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: Histoamericana 32

Histoamericana 32

Inhalt

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist die leicht überarbeitete Fassung meiner 2014 an der Universität Bielefeld abgeschlossenen Dissertation. Sie wäre ohne die intellektu-elle und materielle Unterstützung einer Vielzahl von Personen und Institutionen nicht möglich gewesen. Zuallererst möchte ich Prof. Dr. Christian Büschges dan-ken, der die Studie als Erstgutachter während ihres Entstehungsprozesses begleitet hat. Durch unzählige Ratschläge und in vielen Gesprächen hat er gewährleistet, dass das zentrale Erkenntnisinteresse während der intensiven Forschungsarbeit nicht aus dem Blick geriet und dass die Arbeit zu jedem Zeitpunkt operationalisier-bar blieb. Prof. Dr. Thomas Fischer danke ich zum einen für seine Bereitschaft, als ausgewiesener Kolumbienexperte die Zweitbegutachtung der Promotionsschrift zu übernehmen, zum anderen für seine Hinweise bezüglich der Einordnung der Ergebnisse und Thesen der Arbeit in den Gesamtkontext der kolumbianischen Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Während des einjährigen Forschungsaufenthaltes in Kolumbien habe ich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kennengelernt, die mich wäh-rend der oftmals mühseligen Recherchen begleitet und unterstützt haben. Bei Prof. Dr. Medófilo Medina bedanke ich mich für die unzähligen Gespräche, in denen er Licht in das Dunkel von Widerstandskämpfern, deren Aliasnamen, loka-len Machtstrukturen sowie Schauplätzen der Violencia wie Dörfern und kleinen, Außenstehenden unbekannten Weilern gebracht hat. Auch war er mir behilflich bei der Kontaktaufnahme mit Zeitzeugen der Violencia – ohne ihn wäre ich nicht in den Genuss gekommen, mit diesen sprechen zu können. Weiterhin stellte er mir die Aufnahmen von Interviews mit inzwischen verstorbenen kommunistischen Kombattanten zur Verfügung, die er Anfang der 1980er Jahre im Rahmen seiner Forschungen zur Geschichte der Kommunistischen Partei Kolumbiens geführt hatte. Medófilo Medina und seiner Ehefrau Vera Weiler bin ich aber auch jenseits jedweder akademischer Angelegenheiten zu tiefstem Dank verpflichtet. Zu einer Zeit, die der Agonie nahekam, standen sie meiner langjährigen Lebenspartnerin Kirsten Epler und mir bei. Aus demselben Grund danke ich auch Alberto und Amanda González von ganzem Herzen.

Prof. Dr. Gonzalo Sánchez, Prof. Dr. María Victoria Uribe, Prof. Dr. Armando Moreno Sandoval, Prof. Dr. José del Carmen Buitrago und Prof. Dr. Gerardo Muñoz waren trotz ihrer mannigfaltigen Verpflichtungen bereit, Gespräche mit mir über die bewaffneten Auseinandersetzungen in Tolima zu führen und mir wertvolle Hinweise zur Konzeption der Arbeit sowie Quellenbeständen zu geben. Prof. Hernán Clavijo sei für seine Bereitschaft gedankt, mir den Weg in das Archivo Histórico Judicial del Tolima zu weisen, das er mit Studierenden der Uni-

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versidad del Tolima aufgebaut hat. Weiterhin stellte er den Kontakt zum Palacio de Justicia in Ibagué her, wo ich bislang nicht ausgewertete Quellen studieren konnte. Dr. Robert Karl und Dr. Rocío Londoño sei dafür gedankt, ihre Disser-tationen bereits vor ihrer Veröffentlichung lesen und in der vorliegenden Arbeit verwenden zu dürfen.

Dr. Otto Morales Benítez erklärte sich zu einer Serie von Gesprächen mit mir bereit, in denen er mir als ehemaliges Mitglied der Comisión Investigadora viele Details zu den Verhandlungen über die Demobilisierung von Kombattanten preis-gab, über die keine schriftlichen Zeugnisse vorliegen. Aus einer stärker regional, auf den departamento Tolima bezogenen Perspektive berichtete mir Simón de la Pava Salazar von den Verhandlungen über das Niederlegen der Waffen nach dem Abkommen über die Einrichtung des Frente Nacional – Verhandlungen, im Verlaufe derer sein Bruder unter bis heute nicht gänzlich geklärten Umständen getötet wurde. Dr. Pablo Isaza gewährte mir als Zeitzeuge in zahlreichen Gesprä-chen Einblicke die regionalen politischen Machtverhältnisse in Tolima des Unter-suchungszeitraums und gab mir wertvolle Informationen über zeitgenössische Akteure, die in keinerlei schriftlichen Quellen vorliegen. Den ehemaligen Kom-battanen liberaler Widerstandsgruppen in Südtolima Guillermo Vásquez, Gilberto Bravo Loaiza und Ricardo Castañeda danke ich für die Einblicke in die Bilder des Konflikts, die sie sich als zeitgenössische Akteure machten. Victor Eduardo Prado Delgado begleitete als Reporter der Regionalzeitung El Cronista die Streitkräfte in ihrem Kampf gegen bandoleros und die kommunistischen Kombattanten, die wenige Jahre später die Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia gründen sollten. Er gewährte mir spannende Einblicke eines Zeitzeugen in die guerra con- tra el bandolerismo .

Nelly Flórez, Leiterin des Archivo Histórico Judicial del Tolima , war mir zu jeder Zeit behilflich, die informativen und zahlreichen Quellenbestände des Archivs zu sichten und erlaubte mir ein ums andere Mal, auch während der Mit-tagspausen meinen Wissensdurst zu stillen und so meine Tage effizient zu gestal-ten. Im Palacio de Justicia gewährte mir César Augusto Molina Suárez Zugang zu den Archivbeständen der Dirección Seccional de Administración Judicial , wofür ich ihm zu Dank verpflichtet bin. Mauricio Tovar und seinem Team im Archivo General de la Nación in Bogotá danke ich für die unkomplizierte Zusammenar-beit bei der Sichtung der Quellen. Adriana Martínez war mir bei der Reproduktion von Dokumenten in diesem Archiv behilflich. In Ibagué war mir Andrés Eduardo Devia Patiño bei der Quellensichtung behilflich. Dafür sei ihm gedankt. Dem Per-sonal der Biblioteca Luis Angel Arango und der Biblioteca Nacional in Bogotá sowie der Biblioteca Darío Echandía in Ibagué danke ich für ihre Bemühungen, mir alle angeforderten Presseerzeugnisse zur Verfügung zu stellen. Aus demsel-

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ben Grund danke ich dem Team des Centro de Investigación y Eduación Popular in Bogotá.

An der Universität Bielefeld unterstützten mich ebenfalls eine Vielzahl von Kolleginnen und Kollegen. Dr. Jochen Kemner, Juniorprofessor Dr. Olaf Kalt-meier, Dr. Marc-André Grebe, Dr. Anne Tittor, Apl. Prof. Dr. Klaus Weinhauer, Prof. Dr. Willibald Steinmetz, Julia Engelschalt, Felipe van der Huck und Joseph Büker danke ich für ihre Kommentare, Hinweise und das Korrekturlesen der Arbeit. Ebenso gebührt Dr. Gerhard Rehm mein Dank aus demselben Grund. Die noch verbliebenen Fehler verantworte selbstverständlich ich. Eric Javier Beja-rano, Brenda Escobar und Diana González danke ich dafür, dass sie mir den Kon-takt zu Bekannten und Verwandten in Bogotá ermöglichte, die mir bei der ersten Orientierung in der Hauptstadt Kolumbiens behilflich waren.

Im Laufe der Erstellung der vorliegenden Arbeit war es mir möglich, diese in ihren verschiedenen Arbeitsfortschritten auf einer Vielzahl von Tagungen und Kolloquien in Eichstätt, Bern, Berlin, Bremen, Kassel, Bochum und Leipzig vor-zustellen und kommentieren zu lassen. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an diesen Veranstaltungen danke ich für ihre wertvollen Kommentare.

Keine Forschungsarbeit kann erfolgreich durchgeführt werden, ohne dass ein Mindestmaß an finanzieller Infrastruktur bereitstehen würde. Neben dem kon-zeptionellen und theoretischen Feinschliff der Promotionsschrift gewährte mit der Sonderforschungsbereich „Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte“ an der Universität Bielefeld einen vergleichsweise sorgenfreien finanziellen Rahmen, um die extensive Forschungsarbeit voranzutreiben. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich weiterhin für die finanzielle Unter-stützung, nachdem aufgrund widriger Umstände die Arbeit nicht in dem vorgese-henen Zeitrahmen abgeschlossen werden konnte.

Den Herausgebern von Historamericana, Prof. Dr. Stefan Rinke und Prof. Dr. em. Hans-Joachim König, sei gedankt für die Publikation der Arbeit in ihrer Reihe.

Zum Schluss aber nicht letztens danke ich meinem persönlichen, privaten Um- feld, das mir während der nicht immer einfachen Phase der Forschungsarbeit und schriftlichen Niederlegung der Ergebnisse zur Seite stand. Meine Familie unter-stützte mich zu jeder Zeit und bekräftigte mich immer, den oftmals schwierigen Weg der historischen Forschung weiterzugehen. Ganz besonderer Dank gebührt ihr sowie Kirsten Epler und ihrer Familie, die mir zu jeder Zeit, in noch so schwierigen Umständen, Unterstützung gewährte. Kirsten Epler, die nach unserem schweren Unfall in Kolumbien über sich selbst hinauswuchs, sei die Arbeit gewidmet.

Bielefeld, im Mai 2014 Lukas Rehm

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I Einordnung der Violencia in den historiographischen und historischen Kontext 1 Einleitung

1.1 Zentrale Fragestellungen

Kolumbien blickt auf eine lange Gewaltgeschichte zurück. Seit dem frühen 19. Jahrhundert gilt es als Land, in dem physische Gewalt omnipräsent ist und in dem sich nahezu kein gesellschaftlicher Bereich der Gewalt entziehen kann. Als Wegmarken der gewaltsamen Vergangenheit gelten drei „Gewalteruptionen“: die Bürgerkriege des 19. Jahrhunderts, die bewaffneten Auseinandersetzungen zwi-schen den verschiedenen politischen Fraktionen des Landes Mitte des 20. Jahr-hunderts – die Violencia 1 – sowie die Eskalation des Gewaltgeschehens um Dro-genkartelle, paramilitärische Gruppierungen und sozialistische guerrillas seit den 1980er Jahren.2

Über eine dieser Gewaltphasen, den Gegenstand der vorliegenden Arbeit, schrieb Mitte 1960 der kommunistische Politiker Alvaro Mosquera. Er dachte über die beendet geglaubte Violencia und die Opfer nach, welche die Mitglieder der Kommunistischen Partei für die Rechte der Arbeiterklasse gebracht hatten. Im Detail wollte er sich aber nicht mit den vorangegangenen blutigen Auseinan-dersetzungen zwischen den verschiedenen politischen Fraktionen des Landes beschäftigen: „Überlassen wir die Erforschung dieser Periode den Historikern“.3Bereits sieben Jahre zuvor, nach der Absetzung des konservativen Präsidenten Laureano Gómez durch die Streitkräfte, hatte der Kommentator der liberalen Tageszeitung El Tiempo seine Hoffnung ausgedrückt, dass „es eine besser geeig-nete Epoche geben wird, aus einer angemessenen zeitlichen Distanz die Gesamt-heit der Gründe für die Violencia zu untersuchen“.4

Nun ist es nicht so, dass die Violencia bislang nicht untersucht worden wäre, wie die zeitgenössischen Zitate nahelegen könnten. Ungeachtet der Tatsache, dass seit den Plädoyers für die historischen Untersuchungen des als Violencia bekann-ten Bürgerkriegs mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen ist, sind allerdings zentrale Fragen nach den Gründen und den Modalitäten der Gewalthandlungen unbeantwortet geblieben. Aus diesem Grund untersucht die vorliegende Arbeit die jahrelangen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den staatlichen Sicherheitskräften sowie den Anhängern der Konservativen, Liberalen und Kom-munistischen Partei in Kolumbien Mitte des 20. Jahrhunderts akteurszentriert aus einer regionalhistorischen Perspektive auf Basis eines breiten Quellenkorpus. Sie konzentriert sich auf die Violencia in dem in Zentralkolumbien gelegenen departamento Tolima, der zu einer der am stärksten von der Gewalt betroffenen Regionen zählte. Durch die Eingrenzung des Untersuchungsraums sollen tieferge-hende Erkenntnisse über die den Bürgerkrieg auslösenden Faktoren, seine Moda-litäten und Interdependenzen vor dem Hintergrund oftmals komplexer Hand-lungsallianzen gewonnen werden.5 Um diese aber in ihrer vollständigen Breite und ihrer Genese zu verstehen, wird der Untersuchungszeitraum weiter gefasst, was die Arbeit von der Mehrzahl der bereits vorgelegten Studien zu Violencia unterscheidet.

Nicht der Mord an dem liberalen Präsidentschaftskandidaten Jorge Eliécer Gaitán am 9. April 1948, sondern der Regierungswechsel 1946 markiert den Beginn der Violencia .6 Bereits kurz nach den Wahlen, aus denen Ospina Pérez als Sieger hervorging, setzten die bewaffneten Auseinandersetzungen ein.7 Weiter-hin sind die Gewaltakte, die sich in der Tat nach den unruhigen Apriltagen 1948 intensivierten, nicht zu verstehen, wenn man nicht die polarisierenden politischen Debatten einbezieht, die ihnen vorausgingen oder sie begleiteten. Diese waren ebenfalls lange vor dem gewaltsamen Tod von Gaitán zu beobachten und müs-sen daher explizit in der Untersuchung berücksichtigt werden. Im Sinne eines akteurszentrierten Ansatzes verlängert die Studie den Untersuchungszeitraum bis 1964, also bis in die zweite Legislaturperiode des Frente Nacional .8 Diese Aus-weitung des Untersuchungszeitraums ist das Ergebnis einer Abkehr von der tradi-tionellen Politikgeschichte, die den Fokus lediglich auf Entwicklungen, Prozesse und Zäsuren auf der nationalstaatlichen Untersuchungsebene gelegt bzw. oftmals unkritisch die Sichtweise zeitgenössischer Politiker übernommen hat.9 Sicher-lich, in einigen Regionen des Landes war die Übernahme der geteilten politischen Verantwortung von liberalen und konservativen Politikern gleichbedeutend mit dem Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen. In anderen Landesteilen hin-gegen waren die politischen Akteure weit davon entfernt, zu einem friedlichen Miteinander zurückzukehren – und Tolima gehörte zu den letzteren. Rachegelüste wegen der vorangegangenen Gewalttaten, Rivalitäten um politische Einflussbe-reiche, die Aktivität krimineller Banden vor dem Hintergrund einer desaströsen wirtschaftlichen Lage und weitreichender Zerstörungen sowie die Omnipräsenz von Vertriebenen bildeten den Nährboden dafür, dass sich die Auseinandersetzun-gen, wenn auch unter geänderten Rahmenbedingungen, über den August 1958 hinaus fortsetzten. Die Untersuchung schließt 1964 mit der Niederschlagung der als bandoleros kriminalisierten Gewaltkollektive, die sich aus ehemaligen libera-len Widerstandskämpfern rekrutierten, durch die staatlichen Sicherheitskräfte.10

Eine der zentralen erkenntnisleitenden Fragestellungen der vorliegenden Arbeit besteht darin zu untersuchen, wie die Gewalt im Untersuchungszeitraum zu einer Handlungsressource wurde, auf die derart extensiv in den politischen Auseinandersetzungen zurückgegriffen wurde – einen Menschen zu verletzen, ist immer auch ein Tabubruch; einen Menschen zu töten, heißt immer auch, sich über gesellschaftliche und ethische Konventionen hinwegzusetzen. Um zu verstehen, warum sich Menschen über soziale Regeln hinwegsetzen, müssen die Umstände, unter denen das gewaltsame Agieren zu einer der akzeptierten Handlungsoptio-nen wird, untersucht werden. Baberowski betont die Notwendigkeit, neben der Legitimation, die für das Gewalthandeln angeführt wird, auch „die kulturellen Muster der Gewaltakteure und ihrer Widersacher […sowie] die kulturellen Hand-lungskontexte“, welche die Gewaltakte begleiten, in historischen Studien zu berücksichtigen.11

In Kolumbien wurden die von Baberowski evozierten kulturellen Muster des Gewalthandelns stark durch die partidos tradicionales geprägt. Die eigene Partei und den politischen Widersacher nahmen exponierte Vertreter der Traditionspar-teien zunehmend als antagonistische, sich gegenseitig ausschließende Gemein-schaften wahr, die den politischen Gegner und die Zukunft der patria existenzi-ell bedrohten. Die Deutungen der sozialen und politischen Realitäten sowie die Wahrnehmung des politischen Widersachers, die ich als Dichotomisierung der sozialen Welt beschreiben werde und die dirigentes políticos der Traditionspar-teien proklamierten, machten die physische Gewalt, so meine These, zu einer der bevorzugten Handlungsoptionen im Umgang mit dem Konkurrenten um politi-sche Macht. Erst die von den Repräsentanten der Traditionsparteien ( partidos tradicionales ) gezeichneten Bilder des Widersachers und die Interpretation der politischen Realitäten ermöglichten die blutigen, jahrelangen bewaffneten Ausei-nandersetzungen zwischen den politischen Fraktionen des Landes.

Anhand umfangreicher schriftlicher Quellen sowie testimonios von Zeitzeu-gen soll gezeigt werden, in welchem Maße die von den auf der nationalstaat- lichen Ebene angesiedelten Repräsentanten der Parteien diskursiv bereitge-stellte Handlungsressource Gewalt in Tolima genutzt wurde. Dass es während der Violencia zu massiven und umfassenden Gewaltakten kam, steht unzweifel-haft fest. Viele politikhistorische Untersuchungen der Violencia haben jedoch das Verhältnis zwischen dem Politischen und der Handlungsressource, welche Gewalt darstellt, bislang nicht ausreichend berücksichtigt. In der vorliegenden Arbeit wird gezeigt, dass die umfassenden Gewalthandlungen politisch moti-viert waren und die Kriminalisierung vieler Kombattanten12 in der Forschungs-literatur oftmals vorschnell vorgenommen wurde – obwohl es nicht an Beispie-len mangelt, in denen auch kriminelle und ökonomische Motive der Gewalt zugrundelagen.

Gewaltsam versuchten Mitglieder der kolumbianischen Parteien in den tra-ditionellen Strukturen des politischen Feldes verfestigte Widerstände gegen die Vorhaben der eigenen Partei, gleich ob in der Opposition oder mit Regierungs-verantwortung, zu überwinden. Die konservative Regierungspartei versuchte, den Widerstand der liberalen Mehrheiten in den legislativen Körperschaften des Staates gewaltsam zu brechen und die Anhänger der Oppositionsparteien von der Teilhabe an politischen Abstimmungen sowie Entscheidungsprozessen auszu-schließen. Kommunisten und Liberale wiederum zielten darauf ab, auf dem Wege der Gewalt die Durchsetzung der von ihnen kritisierten Regierungspolitik zu ver-hindern und sich gegen die gewaltsamen Versuche der Konservativen Partei, die strukturellen politischen Gegebenheiten nachhaltig zu ändern, zur Wehr zu setzen. Trotz aller politischen Umbrüche während des Untersuchungszeitraums blieb der Einsatz von Gewalt gegen den politischen Gegner stets das bevorzugte Mittel, um „Politik zu betreiben“, das heißt seine politische Agenda durchzusetzen und den Widerstand politisch Andersdenkender zu brechen.

1.2 Anmerkungen zum Forschungsstand

In der Erforschung der Violencia , die das Land Mitte des 20. Jahrhunderst erschütterte, lassen sich drei überlappende Phasen unterscheiden. In einer ersten Periode, die bereits in den frühen 1960er Jahren einsetzte, veröffentlichten vor allem kolumbianische Sozialwissenschaftler Studien zu den bewaffneten Aus- einandersetzungen zwischen den Anhängern der politischen Parteien des Landes. Auch weil sie selber Zeitzeugen der Violencia waren, zeichneten sich ihre Arbei-ten oftmals durch eine narrativ-deskriptive Konzeption aus und übernahmen ver-gleichsweise unkritisch das im politischen Denken bis weit in das 20. Jahrhundert verfestigte Konzept der Liberalen und Konservativen Partei als zwei antagonis-tische politische Gemeinschaften, als politische Subkulturen .13 Die Gewalt zwi-schen den als historische Gemeinschaften ( comunidades históricas ) konzipierten Traditionsparteien sahen Vertreter dieser Forschungsrichtung begründet in den odios heredados – dem vererbten Hass, den die Parteimitglieder für den Wider- sacher empfanden.14 Oftmals ging die betonte Grausamkeit der Gewalthandlun-gen vor dem Hintergrund der gleichzeitigen Betonung der fanatisch-emotionalen Bindung der Akteure an die politischen Parteien einher mit einer Pathologisie-rung der Kombattanten. Insbesondere die Akteure, die auch nach der Etablierung der Koalitionsregierung aus Konservativer und Liberaler Partei zu den Waffen griffen, wurden nicht selten als blutrünstige, von niederen Instinkten getriebene Mörder beschrieben, für die keine Besserung in Sicht war.15

Die Existenz der kolumbianischen Traditionsparteien als zwei antagonistische politische Gemeinschaften, die eine Grenze und Differenz markierten, die teil-weise tödliche Gewalt gegen seinesgleichen zu rechtfertigen schienen, wurde nahezu in jeder Arbeit, die sich der Violencia widmet, konstatiert. Auf Basis wel-cher Argumentationsmuster, anhand welcher rhetorischen Logiken diese Diffe-renz zwischen den Parteien konstruiert wurde, die sich hinsichtlich ihrer sozialen Stratifikation und ihrer politischen Grundsätze de facto sehr ähnlich waren, blieb in der Regel jedoch unbeantwortet bzw. wurde axiomatisch vorausgesetzt.

Die Untersuchung der diskursiv-kulturellen Rahmung der Gewalt im Rahmen der vorliegenden Arbeit skizziert entlang systematisch konzipierter Selbst- und Fremdwahrnehmungen von zunehmend radikalisierten Vertretern der Traditi-onsparteien den diskursiven Konstruktionsprozess der partidos tradicionales als zwei sich ausschließende und gegenseitig in ihrer Existenz bedrohende Entitäten. Je schmaler die Grundlage für eine friedliche gemeinsame politische Betätigung der Protagonisten des zeitgenössischen politischen Feldes wurde, desto notwen-diger und unausweichlicher, so meine These, erschien der Griff zu den Waffen, um nicht nur die eigene Partei, sondern die Zukunft der patria zu verteidigen. Die Untersuchung des diskursiv-kulturellen Rahmens des Gewalthandelns soll auf Basis eines breiten Quellenfundus eine auch mehr als fünf Jahrzehnte nach den Ereignissen bestehende Forschungslücke schließen, die bislang mit lapidaren, nicht weiter belegten Bekundungen, dass nationalstaatliche Vertreter der Traditi-onsparteien durch ihre politischen Brandreden nicht unschuldig an der Violencia gewesen seien, überdeckt werden sollte. Aufgrund der zentralen Bedeutung der Wahrnehmungs- und Deutungsrahmen, welche exponierte Repräsentanten der Traditionsparteien propagierten, müssen diese aber explizit in eine Studie der Vio- lencia Eingang finden.16

In einer zweiten Phase der Erforschung der Violencia , ausgehend von den späten 1970er und den frühen 1980er Jahren, beschäftigten sich Historiker und Sozial-wissenschaftler verstärkt mit dem Phänomen der Violencia – mit dem Begriff der violentología bzw. den violentólogos hat sich gar eine eigene Terminologie für diese Forschungsrichtung und ihre Vertreter etabliert. Von marxistischen Theorien inspiriert betonten sie das sich im Verlaufe der Kämpfe zwischen den campesinos herausbildende Klassenbewusstsein und versuchten die blutigen Auseinanderset-zungen als eine Form des (noch in den Kinderschuhen steckenden) Klassenkamp-fes zu deuten.17 Hobsbawm sah in den Kombattanten, die den bewaffneten Kampf nach der Einrichtung des Frente Nacional 1958 weiterführten, ein weiteres Bei-spiel der von ihm konzipierten social bandits – Akteure, die der britische Histo-riker auch in Griechenland, der Türkei und Russland identifiziert hatte. Während sie für die politischen Machthaber und die Vertreter des Staates einfach kriminelle Akteure waren, sahen ihr soziales Umfeld und weite Teile der Bevölkerung ihrer Operationsgebiete in ihnen legitime Kämpfer für die Wiedererlangung verlorener sozialer Rechte.18 Blok kritisiert allerdings das Konzept der social bandits von Hobsbawm als nicht der historischen Realität entsprechend und weist darauf hin, dass viele Banditen nicht für Gerechtigkeit und Gleichheit stritten. Nicht wenige der von ihm beschriebenen Kombattanten waren Politikern sowie Großgrundbe-sitzern zu Diensten und trugen zu der Aufrechterhaltung von Ungleichheitsstruk-turen bei.19

Parallel zu den Arbeiten der violentología der 1980er Jahre trugen Historiker und Sozialwissenschaftler wie Molano, Arango Z., Behar und Aprile-Gniset in der Tradition der oral history Berichte von Zeitzeugen der Violencia zusammen. Weiterhin wurde eine hohe Zahl von autobiographischen Zeugnissen der Violen- cia veröffentlicht.20

In einer dritten Phase rückte zwar der an Schärfe gewinnende Binnenkonflikt zwischen den paramilitärischen Gruppierungen, den linksgerichteten guerrillas , den staatlichen Sicherheitskräften und den Banden von Auftragsmördern im Dienst der Drogenkartelle der ausgehenden 1980er Jahren in den Fokus akademischer, gesellschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute. Jedoch ist das Interesse an den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der verschie-denen politischen Fraktionen Mitte des 20. Jahrhunderts in Kolumbien immer noch ungebrochen. Kolumbianische und ausländische Wissenschaftler versuchen weiterhin, aus verschiedenen disziplinären Blickwinkeln Licht in das Dunkel der Violencia zu bringen.21

Auf die zahlreichen bislang erschienenen Studien zum kolumbianischen Bür-gerkrieg wird in der vorliegenden Arbeit zurückgegriffen. Auf Basis teilweise minutiöser Archivstudien zeichnen sie das Gewalthandeln der involvierten Akteursgruppen nach und bereichern jede Arbeit, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Bedingungen und Umstände der Violencia zu ergründen. Ohne ihren wissenschaft-lichen Mehrwert in Abrede stellen zu wollen, erscheinen die bislang erschienen Forschungsarbeiten zur Violencia in einigen Aspekten allerdings unzureichend bzw. unbefriedigend. Vielen Studien fehlt eine elaborierte und erkenntnisleitende Fragestellung, was oftmals zu unsystematischen sowie deskriptiven „Erzählun-gen“ der Violencia führt.

Ein Grund für das Fehlen einer systematischen Annäherung an den Untersu-chungsgegenstand mag an der Gewalt selber und dem wissenschaftlichen Ver-ständnis von Gewalt liegen. Die de facto zu beobachtende ostentativ grausame Gewalt verleitete sowohl Zeitzeugen als auch Wissenschaftler, die mit einer gewis-sen zeitlichen oder kulturellen Distanz in Gesellschaften aufgewachsen waren, die sich der alltäglichen Gewalt als barbarisches Relikt vergangener Epochen ent-ledigt glaubte, dazu, sie pathologischen oder kriminellen Sadisten zuzuschreiben. Marxistisch inspirierte violentólogos wiederum sahen in der Gewalt die Ansätze eines sich herausbildenden Klassenbewusstseins der Kombattanten. Und standen das Handeln und die Gewalt der untersuchten Akteure im Widerspruch zu der Theorie des Kampfes Unterdrückter gegen die gesellschaftlichen und ökonomi-schen Eliten, waren sie mahnende Beispiele für die möglichen Folgen, wenn die Ausgebeuteten ohne politische Anleitung oder ausreichend ausgeprägtes Klassen-bewusstsein zu den Waffen griffen.

Sicherlich ist es verlockend, die Violencia als eine Phase zu betrachten, in der unterdrückte und marginalisierte Akteure sich ihrer untergeordneten Position in dem gesellschaftlichen Gefüge bewusst wurden. Nicht nur konnte so der uner-messlichen Gewalt ein Sinn gegeben werden. Auch die Betrachtungsweise ex post legte diese Schlussfolgerung nahe, denn aus den bewaffneten kommunis-tischen Widerstandsgruppen der 1950er Jahre entstanden die Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC), die bis in das 21. Jahrhundert den Klas-senkampf zur Überwindung von Ungleichheitsstrukturen propagieren. Und nicht wenige Kombattanten der Liberalen Partei forderten, alleingelassen von der Füh-rung der Partei, für die sie in den Kampf gezogen waren, zunehmend soziale Gerechtigkeit qua Umverteilung ein.

Die Analyse der Violencia als eine Untersuchung des Klassenkampfes ist zwar häufig propagiert worden und viele violentólogos haben auch überzeugend auf die Bedeutung sozioökonomischer Ungleichheiten im Sinne von Klassenunterschie-den für das Verständnis des Bürgerkrieges und den Verlauf desselben hingewiesen. Allerdings stellt dieser Ansatz allein kein ausreichendes Erklärungsmoment dar, denn die Mehrheit von Opfern und Tätern stammte aus ein und derselben Klasse. Weiterhin einten sich die bewaffneten Widerstandsgruppen mit verschiedenen politischen Hintergründen nicht auf Basis des Klassendiskurses – ungeachtet der vielfachen Versuche vonseiten kommunistischer Akteure, dies zu erreichen. Viel-mehr wehrten sich liberale guerrillas erbittert gegen die Vereinnahmung durch ihre kommunistischen Pendants, mit denen sie sich in blutige Kämpfe verwickel-ten.22 So wie es Beispiele der Hobsbawm’schen social bandits gab, mangelte es nicht an Akteuren, die den regionalen, politischen Eliten und Großgrundbesitzern zu Diensten waren und sie vor den Forderungen von movimientos campesinos und kommunistischen Akteursgruppen zu schützen glaubten – und somit die Ein-wände von Blok gegen die Thesen von Hobsbawm unterfütterten.23 Im Sinne des von Koselleck formulierten Vetorechts der Quellen gilt es, historische Prozesse jenseits ideologischer Präferenzen und Wünsche quellenbasiert zu untersuchen.24Und im Falle der kolumbianischen Violencia ist sowohl die Existenz von Klas-sengegensätzen motivierter bandoleros sociales als auch von bandoleros políticos im Dienste von Repräsentanten der Traditionsparteien zu konstatieren.

1.3 Die Gewalt und das Politische: Gewalt als gesellschafts- wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand

In Kolumbien war es in erster Linie der Kampf um das Politische, der den Gewalthandlungen des Bürgerkriegs zugrunde lag. Somit liegt der Schlüssel zum Verständnis des kolumbianischen Bürgerkriegs weniger in den „Abgründen der menschlichen Existenz“, das heißt krankhaften, sadistischen Verhaltensweisen größtenteils ungebildeter, analphabetischer Personen, die von den odios here- dados geleitet wurden. Auch waren sozioökonomische Ungleichheiten nicht der einzige Grund für die bewaffneten Auseinandersetzungen. Vielmehr ist das wech-selseitige Verhältnis von politischen Realitäten und Machtverhältnissen auf der einen Seite und dem Einsatz physischer Gewalt zu ihrer Veränderung bzw. Fest-schreibung auf der anderen zentral für das Verständnis der Gewalthandlungen der Violencia Mitte des 20. Jahrhunderts.

Neuere politikhistorische Ansätze grenzen sich von der traditionellen Politik-geschichte ab, die sich auf Staaten, Regierungen und Institutionen konzentriert hat, um das Politische – verstanden als die Gesamtheit der als politisch betrach-teten Akteure und Themenkomplexe – zu bestimmen und zu untersuchen. Unter dem Einfluss kultur- und gesellschaftshistorischer Ansätze wehren sich Vertreter aktueller politikhistorischer Ansätze gegen eine starre, ahistorische und a priori festgelegte Definition des Politischen, die den Status, politisch zu sein, Vertre-tern des Staates, staatlichen Institutionen und den von ihnen geführten Diskursen vorbehält.

In Anlehnung an die jüngeren Debatten in den Geschichtswissenschaften wer-den in der vorliegenden Arbeit Akteure, Diskurse und Themen als politisch defi-niert, wenn sie auf das Gemeinwesen Bezug nehmen. Das Gemeinwesen wird als eine Gemeinschaft verstanden, die sich dadurch charakterisiert, dass die Mit-glieder dieser Gruppe sich ähnlich der imagined community im Sinne von Bene-dict Anderson nicht lediglich durch face - to - face -Beziehungen als Gemeinschaft erfahren. Weiterhin müssen die Akteure, Handlungen und Debatten eine struk-turbildende und verbindliche Dimension für den überindividuell konzipierten Adressaten beanspruchen.25 Beanspruchen ist in diesem Zusammenhang von zen-traler Bedeutung, denn die in der Arbeit verwendete Definition des Politischen setzt nicht voraus, dass Akteure und deren Handlungen oder Diskurse auch reale, historisch beleg- und nachweisbare Auswirkungen zeitigen, um als politisch zu gelten.

Wird das Politische derart definiert, dann wird deutlich, dass es nur historisch variabel und als Resultat sozialer Praktiken zu konzipieren ist. Und dieses Resul- tat , das Politische, reduziert sich mitnichten nur auf das Handeln und Agieren staatlicher Amtsträger und wird nicht allein in den traditionellen Institutionen sowie Strukturen des politischen Feldes geschaffen.26

Das Politische ist demnach nicht als gegebene Einheit, sondern als prozessua-les Ergebnis von Handeln und Interagieren verschiedener Akteursgruppen zu kon-zipieren. Wenn sich das Politische in kontinuierlichen Aus- und Verhandlungen zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen mit spezifischen, mit- unter konträren Interessenlagen konstituiert, heißt dies auch, dass die Genese poli-tischer Themen und Akteure nicht immer konfliktfrei verläuft. Mouffe folgend sind Antagonismen und Konflikte konstitutiv für das Politische, sie stellt eine „Untilg-barkeit der Konfliktdimension im gesellschaftlichen Leben“ fest, in deren Rahmen das Politische geschaffen wird.27 Um in diesen mitunter konfliktiven Praktiken, die dem Politischen inhärent sind, zu bestehen, kommt Gewalt als Handlungs- ressource und als Form sozialer Interaktion eine zentrale Bedeutung zu.

Sicherlich, politische Realitäten können durch Gesetzgebung, durch friedliche Abkommen zwischen politischen Parteien und Vertretern der Zivilgesellschaft, durch die Bestrebungen sozialer Bewegungen und durch Wahlen geschaffen sowie aufrechterhalten werden. Aber auch Gewalt ist eine Möglichkeit, Konflikte für sich zu entscheiden, gesellschaftliche Verhältnisse zu verändern – und Gewalt ist auch eine Möglichkeit, diesen Wandel zu unterbinden. Mitte des 20. Jahrhunderts, das heißt zur Zeit der Violencia , wurde den niederländischen Soziologen Kruijt und Koonings zufolge in Lateinamerika auf physische Gewalt zurückgegriffen, um die Ansprüche breiter Bevölkerungsschichten auf politische Partizipation gegen traditionelle Eliten durchzusetzen und oligarchische Strukturen aufzubrechen, in anderen Worten, qua Gewalt sollten politische Realitäten geändert werden.28

Die These von Kruijt und Koonings, dass körperliche Gewalt eingesetzt wurde, um soziale und politische Gegebenheiten zu ändern, verweist auf die fundamental gewandelte Aufmerksamkeit, die Gewalt in ihren verschiedenen Erscheinungs-formen als konstitutives Elemente moderner Gesellschaften in den letzten Jahr-zehnten zuteil geworden ist. Viele der Theorien, welche die Soziologie des frühen 20. Jahrhunderts in entscheidendem Maße beeinflussten, zeichneten sich dadurch aus, dass sie dem Phänomen der Gewalt keine systematische Aufmerksamkeit schenkten. In der Regel betrachteten sie die Gewalt nur in ihrer institutionalisier-ten und in Sozialstrukturen eingefassten Bedeutung für soziale Vergemeinschaf-tung sowie die Konstituierung von Gesellschaften.29 In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfuhr Gewalt allerdings als gesellschaftliches Phänomen, und damit auch als Untersuchungsgegenstand mannigfaltiger wissenschaftlicher Dis-ziplinen, eine bis dahin ungekannte Aufmerksamkeit. Inzwischen besteht weitge-hender Konsens darüber, dass Gewalt – was auch immer im konkreten Fall unter Gewalt verstanden wird – ein elementarer Bestandteil sozialer Gemeinschaften ist und ihr eine konstitutive Bedeutung sowohl für den Staat als auch andere gesell-schaftliche Formationen zukommt.30

Friedliches Zusammenleben meint nicht die Abwesenheit jeglicher Form von Gewalt und Zwang, sondern beschreibt vielmehr das Nichtvorhandensein illegiti-mer, unautorisierter, das heißt dem staatlichen Gewaltmonopol zuwiderlaufender Violenz. Denn Herrschaft, die Teil aller menschlichen Gemeinschaften ist, solange egalitäre, machtfreie Gesellschaften nur eine – wenn auch verlockende – Utopie sind, ist unweigerlich mit der Ausübung oder Androhung von Gewalt verbunden.31Knöbl und Schmidt folgend ist ohne das Wissen vom Krieg als Extrem kollektiver Gewaltausübung die Moderne nicht zu verstehen.32

Über die Frage, was Gewalt genau ist, besteht auch nach vielen Jahren teil-weise harscher Debatten kein Konsens – die Definitionen sind mannigfaltig.33 Der norwegische Soziologe und Friedensforscher Johan Galtung wendete sich gegen einen negativen Gewaltbegriff, der Frieden lediglich als Abwesenheit physischer Gewalt definierte. Seinem Verständnis nach „liegt Gewalt dann vor, wenn Men-schen so beeinflußt werden, daß ihre aktuelle somatische und geistige Verwirk- lichung geringer ist als ihre potentielle Verwirklichung“.34 Aus dieser Perspektive betrachtet wäre es bereits ein Akt der Gewalt, sollte ein Mensch seine geistigen oder körperlichen Eigenschaften nicht entsprechend seines Potenzials entwickeln können.

