mich, diesen menschlichen Körper, von dem die Welt glaubt, er hätte aufgehört zu existieren, zwar tot, aber doch existent bei sich aufbewahrt haben, und auf dieses Objekt, dessen Geschichte Er vollkommen kennt, wird sich dann Sein lebendig machender Wille im vollen Wissen, um wen es geht, richten.“ Und was Van Inwagens Erschaffung anbetrifft? Was seine Er-schaffung anbetrifft, kann Van Inwagen nicht wie bei der Auferstehung argumentieren. Erachtet der vaninwagensche Materialist von äußerster Frömmigkeit sowohl die Erschaffung als auch die Auferstehung eines Menschen als aus dem absoluten Nichts, so muss Van Inwagen selbst we-nigstens die Erschaffung so erachten. Und die Frage bleibt stehen: Wenn dem so ist; wenn nichts in voller Identität, wenn auch als reine Möglichkeit, schon da ist, auf das sich die Intentionalität Gottes im Wissen, Wollen, Handeln beziehen kann, wie kann dann Gott wissen, wen (genau) Er erschafft und, in eins damit, erschaffen will? „Er weiß es einfach“ ist keine Antwort auf diese Frage, sondern es ist die sich in Frömmigkeit flüchtende Verweigerung einer Antwort auf sie.

6. Die Möglichkeit der Auferstehung Wenn ich zunächst sehr lange nicht existiere, dann, erschaffen, eine Weile existiere und dann wieder nicht existiere (vielleicht sehr lange) und schließlich, auferstanden, abermals existiere; dann ist doch das Diskontinuitätsproblem der Identität bei der Auferstehung hier nicht gegeben, ebenso wie ein Diskontinuitätsproblem der Identität bei der Erschaffung hiernicht gegeben ist. Denn es ist ja offensichtlich ein und dasselbe Etwas, nämlich ich , das diese vier Phasen ab-wechselnder Nichtexistenz und Existenz durchläuft. Freilich muss dazu Existenz zeitabhängig verstanden werden, sodass „zu t“ in „x existiert zu t“ kein generell-redundanter Zusatz ist29 und dieses Prädikat dasselbe bedeutet wie „x ist zu t etwas Wirkliches“ (in welchem Prädikat also „zu t“ ebenfalls kein generell-redundanter Zusatz ist) – welches Prädikat wiederum dasselbe be-deutet wie „x ist zu t etwas Gegenwärtiges“ (siehe den Exkurs in Abschnitt 2).

Für eine solche Deutung „meiner eschatologischen Laufbahn“ stellt sich ein Diskontinuitätsproblem der Identität weder bei meiner Erschaffung noch bei meiner Auferstehung. Heroische Frömmig-keit – wie diejenige der vaninwagenschen Materialisten, die an Tertullians „credo, quia absurdum“ gemahnt – braucht bei ihr nicht aufgebracht zu werden. ( Nicht , dass es allen Leuten schwerfällt, sie aufzubringen!) Sie hat aber zur Folge, dass manches Individuum – wie z. B. ich  – zeitweilig nicht existiert (nicht etwas Wirkliches ist), aber dabei sehr wohl existieren kann (mindestens zu einem Zeitpunkt in der jeweiligen Zukunft), mit anderen Worten: sie hat zur Folge, dass manches Indivi-duum zeitweilig ein reines Possibile ist. Für inwagensche Materalisten ist ein reines Possibile – auch ein bloß zeitweiliges – ein völlig unverständliches Unding. Nun, man kann nicht allen alles erklären, insbesondere dann nicht, wenn es den Fundamenten ihrer Weltanschauung widerspricht.

Die fragliche Deutung mit ihrem zeitlichen Wechsel zwischen bloßem Möglichsein (also Nichtwirklichsein) und Wirklichsein hat, in theologischer Hinsicht, freilich auch zur Folge, dass die creatio ex nihilo  – als solche ist der Schöpfungsakt Gottes rechtgläubig auszulegen – keine Schöpfung ex nihilo absoluto ist, sondern vielmehr „nur“ eine Schöpfung aus dem relativen Nichts (wenn man so reden will) des Nichtwirklichen, aber Möglichen , eine Schöpfung also aus dem – rechtgläubig ist zu sagen: nicht neben Gott, sondern in Gott befindlichen – absoluten Etwas des rein Möglichen. Ist das ein Grund, jene Deutung abzulehnen? Für äußerst Fromme, für die die Unbegreiflichkeit Gottes in jeder Hinsicht essenziell ist, wohl schon. Aber auch ohne eine Schöpfung aus dem absoluten Nichts, sondern nur mit einer Schöpfung aus dem relativen Nichts: aus dem absoluten Etwas des rein Möglichen, bleibt doch genügend Unbegreiflichkeit in Gott, um uns zu überzeugen, dass er größer ist, als alles, was von uns weitgehend verstanden werden kann.

Theologisch wird vielfach auf die Leiblichkeit der Auferstehung – „die Auferstehung des Flei-sches“ – großer Wert gelegt. Man braucht kein vaninwagenscher Materialist zu sein, um an eine leibliche Auferstehung glauben zu können. Fasst man den Menschen im Sinne von [3] in Ab-schnitt 1 als etwas über menschliches Bewusstsein Verfügendes (als ein menschliches Ich, eine menschliche Person) auf, wobei, was das heißt, durch Definition [4] in Abschnitt 1 näher erklärt wird, so ist der Mensch nicht begrifflich als menschlicher Körper bestimmt – was aber natürlich nicht hindert, dass er einen menschlichen Körper hat , ja, recht besehen, nicht einmal hindert, dass er ein menschlicher Körper ist (wenn auch nur kontingenterweise ist).31 Im Sinne von [3]

6. Die Möglichkeit der Auferstehungund [4] in Abschnitt 1 und [i] in Abschnitt 5 (die Irreversibilität, von der in [i] die Rede ist, cum grano salis genommen) ist menschliche Auferstehung zwar im Kern eine Sache des Bewusstseins (auf eine leibliche Auferstehung von bewusstlosen Zombies legt wohl auch niemand Wert); aber das bedeutet nicht, dass sie nur eine Sache des Bewusstseins sein muss.

Zuerst , (A), verfüge ich für eine Weile über ein menschliches Bewusstsein – d. h. gemäß [4]: über das durch mich selbst artikulierbare beständige und vielfältigst konsistent variierte Be-wusstsein, mit einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden zu sein.32 Dann aber, (B), verfüge ich für eine Weile nicht mehr über das Bewusstsein, mit einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden zu sein  – nach menschlichem Ermessen ist das sogar für immer so. So, wie es aussieht, habe ich in dieser Zeit sogar überhaupt kein Be-wusstsein, ja, bin da nichts Gegenwärtiges und nichts Wirkliches, also in diesem Sinne etwas Nichtexistentes. Dann jedoch, (C), verfüge ich abermals über ein menschliches Bewusstsein: bin ein menschliches Ich, wie ich es zuerst war, und habe somit abermals das Bewusstsein, mit einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste verbunden zu sein. Nun gehört es zwar nicht zur Definition, wohl aber zur Vollendung , zur perfectio der Auferstehung, wenn der beschriebene Dreischritt nicht eine bloße Bewusstseinsaffäre ist. In vollendeter, perfekter Auferstehung bin ich – im Gleichschritt mit (A), (B) und (C) – zuerst tatsächlich mit einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste – so, wie es meinem Bewusstsein entspricht – verbunden; dann aber besteht keine solche Beziehung; dann jedoch bin ich abermals tat-sächlich mit einem wirklichen menschlichen Körper aufs Innigste – so, wie es meinem Be-wusstsein entspricht – verbunden. Ist es am Ende (also bei (C)) numerisch derselbe – nicht nur wirkliche, sondern auch lebendige  – menschliche Körper wie am Anfang (bei (A))? Und ist er numerisch derselbe Körper, der mir am Anfang wie am Ende im Bewusstsein als aufs Innigste mit mir verbunden erscheint, also der Körper, den ich als „meinen Körper“ bezeich-ne? Bei perfekter Auferstehung sind beide Fragen zu bejahen, und es ist für diese bejahende Antwort nicht nötig – anders als vaninwagensche Materialisten glauben –, anzunehmen, dass der fragliche Körper (oder auch nur ein Teil von ihm) die ganze Zeit über – von (A) über (B) bis (C) – kontinuierlich existiert.

Noch manches andere kommt bei perfekter Auferstehung hinzu  – hinausgehend über ihren durch den Dreischritt (A)  – (B)  – (C) beschriebenen bewussteinsmäßigen Kern  –, etwa ein himmlisches – oder im Gegenteil höllisches – ewiges Leben im Stadium (C). Vom rein metaphy-sischen Standpunkt aus – also außerhalb der Theologie einer Auferstehungsreligion – müssen derartige Themen (Letztes Gericht, Hölle, Schau Gottes, vollkommenes Glück, usw.) allerdings ausgeklammert bleiben. Aber ein Aspekt – und zwar ein Bewusstseinsaspekt – fällt sehr wohl noch als zu einer perfekten Auferstehung gehörig in den Bereich der freien, keineswegs als an- cilla theologiae fungierenden Speziellen Metaphysik: Die Auferstandenen erinnern sich ihres früheren Lebens. Der Dreischritt (A) – (B) – (C) enthält diesen Aspekt nicht; deshalb nicht, weil es für Auferstandene qua Auferstandene – bloß als solche – durchaus nicht notwendig ist, dass sie sich an ihr früheres Leben erinnern. Aber zu einer perfekten Auferstehung gehört dies dazu.7. Die Welt

7. Die Welt

Das Wort „[eine] Welt“ ist ein singularisch-genereller Term ; seine Bedeutung (die er ausdrückt ) ist ein einstelliger Begriff. (Seine Intension, die er meint , ist demgegenüber eine Eigenschaft.) Der Ausdruck „die Welt“ hingegen ist ein singularisch-partikularer Term , kurz: ein singulärer Term , ein Name [im eigentlichen und engen Sinn]; seine Bedeutung (die er ausdrückt ) ist ein Begriffsobjekt, und folglich kein Begriff, denn seine Bedeutung ist nun eben keine ungesättigte Entität: keine Funktion. (Seine Intension, die er meint , ist demgegenüber ein Eigenschaftsob-jekt.)

Hinzukommt „Welten“ – ein pluralisch-genereller Term – und „die Welten“ – ein pluralisch-partikularer Term. Die jeweilige Bedeutung ist bei beiden von der Bedeutung des singularisch-generellen Terms „Welt“ abgeleitet: bei „Welten“ einfach durch Pluralbildung: „ Welt- en“, und was „die Welten“ angeht, so bedeutet dieser Ausdruck ja nichts anderes als der plurale Kennzeich-nungsterm „diejenigen, die [jeweils] eine Welt sind“.

Es liegt nun nahe anzunehmen, dass auch die Bedeutung des singulären Terms „die Welt“ von der des singularisch-generellen Terms „Welt“ abgeleitet ist. Es liegt nahe anzunehmen, „die Welt“ sei der zu „Welt“ gehörige singuläre Kennzeichnungsterm, bedeute also dasselbe (Be-griffsobjekt) wie „dasjenige, was eine Welt ist“. Tatsächlich sind die semantischen Ableitungs-verhältnisse gerade umgekehrt: Die Bedeutung von „Welt“ – und damit auch die Bedeutung von „Welten“ und die Bedeutung von „die Welten“ – leitet sich her von der Bedeutung des singulären Terms „die Welt“; das semantische Verhältnis zwischen „Welt“ und „die Welt“ ist das gleiche wie das zwischen „[eine] Sonne“ und „die Sonne“. Der bestimmte Artikel „die“ suggeriert in beiden Fällen – „Welt“ und „die Welt“, „Sonne“ und „die Sonne“ – ein Ableitungsverhältnis, in welchem das Einzelwort das semantische Primat innehat und der durch Voranstellen von „die“ gebildete zusammengesetzte Ausdruck in der semantischen Ordnung erst danach kommt. In beiden Fällen ist das eine Illusion. (Um ein verwunderliches Phänomen handelt es sich dabei nicht; schließ-lich zeigt ja auch das „die“ in „die Zugspitze“ kein semantisches Ableitungsverhältnis von „die Zugspitze“ aus „Zugspitze“ an.)

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Der singuläre Term „die Welt“ hat nun allerdings, unter anderen möglichen Bedeutungen, sechs verschiedene, die von besonderem philosophischen Interesse sind; manche von diesen sechs Bedeutungen können zu möglichen Bedeutungen des generellen Terms „Welt“ „genera-lisiert“ werden, manche nicht. Durch geeignete Indizierung des einen Ausdrucks „die Welt“ – wodurch aus ihm sechs verschiedene (aber im Erscheinungsbild eng miteinander verwandte) singuläre Terme hervorgehen – können die sechs verschiedenen Bedeutungen ohne Gefahr der Konfusion unterschieden werden:

1. (die Welt)1 =Def das All der Entitäten [der singulären sowie der pluralen].

2. (die Welt)2 =Def das All der singulären Entitäten.

3. (die Welt)3 =Def das All der singulären Entitäten, die etwas Wirkliches sind.

4. (die Welt)4 =Def die Summe [Konjunktion] aller Sachverhalte, die etwas Wirkliches sind [ oder : die Summe aller bestehenden Sachverhalte].

5. (die Welt)5 =Def die Summe aller Ereignisse, die etwas Wirkliches sind [ oder : die Summe allen Geschehens].

6. (die Welt)6 die reale Raumzeit.

Die Bezeichnungen „(die Welt)1

“, „(die Welt)2

“ und „(die Welt)3

“ sind nun ohne Zweifel sin-guläre Terme [wie das auch „(die Welt)4

“, „(die Welt)5

“ und „(die Welt)6

“ sind]; das heißt aber nicht automatisch, dass sie eine singuläre Entität bezeichnen ( benennen ). Ja, man könnte sogar auf den Gedanken kommen, dass sie nicht einmal eine singuläre Entität ausdrücken (als ihre Bedeutung).

Die Definientia von „(die Welt)1

“, „(die Welt)2

“ und „(die Welt)3

“ mag man vielleicht von vornherein nicht als singuläre Kennzeichnungsterme verstehen: Mit dem Wort „All“ als sinn-vollen generellen Term hat man ein Problem, sodass man in Folge davon z. B. „das All der Enti-täten“ – das Definiens von „(die Welt)1

“ – nicht lesen will (oder kann) als „dasjenige, was ein All der Entitäten“ ist; man hält nämlich letzteren Ausdruck für sinnlos, weil man „[ein] All“ für sinnlos hält (während man „das All“ sicherlich nicht für sinnlos hält; denn „das All“ bedeutet so viel wie „der Weltraum“, oder auch so viel wie „der Weltraum jenseits der Grenze der Erdatmo-sphäre“, wie in „Das Raumschiff flog hinaus ins All“, oder „das All“ bedeutet nun eben dasselbe wie „die reale Raumzeit“, wobei dieser letztere Sinn von „das All“ schon sehr „gesucht“ ist).

Dann lässt sich freilich immer noch sagen, das durch „(die Welt)1

“ ausgedrückte Begriffs-objekt sei nun zwar keines, das durch den singulären Kennzeichnungsterm „dasjenige, was ein

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7. Die WeltAll der Entitäten ist“ in seiner normalen Auffassung ausgedrückt wird (vielmehr gebe ein sol-ches Begriffsobjekt gar nicht); wohl aber sei es das Begriffsobjekt, welches durch den singulären Kennzeichnungsterm „dasjenige, was mit Dasallderentitäten identisch ist“ ausgedrückt werde. Den Ausdruck „das All der Entitäten“ hält man dementsprechend (wie durch die soeben ein-geführte Schreibweise verdeutlicht) für eine Art Eigennamen, innerhalb von dem die an ihm beteiligten Worte keine semantische Funktion haben, obwohl jener Ausdruck (in der normalen Schreibweise) ja ganz so aussieht wie ein singulärer Kennzeichnungsterm. Bei „das All der Enti-täten“ verhalte es sich eben – lässt sich weiter ausführen – ganz genauso wie bei dem Ausdruck „das Heilige Römische Reich Deutscher Nation“, das ganz so aussieht wie ein singulärer Kenn-zeichnungsterm, aber keiner ist, weil in ihm die an ihm beteiligten Worte keine semantische Funktion haben; dessen Bedeutung demnach nicht das durch den Kennzeichnungsterm „das-jenige, was heilig, römisch, ein Reich und deutscher Nation ist“ ausgedrückte Begriffsobjekt ist, sondern vielmehr das durch den Kennzeichnungsterm „dasjenige, was mit Dasheiligerömische- reichdeutschernation identisch ist“ ausgedrückte.

Aber bei „das All der Entitäten“ – oder „(die Welt)1

“ – stehen die Dinge, möchte man meinen, doch anders als bei „das Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ (oder auch „der Rhein“, „die Heilige Stadt“). Es scheint, dass weder ein durch „dasjenige, was ein All der Entitäten ist“ aus-gedrücktes Begriffsobjekt noch ein durch „dasjenige, was mit Dasallderentitäten identisch ist“ ausgedrücktes Begriffsobjekt als die Bedeutung von „das All der Entitäten“– „(die Welt)1

“ – in Frage kommt – und damit offenbar überhaupt keine singuläre Entität. Denn würde nicht ein Be-griffsobjekt als die Bedeutung von „(die Welt)1

“ / „das All der Entitäten“ diese ( per definitionem synonymen) Ausdrücke darauf festlegen, dass sie eine singuläre Entität benennen? Doch „(die Welt)1

“ / „das All der Entitäten“ benennen nun eben keine Einheit, sondern eine Vielheit, eine plurale Entität von einem Ausmaß, das alle Maße sprengt. Von kleinerem, aber immer noch gewaltigem Ausmaß sind die durch „(die Welt)2

“ / „das All der singulären Entitäten“ und „(die Welt)3

“ / „das All der singulären Entitäten, die etwas Wirkliches sind“ jeweils benannten plura-len Entitäten. Auch diese letzteren beiden singulären Terme scheinen jeweils kein Begriffsobjekt zu bedeuten – weil sie, wie es scheint, wenn sie ein solches bedeuteten, dadurch darauf festgelegt würden, jeweils eine singuläre Entität zu benennen.

Dagegen, dass sie keine Begriffsobjekte bedeuten, spricht aber, dass wir die singulären Terme „(die Welt)1

“, „(die Welt)2

“ und „(die Welt)3

wie oben definiert doch sehr wohl verstehen und dabei jeweils eine Einheit, eine singuläre Entität als Bedeutung auffassen. Was soll denn diese Bedeutungsentität anderes sein als ein gewisses Begriffsobjekt? (Die Kandidaten dafür wurden betrachtet.) Es bleibt nur übrig, davon auszugehen, dass ein singulärer Term sehr wohl unbe-schadet dessen, dass er eine singuläre Entität – nämlich ein Begriffsobjekt – als seine Bedeu-tung ausdrückt , dennoch eine plurale Entität benennen kann. Er wird dann in gewisser Weise

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metaphorisch gebraucht. (Ja, auch in der Ontologie gibt es Metaphern, oder besser: Quasi -Me-taphern.)

Jedoch, benennen denn „das All der Entitäten“, „das All der singulären Entitäten“, „das All der singulären Entitäten, die etwas Wirkliches sind“ tatsächlich plurale Entitäten, Vielheiten? Man könnte auf den Gedanken kommen (es ist nur natürlich), dass sie Einheiten, singuläre Entitäten benennen: Mengen bzw. Klassen qua Einheiten .33 Benennt nicht z. B. „das All der singulären Entitäten“ – „(die Welt)2

“ – schlicht (ganz unpoetisch gesagt) die Menge der singulären Entitä-ten, also eine singuläre Entität? Da das All der singulären Entitäten durch das Kategoriensystem Σ eingeteilt wird (anders gesagt: da die singulären Entitäten durch Σ eingeteilt werden ), wobei die Mengen in der Kategorie der Anderen Objekte unterkommen (siehe Kapitel 2), hätte die Mengenauffassung des Alls der singulären Entitäten zur Folge, dass diese Menge – die Menge der singulären Entitäten – „unausgeleert“ in einer „Schublade“ des Kategoriensystems (nämlich in K11) steckt und zugleich ihr „Inhalt“ – ihre Elemente [im mengentheoretischen Sinn]: nichts anderes als die gesamte Füllung des Kategoriensystems – auf alle „Schubladen“ (darunter auch K11) aufgeteilt ist. Weit problematischer als dies ist, dass die Menge der singulären Entitäten als singuläre Entität ein Element von sich selbst sein müsste – was einem Standardprinzip der Mengentheorie, dem sog. Fundierungsaxiom , widerspricht, wonach keine Menge Element von sich selbst ist. Noch problematischer aber ist, dass von der Menge der singulären Entitäten gel-ten müsste, dass sie nicht mehr Teilmengen als Elemente hat (jede Teilmenge von ihr ist ja – da eine singuläre Entität – auch ein Element von ihr) – was dem auf Zentralprinzipien der Men-genlehre beruhenden Satz von Cantor widerspricht, wonach jede Menge mehr Teilmengen als Elemente hat (m. a. W., die Potenzmenge einer Menge – die Menge aller ihrer Teilmengen – stets größer [mächtiger] als sie selbst ist). Die ziemlich einhellige Meinung der Mengentheoretiker ist – diesen abträglichen Gegebenheiten zur Folge – die , dass der singuläre Term „die Menge der singulären Entitäten“, wenn überhaupt irgendetwas (nämlich wenn man ihm, um der klassi-schen Logik gerecht zu werden, ein Designatum sichert), so doch sicherlich nichts seinem Sinn (seiner Bedeutung) Entsprechendes benennt, sondern z. B. Nichts , von dem schon in Kapitel 4, Abschnitt 7, die Rede war.

7. Die WeltDie eben geschilderte Problematik der Deutung von „(die Welt)2

“ im Sinne von „die Menge der singulären Entitäten“ ist für die Deutung von „(die Welt)1

“ im Sinne von „die Menge der Entitäten“ und von „(die Welt)3

“ als „die Menge der singulären Entitäten, die etwas Wirkliches sind“ nicht minder gegeben; müsste doch auch jede Teilmenge der Menge der Entitäten (da jede von diesen Teilmengen eine Entität ist) ein Element von ihr sein, und ebenso jede Teilmenge der Menge der singulären Entitäten, die etwas Wirkliches sind , ein Element von dieser letzteren (denn jede dieser Teilmengen ist eine singuläre Entität, die etwas Wirkliches ist: weil, wenn alle Elemente einer Menge etwas Wirkliches sind, spätestens dann auch die Menge selbst – eine singuläre Entität – etwas Wirkliches ist). In beiden Fällen liegen also nicht mehr Teilmengen als Elemente vor, und der Satz von Cantor steht den fraglichen Deutungen entgegen. Es wäre aber vollkommen unberechtigt, wenn einer daraus eine philosophische „Sensation“ schlösse und ver-kündete: „Es gibt die Welt nicht!“ Denn, erstens , muss das, was der singuläre Term „die Welt“ benennt, nichts mehr oder weniger „Allumfassendes“ sein: Neben den schon betrachteten drei Deutungen von „die Welt“, wonach das Designatum dieses singulären Terms allerdings mehr oder weniger „allumfassend“ zu sein hat, gibt es ja auch noch mindestens drei andere Deutun-gen (siehe die obige Definitionsliste), wonach jenes Designatum nun gerade nicht  – auch nicht in einem wenig strengen Sinn – „allumfassend“ ist. Und zweitens , selbst wenn man sich für eine Deutung in Richtung der Allumfassendheit entscheidet, so folgt daraus doch nicht, dass der sin-guläre Term „die Welt“ eine mehr oder weniger „allumfassende“ singuläre Entität  – eine Menge etwa – benennen muss; problemlos und nicht weniger natürlich (bis auf die gewisse Metapho-rizität, die damit verbunden ist) ist es vielmehr, den singulären Term „die Welt“ eine mehr oder minder „allumfassende“ plurale Entität benennen zu lassen: die Pluralität aller Entitäten, oder aller singulären Entitäten, oder aller singulären Entitäten, die etwas Wirkliches sind.34

Die singulären Terme „(die Welt)4

“, „(die Welt)5

“ und „(die Welt)6

“ nun bringen nicht nur je eine singuläre Entität (ein Begriffsobjekt) zum Ausdruck, sie benennen auch jeweils eine singuläre Entität , also eine Entität, die im Kategoriensystem Σ – durch welches die singulären Entitäten eingeteilt werden – untergebracht werden kann (im Gegensatz zu allen pluralen Entitäten). Be-sonders klar ist die kategoriale Einordung bei (die Welt)4

, die unter die Kategorie der Sachver-halte (K16) fällt; denn die Summe oder Konjunktion aller Sachverhalte, die etwas Wirkliches sind, ist selbst ein Sachverhalt.

(Die Welt)4 ist die Welt à la Wittgenstein, der zu Beginn des Tractatus logico-philosophicus verkündet: „Die Welt ist alles, was der Fall ist“, und in der nächsten Sentenz: „Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge“ und in der dritten Sentenz danach ( Trac-

297

7. Die Welt tatus , 1.13): „Die Tatsachen im logischen Raum sind die Welt.“35 Bei „alles, was der Fall ist“, „die Gesamtheit der Tatsachen“, „die Tatsachen“ geht es ja um nichts anderes als um die Summe aller Sachverhalte, die etwas Wirkliches sind , oder: die bestehen ; ist doch das Wirklichsein von Sachverhalten – ihr Bestehen – nichts anderes als das Der-Fall-sein, das Tatsachesein.36

(Die Welt)4

, obwohl sie von überaus großem Umfang ist, fällt sehr viel kleiner aus als (die Welt)3

, und erst recht sehr viel kleiner als (die Welt)2 und (die Welt)1

. Nicht nur ist sie im Gegen-satz zu diesen Welt en (man beachte: es ist dies ein Plural im uneigentlichen Sinn, da kein ein-heitliches Weltkonzept zugrunde liegt) kategorial einordenbar: „man kann sie in eine Schublade stecken“, sondern sie ist unter den Sachverhalten – ihren Kategoriegenossen, „die mit ihr in derselben Schublade sind“ – nicht einmal der inhaltlich größte. Gemäß den Resultaten von Ab-schnitt 15 des vorausgehenden Kapitels gilt mit Notwendigkeit: Die Konjunktion [d. h.: Summe] der [d. h.: aller] bestehenden [d. h.: etwas Wirkliches seienden] Sachverhalte ist ein bestehender (mereologisch) maximalkonsistenter Sachverhalt, was bedeutet, dass diese Konjunktion – ein bestehender Sachverhalt – von jedem Sachverhalt entweder diesen selbst oder seine Negation als Teilsachverhalt hat. [Zur Mereologie der Sachverhalte und zur Maximalkonsistenz inner-halb dieser Mereologie siehe Abschnitt 11 des vorausgehenden Kapitels, insbesondere Unterab-schnitt Beta .] (Die Welt)4 ist also – mit Notwendigkeit – ein bestehender maximalkonsistenter Sachverhalt (was sich nun in einem Schritt aufgrund ihrer Definition – eigentlich: aufgrund der Definition ihres Namens  – ergibt).

Maximalkonsistenz macht einen Sachverhalt (inhalts)groß, doch nicht „am größten“: Die Kon-junktion aller Sachverhalte („der übervolle Sachverhalt“ wurde sie in Kapitel 4 genannt) – die, übrigens, identisch ist mit der Konjunktion jedes beliebigen Sachverhalts mit seiner Negation – ist größer und tatsächlich am größten unter den Sachverhalten. Nicht nur (die Welt)4

, sondern auch unendlich viele andere maximalkonsistente Sachverhalte sind (echte) Teilsachverhalte von ihr. (Und dennoch kommt niemand auf den Gedanken, sie als „die Welt“ zu bezeichnen. Merk-würdig.) Was aber (die Welt)4

 – die Wittgenstein-Welt  – gegenüber den unendlich vielen anderen Sachverhalten, die ebenfalls maximalkonsistent sind, auszeichnet , ist, dass sie etwas Wirkliches ist. Denn die Konjunktion aller Tatsachen ist – wie jede Konjunktion von Tatsachen – selbst eine Tatsache, also etwas Wirkliches. Gäbe es daneben noch einen anderen maximalkonsistenten Sachverhalt, der etwas Wirkliches ist, so würde der notwendigen Wahrheit widersprochen, dass genau ein maximalkonsistenter Sachverhalt besteht, etwas Wirkliches ist – welche notwendige Wahrheit, wie in Abschnitt 15 von Kapitel 4 gezeigt wurde, notwendig äquivalent ist mit „Die Konjunktion aller bestehenden Sachverhalte [(die Welt)4

] ist ein bestehender maximalkonsis-tenter Sachverhalt“ und mit „Von jedem Sachverhalt besteht entweder er selbst oder seine Ne-gation“.

Was nun (die Welt)5 angeht, so steht aufgrund ihrer Definition fest, dass sie, als Einheit, als singuläre Entität – ihre durchaus mögliche Auffassung als Vielheit, als plurale Entität lasse ich beiseite – ein Ereignis ist, und zwar ein wirkliches Ereignis , ein Geschehnis , wenn man so will.

Jede Summe von wirklichen Etwassen (Sachverhalten, Ereignissen, …) ist eben selbst etwas Wirkliches.

Wie in Abschnitt 6 von Kapitel 2 dargelegt, sind Ereignisse nicht so einfach in das Katego-riensystem Σ einordenbar, wie es Sachverhalte sind (trivialerweise, denn die Letzteren haben ihre eigene Kategorie in Σ). Die de facto wichtigste (weil verbreitetste) Auffassung der Welt als

7. Die Welt Ereignis  – folglich: wichtigste Auffassung (der Welt) 5

[und, übrigens, (der Welt) 6 nicht minder] – ist aber diejenige, wonach sie ein Individuum (ein Individuumsereignis) mit modaler und mit zeitlicher Dimension ist (also unter die Kategorie K12122 fällt). Ausschließlich von dieser Auf-fassung wird im Folgenden ausgegangen.

Angesichts ihrer nun gegebenen kategorialen Einordnung wird man vielleicht fragen: Welcher ist denn der zeitliche und der modale Ort, den (die Welt)5

 – die Summe aller Ereignisse, die et-was Wirkliches sind – als Individuum mit modaler und mit zeitlicher Dimension aus sich heraus haben müsste? Die Antwort auf diese Frage ist, dass der zeitliche Ort, den (die Welt)5 aus sich heraus hat, die ihr essenzielle volle Zeitordnung (die ihr essenzielle volle Reihe von Zeitpunkten) ist; und dass der modale Ort, den sie aus sich heraus im „Raum der Möglichkeiten“ hat, gerade sie selbst ist (denn sie ist essenziell im Raum der Möglichkeiten verortet, und der ihr essenzielle Ort dort ist – sie selbst).

Was schließlich (die Welt)6 betrifft, so ist sie sozusagen (die Welt)5 für Materialisten . Für Mate-rialisten sind (die Welt)6 und (die Welt)5 identisch. Denn sind, wie Materialisten annehmen, alle Ereignisse, die etwas Wirkliches sind, etwas rein Physisches (ob notwendiger- oder nur kontin-genterweise), dann ist die Summe aller Ereignisse, die etwas Wirkliches sind, die Summe aller rein physischen Ereignisse, die etwas Wirkliches sind. Die Summe aller rein physischen Ereignis-se, die etwas Wirkliches sind, ist aber nichts anderes als die Summe aller realen rein physischen Ereignisse – die nichts anderes ist als die reale Raumzeit .

8. Welten, insbesondere bloß möglicheFür Nichtmaterialisten andererseits mag die Welt sehr wohl (die Welt)5 sein (wenn sie den Aus-druck „die Welt“ so verstehen wollen); (die Welt)6 aber – die reale Raumzeit – ist für sie gewiss nicht die Welt , sondern (die Welt)6 ist für sie – d. h.: wenn sie hier überhaupt , wenigstens in einem gewissen (bloß übertragenen) Sinn, von einer „Welt“ sprechen wollen – nur die physische Welt .

Sind alle realen Ereignisse etwas rein Physisches? Viele moderne Metaphysiker gehen davon aus, dass es so ist, mögen die Phänomene (nämlich die unzähligen und unzählig vielgestaltigen Er-scheinungen des Psychischen) noch so heftig widersprechen – gerade so, wie viele Metaphysiker der Vergangenheit davon ausgingen, dass Gott existiert, mochten die Phänomene (nämlich die unzähligen und unzählig vielgestaltigen Erscheinungen göttlicher Abwesenheit) noch so hef-tig widersprechen. In beiden Fälle liegt, positiv formuliert, eine gewisse doxastische Festigkeit und Unbeugsamkeit in metaphysischen Dingen vor, negativ formuliert: ein gewisser Dogmatis-mus – jedenfalls etwas, was seit den Tagen des Parmenides in der Metaphysik höchst vertraut ist. Welcher der beiden eben beschriebenen metaphysischen „Dogmatismen“ ist wohl der epis- temologisch „schlimmere“?

8. Welten, insbesondere bloß mögliche

Sechs Verstehensweisen des singulären Terms „die Welt“ wurden im vorausgehenden Abschnitt angegeben. Wie dort auch ausgeführt wurde, ist der singuläre Term „die Welt“ gegenüber dem generellen Term „[eine] Welt“ semantisch primär (wie das z. B. auch bei „der Mond“ und „[ein] Mond“ der Fall ist, nicht aber bei „[der] Gott“ und „[ein] Gott“; im letzteren Fall ist vielmehr der generelle Term gegenüber dem singulären semantisch primär). Die Verstehensweisen 4,

302

5 und 6 ( nicht jedoch die Verstehensweisen 1, 2 und 3)38 des singulären Terms „die Welt“ le-gen nun drei, aus ihnen mehr oder minder direkt gewonnene Verstehensweisen des generellen Terms „[eine] Welt“ als perfekten generellen Term nahe – als perfekten insofern, als sein Plural („Welt en “) bei gleichbleibendem zugrundeliegenden Sinn wahrheitsgemäß verwendet werden kann (wie in „Dies sind verschiedene Welten [ein und derselben ontologischen Art]“). Hier sind diese drei Verstehensweisen jenes generellen Terms, verpackt in drei Definitionen dreier verschiedener, aber strukturell sinnverwandter genereller Terme (präsentiert in Korrespon-denz – auch der Nummerierung nach – zur zweiten Hälfte der Definitionsliste im vorausge-henden Abschnitt):

4. x ist eine Welt4 =Def x ist ein maximalkonsistenter Sachverhalt.

5. x ist eine Welt5 =Def x ist ein zeitlich und inhaltlich maximales Ereignis [qua Individuum mit modaler und mit zeitlicher Dimension].

6. x ist eine Welt6 =Def x ist eine Raumzeit [qua Individuum mit modaler und mit zeitlicher Dimension].

Wie aber hängen „(die Welt)4

“ und „x ist eine Welt4

“, „(die Welt)5

“ und „x ist eine Welt5

“, „(die Welt)6 und „x ist eine Welt6

genau zusammen? Es ist tatsächlich immer das gleiche Verhältnis: Nicht nur ist (die Welt4

) eine Welt4

, (die Welt)5 eine Welt5

, (die Welt)6 eine Welt6

, sondern (die Welt)4

, und sie allein, ist unter den Welten4 etwas Wirkliches; (die Welt)5

, und sie allein, ist unter den Welten5 etwas Wirkliches; (die Welt)6

, und sie allein, ist unter den Welten6 etwas Wirkliches. (Die Welt)4 ist also diejenige Welt4

, die etwas Wirkliches ist, kurz: sie ist die wirkliche [aktuale, reale] Welt4

; (die Welt)5 ist diejenige Welt5

, die etwas Wirkliches ist, kurz: sie ist die wirkliche [aktuale, reale] Welt5

; schließlich (die Welt)6 ist diejenige Welt6

, die etwas Wirkliches ist, kurz: sie ist die wirkliche [aktuale, reale] Welt6

.

Von den Welten4

  – den maximalkonsistenten Sachverhalten  – wissen wir schon, dass es unendlich viele sind (siehe Kapitel 4, Abschnitt 11, Unterabschnitt Beta ) und dass es not-wendig ist, dass genau eine von ihnen etwas Wirkliches ist, oder: besteht (siehe Kapitel 4,

8. Welten, insbesondere bloß möglicheAbschnitt 15); dass es gleichwohl für jede von ihnen absolut möglich ist, dass sie allein unter den Welten4 etwas Wirkliches ist, wenn es auch nur bei einer von ihnen – (der Welt)4

 – tat- sächlich so ist (siehe dazu wiederum Kapitel 4, Abschnitt 15).39 Nun muss es zwar nicht unbedingt so sein, dass es sich bei den Welten5 und bei den Welten6 genauso verhält wie bei den Welten4

, aber annehmen, dass es so ist, darf man zweifellos; es ist rational erlaubt, ja naheliegend.

Die obigen drei Definitionen zusammengespannt mit der zu ihnen jeweils nummergleichen Definition aus dem vorausgehenden Abschnitt ergeben dreiverschiedene Deutungsschlüssel, die zu drei verschiedenen Deutungen – Deutung I , II und III  – des Zentralsatzes der Metaphysik der möglichen Welten führen. Der Zentralsatz lautet:

„Die Welt ist die wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten.“

Dieser Satz erweist sich als wahr (auf der Grundlage der Mereologie der Sachverhalte und der Theorie des Wirklichseins von Sachverhalten), wenn der singuläre Term „die Welt“ mittels des singulären Terms „(die Welt)4

“ (definiert als „die Summe aller bestehenden Sachverhalte“) und der generelle Term „Welt“ mittels des generellen Terms „Welt4

“ (definiert als „maximal-konsistenter Sachverhalt“40) gedeutet wird; wenn er – jener Satz – also im Sinne von Deutung I verstanden wird. Die beiden anderen Deutungen des Zentralsatzes erscheinen demgegenüber gewissermaßen als Transformationen der Deutung   I , heraus aus der Kategorie der Sachverhalte hinein in die Kategorie der Individuen mit modaler und mit zeitlicher Dimension, wobei aber der Zentralsatz bei ihnen bei Weitem nicht so plausibel und eingängig wird, wie er es bei Deu- tung I ist. Die Deutungen II und III erscheinen also gegenüber der Deutung I als sekundär und als problematischer .

9. Modale Realismen und modaler Antirealismus

Merkwürdigerweise wird die Bezeichnung „modaler Realismus“ auf den Zentralsatz der Me-taphysik der möglichen Welten gewöhnlich nur in seiner Deutung III angewandt. Ein Grund – kein Sachgrund – dafür ist der, dass die Metaphysik der möglichen Welten von David Lewis weithin als paradigmatisch für den modalen Realismus angesehen wird. In der lewisschen Modalmetaphysik wird der Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welten nun eben im Sinne von Deutung III ausgelegt (wobei für Lewis, den Materialisten, Deutung II mit Deutung III koinzidiert). Der Zentralsatz wird da also als gleichbedeutend mit „(Die Welt)6 ist die wirkliche Welt6 unter den unendlich vielen möglichen Welten6

“ aufgefasst – d. h.: als gleichbe-deutend mit „Die reale Raumzeit ist die wirkliche Raumzeit unter den unendlich vielen mög-lichen Raumzeiten“ – und wird in dieser Bedeutung als wahr akzeptiert. Aber warum eigent-lich sollte man nicht auch von einem modalen Realismus sprechen, wenn der Zentralsatz im Sinne von „(Die Welt)4 ist die wirkliche Welt4 unter den unendlich vielen möglichen Welten4

“ aufgefasst wird, d. h.: als gleichbedeutend mit „Die Summe aller bestehenden Sachverhalte ist der maximalkonsistente Sachverhalt, der wirklich ist, unter den unendlich vielen möglichen maximalkonsistenten Sachverhalten, die möglich sind“? Was ist hieran „unrealistisch“? Nun,

305

9. Modale Realismen und modaler Antirealismuszum einen, wird mancher sagen, seien Sachverhalte abstrakte Entitäten, und zum anderen seien abstrakte Entitäten vom menschlichen Geist ersonnene Konstruktionen. Doch Sachver-halte sind nicht abstrakt, jedenfalls sind sie es nicht alle. Dass sie alle abstrakt wären, ist eine Fehleinschätzung, die sich der Verwechslung von Sachverhalten mit Propositionen verdankt. Und selbst wenn alle Sachverhalte abstrakte Entitäten wären , so bedeutete das noch nicht, dass sie menschliche Konstruktionen zu sein haben; bekanntlich kann man ja auch bzgl. abstrakter Entitäten „Realist“ sein.

Aber ganz grundsätzlich, wird mancher sagen, spreche gegen die Bezeichnung „modaler Realismus“ für eine auf maximalkonsistenten Sachverhalten basierende Metaphysik der mög-lichen Welten, dass Sachverhalte doch auf mögliche Welten zurückführbare Entitäten seien; denn Sachverhalte seien ja bekanntlich Mengen von möglichen Welten. Hierauf ist zu antwor-ten, dass Sachverhalte keine Mengen von möglichen Welten sind, sondern nur durch Mengen von möglichen Welten eins-zu-eins darstellbar, repräsentierbar sind. Die Darstellung ist eine hochtheoretische, ziemliche künstliche, über deren breiten Erfolg als (angebliche) Reduktion der Sachverhalte man sich nur wundern kann: (i) Zu jedem Sachverhalt gehört die Menge der möglichen Welten, in denen er besteht (etwas Wirkliches ist); (ii) zu verschiedenen Sach-verhalten gehören verschiedene solche Mengen; (iii) jede Menge von möglichen Welten ge-hört zu einem Sachverhalt als die Menge der möglichen Welten, in denen er besteht. Die Aussagen (i)  – (iii) (fragt man nach ihrem modalen Status, so ist zu sagen: sie gelten mit absoluter Notwendigkeit) begründen also eine Eins-zu-eins-Korrelation zwischen Sachver-halten und Mengen von möglichen Welten.41 Daraus eine Identität zu machen (wie man es, reduktionistisch gesinnt, so gerne möchte), verbietet sich angesichts dessen, dass Mengen stets abstrakte Entitäten sind, Sachverhalte aber nicht; dass viele Sachverhalte sehr leicht Gegen-stand unserer Betrachtung und Beurteilung sind, die ihnen entsprechenden Mengen von möglichen Welten aber nicht: deshalb nicht, weil diese Mengen unendlich groß sind. Viele Sachverhalte haben eben nichts Unendliches an sich, die ihnen entsprechenden Mengen von möglichen Welten aber sehr wohl; diese Mengen und jene Sachverhalte können also nicht identisch sein. (Man könnte sich auch schlicht darauf berufen, dass Mengen und Sachverhalte doch unter Kategorien fallen, die einander ausschließen; aber dagegen ließe sich vorbringen, dass man damit – erst recht mit der Wahl des Kategoriensystems Σ – schon voraussetze, was erst zu beweisen wäre.)

Entscheidend dafür, ob eine Metaphysik der möglichen Welten als ein modaler Realismus anzusprechen ist oder nicht, ist nicht dies oder jenes, sondern ist genau dies: in welcher Weise gemäß ihr die Frage des modalen Realismus zu beantworten ist.

Die Frage des modalen Realismus : Sind die möglichen Welten, die von der wirklichen Welt ver-schieden sind [also: die nichtwirklichen möglichen Welten, die bloß möglichen Welten], Kon-struktionen oder sind sie wie die wirkliche Welt etwas an sich (nichts Konstruiertes)?

An die Seite dieser Frage tritt eine zweite, die für die philosophische Charakterisierung einer Metaphysik der möglichen Welten nicht minder wichtig ist:

Die Frage der modalen Differenz : Worin genau besteht der Wirklich-Nichtwirklich-Unterschied zwischen der wirklichen Welt und den möglichen Welten, die von der wirklichen Welt verschie-den sind?

Beide Fragen präsupponieren die Wahrheit des Zentralsatzes der Metaphysik der mög-lichen Welten (wie auch immer er spezifisch interpretiert werde). Man kann den Zentral-satz ablehnen, etwa dadurch, dass man eine Pluralität möglicher Welten rundweg ablehnt (gleichgültig, wie der Ausdruck „mögliche Welt“ interpretiert sei); dadurch würden beide Fragen gegenstandslos. Ratsam ist eine solche Haltung aber nicht, wenn sie auch nicht komplett irrational ist; denn mögliche Welt en (unter Einschluss der wirklichen Welt)  – auch in unendlicher Anzahl – haben sich für viele Zwecke der logisch-ontologischen Ana-lyse als extrem nützlich erwiesen. Hier sei von der Wahrheit des Zentralsatzes ausgegangen (und weiter unten in der Darstellung der Modalmetaphysik noch von etwas mehr als nur davon).

9. Modale Realismen und modaler AntirealismusDie beiden oben aufgestellten Fragen haben noch eine weitere Präsupposition, die aller-dings nur bei der ersten – der Frage des modalen Realismus – und auch dort nur nebenbei in Erscheinung tritt: Die Fragen setzen voraus, dass die wirkliche Welt etwas an sich ist, ge-meint ist: nichts (von uns) Konstruiertes ist. Dass es sich so verhält, davon sei hier ebenfalls ausgegangen.

Die Gesamtpräsupposition der beiden oben aufgestellten Fragen [diese ist: Der Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welten ist wahr, und die wirkliche Welt ist nichts Konstruiertes] gilt hier also als erfüllt. Demnach: Jede der beiden Fragen – davon wird hier ausgegangen – hat einen Gegenstand, jede von ihnen fordert zur Stellungnahme zu diesem Gegenstand auf.

Eine Antwort auf beide Fragen „in einem Aufwasch“ lässt sich der folgenden Stellungnahme entnehmen:

Der modale Antirealismus:

Ein eigentlicher Wirklich-Nichtwirklich-Unterschied zwischen der wirklichen Welt und den möglichen Welten, die von der wirklichen Welt verschieden sind, besteht nicht, denn alle möglichen Welten sind eigentlich wirklich. Die sog. „möglichen nichtwirklichen Welten“ oder „bloß möglichen Welten“ sind jedoch abstrakte Konstruktionen (von uns) – und als Abstrakta per se etwas Wirkliches; während „die (einzig) wirkliche Welt“ (die sogenannte) nun eben keine solche Konstruktion ist, sondern die vorfindliche Wirklichkeit in ihrer Kon-kretheit. Es besteht also doch ein abgrundtiefer Unterschied zwischen der wirklichen Welt und den übrigen möglichen Welten, nur dass dieser kein (eigentlicher) Wirklich-Nichtwirk-lich-Unterschied ist.

Der modale Antirealismus kann in verschiedenen Gestalten ausgeführt werden (deshalb kann man durchaus auch von „modalen Antirealismen“ sprechen, die in ihrer Verschiedenheit hier aber nicht thematisiert werden sollen), je nach gewählter Weise der Konstruktion der „nicht-wirklichen möglichen Welten“. Z. B. könnten sie als maximalkonsistente Mengen von Proposi-tionen konstruiert werden. Aber in welchem Sinne läge denn beispielsweise bei dieser Kons-

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truktionsweise eine eigentliche Konstruktion vor? Der entscheidende Punkt – der auch dann bestehen bleibt, wenn weder Mengen noch Propositionen Konstruktionen sind (auf welchen Standpunkt man sich ja stellen kann) – ist, dass dem Ausdruck „nichtwirkliche mögliche Wel-ten“ ein Sinn unterlegt wird, der offensichtlich kein eigentlicher Sinn dieses Ausdrucks ist, son-dern ein uneigentlicher . Diese Unterlegung eines uneigentlichen Sinns ist der eigentliche , von uns ausgeführte – oder besser gesagt: von einigen von uns ausgeführte – Akt der Konstruktion. (Offenbar kann man nach dieser Methode jederzeit auch „Hexen“ und „Einhörner“ konstruie-ren – wenn man das denn wollte.)

Der unterlegte Sinn ist kein eigentlicher Sinn des Ausdrucks „nichtwirkliche mögliche Wel-ten“, weil ja die sog. „nichtwirklichen möglichen Welten“ gemäß diesem Sinn eigentlich etwas Wirkliches sind. Hinter dieser Uneigentlichkeit des Sprachgebrauchs im modalen Antirealismus steht aber eine weitere: Der modale Antirealismus ist durchweg von einem Aktualismus bzgl. Welten inspiriert; zwar sei mehreres eine Welt (es ist gut für die philosophische Erkenntnis, dies anzunehmen, also einen philosophischen Weltbegriff zu haben, der dies zulässt), doch alle Welten seien eben etwas Wirkliches. Jedoch, wie in der Anmerkung am Schluss von Abschnitt 8 schon ausgeführt wurde, sind alle Verwendungen des Wortes „Welt“ [Verwendungen eines Sinns], wonach mehreres eine Welt ist und alle Welten etwas Wirkliches sind , uneigentliche , in einem weiten Sinn metaphorische Verwendungen dieses Wortes. Warum ist das so? Nun, weil der generelle Term „Welt“ (als perfekter genereller Term) in jedem eigentlichen Sinn vom singu-lären Term „die Welt“ semantisch abgeleitet ist (nicht umgekehrt) und durch diese Ableitung etwas mitgeteilt bekommen hat, was man als Existenzsingularität bezeichnen könnte: eine Art Erinnerung an seine Abkunft. Damit ist gemeint, dass das zugehörige Wirklichkeitsprädikat „x ist eine wirkliche Welt“ ungeachtet der Pluralität von Welt en [im selben eigentlichen Sinn von „Welt“] notwendigerweise auf eine und nur eine Entität zutrifft (womit gesagt sein soll, dass es notwendigerweise so ist, dass eine und nur eine Entität das Prädikat „x ist eine wirkliche Welt“ [im je gegebenen eigentlichen Sinn von „Welt“] erfüllt, und nicht gesagt sein soll, dass eine und nur eine Entität notwendigerweise das fragliche Prädikat erfüllt42).

Sollte man sich dem modalen Antirealismus anschließen? Dagegen spricht vor allem, dass gemäß dem modalen Antirealismus rein mögliche Welten – Welten, die möglich, aber nichts Wirkliches sind – durch aktuale Repräsentationen „von solchen“ ersetzt werden. Die Anfüh-rungsstriche sind berechtigt, denn die Repräsentationsintentionen dieser Repräsentationen

9. Modale Realismen und modaler Antirealismus(man könnte auch bei diesem letzteren Wort Anführungsstriche setzen) sind gemäß dem mo-dalen Antirealismus allesamt leer : sie repräsentieren nicht, was sie zu repräsentieren vorgeben: rein mögliche Welten. Nicht , dass das reine Möglichsein in reinen Möglichkeiten  – in Entitäten, die rein möglich sind – aufgeht (siehe dazu noch den folgenden Abschnitt); aber wenn das reine Möglichsein nichts, was etwas rein Mögliches ist, als Grundlage hat, dann sieht es mit dem rei-nen Möglichsein selbst schlecht aus. Sei „A“ ein kontingent falscher Satz [ will sagen : der großge-schriebene erste Buchstabe des lateinischen Alphabets vertritt hier einen zwischen Anführungs-zeichen stehenden – also angeführten – kontingent falschen Satz]. Der modale Antirealismus liefert keine Handhabe, die Wahrheit des Satzes „Es ist möglich, dass A“ dadurch zu begründen, dass man auf eine mögliche Welt verweist, in der der Satz „A“ wahr ist; denn wenn man als mo-daler Antirealist auf eine mögliche Welt zu verweisen scheint, in der „A“ wahr ist, auf eine rein mögliche, so verweist man in Wahrheit auf etwas Aktuales, was der Intention nach eine solche Welt repräsentiert, aber es tatsächlich nicht tut – und nennt dieses Aktuale selbst auch noch „eine mögliche Welt, eine rein mögliche“ und meint, alles sei bestens so. Mitnichten. Man kann den Satz „Es ist möglich, dass A“, wo der Satz „A“ selbst falsch ist, nicht dadurch begründen, dass man ein (aktuales) „A“-Bild vorlegt, von dem man behauptet, es sei eine mögliche Welt. Das ist so, als würde man mir beweisen wollen, dass ich mit einem Stab 5,40 m hochspringen kann, in-dem man mir (mit den Worten „Hier siehst du, dass du’s kannst“) ein Bild vorlegt, auf dem ich das tue. Ein solches Bild beweist, für sich genommen , mein Tunkönnen genauso wenig wie mein aktuales Getanhaben durch es bewiesen wird (wobei im letzteren Fall das Vorlegen des Bildes von den Worten „Hier siehst du, dass du’s getan hast“ begleitet wird).

Das einzige Motiv für den modalen Antirealismus ist der Aktualismus, „das Vorurteil zuguns-ten des Wirklichen“ (gemäß Alexius Meinong, „Über Gegenstandstheorie“, § 2), zumindest der Aktualismus bzgl. Welten – ein Motiv freilich, von dem sich viele bestimmen lassen. Der modale Antirealismus ist eine extreme Position in der Metaphysik der möglichen Welten; eine andere extreme Position dieser Metaphysik, eine, die den Extremismus schon im Namen führt, ist die folgende (und es wird sich wieder einmal bestätigen: les extr ê mes se touchent ); wie der modale Antirealismus beantwortet sie die Frage des modalen Realismus und die Frage der modalen Differenz „in einem Aufwasch“:

Der extreme modale Realismus:

Die möglichen Welten, die von der wirklichen Welt verschieden sind, sind wie die wirkliche Welt etwas an sich (nichts Konstruiertes). So sehr sind sie in dieser Hinsicht wie die wirk-liche Welt, dass die möglichen Welten (inklusive der wirklichen), was den Wirklich-Nicht-wirklich-Unterschied angeht, ganz gleichförmig sind (man könnte von einer „Isotropie des logischen Raumes“ sprechen): Relativ zu jeder möglichen Welt w ist zum einen diese selbst, w, etwas Wirkliches (also etwas Mögliches), sind zum anderen relativ zu ihr alle anderen mög-

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lichen Welten nichts Wirkliches, sind diese Welten aber relativ zu ihr auch etwas wenigstens im schwächsten Sinne Mögliches. Relativ zu jeder möglichen Welt w ist also diese selbst, w, die wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten. Den über den unendlich-fach wiederholten und dabei variierten weltenrelativen Wirklich-Nichtwirklich-Unterschied hinausgehenden einen, absoluten Wirklich-Nichtwirklich-Unterschied gibt es nur relativ zu uns [ohne dass hier eine Subjektrelativität im vertrauten Sinn vorläge], insofern, als wir in einer einzigen der möglichen Welten notwendigerweise modal verortet sind und nur dort modal verortet sein können. Das macht jene Welt zu der einen, absolut (und notwendiger-weise) wirklichen Welt, alle anderen möglichen Welten zu absolut (und notwendigerweise) nichtwirklichen.

Der vorletzte Satz der obigen Beschreibung des extremen modalen Realismus offenbart, dass dieser Realismus darauf festgelegt ist, uns  – die menschliche Personen – als Individuen mit mo-daler Dimension aufzufassen, und die möglichen Welten dementsprechend; wären wir nämlich Individuen ohne modale Dimension, so könnten wir keine notwendige modale Verortung in einer einzigen von ihnen haben, zusammen mit Unmöglichkeit der modalen Verortung in allen übrigen. Ohne die Auffassung von uns als modal dimensioniert würde somit jeder Begründung für einen absoluten  – wenigstens gewissermaßen absoluten  – Wirklich-Nichtwirklich-Unter-schied der Boden entzogen, und man könnte genauso gut sagen, alle möglichen Welten seien absolut wirkliche (hierin, z. B., berührt sich der extreme modale Realismus mit dem moda-len Antirealismus), wie man sagen könnte, alle seien absolut nichtwirkliche. Besonders elegant gelingt unsere notwendige Verortung in einer und nur einer möglichen Welt und unsere not-wendige Nichtverortung in jeder von ihr verschiedenen möglichen Welt in der materialistischen Modalmetaphysik des David Lewis, nach der wir und alle möglichen Welten – das sind für ihn die möglichen Raumzeiten – rein physische Individuen mit modaler und mit zeitlicher Dimen-sion sind. Wir sind nämlich gemäß dieser Modalmetaphysik deshalb in genau einer möglichen Welt notwendig verortet und in allen anderen möglichen Welten unmöglich verortet, weil von genau einer möglichen Welt, derselben für alle von uns , gilt, dass wir notwendigerweise ein raumzeitlicher Teil von ihr sind, während von jeder anderen möglichen Welten gilt, dass wir notwendigerweise kein raumzeitlicher Teil von ihr sind. [Von Lewis’ Metaphysik der möglichen Welten lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass sie eine paradigmatische Gestalt des extre- men modalen Realismus ist, wenn sie auch nicht eben eine paradigmatische Gestalt des modalen Realismus überhaupt ist – entgegen weit verbreiteter Ansicht.]

Ein Vergleich mag den extremen modalen Realismus veranschaulichen: Betrachten wir die Punktorte im Weltraum. Jeder dieser Punktorte ist relativ zu sich selbst hier , alle anderen Punkt-orte im Weltraum sind relativ zu ihm nicht hier , sondern dort . Keiner dieser Punktorte ist hin-gegen absolut hier oder absolut dort  – es sei denn, er wäre Ersteres bzw. Letzteres gewissermaßen

311

9. Modale Realismen und modaler Antirealismusdadurch, dass ich – vorübergehend eine räumlich fixierte Punktintelligenz – an genau einem der Punktorte im Weltraum notwendigerweise verortet bin und an allen anderen Punktorten unmöglich verortet sein kann.

Der extreme modale Realismus ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, in Misskredit zu bringen. Man könnte (zu Recht) einwenden, dass der extreme modale Realismus keine Kontingenz zulässt; denn die wirkliche Welt ist gemäß dem extremen mo-dalen Realismus notwendigerweise wirklich, alle anderen möglichen Welten sind gemäß ihm notwendigerweise nichtwirklich. Der extreme modale Realist würde darauf nur antworten, er wisse überhaupt nicht, was man meine: Zur wirklichen Welt gebe es zig Alternativen, die alle möglich sind. Ist ein Satz in der wirklichen Welt wahr, so wird er oftmals in einer dieser Al-ternativen zur wirklichen Welt falsch sein; also ist er kontingenterweise wahr. Ist er falsch, so wird er oftmals in einer dieser Alternativen zur wirklichen Welt wahr sein; also ist er kontin- genterweise falsch. Aber, wirft man ein, diese Alternativen zur wirklichen Welt sind doch alle tatsächlich nicht möglich , weil sie gar nicht wirklich sein können, denn das Merkmal, „uns zu beheimaten“, das gemäß dem extremen modalen Realismus der einen möglichen Welt not-wendigerweise zukommt, wodurch sie als notwendigerweise [absolut] wirklich bestimmt wird, kommt allen anderen „möglichen“ Welten mit Notwendigkeit nicht zu, wodurch sie alle als notwendigerweise [absolut] nichtwirklich bestimmt werden. „Wie?“, sagt daraufhin der ext-reme modale Realist. „Die von der wirklichen Welt verschiedenen möglichen Welten sollen nach meiner Lehre angeblich gar nicht möglich sein? Unsinn. Schlechterdings möglich ist jede Welt, die relativ zur wirklichen Welt im schwächsten Sinn möglich ist, also jede Welt , d. h. jede Raumzeit oder jedenfalls (materialismusneutral gesagt) jedes zeitlich und inhaltlich maximale Ereignis.“ Auf den weiteren Einwand, dass die Kontingenz, die der extreme modale Realismus noch zulasse, keine echte , keine genuine Kontingenz sei, wird der extreme modale Realist nur abermals antworten, er wisse gar nicht, was man meine; seine Kontingenz sei für ihn zu ein-hundert Prozent „echt“.

Jede weitere Diskussion erübrigt sich offenbar. Es prallen hier metaphysische Intuitionen auf-einander, die ebenso grundlegend wie unvereinbar sind. Was den extremen modalen Realismus extrem macht, das ist die Nivellierung des Wirklich-Nichtwirklich-Unterschieds, genauer ge-sprochen: dessen Beschränkung rein auf seine weltenrelative Form – was dann aber gewisser-maßen rückgängig gemacht wird, durch die Bezugnahme auf uns (aufgefasst als Individuen mit modaler Dimension), wodurch schließlich doch noch – zusätzlich zum weltenrelativen – ein nicht weltenrelativer, sondern absoluter Wirklich-Nichtwirklich-Unterschied ermöglicht wird. Welcher dann aber wiederum nicht so absolut ist, wie er zunächst scheinen mag; denn unsere Gegenstücke in anderen möglichen Welten – menschliche Personen wie wir  – sind ja dort in der gleichen ontologisch-epistemologischen Lage wie wir hier , und die extremen modalen Realisten unter ihnen werden demzufolge ihren absoluten („absoluten“ – möchte man schreiben) Wirk-

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lich-Nichtwirklich-Unterschied formal in derselben Weise wie die extremen modalen Realisten bei uns treffen, inhaltlich aber in anderer Weise (nämlich auf ihre Welt bezogen).