Die weite Definition von Gewalt, die sich nicht nur auf direkte, physische Gewalt beschränkte, rief allerdings auch deutliche Kritik hervor. Galtung wurde vorgeworfen, mit dem Konzept der Strukturellen Gewalt eine wenig trennscharfe Definition geliefert zu haben. Als catch - all -Begriff erlaube die Galtung’sche Gewaltdefinition, jedwede Situation als gewalttätig zu deklarieren, während der Gegenbeweis, dass es sich bei einer bestimmten Situation nicht um Gewalt han- dele, extrem schwer zu führen sei.35 Zudem können strukturelle Ungleichheiten nicht nur gegen den Willen der benachteiligten Akteure zustande kommen, son-dern auch auf Konsensentscheidungen beruhen und durchaus Handlungsräume eröffnen, wie es Michael Riekenberg mit Rückgriff auf Giddens verdeutlicht.36

Genau an der Frage, was unter Gewalt zu verstehen sei, wie sie genau zu definieren und wie sie demzufolge zu untersuchen sei, entzündete sich in den 1990er Jahren eine Debatte zwischen Vertretern verschiedener gewaltsoziologi-scher Schulen. Obgleich sie nicht den Galtung’schen Begriff der Strukturellen Gewalt ihren Arbeiten zugrunde legen, konzentrieren sich Gewaltforscher wie Wilhelm Heitmeyer auf die sozialen und politischen, mithin strukturellen Rah-menbedingungen violenten Handelns. Diese Bedingungen sollen erklären, warum Menschen das gesellschaftliche Tabu, Gewalt gegen Mitmenschen anzuwenden, brechen. Prädestinierte Untersuchungsräume dieser Gewaltforschung sind rechts-radikale Milieus, gewaltbereite Jugendsubkulturen oder, vor allem in den letzten Jahren, islamisch geprägte Kulturkreise.37

Kritiker wie Trutz von Trotha oder Wolfgang Sofsky werfen den Vertretern dieser Forschungsrichtung vor, das eigentliche Untersuchungsobjekt, die Gewalt, aus dem Fokus verloren zu haben und sich stattdessen „nur“ auf die Ursachen des gewalttätigen Agierens zu konzentrieren. Von Trotha hält den Vertretern der von ihm mit einem abwertenden Unterton bezeichneten „Soziologie der Ursa-chen der Gewalt“ vor, keine neuen Erkenntnisse erbringen zu können: „nichts, was nicht schon gesagt ist, schon einmal vorgebracht wurde“.38 Er will den Blick vielmehr auf den eigentlichen Untersuchungsgegenstand Gewalt gerichtet wissen und zieht die Definition von Gewalt heran, die Popitz bereits in den 1980er Jahren geliefert hat. Popitz zufolge ist eine intentionale Handlung, welche die physische Verletzung eines Menschen verursacht, als Gewalt zu definieren. Er weist expli-zit darauf hin, dass die Zielsetzungen, die der Akteur mit der Handlung verfolgt, unerheblich für ihre Kategorisierung als gewalttätig oder nicht gewalttätig sind.39

In Abgrenzung zu der Soziologie der Ursachen der Gewalt konzipieren von Trotha und die Vertreter der von ihm propagierten Gewaltforschung, die sich dem Untersuchungsobjekt Gewalt und nicht deren Rahmenbedingungen widmet, eine „genuine Soziologie der Gewalt“.40 Sie sehen Gewalt als eine anthropologische Konstante menschlichen Handelns sowie sozialer Gemeinschaften und fragen daher weniger, warum und unter welchen (Rahmen-)Bedingungen Menschen sich gewaltsam begegnen.41 Ihrer Meinung nach liegt der Schlüssel zum Verständnis der Gewalt in ihrer Performanz, denn „will man Praxis und Verlauf des Massakers verstehen [und das gilt in den Augen von Sofsky auch für andere Gewaltakte, L. R.], muß man daher das Augenmerk darauf richten, wie es verübt wird, und nicht, wozu es verübt wird“.42 Auf Basis dieser Überlegungen plädiert von Trotha dafür, in Anlehnung an die von Clifford Geertz vorgeschlagene thick description zur Untersuchung ethnischer Gemeinschaften nach „den Modalitäten der Gewalt, nach einer Phänomenologie der Gewalt“ zu fragen.43

Die Debatten zwischen den Vertretern der Soziologie der Gewalt und denen der Soziologie der Ursachen der Gewalt wurden, insbesondere von ersteren, oft-mals polemisch geführt und erweckten den Anschein, dass eine grundlegende und unvereinbare Differenz zwischen beiden Forschungspositionen bestand. Hütter-mann dekonstruiert gewissermaßen den von den selbsternannten Innovateuren aufgebauten „Popanz“.44 Er zeigt auf, dass auch sie ungeachtet ihres Anspruchs und ihrer Selbstdarstellung implizit die Frage nach dem Warum von Gewalt- handeln stellen und mitnichten nur nach dem Wie und dem Was fragen. Die For-schungsansätze der Soziologie der Gewalt und der Soziologie der Ursachen der Gewalt sind, Hüttermann folgend, vielmehr miteinander kompatibel und ergän-zen sich zu einer ganzheitlichen Untersuchung von Gewalthandeln.45 Andere wie-derum machen deutlich, dass die eingeforderte anthropologische Perspektive auf Gewalt keineswegs ein Novum in geisteswissenschaftlichen Untersuchungen ist, wie es von Trotha darstellt. Den Vertretern der Soziologie der Gewalt halten sie vor, die Gewalt zu isolieren und jenseits ihres kulturellen, politischen und sozia-len Kontextes, in dem sie stattfindet, zu betrachten.46

Imbusch hält einige Einwände der Innovateure der Gewaltforschung für berechtigt, wehrt sich aber gegen die Vehemenz ihrer Vorwürfe gegen etablierte Gewaltforscher, so beispielsweise die Betonung, dass der Grund für Gewalt und ihr Sinn in erster Linie in dem Gewalthandeln selber liegen. Die Gewaltausübung kann erfolgen, ohne dass ein funktionales Ziel verfolgt würde, ohne dass ein Sinn erkennbar wäre oder ohne dass Gründe, welche die Gewalt erklären, auszumachen seien. Allerdings ist diese Feststellung keineswegs auf alle Handlungskonfigura-tionen übertragbar, gewisse Ziele können durchaus gewaltsam verfolgt werden, weshalb die Einschränkung eine heuristische Selbstbeschneidung darstellt. Er verweist mit Blick auf die eingeforderte dichte Beschreibung des Gewalthandelns auf den traditionellen Methodenpluralismus und die interdisziplinäre Ausrichtung der historischen und soziologischen Gewaltforschung und betont einmal mehr den komplementären, sich gegenseitig ergänzenden Charakter der von den Schu-len präferierten Forschungsdesigns.47

In der vorliegenden Arbeit soll dem von verschiedenen Autoren betonten komplementären Charakter der unterschiedlichen Perspektiven auf historisches Gewalthandeln Rechnung getragen werden. Eine historische Arbeit, die teilweise extreme Gewaltphänomene zum Untersuchungsgegenstand hat, muss erklären, warum und unter welchen Gegebenheiten es zu diesen kam. Popitz selber, der von den Vertretern der genuinen Soziologie der Gewalt herangezogen wird, um die Fokussierung auf physische Gewalt zu rechtfertigen, gibt Folgendes zu bedenken:

Wie in dem Zitat anklingt, ist Gewalt „eine ‚ Jedermanns-Ressource ’ und eine ‚ normaleMachtaktion und Konfliktstrategie “, das heißt jeder Mensch kann auf Gewalt zurückgreifen.49 Allerdings, und manchmal hat es den Anschein, dass von Trotha dies bei Popitz überlesen hat, liegt keine Zwangsläufigkeit vor: Jeder Mensch kann jederzeit auf Gewalt als Handlungsressource zurückgreifen; er muss es aber beileibe nicht tun. Die Frage nach dem Warum der Gewalt und der sie ermöglichenden, bedingenden und möglicherweise erzwingenden Umstän-den muss daher nicht nur erlaubt sein, sondern ist zentral für eine historische Arbeit. Um zu verstehen, warum es zu einer derart exzessiven und grausamen Gewalt während der Violencia kam, die, ungeachtet ihrer Eigendynamiken und -logiken, entlang der subjektiv wahrgenommenen Differenzen zwischen der Liberalen und Konservativen Partei entsprang, reicht es nicht aus, diese in einer „dichten Beschreibung“ darzustellen, wie die Vertreter der Soziologie der Gewalt für Studien der Gewalt einfordern.50 Eine an anthropologische Herangehens-weisen angelehnte thick description – sofern die Quellenlage sie in historischen Arbeiten überhaupt erlaubt – verspricht nicht, Antworten auf besagte Fragen zu leisten, sondern lediglich das „Totschlagargument“ der anthropologischen Erklä-rungen zu liefern, im Sinne der tautologischen Argumentation, die Gewalt liege in der menschlichen Existenz begründet.51

Historische Studien, die sich mit Gewaltphänomenen beschäftigen, müssen das Gewalthandeln historisieren und kontextualisieren. Die Allgegenwärtigkeit von gewaltsamen Konflikten in nahezu allen Gesellschaften darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gewalt immer auch kontextabhängig und situativ in dem Sinne ist, dass Handlungsräume, in denen auf sie zurückgegriffen werden kann, vonnöten sind.52 LeGrand unterstreicht die Defizite von Untersuchungen, die eine ahistorische Perspektive auf bäuerliche Rebellionen einnehmen und statistisches Material zu generalisieren versuchen, ohne spezifische Handlungskontexte her-auszuarbeiten, die gewaltsames Handeln – oder dessen Ausbleiben – zu erklären helfen.53

Krennerich versucht in diesem Zusammenhang den Brückenschlag zwischen Galtung und seiner Definition von Gewalt auf der einen Seite, der bloßen Fokussie-rung auf körperliche Gewalt à la Sofsky auf der anderen. Er plädiert dafür, Expla- nandum , das heißt die Gewalt selber, und Explanans , die strukturellen, kulturellen sozialen oder politischen Rahmenbedingungen des Gewalthandelns, analytisch zu trennen.54 Daher werden, Krennerich folgend, die vielfachen (strukturellen) Rahmenbedingungen der Gewalt auf der regionalen Handlungsebene – nicht mit der Strukturellen Gewalt im Sinne Galtungs zu verwechseln – bei der folgenden Untersuchung des bewaffneten Konflikts zwischen Anhängern der Liberalen, der Konservativen und der Kommunistischen Partei berücksichtigt. Auf diese Weise soll erreicht werden, dass das zu untersuchende „Objekt“ Gewalt nicht isoliert und aus seinem Handlungskontext herausgelöst betrachtet wird.55 Gleichzeitig soll aber sichergestellt werden, dass das Untersuchungsobjekt Gewalt nicht aus dem Blick der Untersuchung gerät. Als Gewalt wird daher in Anlehnung an Popitz die Ausnutzung der „Verletzungsoffenheit“ des Menschen, das heißt das beab-sichtigte Einwirken auf seine körperliche Unversehrtheit, verstanden.56 Obgleich der Fokus der vorliegenden Arbeit auf ausgeübten physischen Gewalthandlun-gen liegt, wird die Definition von Gewalt dahingehend erweitert, als dass auch die konkrete und glaubhafte Androhung von physischen Zwangsmaßnahmen als Gewalt betrachtet wird, da diese mit Blick auf das Handeln von Akteuren wirk-mächtig sein kann.57

Die vorliegende Arbeit nimmt Gewalt taten im Sinne Krennerichs, das heißt direkte, physische Gewalt und plausible Gewaltandrohungen, in den Blick und betrachtet sie dabei weniger aus einer definitions-, sondern vielmehr aus einer handlungstheoretischen Perspektive. In diesem Sinne wird der Fokus auf physi-sche Gewalt als Tätigkeit und als Handlungsressource in politischen Auseinan-dersetzungen gelegt. Zentrale Frage ist, wie und unter welchen Umständen auf physische Gewalt zurückgegriffen wurde, um den politischen Widersacher von der politischen Aktivität und Teilhabe abzuhalten bzw. wie sich dieser gegen diese Unternehmungen zur Wehr setzte. Diese Fragestellung impliziert, dass die Gewalt in erster Linie aus der Täter- und weniger der definitionstheoretischen Opferper-spektive in den Blick genommen wird.58 Um Antworten auf die aufgeworfenen Fragen zu finden, berücksichtig die Arbeit die sozialen, politischen und ökonomi-schen Rahmenbedingungen, unter denen auf Gewalt zurückgegriffen wurde. Dem Plädoyer Krennerichs folgend werden so das Erklärende und das zu Erklärende analytisch voneinander getrennt.59

1.4 Aufbau der Arbeit

Kurz nachdem die Konservative Partei mit Mariano Ospina Pérez 1946 nach 16 Jahren, in denen die Liberale Partei den Präsidenten des südamerikanischen Landes gestellt hatte, angetreten war, um die politische Führung zu übernehmen, begegneten sich die Anhänger der Traditionsparteien zunehmend gewaltsam. Nicht das gesamte Land war in gleichem Maße von den an Heftigkeit und Inten-sität gewinnenden blutigen Auseinandersetzungen betroffen. Einige Regionen Kolumbiens blieben von der massiven Gewalt weitgehend ausgespart, in ande-ren hingegen wurde die Gewalt omnipräsent und prägte immer weitere Teile des politischen Feldes.60 Nahezu kein Bereich des gesellschaftlichen Gefüges konnte sich der Gewalt, die einer ganzen Epoche ihren Namen gab, entziehen. Eine die-ser Regionen war der departamento Tolima. Obwohl er sich während der ersten Jahre nach dem Regierungswechsel der um sich greifenden Gewalt noch ver-gleichsweise lange erwehren konnte, war er später einer der Hauptschauplätze der Violencia .61

Auch wenn sich die bewaffneten Kämpfe „nur“ an den Differenzen zwischen konservativen und liberalen Politikern entzündeten, beschränkten sich diese bei-leibe nicht auf die Anhänger der Traditionsparteien. Die Violencia zeichnet sich durch eine ausgesprochene Heterogenität der involvierten Akteursgruppen sowie deren Interessenlagen und temporären Allianzen in Zeit und Raum aus. Ein Jahr-zehnt vor der Kubanischen Revolution waren neben Liberalen und Konservativen auch kommunistische Kombattanten maßgeblich an den politischen und sozialen Entwicklungen des Landes beteiligt.62 Anfangs arbeiteten sie zeitweise mit libera-len Widerstandsgruppen zusammen, später begaben sie sich in blutige Kämpfe mit ihnen, während andernorts Kommunisten und Liberale nach wie vor gegen den gemeinsamen Feind kämpften. Kriminell motivierte Akteure wiederum verwiesen auf die ideologischen Gräben in der politischen Landschaft, um ihre Gewaltakte zu legitimieren.63 Einige Repräsentanten des Staates auf der lokalen Ebene und katholische Geistliche propagierten Gewalt gegen den politischen Widersacher, in anderen Gegenden des Landes waren wiederum sie es, die für einen friedlichen Umgang mit dem politisch Andersdenkenden plädierten.64

Die Undurchsichtigkeit des Gewaltgeschehens und der oftmals nicht zu über-blickenden Allianzen der Akteure während der Violencia bezeugte auch der in Osttolima stationierte und mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung beauf-tragte Heeresoffizier Cabrera. Das Gewaltgeschehen in den Dörfern Villarrica und Cunday sowie der Gemeinde Rovira, allesamt nur wenige Kilometer aus-einander liegend, gehorchte ungeachtet ihrer geografischen Nähe unterschiedli-chen Parametern. Während in Cunday radikalisierte Gefolgsleute des dirigente conservador Leyva gewaltsam um politischen Einfluss kämpften, verteidigte der ehemalige liberale guerrillero Marcos Jiménez (alias Resortes) die traditionellen Einflussbereiche der Liberalen Partei notfalls auch gewaltsam.65 Wenige Kilome-ter entfernt wiederum bemühten sich bewaffnete kommunistische autodefensas und movimientos campesinos darum, Gehör für ihre politischen Forderungen zu finden, und wehrten sich gegen die Aggressionen ihrer Feinde.66

Der Rückgriff auf physische Gewalt, um politische Realitäten in die eine oder andere Richtung zu verändern, muss historisch und quellenbasiert untersucht wer-den. Angesichts der hier nur angedeuteten Komplexität der Violencia kann eine solche Analyse nur in einem regional begrenzten Raum mit der notwendigen Tie-fenschärfe erfolgen. Dabei dürfen aber keinesfalls die Geschehnisse und Prozesse auf der nationalstaatlichen Ebene übersehen und ihre Bedeutung für die regionale Handlungsebene vernachlässigt werden. So unterschiedlich sich die Violencia je nach Untersuchungsregion auch gestaltete, so groß der Einfluss der politischen, sozialen und kulturellen Spezifika bestimmter Räume auf das konkrete Gewalt-geschehen vor Ort war und so notwendig ein regionalhistorischer Zugriff auch ist, so wenig erklären sich die Gewalthandlungen alleine durch dem regionalen Untersuchungsraum spezifische Prozesse und Entwicklungen.67

Aus diesem Grund werden in einem einführenden Kontextualisierungskapi-tel die politischen und sozialen Entwicklungen auf der nationalstaatlichen Ebene während des Untersuchungszeitraums beschrieben, wobei der Blick weniger auf das Gewalthandeln im Konkreten gelegt wird. Vielmehr geht es darum, die natio-nalstaatlichen Ereignisse zu umschreiben, denn die nationalen und die regiona-len Handlungsebenen sind nicht separat voneinander zu konzipieren, sondern sie sind, wenn auch in ungleichen Machtverhältnissen, miteinander verbunden.68Durch die Beschreibung der politischen Entwicklungen auf der nationalstaatli-chen Handlungsebene wird der historische Rahmen gegeben, um in der weiteren Arbeit die Auswirkungen der „nationalstaatlichen“ Ereignisse auf das politische Gewaltgeschehen auf der regionalen Ebene in Tolima zu untersuchen und mög- liche regionale Eigenlogiken der Violencia in Tolima aufzuspüren.69

Zu diesem Zweck wird der Untersuchungszeitraum der Arbeit von 1946 bis 1964 in fünf Subphasen eingeteilt, die sich an den (Um-)Brüchen und Prozessen auf der nationalstaatlichen Ebene orientieren. Die erste umfasst die Zeitspanne vom Regierungsantritt Ospina Pérez’ bis zur zweiten Jahreshälfte 1949, als lan-desweit der Ausnahmezustand verhängt wurde und im November 1949 Laureano Gómez zum Präsidenten Kolumbiens gewählt wurde.70 Die zweite Phase endet mit dem Putsch der Streitkräfte gegen die Regierung Gómez. Die Machtübernahme durch General Rojas Pinilla im Juni 1953 stellt den Auftakt der dritten Periode der Untersuchung dar, die mit der Einrichtung der Militärjunta im Mai 1957 endet. Die von der Militärjunta geleitete Übergangsphase zwischen der Regierung unter Vorsitz von Rojas Pinilla und dem Frente Nacional stellte eine eigene, vierte Phase des Untersuchungszeitraums dar, da in ihr zentrale Entscheidungen getrof-fen wurden, welche die politische Geschichte Kolumbiens in den Folgejahren prägten. Die fünfte und letzte Phase des Untersuchungszeitraums umfasst die ers-ten sechs Jahre der liberal-konservativen Koalitionsregierung.

Der zweite Hauptteil der Arbeit widmet sich der Untersuchung der Deutungen sozialer sowie politischer Realitäten und der Wahrnehmung des politischen Wider-sachers, die sowohl exponierte als auch nachgeordnete Vertreter der Traditions-parteien auf der regionalen Handlungsebene diskursiv verbreiteten. Diese waren die Grundlage, auf welcher der Einsatz von Gewalt gegen den Konkurrenten um politischen Einfluss nicht nur möglich, sondern für viele radikalisierte Parteimit-glieder – in ihrer Sicht – verpflichtend wurde. Die Untersuchung konzentriert sich auf die Frühphase der Violencia , in der von vielen politischen Meinungsmachern die Gewalt gegen den politischen Gegner als der zu wählende Weg proklamiert wurde. In dieser Zeit wurde die Gewalt gegen den Konkurrenten im Kampf um die politische Macht diskursiv zur Verfügung gestellt. Die Studie der kulturell-diskursiven Rahmung des Gewalthandelns zeigt, dass die Wahrnehmungs- und Deutungsmuster auf der nationalstaatlichen Ebene auch auf der regionalen Hand-lungsebene wiederzufinden waren. Die frames waren von zentraler Bedeutung für die in den folgenden Kapiteln untersuchte Gewalt in regionalen Kontexten.

Da der Binnenkonflikt entlang der subjektiv wahrgenommenen Unterschiede zwischen den Traditionsparteien entsprang, werden die Wahrnehmungen und Deutungen sozialer Realitäten anhand der Diskurse von Vertretern der Libera-len und Konservativen Partei untersucht. Kommunistische Politiker selber waren im Vergleich zu Repräsentanten der partidos tradicionales zurückhaltend in der Proklamation des bewaffneten Kampfes im Ringen um politischen Einfluss. Viel-mehr wurde hinsichtlich der Frage, wie Gewalt als Handlungsoption in politi-schen Machtkämpfen diskursiv zur Verfügung gestellt wurde, über Kommunisten gesprochen. Daher beschränkt sich die Untersuchung auf die Wahrnehmungs- und Deutungsrahmen konservativer und liberaler Meinungsmacher.

In dem dritten Hauptteil der vorliegenden Studie wird auf Basis umfangreichen Quellenmaterials untersucht, wie und warum die Akteursgruppen vor dem spezi-fischen regionalpolitischen Hintergrund auf die prinzipiell jederzeit verfügbare Handlungsressource Gewalt zurückgriffen. Die Grundstruktur dieses Teils der Stu-die ist chronologisch konzipiert und orientiert sich an den fünf Subuntersuchungs-zeiträumen, die bereits in der historischen Kontextualisierung vorgezeichnet wer-den. Dieses zeitliche Ordnungssystem wird allerdings mit einer systematischen Strukturierung kombiniert, die sich an den verschiedenen involvierten Akteurs-gruppen orientiert, wie beispielsweise den liberalen und den kommunistischen

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Widerstandsgruppen, den Streitkräften und der Polizei, deren zivilen Unterstüt-zergruppen sowie den wechselnden Allianzen zwischen diesen oder ihrem sozia-len Umfeld. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass nicht eine weitere deskrip-tive Erzählung der Violencia vorgelegt wird. Während die Entwicklungen und Zäsuren auf der nationalstaatlichen Ebene jederzeit im Blick behalten werden und auf sie verwiesen wird, untersucht die Arbeit aus einer handlungstheoretischen Perspektive, wie Gewalt in den Kämpfen um politischen Einfluss und Macht bzw. bei den Versuchen, diese dem politischen Widersacher vorzuenthalten, in Tolima eingesetzt wurde. In dem departamento wurde das gewaltsame Vorgehen gegen den politischen Widersacher vielerorts zu der bevorzugten Handlungsoption, um diesem die Teilhabe am Politischen zu verwehren bzw. sich gegen diese Exklusi-onsversuche zu verteidigen.

Die Untersuchung schließt mit einer Zusammenfassung der zentralen Ergeb-nisse der historischen Untersuchung der Violencia . In einem weiteren Schritt wird die zeitgenössische Definition des Politischen beleuchtet und exemplarisch aufgezeigt, dass die partidos tradicionales das Politische de facto – nicht de jure – auf sich reduzierten und politische Oppositionsgruppen jenseits der Tradi-tionsparteien kriminalisierten. Ausgehend von den im regionalen Kontext gewon-nen Erkenntnissen wird die Frage nach den Kontinuitäten politischer Gewalt im Kolumbien des 20. Jahrhunderts diskutiert und kritisch beleuchtet.

1.5 Anmerkungen zum Diskursbegriff sowie zu Quellenbeständen und deren Auswertung

Entlang der Interpretations- und Deutungsschemata sozialer und politischer Realitäten soll aufgezeigt werden, wie physische Gewalt diskursiv als Handlungs-möglichkeit in politischen Aushandlungsprozessen zur Verfügung gestellt wurde. Die vorliegende Studie arbeitet nicht mit einem linguistischen Diskursbegriff, der Diskurse auf Sprache und Aussagen reduziert. Diskurs wird hier vielmehr in Anlehnung an Foucault als sprachliche Seite einer diskursiven Praxis konzep-tionalisiert, da „die Diskurse die Zeichen benutzen, um Ordnung zu stiften, um Grenzen des Sagbaren zu errichten und Objekte des Wissens […] hervorzubrin-gen“.71 Diskurse teilen die theoretisch unendlich vielen Aussagen und Meinungen in wahr und falsch, gut und schlecht, sagbar und unsagbar ein, schaffen im Sinne Bourdieus Sicht- und Teilungsprinzipien der sozialen Welt und kreieren soziale sowie politische Realitäten, die sich in Gesetzestexten, Konventionen, (politi-schen) Autoritäten und sozialen Institutionen manifestieren bzw. materialisieren.72

Tageszeitungen stellen eine der bedeutendsten Quellengattungen dar, um die zeitgenössischen Sicht- und Teilungsprinzipien nachzuzeichnen.73 Für den Unter-suchungsfall Kolumbien gilt der Umstand, dass die Presse in modernen Gesell-schaften ein entscheidender Faktor im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung ist, in besonderem Maße. Tageszeitungen sowohl mit regionaler als auch nationa-ler Reichweite befanden sich häufig im Besitz von Politikern.74 Um Wahrnehmun-gen und Deutungen politischer Realitäten, welche die Gewalt diskursiv als die zu wählende Handlungsoption bereitstellten, zu dokumentieren, greift die vorlie-gende Arbeit auf eine Vielzahl von Periodika zurück. Der Fokus liegt dabei zum einen auf der nationalen Presse, der sogenannten prensa capitalina (unter ande-rem El Tiempo , El Espectador , El Siglo und Diario de Colombia ), zum anderen auf regionalen Periodika aus Tolima wie El Derecho , El Mundo , Panorama , La Opinión und Tribuna . Die Auswertung der regionalen Presse zeigt sehr deutlich, wie sich die zentralisierte Hierarchie des politischen Felds Kolumbiens auch in der Presselandschaft widerspiegelte, das heißt Wahrnehmungs- und Deutungs-muster sowie die Grundlagen der Sicht- und Teilungsprinzipien vergleichsweise ungebrochen von der nationalen auf die regionale Diskursebene weiter- bzw. wie-dergegeben wurden.75

Brubaker betont mit Blick auf die Resonanz von Bildern und Deutungsrahmen, auf denen ethnische Kollektividentitäten beruhen, die Bedeutung der Untersu-chung ihrer Distributionsprozesse76 – ein Befund, der sich mitnichten nur auf eth-nisch begründete Gemeinschaften beschränkt. In diesem Zusammenhang sind die genannten Periodika als Quelle, um Auskunft über die zeitgenössischen Sicht- und Teilungsprinzipien zu erhalten, zu unterscheiden von Tageszeitungen als Medium zur Verbreitung dieser Wahrnehmungs- und Deutungsrahmen. Die Violencia war ein vornehmlich rurales Phänomen und ihre Protagonisten in der Mehrzahl cam- pesinos , colonos und arrieros , die in der Regel nur über eine rudimentäre Schul-bildung verfügten, wenn sie denn überhaupt in den Genuss eines Schulbesuchs gekommen waren. Die Mehrzahl der untersuchten Akteure konnte nicht lesen und schreiben. Daher ist nicht davon auszugehen, dass die Akteure auf der regionalen oder lokalen Handlungsebene, deren Verhalten und Handeln im dritten Haupt-teil der Arbeit untersucht wird, besagte Tageszeitungen lasen und sich auf die-sem Wege über das politische Tagesgeschehen informierten. Obgleich die bloße Auswertung der Tageszeitungen wenig Auskunft über den Verbreitungsgrad der Inhalte, das heißt der Sicht- und Teilungsprinzipien, gibt, stellen die Periodika eine hervorragende Quelle dar, um die zeitgenössischen Wahrnehmungs- und Deutungsrahmen zu erhellen. Diese – und es geht nicht um eine Dokumentation von Einzelstimmen im Sinne eines linguistischen Diskursbegriffes – wurden über viele Wege in den untersuchten ländlichen Gebieten Tolimas verbreitet. Neben den Tageszeitungen wurden die in den Periodika formulierten Sichtweisen auf die soziale Welt mündlich – in Gesprächen zwischen campesinos auf dem Markt, in der Konversation zwischen mayordomo und seinen untergebenen Arbeitern oder bei dem sonntäglichen Treffen von campesinos in der cantina – weitergegeben.

Ein weiteres hervorragendes Medium, das von vielen campesinos genutzt wurde, um sich über das Tagesgeschehen zu informieren, war das Radio. Radio-sender, die sich ähnlich wie die zeitgenössische gedruckte Presse der Konservati-ven oder der Liberalen Partei verbunden fühlten, ermöglichten auch analphabeti-schen Bürgern, Interpretationen sozialer Realitäten aufzunehmen.77

Hinsichtlich der Frage, wie die von der nationalstaatlichen Ebene ausgehenden Wahrnehmungs- und Deutungsrahmen das Handeln der Akteure in dem departa- mento Tolima beeinflussten oder konditionierten, stellt sich ein weiteres Mal das Problem des weit verbreiteten Analphabetismus, denn handlungstheoretisch ist Gewalt nur aus der Täterperspektive zu verstehen.78 Die Akteure der Violencia hinterließen aber ausgesprochen wenige selbst verfasste schriftliche Dokumente, die über ihre Motivationen Auskunft geben oder Versuche der Rechtfertigung der Gewalt darstellen würden. Auch Riekenberg verweist auf das grundsätzliche Pro-blem, Argumentationsmuster, Handlungslogiken und Legitimationsschemata von Gewaltkollektiven aus deren Innenperspektive nachzuzeichnen. Oftmals liegen für historische Studien lediglich staatliche Quellen vor, die gewissermaßen die „Außenperspektive“ auf die gewalttätigen Akteursgruppen erkennen lassen.79 Die zahlreichen erhaltenen Prozessunterlagen ( expedientes judiciales ) des Untersu-chungszeitraums stellen allerdings eine hervorragende Quellengattung dar, deren Auswertung dieses potentielle Quellenproblem lösen kann. In den Protokollen von Zeugenaussagen, Vernehmungen von Tatverdächtigen und Gutachten, die in den Gerichtsakten enthalten sind, wurden die Verlautbarungen von Tätern und Opfern wortwörtlich festgehalten – gleich ob sie des Lesens und Schreibens mächtig waren oder nicht.

Der Kontext, in dem diese Quellen entstanden sind, war allerdings hochgra-dig von staatlicher Sanktionsmacht und potentieller Gewalt durchdrungen. Es ist davon auszugehen, dass Aussagende ihre Worte wohl wählten und nicht immer ihr ganzes Wissen über den jeweiligen Sachverhalt preisgaben, um nicht selber in den Fokus der Ermittlungen zu kommen oder Freunde und Verwandte zu belas-ten. War jemand einer Straftat verdächtig, so leugnete er eher seine Beteiligung an dem Verbrechen oder versuchte zumindest, seine Verantwortung zu schmälern. Auch ist davon auszugehen, dass viele Aussagen weniger auf die Aufklärung des jeweiligen Verbrechens zielten, sondern vielmehr dazu dienten, unliebsame Nach-barn, Marktkonkurrenten oder politische Gegner vor der Justiz zu diffamieren und sich ihrer so zu entledigen.

Den einzelnen Aussagen für sich genommen kann der Historiker daher nur bedingten Glauben schenken. Die Nutzbarmachung dieser Quellen erfordert vor dem Hintergrund der vorangegangenen quellenkritischen Überlegungen viel-mehr ein hohes Maß an Engagement, Akribie und Hartnäckigkeit vonseiten des Forschers. Es kommt darauf an, alle verfügbaren Informationsquellen und Quel-lengattungen zur Klärung der Sachverhalte heranzuziehen. Denn setzt man die verschiedenen, in unterschiedlichen Zusammenhängen und von verschiedenen Personen getätigten Aussagen miteinander in Bezug, gleicht sie untereinander ab und ergänzt sie mit Informationen aus Geheimdienstberichten, der zeitgenössi-schen Presse sowie der zahlreichen Sekundärliteratur, dann ergeben sich mosai-kähnliche Gesamtbilder über das historische (Gewalt-)Geschehen. Neben den im Archivo Histórico Judicial del Tolima 80 erhaltenen und fachgerecht verzeichneten expedientes judiciales greift die vorliegende Arbeit auf bislang nicht ausgewertete Prozessakten zurück, die im Keller des Palacio de Justicia 81 in Ibagué, euphemis-tisch Archiv genannt, unter widrigen Umständen gesichtet wurden.

Die Informationen aus den Gerichtsunterlagen werden mit Polizei- und Geheim-dienstberichten sowie Eingaben von Bürgern an das Staatsoberhaupt und seine Regierung aus dem Archivo General de la Nación 82 in Bezug gesetzt und die enthaltenen Informationen untereinander abgeglichen. Im Nationalarchiv bzw. in den Berichten des Inlandsgeheimdiensts konnten einige der wenigen zeitge-nössischen schriftlichen Dokumente der Kombattantengruppen, als propaganda subversiva klassifiziert, ermittelt werden, die Auskunft über die Sichtweise der Kombattanten selber vor Ort geben. Weitere Informationen, mit denen die indivi-duellen, quellenkritisch nicht vorbehaltlos zu übernehmenden Aussagen aus den expedientes judiciales abgeglichen werden, stellen Unterlagen und Dossiers aus der US-amerikanischen Botschaft in Bogotá sowie Geheimdienstberichte dersel-ben Provenienz dar. Vor dem Hintergrund des an Schärfe gewinnenden Kalten Krieges war das State Department an Informationen über die bewaffneten Ausei-nandersetzungen in Kolumbien interessiert. Der US-amerikanische Anwalt Paul Wolf hat verschiedene, inzwischen freigegebene Dokumente in US-amerikani-schen Archiven gesichtet und diese dem interessierten Publikum auf seiner per-sönlichen Homepage zugänglich gemacht.83

Diese Vielzahl von Informationsquellen erlaubt es, detailreiche und quellenba-sierte Aussagen über die Violencia in Tolima zu machen. Das minutiöse Quellen-studium gibt Auskunft über die Allianzen zwischen den verschiedenen Akteurs-gruppen, die teilweise auf Basis parallel gelagerter Wahrnehmungen politischer Realitäten erfolgten, teilweise aber auch militärische Notwendigkeiten darstellten, ohne dass die politischen Agenden der jeweiligen Gewaltkollektive eine große Schnittmenge aufgewiesen hätte. Dies gab häufig Anlass zu Differenzen zwischen den Handlungspartnern und führten nicht selten zu heftigen bewaffneten Ausei-nandersetzungen zwischen ihnen. Derart präzise und detailreiche Aussagen über das historische Geschehen und die involvierten Akteure sind lediglich in einer Regionalstudie der Violencia möglich. Obgleich sie als Regionalstudie „nur“ einen Teil des Landes untersucht, leistet die vorliegenden Arbeit einen Beitrag zu der Antwort auf die Frage nach dem Warum und den Modalitäten des blutigen Konflikts, der die Geschichte Kolumbiens so tief geprägt hat.

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2 Historische Kontextualisierung des Untersuchungszeitraums

Da die nationalstaatliche und die regionale Handlungsebene, wenn auch in unterschiedlichen Machtverhältnissen, miteinander verwoben sind, ist die Violen- cia in Tolima nicht losgelöst von der nationalen Politik zu verstehen. Auf den folgenden Seiten werden die während des Untersuchungszeitraums bedeutsamen Entwicklungen im politischen Feld Kolumbiens beschrieben. Dabei geht es weni-ger um das Gewaltgeschehen selber als vielmehr darum, den historischen Kontext darzustellen, um in den weiteren Kapiteln zu untersuchen, welche Auswirkungen die „nationalen“ Ereignisse auf die Genese des Bürgerkrieges in dem in Zentral-kolumbien gelegenen departamento Tolima hatten und wie diese das Handeln auf der regionalen Ebene beeinflussten.