Mit dem modalen Antirealismus berührt sich der extreme modale Realismus darin, dass bei ihm, wie bei der erstgenannten Position, alle möglichen Welten für absolut wirkliche Welten erachtet werden können (wie schon erwähnt). Ein weiterer Berührungspunkt ist der, dass dem modalen Antirealismus und dem extremen modalen Realismus ein Subjektbezug natürlich ist, nämlich auf uns menschliche Personen, im Fall des Antirealismus als „Konstrukteure“ der nichtwirklichen (oder vielmehr: „nichtwirklichen“) möglichen Welten, im Fall des extremen Realismus als „Entrelativierer“ des Wirklich-Nichtwirklich-Unterschieds. [Wegen dieses Sub-jektbezugs – der freilich keiner im vertrauten Sinn ist – entbehrt der extreme modale Realismus nicht einer gewissen in ihn eingebauten metaphysischen Ironie.]

An die Seite des modalen Antirealismus und des extremen modalen Realismus tritt eine drit-te Position, die, anders als man vielleicht meinen könnte, keineswegs einen Kompromiss zwi-schen den beiden darstellt. Wie jene Positionen lässt auch sie sich auffassen als die Kombination einer Antwort auf die Frage des modalen Realismus mit einer Antwort auf die Frage der modalen Differenz :

Der offene modale Realismus:

Die möglichen Welten, die von der wirklichen Welt verschieden sind, sind wie die wirkliche Welt etwas an sich (nichts Konstruiertes). Neben dem weltenrelativen Wirklich-Nichtwirk-lich-Unterschied (siehe dessen Beschreibung im Rahmen der Beschreibung des extremen modalen Realismus) besteht ein absoluter Wirklich-Nichtwirklich-Unterschied zwischen der wirklichen Welt und den nichtwirklichen, bloß möglichen Welten. Er besteht an sich (ist nichts Konstruiertes), ja er hat begrifflich überhaupt nichts mit uns zu tun (wenn wir auch de facto an seinem Zustandekommen gewissermaßen kausal – „mitkausal“ – beteiligt sein mögen; siehe dazu den übernächsten Abschnitt).

Der offene modale Realismus kann vier globale Gestalten annehmen, je nachdem, ob das Wirk-lichsein derjenigen möglichen Welt, die etwas Wirkliches ist, ihr essenziell ist oder nicht, und ihr intrinsisch ist oder nicht. Erinnern wir uns zunächst an den Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welten : „Die Welt ist die wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Wel-ten.“ Sofern man überhaupt Metaphysik der möglichen Welten betreibt, im Rahmen einer sol-chen Metaphysik eine Position einnimmt, gilt es, den Zentralsatz als eine Wahrheit zu respektie-ren. Der modale Antirealismus und der extreme modale Realismus (in all ihren verschiedenen Gestalten) respektieren den Zentralsatz als eine Wahrheit durchaus – aber sie tun es gewisser-maßen nur dem Buchstaben nach. Das ist deshalb so, weil gemäß diesen modalmetaphysischen Positionen eigentlich keine der von der wirklichen Welt verschiedenen möglichen Welten an-

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9. Modale Realismen und modaler Antirealismus stelle derjenigen möglichen Welt, die die wirkliche ist, hätte die wirkliche sein können. Die von der wirklichen Welt verschiedenen möglichen Welten sind also bei diesen Positionen eigentlich keine möglichen Welten, sie werden bei ihnen nur „mögliche“ genannt . [Und wiederum bestä-tigt sich: les extr ê mes se touchent .]

Bei zwei Globalgestalten des offenen modalen Realismus verhält es sich nun durchaus nicht anders, als es soeben bzgl. des modalen Antirealismus und des extremen modalen Realismus dargestellt worden ist, nämlich bei derjenigen Globalgestalt des offenen modalen Realismus, wo das Wirklichsein derjenigen möglichen Welt, die etwas Wirkliches ist, ihr intrinsisch und essenziell, also ihr intrinsisch-essenziell ist, und bei derjenigen Globalgestalt, wo das Wirklich-sein ihr nicht intrinsisch, aber doch essenziell, also ihr extrinsisch-essenziell ist. Anders gesagt: Bei der ersten Globalgestalt des offenen modalen Realismus ist die fragliche Welt aus sich allein heraus etwas Wirkliches, bei der zweiten Globalgestalt ist sie es zwar ebenfalls aus sich he- raus , aber nicht aus sich allein heraus.43 Bei beiden Gestalten folgt, dass es für jede der anderen möglichen Welten unmöglich ist, etwas Wirkliches zu sein, dass man also, recht besehen, bei ihnen in Anführungszeichen von „möglichen“ Welten sprechen muss (d. h., nicht im eigentli- chen Sinn von möglichen Welten sprechen kann). Es folgt dies dann , wenn der Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welten nicht nur als Wahrheit, sondern als (absolut) notwendige Wahrheit angenommen wird; davon aber, dass der Zentralsatz eine notwendige Wahrheit ist , sei hier ausgegangen

Wie folgt dann das oben eben als Folge Behauptete? Sei w* die mögliche Welt, die essenziell etwas Wirkliches ist (davon, dass es eine solche mögliche Welt gibt, wird bei beiden eben be-trachteten Gestalten des offenen modalen Realismus ausgegangen); dies ist die Annahme 1 . Sei es nun aber einer von w* verschiedenen möglichen Welt w´ möglich, etwas Wirkliches zu sein; das ist die Annahme 2 , die, wie zu zeigen ist, der Annahme 1 vor dem Hintergrund der notwen-digen Wahrheit des Zentralsatzes widerspricht (wodurch das Behauptete etabliert wird). Da w* notwendigerweise etwas Wirkliches ist ( Annahme 1 ), folgt mit der Annahme 2 , dass es möglich ist, dass sowohl w´ als auch w* zusammen wirklich sind.44 Dann kann es aber – entgegen der vorausgesetzten Notwendigkeit des Zentralsatzes  – nicht notwendig sein, dass die Welt die wirk-liche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten ist; denn von der wirklichen Welt kann bei der gefolgerten Möglichkeit ja nicht die Rede sein.45

Dass es zur Folge hat, dass sich Welten, die „möglich“ genannt werden, als eigentlich nicht möglich entpuppen, ist ein Grund, der gegen das – intrinsisch oder extrinsisch – essenzielle Wirklichsein der möglichen Welt, die wirklich ist, spricht. Gewichtiger steht diesem aber ent-gegen, dass es geradezu unwiderstehlich so erscheint, als sei jene Welt nicht notwendigerweise wirklich, sondern nur kontingenterweise: sie hätte auch nicht wirklich sein können (wenn dies oder jenes – insbesondere manches Furchtbare – nicht der Fall gewesen wäre, oder nicht gesche-hen wäre). Der machtvollen Grundintuition der contingentia mundi (eigentlich: contingentia actualitatis mundi actualis ) sollte man sich nicht widersetzen. Es sei denn, man ist von der gegenteilige Grundintuition – der der necessitas mundi  – gleichsam religiös überwältigt, wie Spinoza es war, oder hat wenigstens ein Argument für diese necessitas , wie Leibniz (der freilich – theologisch konform – nicht zugegeben hätte, dass sein Argument sich gegen die Kontingenz der Welt richtete). Leibnizens Argument sieht rekonstruiert wie folgt aus (unrekonstruiert ist es implizit in der Theodizee ):

1. Prämisse : Es ist (absolut) notwendig: Von jeder möglichen Welt w gilt mit (absoluter) Not-wendigkeit: Gott verwirklicht w genau dann, wenn w eine beste mögliche Welt ist und keine von w verschiedene mögliche Welt eine beste ist.

2 Prämisse : Es ist (absolut) notwendig: Von einem w gilt mit (absoluter) Notwendigkeit: w ist eine beste mögliche Welt und keine von w verschiedene mögliche Welt ist eine beste.3. Prämisse : Es ist (absolut) notwendig: Von jeder möglichen Welt w gilt mit (absoluter) Not-wendigkeit: w ist nur dann wirklich, wenn Gott sie verwirklicht.

9. Modale Realismen und modaler AntirealismusDie Deduktion aus den drei Prämissen geht wie folgt: Aus der 2. Prämisse folgt: (a) „Von genau einem w gilt mit Notwendigkeit: w ist eine beste mögliche Welt und keine von w verschiedene möglichen Welt ist eine beste“. „Die notwendig beste mögliche Welt“ stehe abkürzend für den Kennzeichnungsterm „dasjenige w, sodass notwendigerweise w eine beste mögliche Welt ist und [ebenso notwendig] keine von w verschiedene mögliche Welt eine beste ist“. Aus (a) folgt dann kennzeichnungslogisch und unter Verwendung der Abkürzung: (b) „Es ist notwendig: die not- wendig beste mögliche Welt ist eine beste mögliche Welt und keine von der notwendig besten möglichen Welt verschiedene mögliche Welt ist eine beste“. Aus (b) ergibt sich zusammen mit der 1. Prämisse modal-prädikatenlogisch: (c) „Es ist notwendig: Gott verwirklicht die notwendig beste mögliche Welt “, worin logisch liegt: (d) „Es ist notwendig: die notwendig beste mögliche Welt ist wirklich“.

Angenommen nun , für eine von der notwendig besten möglichen Welt verschiedene mögliche Welt w´ wäre es möglich, wirklich zu sein. Dann müsste es für w´ gemäß der 3. Prämisse auch möglich sein, von Gott verwirklicht zu sein. Dann müsste es für w´ gemäß der 1. Prämisse auch möglich sein, eine beste mögliche Welt zu sein. Dann müsste es für w´ auch gemäß (b) möglich sein, mit der notwendig besten möglichen Welt identisch zu sein. Dann wäre w´ aber von der not- wendig besten möglichen Welt gar nicht verschieden46 – im Widerspruch zur Annahme . Mithin ist gezeigt: (e) „Jede von der notwendig besten möglichen Welt verschiedene mögliche Welt ist notwendigerweise nicht wirklich“, also ist auch gezeigt (da für die Herleitung von (e) nur Not-wendigkeiten benutzt wurden): (f) „Es ist notwendig: Jede von der notwendig besten möglichen Welt verschiedene mögliche Welt ist notwendigerweise nicht wirklich“.

Als ein triviales Korollar von (b) (das oben im Schritt von (b) nach (c) schon implizit benutzt wurde) haben wir zudem: (g) „Es ist notwendig: die notwendig beste mögliche Welt ist eine mög-liche Welt“. Aus (d), (f) und (g) ist nun ersichtlich, dass die mögliche Welt, die wirklich ist, mit Notwendigkeit die notwendig beste mögliche Welt ist, und also (wegen (d)) notwendigerweise, mithin essenziell , wirklich ist. Ihr Wirklichsein kann aber schwerlich als „intrinsisch-essenziell“ bezeichnet werden; es ist ihr extrinsisch-essenziell : sie ist aus sich heraus wirklich, aber nicht aus sich allein heraus wirklich (nämlich nicht aus sich allein heraus wirklich ist sie im Blick auf den Wertvergleich zwischen ihr und den anderen möglichen Welten und im Blick auf Gottes Ver-wirklichen).

Die Logik des nun vollständig gegebenen rekonstruiert-leibnizianischen Arguments für die ne- cessitas mundi ist komplex; aber das Problem an dem Argument ist nicht seine Logik, sondern es sind seine Prämissen. Jede von diesen kann angezweifelt werden, und zwar auch dann, wenn man davon überzeugt ist, dass Gott intrinsisch-notwendigerweise (d. h.: aus sich allein heraus) etwas Wirkliches ist, und zudem gar nicht darauf schaut, dass aus den drei Prämissen auch die äußerst unglaubwürdige Behauptung logisch folgt, dass die wirkliche Welt (also: die mögliche Welt, die etwas Wirkliches ist) die notwendig beste mögliche Welt ist – eine Behauptung, die Leibniz vor allem Spott und Empörung eingebracht hat (denken wir an Voltaire, denken wir an Schopenhauer).

Gegen die 1. Prämisse kann vorgebracht werden, dass die Vorstellung göttlicher Vollkommen-heit, die ihr zugrunde liegt, eine extrem rationalistische ist – eine, die Gott zur Erschaffungs-inaktivität verurteilt, solange das Zielobjekt der Erschaffung nicht das einzige beste unter den möglichen Alternativen ist, wenn es das aber ist, ihn zur Erschaffungsaktivität zwingt. Mit der Souveränität Gottes in seinem Handeln ist es danach nicht weit her.

Gegen die 2. Prämisse kann vorgebracht werden, dass sie eine vollkommen aus der Luft ge-griffene Annahme ist (es sei denn man schielte zirkelhafter- und unzulässigerweise von vor-herein auf das, was bei dem Argument herauskommen soll). Eventuell könnte doch überhaupt keine mögliche Welt eine beste sein, sondern zu jeder könnte es eine bessere geben; und selbst wenn es eine beste mögliche Welt gäbe (eine gute mögliche Welt, sodass es keine bessere gibt), dann könnte es doch eventuell mehrere davon geben (eine so gut wie die andere). Uns Men-

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9. Modale Realismen und modaler Antirealismusschen fehlt jeglicher epistemische Hebel zur Begründung oder auch nur zur Untermauerung der 2.  Prämisse. (Eines aber wissen wir sicher: Die mögliche Welt, die wirklich ist, scheint keine beste mögliche Welt zu sein.)

Gegen die 3. Prämisse kann vorgebracht werden, dass eine mögliche Welt doch auch wirklich sein könnte, ohne dass sie von Gott verwirklicht (geschaffen) ist; das wäre angesichts des Wirk-lichseins dieser gewissen möglichen Welt – nämlich derjenigen, die wir am besten kennen – un-ausweichlich der Fall, wenn Gott gar nichts Wirkliches ist; oder zwar etwas Wirkliches ist, sich aber aufs bloße Zuschauen beschränkt (im Anfang, jetzt und immerdar); oder an der Verwirkli-chung der Welt  – „Die Welt ist die wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten“ lautet der Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welten – zwar beteiligt ist, doch dafür nicht allein verantwortlich ist. (Im letzteren Fall würde ein Agens die Welt verwirklichen, bei dem Gott „mit dabei“ ist, vielleicht an zentraler Stelle, aber doch nicht Er .)

Es bleibt (so weit ich sehe) dabei, dass zwei Globalgestalten des offenen modalen Realismus der Plausibilität entbehren: diejenige, wo das Wirklichsein der wirklichen Welt ihr intrinsisch-essenziell ist, und diejenige, wo das Wirklichsein der wirklichen Welt ihr extrinsisch-essenziell ist. Wie steht es mit den beiden anderen Globalgestalten des offenen modalen Realismus: die-jenige, wo das Wirklichsein der wirklichen Welt ihr intrinsisch, aber nicht essenziell ist, und die-jenige, wo das Wirklichsein der wirklichen Welt dieser nicht intrinsisch und nicht essenziell ist. Die erstere von diesen beiden anderen Globalgestalten des offenen modalen Realismus ist man geneigt, ohne Weiteres auszuschließen – aus dem Grund, weil „Intrinsität hin zur Essenzialität treibt“: Es besteht die Neigung anzunehmen, dass wenn das Wirklichsein der wirklichen Welt dieser intrinsisch ist, es ihr auch essenziell sein muss. Das ist aber eine Illusion; aus „intrinsisch“ „essenziell“ zu folgern, stellt ein non sequitur dar – ebenso, wie es umgekehrt ein non sequitur ist, aus „essenziell“ „intrinsisch“ zu folgern.47

Mit der Idee, dass eine und nur eine mögliche Welt intrinsisch, doch kontingenterweise wirk-lich ist, hat es freilich seine Schwierigkeiten . Erstens : Was heißt es eigentlich, dass eine Eigen-schaft y dem x intrinsisch ist? Tatsächlich gibt es zwei Stufen von Intrinsität: (i) y ist dem x in erster Stufe intrinsisch genau dann, wenn x y hat und, dass x y hat, schon herausgefunden werden kann, wenn man seinen Blick [will sagen: seine Erkenntniskraft] auf x allein [einschließlich sei-ner eventuellen Teile] beschränkt; (ii) y ist dem x in zweiter Stufe intrinsisch genau dann, wenn x y hat und, dass x y hat, schon [explanatorisch] erklärt48 werden kann, wenn man seinen Blick auf x allein beschränkt. Die Intrinsität 2. Stufe ist offensichtlich logisch stärker als die Intrinsität 1. Stufe. So ist beispielsweise die Eigenschaft, zu leuchten, dem Mond in 1. Stufe intrinsisch, aber nicht in 2.; der Sonne hingegen ist die Eigenschaft, zu leuchten, in 2. Stufe intrinsisch (folglich auch in 1.). Offensichtlich sind, zweitens , die beiden Intrinsitätsbegriffe beide (erkenntnis)subjekt-abhängig und eher epistemologischer als metaphysischer Natur. Schließlich, drittens , ist das Be-deuten, das Sinnhaben der zwei Intrinsitäts prädikate bei erreichtem Analysestand immer noch vage , sodass eigentlich bislang gar nicht eindeutig festliegt, welche Begriffe genau von ihnen zum Ausdruck gebracht werden.

Die beiden Intrinsitätsprädikate sind alles andere als ideale metaphysische Prädikate. Doch auf die Dienste, die sie, so wie sie sind , leisten können, soll nicht verzichtet werden. Soll dann „y ist dem x intrinsisch“ so viel besagen wie „y ist dem x in erster Stufe intrinsisch“, oder so viel wie „y ist dem x in zweiter Stufe intrinsisch“? Anstatt hier eine Entscheidung zu fällen, lohnt es sich vielmehr, die semantische Unterscheidung, die im vorausgehenden Absatz getroffen wurde, kaum dass sie gemacht ist, nicht gleich wieder syntaktisch zu verschlucken. Es kann dann gesagt werden (vielmehr: es ist dann zu sagen), dass das Wirklichsein derjenigen möglichen Welt, die wirklich ist, ihr in erster Stufe intrinsisch ist. Was hingegen höchst zweifelhaft ist, ist dies: dass das Wirklichsein ihr auch in zweiter Stufe intrinsisch ist.

Wir sagen von Eigenschaften y: (i´) y ist dem x in erster Stufe extrinsisch genau dann, wenn x y hat und, dass x y hat, nicht schon erklärt werden kann, wenn man seinen Blick auf x allein be-schränkt; (i´´) y ist dem x in zweiter Stufe extrinsisch genau dann, wenn x y hat und, dass x y hat, nicht schon herausgefunden werden kann, wenn man seinen Blick auf x allein beschränkt. Zur Illustration: Die Eigenschaft, zu leuchten, ist dem Mond in 1. Stufe extrinsisch, aber nicht in 2.; die Eigenschaft, im Mittel 384403 km von der Erde entfernt zu sein, ist dem Mond in 2. Stufe extrinsisch (darum auch in 1.).

Ist es höchst zweifelhaft, dass das Wirklichsein derjenigen möglichen Welt, die wirklich ist, ihr in zweiter Stufe intrinsisch ist, dann besagt dies nichts anderes, als dass es äußerst glaub-

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9. Modale Realismen und modaler Antirealismushaft ist, dass es ihr in erster Stufe extrinsisch ist: dass sie die Eigenschaft, etwas Wirkliches zu sein, hat und diese Tatsache, nicht schon dann erklärt werden kann, wenn man seinen Blick auf jene mögliche Welt allein beschränkt. Weshalb ist das so? Deshalb: Man findet in der wirklichen Welt keinen ihr innerlichen hinreichenden Grund für ihr Wirklichsein. Und in den anderen möglichen Welten findet man keinen ihnen innerlichen hinreichen-den Grund für deren Nichtwirklichsein. Das legt außerordentlich nahe, dass der Grund für das Wirklichsein der einen möglichen Welt – der Welt  –, und damit für das Nichtwirklich-sein aller anderen möglichen Welten (gemäß dem [notwendig geltenden] Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welt , da aus ihm folgt [weil die Welt notwendig nicht Nichts ist; vgl. Fußnote 45], dass genau eine mögliche Welt wirklich ist), außerhalb von ihr zu suchen ist   – wenn es denn für ihr Wirklichsein einen hinreichenden Grund überhaupt gibt und sie nicht „einfach so“  – ohne jeden Grund  – etwas Wirkliches ist. Aber forscht nicht die Naturwissenschaft, insbesondere die Physik, nach jenem Grund und kommt ihm  – doch sichtlich – immer näher? Dazu ist zu sagen, dass zwar immer wieder medienwirksam und finanzierungsförderlich so, als wäre es so, getan und getönt wird, etwa wenn die lange ge-suchten Gravitationswellen endlich gefunden oder von der Theorie geforderte Teilchen end-lich nachgewiesen sind. Doch was mit diesen wissenschaftlichen Erfolgen nun eigentlich erreicht ist, ist gerade nicht eine Annäherung an eine Beantwortung der Frage nach dem Grund für das Wirklichsein der wirklichen Welt, sondern nur: ein besseres Kennenler-nen der Binnenstruktur der wirklichen Welt. Einer Beantwortung der Frage, warum gera- dedas da“ die Wirklichkeit ist und nicht etwas anderes, kommt man mit einer besseren In-sich-Beschreibung der Wirklichkeit (auch wenn sie sich seit den Tagen, als die Physik des Aristoteles herrschte, extrem verbessert hat) nicht einen Schritt näher.

Die verbleibenden beiden, der Form nach antithetischen Globalgestalten des offenen mo-dalen Realismus – also: die Intrinsisch-und-nicht-essenziell-Auffassung (vom Wirklichsein der möglichen Welt, die wirklich ist) und die Nicht-intrinsisch-und-nicht-essenziell-Auffassung , oder kürzer: die Intrinsisch-und-kontingent - Auffassung und die Extrinsisch-und-kontingent- Auffassung  – verschmelzen bei näherem Zusehen, wie nun deutlich geworden ist, synthetisch zu einer (d. h.: sie lassen sich theoriegünstig so verstehen): derjenigen, wo das Wirklichsein der wirklichen Welt dieser in 1. Stufe intrinsisch, aber nicht in 2. Stufe intrinsisch ist und dieser nicht essenziell ist, oder m. a. W.: zu der Auffassung, bei der das Wirklichsein der wirklichen Welt ihr in 1. Stufe intrinsisch, aber in 1. Stufe auch extrinsisch ist [das ist kein Widerspruch!] und ihr zudem kontingent ist. Mit dieser Form des modalen Realismus – die ganz anders ist als der extreme modale Realismus, da sie ja eine Gestalt des offenen modalen Realismus ist – sind wir nun bei der annehmbarsten Form des modalen Realismus angelangt, und es ist zugleich auch die annehmbarste Position überhaupt in der Metaphysik der möglichen Welten. Gehen wir von ihr aus.

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Die metaphysische Lage, die sich uns darbietet, lässt sich in einer anschaulichen Allegorie zusammenfassen (ich brauche nicht zu betonen, wie sehr andere Theoretiker von der Botschaft des Bildes abweichen, denn ich habe deren Abweichungen bereits sehr deutlich gemacht; ich brauche auch nicht zu betonen, dass das Bild, wie jede Allegorie, „hinkt“): Die wirkliche (die leuchtende) Welt leuchtet (was nichts von uns Konstruiertes ist) allein in der Dunkelheit des (sog.) logischen Raumes, der von ihr und alle anderen (an sich seienden, nicht von uns konst-ruierten) möglichen Welten gebildet wird. Sie hätte auch nicht leuchten können, und an ihrer Stelle hätte auch jede andere mögliche Welt leuchten können (wobei aber unter allen möglichen Welten genau eine leuchten muss – so will es das Gesetz [alias der Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welten ]). Die wirkliche Welt leuchtet jedoch nicht mit selbsterzeugtem Licht (wie die Sonne), sondern mit fremderzeugtem (wie der Mond). Ihr Leuchten liegt nur gleichsam auf ihr. Die Frage drängt sich geradezu auf: Warum verhält es sich ausgerechnet bei dieser gewissen möglichen Welt, der – de facto – wirklichen, so , und nicht bei einer anderen?

10. Ist das Möglichsein durch mögliche Welten immer adäquat darstellbar?

Die Betrachtung möglicher Welten gibt Anlass zu einer Frage, die, obwohl sie die Transzenden-talie möglich betrifft und also an sich in Kapitel 3 gehört, tatsächlich erst jetzt den geeigneten Ort hat, gefragt und beantwortet zu werden.

Mit dem Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welten – dem wahren, ja notwendiger-weise wahren Satz „Die Welt ist die wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Wel-ten“49 – sind so viele „Welt-Szenarien“ (möchte ich sie nennen) vereinbar, wie es mögliche Wel-ten gibt. Um einige von diesen Welt-Szenarien aufzuzählen: 1. dass w1 die wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten ist; 2. dass w2 die wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten ist; 3. dass w3 die wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten; usw . [wobei die möglichen Welten in {w1

, w2

, w3

, usw .} alle voneinander verschieden sind]. Die Welt-Szenarien – kategorial handelt sich bei ihnen um Propositionen (K15) – schei-

10. Ist das Möglichsein durch mögliche Welten immer adäquat darstellbar? nen miteinander unvereinbar, sind aber tatsächlich vereinbar, ja allesamt wahr, wenn in ihren Namen (von denen einige soeben beispielhaft angegeben wurden) „wirkliche“ jeweils relativ zur möglichen Welt, um die es gerade geht, verstanden wird, also: als „in w1 wirkliche“, bzw. als „in w2 wirkliche“, bzw. als „in w3 wirkliche“ usw . Denn es ist wahr, dass wj die in wj wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten ist; und es ist damit selbstverständlich vereinbar, dass wk die in wk wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten ist. Miteinander unvereinbar und gar nicht allesamt wahr werden sie allerdings, wenn „wirkliche“ in den besagten Namen als „absolut wirkliche“ verstanden wird – so verstanden wird, wie „wirkliche“ hier nun auch verstanden werden soll . Es folgt dann (unter der plausibelsten Gestalt des modalen Realis-mus und der Metaphysik der möglichen Welten: siehe das Ergebnis des vorausgehenden Ab-schnitts), dass zwar alle Welt-Szenarien möglich  – nämlich möglicherweise wahr  – sind, dass aber auch alle, bis auf ein einziges von ihnen, nicht wahr sind, vielmehr ihre jeweiligen Negationen wahr (also trivialerweise auch möglich) sind. Nun die Frage: Wodurch sind die nichtwahren Welt-Szenarien möglich ? Denn, wenn sie auch nicht wahr sind, möglich sind sie doch, ebenso wie die Negation des einzigen Welt-Szenarios, das wahr (also trivialerweise auch möglich) ist, immerhin ebenfalls möglich ist. Dies, insgesamt, ist das Kontingenzresultat in der Metaphysik der möglichen Welten, zu dem wir gelangt sind.

Dazu ist zunächst zu sagen, dass die aufgeworfene Frage nicht trivial ist. Es genügt nicht, auf das Wirklichsein aller abstrakten singulären Entitäten zu verweisen und zu sagen, dass folg-lich auch alle Propositionen (da abstrakt), mithin alle Welt-Szenarien (da Propositionen) et-was Wirkliches, also auch etwas Mögliches seien. Denn bei „möglich“ geht es hier eben nicht um möglicherweise wirklich , sondern um möglicherweise wahr . Im Sinne der überaus populären Mögliche-Welten-Analyse des Möglichseins ( der Wahrheit von Propositionen )50 könnte nun ei-ner sagen: Ein nichtwahres, sondern falsches Welt-Szenario ist dadurch möglich ( möglicherweise wahr ), dass es in (oder relativ zu) einer möglichen Welt wahr ist.

Betrachten wir ein Beispiel: das Welt-Szenario, dass w2 die [absolut] wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten ist; dieses Welt-Szenario sei nicht wahr. Nun ist es aber dennoch möglich . Wodurch? Nun sieht man sogleich ein unüberwindliches Problem für die ins Auge gefasste Antwort auf diese Frage: Die Proposition [das Welt-Szenario], dass w2 die [ab-solut] wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten ist, ist in keiner möglichen Welt wahr (sondern ihre Negation ist in jeder möglichen Welt wahr). Und so geht es jeder mit einer möglichen Welt wgebildeten Proposition der Gestalt, dass w die [absolut] wirkliche Welt unter den unendliche vielen möglichen Welten ist, sofern diese Proposition nicht wahr ist: sie ist in keiner möglichen Welt wahr, ist also gemäß der Mögliche-Welten-Analyse der alethischen Modalitäten unmöglich . Für die eine Proposition aber unter jenen Propositionen, die wahr ist – für die gilt: sie ist in jeder möglichen Welt wahr, sie ist also gemäß der Mögliche-Welten-Analyse der alethischen Modalitäten notwendig . Mithin: Die Mögliche-Welten-Analyse der [alethischen] Modalitäten liefert nicht die richtigen Antworten.

Wie soll man nun mit diesem Resultat umgehen? Erweist sich die Intuition absoluter Kontin-genz, die im vorausgehenden Abschnitt „auf den Thron gehoben wurde“, am Ende als Illusion? Wohl nicht; sondern es ist schlicht zu konstatieren, dass die Mögliche-Welten-Analyse des Mög-

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10. Ist das Möglichsein durch mögliche Welten immer adäquat darstellbar? lichseins und ihre Genossen  – die entsprechenden Mögliche-Welten-Analysen des Unmög-lich- und des Notwendigseins – von begrenzter Anwendbarkeit sind. Sie sind angesichts der absoluten Kontingenz des Wirklichseins und Nichtwirklichseins möglicher Welten, bei absolut notwendiger Einzahl der wirklichen Welt unter ihnen, ebenso, nur in ganz anderer Ausformung, von begrenzter Anwendbarkeit wie die oben im letzten Exkurs schon parenthetisch benannte Zweite Mögliche-Welten-Analyse des Möglichseins , „Etwas ist [ontisch51] möglich genau dann, wenn es in einer möglichen Welt etwas Wirkliches ist“, und deren Genossen, nämlich die Zweite Mögliche-Welten-Analyse des Unmöglichseins und die Zweite Mögliche-Welten-Analyse des Notwendigseins: „Etwas ist [ontisch] unmöglich genau dann, wenn es in keiner möglichen Welt etwas Wirkliches ist“; „Etwas ist [ontisch] notwendig genau dann, wenn es in jeder möglichen Welt etwas Wirkliches ist“. Die eine mögliche Welt, die etwas [absolut] Wirkliches ist, ist in [relativ zu] sich selbst wirklich, in allen anderen möglichen Welten nicht wirklich; jede der (un-endlich vielen) anderen möglichen Welten, die alle nicht etwas [absolut] Wirkliches sind, ist ganz genauso wie die [absolut] wirkliche Welt in sich selbst wirklich, in allen anderen Welten nicht wirklich. Jede mögliche Welt ist also gemäß jenen Zweiten Analysen weder [ontisch] un-möglich noch [ontisch] notwendig. Der Kontingenz des Wirklichseins und Nichtwirklichseins aller möglichen Welten wird hier also verbal nicht widersprochen; aber die gleichmacherische Kontingenz , die die Zweit-Analysen liefern (nämlich ohne Rücksicht auf das herausragende [ab-solute] Wirklichsein einer einzigen möglichen Welt), ist nun gerade nicht die gemeinte Kontin-genz.

Es ist also festzuhalten, dass das alethische bzw. ontische Möglichsein – wie auch das ale-thische bzw. ontische Unmöglich- und Notwendigsein – durch mögliche Welten – d. h.: durch das, was in diesen wahr bzw. wirklich ist – nicht immer adäquat darstellbar ist. Das Möglichsein geht nicht auf in Möglichkeiten: in Entitäten, die möglich sind, auch nicht in möglichen Welten (also: in maximalumfassenden, dabei kategorial klassifizierbaren Möglichkeiten). Denn jedes Welt-Szenario, das von einem gewissen Welt-Szenario verschieden ist, ist nicht alethisch un-möglich, obwohl es in keiner möglichen Welt wahr ist, und jenes eine gewisse Welt-Szenario ist nicht alethisch notwendig, obwohl es in jeder möglichen Welt wahr ist. Und jede mögliche Welt ist noch in einem stärkeren Sinn ontisch möglich als nur in dem Sinn, dass sie in einer mög-lichen Welt – nämlich in ihr selbst – etwas Wirkliches ist; jede mögliche Welt ist unbeschadet ihres ontischen Möglichseins noch in einem stärkeren Sinn nicht ontisch notwendig, als nur in dem Sinn, dass sie in einer möglichen Welt, ja in allen von ihr verschiedenen möglichen Welten, nichts Wirkliches ist.

Im Grunde ist dies nicht so verwunderlich, wie es auf den ersten Blick aussieht. Denn eine mögliche Welt ist ja auch nicht korrekt definierbar als eine Welt, die in einer möglichen Welt wahr bzw. wirklich ist. Beide Definitionen – die eine mit „wahr“, die überhaupt nur „ginge“, wenn Welten Propositionen wären, was nur zum modalen Antirealismus passt; die andere mit „wirklich“ – sind offensichtlich zirkulär . Prima facie könnte man aber meinen, dies ließe sich leicht reparieren: indem man das Wort „möglich“ im Definiens einfach weglässt. Aber eine mögliche Welt ist auch nicht eine Welt, die in (mindestens) einer Welt wahr bzw. wirklich ist. Denn zu Recht kann man fragen: Warum sollte das Wahrsein bzw. Wirklichsein einer Welt x in einer Welt y denn x möglich machen, zumal y doch keine andere Welt sein kann als x selbst (denn in jeder von x verschiedenen Welt ist die Welt x nicht wahr bzw. nicht wirklich)? Die Proposition, dass 2+2 = 5, wird doch auch nicht schon dadurch möglich, dass gilt: dass 2+2 = 5, ist wahr in [relativ zu] sich selbst. Und das Andere Individual Anna Karenina wird doch auch nicht schon dadurch möglich, dass gilt: Anna Karenina ist wirklich in [relativ zu] sich selbst. [Oder ist eine notwendige Bedingung dafür, dass x möglich ist, dass y, worin x wahr bzw. wirk-lich ist, eine Welt ist? – Wäre das eine notwendige Bedingung, so wäre es doch noch lange keine hinreichende.]

Schon der Ausdruck „mögliche Welt“ verweist also auf einen absoluten Möglichkeitsbegriff, der auch in der Hinsicht absolut ist, dass er nicht mittels „x ist in y wahr“ bzw. „x ist in y wirk-lich“ auf andere Begriffe reduzierbar ist; welchem Möglichkeitsbegriff ein absoluter Unmöglich-keits- und ein absoluter Notwendigkeitsbegriff entsprechen, bei denen diese Nichtreduzier-barkeit ebenfalls besteht. Unter Verwendung solcher Modalbegriffe gilt in der annehmbarsten Gestalt des modalen Realismus, bei der wir im vorausgehenden Abschnitt angelangt sind: Jede der unendlich vielen Welten ist möglich [möglicherweise wirklich], aber keine notwendig [not-wendigerweise wirklich], und es ist notwendig [notwendigerweise wahr], dass genau eine unter den möglichen Welten wirklich ist. (Aber für keine von diesen Welten ist es notwendig [notwen-digerweise wahr], dass sie wirklich ist! Sonst wäre ja eine von diesen notwendig [notwendiger-weise wirklich].52)

11. Die Erklärung des Wirklichseins der wirklichen Welt

11. Die Erklärung des Wirklichseins der wirklichen Welt

Sei „W*“ – anders als der singuläre Term „die wirkliche Welt“ – ein unter allen Umständen fixer Name für die wirkliche Welt , m. a. W., „W*“ sei – anders als „die wirkliche Welt“ – ein rigider Designator : „W*“ kann ( per fiat ) keine andere Entität bezeichnen, als die, die er bezeichnet: die Welt, die de facto die wirkliche ist. Vor dem Hintergrund des in den beiden vorausgehenden Ab- schnitten Gesicherten stellt sich die Frage: Warum ist W* etwas Wirkliches, und nicht vielmehr eine andere mögliche Welt? (Die Frage greift nicht von ungefähr die leibnizsche Diktion auf.) Eine korrekte Antwort auf diese Frage wäre eine korrekte Erklärung des Wirklichseins von W*. Im Folgenden verwende ich freilich die Wörter „Erklärung“ und „erklärt“ als Erfolgswörter, also stets im Sinn von „korrekte Erklärung“ bzw. „erklärt korrekt“. Hiernach versteht sich dann das Korrektsein einer Erklärung von selbst: wäre sie nicht korrekt, so wäre sie eben keine Erklärung.Manches ist einer Erklärung des Wirklichseins von W* vorauszuschicken: (I) Im Rahmen der Metaphysik, selbst der Speziellen, kann eine Erklärung des Wirklichseins von W* nur eine glo- bale Erklärung sein, keine, die inhaltliche Einzelaspekte (oder gar alle inhaltlichen Einzelaspek-te) am Wirklichsein von W* detailliert erklärt. Also im Rahmen der Metaphysik kann z. B. nicht detailliert erklärt werden, warum, als Teilinhalt von W*, der Holocaust stattgefunden hat; sehr wohl jedoch muss eine globale Erklärung des Wirklichseins von W* mit einer detaillierten Er-klärung des Holocaust nicht nur kompatibel sein, sondern zu dieser Letzteren auch passen , oder treffender gesagt (weil nicht die detaillierte Erklärung des Einzelaspekts, sondern die globale Erklärung des Ganzen in der Metaphysik das Erste ist): eine globale Erklärung des Wirklichseins von W* muss einer detaillierten Erklärung dessen, warum der Holocaust stattgefunden hat, we-nigstens in allgemeinster Hinsicht die Grundrichtung geben – denn, recht besehen, muss ja mit einer globalen Erklärung des Wirklichseins von W* auch das Stattfinden des Holocaust – eines Teilinhalts von W* – wenigstens global erklärt sein. (II) Eine Erklärung des Wirklichseins von W* muss nicht erklären, warum überhaupt eine mögliche Welt etwas Wirkliches ist und warum nur eine mögliche Welt etwas Wirkliches ist. Diese Erklärungsaufgaben sind mit der Notwen-digkeit des Zentralsatzes der Metaphysik der möglichen Welten erledigt. Zudem: Ist das Wirk-lichsein von W* erklärt, so ist wegen der Notwendigkeit des Zentralsatzes ipso facto erklärt, wa-rum alle anderen möglichen Welten nicht wirklich sind. (III) Die Kontingenz des Wirklichseins von W* und des Nichtwirklichseins aller anderen möglichen Welten ruft also nach nichts weiter als der Erklärung gerade dieser bestimmten Verteilung des Wirklichseins (oder auch: des Nicht-wirklichseins), aber danach ruft sie. Und zugleich limitiert eben diese Kontingenz den Ehrgeiz, mit dem – ihrem Ruf folgend – an die fragliche Erklärungsaufgabe herangegangen werden kann: Es gibt keine perfekt zureichende Erklärung des Kontingenten; denn aus den Prämissen einer sol- chen Erklärung, die bei einer perfekt zureichenden Erklärung allesamt notwendigerweise wahr zu sein haben, würde – wie es perfekt zureichenden Erklärungen gemäß ist – das Erklärungsziel rational zwingend, also (deduktions)logisch folgen und wäre somit wie die Prämissen notwen- dig , und gerade nicht kontingent.

11. Die Erklärung des Wirklichseins der wirklichen WeltWas es aber selbstverständlich geben kann, ist eine perfekt zureichende Erklärung des nur scheinbar Kontingenten. Leibniz, im Effekt, ging bei der Frage, warum W* etwas Wirkliches ist, und nicht vielmehr eine andere mögliche Welt, von der nur scheinbaren Kontingenz des Erklä-rungheischenden aus – nämlich dessen, dass W* wirklich ist und keine von W* verschiedene mögliche Welt –, und das in Abschnitt 9 betrachtete, rekonstruiert-leibnizianische Argument lässt sich als Versuch einer perfekt zureichenden Erklärung jenes Zuerklärenden verstehen. Wo-bei wir davon ausgehen dürfen, dass für Leibniz – wie für so viele seiner Kollegen im Laufe der Philosophiegeschichte – nur eine perfekt zureichende Erklärung überhaupt eine Erklärung war und er darauf insistiert hätte, dass es ihm um die (globale) Erklärung von tatsächlich  – und nicht bloß scheinbar – Kontingentem gehe; seine wohlbekannte epistemische Umdeutung des Kontin-genten – nämlich: zum Notwendigen , dessen Notwendigkeit wir Menschen nur nicht im Detail einsehen können – zeigt aber, dass sein Insistieren ganz fehl am Platz gewesen wäre.

Zur globalen Erklärung dessen, dass nun gerade W* die wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten ist, lässt sich das Argument aus der Wahl der jeweils rationaleren Alter- native angeben (das Argument betrifft, genauer gesagt, die Etablierung der Wahrheit der Prämis- se der angezielten Erklärung). Das Argument beginnt mit einer Frage und gelangt zur Antwort auf sie über eine Reihe von Paaren von immer spezifischer werdenden Alternativen, von denen der Reihe nach jeweils eine gewählt – genauer gesagt: rational präferiert  – wird:

(0) Warum ist W* wirklich?

(1) Es gibt keine hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W* – d. h.: es gibt kein Verwirk- lichendes von W* –, sondern dieses Wirklichsein ist (ontisch) zufällig.

(2) Es gibt eine hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W*.

Alternative (2) wird gewählt , weil bei (1) das Wirklichsein von W* irrational wäre – was der Vernunft (maximal) zuwider ist. Diese Irrationalität kann – rein hypothetisch – kleiner oder größer sein: Z. B. könnten alle möglichen Welten bis auf zwei  – W* eine von diesen – aus

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rationalen Gründen in der Konkurrenz um das Wirklichsein ausscheiden, und der ontische Zufall – die ontische Grundlosigkeit – nur bei diesen verbleibenden zwei eintreten: zuguns-ten des Wirklichseins von W*. Der Zufall wäre klein, zumal dann, wenn die eine in der Konkurrenz verbliebene andere mögliche Welt der Welt W* sehr ähnlich wäre. Das würde aber nichts daran ändern, dass das Wirklichsein von W* nun eben irrational (rational un-verstehbar) wäre.

(21) Es gibt eine hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W*, aber keine genau hinreichende .(22) Es gibt eine genau hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W*.

Alternative (22) wird gewählt , weil (21) auf einen infiniten Regress führt – was der Vernunft zuwider ist: Eine genau hinreichende Ursache für y ist eine hinreichende Ursache für y, in der keine hinreichende Ursache für y echt enthalten ist. Angenommen nun, x1 ist eine hinreichende Ursache für y, aber y hat keine genau hinreichende Ursache, also: in jeder hinreichenden Ursa-che für y ist eine hinreichende Ursache für y echt enthalten. Dann ist in x1 ein x2 echt enthalten, und x2 ist ebenfalls eine hinreichende Ursache für y – aber ebenfalls keine genau hinreichende; dann ist in x2 ein x3 echt enthalten, und x3 ist ebenfalls eine hinreichende Ursache für y – aber ebenfalls keine genau hinreichende. Und so weiter und so fort ad infinitum .

(221) Es gibt mehrere genau hinreichende Ursachen für das Wirklichsein von W*.

(222) Es gibt genau eine genau hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W*.

Alternative (222) wird gewählt , weil (221) kausale Überdetermination bedeutet – was der Ver-nunft zuwider ist: Warum sollte etwas durch mehreres erreicht werden, wenn doch auch schon eines reicht? Kausale Überdetermination – massive – lag übrigens auch schon bei (21) vor; dort allerdings, waren die vielen (unendlich vielen) hinreichenden Ursachen für ein und dasselbe in- einander : x2 in x1

, x3 in x2

, x4 in x3

, etc ad infinitum . Sind es jedoch mehrere genau hinreichende Ursachen für ein und dasselbe, so können diese nicht ineinander , sondern nur nebeneinander sein (Überlappung nicht ausgeschlossen).

(2221) Die genau hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W* ist einfaktorig .

(2222) Die genau hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W* ist mehrfaktorig .

Alternative (2222) wird gewählt , weil (2221) dem inhaltlichen Charakter von W* nicht entspricht und es der Vernunft zuwider ist, wenn die Phänomene nicht respektiert werden. Das Phänomen, um das es hier geht, ist ein augenfälliger inhaltlicher Zug von W*; es ist die massive Konfliktge-ladenheit von W*. Es ist eine der frühesten Welteinsichten (bei Anaximander, bei Heraklit): Der

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11. Die Erklärung des Wirklichseins der wirklichen WeltZusammenprall der Gegensätze kennzeichnen W* – die wirkliche Welt – allenthalben, sei es in der Natur, sei es im Humanum . Es steht aus apriorischen Gründen fest (mit der Wahl von (222)), dass es genau eine genau hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W* gibt; aus einem em-pirischen Grund steht fest (mit der Wahl von (2222)), dass die genau hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W* aus mehreren (nämlich miteinander in Konflikt stehenden) Faktoren zusammengesetzt ist. Nur eine solche genau hinreichende Ursache des Wirklichseins von W* passt zur inhaltlichen Verfasstheit von W*.

(22221) Die genau hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W* ist ohne Zentralfaktor mehrfaktorig.

(22222) Die genau hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W* ist mit Zentralfaktor mehrfaktorig.

Alternative (22222) wird gewählt , weil (22221) dem inhaltlichen Charakter von W* nicht ent-spricht und es der Vernunft zuwider ist, wenn die Phänomene nicht respektiert werden. Das Phänomen, um das es hier nun geht, ist ein anderer augenfälliger inhaltlicher Zug von W*: das umfassende Geordnetsein und einheitliche Gepräge von W*, bei aller Konfliktgeladenheit. Alles geschieht gemäß unverbrüchlichen Regeln – was nicht bedeutet, dass der Gesamtinhalt von W* schon in diesen Regeln, „Naturgesetze“ genannt, enthalten ist, oder auch nur in den Regeln in Kombination mit einem momentanen Gesamtzustand von W*; anders gesagt: dass alles gemäß unverbrüchlichen Regeln geschieht, bedeutet nicht , dass diese Regeln alles – oder beinahe alles – bestimmen .

Es steht aus apriorischen Gründen und einem empirischen Grund fest (mit der Wahl von (2222)), dass die genau hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W* mehrfaktorig ist; aus einem weiteren empirischen Grund steht fest (mit der Wahl von (22222)), dass die genau hinreichende mehrfaktorige Ursache für das Wirklichsein von W* einen – nämlich einen koor-dinierenden und dabei zweifellos übergreifend „ordinierenden“ – Zentralfaktor hat. Im Begriff des Zentralfaktors liegt es zudem (wie im Begriff des Mittelpunkts), dass es nicht mehr als einen davon gibt.

Wiederum gilt: Nur eine solche  – wie beschrieben geartete  – genau hinreichende Ursache des Wirklichseins von W* passt zur inhaltlichen Verfasstheit von W*.

Das Argument aus der Wahl der jeweils rationaleren Alternative hat also das Ergebnis, dass es genau eine genau hinreichende, mehrfaktorige, mit Zentralfaktor versehene Ursache des Wirk-lichseins von W* gibt.53 Diese Entität – ein Anderes Objekt: eine Gruppe – heiße „V*“ (ste-hend für: „das genau hinreichende, mehrfaktorige, mit [genau einem] Zentralfaktor versehene Verwirklichende von W*“).

Ist nun hiermit eine Erklärung des Wirklichseins von W* angegeben? Wenn es denn wahr ist, dass es genau eine genau hinreichende, mehrfaktorige, mit Zentralfaktor versehene Ursache des Wirklichseins von W* gibt, m. a. W.: genau ein genau hinreichendes, mehrfaktoriges, mit Zentral-faktor versehenes Verwirklichendes von W*, dann ist eine solche Erklärung angegeben, und es ist sogar eine zureichende Erklärung des Fraglichen. Denn aus der fraglichen Kausalproposition folgt logisch (also rational zwingend), dass V* W* verwirklicht, woraus wiederum logisch folgt, dass W* etwas Wirkliches ist – womit das Erklärungsziel erreicht ist, zumal die Erklärungsprämisse nicht genauso erklärungsbedürftig oder noch erklärungsbedürftiger ist wie das, was erklärt wer-den soll: das Wirklichsein von W*.

12. Die Macht, der Wille und GottAber ist die fragliche Kausalproposition denn wahr? Nur wenn sie wahr ist, liegt eine Erklärung vor, und nicht bloß eine Erklärungsoption . Das Argument aus der Wahl der jeweils rationaleren Alternative etabliert nun sicherlich, dass es rational zulässig ist, von der Wahrheit jener Kausal-proposition überzeugt zu sein, ja sogar, dass dies optimal rational ist. Aber rational zwingend ist dieses Argument selbstverständlich nicht – womit augenfällig geworden ist, dass einem die Vernunft etwas nachdrücklich empfehlen kann, ohne einen dazu zu zwingen.

Die gegebene Erklärung des Wirklichseins von W* (dass das Vorgebrachte eine Erklärung ist, davon gehe ich ab jetzt aus) beantwortet nicht alle Fragen, die sich bzgl. des Wirklichseins von W* stellen – die sich insbesondere dann stellen, wenn auf die speziellen inhaltlichen As-pekte von W* geblickt wird und nach detaillierten Erklärungen ihres Wirklichseins verlangt wird. Aber im Rahmen der Metaphysik kann eben (wie oben schon ausgeführt) nur eine glo-bale Erklärung für das Wirklichsein von W* angegeben werden. Dabei wurden zwei globale inhaltliche Aspekte von W* berücksichtigt: Konfliktgeladenheit und Geordnetheit. Es wird sich Gelegenheit bieten auf diese Aspekte zurückzukommen. Zunächst ist das Augenmerk vor allem auf V* zu richten (ohne dabei W* aus dem Blick zu verlieren): auf das genau hinreichen-de Verwirklichende von W*, das mehrfaktorig ist, dabei aber (genau) einen Zentralfaktor hat. Wie ist die Zusammensetzung von V* näher zu beschreiben, und wie ist näher zu beschreiben der von V* ausgeführte Akt der Verwirklichung?

12. Die Macht, der Wille und Gott

V* ist das Subjekt der Verwirklichung von W*, W* das Objekt. Die Verwirklichung von W* ent-hält zweierlei: 1. die Auswahl von W* zur Mitteilung des Wirklichseins, und 2. die Mitteilung selbst des Wirklichseins an W*. Die Auswahl zur Mitteilung des Wirklichseins und die Mittei-lung selbst geschehen nicht mit einem Schlag, sondern im Laufe der Zeit . Deshalb ist es im Laufe der Zeit auch immer noch offen (bis zu einem gewissen Grad, der immer kleiner wird), welche mögliche Welt nun die wirkliche wird.

Das Verwirklichen von W* durch V* ist genauso kontingent wie das Wirklichsein von W*. Hätte nun der ontische Zufall „da seine Hand im Spiel“ (wenn ich mich einmal so komplett un-eigentlich ausdrücken darf, denn der ontische Zufall hat nicht nur keine Hand, sondern auch

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keine Kausalität, nicht im Mindesten), so wäre durch V*s Verwirklichen von W* zur Erklärung des Wirklichseins von W* letztlich nichts gewonnen. Wie aber beim Argument aus der Wahl der jeweils rationaleren Alternative im vorausgehenden Abschnitt die Alternative (1) und damit der ontische Zufall ausgeschlossen wurde: als der Vernunft zuwider , so wird er auch hier aus-geschlossen: Keiner der Faktoren von V* – der Gemeinschaft der aufs Wirklichmachen Ausge-richteten – ist der ontische Zufall.

Jeder Faktor („Macher“) nun in V*, der keine Wahl jemals hätte , wäre entbehrlich; was ein solcher „Faktor“ dennoch leisten könnte, kann den Spielregeln zugeschlagen werden, denen V* folgt. Es wäre der Vernunft zuwider, wenn V* entbehrliche Mitglieder enthielte. Jedes Mitglied von V* hat folglich (es ist die rationalere Alternative) einmal eine Wahl – eine Zeit lang oder, im Grenzfall, die ganze Zeit lang; eine Wahl, die es unweigerlich auch ausübt. So sind die Spielre-geln für (alle Mitglieder von) V*; wobei die oberste – unausweichliche, metaphysisch diktierte – Spielregel für V* diese ist: „Es ist (absolut) notwendig, dass genau eine von den unendlich vielen möglichen Welten etwas Wirkliches ist, keine der möglichen Welten ist aber notwendigerweise etwas Wirkliches und keine notwendigerweise nichts Wirkliches. Wähle eine mögliche Welt zum Wirklichsein und alle anderen zum Nichtwirklichsein!“ Es ist unmittelbar ersichtlich, dass dieses Letztere – nämlich die Aufforderung, der Befehl – eigentlich überflüssig ist: V* kann hier nicht nicht wählen (es ist in die Wahl „geworfen“), wenn es auch so oder aber so wählen kann. Und wie V* auch wählt, es wählt dadurch, dass alle Mitglieder von V* wählen und dass die Wahl, die V* ausübt, das kollektive Resultat des Wählens aller seiner Mitglieder ist.

Ein Wählen, das erkenntnislos („blind“) erfolgte, wäre vom ontischen Zufall nicht zu unter-scheiden. Der ontische Zufall spielt hier aber keine Rolle, und auch kein Äquivalent von ihm (auch das Schicksal nicht) spielt hier eine Rolle. Das Gegenteil wäre vernunftwidrig. Das von den Mitgliedern von V* ausgeübte Wählen und deshalb die von V* ausgeübte kollektive Wahl ist folglich nicht erkenntnislos (wenn auch überwiegend mit mehr oder minder limitierter und daher mehr oder minder irrtumsanfälliger Erkenntnis), also, da es Erkenntnis nicht ohne Be-wusstsein gibt, bewusst . Es ist demnach nicht unpassend, V* nicht nur als „die Macht“ (hinter dem Wirklichsein der Welt) zu bezeichnen, sondern auch als „der Wille“.

Nicht alle Mitglieder von V* sind gleich. Alle aber sind sie unabhängige (selbstständige) – will sagen: nicht schlechthin unabhängige, sondern auf der Gradleiter des Unabhängigseins jeden-falls mit dem Mindestgrad an Unabhängigkeit U* versehene – Individuen ohne modale und ohne zeitliche Dimension: (individuelle) Substanzen (Kategorie K121111) – die über Bewusst-sein verfügen, einmal eine Wahl haben und wählen, also zweifelsohne alle etwas Wirkliches sind. Jede andere Charakterisierung der Mitglieder von V* würde nicht zu der Rolle passen, die V* gegenüber W* und allen anderen möglichen Welten einnimmt: V* ist die genau hin-reichende, mehrfaktorige, mit Zentralfaktor versehene Ursache des Wirklichseins von W* (und Nichtwirklichseins aller anderen möglichen Welte) – kontingenterweise, durch Wählen , aber

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12. Die Macht, der Wille und Gottohne Beteiligung des ontischen Zufalls oder eines Äquivalents von ihm (wie es erkenntnisloses Wählen wäre). Zu V* gehören alle über Bewusstsein verfügenden Substanzen (die leben, leben werden, oder jemals gelebt haben – oder immer leben ), also auch ich und jeder Mensch, der lebt, leben wird oder jemals gelebt hat. Durch ihr Bewusstsein finden sich die Mitglieder von V* mit ihren Lebensinteressen und dem durch ihre Lebensinteressen gewöhnlich mehr oder minder begrenzten Blick (begrenzt an Weite, Schärfe, Tiefe) zeitlich voranschreitend in die Situation ge- stellt : die mehr oder weniger (im Bewusstsein) erfasste Situation, mit dieser mehr oder weniger gewussten Vergangenheit und diesen mehr oder weniger als möglich gewussten möglichen Zu-künften – und nicht unbedingt immer, aber doch mindestens einmal in die Wahl gestellt (denn das Bewusstsein dient der Wahl; Bewusstsein, wo es niemals etwas zu wählen gibt, ist zwar nicht unmöglich, aber es wäre zweckfrei – im Sinne von „zwecklos“).

Die Mitglieder – die Faktoren – von V* unterscheiden sich durch ihre jeweilige Macht: also dadurch, wie viele mögliche Alternativen jeweils in ihrer Macht stehen – prinzipiell und in der jeweiligen Situation – und wie inhaltlich umfassend diese sind. Sie wählen alle mindestens ein-mal, viele wählen sehr oft, manche beständig. Wodurch aber ist dafür gesorgt, dass die kollektive Wahl konsistent ist: die Auswahlmenge nicht leer ist; und dass sie (die Wahl) vollständig ist: am Ende eine mögliche Welt – und keine weitere – in der Auswahlmenge ist? Eine Möglichkeit der metaphysischen Theoriebildung ist, dass die Spielregeln für V* dafür automatisch sorgen. Unter den Spielregeln für V* muss man sich absolute Notwendigkeiten vorstellen, wie den Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welten, aber auch gar nicht absolute „Notwendigkeiten“ – also gar keine Notwendigkeiten (gemäß der in diesem Buch favorisierten Sprachregelung, nur ab-solute Notwendigkeiten als „Notwendigkeiten“ im eigentlichen Sinn zu bezeichnen). Sind solche kontingenten Spielregeln die sogenannten (von uns partiell erkannten) Naturgesetze ? Das kann man so sehen; andererseits kann man diese Letzteren aber auch sehen als ein Teilergebnis der Wahl von W* zum Wirklichsein, sind sie doch in ihrer Erscheinung nichts anderes als die glo-balen inhaltlichen Regularitäten an W* und machen in ihrer Gesamtheit das umfassende Ge-ordnetsein von W* aus, begründen das einheitliche Gepräge von W*. Kontingente Spielregeln für V* gibt es sicherlich, aber sie sind (ob als Naturgesetze oder auch noch anders), was die Regulierung der Tätigkeit von V* angeht, nicht das metaphysisch Erste; ihre Leistung ist dem-entsprechend nichts Automatisches: keinFall von Selbstbewegtheit.

Die Regulierung der Tätigkeit von V* fällt vielmehr dem Zentralfaktor von V* anheim. Dieser setzt die kontingenten Spielregeln für V* und hat die umfassende Arbitration bei verbleibenden Konfliktfällen inne (im einfachsten Fall da, wo die Wahl, die Faktor x trifft, und die Wahl, die Faktor y trifft, zu einer leeren Auswahlmenge führen würde). Aber der Zentralfaktor koordiniert nicht nur, er „ordiniert“ auch: Seine eigene, nichtverhandelbare, von vornherein gesetzte Wahl resultiert in der ( viel elementigen) Menge derjenigen möglichen Welten, die gewisse globale Re-gularitäten (die sog. Naturgesetze ) aufweisen; W* ist unter diesen möglichen Welten. Darüber

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hinaus beteiligt sich der Zentralfaktor an der weiteren Wahl, die im Laufe der Zeit zur Auswahl von W* führt (auch er ist in die Situation gestellt ). Der Zentralfaktor hat zudem (und vor allem) das Monopol inne hinsichtlich der Mitteilung des Wirklichseins: Alle Faktoren von V* wählen zur Mitteilung des Wirklichseins, nur der Zentralfaktor teilt das Wirklichsein auch mit. Damit wartet er freilich nicht, bis W* fertig ausgewählt ist, sondern die Mitteilung Zug um Zug des Wirklichseins erfolgt im zeitlichen Gleichschritt mit der Wahl Zug um Zug zur Mitteilung des Wirklichseins. (Dadurch entsteht bei den anderen Faktoren – wenn etwas wirklich wird, was ganz im Sinne ihrer Wahl ist – die Illusion, sie würden es verwirklichen; in Wahrheit haben sie es nur gewählt; der Zentralfaktor aber hat ihre Wahl ganz gelten lassen und dem, was sie gewählt haben, die Wirklichkeit verliehen.) Dieses Verwirklichen Zug um Zug nach der Ordnung der Zeit bedingt das zeitliche Fließen des Geschehens und konstituiert retrospektiv-allinklusiv „den Gang der Geschichte“ (von Natur und Humanum).