2.1 Die Regierung Ospina Pérez: Zwischen Koalition und Konfrontation (1946–1949)

1946 endete die República Liberal , wie die vier Legislaturperioden andauernde Phase liberaler Regierungen in die Historiographie eingegangen ist. Der Wahlsieg der Konservativen Partei resultierte aus der Spaltung der Liberalen Partei, die in der Aufstellung von zwei Kandidaten mündete: Gabriel Turbay und José Eliécer Gaitán. Für die Präsidentschaftswahlen hatte die Konservative Partei bewusst den als moderat geltenden Ospina Pérez als Kandidaten aufgestellt, um einen Zusammenschluss der beiden Flügel der Liberalen Partei zu verhindern, wie es bei der Kandidatur eines konservativen Hardliners wie Laureano Gómez der Fall gewesen wäre.84 Auch verliefen die Präsidentschaftswahlen 1946 vergleichsweise friedlich und wurden nur von einem geringen Maß an Gewalt begleitet. Mit dem weitgehenden Verzicht auf Gewalt wollten die Konservativen verhindern, dass die internen Spannungen der Liberalen Partei in den Hintergrund traten.85 Die Wahlkampfstrategie der Konservativen Partei war insofern erfolgreich, als dass Mariano Ospina Pérez als neuer Präsidenten Kolumbiens vereidigt wurde, obwohl der absolute Stimmenanteil der Liberalen Partei höher war als derjenige der Kon-servativen Partei.86

Der aus einer Unternehmerfamilie Antioquias stammende Ospina Pérez bediente sich der als Unión Nacional bekannten Koalitionsregierung, um den Übergang zwischen der República Liberal und der Legislaturperiode unter einem konservativem Präsidenten möglichst friedlich zu gestalten.87 Allerdings waren sich sowohl ospinistas als auch laureanistas ihrer nur relativen Machtbasis, das heißt der absoluten Stimmenmehrheit der Liberalen Partei sowie der liberalen Dominanz in der Legislative und der Judikative, bewusst.88 Daher bemühte sich die Konservative Partei darum, ihre Ausgangsposition für die 1947 anstehenden Legislativwahlen zu verbessern.89 Eine Möglichkeit, um die eigene Wählerba-sis auszuweiten, stellte in dem ausgeprägt klientelistischen politischen System Kolumbiens Mitte des 20. Jahrhunderts die Besetzung öffentlicher Posten in der Regional- und Lokalverwaltung mit getreuen Gefolgsleuten der eigenen Partei dar. Öffentliche Amtsträger hatten durch die Gewährung – oder Verweigerung – von öffentlichen Dienstleistungen, die Bereitstellung finanzieller Ressourcen und andere politische Gefälligkeiten einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Wahl-verhalten der zur Stimmabgabe aufgerufenen Bürger. So konnten sie die Mög-lichkeiten der Bürgerschaft, die politische Zukunft des Landes mitzugestalten, gegebenenfalls einschränken.90

Die Bedeutung lokaler politischer Autoritäten hob der Directorio Nacional Conservador noch vor dem Regierungswechsel im Mai 1946 hervor, als er sich gegenüber dem Interimspräsidenten Alberto Lleras Camargo über die zunehmende Gewalt gegen Anhänger der Konservativen Partei in einer Vielzahl von Gemein-den im departamento Boyacá beschwerte. Die konservative Parteiführung klagte die Befangenheit liberaler Bürgermeister und Beamter an, die darauf zielten, die Konservativen einzuschüchtern und von der Stimmabgabe bei den bevorstehen-den Wahlen abzuhalten. Um die konservative Bevölkerung wieder in den Genuss staatlicher Sicherheitsgarantien zu bringen, forderte das Führungsgremium der Konservativen Partei die Einsetzung unparteiischer Offiziere der Policía Nacio- nal bzw. der Streitkräfte als alcaldes militares .91

Konservative Politiker wiederum bemühten sich bereits kurz nach dem Regie-rungswechsel darum, den Amtsantritt eines konservativen Präsidenten dazu zu nutzen, (Patronage-)Posten mit Mitgliedern der eigenen Partei zu besetzen. Ange-sichts der Bedeutung, welche diesen Machtbrokern mit Blick auf den Wahlerfolg der Partei zukam, fiel die Wahl bei der Besetzung von öffentlichen Posten selten auf moderate Vertreter, die als Mittler zwischen den divergierenden (partei-)poli-tischen Interessen agierten. Vielmehr wurden oftmals die als sectarios bezeichne-ten Mitglieder des radikalen Flügels der Konservativen Partei, die sich scharf von dem politischen Konkurrenten abzugrenzen wussten, zu Bürgermeistern ernannt oder fanden Zugang zu öffentlichen Posten in der Lokalverwaltung.92

So friedlich die Präsidentschaftswahlen 1946 auch verlaufen waren, so schnell ließ sich nach dem Amtsantritt von Ospina Pérez ein deutliches Anwachsen der Gewalt im September 1946 gegen Anhänger der Liberalen Partei verzeichnen, deren Ursprung nicht selten in der lokalen, politischen Verwaltung lag.93 So lei-tete der liberale Abgeordnete für den departamento Bolívar, Esteban de Vargas, eine Klage liberaler Politiker aus der Gemeinde Cereté an Ospina Pérez mit der Bitte um Abhilfe weiter. Diese verurteilten die Ernennung und das Handeln des sectario Joaquín Burgos als Bürgermeister in besagter Gemeinde, weil er trotz der Mehrheit der Liberalen Partei im Gemeinderat alle liberalen Angestellten der Bürgermeisterei sowie den Polizeikommandeur entlassen hatte. Die Partei sei, so die Klage der Lokalpolitiker, bei der Vergabe öffentlicher Posten in keiner Weise berücksichtigt worden. Weiterhin beklagten sie die von konservativer Seite angekündigten Repressalien gegen die liberale Bevölkerung und warnten vor den Folgen einer derart aggressiven Politik. Vargas wies Ospina Pérez darauf hin, dass die Regierungspolitik der Unión Nacional offenbar nicht von allen konservativen dirigentes unterstützt wurde.94 Auch El Tiempo beklagte, dass die Unión Nacional in Boyacá als Maxime der Regierungspolitik nicht existiere.95

Wie nach dem Wahlsieg des Liberalen Olaya Herrera 1930 so wurde auch Mitte der 1940er Jahre die Neubesetzung öffentlicher Posten, wenn auch nicht systematisch, so doch sporadisch von physischer Gewalt begleitet.96 Insbesondere die departamentos Boyacá und Norte de Santander waren in der Frühphase des Untersuchungszeitraums von Gewaltausbrüchen zwischen Konservativen und Liberalen betroffen. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen weiteten sich aller-dings zunehmend geographisch aus, sodass bereits 1947 nahezu alle departamen- tos in der einen oder anderen Weise von der um sich greifenden Gewalt betroffen waren.97

Einen ersten, wenn auch nur vorläufigen Höhepunkt der steigenden Gewaltin-tensität im politischen Raum stellten die für das Jahr 1947 anberaumten Wahlen zur Legislative dar. Die Liberale Partei sah in der politischen Abstimmung den geeigneten Zeitpunkt, dem politischen Konkurrenten seinen Minderheitenstatus aufzuzeigen und seinen Zuwachs an politischem Einfluss zu unterbinden.98 Die Konservative Partei wiederum wollte den Prozess ihres Machtgewinns weiter vorantreiben und griff in diesem Unterfangen verstärkt auf gewaltsame Mittel zurück. Eine häufig genutzte Maßnahme bestand darin, die für die Stimmabgabe notwendigen Ausweispapiere ( cédulas de ciudadanía ) bei den Anhängern der Liberalen Partei mitunter gewaltsam zu konfiszieren, sodass diese an den bevor-stehenden Wahlen nicht teilnehmen konnten.99

Ungeachtet der Einschüchterungsversuche vonseiten der Anhänger der Kon-servativen Partei gewann die Liberale Partei, die im Gegensatz zu den Präsident-schaftswahlen 1946 jetzt nur eine Wahlliste aufstellte, einen Stimmenvorsprung im Vergleich zu der Regierungspartei. Dieser Wahlerfolg schien die liberalen Politiker ihrem Ziel der Rückeroberung politischer Machtpositionen näherzubrin-gen, allerdings schrumpfte ihr Vorsprung vor der Konservativen Partei, das heißt die von Konservativen ausgehende Gewalt gegen Wähler der Oppositionspartei schien erste Früchte zu tragen.100

Nachdem sich nicht wenige Gefolgsleute des Parteivorsitzenden Eduardo Santos den gaitanistas , die das Gros der Stimmen für die Liberale Partei auf sich vereinigen konnten, geschlagen geben mussten, übernahm Gaitán im Juli 1947 den Vorsitz der Liberalen Partei.101 Mit der Wiedereingliederung der politi-schen Bewegung um Gaitán in die Liberale Partei schrieben sich die gaitanistas in die bereits existente, das politische Feld Kolumbiens charakterisierende Dicho-tomie zwischen den Traditionsparteien ein. Der antioligarchische Diskurs Gaitáns, der zwischen dem país nacional und dem país político unterschied, verlor in der Folge an Bedeutung und Wirkmächtigkeit, wenn er auch mitnichten obsolet wurde.102 Die Wiedereingliederung Gaitáns in die Liberale Partei wiederum ging nicht spurlos an ihr vorbei. Mit dem neuen Parteivorsitzenden erfuhr der links- liberale Parteiflügel, der sich dezidiert für die Belange unterer sozialer Schichten einsetzte, eine Stärkung.103

Da die Liberale Partei ungeachtet der verlorenen Präsidentschaftswahl von 1946 und der relativen Stimmenverluste in den Wahlen des Folgejahres die Mehr-heit in der Legislative stellte, versuchte sie, aus dieser Position heraus Einfluss auf die Regierungspolitik zu nehmen. Die als Resistencia Civil bekannt geworde-nen Maßnahmen bestanden darin, die Exekutive in ihrem Handlungsspielraum zu beschneiden, wenn sie nicht mit den Vertretern der Liberalen Partei in der Legis-lative kooperieren wollte. So entschied die Asamblea des departamento Norte de Santander, die Zahl der Beamten in der Policía Departamental von 500 auf 60 zu reduzieren, mehrere Posten, die in dem Einflussbereich des Gouverneurs lagen, abzuschaffen und den Fuhrpark der Regionalregierung drastisch zu reduzieren, als Ospina Pérez einen konservativen Gouverneur für Norte de Santander ernannte.104

Nach den Gemeinderatswahlen im Oktober 1947, die bereits von einem hohen Maß an Gewalt begleitet worden waren, formulierte die liberale Fraktion im Kon-gress eine Gesetzesinitiative, welche die Polizei aus dem Machtbereich der Exeku-tive lösen und der Kontrolle der – mehrheitlich liberalen – Legislative unterstellen sollte. Qua Gesetz sollten die verschiedenen Polizeiorgane ( Policía Municipal , Policía Departamental , Policía Nacional ) in der Policía Nacional zusammenge-fasst und zukünftig von dem Kongress kontrolliert werden. Indem die Polizei der Verfügungsgewalt der Exekutive entzogen würde, sollte dem zunehmend partei-politisch motivierten Einsatz der staatlichen Sicherheitskräfte vorgebeugt wer-den. Des Weiteren zielte die Gesetzesreform auf die Wahl von Gouverneuren und Bürgermeistern, die bisher durch die Vertreter der Exekutive ernannt wurden. Die Regierung Ospina Pérez verurteilte diese Maßnahme im Rahmen der Resistencia Civil als Verfassungsbruch – sie wertete ihn als Angriff auf die verfassungsmä-ßigen Kompetenzen des Präsidenten. Der Innenminister José Antonio Montalvo ließ sich zu der Aussage hinreißen, dass die Regierung bereit sei, die institutio-nelle Ordnung Kolumbiens a sangre y fuego zu verteidigen. Diese Äußerung von Montalvo verstand die Mehrheit der Liberalen Partei als De-facto-Kriegserklä-rung der konservativen Regierung an die liberale Opposition.105

Ungeachtet mehrfacher Versuche, der Gewalt durch Neuauflagen der liberal-konservativen Koalitionsregierungen Einhalt zu gebieten, erhöhte sich die Gewal-tintensität in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre stetig.106 Aus den Wahlen 1947 gingen Vertreter der Flügel der Traditionsparteien als Sieger hervor, die starke Vorbehalte gegen eine Koalition mit dem politischen Konkurrenten äußerten und dementsprechend die friedliche Zusammenarbeit der Traditionsparteien in der Regierung behinderten. Auf Seiten der Konservativen Partei waren dies dirigentes políticos wie Laureano Gómez, Silvio Villegas oder Gilberto Alzate Avendaño, die sich gegen eine Regierungsbeteiligung der Liberalen Partei aussprachen.107 Der Machtgewinn des radikalen Flügels innerhalb der Konservativen Partei verdeut-lichte sich in der Gründung von Spezialabteilungen innerhalb der Polizei, die zur Überwachung gewerkschaftlicher und kommunistischer Aktivitäten aufgebaut wurden. Der ministro de gobierno Urdaneta Arbeláez sah sich gezwungen, den Oberkommandierenden der Polizei anzuweisen, diese Abteilungen abzuschaffen, da diese Form der Überwachung nicht legal war.108

Trotz der erstarkten radikalen Flügel der Traditionsparteien versuchten Liberale und Konservative ein ums andere Mal, der zunehmenden Gewalt durch Koalitions-regierungen Einhalt zu gebieten. Pécaut verweist auf das ambivalente Verhalten Gaitáns und der von ihm entsandten Minister bezüglich der politischen Zusam-menarbeit mit der Regierung Ospina Pérez.109 Vor der Übernahme des Parteivor-sitzes stand Gaitán einer liberalen Regierungsbeteiligung an der Unión Nacional kritisch gegenüber. Er sah die seiner Meinung nach nur auf dem Papier existente Koalitionsregierung als Instrument der Konservativen Partei, die eigene politische Machtposition zu festigen. Nach den Wahlerfolgen der gaitanistas 1947 und der Übernahme des Parteivorsitzes musste er jedoch dafür sorgen, dass die Liberale Partei, die sich als Mehrheitspartei verstand, die von ihr eingeforderten und im Rahmen der Unión Nacional angebotenen Machtpositionen auch einnahm.110 Er erlaubte die Annahme von Ministerposten durch liberale Politiker auf individuel-ler Ebene, die programmatische Abkommen mit den konservativen Koalitionären jedoch ausschloss.111 Gaitán musste als Vorsitzender einer Partei der Regierungs-koalition weiterhin unpopuläre Beschlüsse mittragen, die sich gegen seine politi-sche Basis richteten, wie Maßnahmen der Regierung Ospina Pérez gegen gewerk-schaftliche Organisationen und die von diesen ausgerufenen Streiks.112

Angesichts der Tatsache, dass es bereits kurz nach dem Regierungswechsel im August 1946 zu teilweise massiven, blutigen Zusammenstößen zwischen Mitglie-dern der Traditionsparteien gekommen war, ist der Beginn der Violencia , ergo des Untersuchungszeitraums, nicht auf den 9. April 1948 zu datieren, wie die Historiographie oftmals behauptet.113 Als Gaitán am Mittag dieses Tages im Zen-trum Bogotás von Juan Roa Sierra erschossen wurde, erhob sich seine Gefolgs-chaft landesweit, um gegen den Mord, den sie der Konservativen Partei und der Regierung Ospina Pérez anlastete, zu protestieren.114 Der Protest entwickelte sich in Bogotá angesichts einer fehlenden politischen Führung schnell zu ziellosen Plünderungen und Brandschatzungen durch die Rebellierenden. Die sich ad hoc formierende Junta Revolucionaria , welche die politische Stoßrichtung des Auf-standes wahren wollte, erlangte keinen bestimmenden Einfluss auf die Aufstän-dischen, auch wenn Politiker mit einem gewissen politischen Prestige der Junta angehörten.115 Während sich die der Regierung loyal verbleibenden Streitkräfte den aufständischen Anhängern Gaitáns entgegenstellten, trat eine Kommission der Liberalen Partei unter Führung von Darío Echandía mit Ospina Pérez in Ver-handlungen.116 Obwohl sich die dirigente liberales zum Ziel gesetzt hatten, Ospina Pérez zum Rücktritt zugunsten von Darío Echandía zu bewegen, war die Bildung einer erneuten Koalitionsregierung – die vorherige war erst zwei Monate zuvor gescheitert – das Ergebnis der Verhandlungen.117

Sánchez hebt hervor, dass sich die Aufstände jenseits Bogotás durch eine ver-gleichsweise höhere Komplexität auszeichneten – in der Hauptstadt brach der Protest der Anhängerschaft Gaitáns schnell zusammen und büßte seinen politi-schen Gehalt ein. Die Stoßrichtung der Rebellion in der Provinz wiederum ver-lor schnell ihren rein antikonservativen Charakter und entwickelte eine soziale, antioligarchische Dimension, die zunehmend auch den Interessen der liberalen Parteiführung zuwiderlief. Dies war nicht zuletzt der Grund, warum die Delega-tion unter Echandía in der Casa de Nariño der Unión Nacional zustimmte, ohne ihre eigentlichen Ziele erreicht zu haben, und sich dem von der Confederación de Trabajadores de Colombia (CTC) ausgerufenen Generalstreik widersetzte.118Diese Verhandlungen und die erneute Etablierung einer Koalitionsregierung legitimierten, entgegen den ursprünglichen Intentionen der liberalen Delegation, die Regierung Ospina Pérez und sprachen den liberalen Aufstand gegen die kon-servative Regierung ihre Rechtmäßigkeit ab.119

Die wiederholte Bildung einer Koalitionsregierung aus Konservativer und Liberaler Partei konnte allerdings die Ausweitung der Gewalt zwischen ihren Anhängern nicht dauerhaft beenden. Die Bemühungen der Vertreter beider Par-teien, die Gewalt einzuhegen und zu friedfertigen Formen der politischen Betä-tigung zurückzufinden, verliefen weitgehend ergebnislos.120 Bereits im Mai 1949 zog sich die Liberale Partei wegen der fortschreitenden Gewalt gegen ihre Mit-glieder endgültig aus der Regierung zurück. Die Aufkündigung der Koalition durch die Liberale Partei führte zu einer Intensivierung der gegen sie gerichteten Repression.121

Liberale Politiker versuchten anschließend, die Politik aus der Legislative, in der sie nach wie vor über eine Mehrheit verfügten, weiterhin mitzubestim-men. Nachdem die Liberale Partei auch in den Kongresswahlen im Juni 1949 ihre – wenn auch weiter schrumpfende – Mehrheit behaupten konnte, brachte die liberale Fraktion eine Reihe von Gesetzesvorschlägen ein. Diese zielten darauf, die Kompetenzen des Präsidenten zugunsten der Legislative zu beschneiden, da liberale Politiker nicht zu Unrecht fürchteten, dass die nach dem Bruch der Unión Nacional homogen konservative Regierung ihre Machtpositionen dazu nutzen würde, sich Vorteile bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen zu sichern.122

Das zentrale politische Vorhaben der Liberalen Partei war eine Wahlrechtsre-form, die jedoch auf den erbitterten Widerstand der Konservativen Partei und der Regierung Ospina Pérez stieß. Die Liberale Partei hatte in den Verhandlungen im April 1948, die dem Bogotazo folgten, einer Überprüfung bzw. Neuausstellung der für die Teilhabe an Wahlen notwendigen cédulas zugestimmt, um den Vorwurf Gómez’ zu entkräften, die liberale Mehrheit in der Legislative beruhe lediglich auf gefälschten Ausweispapieren. Im Rahmen der Resistencia Civil weigerte sie sich allerdings, dieser Verpflichtung nachzukommen. Angesichts der stetig zunehmen-den Gewalt und der Verfolgung von Mitgliedern ihrer Partei drängte die liberale Kongressmehrheit jetzt darauf, die Präsidentschaftswahlen auf den 27. November 1949 vorzuziehen und die Revision der cédulas auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Auf diese Weise erhofften sich die liberalen Parlamentarier, noch in den Genuss eines Mindestmaßes an Sicherheit und Wahrung rechtstaatlicher Prinzipien bei der Stimmabgabe zu kommen, ehe die aus ihrer Sicht von der Kon-servativen Partei ausgehende Gewalt weiter zunehmen und freie Wahlen gänz-lich unmöglich machen würde.123 Carlos Lleras Restrepo klagte am 28.10.1949 in einer Rede vor dem Senat an, dass die Mitglieder der Liberalen Partei nicht „Opfer isolierter Individuen, sondern Opfer einer Partei und eines Systems“ sei-en.124 Konservative Politiker sahen in den Initiativen der liberalen Parlaments-mehrheit wiederum eine „wahrhafte Kriegserklärung“ an die Regierungspartei.125

Der Umstand, dass die Liberale Partei bei den Kongresswahlen im Juni 1949 ihre Mehrheit gegenüber der Konservativen Partei behaupten konnte und somit ihren konservativen Konkurrenten bewusst wurde, dass ein liberaler Wahlsieg bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen nicht auszuschließen war, führte zu einer Zunahme gewalttätiger Praktiken im politischen Raum. Die Wahlerfolge Mitte 1949 nährten wiederum die Hoffnungen in der Liberalen Partei auf einen erfolgreichen Urnengang im November. Und die Erwartung eines anstehenden Wahlerfolges verringerte ihre Bereitschaft, große Konzessionen an die konser-vativen Verhandlungspartner in den Bemühungen für eine Ende der politischen Gewalt zu machen – zumal sich die Regierung Ospina Pérez genötigt sah, in der zweiten Jahreshälfte 1949 Zugeständnisse an den nach der Rückkehr von Gómez aus dem spanischen Exil erstarkten Flügel der laureanistas zu machen. Mit Luis Ignacio Andrade wurde ein bedingungsloser Anhänger Gómez’ zum ministro de gobierno ernannt und aus seiner Entourage stammten auch viele neu ernannte Gouverneure.126

Die zweite Jahreshälfte 1949 wird zu Recht als Schlüsselmoment der Violencia betrachtet.127 So lösten die partidos tradicionales im Mai 1949 erneut – und die-ses Mal endgültig – die Koalitionsregierung auf. Die Tatsache, dass die liberale Mehrheit in der Legislative entschied, die für April 1950 vorgesehenen Präsi-dentschaftswahlen vorzuziehen, um so eine weitere Schwächung der Position der Liberalen Partei durch die von konservativen Parteianhängern und den staatlichen Sicherheitskräften ausgeübte Gewalt zu vermeiden, deuteten konservative Politi-ker als Verfassungsbruch und De-facto-Staatsstreich der Liberalen Partei. Libera-len wiederum verdeutlichte die Aufstellung von Laureano Gómez als Präsident-schaftskandidaten die Unnachgiebigkeit, mit welcher der radikalisierte Flügel der Konservativen Partei seine politischen Ziele verfolgte.128

Die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen beiden Parteien machten nicht einmal Halt vor dem Inbegriff friedlicher politischer Aushandlungen, dem Kongress. Im September 1949 schoss der konservative Abgeordnete Carlos del Castillo nach einem Wortgefecht auf die liberalen Volksvertreter Gustavo Jimé-nez und Jorge Soto del Corral – Jiménez starb noch vor Ort, Soto de Corral erlag später den Folgen seiner Verletzungen.129 Im selben Monat griffen Polizisten eine Demonstration an, die von hochrangigen liberalen Politikern begleitet wurde. Darío Echandía entkam zwar unverletzt, sein Bruder Vicente wurde jedoch getö-tet. Und am 22. Oktober ermordeten chulavitas und bewaffnete konservative Zivi-listen 26 Liberale und verletzten 60 weitere in der Casa Liberal in Cali, was die Bemühungen von Ospina Pérez und dem Präsidentschaftskandidaten der Libera-len Partei Darío Echandía um ein Comité de Paz zunichtemachte.130 Die gewalttä-tigen Vorfälle im Spätjahr 1949 bewogen viele Anhänger der Liberalen Partei sich auf umfassendere Formen der gewaltsamen Auseinandersetzungen vorzubereiten und den bewaffneten Widerstand zu organisieren.131

Im Namen der Liberalen Partei erklärte Lleras Restrepo am 28. Oktober 1949, dass sie die Kandidatur von Echandía zurückzog und sie nicht zu den Wahlen antreten würde. Er klagte die Gewalt als Instrument der laureanistas an, den Min-derheitenstatus der Konservativen Partei zu kompensieren und den Wahlsieg im November 1949 zu sichern – einen absehbaren Wahlsieg qua Gewalt, den die Liberale Partei nicht durch die Aufstellung eines eigenen Kandidaten legitimie-ren wollte.132 Die Liberale Partei würde, wie Lleras Restrepo erklärte, die aus den Wahlen hervorgehende Regierung nicht anerkennen und sprach ihr bereits vor dem Wahlgang jegliche Legitimität ab.133 Diese Haltung wertete die Regie-rungspartei als einen weiteren Beweis für das von ihr gezeichnete Bild der Libera-len Partei. Aus der Warte konservativer Politiker achtete die Liberale Partei Recht und Gesetz nur in dem Maße, wie es ihren politischen Machtspielen zuträglich war.134 Als die liberale Fraktion im Kongress ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten Ospina Pérez anstrengte, erklärte dieser die öffentliche Ordnung für gestört und verhängte den landesweiten Ausnahmezustand, schloss den Kon-gress, die Asambleas Departamentales sowie die Gemeinderäte und verhängte die Pressezensur.135

Ungeachtet der Störung des orden público fand die Wahl, aus der Laureano Gómez als Präsident für die Legislaturperiode 1950-1954 hervorging, am 27. No- vember 1949 ohne liberalen Gegenkandidaten statt.136 Die für den Wahltag geplante Erhebung mit der Liberalen Partei sympathisierender hoher Offiziere in Villa-vicencio, die letzten Endes fehlschlug, sowie der für den 25.11.1949 anvisierte Generalstreik waren die letzten Versuche, die Wahl Gómez zu verhindern.137 Von den liberalen Aufständen im April 1948 abgesehen, begleiteten erstmals größere gewaltsame und in Maßen konzertierte Aktionen gegen die konservative Regie-rung die Wahl Gómez’.138 So stürmte Rafael Rangel, der einer der Protagonisten des liberalen Aufstandes im Zuge der Ermordung Gaitáns in Barrancabermeja gewesen war, am Tag der Wahlen mit annähernd 700 Kombattanten die Stadt San Vicente de Chucurí (Santander). Ziel der bewaffneten Aktion war es, die Wahl, aus der Gómez zwangsläufig als Sieger herausgehen würde, zu sabotieren sowie Rache für die kurz zuvor von Polizeikräften verübten Massaker zu üben – mehr als 200 Personen starben bei dem von Rangel angeführten Angriff.139

2.2 Die Eskalation der Gewalt unter der Regierung Laureano Gómez

Die Präsidentschaftswahl im November 1949 markiert den Beginn der zwei-ten Phase des Untersuchungszeitraums, obgleich Gómez sein neues Amt erst im August 1950 antrat. Nachdem sich die Liberale Partei der politischen Abstimmung enthalten und ihr die Rechtsgültigkeit abgesprochen hatte, stellte seine Wahl den Beginn des generalisierten Widerstands mit höherem Organisierungsgrad libera-ler, aber auch kommunistischer Gruppierungen dar. Hatte die Konservative Partei sich 1946 noch mit Mariano Ospina Pérez auf einen Repräsentanten des gemäßig-ten Flügels einigen können, wurde mit Laureano Gómez ein Vertreter des rechten Flügels zum Präsidenten des südamerikanischen Landes bestimmt.140

Gómez zeichnete sich durch ein stark autoritär geprägtes Politikverständnis aus, das sich in dem von ihm verteidigten, in den 1930er Jahren geschaffenen Konzept der hispanidad kondensierte.141 Neben einer Überhöhung und der politi-schen Instrumentalisierung des Katholizismus ließen sich in ihm Elemente euro-päischer Diktaturen wie dem spanischen franquismo , dem portugiesischen salza- rismo sowie Vorstellungen eines korporatistischen Gesellschaftsmodells finden.142Um sein politisches Projekt zu realisieren, verkündete Gómez 1950 bei seinem Amtsantritt die Revolución del Orden , die darauf zielte, die politischen Reformen der liberalen Regierungen, insbesondere der Revolución en Marcha unter López Pumarejo, rückgängig zu machen.143 Neben der Begrenzung der politischen Par-tizipation, die unter den liberalen Vorgängerregierungen ausgeweitet worden war, zielte seine Regierung darauf, Säkularisierungsprozesse umzukehren und den Einfluss der Katholischen Kirche in gesellschaftlichen sowie politischen Belan-gen zu stärken. Weiterhin war vorgesehen, dem Klerus weitreichende Autonomien einzuräumen und ihn durch das Verbot der Missionierung für andere Glaubensge-meinschaften zu stärken.144 Die laureanistas zielten mit der Revolución del Orden darauf, die Basis der Konservativen Partei in ländlichen Regionen zu festigen, wobei deren Mobilisierung von steigenden Gewaltakten begleitet wurde.145

Die von den laureanistas angestrebte Verfassungsreform, die sich an dem poli-tischen Wirken des spanischen Militärdiktators Primo de Rivera orientierte, sollte den Grundstein für eine nach ihren Vorstellungen verfasste Gesellschaft legen.146Das Verfassungsprojekt Gómez’ zielte auf die Zentralisierung der politischen Exe-kutive, welche nach seinen Vorstellungen die élite moral des Landes darstellen sollte.147 In einem ersten Schritt wurden regionale und lokale Autonomierechte ein-geschränkt sowie die Kompetenzbereiche der Legislative beschnitten. Der Legis-lative sollte nach den Vorstellungen der laureanistas das Recht entzogen werden, die staatlichen Sicherheitskräfte betreffende Gesetze zu verabschieden. Gómez plante, die Regierungszeit des Präsidenten von vier auf sechs Jahre zu verlängern, und der Präsident sollte im Gegensatz zu der bisherigen Möglichkeit nicht mehr parlamentarischen Untersuchungen unterworfen sein. Einhergehend mit diesen Bestimmungen waren Einschränkungen der Meinungsfreiheit verbunden, die de facto einem Verbot der Kritik an der Regierung gleichkamen. Basierend auf Ideen des Katholizismus des 19. Jahrhunderts wurde, in Ablehnung liberaler Theorien, die Familie und nicht das Individuum als zentrale Kerneinheit der Gesellschaft gesehen.148 Um diesen Vorstellungen in der politischen Praxis Geltung zu ver-schaffen, sollten verheiratete Männer ein doppeltes Stimmrecht haben.149 Das von Gómez und seinen Anhängern idealisierte korporatistische Gesellschaftsmodell, das seinen Ausdruck in der von ihm angestrebten Verfassung fand, wurde aller-dings nicht unisono von allen Fraktionen der Konservativen Partei unterstützt. Die ospinistas begegneten dem Verfassungsprojekt, wie die Führungsriege der Liberalen Partei, mit ernsthaften Bedenken.150

Die unbegrenzte Verlängerung des Ausnahmezustandes, unter dem Gómez gewählt worden war und unter dem er sein Amt als Staatsoberhaupt für den Zeit-raum 1950 bis 1954 antrat, kam einer diktatorischen Regierung gleich.151 Ate-hortúa und Vélez beschreiben die Maßnahmen der Regierung Gómez zur Auf-rechterhaltung der öffentlichen Ordnung als Mischung aus staatsterroristischen Praktiken und einer Politik der verbrannten Erde.152 Gegen die von weiten Teilen der Bevölkerung als diktatorisch wahrgenommene Regierung Gómez bildeten sich in den meisten zentralkolumbianischen departamentos liberale und kom-munistische bewaffnete Verteidigungsgruppen, die sich gegen die gewalttätige Repression durch chulavitas und bewaffnete konservative Freiwilligenverbände zur Wehr setzten.153

Während die Kommunistische Partei im Rahmen ihrer Möglichkeiten ver-suchte, die in ihrem Namen Kämpfenden politisch zu bilden sowie ihnen logisti-sche und organisatorische Hilfe zukommen zu lassen, bildeten sich die liberalen Gewaltkollektive ohne direkte Anweisungen durch die Parteispitze um weit ge- fächerte Familiennetze. In einigen Fällen gewährten lokale Vertreter der Liberalen Partei, zeitgenössisch als jefes naturales , caciques oder gamonales bezeichnet, den bewaffneten dezidiert liberalen Widerstandsgruppen materielle und logisti-sche Hilfe – auch, um ihre wirtschaftlichen Interessen geschützt zu wissen.154

Der zahlenmäßig bedeutendste bewaffnete Widerstand im Namen der Libera-len Partei bildete sich in den llanos orientales um Eliseo Velásquez heraus, der den liberalen Aufstand am 9.4.1948 in Puerto López angeführt hatte. Der Wider-stand in den llanos wurde, zumindest in der Anfangsphase, von liberalen gana- deros und dirigentes políticos unterstützt.155 Einige Vertreter der liberalen Par-teiführung, wie etwa Lleras Restrepo, nutzten die Präsenz von bis zu 20.000 in der guerrilla llanera unter Waffen Stehenden, um ihre Position nach Möglichkeit gegenüber der Regierung Gómez zu stärken.156 Die Verbindungen zwischen der guerrilla auf der einen Seite und den liberalen hacendados und ganaderos sowie den Repräsentanten der Liberalen Partei auf der anderen schwächten sich aller-dings mit der Zeit ab.

Parallel zu der schwindenden und ohnehin schon vergleichsweise geringen Unterstützung der Widerstandsgruppen durch exponierte Vertreter der Liberalen Partei unternahmen die bottom up organisierten Widerstandsgruppen Versuche, ihre Kräfte zu bündeln, das heißt sich regionenübergreifend zu koordinieren. Das im August 1952 in der kommunistischen Hochburg Viotá abgehaltene Zusammen-treffen kommunistischer und liberaler Guerillakräfte aus weiten Teilen Kolum-biens, das als Conferencia de Boyacá bekannt wurde, zielte auf die Einrichtung einer gemeinsamen Führung und auf das konzertierte Vorgehen der verschiedenen Widerstandsgruppen.157

In der politischen Agenda der guerrillas fanden Forderungen stärkere Beach-tung, die auf die Verbesserung der sozioökonomischen Position weiter Teile der Bevölkerung zielten – und weniger die Liberale Partei als historische Gemein-schaft, wie von ihren bedeutendsten Repräsentanten proklamiert, und als politi-schen Selbstzweck betrachteten. Auf der Conferencia de Boyacá wurde ein poli-tisches Programm verabschiedet, das die steigenden sozialen Forderungen der guerrillas widerspiegelte und Widerhall in autonom formulierten Gesetzen fand, für die Geltung in den von den guerrillas kontrollierten Regionen beansprucht wurde.158 Die Forderung nach einer Agrarreform, im Rahmen derer das Land an diejenigen, die es bearbeiteten, verteilt würde, verwies auf das zunehmende Klassenbewusstsein, das auch die im Namen der Liberalen Partei Kämpfenden herausbildeten.159

Die steigenden Forderungen der guerrilla llanera nach finanzieller Unterstüt-zung an ganaderos und hacendados sowie sozialer Umverteilung stießen auf die Ablehnung von Repräsentanten der Liberalen Partei, die ihre wirtschaftlichen Interessen in zunehmenden Maße durch die Kombattanten beeinträchtigt sahen.160In der Erklärung von Sogamoso distanzierten sich lokale Vertreter der Liberalen Partei in den llanos 1952 von dem bewaffneten Widerstand, den sie qua Kri-minalisierung als bandoleros delegitimierten, um ihre ökonomischen Interessen zu wahren.161 Und auch die Parteiführung wendete sich von den im Namen der Liberalen Partei Kämpfenden ab, deren zunehmende militärische Schlagkraft ihnen verstärkt Offensivaktionen erlaubte. Lleras Restrepo wollte den bewaff-neten Widerstand zwar nicht verurteilen, versuchte aber auch nicht, ihn zu recht-fertigen. Und Eduardo Santos glaubte, dass sich der Weg, die Ziele der Liberalen Partei zu erreichen, in den Worten Glaube und Würde ( fe y dignidad ) zusammen-fassen lasse – der bewaffnete Kampf also nicht der zu wählende Weg sei.162 Der ehemalige Präsident sah in den liberalen bewaffneten Widerstandsgruppen ein Hindernis für die Rückkehr zu einem friedlichen Zusammenleben in Kolumbien.163

Die Autonomisierung der liberalen Widerstandsgruppen von der Parteiführung wurde dadurch begünstigt, dass hochrangige liberale Politiker in das ausländische Exil gingen, als die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Liberalen, Kon-servativen und Kommunisten ihren Höhepunkt erreichten. Der Beisetzung von Polizeibeamten, die im September 1952 in Tolima getötet worden waren, folg-ten in Bogotá Demonstrationen gegen die Liberale Partei, die beschuldigt wurde, den bewaffneten Kampf gegen die konservative Regierung sowie die staatlichen Sicherheitskräfte zu fördern. Neben den Gebäuden, in denen die Tageszeitungen El Tiempo und El Espectador untergebracht waren, griffen die gegen das Attentat protestierenden konservativen Parteigänger die privaten Wohnhäuser von López Pumarejo und Lleras Restrepo an, die daraufhin ins Exil gingen.164

Angesichts der in den frühen 1950er Jahren eskalierenden Gewalt kam es zu Annäherungen zwischen den moderaten Flügeln der partidos tradicionales , um einen Ausweg aus dem blutigen Parteienstreit zu finden.165 Mitte 1951 reiste José Gnecco Mozo zu Gesprächen mit den liberalen Widerstandsgruppen in die llanos . Die konservative Regierung erkannte den offiziellen und verbindlichen Charakter der Gespräche allerdings nicht an und setzte Gnecco Mozo fest.166 Auch vonseiten der Liberalen Partei gab es Versuche, der um sich greifenden Gewalt durch Ver-handlungen ein Ende zu setzen. Bevor er ins ausländische Exil ging, begab sich López Pumarejo, kurz nachdem die Bemühungen von Gnecco Mozo gescheitert waren, zu der größten liberalen Widerstandsgruppe, um die Möglichkeiten einer Befriedung auszuloten.167 Angesichts der Differenzen zwischen den Flügeln der Regierungspartei sowie der nur bedingt ausgeprägten Bereitschaft der liberalen guerrillas , der konservativen Regierung einen Vertrauensvorschuss einzuräumen, scheiterten die Bemühungen, auf dem Verhandlungsweg eine Lösung für den bewaffneten Konflikt zu finden.168

Auch wenn die Versuche von liberalen und konservativen Politikern scheiter-ten, durch Verhandlungen den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Gewaltkollektiven ein Ende zu setzen, kommunizierten die im Lande verbliebenen Vertreter der Liberalen Partei mit dem gemäßigten Flügel der Regierungspartei, insbesondere den ospinistas . Beide Fraktionen im politischen Feld teilten die Bedenken hinsichtlich der angestrebten Neustrukturierung von Staat und Gesellschaft unter korporatistischen Vorzeichen im Rahmen des Verfas-sungsprojektes der Regierung Gómez.169 Die Furcht der partidos tradicionales , die Kontrolle über die in ihrem Namen kämpfenden Gewaltkollektive zu verlieren, war ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Aspekt, der die Kontakte zwischen ihren moderaten Flügeln begünstigte.170 Die chulavitas und ihre paramilitärischen Unterstützergruppen agierten zunehmend autonomer und waren für Gewaltex-zesse vor allem unter der Zivilbevölkerung verantwortlich, die auch unter den Streitkräften für verstärkten Unmut sorgten. Und der Liberalen Partei hatten die Beschlüsse der Conferencia de Boyacá verdeutlicht, dass die liberalen Wider-standsgruppen nicht gewillt waren, bedingungslos für eine Partei zu kämpfen, welche die Belange und Sorgen von Parteimitgliedern aus einfachen Verhältnissen in ländlichen Regionen abseits der Hauptstadt nicht ausreichend berücksichtigte.171Gleichzeitig hatten die bewaffneten Widerstandsgruppen in den llanos orientales an militärischer Schlagkraft gewonnen, sodass sie in zunehmendem Maße gegen die staatlichen Sicherheitskräfte in die Offensive gehen konnten.172