Das Verhältnis, in dem der Zentralfaktor zu den übrigen Faktoren in V* steht, lässt sich nur dann befriedigend erklären und somit die Erklärung des Wirklichseins von W* mittels V* zu einem befriedigenden Abschluss bringen, wenn die übrigen Faktoren in V* – alle außer dem Zentralfaktor – die Kreaturen des Zentralfaktors sind: wenn er selbst – der aber selbst intrin-sisch-essenziell wirklich, intrinsisch-essenziell bewusst ist – sie alle in ihr Wirklichsein wollen-der Bewusstheit und Wahl gesetzt hat, wobei sie alle – in allen Machtgraden, vom niedrigsten bis zum höchsten – abgeschwächte, aber eigenwollende und eigengestaltige Replikate von ihm selbst sind. „Warum nur?“, möchte man da aber fragen, da der Zentralfaktor doch sehr wohl auch ganz allein alles selbst hätte machen können: in der Bestimmung dessen, was der notwen-dig wahre Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welten zur Bestimmung noch offenlässt. Freilich wäre die wirkliche Welt dann eben eine andere mögliche Welt gewesen als W* – was an-gesichts gewisser inhaltlicher Aspekte von W* „nicht unbedingt schlecht“ gewesen wäre, möch-te man sagen.

Der Zentralfaktor von V* ist ja niemand anderes als der eine Gott . Die Attribute der Einzigkeit, der überaus großen Macht und Intelligenz sind aus der Funktion des Zentralfaktors unmittelbar ablesbar (und verweisen auf Allmacht und Allwissenheit); ebenso ist daraus ablesbar, gewisser-maßen nebenbei, die Existenz  – qua intrinsisch-essenzielles Wirklichsein  – Gottes, also das, wo-rum sich die sogenannten Gottesbeweise obsessiv und myopisch abmühen.54 Das Attribut der großen G üte aber bleibt zweifelhaft.

12. Die Macht, der Wille und Gott

„Bonum est diffusivum sui“ lautet der alte, auf den Pseudo-Dionysius und über ihn hinaus auf den heidnischen Neuplatonismus zurückgehende große Satz. Aber gerade dieses Bonum , dessen freies Sichergießen aus dem Zentralfaktor – aus Gott als etwas überaus Gutem – die Multiplizi-tät der Faktoren in V* erklären könnte und zum befriedigenden Abschluss der Erklärung des Wirklichseins einer bestimmten möglichen Welt mittels V* beitragen könnte, ist angesichts des Anblicks, den die faktisch wirkliche Welt, W*, bietet, zweifelhaft . Es ist zweifelhaft gerade ange-sichts der Konfliktgeladenheit von W*, angesichts des W* global innewohnenden Streits, der nicht nur der Vater aller Dinge ist (wie Heraklit meinte), sondern auch die Mutter von massen-haftem Tod und verheerender Zerstörung. Nun könnte man dafür den kollektiv-bösen Kollek-tiv-Willen der übrigen Faktoren von V* verantwortlich machen und den Zentralfaktor, Gott, entschulden. Aber der Koordinator aller Willen, Arbitrator aller Konflikte zwischen den Willen, sollte gerecht sein, wenn er überaus gut ist. Und an der Gerechtigkeit gebricht es offenbar. Nicht einmal den Bösesten der Bösewichte wird vom Zentralfaktor rechtzeitig Einhalt geboten. Viel-mehr: Um sie herum akkumuliert sich regelmäßig (regelmäßig in der Menschheitsgeschich-te) ein zerstörerischer Gruppenwille, welchen Willen Gott schlicht erfüllt (per Mitteilung des Wirklichseins); dessen (des Gruppenwillens) böses Werk ein stärkerer Gegenwille regelmäßig nur um den Preis von weiterem Leid und Tod und weiterer Zerstörung beendet – aber offenbar nicht der Wille Gottes beendet, es sei denn insofern, als das Beenden immer nach den von Gott gesetzten Spielregeln und den von Gott gesetzten Naturgesetzen vorgeht und die Mitteilung des Wirklichseins – wie immer – bei Gott liegt. Gott verbirgt sich hinter seinen Gesetzen; er lässt sie – er macht sie – walten, und darüber hinaus erfüllt er den Willen anderer (wenn auch stets im Rahmen seiner Gesetze, also nach Gesetzeslage , sei das Wollen, um das es geht, böse oder gut). Von einem überaus guten Gott würde man eigentlich etwas anderes erwarten, nämlich, schlicht und einfach, effektive Hilfe für alle, die unter den Bösen leiden.

Aber Gott verbirgt sich hinter seinen Gesetzen – insbesondere auch hinter den Naturgesetzen, die in W* erfüllt sind. Eine überaus schöne Ordnung ist sie: die durch die Naturgesetze gestiftete globale Ordnung von W*, deren mathematische Ästhetik auch Wissenschaftlern, die allem Re-ligiösen abhold sind, noch Bewunderung abnötigt. Jedoch, es ist auch eine überaus gnadenlose Ordnung, dabei unpersönlich wie das Karma  – aber, anders als es das Karma der Lehre nach ist, vollkommen gleichgültig gegenüber moralischen Kategorien. Ein Stolpern auf der Treppe in der Eile – unter geeigneten Umständen bedingt es rein naturgesetzlich den Tod oder ein Siech-tum für den Rest des Lebens. Eine kleinste Nichtbeachtung der Naturgesetze aus Versehen oder Leichtsinn (von deren Verletzung kann man nicht sprechen: sie sind nur von Gott verletzlich) – oft genug ist schwere Schädigung oder der Tod davon die Folge.

Die große Güte Gottes ist zweifelhaft – ja, möchte man sagen, sogar seine Güte überhaupt. Die meisten schließen daraus, dass auch Gottes Existenz zweifelhaft sei. Das folgt jedoch nicht, wie aus der Auslegung der gegebenen Erklärung des Wirklichseins von W* – gegeben auf der Grund-lage des Arguments aus der Wahl der jeweils rationaleren Alternative  – ersichtlich ist: Wir haben allen Anlass, im Zentralfaktor von V* Gott zu erblicken. Wer auf Gott vertraut , wird ihm trotz begründeten Zweifels sogar die Allgüte, und vor allem das weltabschließende Allerbarmen , nicht absprechen. Aber das Vertrauen auf Gott lässt sich an diesem Punkt durch nichts im Mindesten ersetzen.

13. Ein leichter und sicherer Weg zu Gott?

Auf der Grundlage des Arguments aus der Wahl der jeweils rationaleren Alternative ergab sich eine globale Erklärung des Wirklichseins von W* – innerhalb der Metaphysik der möglichen Welten, nach begründeter Ablehnung des modalen Antirealismus und des extremen modalen Realismus, nach Ablehnung zweier Globalgestalten des offenen modalen Realismus, nach Ak-zeptanz der für am plausibelsten erachteten Form der Metaphysik der möglichen Welten: der-jenigen Form, welche sich innerhalb des offenen modalen Realismus schließlich noch zeigte. Jene globale Erklärung des Wirklichseins von W* führte dann durch die mit ihr verbundene Auslegung des zentralen Erklärungsverhältnisses  – V* [die mehrfaktorige, mit Zentralfaktor versehene Macht: der Wille ] verwirklicht W* – zu Gott . Das Ganze gleicht in Retrospektive einer höchst beschwerlichen und gefährlichen Bergbesteigung (denn schwerer Irrtum lauert wie Stein-schlag und Gletscherspalte überall) auf äußerst komplizierter Route – in der am Ende gewisser-maßen das Kreuz auf den Gipfel gesetzt wird.

Das Kreuz wird kaum einer zunächst anders lesen können denn als Symbol der christ-lichen Religion, des christlich gedeuteten Gottes. So will ich es hier aber durchaus nicht verstanden wissen. Es steht in der Tat für Gott , aber für Gott , der zugelassen hat – der selbst in den schlimmsten Fällen nicht verhindert hat –, dass die wirkliche Welt ein Ort der Qual ist, eine Grube des Leidens. Die Welt ist das Kreuz für die Lebendigen – nicht nur, aber auch (und an zentraler Stelle) dank Gott . Ob hinter diesem Kreuz noch ein anderes Kreuz für Gott steht: das Kreuz Christi, das Kreuz des Heils und der Erlösung, welches zweite Kreuz, wie geschrieben steht, ein göttlich überwundenes Kreuz gottmenschlichen Leidens ist und die letztendliche göttliche Überwindung des erstenKreuzes für alle verkündet – dies nun ist nicht mehr Sache der Metaphysik (solange sie nicht zur Metaphysik einer bestimm-ten Religion wird), sondern ist Sache eben der Religion. Der christliche Glaube bejaht die eben (implizit) gestellte Frage; aber Religionen, die sie verneinen, können dabei durchaus nicht  – nicht in Vernunft  – auch das erste Kreuz, das Kreuz der Welt und Gottes große

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13. Ein leichter und sicherer Weg zu Gott?Teilverantwortung dafür, leugnen; in diesem Sinne steht das Kreuz auch für sie – für diese anderen Religionen – für Gott .

Vielen wird der Skandal allerdings nicht das Kreuz sein, sondern, dass in der Erklärung des Wirklichseins von W* überhaupt Gott bemüht wird, ein Gott auch noch, der einen weltwirksa-men freien Willen hat (was heutzutage selbst Theologen oft ablehnen). Den Willen Gottes nennt Spinoza im Anhang zum 1. Teil seiner Ethik „die Freistatt der Unwissenheit [asylum ignoranti-ae]“ und spricht damit zweifelsohne vielen aus dem Herzen. Viele werden der Auffassung sein, eine Erklärungsoption für das Wirklichsein von W*, die Gott bemühe, könne nicht korrekt sein (könne also gerade keine Erklärung des Fraglichen sein). Nun wurde hier für die Wahrheit der Prämisse, auf der die dargebotene Erklärungsoption beruht, sorgfältig argumentiert, ihr nähe-rer Inhalt wurde sorgfältig entfaltet. Wäre denn eine Erklärungsoption, die bei den Aspekten, die hier dem Willen Gottes zugewiesen wurden, vom per definitionem unerklärbaren ontischen Zufall Gebrauch macht oder von „kontingenter Notwendigkeit“ (und jede angebliche Notwen-digkeit, die keine rein sachinnere ist,55 ist – eigentlich – kontingent und verlangt selbst nach Er-klärung), eine bessere Erklärungsoption als die hier dargebotene? Es dürfte hinreichend deutlich geworden sein, dass dem nicht so ist.

Das Wirklichsein des nicht absolut notwendigerweise Wirklichen – hier: das Wirklichsein von W* – lässt sich nicht perfekt zureichend erklären; zureichend erklären lässt es sich also nur durch: nicht absolut Notwendiges. Ein Erklärungsabschluss – also ein Punkt, an dem man erklä-

13. Ein leichter und sicherer Weg zu Gott?

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rungszufrieden sein kann – ist dennoch erreichbar, lässt sich aber, solange in (intendiert) letzter Instanz der ontische Zufall oder „kontingente Notwendigkeit“ (etwa die der Naturgesetze) zur Erklärung herangezogen werden, nicht erreichen. Allein mit der ausschließlichen Berufung in letzter Instanz auf den Verwirklichungswillen von V* – und an zentraler Stelle auf den Ver-wirklichungswillen des Zentralfaktors von V*: auf den Willen Gottes  – vermag man zwischen der Skylla des infiniten Erklärungsregresses und der Charybdis des unbegründeten Erklärungs-abbruchs hindurch zu rudern.

Mit Gott als zentralem Faktor bei der zufriedenstellenden Erklärung des Wirklichseins von W* kann man sich gut ( der Vernunft gemäß gut) abfinden. Und dennoch: Gibt es nicht einen einfacheren, einen vergleichsweise kurzen und leichten, ganz ungefährlichen, völlig sicheren Weg zu Gott, der seine Existenz – sein Wirklichsein – herzeigt, ohne ihn zugleich mit der An-klage zu konfrontieren, für das Böse in der Welt an zentraler Stelle mitverantwortlich zu sein? Das Angebot eines solchen Weges gibt es spätestens, seit Anselm von Canterbury ein Argument fand, das seither in immer neuen Versionen die Philosophen endlos fasziniert, das endlos ins Feld geführt, endlos bekämpft wird: der sog. ontologische Gottesbeweis . Was macht diese Faszi-nation aus? – Es lässt sich schon an der absolut einfachsten Gestalt des Arguments erkennen:

Prämisse 1: Gott ist etwas absolut Vollkommenes.

Prämisse 2: Wenn Gott etwas absolut Vollkommenes ist, dann ist Gott aus sich allein heraus etwas Wirkliches.

Also: Gott ist aus sich allein heraus etwas Wirkliches.

An der logischen Schlüssigkeit dieses einfachsten ontologischen Gottesbeweises, will sagen: die-ses einfachsten Arguments vom Typ Ontologischer Gottesbeweis ; oder sprechen wir neutral statt von ontologischen Gottesbeweisen von Anselm-Argumenten  – also: an der logischen Schlüssig-keit dieses einfachsten Anselm-Arguments (des obigen) lässt sich nicht rütteln: die einzige in ihm verwendete Schlussform ist der (zweifellos logisch gültige) modus ponens .

Zur Begründung der Prämisse 2, dann, ist zu sagen: Nicht alles Wirkliche ist vollkommen, und : Nicht alles Vollkommene ist etwas Wirkliches. Allerdings kann man wohl auch sagen: Wenn etwas Vollkommenes nicht aus sich allein heraus wirklich ist, dann folgt daraus logisch, dass es nicht absolut vollkommen ist: weil ihm das intrinsisch-essenzielle Wirklichsein abgeht, so vollkommen es auch sonst ist. Daher gilt mit logischer Notwendigkeit: Wenn etwas absolut vollkommen ist, dann ist es aus sich allein heraus wirklich. Folglich (denn was für alle gilt, gilt auch für jeden Einzelfall): Wenn Gott etwas absolut Vollkommenes ist, dann ist Gott aus sich allein heraus etwas Wirkliches.

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13. Ein leichter und sicherer Weg zu Gott?

Zur Begründung der Prämisse 1, aber, ist zu sagen: Sie ist in derselben Weise wahr, wie „256 ist eine absolut gerade Zahl“ wahr ist: analytisch (wobei eine absolut gerade Zahl eine natürliche Zahl ist, die nur 2 als primen Teiler hat und größer als 0 ist).

Am obigen einfachsten Anselm-Argument ist also, wie es scheint, genauso wenig auszusetzen wie an dem folgenden Argumentchen :

Prämisse 1´: 256 ist eine absolut gerade Zahl.

Prämisse 2´: Wenn 256 eine absolut gerade Zahl ist, dann ist 256 eine Potenz von 2.

Also: 256 ist eine Potenz von 2.

Das Argumentchen ist nicht etwa zirkulär, denn man kann seine Prämissen begründen, ohne die Konklusion schon vorauszusetzen: Prämisse 1´ dadurch, dass man die Primzahlen, die klei-ner als 256 sind, durchgeht und sieht, dass nur 2 256 teilt; Prämisse 2´ dadurch, dass man den allgemeinen Satz beweist: Jede absolut gerade Zahl ist eine Potenz von 2.56 Und ebenso nicht zir-kulär ist das einfachste Anselm-Argument; denn auch seine Prämissen lassen sich begründen, ohne die Konklusion schon vorauszusetzen (wie vorgeführt).

Was lässt sich also gegen das einfachste Anselm-Argument sagen? Dies: Während es so gut wie niemandem, der ein wenig nachdenkt, in den Sinn kommt, zu bezweifeln, dass 256 eine Potenz von 2 ist (die achte), oder gar das Gegenteil zu behaupten, kommt es sehr vielen, die nachdenken, in den Sinn, zu bezweifeln, dass Gott etwas Wirkliches ist; es kommt ihnen so-gar in den Sinn, das Gegenteil zu behaupten. Während jemand, dem es, trotz Nachdenkens, zweifelhaft schiene, dass 256 eine Potenz von 2 ist, oder gar schiene, dass 256 keine Potenz von 2 ist, mehr oder minder unvernünftig (ein „Narr“) wäre, wird, heutzutage, keiner der Bezweifler und Verneiner des Wirklichseins Gottes ihrer Haltung wegen als unvernünftig an-gesehen (ganz entgegen dem biblischen Wort [Ps 14, 1; Ps 53, 2]: „Der Narr spricht in seinem Herzen: ‚Es ist kein [wirklicher] Gott‘.“). Und unvernünftig ihrer Haltung wegen sind diese Bezweifler und Verneiner wohl auch tatsächlich nicht.

Das bedeutet, dass das einfachste Anselm-Argument und mit ihm alle komplexeren Anselm-Argumente, alle „ontologischen Gottesbeweise“, nicht besser, wohl tatsächlich eher schlechter dastehen (weil sie mehr versprechen, als sie halten können) als der beschwerliche, unsichere Weg zu Gott, der in den vorausgehenden Abschnitten aufgewiesen wurde (welcher Weg – wenn man Traditionen sehen will – eine Weiterentwicklung des sog. kosmologischen Arguments ist). Es ist rational zulässig, den Satz „Gott ist etwas absolut Vollkommenes“ als analytisch wahr an-zusehen (aber nicht rational zulässig ist es, den Satz „V* ist etwas absolut Vollkommenes“ oder den Satz „W* ist etwas absolut Vollkommenes“ als analytisch wahr anzusehen, oder den Satz „Die allervollkommenste Insel ist etwas absolut Vollkommenes“; dass das Letztere nicht rational zulässig sei, kann dem Mönch Gaunilo – Anselms erstem Kritiker – entgegengehalten werden, und zwar durchaus im Sinne Anselms). Es ist aber auch rational zulässig, den Satz „Gott ist et-was absolut Vollkommenes“ als nicht analytisch wahr anzusehen, ja ihn als falsch anzusehen; ja, es ist angesichts der Unangreifbarkeit von Prämisse 2 unvermeidlich, ihn als falsch anzusehen, wenn man es für wahr hält (was viele tun und immer mehr tun), dass Gott nichts Wirkliches ist (denn wenn Gott nichts Wirkliches ist, dann ist er natürlich nicht aus sich allein heraus etwas Wirkliches57).

Gerade bei der Gottesthematik zeigt sich somit paradigmatisch ein epistemologischer Charakterzug der Metaphysik: das unhintergehbare sic et non (könnte man es nennen  – denn Abaelard war gewiss einer, der von diesem Charakterzug wusste). Derartige, in Rich-tung und Gegenrichtung beidseitig offene und begehbare Wege der Erkenntnisvernunft zu entgegengesetzten Positionen – wie im Fall der Frage, ob Gott etwas Wirkliches ist – treten auch bei nicht wenigen anderen metaphysischen Themen auf (dieses Buch dürfte davon einen Geschmack vermittelt haben). Und während das unhintergehbare sic et non auch auf anderen Gebieten der Wissenschaft vorkommt und, wenn es vorkommt, vorübergehend den Wissenschaftlern ins Bewusstsein rückt (bevor alle dann doch am Ende einen von den beiden Wegen gehen), ist es in der Metaphysik so häufig und so permanent präsent, dass es tatsächlich als charakteristisch für sie zu gelten hat. Man mag diesen Charakterzug der Metaphysik – in der Nachfolge Kants – beklagenswert finden. Man soll ihn, vielmehr, loben und bewahren.

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9. Modale Realismen und modaler Antirealismus

Merkwürdigerweise wird die Bezeichnung „modaler Realismus“ auf den Zentralsatz der Me-taphysik der möglichen Welten gewöhnlich nur in seiner Deutung III angewandt. Ein Grund – kein Sachgrund – dafür ist der, dass die Metaphysik der möglichen Welten von David Lewis weithin als paradigmatisch für den modalen Realismus angesehen wird. In der lewisschen Modalmetaphysik wird der Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welten nun eben im Sinne von Deutung III ausgelegt (wobei für Lewis, den Materialisten, Deutung II mit Deutung III koinzidiert). Der Zentralsatz wird da also als gleichbedeutend mit „(Die Welt)6 ist die wirkliche Welt6 unter den unendlich vielen möglichen Welten6

“ aufgefasst – d. h.: als gleichbe-deutend mit „Die reale Raumzeit ist die wirkliche Raumzeit unter den unendlich vielen mög-lichen Raumzeiten“ – und wird in dieser Bedeutung als wahr akzeptiert. Aber warum eigent-lich sollte man nicht auch von einem modalen Realismus sprechen, wenn der Zentralsatz im Sinne von „(Die Welt)4 ist die wirkliche Welt4 unter den unendlich vielen möglichen Welten4

“ aufgefasst wird, d. h.: als gleichbedeutend mit „Die Summe aller bestehenden Sachverhalte ist der maximalkonsistente Sachverhalt, der wirklich ist, unter den unendlich vielen möglichen maximalkonsistenten Sachverhalten, die möglich sind“? Was ist hieran „unrealistisch“? Nun,

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9. Modale Realismen und modaler Antirealismuszum einen, wird mancher sagen, seien Sachverhalte abstrakte Entitäten, und zum anderen seien abstrakte Entitäten vom menschlichen Geist ersonnene Konstruktionen. Doch Sachver-halte sind nicht abstrakt, jedenfalls sind sie es nicht alle. Dass sie alle abstrakt wären, ist eine Fehleinschätzung, die sich der Verwechslung von Sachverhalten mit Propositionen verdankt. Und selbst wenn alle Sachverhalte abstrakte Entitäten wären , so bedeutete das noch nicht, dass sie menschliche Konstruktionen zu sein haben; bekanntlich kann man ja auch bzgl. abstrakter Entitäten „Realist“ sein.

Aber ganz grundsätzlich, wird mancher sagen, spreche gegen die Bezeichnung „modaler Realismus“ für eine auf maximalkonsistenten Sachverhalten basierende Metaphysik der mög-lichen Welten, dass Sachverhalte doch auf mögliche Welten zurückführbare Entitäten seien; denn Sachverhalte seien ja bekanntlich Mengen von möglichen Welten. Hierauf ist zu antwor-ten, dass Sachverhalte keine Mengen von möglichen Welten sind, sondern nur durch Mengen von möglichen Welten eins-zu-eins darstellbar, repräsentierbar sind. Die Darstellung ist eine hochtheoretische, ziemliche künstliche, über deren breiten Erfolg als (angebliche) Reduktion der Sachverhalte man sich nur wundern kann: (i) Zu jedem Sachverhalt gehört die Menge der möglichen Welten, in denen er besteht (etwas Wirkliches ist); (ii) zu verschiedenen Sach-verhalten gehören verschiedene solche Mengen; (iii) jede Menge von möglichen Welten ge-hört zu einem Sachverhalt als die Menge der möglichen Welten, in denen er besteht. Die Aussagen (i)  – (iii) (fragt man nach ihrem modalen Status, so ist zu sagen: sie gelten mit absoluter Notwendigkeit) begründen also eine Eins-zu-eins-Korrelation zwischen Sachver-halten und Mengen von möglichen Welten.41 Daraus eine Identität zu machen (wie man es, reduktionistisch gesinnt, so gerne möchte), verbietet sich angesichts dessen, dass Mengen stets abstrakte Entitäten sind, Sachverhalte aber nicht; dass viele Sachverhalte sehr leicht Gegen-stand unserer Betrachtung und Beurteilung sind, die ihnen entsprechenden Mengen von möglichen Welten aber nicht: deshalb nicht, weil diese Mengen unendlich groß sind. Viele Sachverhalte haben eben nichts Unendliches an sich, die ihnen entsprechenden Mengen von möglichen Welten aber sehr wohl; diese Mengen und jene Sachverhalte können also nicht identisch sein. (Man könnte sich auch schlicht darauf berufen, dass Mengen und Sachverhalte doch unter Kategorien fallen, die einander ausschließen; aber dagegen ließe sich vorbringen, dass man damit – erst recht mit der Wahl des Kategoriensystems Σ – schon voraussetze, was erst zu beweisen wäre.)

Entscheidend dafür, ob eine Metaphysik der möglichen Welten als ein modaler Realismus anzusprechen ist oder nicht, ist nicht dies oder jenes, sondern ist genau dies: in welcher Weise gemäß ihr die Frage des modalen Realismus zu beantworten ist.

Die Frage des modalen Realismus : Sind die möglichen Welten, die von der wirklichen Welt ver-schieden sind [also: die nichtwirklichen möglichen Welten, die bloß möglichen Welten], Kon-struktionen oder sind sie wie die wirkliche Welt etwas an sich (nichts Konstruiertes)?

An die Seite dieser Frage tritt eine zweite, die für die philosophische Charakterisierung einer Metaphysik der möglichen Welten nicht minder wichtig ist:

Die Frage der modalen Differenz : Worin genau besteht der Wirklich-Nichtwirklich-Unterschied zwischen der wirklichen Welt und den möglichen Welten, die von der wirklichen Welt verschie-den sind?

Beide Fragen präsupponieren die Wahrheit des Zentralsatzes der Metaphysik der mög-lichen Welten (wie auch immer er spezifisch interpretiert werde). Man kann den Zentral-satz ablehnen, etwa dadurch, dass man eine Pluralität möglicher Welten rundweg ablehnt (gleichgültig, wie der Ausdruck „mögliche Welt“ interpretiert sei); dadurch würden beide Fragen gegenstandslos. Ratsam ist eine solche Haltung aber nicht, wenn sie auch nicht komplett irrational ist; denn mögliche Welt en (unter Einschluss der wirklichen Welt)  – auch in unendlicher Anzahl – haben sich für viele Zwecke der logisch-ontologischen Ana-lyse als extrem nützlich erwiesen. Hier sei von der Wahrheit des Zentralsatzes ausgegangen (und weiter unten in der Darstellung der Modalmetaphysik noch von etwas mehr als nur davon).

9. Modale Realismen und modaler AntirealismusDie beiden oben aufgestellten Fragen haben noch eine weitere Präsupposition, die aller-dings nur bei der ersten – der Frage des modalen Realismus – und auch dort nur nebenbei in Erscheinung tritt: Die Fragen setzen voraus, dass die wirkliche Welt etwas an sich ist, ge-meint ist: nichts (von uns) Konstruiertes ist. Dass es sich so verhält, davon sei hier ebenfalls ausgegangen.

Die Gesamtpräsupposition der beiden oben aufgestellten Fragen [diese ist: Der Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welten ist wahr, und die wirkliche Welt ist nichts Konstruiertes] gilt hier also als erfüllt. Demnach: Jede der beiden Fragen – davon wird hier ausgegangen – hat einen Gegenstand, jede von ihnen fordert zur Stellungnahme zu diesem Gegenstand auf.

Eine Antwort auf beide Fragen „in einem Aufwasch“ lässt sich der folgenden Stellungnahme entnehmen:

Der modale Antirealismus:

Ein eigentlicher Wirklich-Nichtwirklich-Unterschied zwischen der wirklichen Welt und den möglichen Welten, die von der wirklichen Welt verschieden sind, besteht nicht, denn alle möglichen Welten sind eigentlich wirklich. Die sog. „möglichen nichtwirklichen Welten“ oder „bloß möglichen Welten“ sind jedoch abstrakte Konstruktionen (von uns) – und als Abstrakta per se etwas Wirkliches; während „die (einzig) wirkliche Welt“ (die sogenannte) nun eben keine solche Konstruktion ist, sondern die vorfindliche Wirklichkeit in ihrer Kon-kretheit. Es besteht also doch ein abgrundtiefer Unterschied zwischen der wirklichen Welt und den übrigen möglichen Welten, nur dass dieser kein (eigentlicher) Wirklich-Nichtwirk-lich-Unterschied ist.

Der modale Antirealismus kann in verschiedenen Gestalten ausgeführt werden (deshalb kann man durchaus auch von „modalen Antirealismen“ sprechen, die in ihrer Verschiedenheit hier aber nicht thematisiert werden sollen), je nach gewählter Weise der Konstruktion der „nicht-wirklichen möglichen Welten“. Z. B. könnten sie als maximalkonsistente Mengen von Proposi-tionen konstruiert werden. Aber in welchem Sinne läge denn beispielsweise bei dieser Kons-

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truktionsweise eine eigentliche Konstruktion vor? Der entscheidende Punkt – der auch dann bestehen bleibt, wenn weder Mengen noch Propositionen Konstruktionen sind (auf welchen Standpunkt man sich ja stellen kann) – ist, dass dem Ausdruck „nichtwirkliche mögliche Wel-ten“ ein Sinn unterlegt wird, der offensichtlich kein eigentlicher Sinn dieses Ausdrucks ist, son-dern ein uneigentlicher . Diese Unterlegung eines uneigentlichen Sinns ist der eigentliche , von uns ausgeführte – oder besser gesagt: von einigen von uns ausgeführte – Akt der Konstruktion. (Offenbar kann man nach dieser Methode jederzeit auch „Hexen“ und „Einhörner“ konstruie-ren – wenn man das denn wollte.)

Der unterlegte Sinn ist kein eigentlicher Sinn des Ausdrucks „nichtwirkliche mögliche Wel-ten“, weil ja die sog. „nichtwirklichen möglichen Welten“ gemäß diesem Sinn eigentlich etwas Wirkliches sind. Hinter dieser Uneigentlichkeit des Sprachgebrauchs im modalen Antirealismus steht aber eine weitere: Der modale Antirealismus ist durchweg von einem Aktualismus bzgl. Welten inspiriert; zwar sei mehreres eine Welt (es ist gut für die philosophische Erkenntnis, dies anzunehmen, also einen philosophischen Weltbegriff zu haben, der dies zulässt), doch alle Welten seien eben etwas Wirkliches. Jedoch, wie in der Anmerkung am Schluss von Abschnitt 8 schon ausgeführt wurde, sind alle Verwendungen des Wortes „Welt“ [Verwendungen eines Sinns], wonach mehreres eine Welt ist und alle Welten etwas Wirkliches sind , uneigentliche , in einem weiten Sinn metaphorische Verwendungen dieses Wortes. Warum ist das so? Nun, weil der generelle Term „Welt“ (als perfekter genereller Term) in jedem eigentlichen Sinn vom singu-lären Term „die Welt“ semantisch abgeleitet ist (nicht umgekehrt) und durch diese Ableitung etwas mitgeteilt bekommen hat, was man als Existenzsingularität bezeichnen könnte: eine Art Erinnerung an seine Abkunft. Damit ist gemeint, dass das zugehörige Wirklichkeitsprädikat „x ist eine wirkliche Welt“ ungeachtet der Pluralität von Welt en [im selben eigentlichen Sinn von „Welt“] notwendigerweise auf eine und nur eine Entität zutrifft (womit gesagt sein soll, dass es notwendigerweise so ist, dass eine und nur eine Entität das Prädikat „x ist eine wirkliche Welt“ [im je gegebenen eigentlichen Sinn von „Welt“] erfüllt, und nicht gesagt sein soll, dass eine und nur eine Entität notwendigerweise das fragliche Prädikat erfüllt42).

Sollte man sich dem modalen Antirealismus anschließen? Dagegen spricht vor allem, dass gemäß dem modalen Antirealismus rein mögliche Welten – Welten, die möglich, aber nichts Wirkliches sind – durch aktuale Repräsentationen „von solchen“ ersetzt werden. Die Anfüh-rungsstriche sind berechtigt, denn die Repräsentationsintentionen dieser Repräsentationen

9. Modale Realismen und modaler Antirealismus(man könnte auch bei diesem letzteren Wort Anführungsstriche setzen) sind gemäß dem mo-dalen Antirealismus allesamt leer : sie repräsentieren nicht, was sie zu repräsentieren vorgeben: rein mögliche Welten. Nicht , dass das reine Möglichsein in reinen Möglichkeiten  – in Entitäten, die rein möglich sind – aufgeht (siehe dazu noch den folgenden Abschnitt); aber wenn das reine Möglichsein nichts, was etwas rein Mögliches ist, als Grundlage hat, dann sieht es mit dem rei-nen Möglichsein selbst schlecht aus. Sei „A“ ein kontingent falscher Satz [ will sagen : der großge-schriebene erste Buchstabe des lateinischen Alphabets vertritt hier einen zwischen Anführungs-zeichen stehenden – also angeführten – kontingent falschen Satz]. Der modale Antirealismus liefert keine Handhabe, die Wahrheit des Satzes „Es ist möglich, dass A“ dadurch zu begründen, dass man auf eine mögliche Welt verweist, in der der Satz „A“ wahr ist; denn wenn man als mo-daler Antirealist auf eine mögliche Welt zu verweisen scheint, in der „A“ wahr ist, auf eine rein mögliche, so verweist man in Wahrheit auf etwas Aktuales, was der Intention nach eine solche Welt repräsentiert, aber es tatsächlich nicht tut – und nennt dieses Aktuale selbst auch noch „eine mögliche Welt, eine rein mögliche“ und meint, alles sei bestens so. Mitnichten. Man kann den Satz „Es ist möglich, dass A“, wo der Satz „A“ selbst falsch ist, nicht dadurch begründen, dass man ein (aktuales) „A“-Bild vorlegt, von dem man behauptet, es sei eine mögliche Welt. Das ist so, als würde man mir beweisen wollen, dass ich mit einem Stab 5,40 m hochspringen kann, in-dem man mir (mit den Worten „Hier siehst du, dass du’s kannst“) ein Bild vorlegt, auf dem ich das tue. Ein solches Bild beweist, für sich genommen , mein Tunkönnen genauso wenig wie mein aktuales Getanhaben durch es bewiesen wird (wobei im letzteren Fall das Vorlegen des Bildes von den Worten „Hier siehst du, dass du’s getan hast“ begleitet wird).

Das einzige Motiv für den modalen Antirealismus ist der Aktualismus, „das Vorurteil zuguns-ten des Wirklichen“ (gemäß Alexius Meinong, „Über Gegenstandstheorie“, § 2), zumindest der Aktualismus bzgl. Welten – ein Motiv freilich, von dem sich viele bestimmen lassen. Der modale Antirealismus ist eine extreme Position in der Metaphysik der möglichen Welten; eine andere extreme Position dieser Metaphysik, eine, die den Extremismus schon im Namen führt, ist die folgende (und es wird sich wieder einmal bestätigen: les extr ê mes se touchent ); wie der modale Antirealismus beantwortet sie die Frage des modalen Realismus und die Frage der modalen Differenz „in einem Aufwasch“:

Der extreme modale Realismus:

Die möglichen Welten, die von der wirklichen Welt verschieden sind, sind wie die wirkliche Welt etwas an sich (nichts Konstruiertes). So sehr sind sie in dieser Hinsicht wie die wirk-liche Welt, dass die möglichen Welten (inklusive der wirklichen), was den Wirklich-Nicht-wirklich-Unterschied angeht, ganz gleichförmig sind (man könnte von einer „Isotropie des logischen Raumes“ sprechen): Relativ zu jeder möglichen Welt w ist zum einen diese selbst, w, etwas Wirkliches (also etwas Mögliches), sind zum anderen relativ zu ihr alle anderen mög-

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lichen Welten nichts Wirkliches, sind diese Welten aber relativ zu ihr auch etwas wenigstens im schwächsten Sinne Mögliches. Relativ zu jeder möglichen Welt w ist also diese selbst, w, die wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten. Den über den unendlich-fach wiederholten und dabei variierten weltenrelativen Wirklich-Nichtwirklich-Unterschied hinausgehenden einen, absoluten Wirklich-Nichtwirklich-Unterschied gibt es nur relativ zu uns [ohne dass hier eine Subjektrelativität im vertrauten Sinn vorläge], insofern, als wir in einer einzigen der möglichen Welten notwendigerweise modal verortet sind und nur dort modal verortet sein können. Das macht jene Welt zu der einen, absolut (und notwendiger-weise) wirklichen Welt, alle anderen möglichen Welten zu absolut (und notwendigerweise) nichtwirklichen.

Der vorletzte Satz der obigen Beschreibung des extremen modalen Realismus offenbart, dass dieser Realismus darauf festgelegt ist, uns  – die menschliche Personen – als Individuen mit mo-daler Dimension aufzufassen, und die möglichen Welten dementsprechend; wären wir nämlich Individuen ohne modale Dimension, so könnten wir keine notwendige modale Verortung in einer einzigen von ihnen haben, zusammen mit Unmöglichkeit der modalen Verortung in allen übrigen. Ohne die Auffassung von uns als modal dimensioniert würde somit jeder Begründung für einen absoluten  – wenigstens gewissermaßen absoluten  – Wirklich-Nichtwirklich-Unter-schied der Boden entzogen, und man könnte genauso gut sagen, alle möglichen Welten seien absolut wirkliche (hierin, z. B., berührt sich der extreme modale Realismus mit dem moda-len Antirealismus), wie man sagen könnte, alle seien absolut nichtwirkliche. Besonders elegant gelingt unsere notwendige Verortung in einer und nur einer möglichen Welt und unsere not-wendige Nichtverortung in jeder von ihr verschiedenen möglichen Welt in der materialistischen Modalmetaphysik des David Lewis, nach der wir und alle möglichen Welten – das sind für ihn die möglichen Raumzeiten – rein physische Individuen mit modaler und mit zeitlicher Dimen-sion sind. Wir sind nämlich gemäß dieser Modalmetaphysik deshalb in genau einer möglichen Welt notwendig verortet und in allen anderen möglichen Welten unmöglich verortet, weil von genau einer möglichen Welt, derselben für alle von uns , gilt, dass wir notwendigerweise ein raumzeitlicher Teil von ihr sind, während von jeder anderen möglichen Welten gilt, dass wir notwendigerweise kein raumzeitlicher Teil von ihr sind. [Von Lewis’ Metaphysik der möglichen Welten lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass sie eine paradigmatische Gestalt des extre- men modalen Realismus ist, wenn sie auch nicht eben eine paradigmatische Gestalt des modalen Realismus überhaupt ist – entgegen weit verbreiteter Ansicht.]

Ein Vergleich mag den extremen modalen Realismus veranschaulichen: Betrachten wir die Punktorte im Weltraum. Jeder dieser Punktorte ist relativ zu sich selbst hier , alle anderen Punkt-orte im Weltraum sind relativ zu ihm nicht hier , sondern dort . Keiner dieser Punktorte ist hin-gegen absolut hier oder absolut dort  – es sei denn, er wäre Ersteres bzw. Letzteres gewissermaßen

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9. Modale Realismen und modaler Antirealismusdadurch, dass ich – vorübergehend eine räumlich fixierte Punktintelligenz – an genau einem der Punktorte im Weltraum notwendigerweise verortet bin und an allen anderen Punktorten unmöglich verortet sein kann.

Der extreme modale Realismus ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, in Misskredit zu bringen. Man könnte (zu Recht) einwenden, dass der extreme modale Realismus keine Kontingenz zulässt; denn die wirkliche Welt ist gemäß dem extremen mo-dalen Realismus notwendigerweise wirklich, alle anderen möglichen Welten sind gemäß ihm notwendigerweise nichtwirklich. Der extreme modale Realist würde darauf nur antworten, er wisse überhaupt nicht, was man meine: Zur wirklichen Welt gebe es zig Alternativen, die alle möglich sind. Ist ein Satz in der wirklichen Welt wahr, so wird er oftmals in einer dieser Al-ternativen zur wirklichen Welt falsch sein; also ist er kontingenterweise wahr. Ist er falsch, so wird er oftmals in einer dieser Alternativen zur wirklichen Welt wahr sein; also ist er kontin- genterweise falsch. Aber, wirft man ein, diese Alternativen zur wirklichen Welt sind doch alle tatsächlich nicht möglich , weil sie gar nicht wirklich sein können, denn das Merkmal, „uns zu beheimaten“, das gemäß dem extremen modalen Realismus der einen möglichen Welt not-wendigerweise zukommt, wodurch sie als notwendigerweise [absolut] wirklich bestimmt wird, kommt allen anderen „möglichen“ Welten mit Notwendigkeit nicht zu, wodurch sie alle als notwendigerweise [absolut] nichtwirklich bestimmt werden. „Wie?“, sagt daraufhin der ext-reme modale Realist. „Die von der wirklichen Welt verschiedenen möglichen Welten sollen nach meiner Lehre angeblich gar nicht möglich sein? Unsinn. Schlechterdings möglich ist jede Welt, die relativ zur wirklichen Welt im schwächsten Sinn möglich ist, also jede Welt , d. h. jede Raumzeit oder jedenfalls (materialismusneutral gesagt) jedes zeitlich und inhaltlich maximale Ereignis.“ Auf den weiteren Einwand, dass die Kontingenz, die der extreme modale Realismus noch zulasse, keine echte , keine genuine Kontingenz sei, wird der extreme modale Realist nur abermals antworten, er wisse gar nicht, was man meine; seine Kontingenz sei für ihn zu ein-hundert Prozent „echt“.

Jede weitere Diskussion erübrigt sich offenbar. Es prallen hier metaphysische Intuitionen auf-einander, die ebenso grundlegend wie unvereinbar sind. Was den extremen modalen Realismus extrem macht, das ist die Nivellierung des Wirklich-Nichtwirklich-Unterschieds, genauer ge-sprochen: dessen Beschränkung rein auf seine weltenrelative Form – was dann aber gewisser-maßen rückgängig gemacht wird, durch die Bezugnahme auf uns (aufgefasst als Individuen mit modaler Dimension), wodurch schließlich doch noch – zusätzlich zum weltenrelativen – ein nicht weltenrelativer, sondern absoluter Wirklich-Nichtwirklich-Unterschied ermöglicht wird. Welcher dann aber wiederum nicht so absolut ist, wie er zunächst scheinen mag; denn unsere Gegenstücke in anderen möglichen Welten – menschliche Personen wie wir  – sind ja dort in der gleichen ontologisch-epistemologischen Lage wie wir hier , und die extremen modalen Realisten unter ihnen werden demzufolge ihren absoluten („absoluten“ – möchte man schreiben) Wirk-

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lich-Nichtwirklich-Unterschied formal in derselben Weise wie die extremen modalen Realisten bei uns treffen, inhaltlich aber in anderer Weise (nämlich auf ihre Welt bezogen).

Mit dem modalen Antirealismus berührt sich der extreme modale Realismus darin, dass bei ihm, wie bei der erstgenannten Position, alle möglichen Welten für absolut wirkliche Welten erachtet werden können (wie schon erwähnt). Ein weiterer Berührungspunkt ist der, dass dem modalen Antirealismus und dem extremen modalen Realismus ein Subjektbezug natürlich ist, nämlich auf uns menschliche Personen, im Fall des Antirealismus als „Konstrukteure“ der nichtwirklichen (oder vielmehr: „nichtwirklichen“) möglichen Welten, im Fall des extremen Realismus als „Entrelativierer“ des Wirklich-Nichtwirklich-Unterschieds. [Wegen dieses Sub-jektbezugs – der freilich keiner im vertrauten Sinn ist – entbehrt der extreme modale Realismus nicht einer gewissen in ihn eingebauten metaphysischen Ironie.]

An die Seite des modalen Antirealismus und des extremen modalen Realismus tritt eine drit-te Position, die, anders als man vielleicht meinen könnte, keineswegs einen Kompromiss zwi-schen den beiden darstellt. Wie jene Positionen lässt auch sie sich auffassen als die Kombination einer Antwort auf die Frage des modalen Realismus mit einer Antwort auf die Frage der modalen Differenz :

Der offene modale Realismus:

Die möglichen Welten, die von der wirklichen Welt verschieden sind, sind wie die wirkliche Welt etwas an sich (nichts Konstruiertes). Neben dem weltenrelativen Wirklich-Nichtwirk-lich-Unterschied (siehe dessen Beschreibung im Rahmen der Beschreibung des extremen modalen Realismus) besteht ein absoluter Wirklich-Nichtwirklich-Unterschied zwischen der wirklichen Welt und den nichtwirklichen, bloß möglichen Welten. Er besteht an sich (ist nichts Konstruiertes), ja er hat begrifflich überhaupt nichts mit uns zu tun (wenn wir auch de facto an seinem Zustandekommen gewissermaßen kausal – „mitkausal“ – beteiligt sein mögen; siehe dazu den übernächsten Abschnitt).

Der offene modale Realismus kann vier globale Gestalten annehmen, je nachdem, ob das Wirk-lichsein derjenigen möglichen Welt, die etwas Wirkliches ist, ihr essenziell ist oder nicht, und ihr intrinsisch ist oder nicht. Erinnern wir uns zunächst an den Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welten : „Die Welt ist die wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Wel-ten.“ Sofern man überhaupt Metaphysik der möglichen Welten betreibt, im Rahmen einer sol-chen Metaphysik eine Position einnimmt, gilt es, den Zentralsatz als eine Wahrheit zu respektie-ren. Der modale Antirealismus und der extreme modale Realismus (in all ihren verschiedenen Gestalten) respektieren den Zentralsatz als eine Wahrheit durchaus – aber sie tun es gewisser-maßen nur dem Buchstaben nach. Das ist deshalb so, weil gemäß diesen modalmetaphysischen Positionen eigentlich keine der von der wirklichen Welt verschiedenen möglichen Welten an-

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9. Modale Realismen und modaler Antirealismus stelle derjenigen möglichen Welt, die die wirkliche ist, hätte die wirkliche sein können. Die von der wirklichen Welt verschiedenen möglichen Welten sind also bei diesen Positionen eigentlich keine möglichen Welten, sie werden bei ihnen nur „mögliche“ genannt . [Und wiederum bestä-tigt sich: les extr ê mes se touchent .]

Bei zwei Globalgestalten des offenen modalen Realismus verhält es sich nun durchaus nicht anders, als es soeben bzgl. des modalen Antirealismus und des extremen modalen Realismus dargestellt worden ist, nämlich bei derjenigen Globalgestalt des offenen modalen Realismus, wo das Wirklichsein derjenigen möglichen Welt, die etwas Wirkliches ist, ihr intrinsisch und essenziell, also ihr intrinsisch-essenziell ist, und bei derjenigen Globalgestalt, wo das Wirklich-sein ihr nicht intrinsisch, aber doch essenziell, also ihr extrinsisch-essenziell ist. Anders gesagt: Bei der ersten Globalgestalt des offenen modalen Realismus ist die fragliche Welt aus sich allein heraus etwas Wirkliches, bei der zweiten Globalgestalt ist sie es zwar ebenfalls aus sich he- raus , aber nicht aus sich allein heraus.43 Bei beiden Gestalten folgt, dass es für jede der anderen möglichen Welten unmöglich ist, etwas Wirkliches zu sein, dass man also, recht besehen, bei ihnen in Anführungszeichen von „möglichen“ Welten sprechen muss (d. h., nicht im eigentli- chen Sinn von möglichen Welten sprechen kann). Es folgt dies dann , wenn der Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welten nicht nur als Wahrheit, sondern als (absolut) notwendige Wahrheit angenommen wird; davon aber, dass der Zentralsatz eine notwendige Wahrheit ist , sei hier ausgegangen

Wie folgt dann das oben eben als Folge Behauptete? Sei w* die mögliche Welt, die essenziell etwas Wirkliches ist (davon, dass es eine solche mögliche Welt gibt, wird bei beiden eben be-trachteten Gestalten des offenen modalen Realismus ausgegangen); dies ist die Annahme 1 . Sei es nun aber einer von w* verschiedenen möglichen Welt w´ möglich, etwas Wirkliches zu sein; das ist die Annahme 2 , die, wie zu zeigen ist, der Annahme 1 vor dem Hintergrund der notwen-digen Wahrheit des Zentralsatzes widerspricht (wodurch das Behauptete etabliert wird). Da w* notwendigerweise etwas Wirkliches ist ( Annahme 1 ), folgt mit der Annahme 2 , dass es möglich ist, dass sowohl w´ als auch w* zusammen wirklich sind.44 Dann kann es aber – entgegen der vorausgesetzten Notwendigkeit des Zentralsatzes  – nicht notwendig sein, dass die Welt die wirk-liche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten ist; denn von der wirklichen Welt kann bei der gefolgerten Möglichkeit ja nicht die Rede sein.45

Dass es zur Folge hat, dass sich Welten, die „möglich“ genannt werden, als eigentlich nicht möglich entpuppen, ist ein Grund, der gegen das – intrinsisch oder extrinsisch – essenzielle Wirklichsein der möglichen Welt, die wirklich ist, spricht. Gewichtiger steht diesem aber ent-gegen, dass es geradezu unwiderstehlich so erscheint, als sei jene Welt nicht notwendigerweise wirklich, sondern nur kontingenterweise: sie hätte auch nicht wirklich sein können (wenn dies oder jenes – insbesondere manches Furchtbare – nicht der Fall gewesen wäre, oder nicht gesche-hen wäre). Der machtvollen Grundintuition der contingentia mundi (eigentlich: contingentia actualitatis mundi actualis ) sollte man sich nicht widersetzen. Es sei denn, man ist von der gegenteilige Grundintuition – der der necessitas mundi  – gleichsam religiös überwältigt, wie Spinoza es war, oder hat wenigstens ein Argument für diese necessitas , wie Leibniz (der freilich – theologisch konform – nicht zugegeben hätte, dass sein Argument sich gegen die Kontingenz der Welt richtete). Leibnizens Argument sieht rekonstruiert wie folgt aus (unrekonstruiert ist es implizit in der Theodizee ):

1. Prämisse : Es ist (absolut) notwendig: Von jeder möglichen Welt w gilt mit (absoluter) Not-wendigkeit: Gott verwirklicht w genau dann, wenn w eine beste mögliche Welt ist und keine von w verschiedene mögliche Welt eine beste ist.

2 Prämisse : Es ist (absolut) notwendig: Von einem w gilt mit (absoluter) Notwendigkeit: w ist eine beste mögliche Welt und keine von w verschiedene mögliche Welt ist eine beste.3. Prämisse : Es ist (absolut) notwendig: Von jeder möglichen Welt w gilt mit (absoluter) Not-wendigkeit: w ist nur dann wirklich, wenn Gott sie verwirklicht.

9. Modale Realismen und modaler AntirealismusDie Deduktion aus den drei Prämissen geht wie folgt: Aus der 2. Prämisse folgt: (a) „Von genau einem w gilt mit Notwendigkeit: w ist eine beste mögliche Welt und keine von w verschiedene möglichen Welt ist eine beste“. „Die notwendig beste mögliche Welt“ stehe abkürzend für den Kennzeichnungsterm „dasjenige w, sodass notwendigerweise w eine beste mögliche Welt ist und [ebenso notwendig] keine von w verschiedene mögliche Welt eine beste ist“. Aus (a) folgt dann kennzeichnungslogisch und unter Verwendung der Abkürzung: (b) „Es ist notwendig: die not- wendig beste mögliche Welt ist eine beste mögliche Welt und keine von der notwendig besten möglichen Welt verschiedene mögliche Welt ist eine beste“. Aus (b) ergibt sich zusammen mit der 1. Prämisse modal-prädikatenlogisch: (c) „Es ist notwendig: Gott verwirklicht die notwendig beste mögliche Welt “, worin logisch liegt: (d) „Es ist notwendig: die notwendig beste mögliche Welt ist wirklich“.

Angenommen nun , für eine von der notwendig besten möglichen Welt verschiedene mögliche Welt w´ wäre es möglich, wirklich zu sein. Dann müsste es für w´ gemäß der 3. Prämisse auch möglich sein, von Gott verwirklicht zu sein. Dann müsste es für w´ gemäß der 1. Prämisse auch möglich sein, eine beste mögliche Welt zu sein. Dann müsste es für w´ auch gemäß (b) möglich sein, mit der notwendig besten möglichen Welt identisch zu sein. Dann wäre w´ aber von der not- wendig besten möglichen Welt gar nicht verschieden46 – im Widerspruch zur Annahme . Mithin ist gezeigt: (e) „Jede von der notwendig besten möglichen Welt verschiedene mögliche Welt ist notwendigerweise nicht wirklich“, also ist auch gezeigt (da für die Herleitung von (e) nur Not-wendigkeiten benutzt wurden): (f) „Es ist notwendig: Jede von der notwendig besten möglichen Welt verschiedene mögliche Welt ist notwendigerweise nicht wirklich“.

Als ein triviales Korollar von (b) (das oben im Schritt von (b) nach (c) schon implizit benutzt wurde) haben wir zudem: (g) „Es ist notwendig: die notwendig beste mögliche Welt ist eine mög-liche Welt“. Aus (d), (f) und (g) ist nun ersichtlich, dass die mögliche Welt, die wirklich ist, mit Notwendigkeit die notwendig beste mögliche Welt ist, und also (wegen (d)) notwendigerweise, mithin essenziell , wirklich ist. Ihr Wirklichsein kann aber schwerlich als „intrinsisch-essenziell“ bezeichnet werden; es ist ihr extrinsisch-essenziell : sie ist aus sich heraus wirklich, aber nicht aus sich allein heraus wirklich (nämlich nicht aus sich allein heraus wirklich ist sie im Blick auf den Wertvergleich zwischen ihr und den anderen möglichen Welten und im Blick auf Gottes Ver-wirklichen).

Die Logik des nun vollständig gegebenen rekonstruiert-leibnizianischen Arguments für die ne- cessitas mundi ist komplex; aber das Problem an dem Argument ist nicht seine Logik, sondern es sind seine Prämissen. Jede von diesen kann angezweifelt werden, und zwar auch dann, wenn man davon überzeugt ist, dass Gott intrinsisch-notwendigerweise (d. h.: aus sich allein heraus) etwas Wirkliches ist, und zudem gar nicht darauf schaut, dass aus den drei Prämissen auch die äußerst unglaubwürdige Behauptung logisch folgt, dass die wirkliche Welt (also: die mögliche Welt, die etwas Wirkliches ist) die notwendig beste mögliche Welt ist – eine Behauptung, die Leibniz vor allem Spott und Empörung eingebracht hat (denken wir an Voltaire, denken wir an Schopenhauer).

Gegen die 1. Prämisse kann vorgebracht werden, dass die Vorstellung göttlicher Vollkommen-heit, die ihr zugrunde liegt, eine extrem rationalistische ist – eine, die Gott zur Erschaffungs-inaktivität verurteilt, solange das Zielobjekt der Erschaffung nicht das einzige beste unter den möglichen Alternativen ist, wenn es das aber ist, ihn zur Erschaffungsaktivität zwingt. Mit der Souveränität Gottes in seinem Handeln ist es danach nicht weit her.

Gegen die 2. Prämisse kann vorgebracht werden, dass sie eine vollkommen aus der Luft ge-griffene Annahme ist (es sei denn man schielte zirkelhafter- und unzulässigerweise von vor-herein auf das, was bei dem Argument herauskommen soll). Eventuell könnte doch überhaupt keine mögliche Welt eine beste sein, sondern zu jeder könnte es eine bessere geben; und selbst wenn es eine beste mögliche Welt gäbe (eine gute mögliche Welt, sodass es keine bessere gibt), dann könnte es doch eventuell mehrere davon geben (eine so gut wie die andere). Uns Men-

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9. Modale Realismen und modaler Antirealismusschen fehlt jeglicher epistemische Hebel zur Begründung oder auch nur zur Untermauerung der 2.  Prämisse. (Eines aber wissen wir sicher: Die mögliche Welt, die wirklich ist, scheint keine beste mögliche Welt zu sein.)

Gegen die 3. Prämisse kann vorgebracht werden, dass eine mögliche Welt doch auch wirklich sein könnte, ohne dass sie von Gott verwirklicht (geschaffen) ist; das wäre angesichts des Wirk-lichseins dieser gewissen möglichen Welt – nämlich derjenigen, die wir am besten kennen – un-ausweichlich der Fall, wenn Gott gar nichts Wirkliches ist; oder zwar etwas Wirkliches ist, sich aber aufs bloße Zuschauen beschränkt (im Anfang, jetzt und immerdar); oder an der Verwirkli-chung der Welt  – „Die Welt ist die wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten“ lautet der Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welten – zwar beteiligt ist, doch dafür nicht allein verantwortlich ist. (Im letzteren Fall würde ein Agens die Welt verwirklichen, bei dem Gott „mit dabei“ ist, vielleicht an zentraler Stelle, aber doch nicht Er .)

Es bleibt (so weit ich sehe) dabei, dass zwei Globalgestalten des offenen modalen Realismus der Plausibilität entbehren: diejenige, wo das Wirklichsein der wirklichen Welt ihr intrinsisch-essenziell ist, und diejenige, wo das Wirklichsein der wirklichen Welt ihr extrinsisch-essenziell ist. Wie steht es mit den beiden anderen Globalgestalten des offenen modalen Realismus: die-jenige, wo das Wirklichsein der wirklichen Welt ihr intrinsisch, aber nicht essenziell ist, und die-jenige, wo das Wirklichsein der wirklichen Welt dieser nicht intrinsisch und nicht essenziell ist. Die erstere von diesen beiden anderen Globalgestalten des offenen modalen Realismus ist man geneigt, ohne Weiteres auszuschließen – aus dem Grund, weil „Intrinsität hin zur Essenzialität treibt“: Es besteht die Neigung anzunehmen, dass wenn das Wirklichsein der wirklichen Welt dieser intrinsisch ist, es ihr auch essenziell sein muss. Das ist aber eine Illusion; aus „intrinsisch“ „essenziell“ zu folgern, stellt ein non sequitur dar – ebenso, wie es umgekehrt ein non sequitur ist, aus „essenziell“ „intrinsisch“ zu folgern.47

Mit der Idee, dass eine und nur eine mögliche Welt intrinsisch, doch kontingenterweise wirk-lich ist, hat es freilich seine Schwierigkeiten . Erstens : Was heißt es eigentlich, dass eine Eigen-schaft y dem x intrinsisch ist? Tatsächlich gibt es zwei Stufen von Intrinsität: (i) y ist dem x in erster Stufe intrinsisch genau dann, wenn x y hat und, dass x y hat, schon herausgefunden werden kann, wenn man seinen Blick [will sagen: seine Erkenntniskraft] auf x allein [einschließlich sei-ner eventuellen Teile] beschränkt; (ii) y ist dem x in zweiter Stufe intrinsisch genau dann, wenn x y hat und, dass x y hat, schon [explanatorisch] erklärt48 werden kann, wenn man seinen Blick auf x allein beschränkt. Die Intrinsität 2. Stufe ist offensichtlich logisch stärker als die Intrinsität 1. Stufe. So ist beispielsweise die Eigenschaft, zu leuchten, dem Mond in 1. Stufe intrinsisch, aber nicht in 2.; der Sonne hingegen ist die Eigenschaft, zu leuchten, in 2. Stufe intrinsisch (folglich auch in 1.). Offensichtlich sind, zweitens , die beiden Intrinsitätsbegriffe beide (erkenntnis)subjekt-abhängig und eher epistemologischer als metaphysischer Natur. Schließlich, drittens , ist das Be-deuten, das Sinnhaben der zwei Intrinsitäts prädikate bei erreichtem Analysestand immer noch vage , sodass eigentlich bislang gar nicht eindeutig festliegt, welche Begriffe genau von ihnen zum Ausdruck gebracht werden.

Die beiden Intrinsitätsprädikate sind alles andere als ideale metaphysische Prädikate. Doch auf die Dienste, die sie, so wie sie sind , leisten können, soll nicht verzichtet werden. Soll dann „y ist dem x intrinsisch“ so viel besagen wie „y ist dem x in erster Stufe intrinsisch“, oder so viel wie „y ist dem x in zweiter Stufe intrinsisch“? Anstatt hier eine Entscheidung zu fällen, lohnt es sich vielmehr, die semantische Unterscheidung, die im vorausgehenden Absatz getroffen wurde, kaum dass sie gemacht ist, nicht gleich wieder syntaktisch zu verschlucken. Es kann dann gesagt werden (vielmehr: es ist dann zu sagen), dass das Wirklichsein derjenigen möglichen Welt, die wirklich ist, ihr in erster Stufe intrinsisch ist. Was hingegen höchst zweifelhaft ist, ist dies: dass das Wirklichsein ihr auch in zweiter Stufe intrinsisch ist.

Wir sagen von Eigenschaften y: (i´) y ist dem x in erster Stufe extrinsisch genau dann, wenn x y hat und, dass x y hat, nicht schon erklärt werden kann, wenn man seinen Blick auf x allein be-schränkt; (i´´) y ist dem x in zweiter Stufe extrinsisch genau dann, wenn x y hat und, dass x y hat, nicht schon herausgefunden werden kann, wenn man seinen Blick auf x allein beschränkt. Zur Illustration: Die Eigenschaft, zu leuchten, ist dem Mond in 1. Stufe extrinsisch, aber nicht in 2.; die Eigenschaft, im Mittel 384403 km von der Erde entfernt zu sein, ist dem Mond in 2. Stufe extrinsisch (darum auch in 1.).