2.3 Die Militärregierung nach dem golpe de opinión von

Gustavo Rojas Pinilla (1953–1957)

Ungeachtet der Annäherungen zwischen den moderaten Flügeln der Konser-vativen Partei und der unter dem Estado de Sitio von der politischen Teilhabe ausgeschlossenen Liberalen Partei machten die bereits seit mehreren Jahren andauernden blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der beiden Traditionsparteien ein direktes, bilaterales Abkommen zwischen ihnen unmöglich. Angesichts der teilweise massiven Gewalterfahrungen war die Rückkehr zu einer gemeinsamen Betätigung der politischen Gemeinschaften insbesondere nachge-ordneten Parteimitglieder in ruralen Regionen des Landes fernab der Hauptstadt nicht zu vermitteln.173 Ähnlich wie in anderen Bürgerkriegssituationen, in denen die Kontrahenten über ein annäherndes Machtgleichgewicht verfügen, sahen die politischen Fraktionen, die der Regierung Gómez ein Ende setzen wollten, auch hier in den Streitkräften den dritten politischen Akteur, der übergangsweise eine parteiübergreifende Mittlerposition einnehmen konnte.174 Ihr Hauptaugen-merk legten sie auf den Oberbefehlshaber der Streitkräfte Gustavo Rojas Pinilla, der seit dem Regierungswechsel 1946 an Prestige im politischen Establishment gewonnen, unter der Regierung Ospina Pérez zeitweise einen Ministerposten ein-genommen und Kolumbien mehrfach im Ausland repräsentiert hatte.175

Auslöser für die Absetzung von Gómez war dessen Versuch, sich des als Kon-kurrenten um die politische Macht wahrgenommenen Rojas Pinilla zu entledi-gen.176 Mit der Begründung, Mitglieder der Streitkräfte hätten den Industriellen Felipe Echavarría festgenommen und gefoltert, um ihm ein Geständnis über einen Attentatsversuch auf den Oberbefehlshaber der Streitkräfte zu entlocken, befahl Gómez seinem Vertreter im Präsidentenamt, Rojas Pinilla zu entlassen und durch den laureanista Rémulo Gaitán zu ersetzen.177 Obgleich Urdaneta Arbeláez und der Verteidigungsminister Lucio Pabón Núñez enge Kontakte zu Gómez pflegten, weigerten sich beide, den Befehl auszuführen.178 Angesichts der Weigerung sei-ner Untergebenen, den Anweisungen Folge zu leisten, übernahm Gómez wieder das Präsidentenamt und besetzte sein Kabinett um. Er hatte sich allerdings inner-halb des Führungszirkels der Konservativen Partei ins Abseits manövriert und auch vonseiten der Streitkräfte regte sich wegen der bevorstehenden Absetzung des beliebten Generals Widerstand gegen den Präsidenten. In Gesprächen drängte Rojas Pinilla Ospina Pérez und Urdaneta Arbeláez, Gómez im Präsidentenamt abzulösen, was beide wegen rechtlicher Bedenken ablehnten.179

Das Offizierscorps argumentierte, dass die Handlungsunfähigkeit der Regie-rung gegenüber dem an Stärke gewinnenden bewaffneten Widerstand die Streit-kräfte zwang, politische Verantwortung zu übernehmen. Valencia Tovar bekun-dete, dass, „angesichts des wegen des Parteienkonflikts im Land herrschenden Chaos, die politischen Auswege verschlossen, das militärische Eingreifen als die einzige Möglichkeit erschien“, um die politische Pattsituation vor dem Hinter-grund der sich intensivierenden Gewaltsituation zu lösen.180 Dieser Argumenta-tion folgend übernahm Gustavo Rojas Pinilla am 13. Juni 1953 das Präsidenten-amt, nachdem es von der Asamblea Nacional Constituyente (ANAC), die für das Verfassungsreformprojekt von Gómez eingerichtet worden war, für vakant erklärt worden war und sie als letztes konstituiertes politisches Kollektiv den General für den Rest der Legislaturperiode bis 1954 zum Präsidenten erklärt hatte.181

Der Putsch der kolumbianischen Streitkräfte wurde von allen Fraktionen des politischen Feldes Kolumbiens begrüßt – lediglich die Kommunistische Partei und die laureanistas missbilligten das Eingreifen der Militärs in das politische Geschehen.182 Lleras Restrepo hingegen betonte, dass der Putsch von Rojas Pinilla keinesfalls mit anderen Erhebungen der Militärs in Lateinamerika zu vergleichen sei. Und Darío Echandía, der seine Präsidentschaftskandidatur 1949 aufgrund der um sich greifenden politischen Gewalt hatte zurückziehen müssen, rechtfertigte ihn als einen „Meinungsstreich ( golpe de opinión )“.183 Die Worte, mit denen Rojas Pinilla das Präsidentenamt antrat, entsprachen denn auch den Bedürfnissen weiter Teile der Bevölkerung: „Kein Blutvergießen mehr, keine Plünderungen mehr im Namen einer politischen Partei…Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit für alle Kin-der des unsterblichen Kolumbiens!“.184

Auch aufgrund der Geschicklichkeit des Generals, sich im politischen Feld zu bewegen, akzeptierten die dirigentes der Traditionsparteien, dass der General das Amt des Staatspräsidenten auch für die folgende Legislaturperiode von 1954 bis 1958 bekleidete. Obwohl Rojas Pinilla lediglich für das verbleibende Jahr der Regierungszeit von Gómez vorgesehen war, unterstützten die ehemaligen Präsi-denten Santos und Ospina Pérez eine weitere Amtszeit von Rojas Pinilla.185 Ein halbes Jahr nach der Absetzung von Gómez schien es die politische Lage nicht zu erlauben, eine Parteien- oder Koalitionsregierung einzurichten – zu tief waren die Wunden, welche die bewaffneten Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre hinterlassen hatten.186 Zur Legitimierung der Militärregierung „wählte“ die umbesetzte, handverlesene Asamblea Constituyente Rojas Pinilla bis 1958 zum Präsidenten.187

Um diesem, Rojas Pinilla paraphrasierend, unsterblichen Kolumbien Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit zu verschaffen, initiierte die Militärregierung eine Serie von sozialen und infrastrukturellen Aus- bzw. Aufbaumaßnahmen. So gründete sie den Secretariado de Acción Social y de Protección de los Niños (SENDAS) und die Oficina de Rehabilitación y Socorro , die den Bürgern, die zu Opfern der bewaffneten Auseinandersetzungen geworden waren, Entschädigungsleistungen zukommen lassen sollte.188 Unterstützt wurden die Maßnahmen dieser Einrich-tungen durch ein Kolonisationsprogramm, für das die Regierung den Instituto de Colonización e Inmigración (ICI) ins Leben rief. Der Bau des Stahlwerks Paz del Río in Boyacá, das die Hoffnungen auf eine weitreichende Autarkie des Landes nährte, war ein weiteres Beispiel für die Versuche der Regierung Rojas Pinilla, das Land nach den blutigen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre wieder-aufzubauen und zu modernisieren.189

Die skizzierten Maßnahmen waren allerdings nicht nur das Ergebnis humani-tärer Überlegungen des Generals, sondern verfolgten ebenso handfeste politisch- militärische Ziele. In Anlehnung an Erfahrungen der counterinsurgency in ande-ren Weltregionen wie den Philippinen sollten sie die militärische Aufstandsbe-kämpfung begleiten und die Niederschlagung noch verbliebener Gewaltkollek-tive sicherstellen, indem diesen die soziale Unterstützung aus der Bevölkerung genommen würde.190 Grundlegende Strukturreformen, die es den staatlichen Ins-titutionen erlaubt hätten, ihre Einnahmen zu erhöhen und ihre Wiederaufbau- und Modernisierungsprogramme zu finanzieren, ging die Regierung Rojas Pinilla allerdings nicht an.191 Nur der in den ersten Jahren der Militärregierung gestiegene Weltmarktpreis für das Hauptexportprodukt Kolumbiens – Kaffee – erlaubte es ihr, die kostspieligen Sozial- und Infrastrukturprogramme zu finanzieren.192

Wie Sánchez darlegt, war die Regierungszeit von Rojas Pinilla aber keines-wegs gleichbedeutend mit einem Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Fraktionen des politischen Feldes, sondern sie stellte eine weitere Etappe der Violencia dar.193 Zwar verkündete Rojas Pinilla nach dem Putsch, der ihn in die Casa de Nariño führte, eine Generalamnestie, um die bewaffneten liberalen und kommunistischen Gewaltkollektive vom Niederlegen der Waffen zu überzeugen.194 Viele Kombattanten, die gegen die konservative Regierung gekämpft hatten, machten auch von dem Angebot Gebrauch, was zu einem spürbaren Rückgang der Gewaltintensität führte.195 Dieser Rückgang war allerdings nur temporär, denn so umfassend die Kapitulationen der bewaffneten Widerstandsgruppen auch waren, gelang es der Militärregierung nicht, das Land dauerhaft zu befrieden.196 Die extralegalen Tötungen von amnestierten guerri- lleros durch ihre „alten“ Feinde – sowohl Mitglieder der Konservativen Partei, die unter den Vorgängerregierungen versucht hatten, sich gewaltsam Vorteile im politischen Wettstreit zu verschaffen, als auch Angehörige der staatlichen Sicher-heitskräfte – führten dazu, dass das Amnestieangebot und die freiwillige Entwaff-nung an Reiz verloren. Viele ehemalige, demobilisierte Kombattanten begaben sich erneut in den bewaffneten Widerstand.197

Die Fortführung von Gewaltpraktiken in den Auseinandersetzungen im poli-tischen Feld lag allerdings nicht allein darin begründet, dass viele ehemalige Gewaltakteure nicht „von heute auf morgen“ die subjektiv wahrgenommenen Feindschaften vergessen konnten. Auch die Streitkräfte, die sich als einzige Armee eines lateinamerikanischen Landes am Koreakrieg beteiligt hatten, zeich-neten sich durch eine zunehmend aggressive Haltung gegenüber den verbliebenen kommunistischen Widerstandsgruppen aus.198 Zwar waren diese in eine weitge-hende Passivität getreten, aber sie verweigerten eine vollständige Entwaffnung, da sie den Versprechen der Militärregierung misstrauten. Vor dem Hintergrund des an Schärfe gewinnenden Kalten Krieges in der ersten Hälfte der 1950er Jahre nahm das Offizierscorps die Präsenz kommunistischer Kombattanten, gleich ob sie sich aktiv oder passiv verhielten, als existentielle Bedrohung für die nationale Souveränität wahr.199

Weiterhin stand der neue Staatspräsident selber der ehemaligen konservativen Regierungspartei nicht fern, was das Misstrauen der kommunistischen Gruppie-rungen nährte. Die Spannungen zwischen den verschiedenen Flügeln der Partei hatten Rojas Pinilla in das höchste Amt im Staat befördert. Dass er im Präsiden-tenamt akzeptiert wurde, lag nicht daran, dass er einem moderaten Flügel der Konservativen Partei angehörte, der die politische Gewalt abgelehnt hätte. Viel-mehr machte der Ruf der parteipolitischen Neutralität, den die Streitkräfte Anfang der 1950er Jahre besaßen, als nahezu alle anderen politischen und sozialen Gre-mien hochgradig (partei-)politisiert waren, ihn als Staatspräsidenten akzeptabel.200Die Streitkräfte waren allerdings in von Anhängern der Konservativen Partei aus-gehende Gewaltkontexte verwickelt. So zeigten sich die Streitkräfte in einigen Regionen des Landes passiv gegenüber dem Agieren der chulavitas oder zogen sich aus Regionen, in denen konservative Gewaltkollektive aktiv waren, zurück und vergrößerten so deren Handlungsspielraum. Und Rojas Pinilla selber war immerhin als Befehlshaber der in Valle del Cauca stationierten Armeebrigade ver-antwortlich für die Niederschlagung des Aufstands der Anhänger Gaitáns in Cali nach dessen Ermordung. Den Posten als Brigadegeneral hatte er auch noch inne, als chulavitas und bewaffnete Mitglieder der Konservativen Partei im Oktober 1949 ein Massaker an Liberalen verübten. Anhänger der Liberalen Partei warfen dem General vor, dieses nicht verhindert und die Mitglieder der Oppositionspartei nicht geschützt zu haben.201 Außerdem pflegte Rojas Pinilla persönliche Kontakte zu Anführern konservativer Gewaltkollektive wie dem berühmt-berüchtigten León María Lozano (alias El Cóndor).202

Die Nähe des Generals zur Konservativen Partei erklärt denn auch, warum er entgegen der allgemeinen Erwartungen keine Regierung aus Mitgliedern der beiden Traditionsparteien einrichtete. Zwar blieb die Spitze des Staatsapparates mit Zivilisten besetzt, obgleich er einige Offiziere aus seinem Umfeld beförderte. Seine Kabinettsmitglieder stammten allerdings aus der Konservativen Partei, während Mitglieder der Liberalen Partei lediglich diplomatische Posten erhielten und keine Regierungsverantwortung übernehmen konnten bzw. durften.203

Obgleich Rojas Pinilla zum Zeitpunkt seiner Wiederwahl noch in weiten Tei-len des politischen Establishments und der Zivilbevölkerung über große Sympa-thien verfügte, wuchs die Kritik an der Militärregierung und ihrer Amtsführung. Die Tatsache, dass sich Rojas Pinilla der Konservativen Partei verbunden fühlte, gehörte zu einem der Umstände, welche die Glaubwürdigkeit der Militärregierung beschädigten. Weiterhin attestiert Henderson der Regierung Rojas Pinilla ein Feh-len an ideologischer Kohärenz, die ihrem Ansehen abträglich war.204 Missfallen rief bei weiten Teilen der politischen Klasse des Landes die Entscheidung hervor, den bereits 1949 verhängten Ausnahmezustand nicht aufzuheben. Die Exekutive sah sich nicht in der Lage, auf die ihr im Rahmen des Estado de Sitio eingeräum-ten Sondervollmachten zu verzichten.205 Zwar sank die Gewaltintensität nach dem 13. Juni 1953 spürbar und zehntausende von Widerstandskämpfern kapitulierten vor der Militärregierung. Von einer umfassenden Befriedung des Landes konnte aber nicht die Rede sein – und auf dieser beruhte die fragile politische Legitimi-tät des Generals, der nicht in einer demokratischen Entscheidungsfindung zum Staatsoberhaupt bestimmt worden war.206 Zwar demobilisierte sich die Mehrzahl der liberalen Widerstandsgruppen, aber die unter der Ägide des Partido Comunista stehenden Kombattantengruppen misstrauten einerseits den Ankündigungen von Rojas Pinilla und hatten andererseits zu keinem Zeitpunkt derart umfassende Zu- sagen wie ihre liberalen Pendants erhalten, weshalb sie nicht – oder nur formal – kapitulierten.207

Zwar verhielten sich die kommunistischen Gruppierungen passiv und bega-ben sich nicht in gegen die Regierung gerichtete, militärische Offensivaktionen, aber sie stellten gerade in den Augen der streng antikommunistisch ausgerichteten Streitkräften ein nicht zu unterschätzendes Gewaltpotenzial dar. Die staatliche, militärische Repression der im Namen der Kommunistischen Partei Widerstand-leistenden gestaltete sich zunehmend harscher und traf vermehrt auch unbeteiligte Zivilisten, was wiederum die öffentliche Meinung beunruhigte.208 Die sogenannte Guerra de Villarrica im Osten des departamento Tolima verdeutlichte, in wel-chem Maße die Militärregierung bereit war, zivile Opfer im Kampf gegen kom-munistische Gruppierungen in Kauf zu nehmen.209 Neben der Fortexistenz von Gewaltkollektiven bzw. deren Neuformierung angesichts der extralegalen Tötun-gen von amnestierten guerrilleros beschädigten die Begnadigungen von konser-vativen Gewaltakteuren wie El Cóndor den Ruf von Rojas Pinilla, einer Regie-rung vorzustehen, die imstande war, das Land zu befrieden und die verfeindeten Parteimitglieder zu versöhnen. Auch die Benennung von Zu- und Mitarbeitern der Regierung Gómez, die der General selber abgelöst hatte, waren seinem Ansehen nicht zuträglich.210

Allerdings rief nicht nur das Versagen von Rojas Pinilla in sicherheitspoliti-schen Belangen und das Ausbleiben einer umfassenden und vollständigen Befrie-dung des Landes steigenden Unmut unter den Politikern hervor, die ihm den Weg in die Casa de Nariño geebnet hatten.211 Die kostspieligen Wiederaufbau- und Hilfsmaßnahmen, welche die Befriedungsbemühungen flankieren sollten, finan-zierte die Militärregierung durch die auf dem Weltmarktpreise stark gestiegenen Preise für das Hauptexportprodukt Kolumbiens. Allerdings fielen die Kaffeepreise Mitte der 1950er Jahre, ohne dass die Militärregierung ihre Ausgabenpolitik an die gewandelten makroökonomischen Bedingungen anpasste.212 Aber nicht allein die Wideraufbaumaßnahmen brachten die staatlichen Finanzen ins Ungleichge-wicht: Insbesondere die Etats der Streitkräfte und der dem Verteidigungsministe-rium unterstellten Policía Nacional wuchsen unverhältnismäßig stark an. Ange-sichts der angespannten Haushaltslage erwogen internationale Finanzgeber sogar, Kolumbien die Kreditwürdigkeit abzuerkennen. Ungeachtet dessen beschaffte die Regierung Rojas Pinilla neue Kampfflugzeuge für die Luftwaffe, stattete die Marine mit neuen Geräten aus und trieb die Modernisierung von Kasernen voran. Mit diesen Maßnahmen wollte sich der Staatspräsident die Unterstützung der Institution, der er angehörte, sichern.213

Parallel zu der ökonomischen Fehlbilanz alarmierte das Ausmaß an Korruption und Nepotismus die Führungsriegen der Traditionsparteien. Neben der Bestech-lichkeit der nachgeordneten Beamtenschaft wog besonders schwer, dass Rojas Pinilla verdächtigt wurde, seine politische Position zu nutzen, um sich und sei-ner Familie soziale und ökonomische Vorteile zu verschaffen. Die Benennung seiner 21-jährigen Tochter zur Vorsitzenden des SENDAS versinnbildlichte die zunehmend als korrupt wahrgenommenen Praktiken der Militärregierung. Auch der während seiner Amtszeit stark wachsende Landbesitz von Rojas Pinilla und seinen nächsten Familienangehörigen, vor allem in Osttolima, wurden angeführt, um den Präsidenten der unstatthaften Vorteilnahme zu verdächtigen.214

Die Eliten der beiden Traditionsparteien, welche die Machtübernahme von Rojas Pinilla gutgeheißen und unterstützt hatten, hatten eine Militärregierung unter seinem Vorsitz nur als Übergangslösung betrachtet. Bis es die politischen Rah-menbedingungen wieder zulassen würden, in den althergebrachten Strukturen des politischen Feldes eine Regierung der Liberalen oder Konservativen Partei einzu-richten, sollten die als parteipolitisch neutral geltenden Streitkräfte die Geschicke des Landes lenken.215 In der Legislaturperiode von 1954 bis 1958 mehrten sich allerdings die Anzeichen, dass der Oberbefehlshaber der Streitkräfte Gefallen an der politischen Macht gefunden hatte. Der Führung der partidos tradicionales entging nicht, dass Rojas Pinilla Vorbereitungen traf, den Regierungsvorsitz nicht wieder abzugeben, wie es ursprünglich angedacht war.216 Diese Bestrebungen ver-deutlichten sich in einer immer deutlicheren Abgrenzung von dem traditionellen (Zwei-)Parteiensystem: Das Verhältnis zwischen der Militärregierung und der Bevölkerung des Landes deutete Rojas Pinilla zunehmend als ein direktes, als ein „Binom [zwischen] Volk und Streitkräften“217, ohne die Traditionsparteien als Mittlerinnen zwischen beiden Einheiten zu berücksichtigen.218

Um sich eine Basis für die Ausübung politischer Macht jenseits der Traditions-parteien zu schaffen, strebte der General die Gründung einer Partei an, des Movi- miento de Acción Nacional , die er als Ergänzung zu den partidos tradicionales als tercera fuerza apostrophierte.219 Parallel zu diesem politischen Zusammenschluss suchte Rojas Pinilla, den Rückhalt für seine Regierung durch die Schaffung einer Gewerkschaft, der Confederación Nacional de Trabajadores (CNT), zu erwei-tern. Die nach peronistischem Vorbild gegründete und ausgerichtete Gewerk-schaft sollte als Gegengewicht zu der Confederacion de Trabajadores de Colom- bia (CTC), die der Liberalen Partei nahestand, und der katholisch-konservativen Unión de Trabajadores Colombianos (UTC) dienen.220

Die Ambitionen von Rojas Pinilla, sich über den ihm von den Eliten der Tra-ditionsparteien zugestanden Zeitraum an der Macht zu halten, verstärkten deren Widerstand gegen seine Regierung.221 Wegen der Gefahr, ihre Vormachtstellung im politischen Feld Kolumbiens einzubüßen, näherten sich Vertreter beider Par-teien an, um sich über das weitere Vorgehen abzustimmen.222 Vor dem Hintergrund der finanziell und ökonomisch schwierigen Lage sowie der wachsenden Kritik der Vertreter der Traditionsparteien an der Militärregierung waren es zwei Ereignisse, welche den Widerstand gegen Rojas Pinilla intensivierten. Anfang 1956 starben acht Personen und wurden mehrere Hundert verletzt, als in Bogotá zivil gekleidete Polizisten gegen Zuschauer eines Stierkampfes vorgingen, die sich Hochrufen auf den Präsidenten und seiner Familie verweigerten.223 Und knapp ein halbes Jahr später explodierten in Cali mit Sprengstoffen und Munition beladene Armeelast-wagen in einem dicht besiedelten Stadtteil – etwa 1000 Menschen starben und ein ganzer Häuserblock wurde vollständig zerstört. Rojas Pinilla beschuldigte diri- gentes der Liberalen und der Konservativen Partei, für die Zerstörungen in Cali im Rahmen eines Komplotts gegen seine Regierung schuldig zu sein. Der Umstand, dass die Route des Militärkonvois bewusst in das Wohngebiet umgelenkt worden war, um die sozial besser gestellten Bürger eines anderen Stadtteils vor der poten-tiellen Gefahr zu schützen, sowie die leichtfertig geäußerten Vorwürfe von Rojas Pinilla gegen Vertreter der Traditionsparteien lösten einen Sturm der Empörung aus.224 Auch innerhalb der Streitkräfte, die wegen der um sich greifenden unstatt-haften Bereicherungen der Familie Rojas Pinilla um ihren Ruf fürchteten, wuchs die Opposition gegen den General.225

Die Verhandlungen zwischen den partidos tradicionales , wie die Absetzung der Regierung Rojas Pinilla und eine Rückkehr zu den traditionellen Strukturen im politischen Feld zu bewerkstelligen waren, führten Alberto Lleras Camargo als Vertreter der Liberalen Partei und Laureano Gómez der Konservativen. Lleras Camargo war für die Gespräche mit Vertretern der Konservativen Partei geradezu prädestiniert. Er war nach seiner Interimspräsidentschaft mit dem Wahlsieg der Konservativen Partei 1946 als erster Generalsekretär der Organisation Amerika-nischer Staaten in die USA gegangen und während der Violencia nicht vor Ort in Kolumbien, ergo nicht derart involviert in die blutigen Auseinandersetzungen, gewesen.

Die Tatsache, dass Rojas Pinilla gegen die Regierung Gómez geputscht hatte, führte wiederum dazu, dass letzterer einer Zusammenarbeit mit der Liberalen Par-tei, die er wenige Jahre zuvor noch kategorisch abgelehnt hatte, vergleichsweise offen gegenüberstand, um die traditionellen Strukturen des politischen Feldes Kolumbiens zu wahren.226 Die liberale Opposition gegen Rojas Pinilla bemühte sich, insbesondere Ospina Pérez, der seinerzeit einer der engsten Unterstützer des Generals gewesen war, von einem Umdenken bezüglich des Nutzens der Militär-regierung für die weiteren politischen Entwicklungen Kolumbiens zu überzeu-gen.227 Die Kreise der Konservativen Partei, welche den Putsch der Streitkräfte unterstützt hatten, gingen in dem Maße, wie sie erkannten, dass Rojas Pinilla eigene Interessen – und weniger die der Konservativen Partei – verfolgte, auf Distanz zu ihm.228 Selbst der ehemalige Präsident Ospina Pérez formulierte letz-ten Endes gegenüber Rojas Pinilla Forderungen, die eine stärkere Beteiligung der Konservativen Partei an den Regierungsgeschäften sowie die Rücknahme der Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten anmahnten.229

Lleras Camargo reiste 1956 und 1957 mehrfach nach Spanien, wo sich Gómez seit dem Putsch gegen seine Regierung im Exil befand, um mit dem konservativen Politiker über die Modalitäten der Einrichtung einer Regierung der Traditions- parteien zu beraten.230 Die Vertreter der beiden Parteien waren sich darüber einig, dass die unmittelbare Rückkehr zu zivilen Regierungen, die aus freien Wahlen zur Bestimmung der politischen Machtverhältnisse und dem damit verbunde-nen Wahlkampf zwischen Liberaler und Konservativer Partei hervorgehen wür-den, nach den jahrelangen erbitterten Auseinandersetzungen nicht gangbar war.231Als Alternative zu der kompetitiven Bestimmung des Präsidenten vereinbarten die Vertreter der partidos tradicionales , sich über drei Legislaturperioden, später auf vier ausgeweitet, im Präsidentenamt abzuwechseln und die Mandate in den legislativen Körperschaften, von der nationalen bis auf die lokale Ebene, paritä-tisch zu verteilen. Der sogenannte Frente Civil , später in Frente Nacional um- getauft, stellte aus ihrer Sicht das einzig mögliche Instrument dar, um die Regie- rung Rojas Pinilla abzusetzen und die gewaltsamen Auseinandersetzungen zu beenden bzw. bewaffnete Auseinandersetzungen um politischen Einfluss zu ver- hindern.232

Die Entscheidung der Rojas Pinilla nahestehenden Offiziere, ihn als Staatsprä-sident für die Legislaturperiode von 1958 bis 1962 durch die ANAC legitimie-ren zu lassen, löste im Mai 1957 unter den zivilen politischen Eliten des Lan-des eine Welle des Widerstandes aus.233 Vor dem Hintergrund der bereits im spanischen Benidorm schriftlich fixierten Vereinbarungen der Traditionspar-teien über die Rückkehr zu zivilen Regierungen bei gleichzeitiger Alternation im Präsidentenamt und paritätischer Postenverteilung riefen Lleras Camargo für die Liberale Partei und Valencia, der bereits von den Traditionsparteien zum Präsidentschaftskandidaten für die Wahlen 1958 gekürt worden war, zu einem Generalstreik auf. Gleichzeitig wurde den Streitkräften glaubhaft versichert, dass sich die Aktionen gegen den Präsidenten und nicht gegen die Streitkräfte als staatliche Institution in ihrer Gesamtheit richteten. Auf diese Weise neutra-lisierten die Vertreter des Frente Civil die letzte Unterstützergruppe von Rojas Pinilla. Bereits zuvor hatten sich Studentenverbände gegen die Fortsetzung der Militärregierung ausgesprochen und auch der Unternehmerverband Asociación Nacional de Empresarios de Colombia (ANDI) hatte sich von Rojas Pinilla abge-wendet. Die Arbeitgeber zahlten denn auch den streikenden Angestellten ihre Löhne fort, um Rojas Pinilla durch die Paralysierung des Landes zum Rücktritt zu bewegen.234

Auf Drängen des Offizierscorps vereinbarten die Vertreter des Frente Civil mit ihm, dass eine Militärjunta die Amtsgeschäfte von Rojas Pinilla bis zum Ende der Legislaturperiode am 7. August 1958 übernehmen sollte. Dem scheidenden Prä-sidenten wurde zugestanden, die Mitglieder der Junta eigenständig auszuwählen, um derart sowohl das Ansehen der Streitkräfte als auch das Prestige ihres Oberbe-fehlshabers zu wahren.235 Am 10. Mai 1957 trat Rojas Pinilla zurück und übergab die politische Macht an die nach seinen Vorgaben konstituierte Junta Militar .

2.4 Die von der Junta Militar geleitete Transition

Angesichts der Gefahr, ihre Vormachtstellung durch eine von Rojas Pinilla ini- tiierte politische Bewegung jenseits der Traditionsparteien zu verlieren, hatten sich die Führungsebenen beider Parteien, ungeachtet der blutigen, bewaffneten Auseinandersetzungen in den Vorjahren, zum Frente Nacional zusammenge-schlossen.236 Die anvisierte Alternation im Präsidentenamt und die paritätische Aufteilung der politischen Repräsentation in der Legislative zwischen der Konser-vativen und der Liberalen Partei unter Nichtbeachtung anderer politischer Zusam-menschlüsse erforderten eine Verfassungsänderung, über die am 1. Dezember 1957 plebiszitär abgestimmt wurde und dem Frente Nacional ein hohes Maß an Legitimität sicherte.237 94.8% der abgegebenen Stimmen votierten für die vorge-schlagenen Verfassungsänderungen, welche die Einrichtung der Koalitionsregie-rung ermöglichten.238

Innerhalb der Konservativen Partei sprachen sich allerdings nicht wenige Par-teimitglieder gegen den Frente Nacional aus, die sich in den politischen Abkom-men zwischen den Traditionsparteien nicht ausreichend berücksichtigt sahen. Dieser Widerstand gegen den Frente Nacional vonseiten Konservativer rekru-tierte sich aus den Anhängern des gerade zuvor abgesetzten Rojas Pinilla wie José María Nieto Rojas, der sich bereits durch die Verteidigung der These über die Ver-antwortung der Liberalen und der Kommunistischen Partei für die Violencia her-vorgetan hatte.239 Weiterer konservativer Widerstand gegen den Frente Nacional kam aus den Reihen der Gefolgschaft von Alzate Avendaño ( alzatistas ) und Jorge Leyva ( leyvistas ).240 Den dirigentes conservadores zufolge bedrohte die Verwäs-serung der ideologischen Grundfesten, welche die politische Kooperation mit den Liberalen ihrer Ansicht nach zwangsläufig implizieren würde, die Konservative Partei in ihrer Gesamtheit.241

Aber auch innerhalb der Liberalen Partei bildeten sich parteiinterne Opposi-tionsgruppen heraus, die sich gegen die Zusammenarbeit mit der Konservativen Partei wehrten. Der Frente Nacional speiste sich aus den etablierten Parteieliten, während die jüngere Generation liberaler Parteianhänger, die sich in den Protes-ten gegen die Militärregierung hervorgetan hatte, die sogenannte Mai-Generation, bei der Übernahme politischer Verantwortung weitgehend unberücksichtigt blieb. Sie kritisierte, dass die liberal-konservative Koalitionsregierung ihr politisches Handeln auf die Zukunft richte, die Lösung aktueller politischer Probleme aber ausblende. Auch über die Vergangenheit und die blutigen Auseinandersetzun-gen zwischen Anhängern der partidos tradicionales würde geschwiegen, um die jüngst getroffenen politischen Abmachungen nicht zu gefährden, wie Vertreter der Mai-Generation kritisierten.242

Der bedeutendste liberale Widerstand gegen die offizielle Parteilinie, welche die Koalition mit der Konservativen Partei befürwortete, gruppierte sich um López Michelsen, den Sohn des ehemaligen Präsidenten Kolumbiens. Wie die Bezeich-nung der von ihm angeführten Gruppierung, Movimiento de Recuperación Liberal (MRL), andeutete, forderten die Mitglieder des MRL eine Rückbesinnung auf bzw. Wahrung der liberalen politischen Werte, die sie durch die Zusammen-arbeit mit dem ehemaligen Erzfeind in Gefahr sahen – zumal der polarisierende Laureano Gómez die Einrichtung des Frente Nacional federführend für die Kon-servative Partei geleitet hatte.243

In den Legislativwahlen im März 1958, noch unter der Herrschaft der von Rojas Pinilla eingesetzten Militärjunta, offenbarten sich die Machtrelationen zwi-schen den verschiedenen Fraktionen innerhalb der Traditionsparteien. Bei der Abstimmung konnten sich die laureanistas gegen die Anhänger des ehemaligen Präsidenten Ospina Pérez mit einem Stimmenplus innerhalb der Konservativen Partei durchsetzen.244 Gómez legte sein Veto gegen den vorgesehenen Präsident-schaftskandidaten des Frente Nacional Valencia ein. Sollten die ospinistas , zu denen Valencia gehörte und denen Gómez die Nähe zu sowie die Unterstützung von Rojas Pinilla vorwarf, den ersten Präsidenten des Frente Nacional stellen, drohte er mit dem Entzug seiner Unterstützung für die sich anbahnende liberal-konservative Zusammenarbeit.245 Gómez plädierte angesichts der Tatsache, dass in der eigenen Partei kein von den verschiedenen Fraktionen unterstützter Kan-didat durchzusetzen war, für die Kandidatur des Liberalen Lleras Camargo – unter der Maßgabe, dass der anfangs auf 12 Jahre angesetzte Frente Nacional auf vier Legislaturperioden bis 1974 ausgeweitet würde.246 Am 7. August 1958 zog Alberto Lleras Camargo als Präsident Kolumbiens in die Casa de Nariño ein.

2.5 Die ersten Regierungsjahre des Frente Nacional

(1958–1964)

Im Unterschied zu den vorherigen Koalitionsregierungen wie der Unión Nacio- nal in den ersten Jahren des Untersuchungszeitraums war der Frente Nacional langfristig, über vier Legislaturperioden angelegt. Auch hinsichtlich der Macht-relationen zwischen den Koalitionspartnern unterschied er sich von den früheren Versuchen einer gemeinsamen politischen Führung des Landes. So gab es wegen der paritätischen Verteilung der Mandate in den legislativen Körperschaften und der festgeschriebenen Abwechslung im Präsidentenamt keinen „kleinen“ politi-schen Partner in der Koalition.247

Die konstitutionell festgeschriebene Koalition aus Konservativer und Libera-ler Partei, die naturgemäß dritte Parteien von einer politischen Mitwirkung aus-schloss, führte allerdings zu einer begrenzten sozialen Repräsentativität des Frente Nacional .248 Die vergleichsweise starre und restriktive Koalitionsregie-rung konnte nur bedingt oder verspätet auf neue soziale Forderungen reagieren.249Dies war einer der zentralen Gründe, warum der Frente Nacional an Legitimi-tät einbüßte, was sich in einer stetig sinkenden Wahlbeteiligung widerspiegelte.250In der Hoffnung, mit der Einrichtung der liberal-konservativen Koalitionsregie-rung würde der Violencia ein Ende gesetzt werden, beteiligten sich 72.31% der Wahlberechtigten an der Abstimmung über die für das Zustandekommen des Frente Nacional notwendigen Verfassungsänderungen. Dies war der höchste Pro-zentsatz bei politischen Abstimmungen im 20. Jahrhundert.251 Bei den im März 1958, noch unter der Junta Militar , stattfindenden Legislativwahlen ging die Wahlbeteiligung allerdings schon stark zurück – ein Trend, der sich in den folgen-den Abstimmungen fortsetzen sollte.252

Dritte politische Kräfte waren nicht nur de facto, sondern sogar de jure von der politischen Teilhabe ausgeschlossen.253 Zwar war die Koalitionsregierung nicht so exklusiv, wie es auf den ersten Blick erschien. Dritte politische Kräfte konnten an der politischen Macht teilhaben, wenn es ihnen gelang, ihre Kandidaten auf den Listen der Traditionsparteien zu platzieren – wie es zum Beispiel bei der Kommu-nistischen Partei auf den Listen der Liberalen der Fall war.254 Ungeachtet dieser Möglichkeiten der politischen Teilhabe stellte die konstitutionell festgeschriebene Koalitionsregierung jedoch eine bedeutende Einschränkung der demokratischen Gepflogenheiten dar: erstens mussten sich dritte politische Akteure den Agen-den der jeweiligen Partei anpassen, um auf derer Liste kandidieren zu können. Zweitens waren in den legislativen Körperschaften Zweidrittelmehrheiten vor-gesehen, um Gesetzesänderungen zu beschließen, was die Gestaltungskraft alter-nativer politischer Gruppierungen stark einschränkte. Die Vorstellungen dieser politischen Oppositionsgruppen über notwendige Reformen in Wirtschaft und Gesellschaft unterschieden sich in der Mehrzahl der Fälle von den Prioritäten des Frente Nacional . Diese Allianz zweier ehemals verfeindeter politischer Zusam-menschlüsse wollte der Gewalt abschwören und gemeinsam politische Verant-wortung übernehmen. Die sozialen und politischen Bedingungen, welche die vor-herigen Ausbrüche der Gewalt begünstigten, blieben jedoch in den meisten Fällen intakt oder wurden nur abgemildert, nicht aber grundlegend geändert – der Frente Nacional zielte auf die Beendigung des Parteienkonflikts und die Restauration des traditionellen politischen Feldes, nicht auf seine fundamentale Umstrukturierung. Die Belange subalterner sozialer Klassen blieben in den politischen Agenden des Frente Nacional somit oftmals unberücksichtigt.255

Der MRL war sich als parteiinterne Oppositionsgruppe den Grenzen seiner politischen Partizipationsmöglichkeiten bewusst, die der offizielle Flügel der Liberalen Partei, im zeitgenössischen Sprachgebrauch als oficialistas oder der oficialismo bezeichnet, absteckte. Diese Einschränkungen seiner politischen Möglichkeiten kritisierte er als undemokratisch.256 Die politischen Gruppierun-gen jenseits der partidos tradicionales verurteilten die Restriktionen des Frente Nacional scharf. Obgleich sie mit einem angepassten Diskurs unter Umständen ihre Kandidaten auf den Wahllisten der Traditionsparteien unterbringen konnten, waren die ihnen unerlässlich erscheinenden Reformen und Änderungen mit den Eliten der Liberalen und der Konservativen Partei nicht durchzuführen.257

Gegen die Exklusionsmechanismen des Frente Nacional formierte sich bereits in den beginnenden 1960er Jahren bewaffneter Widerstand. Vor dem Hintergrund der Kubanischen Revolution schien von der politischen Teilhabe ausgeschlossenen Akteursgruppen der bewaffnete Kampf ein gangbarer Weg, an der Gestaltung der politischen Zukunft des Landes mitzuwirken. Diese rekrutierten sich, im Gegen-satz zu den vorangegangen bewaffneten Auseinandersetzungen, insbesondere aus den Mittelschichten und radikalisierten Studierenden.258 Der Student Antonio Larotta gründete bereits 1960, inspiriert von Fidel Castro und Ernesto Guevara, die kurz zuvor auf Kuba Fulgencio Batista im bewaffneten Kampf abgesetzt hat-ten, den Movimiento Obrero Estudiantil Campesino – 7 de Enero (MOEC).259

Zwar war die Einrichtung der Koalitionsregierung der partidos tradicionales in der offiziellen Regierungspropaganda mit der Beendigung der vorangegangenen Violencia gleichzusetzen. De facto setzten sich die gewaltsamen Auseinanderset-zungen im politischen Feld allerdings fort.260 Zum einen entstanden neue bewaff-nete Gruppierungen, die sich gewaltsam gegen die Exklusionsmechanismen des von den Traditionsparteien dominierten politischen Systems ( Frente Nacional ) zur Wehr setzten. Die bedeutendste Guerillagruppe, die sich in den frühen 1960er Jah-ren bildete, war der MOEC.261 Zum anderen griffen Lokal- und Regionalpolitiker entgegen der Darstellung der Regierung, weiterhin auf Gewaltkollektive zurück, um sich gegen die politische, auch parteiinterne Opposition zur Wehr zu setzen, die einen grundlegenden Wandel im politischen System herbeiführen wollte.

Die Gewalt der unter dem Frente Nacional entstehenden bewaffneten Gruppie-rungen unterschied sich zu den liberalen Kombattantengruppen, die in den Jahren zuvor zu den Waffen gegriffen hatten oder die von gamonales der Traditionspar-teien unter den Frente Nacional gegen politische Widersacher eingesetzt wur-den. Letztere zielten auf die Teilhabe an dem bestehenden politischen System, während die neu entstandenen Gewaltkollektive einen umfassenden Systemwech-sel anstrebten, ähnlich wie die zahlenmäßig vergleichsweise kleinen kommunis-tischen Gruppen der 1940er Jahre.262 Angesicht der Präsenz der verschiedenen Gewaltkollektive blieb der Ausnahmezustand trotz der Absetzung des Militär-präsidenten und der Rückkehr zu einer zivilen Regierung in fünf departamentos bestehen. Die politische Exekutive glaubte, in Tolima, Huila, Cauca, Valle del Cauca und Caldas nicht auf ihre im Rahmen des Estado de Sitio gewährten Son-dervollmachten verzichten zu können.263

Die Koalitionsregierung war sich der Gefahren einer erneuten Intensivierung der Gewalt, die in einigen Regionen zu keinem Zeitpunkt zum Erliegen gekom-men war, bewusst. Um den Gründen der vorangegangenen Gewalttaten nachzu-forschen und ein erneutes Aufbrechen der Feindseligkeiten zu vermeiden, wurde die Comisión Investigadora de las Causas de la Violencia bereits im Mai 1958 nach Absprachen zwischen der Militärjunta und den Vertretern des Frente Civil eingerichtet. Neben der Untersuchung der Gründe für die vorangegangenen gewaltsamen Auseinandersetzungen oblag es der Comisión Investigadora in Ver-handlungen mit den bewaffneten Widerstandsgruppen zu treten, um durch deren Demobilisierung die Befriedung des Landes zu erreichen.264 Dieser gehörten neben Vertretern der Traditionsparteien – Otto Morales Benítez für die Liberale Partei und der laureanista Augusto Ramírez Moreno als Vertreter der Konser-vativen – zwei Kleriker, unter anderem der Autor des frühen Standardwerks zur Violencia Germán Guzmán Campos, sowie zwei Offiziere an.265

Als aktiven Beitrag zu einer umfassenden Befriedung des Landes und als wei-tere Maßnahme zur Abmilderung der Folgen der Violencia initiierte die erste Regierung des Frente Nacional bereits einen Monat nach Regierungsantritt ein Wiederaufbauprogramm, die sogenannte Rehabilitación .266 Der Vorsitzende der mit ihr beauftragten Kommission ( Comisión Especial de Rehabilitación ), José Gómez Pinzón, war dem Präsidenten unmittelbar unterstellt, was die Bedeutung unterstreicht, die der Arbeit der Kommission beigemessen wurde.267 Wie Lleras Camargo betonte, war nicht nur der materielle Wiederaufbau zentrale Aufgabe der Rehabilitación , sondern sie sollte vielmehr auch den Opfern und Tätern der vorangegangenen bewaffneten Auseinandersetzungen eine möglichst vollstän-dige und umfassende Wiedereingliederung in das zivile, friedliche Leben ermög-lichen.268 Um diesen Prozess zu unterstützen, verfügte die erste Regierung des Frente Nacional vor, dass die Strafverfolgung für in den vorangegangenen Jahren begangene politische Verbrechen unter gewissen Bedingungen ausgesetzt werden könne.269

Der Fokus der Kommission lag allerdings auf der Beseitigung der Bürger-kriegssituationen in ruralen Konfliktzonen, die trotz der liberal-konservativen Koalitionsregierung fortbestanden. Da Rojas Pinilla seiner Nachfolgeregierung letzten Endes eine desolate wirtschaftliche Situation hinterlassen hatte, die Lleras Camargo durch eine entschiedene Sparpolitik zu stabilisieren versuchte, war der Handlungsspielraum der Regierung bezüglich der Rehabilitación eingeschränkt. Die Regierung Lleras Camargo konnte notwendige Reformen in Wirtschaft und Gesellschaft aufgrund der angespannten Haushaltslage oftmals nur zögerlich angehen.270 Aufgaben, die als weniger dringend im Vergleich zu den Befriedungs-maßnahmen angesehen wurden, wie zum Beispiel die öffentlichen Investitionen in den Infrastrukturausbau, wurden aufgrund fehlender finanzieller Ressourcen verschoben, was wiederum neue Unzufriedenheiten und Konflikte hervorrief.271

Eine dieser drängenden, aber nur zögerlich durchgeführten Reformen war eine Umverteilung des Landbesitzes, einerseits um den zahlreichen ehemaligen Kom-battanten eine Erwerbsmöglichkeit für die Reintegration in das zivile Leben zu geben, andererseits um den Ansprüchen der Opfer der Violencia , die ihres Landes beraubt worden waren, gerecht zu werden.272 Der Justizminister der Regierung Lleras Camargo, Zea Hernández, drückte allerdings seine Befürchtung aus, dass die geplanten Landverteilungen auf den Widerstand der Personen treffen würden, die während der vorangegangenen Auseinandersetzungen zu Landbesitz gekom-men waren:

Die Landzuteilungen blieben wegen der befürchteten Intensivierung der Gewalt und wegen des Widerstandes von Landbesitzern weit hinter den Planun-gen zurück. Bis 1959 kamen in Ariari lediglich 251 und in Caquetá 146 Familien in den Genuss von Land, obwohl bis zu diesem Zeitpunkt 2447 Zuweisungen vorgesehen waren.274 Und Anfang der 1960er Jahre waren 91% der in der Region Sumapaz in Osttolima lebenden Familien nach wie vor ohne jeglichen Landbesitz bzw. besaßen nur kleine Parzellen. Sie mussten sich auf umliegenden haciendas als Landarbeiter verdingen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.275

Die Verteilung von Land im Rahmen der Agrarreform des Frente Nacional wurde von verschiedenen Seiten scharf kritisiert. Den gemäßigten Flügel beider Traditionsparteien erschienen die Umverteilungsbemühungen zu radikal.276 Da die Einrichtung der liberal-konservativen Koalitionsregierung mit der siegreichen Kubanischen Revolution zusammenfiel, deren Protagonisten sich zunehmend dem Ostblock zuwendeten, schürten die Bestrebungen zur Landumverteilung antikom-munistische Ressentiments, die oftmals einer gegen die Staaten des Ostblocks gerichteten Hysterie à la McCarthy glichen.277 Von politisch links orientierten Gruppierungen und movimientos campesinos wiederum wurden die schleppend verlaufenden Reformbemühungen des Frente Nacional als unzureichend ver-urteilt.278 Die mit der Etablierung der Koalitionsregierung einhergehende, wenn auch begrenzte Öffnung des politischen Systems wurde von zahlreichen Protes-ten gegen die Strukturen sozioökonomischer Ungleichheit begleitet. Auch kam es zu einer Reihe von teilweise gewaltsamen Landbesetzungen, mit denen landlose campesinos und colonos , die sich auf die Ley de Reforma Social Agraria beriefen, Druck auf die Regierung ausüben wollten, damit diese ihren Forderungen nach Landtiteln nachkommen würde.279

Angesichts der Tatsache, dass auch unter der Regierung Lleras Camargo in vielen Landesteilen die öffentliche Ordnung – durch die Präsenz radikalisierter movimientos campesinos , kommunistischer autodefensas , bewaffneter Anhän-ger der Regierungsparteien oder sich neu formierender Gewaltkollektive – noch gestört war, waren die politische Elite und die Streitkräfte des Landes aufeinander angewiesen. Die Regierung brauchte die staatlichen Sicherheitskräfte, um sich gegen die bewaffnete Opposition zu verteidigen, die Streitkräfte wiederum waren auf die Vertreter der Parteien angewiesen, da die Störung des Orden Público in der Regel ein politisches und kein rein militärisches Problem war.280 Um dieser Notwendigkeit nachzukommen, bemühte sich Lleras Camargo, die potentiellen Differenzen zwischen seiner Regierung und den Streitkräften aufzulösen, die im Zuge der Absetzung der Militärregierung sichtbar geworden waren. Zwar waren die Versuche des ehemaligen Oberbefehlshabers der Streitkräfte, eine eigene Par-tei zu gründen, gescheitert, aber die Streitkräfte waren sich bewusst geworden, dass sie einen nicht zu unterschätzenden politischen Einfluss hatten und dass die-ser auch wahrgenommen wurde.281 Im Zuge der Bemühungen, mögliche Kon-flikte zwischen der politischen Führung mit Lleras Camargo an der Spitze und den staatlichen Sicherheitskräften im Ansatz zu ersticken, steckten beide Seiten gegenseitig Kompetenzbereiche ab. Während die Streitkräfte nicht in politische Entscheidungsprozesse intervenierten, überließ die Regierung den Streitkräften weitreichende Autonomien hinsichtlich der inneren Führung und strategisch-tak-tischer Fragen.282

Zur Harmonisierung der Beziehungen zwischen der Regierung Lleras Camargo und den Streitkräften trug der Prozess gegen den ehemaligen Militärmachtha-ber bei. Ende der 1950er Jahre lud die politische Exekutive Rojas Pinilla vor den Kongress, um über die Amtsführung während seiner Regierungszeit zu urtei-len. Obgleich ihm in dem Prozess Korruption und unstatthafte Bereicherungen nachgewiesen werden konnten, war die Untersuchung der Machenschaften der Militärregierung vor allem politisch, weniger strafrechtlich von großer Bedeu-tung. Im Zuge des Prozesses wurde die Schuld an den vorangegangenen blutigen Kämpfen zwischen den verschiedenen politischen Fraktionen individualisiert und auf die Person Rojas Pinilla verlagert. In dem Maße wie die Verantwortung von Repräsentanten der Traditionsparteien, terratenientes , chulavitas , bewaffneten Widerstandsgruppen und paramilitärischen Parteimilizen an der Violencia auf den General verlagert wurde, sprachen sich die partidos tradicionales selbst von jeg-licher Schuld frei.283 Und auch die Gewaltexzesse, zu denen es in den Reihen der Streitkräfte de facto gekommen war, wurden im Rahmen der Individualisierung der Kollektivschuld als persönliche Verfehlungen von Rojas Pinilla gewertet – und nicht etwa der Institution in ihrer Gesamtheit angelastet.284

Das Abstecken von Zuständigkeiten von ziviler Politik und den Streitkräften durch die Regierung Lleras Camargo verfolgte das Ziel, potentielle Konfliktherde zu eliminieren – die Regierung war um eine umfassende Versöhnung und Befrie-dung des Landes bemüht. Die Präsidentschaft des konservativen Politikers Valen-cia für die Legislaturperiode von 1962 bis 1966285 hingegen stellte die Abkehr von der auf Wiederaufbau und Aussöhnung ausgerichteten Amtszeit von Lleras Camargo dar, indem Valencia stärker auf eine militärische Lösung für die nach wie vor existente Gewaltproblematik setzte.286

Bereits vor dem Regierungswechsel hatte Álvaro Gómez Hurtado, der Sohn von Laureano Gómez, die Regierung Lleras Camargo, zu der die laureanistas seit den Märzwahlen 1960 ein gespaltenes Verhältnis hatten, scharf kritisiert. Der Senator hatte Lleras Camargo 1961 beschuldigt, er würde tolerieren, dass Teile des Staatsgebietes nicht von der Regierung, sondern von kommunistischen Grup-pierungen kontrolliert würden. Gómez Hurtado prägte in seiner Rede vor dem Senat den Begriff der repúblicas independientes , mit dem er die seit den 1950er Jahren bestehenden kommunistischen Enklaven bezeichnete und der Eingang in den zeitgenössischen Sprachgebrauch fand.287 Gómez Hurtado zufolge:

Nachdem es bereits im Oktober 1961 zu bewaffneten Auseinandersetzun-gen zwischen den staatlichen Sicherheitskräften und Kombattanten des MOEC gekommen war, begannen militärische Operationen gegen die kommunistischen Enklaven in Südtolima. Im Zuge einer nationalen Protestkampagne, die von der Kommunistischen Partei aber auch dem MRL getragen wurde, und internationa-len Solidaritätsbekundungen mit den Angegriffenen wurden die Unternehmungen des Heeres jedoch kommentarlos abgebrochen.289

Während Polizei und Heer von dem Vorgehen gegen die dezidiert kommunis-tischen Gruppierungen absahen, richteten sie ihren Blick auf andere verbliebene Gewaltkollektive, die in den 1950er Jahren entstanden waren, sich aber mit der Etablierung des Frente Nacional nicht ergeben und entwaffnet hatten. Zu diesen zählen neben den rein kriminell motivierten Gruppen die als bandoleros socia- les und bandoleros políticos zu bezeichnenden ehemaligen Kombattanten, die im Namen der Traditionsparteien zu den Waffen gegriffen hatten.290 Die militärischen Erfolge gegen die bandoleros sociales und políticos in den letzten Monaten des Jahres 1963 und dem Frühjahr 1964 markieren das Ende des Untersuchungszeit-raums der vorliegenden Arbeit.291

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II Das umkämpfte Monopol auf politische Betätigung 1 Die kolumbianischen Traditionsparteien als vorgestellte Gemeinschaften

In diesem Teil der vorliegenden Arbeit werden die Konstruktionsprozesse kollektiver Identitäten auf Basis der Zugehörigkeit zu der Liberalen und Konser- vativen Partei untersucht. Parallel zu dieser Analyse werden Deutungsprozesse sozialer Realitäten beleuchtet, welche die Identitätskonstruktionen in entscheiden-dem Maße beeinflussten. Diese Identitätsbildungen und framing -Prozesse stellen ein weiteres Erklärungsmoment für die im Untersuchungszeitraum zu beobach-tende Gewalt dar. Die diskursiven Konstruktionsprozesse kollektiver (Partei-)Identitäten wurden in erster Linie von den gesellschaftlichen Eliten vorangetrie-ben, das heißt Vertretern der Oberschichten, der Führungsebene der Traditionspar-teien sowie des Klerus. Wie auf den folgenden Seiten gezeigt wird, charakterisier-ten sich die diskursiven Wahrnehmungs- und Deutungsmuster auf der regionalen Ebene angesiedelter Akteure durch deutliche Parallelen zu den „nationalstaat- lichen“ Deutungen sozialer und politischer Realitäten. Bei der häufig in länd-lichen Regionen beheimateten Parteibasis kamen die Diskurse oftmals undiffe-renziert, in Form von Schlagworten an, die ungeachtet dessen aber nicht minder wirkmächtig waren.292

Die in den folgenden Kapiteln beschriebene Homogenisierung der Bilder von den Traditionsparteien, die sich de facto durch eine Vielzahl verschiedener Flü-gel und Fraktionen auszeichneten, die damit einhergehende Tilgung von partei-internen Differenzierungen sowie die absolute Trennung der beiden vorgestellten Gemeinschaften beschreibe ich als diskursive Dichotomisierung der sozialen Rea- lität . Diese führte zu einer Sichtweise auf soziale und politische Realitäten, in der nur noch Freund oder Feind, gut oder böse, richtig oder falsch bekannt waren und neutrale bzw. vermittelnde Positionen nicht mehr geduldet wurden. Diese Dichoto- misierung der sozialen Realität machte den Einsatz von Gewalt zu einer Handlungs-option in den politischen Auseinandersetzungen des Untersuchungszeitraums.

1.1 Die partidos tradicionales : Zentrale Akteure im politischen Feld

Die im zeitgenössischen Sprachgebrauch als Traditionsparteien bezeichneten Konservative und Liberale Partei trennten keine grundlegenden ideologischen Differenzen.293 Die den politischen Diskurs bestimmenden Eliten der Traditions- parteien zeichneten sich durch einen beachtlich großen Konsens in politischen Grundsatzfragen aus, zumal sie klassenübergreifende Zusammenschlüsse ohne einheitliches, fest definiertes politisches Programm waren.294 Perea zufolge ge- horchten die Diskurse der beiden politischen Einheiten einer „identischen dis-kursiven Grammatik“.295 Auf Basis dieses Konsenses konnten die Liberale und Konservative Partei des Öfteren ungeachtet aller gegenseitigen Anfeindungen gemeinsam politische Verantwortung in Koalitionsregierungen übernehmen. So bildete Mariano Ospina Pérez eine als Unión Nacional bezeichnete Koalitions- regierung mit der Liberalen Partei, als die Konservative Partei nach sechzehn Jahren liberaler Regierungen 1946 wieder die Regierung übernahm. Zwar zer-brachen die Koalitionsregierungen in der Frühphase des Untersuchungszeitraums regelmäßig wegen politischer Detailfragen und der steigenden Gewalt zwischen den Parteien. Dessen ungeachtet fanden die Traditionsparteien immer wieder bis zu dem endgültigen Scheitern der Unión Nacional im Mai 1949 zu einer gemein- samen politischen Arbeit zusammen. Auch nach den Aufständen von liberalen Parteimitgliedern und gaitanistas im Zuge der Ermordung von Jorge Eliécer Gaitán am 9.4.1948 richteten die beiden Traditionsparteien erneut eine Koali- tionsregierung ein.

Ein nicht zu unterschätzender Grund für die Wiederauflage der Unión Nacional nach dem Tod von Gaitán war der Umstand, dass die Erhebung seiner Anhänger als eine Gefahr für den sozioökonomischen Status quo wahrgenommen wurde.296Denn insbesondere im ökonomischen Feld verfolgten die Führungsriegen von Liberaler und Konservativer Partei gemeinsame Interessen.297 Diese spiegelten sich auch in dem Ziel wider, die grundlegende Ordnung des politischen Feldes und damit die soziale und ökonomische Struktur der kolumbianischen Gesell-schaft beizubehalten. Die aus diesen geteilten Zielsetzungen resultierende identi- sche diskursive Grammatik der partidos tradicionales verdeutlichte sich in den, ungeachtet eines anderslautenden formalen Anspruchs, politisch einflussreichen Unternehmerverbänden: Den gremios gehörten während des Untersuchungszeit-raums trotz der sich wegen der parteipolitischen Differenzen intensivierenden gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern beider Parteien sowohl konservative als auch liberale Vertreter an, die gemeinsam auf die Regierung Ein-fluss zu nehmen versuchten.298

Über die gremios war eine überparteiliche Zusammenarbeit von ökonomisch potenten Vertretern der Traditionsparteien möglich, während sich liberale und konservative campesinos in blutige Kämpfe verstrickten.299 Obwohl Politiker bei-der Traditionsparteien auf der nationalstaatlichen Ebene durch zentrale Sicht- und Teilungsprinzipien geeint waren, das heißt die ideologischen Prämissen und die politischen Agenden beider Parteien bedeutende Schnittmengen aufwiesen, stell-ten die Traditionsparteien den bedeutendsten Differenzmarker im politischen Feld Kolumbiens dar.

Trotz der Versuche in den 1930er und 1940er Jahren, die Nation als Identitäts-stifterin jenseits der Traditionsparteien zu etablieren, behielten diese bis in das ausgehende 20. Jahrhundert ihre exponierte Bedeutung für die Identität ihrer Mit-glieder in Kolumbien bei.300 Aufgrund der zentralen Bedeutung der Traditionspar-teien im politischen Feld einerseits, ihrer identitären Kraft andererseits beschreibt Pécaut sie als „politische Subkulturen“ – ein Konzept, das die politischen und kulturell-identitären Aspekte der partidos tradicionales zusammenführt. Die politischen Subkulturen spalteten die Gesellschaft in zwei Kollektive entlang der Grenze zwischen Liberaler und Konservativer Partei.301 Ungeachtet dieser Spal-tung wirkten die partidos tradicionales bis in das späte 20. Jahrhundert anders gearteten politischen Zentrifugalkräften entgegen, integrierten diese in das politi-sche System des Landes und hatten ergo somit eine stabilisierende Wirkung.302

Die Traditionsparteien waren allerdings weniger Ausdruck einer fortgeschrit-tenen Säkularisierung oder ein Ersatz für religiöse Glaubenssysteme, sondern schrieben sich vielmehr in diese ein und erhielten eine kulturelle Bedeutungs-dimension.303 Gerade in ländlichen Regionen, die im Zentrum der vorliegenden Untersuchung stehen, war die in Form von Legenden und Folklore kulturell und affektiv-emotional chiffrierte Anbindung an eine der Traditionsparteien beson-ders stark ausgeprägt und bildete oftmals einen zentralen Teil der persönlichen Identität der Parteimitglieder.304 Dieses Charakteristikum aufnehmend wurde die Zugehörigkeit zu einer der beiden kolumbianischen Traditionsparteien ander-norts als „sozial vermittelte Alltagsreligion“ beschrieben, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde305 – ähnlich der von Geertz ethnischen Grup-pen attestierten angestammten Loyalitäten .306 Der Essayist Eduardo Santa drückte den Umstand, dass sich die Mehrheit der Kolumbianer mit einer der beiden Tra-ditionsparteien zutiefst verbunden fühlte, in einem Aufsatz, der in der liberalen Regionalzeitung Panorama abgedruckt wurde, wie folgt aus:

Majka weist darauf hin, dass sich die Parteimitglieder allerdings keineswegs nur als instrumentalisierte Akteure der aus den sozialen Eliten stammenden Par-teiführung sahen. Vielmehr verwiesen sie darauf, dass sich – subjektiv wahrge-nommen – ihre ureigenen Interessen und Anliegen in der politischen Arbeit der jeweiligen Partei widerspiegelten. Über die Zugehörigkeit zu einer der beiden Traditionsparteien und deren politischer Aktivität wurde dem Handeln kolum-bianischer Staatsbürger, die von aktiver politischer Teilhabe weitgehend ausge-schlossen waren, Sinn gegeben.308

Die zentrale identitäre Bedeutung der Traditionsparteien wird oftmals mit dem Fehlen einer inklusiven kolumbianischen Nationalidentität erklärt bzw. behin-derten die starken Parteiidentitäten die Vergemeinschaftung jenseits der partidos tradicionales .309 In dem topographisch und kulturell fragmentierten Kolumbien stellten die sich im Zuge der Unabhängigkeit von Spanien herausbildenden Kon-servative und Liberale Partei seit dem frühen 19. Jahrhundert den Referenzpunkt kollektiver Identität.310 Auf diese Weise waren sie die Basis für eine inklusive Kollektividentität jenseits regionaler, sozialer und ökonomischer Unterschiede, während in anderen lateinamerikanischen Ländern die Nation den Referenzpunkt für die Kollektividentität darstellte.311 Abgesehen von der Katholischen Kirche waren die Liberale und die Konservative Partei für die Mitglieder der politischen Gemeinschaften in ländlichen Regionen Kolumbiens der einzige Raum sozialer Vergemeinschaftung.312

Für das ländliche Kolumbien, dessen Bevölkerung während des Untersu-chungszeitraums zu einem hohen Maß analphabetisch war, ist die Selbstsicht der Parteimitglieder, dass ihre Zugehörigkeit zu einer der beiden Traditionspar-teien politischen Prämissen gehorchte, kritisch zu hinterfragen. Für große Teile der ländlichen Bevölkerung materialisierte sich die Gemeinschaft Partei nicht in ideologischen Grundsatzdebatten und -fragen, sondern in gemeinsamen Hand-lungsräumen, die es den Akteuren erlaubten, sich mit der Gemeinschaft Partei zu identifizieren.313 Die Zugehörigkeit zu einer der beiden Traditionsparteien konkre-tisierte sich in politischen Ereignissen wie den regelmäßig stattfindenden Wahlen, der Vergabe öffentlicher Posten nach den Abstimmungen – vor dem Hintergrund des klientelistischen politischen Systems Kolumbiens in der Regel nach parteipo-litischen Überlegungen314 – bzw. in der Erinnerung an politische Auseinanderset-zungen wie die zahlreichen guerras civiles des 19. Jahrhunderts zwischen Libera-len und Konservativen.315

1.2 Die Herausbildung kollektiver Identitäten in framing -Prozessen

Aufgrund der ausgeprägten identitär-kulturellen Bedeutung der Traditionspar-teien mit einer quasi-religiösen Komponente werden die Liberale und die Kon-servative Partei in der vorliegenden Arbeit als imagined communities im Sinne von Anderson behandelt.316 Kollektive Identitäten gründen auf der Annahme einer identitären Homogenität der Individuen, aus denen die jeweilige vorgestellte Gemeinschaft , in diesem Fall die Traditionsparteien, erwachsen. Im Folgenden soll der Konstruktionsprozess der liberalen und konservativen Kollektividentitä-ten aus einer diskursanalytischen Blickwarte betrachtet werden.

Zwar betont Uribe vor dem Hintergrund der Distanz zwischen Liberalen und Konservativen auf der lokalen Ebene, dass nicht die Beziehung zwischen beiden politischen Gruppen für die Genese des politischen Akteurs Partei ausschlag- gebend war, sondern vielmehr die Abwesenheit einer Beziehung zwischen ihnen.317Die fehlenden sozialen Beziehungen zwischen vielen liberalen und konservativen Kolumbianern sind allerdings „nur“ bedeutsam für die Antwort auf die Frage, warum sich die Mitglieder der partidos tradicionales im Laufe der Violencia derart gewaltsam und exzessiv brutal begegneten. Für die Konstruktion der Parteiiden-titäten hingegen lässt sich festhalten, dass diese wie alle anderen Gruppeniden-titäten relational geschaffen wurden. In diesem Sinne lässt sich Barths Feststel-lung zu ethnischen Kollektividentitäten auf andere soziale Gemeinschaften wie die Traditionsparteien und deren Identitätskonstruktionen übertragen.318 Die kol-lektive Identität, auf der die jeweiligen politischen Subkulturen basierten, wurde parallel zu ethnischen Identitäten relational, gewissermaßen von der Barth’schen Grenze aus, geschaffen.

Gruppenidentitäten und die ihnen zugrundeliegende, angenommene Homoge-nität der jeweiligen Gruppe beruhen auf sogenannten social cleavages , das sind Differenzmarker, die in der Wahrnehmung der historischen Akteure als konstitutiv für den Zusammenschluss, respektive den Abschluss gegenüber dritten sozialen Akteursgruppen, betrachtet werden.319 Max Weber folgend gibt es keine „objekti-ven“ Differenzen zwischen sozialen Gemeinschaften, welche die Herausbildung einer Kollektividentität der sozialen Gruppen erzwingen bzw. unausweichlich machen würde.320 Der als Identität stiftende Spalt , der cleavage , steht neben einer Reihe von konstitutiven Differenzen gegenüber außenstehenden Kollektiven bzw. von auf die potentielle peer group gerichteten Gemeinsamkeiten, die zu einer identitären Abschließung des Kollektivs führen könnten.

Es war jedoch die diskursiv konstruierte, subjektiv wahrgenommene Diffe-renz zwischen den Traditionsparteien, die als zentraler cleavage von exponierter Bedeutung für die sozialen Kollektividentitäten der masas liberales bzw. conser- vadoras war. Die Parteiidentitäten wurden in einem reziproken, sich gegenseitig bedingenden Prozess aus Selbstdarstellung und Wahrnehmung des politischen Gegners geschaffen, das heißt die Wahrnehmung des politischen Anderen war aufs Engste mit der Konstruktion der eigenen kollektiven Parteiidentität relational verknüpft.

Die vorangegangenen Überlegungen zu social cleavages aufnehmend zielt die Untersuchung der Identitätskonstruktionen der vorgestellten Gemeinschaft Liberale und Konservative Partei einerseits darauf, die Charakteristika aufzuspü-ren, auf Basis derer eine liberale bzw. konservative Gruppenidentität postuliert wurde. Andererseits werden die subjektiv wahrgenommenen Charakteristika des politischen Gegenübers beleuchtet, von denen sich die eigene Identität abgrenzte, ergo die Identitätsmerkmale des eigenen Kollektivs verstärkten. Der cleavage zwischen den beiden Traditionsparteien war konstitutiv für die Beschaffenheit des Akteurs Liberale bzw. Konservative Partei. Und dieser Spalt schien für viele Anhänger der Parteien sogar gewaltsames Handeln und den Einsatz tödlicher Gewalt gegen den politischen Widersacher zu rechtfertigen.

Handeln, das heißt die Nutzung sich ergebender Handlungsräume, setzt ein Mindestmaß an Intentionalität auf der Akteursebene voraus in dem Sinne, dass Akteure mit ihrem Handeln ein wie auch immer geartetes Ziel verfolgen.321 Zielset-zungen, die intentional verfolgt werden, werden in der Soziologie seit den 1980er Jahren verstärkt über die Analyse von framing -Prozessen kollektiver, politischer Mobilisierungen wie sozialen Bewegungen untersucht.322 Die Untersuchung des Konstruktionsprozesses der vorgestellten Gemeinschaften der Liberalen und der Konservativen Partei wird daher verbunden mit der Untersuchung von fra- ming -Prozessen. Die Deutungsprozesse sozialer Realitäten waren eng verbunden mit der Kreation einer liberalen bzw. konservativen Parteiidentität, welche par-teiinterne Differenzen zwischen verschiedenen politischen Flügeln innerhalb der partidos tradicionales zu tilgen versuchte. Wie gezeigt wird, verliefen die Kon-struktionen der Parteiidentitäten, die sich aus der Selbstbeschreibung, der Wahr-nehmung des politischen Gegenübers und der Abgrenzung von diesem speisten, parallel zu der Identifizierung politisch-sozialer Missstände und den Versuchen, deren Gründe zu eruieren.

Der Ansatz zur Untersuchung von collective action kann auf die Akteursgrup-pen des Untersuchungszeitraums angewendet werden – die Widerstandsbewe-gungen verschiedener politischer Ausrichtung einerseits, die staatlichen Sicher-heitskräfte und ihre paramilitärischen Unterstützergruppen, welche die Regierung zur Niederschlagung des bewaffneten Widerstandes einsetzte, andererseits. Zwar handelte es sich bei den Kombattantengruppen nicht um soziale Bewegungen im eigentlichen Sinne. Dessen ungeachtet teilten sie aber einige zentrale Charakte-ristika mit diesen. Die Widerstandsgruppen nahmen, wie auch die Regierung und die ihr unterstellten staatlichen Sicherheitskräfte, aus ihrer subjektiven Blickwarte gravierende Missstände in Politik und Gesellschaft wahr, so wie dies auch für soziale Bewegungen zutrifft. Um diese zu beseitigen, formulierten sie Handlungs-vorschläge und zielten auf die Mobilisierung der größtmöglichen Zahl von Unter-stützern. Ein weiteres Charakteristikum, das die in der vorliegenden Studie unter-suchten Akteursgruppen mit sozialen Bewegungen teilten, war der Umstand, dass die oppositionellen, bewaffneten Widerstandsgruppen nicht zentral koordiniert wurden – weder von der Liberalen noch der Kommunistischen Partei.323 Zwar gab es mehrfache Versuche, dem bewaffneten Widerstand mit politischem Anspruch eine zentralisierte Führung zu geben – dieses Ziel verfolgte beispielsweise die sogenannte Conferencia de Boyacá im August 1952. Diese Bemühungen schei-terten aber letzten Endes – ungeachtet der konservativen Propaganda, welche die Führungsriege der Liberalen Partei beschuldigte, ihre Gefolgschaft aufzurufen, im Widerstand gegen die Regierung zu den Waffen zu greifen.

Ähnliches bezüglich der Koordinierungsstruktur ist auch – so überraschend dies erscheinen mag – für die staatlichen Sicherheitskräfte festzustellen, obwohl die Streitkräfte und die Policía Nacional formal einer auf der nationalen Ebene angesiedelten zentralen Führung unterworfen waren.324 Forschungen zur Violen- cia zeigen jedoch, in welchem Maße der blutige Konflikt von regionalen und lokalen Handlungskontexten konditioniert wurde. Ungeachtet der Tatsache, dass die staatlichen Sicherheitskräfte formal in eine nationale Befehlsstruktur einge-bunden waren, lässt sich feststellen, dass die in der Theorie zugrundeliegende von der nationalen Ebene ausgehende top - down -Koordinierung ihr Handeln in den seltensten Fällen ausschließlich bestimmte. Oftmals verfolgten Offiziere, die den entsendeten Militär- oder Polizeieinheiten vorstanden, eigene Ziele wie ökonomi-sche, persönliche Bereicherungen qua Aneignung von Viehherden oder Agrarpro-dukten. Des Weiteren gerieten die staatlichen Sicherheitskräfte, die oftmals aus anderen Landesteilen stammten und keine detaillierte Kenntnisse über die (infor-mellen) Machtstrukturen in den jeweiligen Operationsgebieten besaßen, unter den Einfluss lokaler caciques oder gamonales . Diese Verkörperungen des von perso-nalistisch-klientelistischen Praktiken geprägten politischen Systems Kolumbiens des Untersuchungszeitraums instrumentalisierten die häufig unerfahren Befehls-haber der Streitkräfte bzw. der Polizei, um eigene (macht-)politische Interessen zu verfolgen bzw. ökonomische oder persönliche Kontrahenten auszuschalten.325

Bei der Analyse kollektiver Handlungsprozesse werden grundsätzlich drei frames unterschieden, die für eine erfolgreiche Mobilisierung zu kollektivem Handeln zu größtmöglicher Übereinstimmung gebracht werden müssen.326 In dem diagnostic frame werden soziale, politische oder ökonomische Missstände identifiziert sowie die Ursachen dieser Probleme benannt, respektive die Akteure ausgemacht, die für diese Probleme verantwortlich zeichnen. Dabei ist der Kon-sens über die Problemursache beileibe keine Zwangsläufigkeit, sondern oftmals Anlass für Konflikte innerhalb der Trägergruppe des sozialen Protests. Im Zuge der Auseinandersetzungen über die Identifizierung von sozialen Missständen und deren Ursachen durchlaufen die Deutungsrahmen durchaus einen Wandlungs-prozess. Als frame bridging wird die Zusammenführung von zwei (oder mehr) frames bezeichnet, während die Rahmen auch eine Ausweitung erfahren können, um ein breiteres Problemspektrum abzudecken ( frame extension ).327

Der prognostic frame artikuliert Lösungen in Form von Handlungsstrategien und -plänen zur Beseitigung der zuvor wahrgenommenen Probleme. Wie sich bereits andeutet, besteht eine enge Verbindung zwischen dem diagnostic und dem prognostic frame . So ist eine Übereinstimmung bezüglich der Identifizierung des Problems und seiner Ursachen für kollektives Handeln erforderlich. Weiterhin hat die notwendige Übereinstimmung mit Blick auf die Problemursachen Aus-wirkungen auf die Handlungsoptionen: bestimmte, identifizierte Probleme ( dia- gnostic frame ) lassen nur gewisse Handlungen sinnvoll und gangbar erscheinen ( prognostic frame ). Zentrale Aufgabe des motivational frame , der sich aus den ersten beiden frames speist, ist die Mobilisierung von potentiellen Unterstüt-zern zur Beseitigung des zuvor identifizierten Problems durch die propagierten Handlungsvorschläge.328

Kollektives Handeln wird neben den drei erwähnten frames von verschiede-nen Parametern konditioniert. Je größer die Bandbreite eines frames ist, das heißt je größer das Spektrum von Problemlagen ist, das er abzudecken vermag, desto größer ist seine zu erwartende Mobilisierungskraft. Die Elastizität und Flexibi-lität eines frames beschreibt seine Permeabilität, das heißt inwieweit ein frame dazu geeignet ist, anders gelagerte und begründete Probleme aufzunehmen und zu erklären. Diese Charaktereigenschaften entscheiden zu einem großen Maße über die kulturelle Resonanz, welche der Deutungs- und der sich an diesen anschlie-ßende Handlungsrahmen erhalten werden. Mit Resonanz wird die Glaubwürdig-keit beschrieben, die der Problemidentifikation und den Handlungsvorschlägen zugeschrieben wird. Negativ beeinflusst werden kann sie durch Widersprüche und Inkongruenzen zwischen dem diagnostic frame , der Problemidentifikation, und dem prognostic frame , den Handlungsvorschlägen. Die Frage nach der „empi-rischen Glaubwürdigkeit“ überprüft, ob sich die skizzierten frames mit „hand- festen“, empirischen Beobachtungen in Einklang bringen lassen.329

Zwischen der Konstruktion kollektiver Identitäten und framing -Prozessen las-sen sich parallele Vorgehensweisen ausmachen, die sich miteinander in Bezug setzen lassen. Exponierte Vertreter des framing -Ansatzes betonen, dass soziale Bewegungen nicht Träger präexistenter Ideologien sind, die „mechanisch“ aus strukturellen Gegebenheiten erwachsen und aus denen sich kollektives Handeln ableiten lässt.330 Erst die Wahrnehmung und Interpretation von Strukturen durch soziale Akteure macht ihre Handlungen verständlich im Sinne von erklärbar. Lüdtke beschreibt dies als Aneignung , worunter er „Wahrnehmungs-, Deutungs- und Verhaltenweisen […], die sich der Denkfigur eindimensionaler Zweipoligkeit verweigern“, versteht.331 Strukturen konditionieren das Handeln sozialer Akteure erst nach deren subjektiver Wahrnehmung.332 Krennerich unterstreicht ebenfalls die Bedeutung der Wahrnehmung struktureller Missstände durch die Akteure mit Blick auf das Aufkommen (oder Ausbleiben) von Gewalthandeln.333

Der framing -Ansatz betont, dass die Wahrnehmung und Identifizierung von Problemen und Missständen ein subjektiver Prozess ist, das heißt framing stellt eine Bedeutungskonstruktion, eine aktive Sinngebung, durch die sozialen Akteure dar. Benford und Snow heben hervor, dass auch die politische Gelegenheitsstruk-tur von einer subjektiven Wahrnehmungsebene, dem framing , abhängig ist, das heißt politische Gelegenheiten müssen erst wahrgenommen und erkannt werden, bevor sie genutzt werden können. Vorgestellte Gemeinschaften im Sinne Ander-sons wiederum sind, wie Brubaker herausstreicht, nicht nur soziale Zusammen-schlüsse von Personen, sondern besitzen auch eine Deutungs- und Wahrneh-mungsdimension. Sie sind „Modi, die Welt zu verstehen. Sie sind Formen, sich selbst zu verstehen und zu identifizieren, die eigenen Probleme und Dilemmata zu erkennen und die eigenen Interessen herauszufinden“.334

So ging auch die Herausbildung der kollektiven Identitäten auf Basis der Mit-gliedschaft in einer der beiden Traditionsparteien sowie die gleichzeitige Wahr-nehmung und Abgrenzung von dem politischen Gegenüber einher mit der Identifi-zierung konkreter sozialer und politischer Missstände. Die Identitätskonstruktion war ein elementarer Bestandteil des Deutungsrahmens sozialer Realität und wird daher als diagnostic frame beschrieben. Somit bereichert die frame -Analyse die Erforschung kollektiven Handelns, indem sie die subjektiven Aspekte kollekti-ven Handelns herausstreicht, ohne strukturelle, „objektive“ Rahmenbedingun-gen außer Acht zu lassen. Der framing -Ansatz verspricht daher einen heuristi-schen Mehrwert für die Untersuchung der bewaffneten Auseinandersetzungen in Tolima.335

So wie sich Kollektividentitäten von der Barth’schen Grenze aus konstituieren, das heißt gegenüber und in Abgrenzung zu einer anderen identitären Gemein-schaft, ist auch bei Deutungsprozessen oftmals eine Grenzziehung zwischen den Protagonisten der sozialen Bewegung bzw. der Trägergruppe von Protest und Widerstand einerseits und deren Gegnern andererseits zu beobachten. Dieses boundary framing war auch im Untersuchungsfall zu beobachten, denn es wurde versucht, die Trennmarke zwischen den politischen Gemeinschaften klar und deutlich zu definieren. Das boundary framing entwickelt sich oftmals zu der Kon-struktion eines Feindbildes ( adversarial framing ), der Identifizierung der Gegner der Bewegung bzw. des Widerstandskollektivs, die häufig in einer dichotomen Weise erfolgt, die nur noch zwischen gut und böse unterscheidet.336

Wie in den folgenden Kapiteln gezeigt werden wird, spitzten sich die Deutung sozialer Realitäten und die Wahrnehmung des politischen Widersachers durch die radikalen Flügel der Traditionsparteien bis 1949 derart zu, dass sie als absolut gesetztes adversarial framing bezeichnet werden kann. In den Augen von Vertre-tern der Liberalen Partei wurden die Konservativen, die godos , zu nichts anderem als den Repräsentanten faschistischer und falangistischer Ideologien in Latein- amerika.337 Wortführende Politiker der Konservativen Partei wiederum sahen die Liberale Partei bis in ihre Führungsebene hinein von Kommunisten unterwandert, respektive als das Trojanische Pferd, das – aus dem Ausland gesteuerte – Kommu-nisten in ihren Expansionsbestrebungen nutzten, um in Kolumbien Fuß zu fassen.