Ist es höchst zweifelhaft, dass das Wirklichsein derjenigen möglichen Welt, die wirklich ist, ihr in zweiter Stufe intrinsisch ist, dann besagt dies nichts anderes, als dass es äußerst glaub-

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9. Modale Realismen und modaler Antirealismushaft ist, dass es ihr in erster Stufe extrinsisch ist: dass sie die Eigenschaft, etwas Wirkliches zu sein, hat und diese Tatsache, nicht schon dann erklärt werden kann, wenn man seinen Blick auf jene mögliche Welt allein beschränkt. Weshalb ist das so? Deshalb: Man findet in der wirklichen Welt keinen ihr innerlichen hinreichenden Grund für ihr Wirklichsein. Und in den anderen möglichen Welten findet man keinen ihnen innerlichen hinreichen-den Grund für deren Nichtwirklichsein. Das legt außerordentlich nahe, dass der Grund für das Wirklichsein der einen möglichen Welt – der Welt  –, und damit für das Nichtwirklich-sein aller anderen möglichen Welten (gemäß dem [notwendig geltenden] Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welt , da aus ihm folgt [weil die Welt notwendig nicht Nichts ist; vgl. Fußnote 45], dass genau eine mögliche Welt wirklich ist), außerhalb von ihr zu suchen ist   – wenn es denn für ihr Wirklichsein einen hinreichenden Grund überhaupt gibt und sie nicht „einfach so“  – ohne jeden Grund  – etwas Wirkliches ist. Aber forscht nicht die Naturwissenschaft, insbesondere die Physik, nach jenem Grund und kommt ihm  – doch sichtlich – immer näher? Dazu ist zu sagen, dass zwar immer wieder medienwirksam und finanzierungsförderlich so, als wäre es so, getan und getönt wird, etwa wenn die lange ge-suchten Gravitationswellen endlich gefunden oder von der Theorie geforderte Teilchen end-lich nachgewiesen sind. Doch was mit diesen wissenschaftlichen Erfolgen nun eigentlich erreicht ist, ist gerade nicht eine Annäherung an eine Beantwortung der Frage nach dem Grund für das Wirklichsein der wirklichen Welt, sondern nur: ein besseres Kennenler-nen der Binnenstruktur der wirklichen Welt. Einer Beantwortung der Frage, warum gera- dedas da“ die Wirklichkeit ist und nicht etwas anderes, kommt man mit einer besseren In-sich-Beschreibung der Wirklichkeit (auch wenn sie sich seit den Tagen, als die Physik des Aristoteles herrschte, extrem verbessert hat) nicht einen Schritt näher.

Die verbleibenden beiden, der Form nach antithetischen Globalgestalten des offenen mo-dalen Realismus – also: die Intrinsisch-und-nicht-essenziell-Auffassung (vom Wirklichsein der möglichen Welt, die wirklich ist) und die Nicht-intrinsisch-und-nicht-essenziell-Auffassung , oder kürzer: die Intrinsisch-und-kontingent - Auffassung und die Extrinsisch-und-kontingent- Auffassung  – verschmelzen bei näherem Zusehen, wie nun deutlich geworden ist, synthetisch zu einer (d. h.: sie lassen sich theoriegünstig so verstehen): derjenigen, wo das Wirklichsein der wirklichen Welt dieser in 1. Stufe intrinsisch, aber nicht in 2. Stufe intrinsisch ist und dieser nicht essenziell ist, oder m. a. W.: zu der Auffassung, bei der das Wirklichsein der wirklichen Welt ihr in 1. Stufe intrinsisch, aber in 1. Stufe auch extrinsisch ist [das ist kein Widerspruch!] und ihr zudem kontingent ist. Mit dieser Form des modalen Realismus – die ganz anders ist als der extreme modale Realismus, da sie ja eine Gestalt des offenen modalen Realismus ist – sind wir nun bei der annehmbarsten Form des modalen Realismus angelangt, und es ist zugleich auch die annehmbarste Position überhaupt in der Metaphysik der möglichen Welten. Gehen wir von ihr aus.

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Die metaphysische Lage, die sich uns darbietet, lässt sich in einer anschaulichen Allegorie zusammenfassen (ich brauche nicht zu betonen, wie sehr andere Theoretiker von der Botschaft des Bildes abweichen, denn ich habe deren Abweichungen bereits sehr deutlich gemacht; ich brauche auch nicht zu betonen, dass das Bild, wie jede Allegorie, „hinkt“): Die wirkliche (die leuchtende) Welt leuchtet (was nichts von uns Konstruiertes ist) allein in der Dunkelheit des (sog.) logischen Raumes, der von ihr und alle anderen (an sich seienden, nicht von uns konst-ruierten) möglichen Welten gebildet wird. Sie hätte auch nicht leuchten können, und an ihrer Stelle hätte auch jede andere mögliche Welt leuchten können (wobei aber unter allen möglichen Welten genau eine leuchten muss – so will es das Gesetz [alias der Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welten ]). Die wirkliche Welt leuchtet jedoch nicht mit selbsterzeugtem Licht (wie die Sonne), sondern mit fremderzeugtem (wie der Mond). Ihr Leuchten liegt nur gleichsam auf ihr. Die Frage drängt sich geradezu auf: Warum verhält es sich ausgerechnet bei dieser gewissen möglichen Welt, der – de facto – wirklichen, so , und nicht bei einer anderen?

10. Ist das Möglichsein durch mögliche Welten immer adäquat darstellbar?

Die Betrachtung möglicher Welten gibt Anlass zu einer Frage, die, obwohl sie die Transzenden-talie möglich betrifft und also an sich in Kapitel 3 gehört, tatsächlich erst jetzt den geeigneten Ort hat, gefragt und beantwortet zu werden.

Mit dem Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welten – dem wahren, ja notwendiger-weise wahren Satz „Die Welt ist die wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Wel-ten“49 – sind so viele „Welt-Szenarien“ (möchte ich sie nennen) vereinbar, wie es mögliche Wel-ten gibt. Um einige von diesen Welt-Szenarien aufzuzählen: 1. dass w1 die wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten ist; 2. dass w2 die wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten ist; 3. dass w3 die wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten; usw . [wobei die möglichen Welten in {w1

, w2

, w3

, usw .} alle voneinander verschieden sind]. Die Welt-Szenarien – kategorial handelt sich bei ihnen um Propositionen (K15) – schei-

10. Ist das Möglichsein durch mögliche Welten immer adäquat darstellbar? nen miteinander unvereinbar, sind aber tatsächlich vereinbar, ja allesamt wahr, wenn in ihren Namen (von denen einige soeben beispielhaft angegeben wurden) „wirkliche“ jeweils relativ zur möglichen Welt, um die es gerade geht, verstanden wird, also: als „in w1 wirkliche“, bzw. als „in w2 wirkliche“, bzw. als „in w3 wirkliche“ usw . Denn es ist wahr, dass wj die in wj wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten ist; und es ist damit selbstverständlich vereinbar, dass wk die in wk wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten ist. Miteinander unvereinbar und gar nicht allesamt wahr werden sie allerdings, wenn „wirkliche“ in den besagten Namen als „absolut wirkliche“ verstanden wird – so verstanden wird, wie „wirkliche“ hier nun auch verstanden werden soll . Es folgt dann (unter der plausibelsten Gestalt des modalen Realis-mus und der Metaphysik der möglichen Welten: siehe das Ergebnis des vorausgehenden Ab-schnitts), dass zwar alle Welt-Szenarien möglich  – nämlich möglicherweise wahr  – sind, dass aber auch alle, bis auf ein einziges von ihnen, nicht wahr sind, vielmehr ihre jeweiligen Negationen wahr (also trivialerweise auch möglich) sind. Nun die Frage: Wodurch sind die nichtwahren Welt-Szenarien möglich ? Denn, wenn sie auch nicht wahr sind, möglich sind sie doch, ebenso wie die Negation des einzigen Welt-Szenarios, das wahr (also trivialerweise auch möglich) ist, immerhin ebenfalls möglich ist. Dies, insgesamt, ist das Kontingenzresultat in der Metaphysik der möglichen Welten, zu dem wir gelangt sind.

Dazu ist zunächst zu sagen, dass die aufgeworfene Frage nicht trivial ist. Es genügt nicht, auf das Wirklichsein aller abstrakten singulären Entitäten zu verweisen und zu sagen, dass folg-lich auch alle Propositionen (da abstrakt), mithin alle Welt-Szenarien (da Propositionen) et-was Wirkliches, also auch etwas Mögliches seien. Denn bei „möglich“ geht es hier eben nicht um möglicherweise wirklich , sondern um möglicherweise wahr . Im Sinne der überaus populären Mögliche-Welten-Analyse des Möglichseins ( der Wahrheit von Propositionen )50 könnte nun ei-ner sagen: Ein nichtwahres, sondern falsches Welt-Szenario ist dadurch möglich ( möglicherweise wahr ), dass es in (oder relativ zu) einer möglichen Welt wahr ist.

Betrachten wir ein Beispiel: das Welt-Szenario, dass w2 die [absolut] wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten ist; dieses Welt-Szenario sei nicht wahr. Nun ist es aber dennoch möglich . Wodurch? Nun sieht man sogleich ein unüberwindliches Problem für die ins Auge gefasste Antwort auf diese Frage: Die Proposition [das Welt-Szenario], dass w2 die [ab-solut] wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten ist, ist in keiner möglichen Welt wahr (sondern ihre Negation ist in jeder möglichen Welt wahr). Und so geht es jeder mit einer möglichen Welt wgebildeten Proposition der Gestalt, dass w die [absolut] wirkliche Welt unter den unendliche vielen möglichen Welten ist, sofern diese Proposition nicht wahr ist: sie ist in keiner möglichen Welt wahr, ist also gemäß der Mögliche-Welten-Analyse der alethischen Modalitäten unmöglich . Für die eine Proposition aber unter jenen Propositionen, die wahr ist – für die gilt: sie ist in jeder möglichen Welt wahr, sie ist also gemäß der Mögliche-Welten-Analyse der alethischen Modalitäten notwendig . Mithin: Die Mögliche-Welten-Analyse der [alethischen] Modalitäten liefert nicht die richtigen Antworten.

Wie soll man nun mit diesem Resultat umgehen? Erweist sich die Intuition absoluter Kontin-genz, die im vorausgehenden Abschnitt „auf den Thron gehoben wurde“, am Ende als Illusion? Wohl nicht; sondern es ist schlicht zu konstatieren, dass die Mögliche-Welten-Analyse des Mög-

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10. Ist das Möglichsein durch mögliche Welten immer adäquat darstellbar? lichseins und ihre Genossen  – die entsprechenden Mögliche-Welten-Analysen des Unmög-lich- und des Notwendigseins – von begrenzter Anwendbarkeit sind. Sie sind angesichts der absoluten Kontingenz des Wirklichseins und Nichtwirklichseins möglicher Welten, bei absolut notwendiger Einzahl der wirklichen Welt unter ihnen, ebenso, nur in ganz anderer Ausformung, von begrenzter Anwendbarkeit wie die oben im letzten Exkurs schon parenthetisch benannte Zweite Mögliche-Welten-Analyse des Möglichseins , „Etwas ist [ontisch51] möglich genau dann, wenn es in einer möglichen Welt etwas Wirkliches ist“, und deren Genossen, nämlich die Zweite Mögliche-Welten-Analyse des Unmöglichseins und die Zweite Mögliche-Welten-Analyse des Notwendigseins: „Etwas ist [ontisch] unmöglich genau dann, wenn es in keiner möglichen Welt etwas Wirkliches ist“; „Etwas ist [ontisch] notwendig genau dann, wenn es in jeder möglichen Welt etwas Wirkliches ist“. Die eine mögliche Welt, die etwas [absolut] Wirkliches ist, ist in [relativ zu] sich selbst wirklich, in allen anderen möglichen Welten nicht wirklich; jede der (un-endlich vielen) anderen möglichen Welten, die alle nicht etwas [absolut] Wirkliches sind, ist ganz genauso wie die [absolut] wirkliche Welt in sich selbst wirklich, in allen anderen Welten nicht wirklich. Jede mögliche Welt ist also gemäß jenen Zweiten Analysen weder [ontisch] un-möglich noch [ontisch] notwendig. Der Kontingenz des Wirklichseins und Nichtwirklichseins aller möglichen Welten wird hier also verbal nicht widersprochen; aber die gleichmacherische Kontingenz , die die Zweit-Analysen liefern (nämlich ohne Rücksicht auf das herausragende [ab-solute] Wirklichsein einer einzigen möglichen Welt), ist nun gerade nicht die gemeinte Kontin-genz.

Es ist also festzuhalten, dass das alethische bzw. ontische Möglichsein – wie auch das ale-thische bzw. ontische Unmöglich- und Notwendigsein – durch mögliche Welten – d. h.: durch das, was in diesen wahr bzw. wirklich ist – nicht immer adäquat darstellbar ist. Das Möglichsein geht nicht auf in Möglichkeiten: in Entitäten, die möglich sind, auch nicht in möglichen Welten (also: in maximalumfassenden, dabei kategorial klassifizierbaren Möglichkeiten). Denn jedes Welt-Szenario, das von einem gewissen Welt-Szenario verschieden ist, ist nicht alethisch un-möglich, obwohl es in keiner möglichen Welt wahr ist, und jenes eine gewisse Welt-Szenario ist nicht alethisch notwendig, obwohl es in jeder möglichen Welt wahr ist. Und jede mögliche Welt ist noch in einem stärkeren Sinn ontisch möglich als nur in dem Sinn, dass sie in einer mög-lichen Welt – nämlich in ihr selbst – etwas Wirkliches ist; jede mögliche Welt ist unbeschadet ihres ontischen Möglichseins noch in einem stärkeren Sinn nicht ontisch notwendig, als nur in dem Sinn, dass sie in einer möglichen Welt, ja in allen von ihr verschiedenen möglichen Welten, nichts Wirkliches ist.

Im Grunde ist dies nicht so verwunderlich, wie es auf den ersten Blick aussieht. Denn eine mögliche Welt ist ja auch nicht korrekt definierbar als eine Welt, die in einer möglichen Welt wahr bzw. wirklich ist. Beide Definitionen – die eine mit „wahr“, die überhaupt nur „ginge“, wenn Welten Propositionen wären, was nur zum modalen Antirealismus passt; die andere mit „wirklich“ – sind offensichtlich zirkulär . Prima facie könnte man aber meinen, dies ließe sich leicht reparieren: indem man das Wort „möglich“ im Definiens einfach weglässt. Aber eine mögliche Welt ist auch nicht eine Welt, die in (mindestens) einer Welt wahr bzw. wirklich ist. Denn zu Recht kann man fragen: Warum sollte das Wahrsein bzw. Wirklichsein einer Welt x in einer Welt y denn x möglich machen, zumal y doch keine andere Welt sein kann als x selbst (denn in jeder von x verschiedenen Welt ist die Welt x nicht wahr bzw. nicht wirklich)? Die Proposition, dass 2+2 = 5, wird doch auch nicht schon dadurch möglich, dass gilt: dass 2+2 = 5, ist wahr in [relativ zu] sich selbst. Und das Andere Individual Anna Karenina wird doch auch nicht schon dadurch möglich, dass gilt: Anna Karenina ist wirklich in [relativ zu] sich selbst. [Oder ist eine notwendige Bedingung dafür, dass x möglich ist, dass y, worin x wahr bzw. wirk-lich ist, eine Welt ist? – Wäre das eine notwendige Bedingung, so wäre es doch noch lange keine hinreichende.]

Schon der Ausdruck „mögliche Welt“ verweist also auf einen absoluten Möglichkeitsbegriff, der auch in der Hinsicht absolut ist, dass er nicht mittels „x ist in y wahr“ bzw. „x ist in y wirk-lich“ auf andere Begriffe reduzierbar ist; welchem Möglichkeitsbegriff ein absoluter Unmöglich-keits- und ein absoluter Notwendigkeitsbegriff entsprechen, bei denen diese Nichtreduzier-barkeit ebenfalls besteht. Unter Verwendung solcher Modalbegriffe gilt in der annehmbarsten Gestalt des modalen Realismus, bei der wir im vorausgehenden Abschnitt angelangt sind: Jede der unendlich vielen Welten ist möglich [möglicherweise wirklich], aber keine notwendig [not-wendigerweise wirklich], und es ist notwendig [notwendigerweise wahr], dass genau eine unter den möglichen Welten wirklich ist. (Aber für keine von diesen Welten ist es notwendig [notwen-digerweise wahr], dass sie wirklich ist! Sonst wäre ja eine von diesen notwendig [notwendiger-weise wirklich].52)

11. Die Erklärung des Wirklichseins der wirklichen Welt

11. Die Erklärung des Wirklichseins der wirklichen Welt

Sei „W*“ – anders als der singuläre Term „die wirkliche Welt“ – ein unter allen Umständen fixer Name für die wirkliche Welt , m. a. W., „W*“ sei – anders als „die wirkliche Welt“ – ein rigider Designator : „W*“ kann ( per fiat ) keine andere Entität bezeichnen, als die, die er bezeichnet: die Welt, die de facto die wirkliche ist. Vor dem Hintergrund des in den beiden vorausgehenden Ab- schnitten Gesicherten stellt sich die Frage: Warum ist W* etwas Wirkliches, und nicht vielmehr eine andere mögliche Welt? (Die Frage greift nicht von ungefähr die leibnizsche Diktion auf.) Eine korrekte Antwort auf diese Frage wäre eine korrekte Erklärung des Wirklichseins von W*. Im Folgenden verwende ich freilich die Wörter „Erklärung“ und „erklärt“ als Erfolgswörter, also stets im Sinn von „korrekte Erklärung“ bzw. „erklärt korrekt“. Hiernach versteht sich dann das Korrektsein einer Erklärung von selbst: wäre sie nicht korrekt, so wäre sie eben keine Erklärung.Manches ist einer Erklärung des Wirklichseins von W* vorauszuschicken: (I) Im Rahmen der Metaphysik, selbst der Speziellen, kann eine Erklärung des Wirklichseins von W* nur eine glo- bale Erklärung sein, keine, die inhaltliche Einzelaspekte (oder gar alle inhaltlichen Einzelaspek-te) am Wirklichsein von W* detailliert erklärt. Also im Rahmen der Metaphysik kann z. B. nicht detailliert erklärt werden, warum, als Teilinhalt von W*, der Holocaust stattgefunden hat; sehr wohl jedoch muss eine globale Erklärung des Wirklichseins von W* mit einer detaillierten Er-klärung des Holocaust nicht nur kompatibel sein, sondern zu dieser Letzteren auch passen , oder treffender gesagt (weil nicht die detaillierte Erklärung des Einzelaspekts, sondern die globale Erklärung des Ganzen in der Metaphysik das Erste ist): eine globale Erklärung des Wirklichseins von W* muss einer detaillierten Erklärung dessen, warum der Holocaust stattgefunden hat, we-nigstens in allgemeinster Hinsicht die Grundrichtung geben – denn, recht besehen, muss ja mit einer globalen Erklärung des Wirklichseins von W* auch das Stattfinden des Holocaust – eines Teilinhalts von W* – wenigstens global erklärt sein. (II) Eine Erklärung des Wirklichseins von W* muss nicht erklären, warum überhaupt eine mögliche Welt etwas Wirkliches ist und warum nur eine mögliche Welt etwas Wirkliches ist. Diese Erklärungsaufgaben sind mit der Notwen-digkeit des Zentralsatzes der Metaphysik der möglichen Welten erledigt. Zudem: Ist das Wirk-lichsein von W* erklärt, so ist wegen der Notwendigkeit des Zentralsatzes ipso facto erklärt, wa-rum alle anderen möglichen Welten nicht wirklich sind. (III) Die Kontingenz des Wirklichseins von W* und des Nichtwirklichseins aller anderen möglichen Welten ruft also nach nichts weiter als der Erklärung gerade dieser bestimmten Verteilung des Wirklichseins (oder auch: des Nicht-wirklichseins), aber danach ruft sie. Und zugleich limitiert eben diese Kontingenz den Ehrgeiz, mit dem – ihrem Ruf folgend – an die fragliche Erklärungsaufgabe herangegangen werden kann: Es gibt keine perfekt zureichende Erklärung des Kontingenten; denn aus den Prämissen einer sol- chen Erklärung, die bei einer perfekt zureichenden Erklärung allesamt notwendigerweise wahr zu sein haben, würde – wie es perfekt zureichenden Erklärungen gemäß ist – das Erklärungsziel rational zwingend, also (deduktions)logisch folgen und wäre somit wie die Prämissen notwen- dig , und gerade nicht kontingent.

11. Die Erklärung des Wirklichseins der wirklichen WeltWas es aber selbstverständlich geben kann, ist eine perfekt zureichende Erklärung des nur scheinbar Kontingenten. Leibniz, im Effekt, ging bei der Frage, warum W* etwas Wirkliches ist, und nicht vielmehr eine andere mögliche Welt, von der nur scheinbaren Kontingenz des Erklä-rungheischenden aus – nämlich dessen, dass W* wirklich ist und keine von W* verschiedene mögliche Welt –, und das in Abschnitt 9 betrachtete, rekonstruiert-leibnizianische Argument lässt sich als Versuch einer perfekt zureichenden Erklärung jenes Zuerklärenden verstehen. Wo-bei wir davon ausgehen dürfen, dass für Leibniz – wie für so viele seiner Kollegen im Laufe der Philosophiegeschichte – nur eine perfekt zureichende Erklärung überhaupt eine Erklärung war und er darauf insistiert hätte, dass es ihm um die (globale) Erklärung von tatsächlich  – und nicht bloß scheinbar – Kontingentem gehe; seine wohlbekannte epistemische Umdeutung des Kontin-genten – nämlich: zum Notwendigen , dessen Notwendigkeit wir Menschen nur nicht im Detail einsehen können – zeigt aber, dass sein Insistieren ganz fehl am Platz gewesen wäre.

Zur globalen Erklärung dessen, dass nun gerade W* die wirkliche Welt unter den unendlich vielen möglichen Welten ist, lässt sich das Argument aus der Wahl der jeweils rationaleren Alter- native angeben (das Argument betrifft, genauer gesagt, die Etablierung der Wahrheit der Prämis- se der angezielten Erklärung). Das Argument beginnt mit einer Frage und gelangt zur Antwort auf sie über eine Reihe von Paaren von immer spezifischer werdenden Alternativen, von denen der Reihe nach jeweils eine gewählt – genauer gesagt: rational präferiert  – wird:

(0) Warum ist W* wirklich?

(1) Es gibt keine hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W* – d. h.: es gibt kein Verwirk- lichendes von W* –, sondern dieses Wirklichsein ist (ontisch) zufällig.

(2) Es gibt eine hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W*.

Alternative (2) wird gewählt , weil bei (1) das Wirklichsein von W* irrational wäre – was der Vernunft (maximal) zuwider ist. Diese Irrationalität kann – rein hypothetisch – kleiner oder größer sein: Z. B. könnten alle möglichen Welten bis auf zwei  – W* eine von diesen – aus

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rationalen Gründen in der Konkurrenz um das Wirklichsein ausscheiden, und der ontische Zufall – die ontische Grundlosigkeit – nur bei diesen verbleibenden zwei eintreten: zuguns-ten des Wirklichseins von W*. Der Zufall wäre klein, zumal dann, wenn die eine in der Konkurrenz verbliebene andere mögliche Welt der Welt W* sehr ähnlich wäre. Das würde aber nichts daran ändern, dass das Wirklichsein von W* nun eben irrational (rational un-verstehbar) wäre.

(21) Es gibt eine hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W*, aber keine genau hinreichende .(22) Es gibt eine genau hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W*.

Alternative (22) wird gewählt , weil (21) auf einen infiniten Regress führt – was der Vernunft zuwider ist: Eine genau hinreichende Ursache für y ist eine hinreichende Ursache für y, in der keine hinreichende Ursache für y echt enthalten ist. Angenommen nun, x1 ist eine hinreichende Ursache für y, aber y hat keine genau hinreichende Ursache, also: in jeder hinreichenden Ursa-che für y ist eine hinreichende Ursache für y echt enthalten. Dann ist in x1 ein x2 echt enthalten, und x2 ist ebenfalls eine hinreichende Ursache für y – aber ebenfalls keine genau hinreichende; dann ist in x2 ein x3 echt enthalten, und x3 ist ebenfalls eine hinreichende Ursache für y – aber ebenfalls keine genau hinreichende. Und so weiter und so fort ad infinitum .

(221) Es gibt mehrere genau hinreichende Ursachen für das Wirklichsein von W*.

(222) Es gibt genau eine genau hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W*.

Alternative (222) wird gewählt , weil (221) kausale Überdetermination bedeutet – was der Ver-nunft zuwider ist: Warum sollte etwas durch mehreres erreicht werden, wenn doch auch schon eines reicht? Kausale Überdetermination – massive – lag übrigens auch schon bei (21) vor; dort allerdings, waren die vielen (unendlich vielen) hinreichenden Ursachen für ein und dasselbe in- einander : x2 in x1

, x3 in x2

, x4 in x3

, etc ad infinitum . Sind es jedoch mehrere genau hinreichende Ursachen für ein und dasselbe, so können diese nicht ineinander , sondern nur nebeneinander sein (Überlappung nicht ausgeschlossen).

(2221) Die genau hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W* ist einfaktorig .

(2222) Die genau hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W* ist mehrfaktorig .

Alternative (2222) wird gewählt , weil (2221) dem inhaltlichen Charakter von W* nicht entspricht und es der Vernunft zuwider ist, wenn die Phänomene nicht respektiert werden. Das Phänomen, um das es hier geht, ist ein augenfälliger inhaltlicher Zug von W*; es ist die massive Konfliktge-ladenheit von W*. Es ist eine der frühesten Welteinsichten (bei Anaximander, bei Heraklit): Der

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11. Die Erklärung des Wirklichseins der wirklichen WeltZusammenprall der Gegensätze kennzeichnen W* – die wirkliche Welt – allenthalben, sei es in der Natur, sei es im Humanum . Es steht aus apriorischen Gründen fest (mit der Wahl von (222)), dass es genau eine genau hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W* gibt; aus einem em-pirischen Grund steht fest (mit der Wahl von (2222)), dass die genau hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W* aus mehreren (nämlich miteinander in Konflikt stehenden) Faktoren zusammengesetzt ist. Nur eine solche genau hinreichende Ursache des Wirklichseins von W* passt zur inhaltlichen Verfasstheit von W*.

(22221) Die genau hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W* ist ohne Zentralfaktor mehrfaktorig.

(22222) Die genau hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W* ist mit Zentralfaktor mehrfaktorig.

Alternative (22222) wird gewählt , weil (22221) dem inhaltlichen Charakter von W* nicht ent-spricht und es der Vernunft zuwider ist, wenn die Phänomene nicht respektiert werden. Das Phänomen, um das es hier nun geht, ist ein anderer augenfälliger inhaltlicher Zug von W*: das umfassende Geordnetsein und einheitliche Gepräge von W*, bei aller Konfliktgeladenheit. Alles geschieht gemäß unverbrüchlichen Regeln – was nicht bedeutet, dass der Gesamtinhalt von W* schon in diesen Regeln, „Naturgesetze“ genannt, enthalten ist, oder auch nur in den Regeln in Kombination mit einem momentanen Gesamtzustand von W*; anders gesagt: dass alles gemäß unverbrüchlichen Regeln geschieht, bedeutet nicht , dass diese Regeln alles – oder beinahe alles – bestimmen .

Es steht aus apriorischen Gründen und einem empirischen Grund fest (mit der Wahl von (2222)), dass die genau hinreichende Ursache für das Wirklichsein von W* mehrfaktorig ist; aus einem weiteren empirischen Grund steht fest (mit der Wahl von (22222)), dass die genau hinreichende mehrfaktorige Ursache für das Wirklichsein von W* einen – nämlich einen koor-dinierenden und dabei zweifellos übergreifend „ordinierenden“ – Zentralfaktor hat. Im Begriff des Zentralfaktors liegt es zudem (wie im Begriff des Mittelpunkts), dass es nicht mehr als einen davon gibt.

Wiederum gilt: Nur eine solche  – wie beschrieben geartete  – genau hinreichende Ursache des Wirklichseins von W* passt zur inhaltlichen Verfasstheit von W*.

Das Argument aus der Wahl der jeweils rationaleren Alternative hat also das Ergebnis, dass es genau eine genau hinreichende, mehrfaktorige, mit Zentralfaktor versehene Ursache des Wirk-lichseins von W* gibt.53 Diese Entität – ein Anderes Objekt: eine Gruppe – heiße „V*“ (ste-hend für: „das genau hinreichende, mehrfaktorige, mit [genau einem] Zentralfaktor versehene Verwirklichende von W*“).

Ist nun hiermit eine Erklärung des Wirklichseins von W* angegeben? Wenn es denn wahr ist, dass es genau eine genau hinreichende, mehrfaktorige, mit Zentralfaktor versehene Ursache des Wirklichseins von W* gibt, m. a. W.: genau ein genau hinreichendes, mehrfaktoriges, mit Zentral-faktor versehenes Verwirklichendes von W*, dann ist eine solche Erklärung angegeben, und es ist sogar eine zureichende Erklärung des Fraglichen. Denn aus der fraglichen Kausalproposition folgt logisch (also rational zwingend), dass V* W* verwirklicht, woraus wiederum logisch folgt, dass W* etwas Wirkliches ist – womit das Erklärungsziel erreicht ist, zumal die Erklärungsprämisse nicht genauso erklärungsbedürftig oder noch erklärungsbedürftiger ist wie das, was erklärt wer-den soll: das Wirklichsein von W*.

12. Die Macht, der Wille und GottAber ist die fragliche Kausalproposition denn wahr? Nur wenn sie wahr ist, liegt eine Erklärung vor, und nicht bloß eine Erklärungsoption . Das Argument aus der Wahl der jeweils rationaleren Alternative etabliert nun sicherlich, dass es rational zulässig ist, von der Wahrheit jener Kausal-proposition überzeugt zu sein, ja sogar, dass dies optimal rational ist. Aber rational zwingend ist dieses Argument selbstverständlich nicht – womit augenfällig geworden ist, dass einem die Vernunft etwas nachdrücklich empfehlen kann, ohne einen dazu zu zwingen.