Die in der Folge analysierte Konstruktion der kollektiven Parteiidentitäten war aufs Engste mit der Wahrnehmung des politischen Widersachers sowie der Deu-tung sozialer Realitäten verbunden. Die Identifizierung von politischen Problemen und die Benennung ihrer Ursachen sind nicht von der Konstruktion der „eigenen“ Kollektividentität zu lösen und werden daher in den folgenden Kapiteln eng mit einander verflochten analysiert. Sie stellen einen Aspekt des diskursiv-kulturellen Kontextes dar, der für Untersuchungen der Gewalt eingefordert wird.338

Die Untersuchung konzentriert sich auf die Frühphase der kolumbianischen Violencia , da in dieser Zeit gewaltsames Handeln als eine der präferierten Hand-lungsoption angeboten wurde und die späteren massiven Gewalthandlungen entscheidend geprägt wurden. Die Referenzen auf den späteren Untersuchungs-zeitraum wiederum verweisen einerseits auf die Glaubwürdigkeit der Diskurse, respektive Bilder und Wahrnehmungsrahmen, die aufgrund ihrer Resonanz eine beachtliche Beständigkeit und Konstanz aufwiesen. Andererseits sind sie dem Umstand geschuldet, dass sich die Bilder des politischen Gegners und die Wahr-nehmung der sozialen Realität auf der einen Seite und die Gewalthandlungen auf der anderen gegenseitig beeinflussten. Die Gewalt, die von den als politische Feinde wahrgenommenen Akteuren ausging, verstärkte den cleavage , welcher der Feinddefinition zugrunde lag. Aus dieser wechselseitigen Beeinflussung zwischen der Gewalt, die auf dem wahrgenommenen cleavage beruhte, und dem cleavage , der sich durch die ausgeübte Gewalt noch vertiefte, speiste sich die oftmals zu konstatierende Eigendynamik der Gewalt.339

Bei der Untersuchung des Deutungsrahmens mit einer diskursanalytischen Her-angehensweise geht es nicht um die chronologische Auswertung von Einzelstim-men. Vielmehr sollen thematisch geordnete, strukturelle Rahmenbedingungen der Wahrnehmung sozialer Realitäten durch radikalisierte Vertreter der beiden Parteien aufgezeigt werden, die von kurzzeitigen Konjunkturen im politischen Feld vergleichsweise unabhängig sind. Daher erfolgt keine streng chronologische Abhandlung, sondern eine thematisch-inhaltlich gegliederte Rekonstruktion der das Gewalthandeln konditionierenden Subjektivitäten als Wahrnehmungsstruktur jenseits von (kürzeren) Abschnitten und Phasen des Untersuchungszeitraums.340

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2 Die Selbstdarstellung der partidos tradicionales und ihre Wahrnehmung des politischen Gegners

2.1 Die Konservative Partei als disziplinierter politischer

Zusammenschluss

Teile der Konservativen Partei nahmen für sich in Anspruch, eine Partei der Ordnung und Disziplin zu sein, deren zentrale Aufgabe und Verdienst der Schutz der Demokratie seien. Das Fundament ihres politischen Programms ließ sich in ihrer Sichtweise auf „Religion, Vaterland, Familie und [Privat-]Besitz“ konden-sieren.341 Verpflichtet fühlten sie sich dem Gedanken der Freiheit, des Rechts, der Demokratie und dem Fortschritt; sie sahen sich als Mitglieder einer Partei, die der verfassungsmäßigen Ordnung verpflichtet war. Ideologisch würde die Kon-servative Partei neben katholischen Grundsätzen von den Idealen Simón Bolívars geleitet.342

Die Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes sei aus konserva-tiver Blickwarte eine Frage der „Sicherheit des Staates und des Schutzes ( sal- vaguardia ) der Zivilisation“ und um diese sicherzustellen, „gibt es keine Maß-nahme, die sich nicht zu unternehmen lohnen würde“.343 Die Konservative Partei hob hervor, seit der Unabhängigkeit von Spanien Beschützerin des Vaterlandes vor Gefahren der politischen Instabilität durch caudillos sowie des institutionel-len Chaos und Bewahrerin sowohl demokratischer Freiheiten als auch der juristi-schen Ordnung gewesen zu sein.344

Zur Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung verteidigte die Konservative Partei das Prinzip der Autorität und den Respekt vor den staatlichen, in der Ver-fassung festgeschriebenen Institutionen. Vor dem Hintergrund der sich nach der Wahl von Laureano Gómez zum Präsidenten im November 1949 intensivierenden Gewalt hob El Siglo die Notwendigkeit hervor, den Respekt vor den gewählten politischen Autoritäten wiederherzustellen, der als notwendige Bedingung ange-sehen wurde, um die um sich greifende Gewalt einzudämmen. Gleichzeitig wurde von konservativer Seite beklagt, dass die politischen Abkommen zwischen der Liberalen und der Konservativen Partei zur Beilegung der Unruhen nach dem Mord an Gaitán das Fundament der politischen Ordnung unterminieren würden. Sie seien nicht auf Basis geordneter „administrativer Pläne für das zukünftige politische Handeln, sondern auf dem Fundament des Verzichts auf Gerechtigkeit, Straferlassen, Begnadigungen und Amnestien“ geschlossen worden: „Einmal mehr wurde der Frieden, nicht aber die Ordnung gerettet“.345

Das Vorhaben der liberalen Kongressmehrheit im Spätjahr 1949, die Polizei unter die Kontrolle der Legislative zu stellen und so dem zunehmend parteipo-litisch motivierten Einsatz der Ordnungskräfte durch die Exekutive zu entzie-hen, verurteilten die konservativen Abgeordneten als verfassungswidrig, da diese Reform die Kompetenzen des Präsidenten beschneiden würde. Des Weiteren verstieße die Unterstellung der verschiedenen Polizeiorgane unter ein zentrales Kommando gegen die in der Konstitution festgeschriebene Hierarchie der staatli-chen Sicherheitskräfte, deren Schutz sich die Konservative Partei auf die Fahnen geschrieben hatte.346 Der Innenminister ( ministro de gobierno ) Andrade forderte Respekt für Polizeikräfte ein, denen vorgeworfen wurde, in einigen departamen- tos für die gewaltsamen Auseinandersetzungen verantwortlich zu zeichnen. Zu ihrer Entschuldigung betonte er, dass sie das Gesetz verkörpern und den Bür-gern Rechtsstaatlichkeit und die Gültigkeit der verfassungsmäßigen Ordnung demonstrieren würden. Daher bezeichnete Andrade, ungeachtet einiger zugege-bener Verfehlungen vonseiten der Polizei, die Angriffe und Morde an Polizisten als die schwerwiegendsten Vorfälle der rezenten politischen Entwicklungen.347

Das Streben nach der Wahrung der verfassungsmäßigen und öffentlichen Ord-nung erklärte die Konservative Partei mit der von ihr beanspruchten gefestigten moralischen Verfassung. Laureano Gómez lobte die Kandidatur von Ospina Pérez für die Präsidentschaftswahlen 1946 als das adäquate Mittel zur Bewältigung der dringenden nationalen Probleme. Diesem traute er wegen seiner „felsenfesten Prinzipien […] und seiner moralischen Struktur“ zu, das Amt des Staatspräsi-denten jenseits parteipolitischer Überlegungen auszuüben – „nach langen Jahren des grausamen Kampfes, die ewig wie der Sturz in die Hölle schienen“, womit Gómez auf die República Liberal Bezug anspielte.348

El Siglo begrüßte die Kandidatur von Ospina Pérez, da seine Präsidentschaft, im Falle eines konservativen Wahlsieges, einer „moralischen Wiederherstellung […] der Republik“ gleichkomme.349 Diese grenzte die konservative Tageszeitung allerdings scharf von der von Gaitán propagierten restauración moral ab, mit der dieser die Verfestigung demokratischer Strukturen und Nivellierung sozialer Ungleichheiten beschrieb. Der movimiento gaitanista beeinträchtige aus Sicht der konservativen Redakteure durch seinen „ochlokratischen Charakter […] der Rein-heit der politischen Ziele“ von Gaitán.350 Die Schädigung der gesellschaftlichen Wertvorstellungen und der moralischen Grundlage der politischen Betätigung, welche die Ausschreitungen im Zuge der Ermordung Gaitáns im April 1948 nach sich zogen, würden denn auch aus konservativer Sicht die gegen Ende des Jah-res 1949 zunehmenden gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen bedingen. Die sich offenbarenden Brüche in der gesellschaft-lichen Moral rechtfertigten im konservativen Diskurs den Estado de Sitio , der, wie betont wurde, ein Rechtszustand und unabdingbar für die Wiederherstellung der inneren Ordnung sei.351

Konservative Politiker begründeten das moralisch gefestigte Fundament, auf dem die Partei ihrer politischen Betätigung nachgehe, mit der politischen Ori-entierung an christlich-katholischen Grundsätzen. Sie werteten die Katholische Religion als das Kernelement der sozialen Ordnung – eine Sichtweise, die mit den Forderungen von Papst Pius XI. im Einklang stand. Daher dienten ihnen die Lehren der Katholischen Kirche als Leitfaden der politischen Programme.352 Die Rückbindung der Konservativen Partei an die Katholische Kirche zur Begrün-dung ihres im Vergleich zu den liberalen Politikern angeblich höherwertigen moralischen Fundaments stellte zumindest für das konservative Publikum ein glaubwürdiges Argument dar. Die Katholische Kirche hatte bis weit in den Unter-suchungszeitraum einen erheblichen Einfluss auf die gesamtgesellschaftlichen Vorstellungen von Moral bzw. Unmoral. Keine laizistischen Instanzen oder unab-hängigen sozialen Sektoren äußerten sich zu diesem Thema, sodass „das, was ‚schlecht’ für das religiöse Dogma war, es auch für die Sozialordnung war“.353

Die Konservative Partei wertete die geopolitischen Entwicklungen in der Nachkriegszeit als „einen großen Kampf zwischen dem Osten und dem Westen, dem Totalitarismus und der Demokratie, dem Kommunismus und dem Chris-tentum“.354 Da die Konservative Partei sowohl gegen individualistische als auch gegen kommunistische Ideologien ankämpfte, sah sie sich, vor dem Hintergrund „solch überwältigender Desorientierung“, als politische Kraft der Mitte, die dank ihres katholischen Fundaments Gleichgewicht und Halt geben könne.355 Sie war in der Selbstsicht aus Tradition demokratischen Prinzipien verpflichtet, da „diese Lebensform [die Demokratie, L. R.] die einzige ist, die mit der menschlichen Würde und den Normen der christlichen Zivilisation vereinbar ist“.356 Laureano Gómez sah die Konservative Partei, wegen ihres christlichen Fundaments, als prädestiniert für den Widerstand gegen despotische und totalitäre Regierungen an, wobei er sich im Oktober 1949 auf die als „parlamentarische Diktatur“ bezeich-nete Oppositionspolitik der Liberalen Partei bezog.357 Zur Lösung sozialer Pro-bleme wurde die katholische Soziallehre als das einzig angemessene Instrument und Alternative zu kommunistisch inspirierten Handlungsvorschlägen gesehen.358So kündigte die Konservative Partei an, dass ihre Regierung in die Wirtschaft nur gemäß den päpstlichen Enzykliken eingreifen würde.359

Silvio Villegas, der in den 1930er Jahren zusammen mit Gilberto Alzate Avedaño die letzten Endes kurzlebige, vom italienischen Faschismus inspirierte Acción Nacionalista Popular gegründet hatte, sah die kolumbianischen Kon-servativen von den „ewigen, von Christus gelehrten Wahrheiten“ angeleitet und erkannte an, dass es „eine Reihe von Grundsätzen gibt, die dem menschlichen Willen vorrangig“ seien.360 Die Regionalzeitung El Derecho aus Tolima hob den göttlichen Ursprung von Autorität und politischer Macht hervor, womit die poli-tische Orientierung der Konservativen Partei an traditionellen katholischen Prä-missen deutlich wurde.361

Für sich nahm die Konservative Partei in Anspruch, mit diesen philosophisch- religiösen Prinzipien das Instrument gegen „die Anarchie der [politischen] Ideen und Gefühle“ zur Hand zu haben.362 Laureano Gómez sah in der christlichen Lehre die Waffe der Konservativen Partei gegen den, in seiner Deutung, um sich grei-fenden Mangel an Moral, der nicht zuletzt mit der Verbreitung materialistischer Ideen im Bildungsbereich nach 16 Jahren liberaler Regierungen von 1930 bis 1946 begründet wurde.363 Damit nahm der spätere Präsident Kolumbiens Bezug auf die erhöhte Aktivität des Staates im Bildungsbereich während der República Liberal , in dem die Katholische Kirche bis dato eine privilegierte Stellung, fixiert in Form eines Konkordats, innegehabt hatte.364

Der Erziehungsminister Mosquera Garcés sprach mit Bezug auf die liberalen Bildungsreformen, insbesondere während der Präsidentschaft von Alfonso López Pumarejo, von einer „kommunistischen Lehre“, die Einzug in Kolumbien gehal-ten habe. Er beklagte die Ausrichtung des Lehrplans, die Ausdruck der „unchrist- lichen materialistischen Auffassung des Lebens“ sei, welche die liberalen Politi-ker charakterisieren würde.365 Aus diesem Grund sprach sich Miguel Ángel Bui-les, Bischof aus Santa Rosa de Osos (Antioquia), 1949 gegenüber dem Präsiden-ten vehement gegen den liberalen Erziehungsminister Fabio Lozano y Lozano aus. Builes teilte Ospina Pérez mit, dass „dessen Ideologie ausreichend bekannt ist […, sodass] wir keinerlei Vertrauen in ihn haben können“.366

Die Notwendigkeit der Orientierung des Schulwesens an christlichen Grund-sätzen sahen konservative Politiker auch dem verpflichtenden Schutz der „Fami-lie als Grundeinheit der Zivilgesellschaft, die auf der katholischen Eheschließung gründet“, geschuldet. Den Eltern sprach die Konservative Partei daher, das „unver-äußerliche Recht zu, ihre Kinder christlich zu erziehen“.367 Die kommunistische Lehre , die in den kolumbianischen Schulen Einzug gehalten habe, unterminiere dieses angestammte Recht und schädige die gesellschaftliche Moral.368 Folgerich-tig lancierte Gómez, nachdem er 1950 das Präsidentenamt angetreten hatte, eine Christianisierungskampagne im Bildungsbereich, um die Reformen der vorheri-gen liberalen Regierungen rückgängig zu machen.369

Dem Schutz der Familie vor staatlichen Ein- und Zugriffen maßen Konserva-tive eine besondere Bedeutung bei, da kommunistische Gruppierungen in ihren Augen die Familie in eine „Einheit ohne Rechte und ohne Bedeutung“ verwan-deln wollen würden, weil die katholische Familie eine „Widerstandszelle gegen den marxistischen Materialismus“ darstelle.370 Kommunistische Gruppierungen seien sich der Widerstandskraft intakter, christlicher Familien bewusst, wie der konservative dirigente Villarreal warnte. Zur Unterminierung der Grundfesten der kolumbianischen Gesellschaft würden linksgerichtete politische Kreise anstre-ben, das christliche Traditionsbewusstsein der Schüler durch kommunistische Ideologien zu ersetzen, um die Basis der gesellschaftlichen Verfassung, die Fami-lie, zu zerstören.371 Das Mitglied der Konservativen Partei Eduardo Pineda Sierra aus Medellín drückte vor dem Hintergrund der in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre erneut aufflammenden Gewalt seine Sorge um „die gegenwärtige Situation Kolumbiens, die Katholische Religion, die Familie und unsere Partei“ aus.372 In seinen Äußerungen kondensierten sich die ideologischen Grundfesten der Kon-servativen Partei, die ihre jefes naturales in der Frühphase des Untersuchungs-zeitraums vorgezeichnet hatten: der Katholizismus und die Familie als natürliche Bollwerke gegen die kommunistischen Ideologien.

Dieser Argumentationslogik folgend stellten auch die von den vorangegange-nen liberalen Regierungen eingeführten Zivilehe und Ehescheidung das Einfallstor für die gefürchtete, von Russland und seinen sowjetischen Alliierten ausgehende kommunistische Invasion dar.373 Dabei wurde liberalen Politikern vorgeworfen, die „perversen Doktrinen“, mit denen der „Charakter korrumpiert und gegenüber der Religion gleichgültige Menschen ohne nationalistische Gewissen geformt werden“, intentional umzusetzen.374 Die unter dem landesweiten Ausnahmezu-stand stattfindenden Legislativwahlen im Juni 1951 mussten daher von der Kon-servativen Partei gewonnen werden, „um die christliche Familie vor der Schei-dung, der Zivilehe, dem laizistischen Bildungssystem und der Zügellosigkeit, die das Prinzip der Autorität abschafft und die Bräuche korrumpiert, zu verteidigen“.375

Ihren liberalen Widersachern im politischen Feld Kolumbiens unterstellte die Konservative Partei wiederum pauschal einen Mangel an moralischen Prinzipien. Der Führungsriege der Liberalen Partei wurde attestiert, dass sie „von der politi-schen Moral eine sehr merkwürdige Vorstellung ( el más extraño concepto )“ habe.376Ein exponiertes Ziel der konservativen Vorwürfe gegen Liberale waren Gaitán und seine Anhänger. Die nicht erfolgende Einhaltung des politischen Abkommens über die Revision der cédulas , die nach dem Machtantritt der Konservativen Par-tei beschlossen worden war, würde aus Sicht von Silvio Villegas das „moralische Verantwortungsbewusstsein“ von Gaitán beeinträchtigen.377 Ihm wurde vorge-worfen, nicht moralisch zu handeln, sondern „einen Weg des Wahnsinns ( locura ) und der Gewalt zu beschreiten“.378

Für die Gewalt, die im Januar 1948 die Verhängung des Ausnahmezustandes in dem departamento Norte de Santander nach sich zog, machte El Siglo die dort ansässigen gaitanistas verantwortlich.379 Zwar dienten die Reisen Gaitáns in die in der Frühphase der Violencia in hohem Maße von der Gewalt betroffenen depar- tamentos Norte de Santander und Bolívar offiziell dem Ziel, „die Gemüter zu beruhigen“ und der zwischenparteilichen Gewalt Einhalt zu gebieten. Aus Sicht konservativer Politiker befriedige Gaitán mit seinen Besuchen in Nordkolumbien aber in erster Linie sein Verlangen, die Resultate der von ihm propagierten Ver-folgung und Vertreibung von Konservativen zu begutachten.380 El Siglo setzte das Treffen von Gaitán mit liberalen Regionalpolitikern in Cucutá (Norte de San-tander) in einen kausalen Zusammenhang mit den gewaltsamen Auseinander-setzungen zwischen Konservativen und Liberalen in den Folgetagen, bei denen mehrere Personen verletzt wurden.381 Angesichts der Gewalt, die von Liberalen nach einem Zusammentreffen von Gaitán mit mehreren dirigentes liberales aus-gegangen sei, bezeichnete das Sprachrohr der laureanistas Gaitán als den „Urhe-ber ( restaurador ) der liberalen Gewalt“.382 Lázaro Espinosa argumentierte, dass Gaitán „die permanente Agitation, Unruhe und den zugespitzten Nervenkrieg“ brauche, um den Vorsitz in der Liberalen Partei zu rechtfertigen.383 Während er die Gewalt staatlicher Sicherheitskräfte gegen die liberalen Zivilisten anklage, rufe er gleichzeitig zu Gewalt gegen Repräsentanten des Staates auf und versuche immerzu, die Unión Nacional zu torpedieren.384 Inocencio Franco warf Gaitán vor, die sozialen Konflikte erst von der Straße in den Kongress getragen zu haben, um in der Folge dafür zu plädieren, die politischen Auseinandersetzungen wieder auf der Straße auszutragen.385 Und Duarte French sah die von den gaitanistas ausgehende Gewalt darin begründet, dass der als Populist verunglimpfte Gaitán keine politischen Lösungen für die Probleme bieten könne, mit denen sich das Land konfrontiert sah. Daher sei „die Gewalt nichts anderes als der gaitanismo in Aktion“.386

Der Vorwurf der moralischen Defizite bezog sich allerdings mitnichten nur auf die Person Gaitáns. Der Bogotazo , als pars pro toto für die sich intensivierende politische Gewalt, einerseits und soziale politische Moral, bzw. ihr Mangel und Verfall, andererseits standen in der Wahrnehmung konservativer Meinungsma-cher in einem sich gegenseitig bedingenden Verhältnis: Die Ausschreitungen nach der Ermordung Gaitáns und die als Straflosigkeit ( impunidad ) wahrgenom-mene Amnestie würden auf der einen Seite die „moralischen Grundfeste ( resortes morales )“ der kolumbianischen Gesellschaft387 zerstören bzw. habe die morali-sche Krise mit der impunidad Einzug in „die öffentliche Verwaltung, Politik und die Gesellschaft“ gehalten.388 Auf der anderen Seite seien die zunehmende Gewalt zwischen den Parteien und die sich in der Straffreiheit manifestierende Passivität der Justiz gleichzeitig die Folge der „fünfzehnjährigen durch die liberalen Regie-rungen hervorgerufenen moralischen Zersetzung“.389 Fehlende moralische Stand-festig- und Ehrlichkeit waren in dem Diskurs konservativer politischer Kreise sowohl Bedingung für als auch Folge der um sich greifenden Gewalt zwischen den Parteien.

Die moralischen Defizite liberaler Politiker würden sich weiterhin in der Nich-teinhaltung des „Ehrenwortes“ manifestieren, mit dem die Reform der Wahlge-setzgebung und die Überprüfung der ausgestellten cédulas nach dem Regierungs-antritt der Konservativen Partei beschlossen worden war.390 Der konservative dirigente Ramírez Moreno forderte Lleras Restrepo und Echandía in einem offe-nen Brief auf, „den Ehrenpakt, der Ihre Geschichte und Ihrem Ruhm in die Pflicht nimmt ( comprometer )“ – die Überprüfung der cédulas – zu erfüllen und von dem impliziten Bruch der Verfassung Abstand zu nehmen.391

Diese Forderung der Konservativen Partei beruhte auf der Annahme, dass die liberalen Regierungen, während der vorherigen vier Amtszeiten, umfassen-den systematischen Wahlbetrug begangen hätten. Der Vorwurf des fraude an die Liberale Partei, als Symptom ihrer moralischen Defizite, kann als Konstante der Frühphase der Violencia bezeichnet werden. Diese Klage beruhte auf der nicht möglichen Zuordnung von cédulas , die für die Stimmabgabe bei politischen Wah-len obligatorisch waren, zu kolumbianischen Staatsbürgern, auf der Ausstellung von Ausweispapieren an nicht wahlberechtigte Minderjährige und auf der mehr-fachen Ausgabe von cédulas an Wahlberechtigte.392 Bei der Formulierung dieser Klage stützte sich die Konservative Partei auf die Ergebnisse, zu denen eine mit der Überprüfung der cédulas beauftragte kanadische Kommission gekommen war. Der Untersuchung zufolge wiesen 1.8 Millionen cédulas schwerwiegende Unre-gelmäßigkeiten auf und 1.37 Millionen cédulas waren ohne den obligatorischen eindeutigen Identitätsnachweis ausgegeben worden.393 Den Liberalen wurde vor-geworfen, die gefälschten Ausweispapiere intentional zur Fälschung der Wahl- ergebnisse einzusetzen394 – die Konservative Partei, insbesondere die laureanis- tas , setzten nicht eindeutig zuzuordnende cédulas mit gefälschten cédulas gleich.

Den Ursprung dieser betrügerischen Praktik verortete die Konservative Partei in der Phase der liberalen Regierungen von 1930 bis 1946. Enrique Olaya Her-rera war 1930 nur zum Präsidenten Kolumbiens gewählt worden, weil sich der konservative Stimmenanteil auf zwei konservative Präsidentschaftskandidaten verteilt hatte – so wie es der Liberalen Partei 1946 ergehen sollte. Wegen dieses De-facto-Minderheitenstatus habe die Liberale Partei auf das Mittel der Wahl-fälschung und der Ausstellung gefälschter Ausweispapiere zurückgegriffen, um sich trotzdem an der Macht halten zu können. Konservative Politiker stellten die gewaltsamen Auseinandersetzungen, zu denen es im Zuge des Machtwechsels 1930 und den folgenden Wahlen zu den legislativen Körperschaften kam, in einen kausalen Zusammenhang mit dem beklagten fraude .395

Laureano Gómez, der in den 1940er Jahren einflussreichste konservative Poli-tiker Kolumbiens, betonte, dass der fraude unabdingbar verknüpft mit der zuneh-menden Gewalt zwischen den Parteien sei396: „Die Gewalt ist untrennbare Gefähr-tin des Betruges“.397 Die Gewalt sei aus Sicht der Konservativen das notwendige Mittel, um den betrügerischen Praktiken nachzugehen, denn der Wahlbetrug, aus-gehend von den liberalen Regierungen ab 1930, habe in den Folgejahren von einer „maßlosen Gewalt gestützt werden“ müssen.398 Die Gewalttaktiken führten aus Sicht konservativer Politiker dazu, dass das „Prinzip der politischen Legiti-mität zerstört wurde“.399 Die zeitgenössische Gewalt in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre lag demnach begründet in den 1930er Jahren, als Liberale versucht hätten, gewaltsam, „durch das Mittel der Barbarei die Konservative Partei auszu-löschen“.400 Auch mehr als eine Dekade später hielt Gómez an seiner These fest, dass der Wahlbetrug und die Gewalt unauflöslich miteinander verbunden seien.401

Die Konservative Partei hingegen nahm für sich in Anspruch, die seit der Unabhängigkeit florierende politische Gewalt bis 1930 aus dem politischen Feld Kolumbiens verbannt zu haben. Die liberalen Regierungen der República Libe- ral würden diese Entwicklung aber aus der Sicht konservativer Politiker mit der Etablierung des „Kults der Gewalt und der Geringschätzung des Lebens“ wie-der rückgängig machen.402 Politisch motivierte Morde seien ausgehend von den 1930er Jahren, seit der Regierung von Olaya Herrera, zu einem Instrument der politischen Einflussnahme geworden. Die Gewalt als Instrument in politischen Auseinandersetzungen habe somit in der konservativen Wahrnehmung eine histo-rische Dimension und würde sich mitnichten auf den Zeitraum ab 1946 beschrän-ken, als die Konservative Partei die Geschicke des Landes übernommen hatte.403

Die sich vor den Legislativwahlen 1947 intensivierende Gewalt zwischen den partidos tradicionales diene aus Sicht des rechten Flügels der Regierungspar-tei dazu, eine Revision der Ausweispapiere zu verhindern sowie die Praktiken des Wahlbetruges und damit die Parlamentsmehrheiten aufrechtzuerhalten.404 Aus dieser Perspektive betrachtet nahm die Konservative Partei die zunehmende Gewalt zwischen den Parteien weniger als das eigentliche Problem wahr, sondern sie war vielmehr das Symptom eines politischen Missstandes, nämlich des von der Liberalen Partei praktizierten Wahlbetruges405: „Solange der Wahlbetrug nicht beseitigt wird, werden jedwede Maßnahmen ( cuanto se haga ) unnütz sein.“406

Auch das Vorhaben der Liberalen Partei, die für 1950 geplanten Präsident-schaftswahlen vorzuziehen, diente laut konservativen Politikern dem Ziel, die von der Konservativen Partei geforderte Überprüfung der cédulas zu verhindern.407Angesichts der „bevorstehenden Niederlage bei den nächsten Wahlen, hat sich [die Liberale Partei, L. R.] entschieden, auf ihren alten Alliierten, den Wahlbetrug, zurückzugreifen“, um den Verlust der politischen Einflussmöglichkeiten durch den Einsatz massiver Gewalt gegen konservative Wähler abzuwenden.408 Da in der Perspektive von Teilen der Konservativen Partei Betrug und Gewalt in einem ursächlichen Zusammenhang standen, sei die um sich greifende impunidad eine nahezu zwangsläufige Folge des fraude . Die mit dem Wahlbetrug kausal verbun-dene Gewalt habe zu einer zwangsläufigen Korrumpierung und parteipolitischen Instrumentalisierung der Judikativen durch die liberalen Regierungen während der República Liberal geführt.409 Daher würden gaitanistas aus Sicht konservati-ver Politiker aus Norte de Santander davon ausgehen können, dass die von ihnen begangenen Gewalttaten in der Regel straflos bleiben würden.410

Eine weitere Konsequenz der defizitären politischen Moral, die konservative Politiker in der Liberalen Partei ausmachten, sei ihre unaufrichtige Beteiligung an der Unión Nacional , die von Ospina Pérez im Zuge des Regierungswechsels 1946 eingerichtet worden war. Laureano Gómez attestierte der Liberalen Partei, keine Ernsthaftigkeit in ihrer politischen Betätigung erkennen zu lassen.411 Während die Koalitionsregierung mit der Liberalen Partei ein Ausdruck der Aufrichtigkeit und Überzeugung von Ospina Pérez sei, würden die liberalen Koalitionäre, so urteil-ten einige konservative Politiker, die ihnen anvertrauten Machtpositionen ledig-lich aus taktischen Überlegungen nutzen. Die Liberale Partei beteilige sich aus Sicht konservativer Kreise an der Unión Nacional , ohne nennenswerte populare Unterstützung für die geteilte politische Verantwortung zu mobilisieren, und beschränke sich auf die Entsendung von Personal zur Besetzung der ihr anver-trauten Posten. Die dem rechten Flügel der Konservativen Partei zuzuordnende Zeitung Eco Nacional warf der Liberalen Partei vor, aus den Machtpositionen heraus gegen die Regierung zu konspirieren und sie zu sabotieren.412 Silvio Ville-gas beschuldigte die liberalen Politiker, die Regierungsbeteiligung lediglich dazu zu nutzen, sich für die Wahlen aussichtsreiche Positionen zu verschaffen – wie die Kongresswahlen im März 1947 gezeigt hätten.413 Die konservativen Journa-listen bezeichneten das liberale Personal in der Verwaltung als „ quinta columna “, womit der Liberalen Partei de facto vorgeworfen wurde, nicht nur gegen die Kon-servative Partei und die Regierung zu arbeiten, sondern auch die Interesse der Nation – der patria – zu verraten.414

So hatte die Liberale Partei mit der Konservativen nach dem Bogotazo erneut eine Wahlgesetzreform und die Revision der für die Stimmabgabe bei Wahlen erforderlichen cédulas vereinbart, um im Gegenzug eine Amnestie für die libera-len Aufständischen gegen konservative Vorbehalte durchsetzen zu können. Gómez klagte vor den Präsidentschaftswahlen 1949 die Liberale Partei an, die Verfassung aus opportunistischen Überlegungen heraus verletzt zu haben. Die liberalen Ver-treter in der Koalitionsregierung unter Ospina Pérez hätten keinerlei Anstrengun-gen unternommen, diese Abmachung einzuhalten – obwohl der Liberale Darío Echandía dem ministerio de gobierno , der für diese innenpolitischen Maßnah-men verantwortlich war, vorstand.415 Stattdessen sollten durch die Verabschie-dung „unmoralischer und subversiver Gesetze“, welche die Verfassung verletzen würden, die Präsidentschaftswahlen vorgezogen werden, um die Überprüfung der cédulas zu verhindern und „sich die Früchte des Betruges zu sichern“, wie der Vorsitzende der Konservativen Partei José María Villarreal gegenüber den Dele-gierten der Convención Conservadora erklärte.416 So sei auch der Erfolg bei den Legislativwahlen 1949, den die Liberale Partei verzeichnen konnte, lediglich auf die Existenz der gefälschten Identifikationspapiere zurückzuführen.417

Da das politische System Kolumbiens die Direktwahl des Präsidenten vorsah und die Legislativwahlen von den Wahlen zur Exekutive getrennt durchgeführt wurden, behielt die Liberale Partei in den legislativen Körperschaften die Mehr-heit inne. Diese konnte sie ungeachtet der Wahl eines konservativen Präsidenten 1946 bei den Wahlen im Folgejahr behaupten. Anfangs versuchte die Liberale Partei über die Regierungsbeteiligung im Rahmen der Unión Nacional , die poli-tische Führung des Landes mit zu gestalten. Als zunehmend deutlich wurde, dass diese Strategie nicht die gewünschten Ergebnisse brachte, wie sich an dem mehr-fachen Rückzug der liberalen Koalitionäre aus der Regierung verdeutlichte, zielte die Liberale Partei darauf, über ihr politisches Gewicht in der Legislative Einfluss auf die politische Führung des Landes zu nehmen. Als Resistencia Civil bezeich-nete der Directorio Nacional Liberal die Politik, aus der Opposition heraus die Geschicke des Landes bestimmen bzw. entscheidend beeinflussen zu wollen.418Die von Konservativen dominierte Exekutive akzeptierte diese Form der aktiven Opposition nicht, da die liberalen Mehrheiten, aus konservativer Sicht, lediglich durch falsche cédulas und die systematische Fälschung von Wahlergebnissen erlangt worden seien.419

Konservative Politiker bezeichneten die Oppositionspolitik der Liberalen Par-tei, die Resistencia Civil , als „Attentat auf die öffentliche Ordnung“, da sie dem Anspruch der konservativen Regierung, die verfassungsmäßige Ordnung zu wah-ren, diametral gegenüberstünde. Sie beschuldigten die Liberale Partei, vor dem Hintergrund ihrer defizitären politischen Moral die Verfassung zu verletzen, indem sie die Kompetenzen der Exekutive einzuschränken versuchte.420 Uribe Cualla, Kommentator von El Siglo , zufolge zielten die liberalen Kongressabgeordneten darauf, „die präsidiale Autorität zu vernichten und die Machtkompetenzen des Staatsoberhauptes zur Wahrung der öffentlichen Ordnung bis zur Abschaffung zu beschneiden“.421 Eco Nacional wertete die Reformvorhaben der liberalen Fraktion im Kongress, die vor allem eine stärkere Kontrolle der staatlichen Sicherheitskräfte durch die Legislative zum Ziel hatten, als eine „Tyrannei der Legislative“ und klagte die Liberale Partei, die „Subversion in den Kongress getragen zu haben“, nachdem der Einfluss der Liberalen Partei in der Gewerkschaft CTC und die Ins- trumentalisierung der Arbeiter für politische Zwecke nicht die gewünschten Ergeb-nisse gebracht hätten.422 Die parlamentarische Arbeit der Liberalen wurde als gene-ralisierte subversive Tätigkeit gegen die staatlichen Autoritäten auf allen Ebenen des Staates ( Congreso , Asambleas Departamentales und Concejos Municipales ) wahrgenommen.423 Der konservative Journalist Arturo Estrada bezeichnete die von der liberalen Kongressmehrheit angestrengte Reformpolitik als „einen dem unheil-vollen 9. April gleichenden Überfall auf den Präsidenten und die nationale juristi-sche Ordnung [und] als den klassischen kommunistischen Anschlag ( golpe )“.424

Mit den politischen Projekten der liberalen Fraktion, wie dem geplanten Vorzie-hen der Präsidentschaftswahlen auf den November 1949, werde dem „Parlament die noch verbleibende Reputation genommen, die schon durch die Übergriffe der Mehrheitsdiktatur ( dictadura de mayorías ) geschmälert worden war“.425 Derart stelle die Liberale Partei ihr mangelndes Pflichtbewusstsein gegenüber demo-kratischen Verfahrensweisen unter Beweis426: „Wenn der Liberalismus sich der Überprüfung der cédulas widersetzt, beweist er damit nicht nur die Illegitimität seiner angeblichen Mehrheiten ( pretendidas mayorías ), sondern ist auch der ein-zige Verantwortliche für die verdammte Plage von politischen Morden.“427

Das mangelnde Bekenntnis zu demokratischen Grundsätzen, das konservative Politiker ihren liberalen Konterparts vorwarfen, verdeutliche sich ebenfalls in der Doppelmoral, welche die Liberale Partei aus Sicht von Eco Nacional offen-bare. Während sie sich in den öffentlichen Verlautbarungen für „den Frieden und die öffentliche Ruhe“ ausspreche, unterstütze sie gleichzeitig die „barbarischen Parolen der bandoleros in Sumapaz und den Llanos“.428 Gefordert wurde von den Liberalen, von ihrer politischen Strategie – „dem Tragen des Schafsfells, um nachher mit Waghalsigkeit und Feigheit die verräterische Kralle des Schakals her-auszuholen“ – abzurücken.429

Das subversive Vorgehen und der fehlende Respekt gegenüber Beamten sowie staatlichen Einrichtungen würden sich, wie El Siglo beklagte, in physische, gewaltsame Auseinandersetzungen auf dem Land, jenseits der legislativen Kör-perschaften, übersetzen.430 Mit den verbalen Debatten und Anfeindungen in der Legislative würden die „latenten barbarischen und brutalen Instinkte“ der libera-len Gefolgschaft stimuliert, die sich in der Gewalt gegen staatliche Sicherheits-kräfte und Konservative manifestierten.431 So sei die Taktik der Resistencia Civil , die „organisierte Subversion“, der Grund für die Tötung von über 200 Polizisten gewesen.432 Bereits 1946 war Gaitán der Vorwurf gemacht worden, als Demagoge die „animalischen Instinkte“ seiner Gefolgschaft zu stimulieren und „die verab-scheuenswürdigen Passionen“ des pueblo zu instrumentalisieren.433

Die konservativen Abgeordneten und Senatoren erklärten, dass die Situation, die zur Verhängung des Ausnahmezustands am 9.11.1949 führte, allein der „sub-versiven Handlung der Parlamentsmehrheit“ geschuldet sei, mit denen die Ver-fassung verletzt würde. So habe sie die Streitkräfte mehrfach zur Missachtung der Verfassung aufgerufen, das Abkommen zwischen den partidos tradicionales gebrochen und das Vorziehen der Wahlen kraft ihrer Mehrheit in der Legislative durchgesetzt, um die ihnen nach der Überprüfung der cédulas drohende Wahlnie-derlage zu verhindern.434

Antonio M. Cardozo zufolge bedinge die Politik der Liberalen Partei im Rah-men der Unión Nacional die Gewalt, welche die Verhängung des landesweiten Ausnahmezustandes zur Wahrung der öffentlichen Ordnung notwendig mache.435Die laureanistas , die in El Siglo ihre Plattform hatten, sahen in der Verhängung des Ausnahmezustands die einzige Lösung, das Land vor dem Chaos und den zunehmenden Unruhen zu retten.436 Aus konservativer Sicht war die Enthaltung von den Präsidentschaftswahlen 1949 logische Folge der politischen Unterneh-mungen der Liberalen Partei.437 Mit dem Dekret 03520 vom 9.11.1949 wurden der Kongress und die Asambleas Departamentales geschlossen. Da „das Zusam-mentreten der concejos municipales in der Mehrheit der Gemeinden Anlässe zur Unruhe darstellt“, suspendierte das Dekret auch die Sitzungen der Gemeinderäte.438 2.2 Die Liberale Partei als zeitgemäße Verteidigerin des Fortschritts

Die Liberale Partei wiederum stellte sich in Abgrenzung zur Konservativen als moderner und dynamischer Zusammenschluss dar, der den Anforderungen der Moderne gewachsen sei, da ihre politische Aktivität auf den Idealen der europäi-schen Aufklärung fuße. Dem liberalen Abgeordneten Jorge Osorio aus Tolima folgend sei die Liberale Partei von „den Prinzipien, die seit der Erstürmung der Bastille bis in die Gegenwart die Standarte und Leuchtturm der freien Menschen ist“, geleitet.439 Die Dynamik der Liberalen Partei unterstreichend betonten ihre Vertreter, dass der Staat unter den liberalen Regierungen von 1930 bis 1946 einen fundamentalen Wandlungsprozess durchgemacht habe. Während der República Liberal habe die Partei aus der Sicht liberaler Politiker durch die von der Regie-rung López Pumarejo angestrengten, der New Deal Roosevelts ähnlichen Reform-politik einen Charakter erlangt, der insbesondere populare Schichten schütze und ihnen zugute komme.440 Derart habe die Liberale Partei die Antwort auf die stei-genden Anforderungen einer sich modernisierenden Wirtschaft und Gesellschaft gegeben.441

Der angesehene liberale Politiker López de Mesa betonte, in Anspielung auf das ausgeprägte Traditionsbewusstsein der Konservativen Partei, dass eine politische Partei Mitte des 20. Jahrhunderts nicht an „statischen Programmen anderer Epo-chen“ festhalten dürfe, sondern zeitgemäß und flexibel auf „die drängenden Pro-bleme, welche die Gegenwart uns aufzwingt“, reagieren müsse. Die den Umstän-den der Zeit angepassten Handlungswege zur Lösung politischer Missstände wollte er aber von programmatischen Grundsätzen geleitet wissen, die nicht der Beliebigkeit unterworfen seien. Für die Liberale Partei seien diese Ordnung und soziale Gerechtigkeit, wirtschaftlicher Fortschritt und Prosperität sowie die Sorge um das öffentliche Bildungswesen.442 Die Liberale Partei definierte sich daher als „Partei der Ordnung und der Gerechtigkeit, des Friedens und des Rechts, die lediglich damit beschäftigt ist, die Freiheit zu verteidigen“.443 Auch um sich vor dem Hintergrund der angekündigten Unterstützung der Kommunistischen Par-tei für Gaitán bei den Parlamentswahlen 1947 präventiv vor den zu erwartenden Anfeindungen zu verteidigen, betonte El Tiempo , dass der Kampf für die Freiheit und ihre Verteidigung vor den drohenden Einschränkungen durch die politische Rechte und Linke zu den Grundpfeilern der Liberalen Partei gehöre.444

Aus ihrem Selbstverständnis heraus, mit einem politikphilosophischen Funda-ment der Aufklärung und linksliberalen Traditionen, sprachen liberale Politiker der Konservativen Partei den in der Selbstdarstellung postulierten demokratischen und die Verfassung schützenden Charakter ab.445 In ihren Augen sei die Konser-vative Partei eine „Partei der Reaktion und der Barbarei, ein politischer Zusam-menschluss des Massakers und des Hasses“.446 Für Lleras Restrepo war Laureano Gómez „nichts anderes als das Chaos, die Gesetzlosigkeit ( anarquía ), das Symbol des Hasses“.447 Während ihrer 45jährigen Regierungszeit von 1886 bis 1930 habe die Konservative Partei „dem pueblo nichts gegeben außer der Missachtung sei-ner Intelligenz, seiner Gesundheit [und] seiner Würde“.448 Aus Sicht der Libera-len Partei stelle die Konservative „die stagnierte Tradition, die tote Vergangen-heit“ dar.449 In der Einschätzung ihrer konservativen Pendants sahen sich liberale Politiker auch im Nachhinein bestätigt: Vier Monate nach dem Putsch von Rojas Pinilla blickte El Tiempo zurück auf die Regierung Gómez und befand, dass „der Hass die einzige Norm offizieller Handlungen [gewesen] war“. Die Regierung Gómez sei aus Sicht der liberalen Journalisten „eines der unheilvollsten Regimes der kolumbianischen Geschichte“ gewesen.450

Die Zeit vor dem Antritt der liberalen Regierungen 1930 sahen liberale Poli-tiker als kulturlose Epoche Kolumbiens an. Die hegemonía conservadora habe, aus liberaler Blickwarte betrachtet, sozialen und wirtschaftlichen Rückschritt, diktatorische Anwandlungen und Stagnation bedeutet.451 Bei den Parlamentswah-len von 1947 drohe, sollte die Konservative Partei eine Stimmenmehrheit in den legislativen Körperschaften erreichen, dass „das Land in die finsteren Epochen der Vorherrschaft der Konservativen zurückkehrt“.452 Lleras Restrepo beschwor zu Beginn des wichtigen Wahljahres 1949 die Einheit der Liberalen Partei und rief in Erinnerung, was die konservativen Regierungen vor 1930, „die abscheuli-chen Jahre“, bedeuteten:453 Die Rechte der Arbeiterschaft seien, ihm zufolge, in keiner Weise geachtet worden, auf Streiks sei mit Consejos de Guerra reagiert worden, öffentliche Gelder seien nicht für die „primordialen Notwendigkeiten des pueblo “ verwendet worden, der keinerlei Leistungen im Gesundheitswesen in Anspruch hätte nehmen können, und „nicht einmal ein Zehntel der Jugend des pueblo “ sei in Schulen unterrichtet worden.454 Die Konservative Partei sei, wie Lleras Restrepo betonte, um die Notwendigkeit des Wahlsieges zu unterstreichen, 1946 mit „derselben Mentalität, denselben Lastern, demselben demokratischen Geist [und] demselben Gerechtigkeitssinn, den er in den vorherigen vierzig Jah-ren unter Beweis gestellt hatte“, an die Macht gekommen.455

Sich selbst sahen liberale Politiker dem Fortschritt und der Modernisierung des Landes verpflichtet. Arriaga Andrade, Mitglied der Dirección Nacional Libe- ral , verwies auf den Zustand, in dem seine Partei das Land 1930 übernommen habe: „gelähmt ( paralítica ), arm, schutzlos ( inerme ) [und] von Lastern geprägt ( ensimismada en sus vicios )“.456 In der vier Amtszeiten umfassenden República Liberal habe die Liberale Partei es vermocht, Kolumbien in ein „grandioses ( alta- nera ), kräftiges, reiches, von Straßen und Eisenbahnlinien durchkreuztes Land mit echten Städten und Universitäten sowie Schulen [und] in ein Spiegelbild der Demokratie“ zu verwandeln.457 Bei dem Aufzeigen des Fortschritts, den Kolum-bien unter liberaler Präsidentschaft erlebt habe, verwiesen liberale Politiker auf materielle Errungenschaften einerseits, auf die Herausbildung einer demokrati-schen, politischen Kultur, die sozialer Gerechtigkeit und Inklusion verpflichtet sei, andererseits.

Mit Blick auf die materiellen Verbesserungen hoben Vertreter der Liberalen Partei insbesondere die bereits von Arriaga Andrade erwähnte Erweiterung des Straßennetzes und den unter liberaler Schirmherrschaft angestoßenen Ausbau der Eisenbahnlinien hervor. Mit den staatlichen Investitionen in die Infrastruktur seien departamentos wie Boyacá, Huila und Nariño aus ihrer Isolation befreit und sowohl die dort ansässige landwirtschaftliche Produktion als auch die in ihren Anfängen steckende (häusliche) Industrie gefördert worden.458 Der liberale Sena-tor Julio Roberto Salazar Ferro verwies ebenfalls auf die infrastrukturelle Anbin-dung und Kommunalentwicklung vieler Gemeinden des departamento Boyacá als Erbe der República Liberal .459 Besonderes Augenmerk lege die Liberale Par-tei, wie ihrer exponierten Vertreter unterstrichen, auf die sozial und wirtschaftlich marginalisierten Schichten. Der Bau von Wohnungen für die wachsende Zahl von urbanen Arbeitern und die von den liberalen Regierungen angestrengten Kam-pagnen zur Schaffung von Unterkünften für verarmte campesinos hätten dar-auf gezielt, „viele der größten nationalen Probleme zu lösen“: mit den staatlich initiierten Bauvorhaben „verfolgen wir [die Liberalen, L. R.] keine luxuriösen Unternehmungen, sondern suchen nach Möglichkeiten, der Gemeinschaft mit den besten Absichten zu dienen“.460 Die Sorge um soziale Schichten, die unter den konservativen Regierungen weitgehend marginalisiert geblieben seien, habe sich ebenso in den von liberalen Regierungen angestrengten Reformen in der Sozial- und Arbeitsgesetzgebung geäußert.

Der dirigente liberal Arriaga Andrade forderte seine Zuhörer auf, einen Ver-gleich zwischen der Zeit vor 1930 und der República Liberal sowie ihrem Erbe zu ziehen. Er unterstrich die Fortschritte zum Wohl von Arbeitnehmern, die unter den liberalen Präsidenten erreicht worden seien, wie die Festlegung einer Höchst-zahl von Arbeitsstunden pro Tag, dem Streikrecht, rechtlich fixierten Vorgaben zur Bezahlung von Arbeitnehmern und zu bezahlten Urlaubstagen sowie Renten-zahlungen. Weiterhin hob er die staatlichen Interventionen zugunsten der Arbeiter in die betriebsinternen Vorschriften und die Beschränkung der Verfügungsgewalt ausländischer Unternehmen über die Angestellten hervor. Diese Ausführungen veranlassten Andrade dazu, die Liberale Partei als „die Partei der Arbeiter“ zu bezeichnen, womit er, vor dem Hintergrund der sich anbahnenden Unterstützung von kommunistischer Seite für Gaitán, den Anspruch des Partido Comunista de Colombia (PCC) schmälern wollte, die Arbeiter und ihre Bedürfnisse zu reprä-sentieren. Der Konservativen Partei hingegen sprach er die Sorge um die unteren sozialen Schichten, welche die Liberale Partei auszeichne, für alle Zeiten ab.461

Wie liberale dirigentes políticos betonten, habe die arbeitende Bevölkerung nur unter liberalen Regierungen erlebt, dass rechtliche Vorgaben auch in die Pra-xis überführt worden seien und Gültigkeit besitzen würden.462 Echandía betonte, dass es die Liberale Partei sei, die gegen die unproportionale Anhäufung öko-nomischen Reichtums in den Händen weniger kämpfe, mit der eine neue Form der Sklaverei geschaffen würde. Vielmehr wolle sie die Wirtschaft in den Dienst der Allgemeinheit stellen und sie als Medium nutzen, den Lebensstandard der Bevölkerung zu heben und ihr die industriell produzierten Waren zur Verfügung zu stellen.463 Die während der República Liberal vorgenommene Steuerreform habe breite Teile der Bevölkerung durch die Senkung indirekter Steuern entlastet. Die erhöhte Besteuerung von Kapital und Besitz wiederum habe es erlaubt, das Staatsbudget zum Wohle der Bevölkerung zu erhöhen.464

Ihr Selbstbild als Verkörperung des sozialen Fortschritts machte die Liberale Partei, neben der Vertretung der Interessen von Arbeitern und campesinos , an ihren Bemühungen um die jungen Bevölkerungsteile fest. Sei das Land wäh-rend der hegemonía conservadora durch das Fehlen von Bildungseinrichtungen gekennzeichnet gewesen, „wurden Schulen im ganzen Land eröffnet und die Universität verlor ihren traditionellen, überholten Charakter ( vieja condición de reducto de la rutina ), um sich in eine hohe Institution der Kultur zu verwandeln“, als die Liberale Partei ab 1930 die Regierung stellte. Dies habe den jüngeren Generationen den Zugang zum sozialen und politischen Leben des Landes ermög-licht.465 Gaitanistas forderten, der Schulbildung in den staatlichen Budgets die höchste Priorität einzuräumen.466 Der Vorsitzende der Liberalen Partei in Boyacá José Joaquín Castro Martínez verwies neben dem landesweiten Ausbau des Net-zes von urbanen sowie ruralen Schulen und Universitäten auf die Modernisierung des Curriculums, der unter liberaler Anleitung einen höheren Praxisbezug erhal-ten habe und den neuesten Stand der Wissenschaft widerspiegele.467 Ismael San-tofimio war ebenfalls der Überzeugung, dass die Liberale Partei ein Synonym für Bildung und Alphabetisierung einerseits, für rationale Politik andererseits sei. Er war der Meinung, dass „es keine Konservativen mehr geben wird, wenn der ganze pueblo Lesen und Schreiben lernen wird ( cuando el pueblo se desanalfabetize )“.468

Neben der Betonung des inklusiven Charakters ihrer Politik war die Verpflich-tung zu demokratischen Grundsätzen eine Konstante in der Selbstdefinition der Liberalen Partei. Die Modernisierung des Staates und die Festigung demokrati-scher Strukturen sahen liberale Politiker als Leitmotiv der politischen Geschichte ihrer Partei an. Eduardo Santos lobte die Absicht Gaitáns, seine Bewegung auf demokratischen, gewaltfreien Wegen auch nach der Wahl von Ospina Pérez zum Präsidenten führen zu wollen. Er sah Gaitán damit dem Vorbild seiner Person und López Pumarejo folgen, die seit über dreißig Jahren demokratische und friedliche Politik betreiben würden.469

Die auf der von Gaitán initiierten Convención Popular verabschiedete Pla- taforma Ideológica del Liberalismo bekannte sich zu bürgerlichen Freiheiten wie der Meinungs- und Pressefreiheit. Die gaitanistas wollten das Konzept der Demokratie nicht alleine auf den politischen Aufbau des Staates bezogen wis-sen, sondern zielten darauf, das Demokratieverständnis auch auf das ökonomi-sche Feld zu übertragen.470 Forderungen nach einer Direktwahl von Gouverneu-ren und Bürgermeistern verwiesen auf die demokratische Grundausrichtung des gaitanismo , der eine Dezentralisierung der politischen Macht in einem politischen System anstrebte, in dem die Exekutive in der Person des Präsidenten eine hohe Machtfülle innehatte.471 El Tiempo sorgte sich angesichts der fortschreitenden Gewalt zwischen Liberalen und Konservativen, vor dem Hintergrund der Gefahr für demokratische Regierungen in ganz Lateinamerika in der Nachkriegszeit, um die demokratische Verfasstheit des Landes. Zwar sei ein diktatorisches, unde-mokratisches Regime keine Zwangsläufigkeit, aber der liberale Kommentator plädierte eindringlich dafür, das demokratische Erbe Kolumbiens, das heißt das demokratische Erbe, das die República Liberal der Regierung Ospina Pérez hin-terlassen habe, zu wahren und gegenläufigen, antidemokratischen Entwicklungen entgegenzuwirken.472

El Tiempo wertete die Legislativwahlen im März 1947 als „Ausgangspunkt für eine neue politische Ära“. Die Wahlen würden der Zeitung zufolge über die Frage entscheiden, ob Kolumbien, bei einem liberalen Wahlsieg, weiterhin von demokratischen Prinzipien regiert würde. Andernfalls, bei einer konservativen Stimmenmehrheit, würde das Land mit „religiöser Voreingenommenheit und in seinem Streben nach Wohlstand durch den Minderwertigkeitskomplex, der die konservativen Regierungen immer prägte“, regiert werden.473

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 1949 verkündete der liberale Kandidat Echandía, dass er mit dem von ihm angestrebten Wahlsieg dem „übergeordneten Interesse gehorcht, die Demokratie und die Freiheit zu retten“.474 Auch die vor-behaltlose Übergabe der politischen Macht an die Konservative Partei, nachdem die Liberale Partei die Präsidentschaftswahlen 1946 verloren hatte, habe von dem Demokratiebekenntnis der Liberalen Partei gezeugt, wie Echandía hervorhob. Der Rettung demokratischer Freiheiten wolle er „taktischen oder Parteiinteres-sen“ unterordnen, denn „damit eine Partei das Recht hat, populare Unterstützung einzufordern, […] darf sie niemals ihre fundamentalen Forderungen aufgeben“.475

Eine dieser fundamentalen Forderungen und Grundpfeiler der politischen Agenda der Liberalen Partei war die „Freiheit über allen anderen Angelegenhei-ten ( cosas )“.476 Santos verstand unter dieser auch die Unabhängigkeit, welche die Bürger durch einen verbesserten Lebensstandard erlangten, wobei er sich nicht nur auf die materiellen Lebensumstände, sondern auch die politischen Rechte und soziale Inklusion bezog. Diese Forderungen entsprächen dem Demokratiever-ständnis der Liberalen Partei, die auf die Bekämpfung ökonomischer Ungleich-heiten und die Ausweitung der staatlichen Sozialleistungen auf die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft ziele.477

Die Zeitung El Tiempo , im Besitz der Familie Santos, verstand sich, nicht zu Unrecht, als das Sprachrohr der Liberalen Partei, das „sich dem Dienst der demokratischen Grundsätze, welche die Menschenrechtscharta definiert und ver-kündet“, verpflichtet sah.478 Im Dezember 1957 argumentierte Lleras Camargo, vor dem Hintergrund des positiven Plebiszits, mit dem die für die Einrichtung des Frente Nacional notwendigen Verfassungsänderungen angenommen wur-den, ganz ähnlich. In Kenntnis des Leides, welches die Violencia über das Land gebracht hatte, verkündete er im Dezember 1957 in Cali: „Für uns [die Liberalen, L. R.] ist das Erste der Frieden, nicht der Sieg […] das Wichtige, das Erste, das Essentielle ist für uns, die Demokratie herauszubilden“.479

2.3 Die Liberalen als criptocomunistas

Konservative Politiker kritisierten die materialistisch-individualistische Kon-zeption des Menschen, auf der die Politik der Liberalen Partei ihrer Meinung nach fuße. Dieser stellten sie die eigene für sich in Anspruch genommene christ-lich-katholisch-spirituelle Konzeption der Welt entgegen, welche die Basis für die eigene, als gefestigt propagierte moralische Basis politischer Betätigung sei. Aus diesem Umstand leiteten konservative Politiker, wie bereits beschrieben, die zwangsläufige defizitäre politische Moral der Vertreter der Liberalen Partei ab. Das fehlende moralische Fundament führe denn auch aus konservativer Sicht zu dem Wankelmut der Liberalen Partei: Erst breche sie mit der Koalitionsregierung der Unión Nacional und halte das Abkommen über die Überprüfung der cédulas nicht ein, sondern zöge nach einer Parlamentsdebatte, die „als die am stärksten bewegte und tragischste unserer parlamentarischen Geschichte bezeichnet wer-den kann“, die Wahlen auf den 27. November 1949 vor, um sich dann von die-sen zurückzuziehen. Als „einzigen Ausweg aus dem Labyrinth, in dem sich die liberale Parteiführung befand“, sehe sie eine paritätisch besetzte Übergangsregie-rung an, die eine erneute Verfassungsänderung erfordert hätte.480

Wegen der mangelhaften politischen Moral sprach die Konservative Partei ihrem liberalen Konterpart eine mit der ihren vergleichbare Festigkeit in Grund-satzfragen ab. Dieser Mangel erkläre aus der Blickwarte konservativer Politiker nicht nur, warum der von der Liberalen Partei propagierte Individualismus derart schnell in sozialistische Ideen umschlug, wie sie von Gaitán und dem tolimense Carlos H. Pareja verteidigt wurden. Die aufklärerischen Ideale, auf denen das poli-tische Programm der Liberalen Partei fuße, würden aus ihrer Sicht auch bedingen, dass sie „den Menschen in ein fleischfressendes Tier, so wie es Rousseau wollte“, verwandelten.481 El Derecho sah in den politischen Prämissen der Liberalen Partei „ein Amalgam aus individualistischen und kommunistischen Thesen, das durch das Vorgehen der Liberalen Partei gegen die Familie“ bestätigt würde.482

Aus konservativer Blickwarte betrachtet seien die Anhänger der Liberalen Par-tei maskierte Kommunisten ( criptocomunistas ) bzw. sei die Liberale Partei bis in ihre Führungsebene von kommunistischen Verschwörern unterwandert wor-den. Ungeachtet der Tatsache, dass sich auch die Liberale Partei in der Blockkon-frontation zu den Westmächten bekannte, wies die von der Konservativen Partei vorgenommene Gleichsetzung von Liberalen und Kommunisten eine bemerkens-werte Kontinuität während des Untersuchungszeitraums auf.

Die zeitgenössische konservative Wahrnehmung des Kommunismus als „essentiell subversiv“, der gewaltsam seine politischen Ziele zu erreichen suche und per Definition gegen die staatlichen Institutionen sowie juristische Ordnung gerichtet sei, erleichterte die diskursive Gleichsetzung von Liberalen und Kom-munisten.483 Bereits seit den 1930er Jahren beschuldigte der rechte Flügel der Konservativen Partei liberale Politiker, wegen ihres materialistischen, unchristli-chen Politikverständnisses gemeinsam mit kommunistischen Gruppierungen für die soziale Unrast verantwortlich zu sein.484 Konservative Politiker machten mit den parallelen Vorgehensweisen in der politischen Betätigung Gemeinsamkeiten zwischen Liberalen und Kommunisten auf der Handlungsebene aus. Die unter dem Stichwort Resistencia Civil bekannte Oppositionspolitik der Liberalen Partei werteten konservative Politiker als gegen die Regierung gerichtet und subver-siv, besaß also Attribute, die ihnen zufolge kommunistische Politik ausmache. Dieses Charakteristikum bildete eine erste Schnittmenge zwischen liberaler und kommunistischer Betätigung. Einen zweiten Punkt der Übereinstimmung zwi-schen Liberalen und Kommunisten machten konservative Meinungsmacher in der materialistischen Weltsicht aus, die beide politische Strömungen teilen würden.485Diese Übereinstimmung äußere sich im Falle der Liberalen Partei in einem laizis-tischen Politik- und Staatsverständnis, dem staatlichem Interventionismus in die Wirtschaft und Gesellschaft sowie einem relativistischen, daher für Konservative minderwertigen, Konzept von Moral. Aussagen wie die von Lleras Restrepo, dass die Liberale Partei „mit der neuen revolutionären Strömung“ das Ziel der Besei-tigung ökonomischer Ungleichheiten, respektive Unterdrückung teile, verliehen der Gleichsetzung von Kommunisten und Liberalen in der konservativen Propa-ganda Nachdruck.486

Auch Eduardo Ospina, der 1954 eine Monographie über die „angebliche reli-giöse Verfolgung“ von Protestanten in Kolumbien veröffentlichte, so der Untertitel seines Werkes, sah die Liberale und Kommunistische Partei in dem Kampf gegen die konservative Regierung geeint – ein geteiltes Ziel, das eine gemeinsame poli-tische Aktivität, ungeachtet ihrer unterschiedlichen politischen Agenden, ermög-liche.487 Angesichts der mangelhaften Umsetzung der liberal-konservativen Koa-litionsregierung auf der regionalen Ebene in Tolima, bezeichnete Eco Nacional die Liberale Partei als die „Partei, die gegen die Regierung der Unión Nacional konspiriert“.488 Die Liberale Partei sei aus Sicht konservativer Gruppen mit den kommunistischen politischen Kreisen alliiert und stelle das Einfalltor der kom-munistischen Unterwanderung dar.489 Die Allianz zwischen Liberalen und Kom-munisten bestünde laut konservativen Kommentaren schon seit vielen Jahren490, wie die Propagierung von Idealen der Aufklärung einerseits, die „Inthronisierung des Kommunismus […] insbesondere zwischen 1930 und 1946“491 andererseits zeigen würden. Dabei stelle die Gefahr, die von kommunistischen Akteursgrup-pen ausging, nicht nur eine Gefahr für die Verfasstheit des politischen Systems Kolumbiens dar. Mit der Intensivierung des Ost-West-Konflikts, in dem „keine Gleichgültigen oder Neutralen erlaubt werden“, wurden kommunistische Ideolo-gien für konservative Politiker zu dem „größten und schlimmsten Feind der okzi-dentalen Welt und der christlichen Zivilisation“.492 Kolumbien beteiligte sich an dem Koreakrieg nicht nur, um sich das Wohlwollen der USA zu sichern, sondern auch um die „christliche Zivilisation zu verteidigen“.493 Dem dirigente conser- vador José Luis Trujillo folgend

Der Kommunismus richte sich, in der konservativen Wahrnehmung,

Trujillo betonte die Bedeutung eines konservativen Wahlsieges bei den Parla-mentswahlen im März 1947. Er warnte vor einem Erfolg der „revolutionären Lin-ken […denn] es ist der Moment gekommen zu entscheiden, ob wir Moskau oder Rom folgen wollen“.496 Noch im März 1957, als sich die partidos tradicionales bereits auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die Militärregierung geeinigt hatten, verteidigten einige Mitglieder der Konservativen Partei die These, dass Liberale und Kommunisten eine intrinsische Handlungsallianz eingegangen seien, und zeigten, dass sie die These der kommunistisch unterwanderten Liberalen Partei tief verinnerlicht hatten. Piñeda Sierra, ein Lehrer aus Medellín, drückte Rojas Pinilla die Unterstützung für dessen Regierung aus, denn – so interpretierte er die politischen Entwicklungen, kurz bevor der Frente Civil Rojas Pinilla mit vereinten Kräften aus dem Präsidentenpalast vertrieb – die liberalen und kommunistischen Akteursgruppen „wollen [gemeinsam] den kolumbianischen Konservatismus und der Regierung Ihrer Exzellenz vernichten“. Die Allianz von Kommunisten und Liberalen bezeichnete der Lehrer als „das Böse“, womit er zeigte, wie tief er die Darstellung der Liberalen Partei als kommunistisch unterwandert und die patria gefährdend verinnerlicht hatte und auch noch 1957 teilte.497

Die diskursive Konstruktion einer Handlungsallianz zwischen liberalen Politi-kern und sowohl inländischen als auch ausländischen kommunistischen Akteurs-gruppen kann als Konstante in der Wahrnehmung des politischen Gegners bezeich-net werden. Vor dem Hintergrund der von kommunistischen Kreisen während des 1930er und 1940er Jahre propagierten Strategie der Volksfront, um den Gefah-ren faschistischer Bewegungen zu begegnen, wurde im konservativen Diskurs vor den Gefahren einer kommunistischen Infiltration gewarnt.498 Die Beteiligung kommunistischer Politiker an der Regierung von López Pumarejo stellte einen Teil der konservativen Argumentationslogik dar, die Liberale und Kommunisten zunehmend jenseits einer Differenzierung der unterschiedlichen Strömungen und Fraktionen der Liberalen Partei gleichsetzten.499

Die wenig differenzierte Diffamierung von Gaitán als Kommunist, ungeach-tet des alles andere als konfliktfreien Verhältnisses zwischen dem PCC und dem movimiento gaitanista , stellte ein Element des konservativen Diskurses dar, in dem liberale und kommunistische Akteursgruppen kongruent gesetzt wurden. Gaitán wurde vorgeworfen, zum „Klassenkampf und Hass auf die Mächtigen“ aufzurufen.500 Dabei schrecke er nicht vor der Zusammenarbeit mit Kommunisten und der CTC zurück. El Siglo warf den Anhängern Gaitáns vor, in den Gemein-den Südtolimas Coyaima und Ortega zusammen mit Kommunisten und Gewerk-schaftsmitgliedern Indigene zur Besetzung von haciendas aufzurufen und dabei auf „alle Mittel, sogar die schändlichsten,“ zurückzugreifen.501 Auch in Santander del Norte würden, nach Informationen von El Siglo , gaitanistas mit kommunisti-schen Gruppierungen, sowohl inländischen als auch venezolanischen, zusammen-arbeiten. Mit der Betonung der Beteiligung ausländischer subversiver Gruppen unterstrichen die Redakteure der konservativen Tageszeitung die Gefahr, die von dieser Allianz für die Souveränität Kolumbiens ausgehe.502

Konservative Politiker unterstellten Gaitán, das Präsidentenamt um jeden Preis anzustreben, „auch wenn er nur durch Leute unterstützt und getragen wird, die nichts wert und eine Gefahr für die Stabilität der Demokratie sind“.503 Diese wert- losen Menschen konnten aus Blickwarte von El Siglo niemand anderes sein als die Kommunisten, die sich als Liberale tarnten, um politische Mandate und Ämter zu erhalten.

Bezog sich die diskursive Gleichsetzung mit kommunistischen Kreisen in der Frühphase des Untersuchungszeitraums vornehmlich auf die gaitanistas , war eine zunehmende Ausweitung des Vorwurfs auf die gesamte Liberale Partei und all ihre Fraktionen zu beobachten. Exemplarisch verdeutlichen lässt sich diese Ent-wicklung am Beispiel der Regionalzeitung El Derecho . Diese identifizierte die Feinde Kolumbiens im September 1950 in den kommunistischen Sektoren, die sich nicht als solche zu erkennen gäben ( cripto-comunistas ) und „einen großen Teil der Liberalen Partei“ ausmachten.504 Zwei Monate später hingegen wurde die Differenzierung zwischen den verschiedenen Flügeln der Liberalen Partei getilgt: „Es ist nicht zu vergessen, dass alle Flügel der Liberalen Partei – das Zentrum, die gaitanistas und der oligarchische Flügel – zusammenlaufen in dem Kryptokommunismus“.505 Laureano Gómez betonte bereits vor seiner Wahl zum Präsidenten, dass die Liberale Partei de facto von der politischen Bildfläche ver-schwunden sei, denn die liberale Führungsriege folge dem Vorbild kommunisti-scher Revolutionen.506

Bei der Gleichsetzung von Liberaler Partei und Kommunismus wurden die Vertreter des rechten Flügels der Konservativen Partei unterstützt von den anti-liberal eingestellten Fraktionen der Katholischen Kirche um den Bischof Miguel Angel Builes. Gewisse katholische Bischöfe, die einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Bevölkerung ländlicher Regionen hatte, teilten die Sichtweise konservativer Politiker, der zufolge die Liberale Partei von Kommunisten unter-wandert worden sei. Nicht nur der offen mit der Konservativen Partei sympathi-sierende Builes warnte die Wählerschaft vor der Stimmabgabe für die Liberale Partei. Auch die Bischöfe anderer Städte, unter anderem Ibagué, Popayán, Tunja und Medellín, zeigten die potentiellen Gefahren auf, die von den Legislativ- und Präsidentschaftswahlen 1949 ausgehen würden. Die Wahlalternative zwischen Liberaler und Konservativer Partei spitzten sie, in den Worten von Builes, auf „Rom gegen Moskau“ als Metaphern für christlich-katholische Tradition und Kommunismus zu.507 Vor den Wahlen von 1949, die als über die Zukunft des Lan-des entscheidend wahrgenommen wurden, verboten sie Katholiken, ihre Stimmen für liberale Kandidaten abzugeben.508

Vielen konservativen Politikern und katholischen Geistlichen war gemein, dass sie nicht stringent zwischen der staatsphilosophischen Strömung des Liberalismus und der Liberalen Partei unterscheiden konnten – oder wollten. Builes griff auf die antiliberalen Enzykliken von Pius IX., insbesondere den Syllabus Errorum , zurück, welche die von der Liberalen Partei verteidigten Prinzipien wie die Glau-bensfreiheit, das laizistische Staatsverständnis oder das rationale Fundament moderner Politik als nicht vereinbar mit dem katholischen Glauben angriffen. Er hob die Beschlüsse der kolumbianischen Bischofskonferenz von 1924 hervor, die besagten, dass „der Liberalismus, dessen Doktrinen und Praktiken in offenem Widerspruch zur Kirche stehen, [… und ihn] zur unchristlichen Sekte“ erklärt hatte.509 Builes zufolge habe sich die Liberale Partei, wie die Ereignisse nach dem Mord an Gaitán bewiesen hätten, de facto in eine Kommunistische gewandelt. Die Positionen von Pius IX. aufnehmend definierte er die Liberale Partei über die Gleichsetzung von Liberalen und Kommunisten als offene Feindin der katholi-schen Religion. Damit umging er das Verbot für den Klerus, in politische Debat-ten einzugreifen, denn dieser durfte nur in politische Angelegenheiten intervenie-ren, wenn die Religion offen angegriffen wurde.510 García und Betancourt zitieren Pfarrer Nicolás Nieto, der bereits 1944, während der zweiten Präsidentschaft von López Pumarejo, die These verteidigte, dass die Liberale Partei de facto von kom-munistischen Politikern angeführt würde. Er rief die Mitglieder der Konservati-ven Partei, die sich als Beschützer der Katholischen Religion verstanden, recht unverhohlen zu Gewalt gegen die criptocomunistas auf, denn „das Land braucht Blut, um sich zu reinigen, und ich bin bereit, das meine zu geben“.511

Zwar gab es, wie ein politischer Kommentator in El Derecho eingestand, in der Liberalen Partei Fraktionen, die sich gegen die Zusammenarbeit mit kommunis-tischen Gruppen wehrten. Allerdings würden diese die Allianz mit Kommunisten nicht vehement genug verurteilen und eine scharfe Abgrenzung zwischen Libera-len und Kommunisten, beispielsweise in der Confederación de Trabajadores de Colombia , verweigern.512 Die streng antikommunistische Ausrichtung der Kon-servativen Partei verbot eine Zusammenarbeit mit Akteuren im politischen Feld, die kommunistisches Gedankengut nicht ebenso scharf und nachdrücklich wie konservative Politiker verurteilten. Gleiches musste auch für Akteure gelten, die auch nur den Anschein erweckten, getarnte Kommunisten ( criptocomunistas ) zu sein oder mit diesen zusammenzuarbeiten.