Die gegebene Erklärung des Wirklichseins von W* (dass das Vorgebrachte eine Erklärung ist, davon gehe ich ab jetzt aus) beantwortet nicht alle Fragen, die sich bzgl. des Wirklichseins von W* stellen – die sich insbesondere dann stellen, wenn auf die speziellen inhaltlichen As-pekte von W* geblickt wird und nach detaillierten Erklärungen ihres Wirklichseins verlangt wird. Aber im Rahmen der Metaphysik kann eben (wie oben schon ausgeführt) nur eine glo-bale Erklärung für das Wirklichsein von W* angegeben werden. Dabei wurden zwei globale inhaltliche Aspekte von W* berücksichtigt: Konfliktgeladenheit und Geordnetheit. Es wird sich Gelegenheit bieten auf diese Aspekte zurückzukommen. Zunächst ist das Augenmerk vor allem auf V* zu richten (ohne dabei W* aus dem Blick zu verlieren): auf das genau hinreichen-de Verwirklichende von W*, das mehrfaktorig ist, dabei aber (genau) einen Zentralfaktor hat. Wie ist die Zusammensetzung von V* näher zu beschreiben, und wie ist näher zu beschreiben der von V* ausgeführte Akt der Verwirklichung?

12. Die Macht, der Wille und Gott

V* ist das Subjekt der Verwirklichung von W*, W* das Objekt. Die Verwirklichung von W* ent-hält zweierlei: 1. die Auswahl von W* zur Mitteilung des Wirklichseins, und 2. die Mitteilung selbst des Wirklichseins an W*. Die Auswahl zur Mitteilung des Wirklichseins und die Mittei-lung selbst geschehen nicht mit einem Schlag, sondern im Laufe der Zeit . Deshalb ist es im Laufe der Zeit auch immer noch offen (bis zu einem gewissen Grad, der immer kleiner wird), welche mögliche Welt nun die wirkliche wird.

Das Verwirklichen von W* durch V* ist genauso kontingent wie das Wirklichsein von W*. Hätte nun der ontische Zufall „da seine Hand im Spiel“ (wenn ich mich einmal so komplett un-eigentlich ausdrücken darf, denn der ontische Zufall hat nicht nur keine Hand, sondern auch

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keine Kausalität, nicht im Mindesten), so wäre durch V*s Verwirklichen von W* zur Erklärung des Wirklichseins von W* letztlich nichts gewonnen. Wie aber beim Argument aus der Wahl der jeweils rationaleren Alternative im vorausgehenden Abschnitt die Alternative (1) und damit der ontische Zufall ausgeschlossen wurde: als der Vernunft zuwider , so wird er auch hier aus-geschlossen: Keiner der Faktoren von V* – der Gemeinschaft der aufs Wirklichmachen Ausge-richteten – ist der ontische Zufall.

Jeder Faktor („Macher“) nun in V*, der keine Wahl jemals hätte , wäre entbehrlich; was ein solcher „Faktor“ dennoch leisten könnte, kann den Spielregeln zugeschlagen werden, denen V* folgt. Es wäre der Vernunft zuwider, wenn V* entbehrliche Mitglieder enthielte. Jedes Mitglied von V* hat folglich (es ist die rationalere Alternative) einmal eine Wahl – eine Zeit lang oder, im Grenzfall, die ganze Zeit lang; eine Wahl, die es unweigerlich auch ausübt. So sind die Spielre-geln für (alle Mitglieder von) V*; wobei die oberste – unausweichliche, metaphysisch diktierte – Spielregel für V* diese ist: „Es ist (absolut) notwendig, dass genau eine von den unendlich vielen möglichen Welten etwas Wirkliches ist, keine der möglichen Welten ist aber notwendigerweise etwas Wirkliches und keine notwendigerweise nichts Wirkliches. Wähle eine mögliche Welt zum Wirklichsein und alle anderen zum Nichtwirklichsein!“ Es ist unmittelbar ersichtlich, dass dieses Letztere – nämlich die Aufforderung, der Befehl – eigentlich überflüssig ist: V* kann hier nicht nicht wählen (es ist in die Wahl „geworfen“), wenn es auch so oder aber so wählen kann. Und wie V* auch wählt, es wählt dadurch, dass alle Mitglieder von V* wählen und dass die Wahl, die V* ausübt, das kollektive Resultat des Wählens aller seiner Mitglieder ist.

Ein Wählen, das erkenntnislos („blind“) erfolgte, wäre vom ontischen Zufall nicht zu unter-scheiden. Der ontische Zufall spielt hier aber keine Rolle, und auch kein Äquivalent von ihm (auch das Schicksal nicht) spielt hier eine Rolle. Das Gegenteil wäre vernunftwidrig. Das von den Mitgliedern von V* ausgeübte Wählen und deshalb die von V* ausgeübte kollektive Wahl ist folglich nicht erkenntnislos (wenn auch überwiegend mit mehr oder minder limitierter und daher mehr oder minder irrtumsanfälliger Erkenntnis), also, da es Erkenntnis nicht ohne Be-wusstsein gibt, bewusst . Es ist demnach nicht unpassend, V* nicht nur als „die Macht“ (hinter dem Wirklichsein der Welt) zu bezeichnen, sondern auch als „der Wille“.

Nicht alle Mitglieder von V* sind gleich. Alle aber sind sie unabhängige (selbstständige) – will sagen: nicht schlechthin unabhängige, sondern auf der Gradleiter des Unabhängigseins jeden-falls mit dem Mindestgrad an Unabhängigkeit U* versehene – Individuen ohne modale und ohne zeitliche Dimension: (individuelle) Substanzen (Kategorie K121111) – die über Bewusst-sein verfügen, einmal eine Wahl haben und wählen, also zweifelsohne alle etwas Wirkliches sind. Jede andere Charakterisierung der Mitglieder von V* würde nicht zu der Rolle passen, die V* gegenüber W* und allen anderen möglichen Welten einnimmt: V* ist die genau hin-reichende, mehrfaktorige, mit Zentralfaktor versehene Ursache des Wirklichseins von W* (und Nichtwirklichseins aller anderen möglichen Welte) – kontingenterweise, durch Wählen , aber

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12. Die Macht, der Wille und Gottohne Beteiligung des ontischen Zufalls oder eines Äquivalents von ihm (wie es erkenntnisloses Wählen wäre). Zu V* gehören alle über Bewusstsein verfügenden Substanzen (die leben, leben werden, oder jemals gelebt haben – oder immer leben ), also auch ich und jeder Mensch, der lebt, leben wird oder jemals gelebt hat. Durch ihr Bewusstsein finden sich die Mitglieder von V* mit ihren Lebensinteressen und dem durch ihre Lebensinteressen gewöhnlich mehr oder minder begrenzten Blick (begrenzt an Weite, Schärfe, Tiefe) zeitlich voranschreitend in die Situation ge- stellt : die mehr oder weniger (im Bewusstsein) erfasste Situation, mit dieser mehr oder weniger gewussten Vergangenheit und diesen mehr oder weniger als möglich gewussten möglichen Zu-künften – und nicht unbedingt immer, aber doch mindestens einmal in die Wahl gestellt (denn das Bewusstsein dient der Wahl; Bewusstsein, wo es niemals etwas zu wählen gibt, ist zwar nicht unmöglich, aber es wäre zweckfrei – im Sinne von „zwecklos“).

Die Mitglieder – die Faktoren – von V* unterscheiden sich durch ihre jeweilige Macht: also dadurch, wie viele mögliche Alternativen jeweils in ihrer Macht stehen – prinzipiell und in der jeweiligen Situation – und wie inhaltlich umfassend diese sind. Sie wählen alle mindestens ein-mal, viele wählen sehr oft, manche beständig. Wodurch aber ist dafür gesorgt, dass die kollektive Wahl konsistent ist: die Auswahlmenge nicht leer ist; und dass sie (die Wahl) vollständig ist: am Ende eine mögliche Welt – und keine weitere – in der Auswahlmenge ist? Eine Möglichkeit der metaphysischen Theoriebildung ist, dass die Spielregeln für V* dafür automatisch sorgen. Unter den Spielregeln für V* muss man sich absolute Notwendigkeiten vorstellen, wie den Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welten, aber auch gar nicht absolute „Notwendigkeiten“ – also gar keine Notwendigkeiten (gemäß der in diesem Buch favorisierten Sprachregelung, nur ab-solute Notwendigkeiten als „Notwendigkeiten“ im eigentlichen Sinn zu bezeichnen). Sind solche kontingenten Spielregeln die sogenannten (von uns partiell erkannten) Naturgesetze ? Das kann man so sehen; andererseits kann man diese Letzteren aber auch sehen als ein Teilergebnis der Wahl von W* zum Wirklichsein, sind sie doch in ihrer Erscheinung nichts anderes als die glo-balen inhaltlichen Regularitäten an W* und machen in ihrer Gesamtheit das umfassende Ge-ordnetsein von W* aus, begründen das einheitliche Gepräge von W*. Kontingente Spielregeln für V* gibt es sicherlich, aber sie sind (ob als Naturgesetze oder auch noch anders), was die Regulierung der Tätigkeit von V* angeht, nicht das metaphysisch Erste; ihre Leistung ist dem-entsprechend nichts Automatisches: keinFall von Selbstbewegtheit.

Die Regulierung der Tätigkeit von V* fällt vielmehr dem Zentralfaktor von V* anheim. Dieser setzt die kontingenten Spielregeln für V* und hat die umfassende Arbitration bei verbleibenden Konfliktfällen inne (im einfachsten Fall da, wo die Wahl, die Faktor x trifft, und die Wahl, die Faktor y trifft, zu einer leeren Auswahlmenge führen würde). Aber der Zentralfaktor koordiniert nicht nur, er „ordiniert“ auch: Seine eigene, nichtverhandelbare, von vornherein gesetzte Wahl resultiert in der ( viel elementigen) Menge derjenigen möglichen Welten, die gewisse globale Re-gularitäten (die sog. Naturgesetze ) aufweisen; W* ist unter diesen möglichen Welten. Darüber

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hinaus beteiligt sich der Zentralfaktor an der weiteren Wahl, die im Laufe der Zeit zur Auswahl von W* führt (auch er ist in die Situation gestellt ). Der Zentralfaktor hat zudem (und vor allem) das Monopol inne hinsichtlich der Mitteilung des Wirklichseins: Alle Faktoren von V* wählen zur Mitteilung des Wirklichseins, nur der Zentralfaktor teilt das Wirklichsein auch mit. Damit wartet er freilich nicht, bis W* fertig ausgewählt ist, sondern die Mitteilung Zug um Zug des Wirklichseins erfolgt im zeitlichen Gleichschritt mit der Wahl Zug um Zug zur Mitteilung des Wirklichseins. (Dadurch entsteht bei den anderen Faktoren – wenn etwas wirklich wird, was ganz im Sinne ihrer Wahl ist – die Illusion, sie würden es verwirklichen; in Wahrheit haben sie es nur gewählt; der Zentralfaktor aber hat ihre Wahl ganz gelten lassen und dem, was sie gewählt haben, die Wirklichkeit verliehen.) Dieses Verwirklichen Zug um Zug nach der Ordnung der Zeit bedingt das zeitliche Fließen des Geschehens und konstituiert retrospektiv-allinklusiv „den Gang der Geschichte“ (von Natur und Humanum).

Das Verhältnis, in dem der Zentralfaktor zu den übrigen Faktoren in V* steht, lässt sich nur dann befriedigend erklären und somit die Erklärung des Wirklichseins von W* mittels V* zu einem befriedigenden Abschluss bringen, wenn die übrigen Faktoren in V* – alle außer dem Zentralfaktor – die Kreaturen des Zentralfaktors sind: wenn er selbst – der aber selbst intrin-sisch-essenziell wirklich, intrinsisch-essenziell bewusst ist – sie alle in ihr Wirklichsein wollen-der Bewusstheit und Wahl gesetzt hat, wobei sie alle – in allen Machtgraden, vom niedrigsten bis zum höchsten – abgeschwächte, aber eigenwollende und eigengestaltige Replikate von ihm selbst sind. „Warum nur?“, möchte man da aber fragen, da der Zentralfaktor doch sehr wohl auch ganz allein alles selbst hätte machen können: in der Bestimmung dessen, was der notwen-dig wahre Zentralsatz der Metaphysik der möglichen Welten zur Bestimmung noch offenlässt. Freilich wäre die wirkliche Welt dann eben eine andere mögliche Welt gewesen als W* – was an-gesichts gewisser inhaltlicher Aspekte von W* „nicht unbedingt schlecht“ gewesen wäre, möch-te man sagen.

Der Zentralfaktor von V* ist ja niemand anderes als der eine Gott . Die Attribute der Einzigkeit, der überaus großen Macht und Intelligenz sind aus der Funktion des Zentralfaktors unmittelbar ablesbar (und verweisen auf Allmacht und Allwissenheit); ebenso ist daraus ablesbar, gewisser-maßen nebenbei, die Existenz  – qua intrinsisch-essenzielles Wirklichsein  – Gottes, also das, wo-rum sich die sogenannten Gottesbeweise obsessiv und myopisch abmühen.54 Das Attribut der großen G üte aber bleibt zweifelhaft.

12. Die Macht, der Wille und Gott

„Bonum est diffusivum sui“ lautet der alte, auf den Pseudo-Dionysius und über ihn hinaus auf den heidnischen Neuplatonismus zurückgehende große Satz. Aber gerade dieses Bonum , dessen freies Sichergießen aus dem Zentralfaktor – aus Gott als etwas überaus Gutem – die Multiplizi-tät der Faktoren in V* erklären könnte und zum befriedigenden Abschluss der Erklärung des Wirklichseins einer bestimmten möglichen Welt mittels V* beitragen könnte, ist angesichts des Anblicks, den die faktisch wirkliche Welt, W*, bietet, zweifelhaft . Es ist zweifelhaft gerade ange-sichts der Konfliktgeladenheit von W*, angesichts des W* global innewohnenden Streits, der nicht nur der Vater aller Dinge ist (wie Heraklit meinte), sondern auch die Mutter von massen-haftem Tod und verheerender Zerstörung. Nun könnte man dafür den kollektiv-bösen Kollek-tiv-Willen der übrigen Faktoren von V* verantwortlich machen und den Zentralfaktor, Gott, entschulden. Aber der Koordinator aller Willen, Arbitrator aller Konflikte zwischen den Willen, sollte gerecht sein, wenn er überaus gut ist. Und an der Gerechtigkeit gebricht es offenbar. Nicht einmal den Bösesten der Bösewichte wird vom Zentralfaktor rechtzeitig Einhalt geboten. Viel-mehr: Um sie herum akkumuliert sich regelmäßig (regelmäßig in der Menschheitsgeschich-te) ein zerstörerischer Gruppenwille, welchen Willen Gott schlicht erfüllt (per Mitteilung des Wirklichseins); dessen (des Gruppenwillens) böses Werk ein stärkerer Gegenwille regelmäßig nur um den Preis von weiterem Leid und Tod und weiterer Zerstörung beendet – aber offenbar nicht der Wille Gottes beendet, es sei denn insofern, als das Beenden immer nach den von Gott gesetzten Spielregeln und den von Gott gesetzten Naturgesetzen vorgeht und die Mitteilung des Wirklichseins – wie immer – bei Gott liegt. Gott verbirgt sich hinter seinen Gesetzen; er lässt sie – er macht sie – walten, und darüber hinaus erfüllt er den Willen anderer (wenn auch stets im Rahmen seiner Gesetze, also nach Gesetzeslage , sei das Wollen, um das es geht, böse oder gut). Von einem überaus guten Gott würde man eigentlich etwas anderes erwarten, nämlich, schlicht und einfach, effektive Hilfe für alle, die unter den Bösen leiden.

Aber Gott verbirgt sich hinter seinen Gesetzen – insbesondere auch hinter den Naturgesetzen, die in W* erfüllt sind. Eine überaus schöne Ordnung ist sie: die durch die Naturgesetze gestiftete globale Ordnung von W*, deren mathematische Ästhetik auch Wissenschaftlern, die allem Re-ligiösen abhold sind, noch Bewunderung abnötigt. Jedoch, es ist auch eine überaus gnadenlose Ordnung, dabei unpersönlich wie das Karma  – aber, anders als es das Karma der Lehre nach ist, vollkommen gleichgültig gegenüber moralischen Kategorien. Ein Stolpern auf der Treppe in der Eile – unter geeigneten Umständen bedingt es rein naturgesetzlich den Tod oder ein Siech-tum für den Rest des Lebens. Eine kleinste Nichtbeachtung der Naturgesetze aus Versehen oder Leichtsinn (von deren Verletzung kann man nicht sprechen: sie sind nur von Gott verletzlich) – oft genug ist schwere Schädigung oder der Tod davon die Folge.

Die große Güte Gottes ist zweifelhaft – ja, möchte man sagen, sogar seine Güte überhaupt. Die meisten schließen daraus, dass auch Gottes Existenz zweifelhaft sei. Das folgt jedoch nicht, wie aus der Auslegung der gegebenen Erklärung des Wirklichseins von W* – gegeben auf der Grund-lage des Arguments aus der Wahl der jeweils rationaleren Alternative  – ersichtlich ist: Wir haben allen Anlass, im Zentralfaktor von V* Gott zu erblicken. Wer auf Gott vertraut , wird ihm trotz begründeten Zweifels sogar die Allgüte, und vor allem das weltabschließende Allerbarmen , nicht absprechen. Aber das Vertrauen auf Gott lässt sich an diesem Punkt durch nichts im Mindesten ersetzen.

13. Ein leichter und sicherer Weg zu Gott?

Auf der Grundlage des Arguments aus der Wahl der jeweils rationaleren Alternative ergab sich eine globale Erklärung des Wirklichseins von W* – innerhalb der Metaphysik der möglichen Welten, nach begründeter Ablehnung des modalen Antirealismus und des extremen modalen Realismus, nach Ablehnung zweier Globalgestalten des offenen modalen Realismus, nach Ak-zeptanz der für am plausibelsten erachteten Form der Metaphysik der möglichen Welten: der-jenigen Form, welche sich innerhalb des offenen modalen Realismus schließlich noch zeigte. Jene globale Erklärung des Wirklichseins von W* führte dann durch die mit ihr verbundene Auslegung des zentralen Erklärungsverhältnisses  – V* [die mehrfaktorige, mit Zentralfaktor versehene Macht: der Wille ] verwirklicht W* – zu Gott . Das Ganze gleicht in Retrospektive einer höchst beschwerlichen und gefährlichen Bergbesteigung (denn schwerer Irrtum lauert wie Stein-schlag und Gletscherspalte überall) auf äußerst komplizierter Route – in der am Ende gewisser-maßen das Kreuz auf den Gipfel gesetzt wird.

Das Kreuz wird kaum einer zunächst anders lesen können denn als Symbol der christ-lichen Religion, des christlich gedeuteten Gottes. So will ich es hier aber durchaus nicht verstanden wissen. Es steht in der Tat für Gott , aber für Gott , der zugelassen hat – der selbst in den schlimmsten Fällen nicht verhindert hat –, dass die wirkliche Welt ein Ort der Qual ist, eine Grube des Leidens. Die Welt ist das Kreuz für die Lebendigen – nicht nur, aber auch (und an zentraler Stelle) dank Gott . Ob hinter diesem Kreuz noch ein anderes Kreuz für Gott steht: das Kreuz Christi, das Kreuz des Heils und der Erlösung, welches zweite Kreuz, wie geschrieben steht, ein göttlich überwundenes Kreuz gottmenschlichen Leidens ist und die letztendliche göttliche Überwindung des erstenKreuzes für alle verkündet – dies nun ist nicht mehr Sache der Metaphysik (solange sie nicht zur Metaphysik einer bestimm-ten Religion wird), sondern ist Sache eben der Religion. Der christliche Glaube bejaht die eben (implizit) gestellte Frage; aber Religionen, die sie verneinen, können dabei durchaus nicht  – nicht in Vernunft  – auch das erste Kreuz, das Kreuz der Welt und Gottes große

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13. Ein leichter und sicherer Weg zu Gott?Teilverantwortung dafür, leugnen; in diesem Sinne steht das Kreuz auch für sie – für diese anderen Religionen – für Gott .

Vielen wird der Skandal allerdings nicht das Kreuz sein, sondern, dass in der Erklärung des Wirklichseins von W* überhaupt Gott bemüht wird, ein Gott auch noch, der einen weltwirksa-men freien Willen hat (was heutzutage selbst Theologen oft ablehnen). Den Willen Gottes nennt Spinoza im Anhang zum 1. Teil seiner Ethik „die Freistatt der Unwissenheit [asylum ignoranti-ae]“ und spricht damit zweifelsohne vielen aus dem Herzen. Viele werden der Auffassung sein, eine Erklärungsoption für das Wirklichsein von W*, die Gott bemühe, könne nicht korrekt sein (könne also gerade keine Erklärung des Fraglichen sein). Nun wurde hier für die Wahrheit der Prämisse, auf der die dargebotene Erklärungsoption beruht, sorgfältig argumentiert, ihr nähe-rer Inhalt wurde sorgfältig entfaltet. Wäre denn eine Erklärungsoption, die bei den Aspekten, die hier dem Willen Gottes zugewiesen wurden, vom per definitionem unerklärbaren ontischen Zufall Gebrauch macht oder von „kontingenter Notwendigkeit“ (und jede angebliche Notwen-digkeit, die keine rein sachinnere ist,55 ist – eigentlich – kontingent und verlangt selbst nach Er-klärung), eine bessere Erklärungsoption als die hier dargebotene? Es dürfte hinreichend deutlich geworden sein, dass dem nicht so ist.

Das Wirklichsein des nicht absolut notwendigerweise Wirklichen – hier: das Wirklichsein von W* – lässt sich nicht perfekt zureichend erklären; zureichend erklären lässt es sich also nur durch: nicht absolut Notwendiges. Ein Erklärungsabschluss – also ein Punkt, an dem man erklä-

13. Ein leichter und sicherer Weg zu Gott?

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rungszufrieden sein kann – ist dennoch erreichbar, lässt sich aber, solange in (intendiert) letzter Instanz der ontische Zufall oder „kontingente Notwendigkeit“ (etwa die der Naturgesetze) zur Erklärung herangezogen werden, nicht erreichen. Allein mit der ausschließlichen Berufung in letzter Instanz auf den Verwirklichungswillen von V* – und an zentraler Stelle auf den Ver-wirklichungswillen des Zentralfaktors von V*: auf den Willen Gottes  – vermag man zwischen der Skylla des infiniten Erklärungsregresses und der Charybdis des unbegründeten Erklärungs-abbruchs hindurch zu rudern.

Mit Gott als zentralem Faktor bei der zufriedenstellenden Erklärung des Wirklichseins von W* kann man sich gut ( der Vernunft gemäß gut) abfinden. Und dennoch: Gibt es nicht einen einfacheren, einen vergleichsweise kurzen und leichten, ganz ungefährlichen, völlig sicheren Weg zu Gott, der seine Existenz – sein Wirklichsein – herzeigt, ohne ihn zugleich mit der An-klage zu konfrontieren, für das Böse in der Welt an zentraler Stelle mitverantwortlich zu sein? Das Angebot eines solchen Weges gibt es spätestens, seit Anselm von Canterbury ein Argument fand, das seither in immer neuen Versionen die Philosophen endlos fasziniert, das endlos ins Feld geführt, endlos bekämpft wird: der sog. ontologische Gottesbeweis . Was macht diese Faszi-nation aus? – Es lässt sich schon an der absolut einfachsten Gestalt des Arguments erkennen:

Prämisse 1: Gott ist etwas absolut Vollkommenes.

Prämisse 2: Wenn Gott etwas absolut Vollkommenes ist, dann ist Gott aus sich allein heraus etwas Wirkliches.

Also: Gott ist aus sich allein heraus etwas Wirkliches.

An der logischen Schlüssigkeit dieses einfachsten ontologischen Gottesbeweises, will sagen: die-ses einfachsten Arguments vom Typ Ontologischer Gottesbeweis ; oder sprechen wir neutral statt von ontologischen Gottesbeweisen von Anselm-Argumenten  – also: an der logischen Schlüssig-keit dieses einfachsten Anselm-Arguments (des obigen) lässt sich nicht rütteln: die einzige in ihm verwendete Schlussform ist der (zweifellos logisch gültige) modus ponens .

Zur Begründung der Prämisse 2, dann, ist zu sagen: Nicht alles Wirkliche ist vollkommen, und : Nicht alles Vollkommene ist etwas Wirkliches. Allerdings kann man wohl auch sagen: Wenn etwas Vollkommenes nicht aus sich allein heraus wirklich ist, dann folgt daraus logisch, dass es nicht absolut vollkommen ist: weil ihm das intrinsisch-essenzielle Wirklichsein abgeht, so vollkommen es auch sonst ist. Daher gilt mit logischer Notwendigkeit: Wenn etwas absolut vollkommen ist, dann ist es aus sich allein heraus wirklich. Folglich (denn was für alle gilt, gilt auch für jeden Einzelfall): Wenn Gott etwas absolut Vollkommenes ist, dann ist Gott aus sich allein heraus etwas Wirkliches.

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13. Ein leichter und sicherer Weg zu Gott?

Zur Begründung der Prämisse 1, aber, ist zu sagen: Sie ist in derselben Weise wahr, wie „256 ist eine absolut gerade Zahl“ wahr ist: analytisch (wobei eine absolut gerade Zahl eine natürliche Zahl ist, die nur 2 als primen Teiler hat und größer als 0 ist).

Am obigen einfachsten Anselm-Argument ist also, wie es scheint, genauso wenig auszusetzen wie an dem folgenden Argumentchen :

Prämisse 1´: 256 ist eine absolut gerade Zahl.

Prämisse 2´: Wenn 256 eine absolut gerade Zahl ist, dann ist 256 eine Potenz von 2.

Also: 256 ist eine Potenz von 2.

Das Argumentchen ist nicht etwa zirkulär, denn man kann seine Prämissen begründen, ohne die Konklusion schon vorauszusetzen: Prämisse 1´ dadurch, dass man die Primzahlen, die klei-ner als 256 sind, durchgeht und sieht, dass nur 2 256 teilt; Prämisse 2´ dadurch, dass man den allgemeinen Satz beweist: Jede absolut gerade Zahl ist eine Potenz von 2.56 Und ebenso nicht zir-kulär ist das einfachste Anselm-Argument; denn auch seine Prämissen lassen sich begründen, ohne die Konklusion schon vorauszusetzen (wie vorgeführt).

Was lässt sich also gegen das einfachste Anselm-Argument sagen? Dies: Während es so gut wie niemandem, der ein wenig nachdenkt, in den Sinn kommt, zu bezweifeln, dass 256 eine Potenz von 2 ist (die achte), oder gar das Gegenteil zu behaupten, kommt es sehr vielen, die nachdenken, in den Sinn, zu bezweifeln, dass Gott etwas Wirkliches ist; es kommt ihnen so-gar in den Sinn, das Gegenteil zu behaupten. Während jemand, dem es, trotz Nachdenkens, zweifelhaft schiene, dass 256 eine Potenz von 2 ist, oder gar schiene, dass 256 keine Potenz von 2 ist, mehr oder minder unvernünftig (ein „Narr“) wäre, wird, heutzutage, keiner der Bezweifler und Verneiner des Wirklichseins Gottes ihrer Haltung wegen als unvernünftig an-gesehen (ganz entgegen dem biblischen Wort [Ps 14, 1; Ps 53, 2]: „Der Narr spricht in seinem Herzen: ‚Es ist kein [wirklicher] Gott‘.“). Und unvernünftig ihrer Haltung wegen sind diese Bezweifler und Verneiner wohl auch tatsächlich nicht.

Das bedeutet, dass das einfachste Anselm-Argument und mit ihm alle komplexeren Anselm-Argumente, alle „ontologischen Gottesbeweise“, nicht besser, wohl tatsächlich eher schlechter dastehen (weil sie mehr versprechen, als sie halten können) als der beschwerliche, unsichere Weg zu Gott, der in den vorausgehenden Abschnitten aufgewiesen wurde (welcher Weg – wenn man Traditionen sehen will – eine Weiterentwicklung des sog. kosmologischen Arguments ist). Es ist rational zulässig, den Satz „Gott ist etwas absolut Vollkommenes“ als analytisch wahr an-zusehen (aber nicht rational zulässig ist es, den Satz „V* ist etwas absolut Vollkommenes“ oder den Satz „W* ist etwas absolut Vollkommenes“ als analytisch wahr anzusehen, oder den Satz „Die allervollkommenste Insel ist etwas absolut Vollkommenes“; dass das Letztere nicht rational zulässig sei, kann dem Mönch Gaunilo – Anselms erstem Kritiker – entgegengehalten werden, und zwar durchaus im Sinne Anselms). Es ist aber auch rational zulässig, den Satz „Gott ist et-was absolut Vollkommenes“ als nicht analytisch wahr anzusehen, ja ihn als falsch anzusehen; ja, es ist angesichts der Unangreifbarkeit von Prämisse 2 unvermeidlich, ihn als falsch anzusehen, wenn man es für wahr hält (was viele tun und immer mehr tun), dass Gott nichts Wirkliches ist (denn wenn Gott nichts Wirkliches ist, dann ist er natürlich nicht aus sich allein heraus etwas Wirkliches57).

Gerade bei der Gottesthematik zeigt sich somit paradigmatisch ein epistemologischer Charakterzug der Metaphysik: das unhintergehbare sic et non (könnte man es nennen  – denn Abaelard war gewiss einer, der von diesem Charakterzug wusste). Derartige, in Rich-tung und Gegenrichtung beidseitig offene und begehbare Wege der Erkenntnisvernunft zu entgegengesetzten Positionen – wie im Fall der Frage, ob Gott etwas Wirkliches ist – treten auch bei nicht wenigen anderen metaphysischen Themen auf (dieses Buch dürfte davon einen Geschmack vermittelt haben). Und während das unhintergehbare sic et non auch auf anderen Gebieten der Wissenschaft vorkommt und, wenn es vorkommt, vorübergehend den Wissenschaftlern ins Bewusstsein rückt (bevor alle dann doch am Ende einen von den beiden Wegen gehen), ist es in der Metaphysik so häufig und so permanent präsent, dass es tatsächlich als charakteristisch für sie zu gelten hat. Man mag diesen Charakterzug der Metaphysik – in der Nachfolge Kants – beklagenswert finden. Man soll ihn, vielmehr, loben und bewahren.

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Anhang

Graphische Darstellung des Kategoriensystems Σ

Die Grafik finden Sie auch zum Download unter www.wbg-wissenverbindet.de/shop/35934/metaphysik-ohne-vorurteile

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Bibliographie

Angeführt sind Werke, auf die im Buch explizit oder implizit Bezug genommen wird, sowie Werke, die zu Stichworten des Namens- und Sachregisters Näheres und Weiteres bieten.

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Namensregister

Sachregister

Sachregister

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SachregisterSachregisterSachregisterSachregisterSachregister