Sich ihres moralischen Fundaments gewiss hielten konservative Politiker ihren liberalen Widersachern politische Doppelmoral im Umgang mit den kommunis-tischen Gruppierungen in Kolumbien vor. Die Entourage des liberalen Präsident-schaftskandidaten für die Wahlen 1949 Echandía klagten sie an, „den Klassen-kampf und die Revolution der unteren Schichten ( de los de abajo ) zu rühmen“, während Echandía selber heuchlerisch für die Vermeidung sozialer Konflikte zwischen Arbeitnehmern und -gebern plädiere. Unter dem Deckmantel seiner scheinbaren Verpflichtung zu demokratischen Grundsätzen betreibe Echandía den Wahlkampf, um die „politische Linke“ wieder an die Macht zu bringen.513 In der öffentlichen Selbstdarstellung präsentiere sich die Liberale Partei als antikom-munistisch ausgerichtet, in der politischen Realität arbeite sie aber immer wieder mit diesen zusammen, so während der Revolución en Marcha und im Zuge des tödlichen Attentats auf Gaitán 1948 ( Bogotazo ).514

Der konservative Senator Nieto Rojas, ehemaliger Kongressabgeordneter der Konservativen Partei, sah die dem Mord an Gaitán folgenden Unruhen als Beweis für die geheime Zusammenarbeit von Liberaler Partei und Partido Comunista de Colombia sowie internationalen Verschwörern und der CTC an, in der beide politischen Gruppierungen über nennenswerten Einfluss verfügten.515 Daher „ist die bolschewistische Unterwanderung ( penetración ) eine Tatsache, die jedwede Prognose übertroffen hat“.516 Uribe Cualla warnte ebenfalls vor einem liberalen Präsidenten, da sich die Liberale Partei durch „fürchterliche kommunistische Ver-unreinigungen ( contaminaciones )“ auszeichne.517 Die Ermordung von Gaitán und die folgenden Aufstände seien José María Villarreal zufolge „eine Probe [gewe-sen], die durchgeführt werden sollte, um festzustellen, bis zu welchen Punkt die Unterminierung der Gesellschaft vorangeschritten war“.518

Das Bündnis zwischen großen Teilen der Liberalen Partei und kommunisti-schen Gruppen manifestiere sich, wie der konservative Comité Municipal der Gemeinde Purificación im südlichen Tolima beklagte, in Landkonflikten, die von dem „ Liberalismo comunistoide “ angestoßen würden.519 Auch die gegen die Regierung und ihre Repräsentanten gerichtete Gewalt in Osttolima sei ein Ergeb-nis des aus konservativer Blickwarte unheilvollen Bündnisses zwischen Libera-ler und Kommunistischer Partei.520 El Derecho forderte den Gouverneur Tolimas auf, „die Dörfer, die heute Opfer des rot-kommunistischen Terrorismus sind“ zu befrieden und verwies auf die Allianz von kommunistischen und liberalen Gewaltakteuren.521 Auch wenn die Unterstützung von kommunistischen Gewal-takteuren durch dirigentes liberales teilweise unbewusst erfolge, „ist es zwingend notwendig, die gesamte Liberale Partei zu verurteilen“, denn durch den Einfluss der „materialistischen Thesen von Lenin und Stalin hat sie [die Liberale Partei, L. R.] ihren demokratischen und christlichen Charakter verloren“.522 Wegen der angenommenen organischen Verbindungen liberaler Gruppierungen zum Partido Comunista de Colombia hatte El Siglo denn auch das Verbot der Liberalen Partei bereits vier Jahre zuvor, 1950, gefordert.523

Der ministro de guerra José María Bernal gab 1952 in einem Interview mit El Tiempo zu, dass er auch nicht wisse, gegen wen die seinem Ministerium zuge-ordneten Streitkräfte kämpften, ob gegen liberale, kommunistische oder rein kri-minelle Kombattanten.524 Den Kommentator von El Tiempo veranlasste die Aus-sage des Verteidigungsministers zu der kritischen Bemerkung, dass Bernal vor US-amerikanischen Institutionen immerzu von einer kommunistischen Bedro-hung des Landes spreche, um seinen Forderungen nach Waffenlieferungen und -käufen Nachdruck zu verleihen, und liberale bzw. kriminelle Akteursgruppen unerwähnt lasse, während er innenpolitisch die Allianz zwischen Liberalen und Kommunisten betone.525 Vertreter der Liberalen Partei fürchteten, dass Gelder und Ausrüstung aus den USA zur Verfolgung von Mitgliedern der Liberalen Par-tei eingesetzt würden.526

Anlässlich des dritten Jahrestages des Bogotazo wurde daran erinnert, dass der Aufstand im Namen der Liberalen Partei, der „ viernes rojo “, auch von linken politischen Kräften und Kommunisten geplant und durchgeführt worden sei.527Die Erhebung nach der Ermordung von Gaitán sei „ein rasender kommunistischer Ausbruch [gewesen], der von fernen, marxistischen Hauptstädten aus geplant wor-den war“528 und in den spanische und venezolanische Kommunisten verwickelt gewesen seien.529 Die These, dass der Bogotazo von (internationalen) kommu-nistischen Kräften, zusammen mit Liberalen, von langer Hand geplant worden war, um die Conferencia Panamericana zu sabotieren, auf der eine antikommu-nistische Erklärung verabschiedet werden sollte, stützte sich auf Nachrichten, die bereits im Frühjahr 1948 über kommunistisch inspirierte Verschwörungen und Vorbereitungen des Aufstandes im benachbarten Venezuela berichteten.530

Der liberale Präsidentschaftskandidat Echandía wehrte sich gegen den Vorwurf seiner konservativen Mitbewerber, eine quasi-kommunistische Vereinigung an die politische Macht führen zu wollen:

Er hielt fest, dass die Liberale Partei aus „Liberalen und nicht Kommunis-ten“ bestehe.532 Aus seiner Sicht entbehre die Behauptung, die Liberale Partei sei von Kommunisten unterwandert worden bzw. sei ein getarnter kommunistischer Zusammenschluss, jeglicher Grundlage. Vielmehr stelle diese Unterstellung eine Mobilisierungsressource konservativer Politiker vor den Wahlen im November 1949 dar. Auch El Tiempo äußerte sich zum Thema: die Anhänger der Konser-vativen Partei würden, wie das Sprachrohr der Liberalen Partei festhielt, „dem stumpfsinnigen Glauben ( estúpida creencia ) [anhängen], mit dem Kampf gegen den kommunistischen Liberalismus, erster Vertreter des Teufels auf Erden, eine übernatürliche Mission zu erfüllen“.533 Eine ähnliche Sichtweise auf die Unter-stellung, die Liberale Partei sei von kommunistischen Akteuren infiltriert worden, äußerte Lleras Restrepo. Er bezeichnete den Vorwurf als „derbe Lüge“. Der Kom-munismusvorwurf war aus seiner Perspektive ein „Kunstgriff ( truco ) des spani-schen Faschismus, um einen Kreuzzug im Stile des Mittelalters zu rechtfertigen“ und Anhänger der Konservativen Partei gegen die Liberale zu mobilisieren.534 Die in Nordtolima ansässige liberale Regionalzeitung Diario del Tolima beklagte noch unter der Regierung Gómez’, dass diejenigen, die sozialen Missständen auf den Grund gingen und die historische Dimension sozialer Ungleichheit aufzeigten, als Kommunisten diffamiert und, was unter den gegebenen Umständen gleichbedeu-tend war, das Ziel staatlicher Repression würden.535

El Derecho berichtete, dass die kommunistischen Kombattanten in Chaparral von zwei russischen Militärberatern unterstützt würden.536 Auch vor dem Hin-tergrund der sich anbahnenden Guerra de Villarrica verwies Diario de Colom- bia auf die Verwicklung ausländischer, diesmal europäischer, Kommunis-ten in den Bürgerkrieg. Eine „offenbar in Wien herausgegebene Zeitung“, die im Osten des departamento beschlagnahmt worden war, diente als „Beweis“ für die Teilhabe ausländischer subversiver Kräfte an den bewaffneten Konflik-ten in Osttolima.537 Als Indiz für die These, dass (internationale) kommunisti-sche Verschwörer die politische Instabilität in Kolumbien zu ihren Zwecken nutzen wollten, wurde der „bekannte dirigente des internationalen Kommu-nismus Mister Lister“ genannt.538 Dieser habe nach Informationen der Streit-kräfte bereits auf republikanischer Seite im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft und auch in anderen Ländern an der Aufstellung von irregulären Kombat- tanten mitgewirkt.539 Bei „Lister“ handelte es sich allerdings um keinen Vertreter einer internationalen kommunistischen Verschwörung, sondern um Isauro Yosa, der seinen die persönliche Identität verdeckenden Kampfnamen „Lister“ als Hom-mage an Enrique Lister Forján, den Kombattanten im Spanischen Bürgerkrieg, gewählt hatte. Yosa war als Mitglied des Partido Comunista de Colombia seit den frühen 1930er Jahren an der gewerkschaftlichen Organisierung des campesinado in Südtolima beteiligt und formierte ab 1949, der vom PCC ausgegebenen Strate-gie folgend, autodefensas campesinas im südlichen Tolima.540

Zwar waren, unter anderem in Südtolima, genuin kommunistische Widerstands-gruppen während der Violencia aktiv, die zeitweise mit den im Namen der Libera-len Partei Kämpfenden zusammenarbeiteten.541 Es kann aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesagt werden, dass die Berichte über ausländi-sche kommunistische Kombattanten oder Berater542 der Furcht vor deren etwaiger Beteiligung an dem Gewaltgeschehen oder der Sorge um eine vom Ausland aus-gehende Verschwörung entsprungen war – und weniger fundierten geheimdienst-lichen Erkenntnissen. Es liegen in den zahlreichen konsultierten Archiven keine aussagekräftigen Dokumente vor, die eine Involvierung sowjetischer und europäi-scher Akteure in den sich zunehmend intensivierenden Binnenkonflikt nahelegen würden. Verschwörungstheorien sind, wie wohl auch im hier untersuchten Fall der Violencia , vielmehr ein beliebtes und häufig genutztes Mittel des Staates, sich der Unterstützung in der Bevölkerung und deren Wohlwollen zu sichern. Werden die Gerüchte und Halbwahrheiten über eine Unterminierung der staatlichen Ord-nung mit ausländischen Kräften in eine ursächlichen Zusammenhang gebracht, erhöht sich noch deren Wirkmächtigkeit.543 Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Nachrichten, die eine Beteiligung ausländischer kommunistischer Kräfte propa-gierten, kann davon ausgegangen werden, dass solche Verlautbarungen eine nicht zu unterschätzende mobilisierende Propagandawirkung auf konservative Partei-anhänger hatten, die sich zu Beschützern des christlichen Abendlandes und der katholischen Religion aufgeschwungen hatten.

Die Zusammenarbeit zwischen Liberalen und Kommunisten stelle aus Sicht kon-servativer Politiker eine Notwendigkeit dar, da sich die Liberale Partei Mitte des 20. Jahrhunderts ihrer Doktrinen und Ideologie beraubt sehe und ihre programma-tische Daseinsberechtigung durch kommunistisches Gedankengut ersetzen müsse.544Die von der Liberalen Partei befürwortete, erhöhte staatliche Aktivität hinsichtlich der Regulierung der Sozialbeziehungen sowie die laizistische Ausrichtung der Ver-fassung würden ungeachtet der „offiziellen“ Selbstdarstellung von der Nähe des liberalen politischen Programms mit „marxistischen Allüren ( veleidades marxis- tas ) und sowjetischen Thesen“ zeugen.545 Laureano Gómez wertete die zeitgenös-sischen Entwicklungen dahingehend, dass die Liberale Partei flächendeckend von kommunistischen Gruppen unterwandert worden sei und nur „noch ihren Namen beibehält“.546 „Professionelle Agitatoren, Vertreter des sowjetischen Imperialis-mus“ müssten sich nicht mehr nur als einfache Liberale tarnen, sondern auch die Führungsriege der Liberalen Partei sei von Kommunisten unterwandert worden.547

Neben Gómez war José María Nieto Rojas einer der exponierten Vertreter der Konservativen Partei, die Kolumbien als Opfer einer von Moskau ausgehenden, internationalen kommunistischen Verschwörung sahen.548 Diese Unterwanderung erklärte, aus Sicht vieler Konservativer, dass exponierte Vertreter der Liberalen Partei wie Carlos Lleras Restrepo zum Widerstand gegen die Regierung aufrufen würden. Als ein solches Plädoyer werteten konservative Politiker die Forderung von Lleras Restrepo, angesichts der steigenden Gewalt gegen Liberale und der Enthaltung der Liberalen Partei von den Wahlen sowohl die öffentlich-politischen als auch die privaten Beziehungen von Liberalen zu Konservativen abzubrechen.549Die Enthaltung von den Präsidentschaftswahlen 1949 interpretierten konserva-tive Politiker als subversiven und den demokratischen Gepflogenheiten wider-sprechenden Akt.550 Die Liberalen, die sich gewaltsam gegen die Verfolgung von (partei-)politisch instrumentalisierten Polizeikräften und bewaffneten konserva-tiven Zivilisten wehrten, stünden „unter der Führung und der Befehlsgewalt von internationalen Vertretern des SOWJETS“.551

Die materialistische Ideologie, von der sich die Konservative Partei vehement abgrenzte und auf der aus konservativer Sicht die liberal-kommunistische Zusam-menarbeit basiere, stellte die Grundlage für die Definition eines weiteren Feind-bildstereotyps dar. In der konservativen Wahrnehmung sozialer Realitäten wurden Mitglieder der Liberalen Partei und protestantische Gläubige gleichgesetzt. Diese undifferenzierte Angleichung von Liberalen und Protestanten fußte parallel zur Gleichsetzung von Liberalen und Kommunisten auf den materiellen Interessen und der unterstellten materialistischen, als Gegensatz zu einer spirituellen, Kon-zeption des menschlichen Lebens, die Kommunisten und Protestanten, aus Sicht der Konservativen, teilen würden.

Vor dem Hintergrund der Betonung der katholischen Religion als Fundament der Politik der Konservativen Partei äußerten ihre dirigentes deutliche Vorbe-halte gegenüber protestantischen Kreisen. Die protestantischen Lehren wurden als Gefahr für die katholisch fundamentierte politische Moral der Konservativen Partei gesehen – ungeachtet der Tatsache, dass protestantische Kirchen seit dem 19. Jahrhundert nur sehr geringe Missionserfolge in Kolumbien hatten. Weniger als ein Prozent der kolumbianischen Bevölkerung gehörten während des Untersu-chungszeitraums protestantischen Glaubensgemeinschaften an.552

Exemplarisch kann die Kolumne La Religión Protestante, Peligro Moral heran-gezogen werden, die in den Jahren 1950 und 1951 in der konservativen Regional-zeitung El Derecho veröffentlicht wurde. In dieser sollte der Leserschaft die von den protestantischen Kirchen ausgehenden Gefahren für die katholische Verfasst-heit der kolumbianischen Gesellschaft vor Augen geführt werden. Angesichts der Gefahren, die von Protestanten ausgingen, wurde die Bevölkerung denn auch vor den „Legionen protestantischer Missionare aus den USA“ gewarnt.553

In besagter Kolumne über den Protestantismus und die von ihm ausgehende Gefahr für die Moral wurde einem „katholischen“ Gebet, das um Segen und Schutz durch Christus ersuchte, ein angeblich lutherisches Gebet gegenüberstellt, das in erster Linie materielle Gegenstände wie Kleidungsstücke und um gutes Essen erbat.554 Während die Konservative Partei für sich in Anspruch nahm, dass ihr politisches Handeln von katholischer Spiritualität geleitet würde, warfen sie Protestanten vor, in erster Linie an materiellem Wohlergehen interessiert zu sein.

Eduardo Ospina bemühte, dieser Sichtweise verpflichtet, das Bild der Protes-tanten, die an materiellen Gewinnen interessiert seien, und verglich protestan-tische Missionare mit „reisenden Handelsvertretern“.555 Der Prälat der Katholi-schen Kirche stellte in seiner Ansprache vor campesinos in Tolima „die traurige gegenwärtige Situation“ der Erinnerung an die „Nation in besseren, schon lang vergangenen Zeiten“ gegenüber. Während sich die Vergangenheit durch Einfach-heit, Ehrbarkeit und Einheit der Bürger auszeichne, weil „die katholische Reli-gion und der Glaube noch einen Großteil der Sozialbeziehungen austarierten“, habe das stete Streben nach „Fortschritt, mehr Reichtum, […] mehr Industrie und Handel“ zu der gegenwärtigen Gewaltsituation geführt. Gleichzeitig warnte er die campesinos vor dem „perversen, atheistischen, russischen Kommunismus“, dem „häretischen Protestantismus“ und der „diabolischen Freimaurerei“, welche sämt-lichen Umsturzversuchen und Revolutionen zugrunde lägen, „um Krieg gegen Christus und seine Kirche zu führen“.556

Diese Sichtweise entsprach der Theorie Gómez’, der zufolge Kommunismus, Protestantismus, Freimaurerei und Judentum in einem engen organischen Verhält-nis stünden. Bereits 1942 hatte er in einer Rede vor dem Parlament seine antisemi-tisch geprägte Theorie dargelegt. Gemäß dieser seien die Vordenker marxistisch-kommunistischer Ideologien Juden, die sich dieser Ideologie bedienten, um ihre Kondition als Juden zu verdecken und sich gegen die vielfältige antisemitische Verfolgung zu wehren.557 Während Juden über kommunistische Organisationen die breite Masse der Bevölkerung ansprächen, würden sie sich der Freimaurerei bedienen, um die Eliten der Gesellschaft für „den jüdischen Versuch der Weltbe-herrschung“ zu gewinnen.558

Auf Basis der von Protestanten, Freimaurern, Kommunisten sowie jüdischen Glaubensgemeinschaften angeblich geteilten materiellen (Glaubens-)Grund-sätzen konstruierten konservative Politiker eine amorphe Akteursallianz aus den benannten Gruppen. El Siglo sah in der Freimaurerei „jene apokalyptische Bestie, die durch den Teufel geschaffen worden war, um Krieg gegen Gott und die Menschheit zu führen“.559 Die zunehmende liberale Widerstandsgewalt Ende der 1940er Jahre, der Mitglieder der Konservativen Partei und des Klerus zum Opfer fielen, verstärkte die Wahrnehmung der Liberalen Partei durch ihre kon-servativen Pendants als ununterscheidbar von freimaurerischen und kommunisti-schen Gruppierungen.560

Mit dem bereits erwähnten, angeblich lutherischen Gebet vermittelte der kon-servative Autor, dass Protestanten Gott, neben materiellen Gegenständen, um viele Frauen und wenige Kinder bitten würden.561 Die Unterstellung, dass Pro-testanten nicht monogam leben, mit möglichst wenig Nachkommenschaft auch nur ein möglichst geringes Maß an sozial-familiärer Verantwortung übernehmen sowie in erster Linie materielle Interessen verfolgen würden, stellte sie diametral zu den Grundsätzen der katholischen Soziallehre, der sich die Konservative Partei verpflichtet sah.

Silvio Villegas verteidigte Laureano Gómez gegen die Vorwürfe seiner politi-schen Gegner, die den zukünftigen Präsidenten Kolumbiens beschuldigten, tota-litaristischen Ideologien anzuhängen und ein diktatorisches Regime errichten zu wollen. Villegas warf den Widersachern Gómez’ vor, die Verteidigung der hispa-nischen Tradition und der katholischen Religion mit faschistischen und falan-gistischen Ideologien zu verwechseln. Gómez schütze, aus Sicht von Villegas, lediglich das hispanische Erbe Kolumbiens vor den „sächsisch-protestantischen Deformationen, vor dem dunstigen ( hiperbóreas ) Nebeln der germanischen Phi-losophie und vor dem jüdischen Totalitarismus, der jegliche marxistische Ideolo-gie speist“.562

Was genau Villegas mit den Nebeln der germanischen Philosophie meinte, lag im Auge des Betrachters, er führte diesen Punkt nicht weiter aus, aber eine nahe-liegende Vermutung ist doch, dass er sich mit diesem Bild auf die Aufklärung bezog, deren Anfänge in Nordeuropa auszumachen waren. Somit wurden aufklä-rerisch-liberale Ideale, die ihren Ursprung in dem mehrheitlich protestantischen, angelsächsischen Raum hatten und zu denen sich die Liberale Partei bekannte, und der protestantische Glaube organisch miteinander verbunden.

Alberto Rambao, Berater des Comité Latinoamericano des National Council of the Churches of Christ in the USA , erklärte, dass die Verfolgung von Protes-tanten in Kolumbien während der Amtszeit von Laureano Gómez „schlimmer als in Spanien“ sei. Die unerbittliche Jagd auf protestantische Gläubige erklärte er unter anderen mit dem Umstand, dass „ein Protestant in Kolumbien automatisch ein Liberaler ist“.563 Auch unter seinem Nachfolger im Präsidentenamt, Rojas Pinilla, beklagten US-amerikanische Vereinigungen wie die National Association of Evangelicals 1956 eine systematische Verfolgung von protestantischen Gläu-bigen in Kolumbien. Die Einschüchterungsversuche würden, so ihre Klage, von politischen Amtsträgern und der Presse geduldet oder sogar gefördert.564

Eduardo Ospina verneinte zwar, dass Protestanten und Liberale in Kolumbien gleichgesetzt würden und erklärte die angeblich religiöse Verfolgung von Pro- testanten in Kolumbien mit deren politischer Aktivität und der Einmischung von ausländischen Protestanten in innerkolumbianische Angelegenheiten. Diese poli-tische Betätigung sei seiner Ansicht nach der Grund, warum auch Protestanten Opfer in den bewaffneten Auseinandersetzungen zu beklagen hatten – nicht weil sie als Protestanten verfolgt würden. Die politische Einflussnahme bestünde, wie Ospina darstellte, in den Versuchen, auf der internationalen Ebene politischen Druck auf die kolumbianische Regierung zu erzeugen, um ihren Sturz zu errei-chen oder zumindest einen grundlegenden Richtungswechsel in der Regierungs-politik zu veranlassen.565

Die Anstrengungen, auf die innenpolitischen Entwicklungen Einfluss zu neh-men, teilten sie mit exponierten Vertretern der Liberalen Partei wie Alberto Lleras Camargo. Dieser versuchte über die Organisation Amerikanischer Staaten, deren Generalsekretär er 1948 wurde, die zunehmende Gewalt in Kolumbien vor der Weltöffentlichkeit anzuklagen, was die konservative Regierung als unstatthafte Einmischung in innere Angelegenheiten verurteilte.566 In dieser Argumentati-onslogik näherten sich Protestanten und Liberale auf einer phänomenologischen Ebene, den Versuchen der Einflussnahme über supranationale Organisationen auf innenpolitische Entwicklungen und Geschehnisse, ein weiteres Mal an – unge-achtet des Versuchs von Ospina, genau den Vorwurf der diskursiven Gleichset-zung zu entkräften.

Da viele konservative Politiker Liberale und Kommunisten nur schwerlich zu unterscheiden vermochten, entstand ein amorphes Gemenge, in dem liberale, kom-munistische oder protestantische Akteure nahezu undifferenzierbar waren. Dieses spiegelte sich auf semantischer Ebene in den Klagen von Uribe Cualla gegen die politischen Aussagen der „ evangelistas del desborde proletario “ wider.567 Mit diesen Worten beschrieb Uribe Cualla die politischen Weggefährten von Echandía in der Liberalen Partei. Während „ proletario “ auf kommunistische Gruppen und liberale criptocomunistas anspielte, konnte sich „ evangelistas “, abgesehen von den biblischen Evangelisten, auch auf die seit der República Liberal verstärkt in Kolumbien aktiven protestantischen Missionare sowie Ämter in protestantischen Kirchen beziehen.

Dass Vertreter der Konservativen Partei das Bild einer undifferenzierten Gemengelage von Liberalen, Kommunisten, Protestanten, Juden und Freimau-rern zeichneten, das auch zahlreiche Kleriker teilten, wurde in der Aussage des Administrador Apóstolico der Diözese Ibagué deutlich. Dieser erklärte im Mai 1952, dass er das Dorf Riomanso in der mehrheitlich liberalen Gemeinde Rovira (Tolima) verlassen habe, weil dort Regierungsanhänger und Konservative von Protestanten verfolgt würden. Protestantische Gläubige seien seiner Darstellung zufolge nach der Ermordung von Gaitán gegen die konservative Bevölkerung der Ortschaft vorgegangen, während sie sich gegen den katholischen Glauben aus-geprochen hätten und den Protestantismus und Kommunismus hätten hochleben lassen.568

Auch in der Berichterstattung von El Derecho spiegelte sich die Gleichset-zung von Protestanten und Kommunisten wider, die aus Sicht konservativer Poli-tiker wiederum eins mit Anhängern der Liberalen Partei waren. Die Regionalzei-tung berichtete im März 1950 über verdächtige, nächtliche Versammlungen von bewaffneten Kommunisten in Cajamarca und über die Furcht in der Gemeinde wegen der unbekannten Zielsetzungen dieser Treffen. Die Leserschaft sollte aber mit der Nachricht beruhigt werden, dass „der Katholizismus aus Cajamarca gegen den Protestantismus [als Synonym für Kommunismus, L. R.] kämpft, der die Gemeinde mit seiner häretischen Propaganda invadiert hat und die popularen Gefühle mit seinen konstanten Verletzungen und Vulgaritäten gegen die katholi-sche Religion verletzt“. Unter Führung des örtlichen Pfarrers waren die Katholi-ken mit der Identifizierung von Protestanten beschäftigt und „dank der Einheit der Katholiken und ihres felsenfesten Entschlusses, den Glauben um jeden Preis zu verteidigen, haben bereits drei protestantische Familien die Gemeinde verlassen“.569

Die Vorbehalte von konservativer Seite gegenüber protestantischen Grup-pierungen verdeutlichte sich an dem Umstand, dass der Terminus „Protestant“ in dem konservativen Diskurs einen diffamierend-delegitimierenden Charakter bekam. So erklärte El Siglo die Wahlenthaltung der Konservativen Partei während der liberalen Regierungen in der vorangegangenen Dekade der 1930er Jahre mit einem hohen Maß an moralischer Standhaftigkeit und dem aus dieser resultie-renden politisch konsequenten Handeln. Der Verzicht auf die Beteiligung an den Präsidentschaftswahlen am 27.11.1949 vonseiten der Liberalen hingegen zeuge, laut El Siglo , von dem ideologisch-doktrinärem Wankelmut einer Partei, zu deren Führung „sicherlich auch protestantische Kardinäle [sic!]“ gehören würden.570

Die Darstellung der Liberalen Partei als kommunistisch unterwandert, protes-tantisch, bzw. atheistisch, und freimaurerisch unterschied sich zwar en détail. Aber ungeachtet der unterschiedlichen Argumentationen, mit denen die Gleichsetzung von Liberalen mit Kommunisten, Protestanten und Freimaurern begründet wurde, sprachen sie allesamt das religiöse Empfinden der Gefolgschaft der Konservativen Partei an, welche die von ihr verteidigte katholische Religion durch die Liberale Partei bedroht sah.571 Die Religiosität besaß insbesondere in ruralen Räumen, dem Zentrum der vorliegenden Arbeit, ein hohes Mobilisierungspotenzial, zumal die Frage nach der Bedeutung und Stellung der Kirche in der Gesellschaft die zentrale Differenz zwischen den Traditionsparteien markierte. Die Wirkkraft dieser Mobi-lisierungsressource darf daher nicht in ihrer Bedeutung unterschätzt werden.572

2.4 Die Mitglieder der Konservativen Partei als Faschisten

Zwar bekannten sich führende Vertreter der Konservativen Partei vor dem Hintergrund der an Schärfe gewinnenden Differenzen zwischen den Vereinig-ten Staaten von Amerika und der Sowjetunion in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre, ungeachtet ihrer vorherigen Sympathien für faschistische Regimes und der anhaltenden Bewunderung für das franquistische Spanien, zu den Westmächten.573Trotz der Tatsache, dass sowohl liberale als auch konservative Politiker das süda-merikanische Land als Alliierten der USA sahen und sich in der Blockkonfronta-tion zu den Westmächten zählten, wurden die Mitglieder der Konservativen Partei in einem reziproken diskursiven Konstruktionsprozess von liberalen Politikern als Anhänger totalitärer, faschistischer Ideologien wahrgenommen. So wie die Dar-stellung die Mitglieder der Liberalen Partei als criptocomunistas durch konserva-tive Politiker eine hohe Persistenz während des Untersuchungszeitraums aufwies, lässt sich auch die Wahrnehmung konservativer Parteimitglieder als Verfechter faschistischer Theorien bis weit in den Untersuchungszeitraum nachzeichnen.

Die Plataforma Ideológica del Liberalismo erklärte in Anspielung auf ihre kon-servativen Widersacher, dass „der Liberalismus gegen die rückständigen Kräfte ( fuerzas de regresión ) kämpft, die versuchen, eine faschistische oder falangis-tische Politik in unserem Land durchzusetzen“.574 Eduardo Santos erklärte vor den Parlamentswahlen im März 1947, dass die Liberale Partei „ohne Unterlass die Samen des Nazismus, des Faschismus [und] des falangismo bekämpfen wird, die in Kolumbien unter dem seltsamsten Deckmantel ( ropaje ) fortdauern“, womit er auf die Konservative Partei anspielte.575 Salazar Ferro beklagte, dass der kon-servative Gouverneur von Boyacá den gewerkschaftlichen Zusammenschluss „Utrabo’, eine reaktionäre Organisation falangistischen Vorbilds“ unterstütze.576

El Espectador relativierte die Schuld einfacher campesinos an der sich inten-sivierenden Gewalt und nahm die Presse sowie die Führungsriege der partidos tradicionales in die Pflicht, sich mit Blick auf die politischen Anfeindungen zu mäßigen. Die rezenten Gewaltereignisse „bringen uns gegen unseren Willen, aber unausweichlich, dazu zu glauben, dass es Personen gibt, die wie der Autor von ‚Mein Kampf’ glauben, dass der konstante und regelmäßige Einsatz von Gewalt für den Erfolg wahrlich von größter Bedeutung ist“.577 Román González Varela zog ebenfalls den nationalsozialistischen Diktator für einen Vergleich heran. Er setzte in einem Schreiben an das Präsidentenamt die konservativen Politiker Ospina Pérez, Laureano Gómez und José María Villarreal mit Adolf Hitler gleich.578Und La Opinión fragte, „ob das Monster zurückkehren wird“, und warnte vor einer möglichen Rückkehr von Laureano Gómez aus seinem selbst gewählten spanischen Exil. „Der erste Vertreter des spanischen Diktators Francisco Franco“, Gómez, würde, so war die Einschätzung des Autors, die von ihm verteidigten faschistischen Praktiken umsetzen wollen, um die politische Macht im Land an sich zu reißen.579

In einem Flugblatt, das vor dem Amtsantritt Gómez’ beschlagnahmt wurde und an den liberalen Lokalpolitiker Ernesto Lucena Bonilla und Rafael Parga Cortés adressiert war, wurde der neue Präsident Kolumbiens als „falangistisches Monster [und] Repräsentant Francos“ bezeichnet. Die Autoren des Schriftstücks beschrie-ben die politischen Auseinandersetzungen als „Endschlacht“ und verdeutlichten auf diese Weise, dass die Dichotomisierung der sozialen Realität , die von der nationalstaatlichen Ebene ausging, ihren Niederschlag auch auf der lokalen Hand-lungsebene gefunden hatte.580

Die Wahrnehmung des politischen Gegenübers als faschistisch inspirierte Grup-pierung bezog sich auf den Umstand, dass sich in den 1930er Jahren innerhalb der Konservativen Partei politisch rechte Fraktionen als Reaktion auf die Reformpro-gramme der Revolución en Marcha – und die damit gestiegene populare Mobi-lisierung – herausgebildet hatten.581 Diese hatten, zusammen mit dem exponier-ten Vertreter der Konservativen Partei in den 1940er Jahren, Laureano Gómez, während des Zweiten Weltkrieges mit den Achsenmächten sympathisiert.582 La Opinión nannte Gómez den „zweiten Franco“ bzw. den „Emissär des Diktators Spaniens“.583 Die liberale Regionalzeitung sah Gilberto Alzate Avendaño, den rechtskonservativen dirigente conservador aus Caldas, als Kandidaten, der sich an die Spitze einer nach spanischen Vorbild organisierten falange stellen würde, sollten sich die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Kon-servativen weiter intensivieren.584 Wenige Tage zuvor hatte La Opinión bereits konstatiert, dass Tolima, das sich lange Zeit „im Rahmen der Vernunft ( cordura ) und einer gesunden sozialen Ordnung“ bewegt habe, unter „die Herrschaft der falangistischen Barbarei“ gefallen sei.585

Juan de Jesús Franco, der ab 1949 den liberalen, bewaffneten Widerstand in Urrao (Antioquia) anführte, sah sich gegen die „Falange“ kämpfend, wie er im Juli 1953 an den Militärgouverneur von Antioquia schrieb.586 Beunruhigung hatten die „ungeschickten ( torpe ) und unverantwortlichen“ Aussagen des Heraus-gebers der Tageszeitung Eco Nacional , die von Alzate Avendaño gegründet wor-den war, hervorgerufen, denen zufolge der offene Bürgerkrieg eine Lösung für den politischen Machtkampf zwischen Liberaler und Konservativer Partei darstel-le.587 Und Echandía erinnerte warnend an die „Zustimmung des Herrn Gómez zu den Idealen der antidemokratischen Nationen in der jüngeren Vergangenheit“, das heißt an seine Sympathien für die faschistischen Regimes während des II. Welt- krieges.588

Das Wohlwollen, das Gómez den faschistisch-totalitären Kräften in Europa entgegengebracht hatte, diente als Fundament, auf dem liberale Politiker in der Folge eine diskursive Gleichsetzung von Konservativen und faschistischen Grup-pierungen vornahmen. Auch über El Siglo , dem Sprachrohr der laureanistas , hatte der rechte Flügel der Konservativen Partei seine Sympathien für die faschistisch-falangistischen Bewegungen in Europa bekundet.589 Als „diskursiver Höhepunkt“ der Verlautbarungen, welche die Differenzen zwischen Konservativen, Faschisten und falangistas tilgten, muss das Spätjahr 1949 bezeichnet werden, als die Regie-rung Ospina Pérez den Ausnahmezustand verhängte, die legislativen Vertretun-gen schloss und eine landesweite Pressezensur etablierte. Ungeachtet dessen ließ die Regierung Ospina Pérez wenige Wochen später die Präsidentschaftswahlen unter dem Estado de Sitio durchführen, aus denen Laureano Gómez als Sieger hervorging.

Im Oktober 1949 warf Lleras Restrepo dem Flügel der laureanistas vor, de facto eine faschistische Bewegung begründet zu haben:

Der liberale Präsidentschaftskandidat Echandía bezeichnete, nachdem die Ent-scheidung über die Wahlenthaltung getroffen war, Gómez als „den Kopf einer fünften Nazi-Kolonne“, der Mehrheitsentscheidungen erst dann akzeptiere, wenn qua Gewalt sichergestellt sei, dass sich die Mehrheiten nicht frei hatten konstitu-ieren können. Er warf dem zukünftigen Präsidenten Kolumbiens vor, Gewalt als legitimes Instrument in politischen Auseinandersetzungen zu verteidigen. Seine rhetorischen Rechtfertigungen politisch motivierter Gewalt hätten sogar im Kon-gress zu physischer Gewalt geführt, der die liberalen Abgeordneten Jorge Soto del Corral und Gustavo Jiménez zum Opfer gefallen waren.591

Um die Mehrheiten vor ihrer Konstituierung sicherzustellen, greife die Kon-servative Regierung, wie El Tiempo klagte, auf die Einschränkung bürgerlicher Freiheitsrechte wie der Presse- und Versammlungsfreiheit zurück und widerspre-che anderslautenden Erklärungen des Kanzlers Arango. In unmissverständlicher Anspielung auf die politische Polizei des Dritten Reiches beklagte die liberale Tageszeitung, dass „eine finstere Gestapo ( siniestras gestapos )“, die mit dem Vorsatz der Repression liberaler politischer Aktivität organisiert worden sei, im ganzen Land die Mitglieder der Liberalen Partei verfolge.592 Die liberalen Abge-ordneten verurteilten „vor dem demokratischen Gewissen der freien Menschen, die in Amerika und der Welt die grundlegenden Freiheiten verteidigen“, die zunehmende Gewalt gegen Liberale, womit sie einmal mehr ihr Bekenntnis zu demokratischen Grundprinzipien unterstrichen. Sie erklärten, dass die Regierung Ospina Pérez einen Unterdrückungsapparat aufgebaut habe, der charakteristisch für „Gewaltregimes ( gobiernos de fuerza ), die sich an den Praktiken des Faschis-mus und dem internationalen falangismo orientieren“, sei.593

Laureano Gómez hatte liberalen Politikern und ihrem Vorwurf an die laurea- nistas , dass sie sich demokratischen Prinzipien nur bedingt verpflichtet fühlten, gewissermaßen eine Argumentationshilfe gegeben. Des Öfteren hatte er parlamen-tarische Mehrheitsentscheidungen als die „Diktatur der Hälfte plus eine [Stimme, L. R.]“ verurteilt.594 Gómez hielt mehrheitsdemokratische politische Systeme für nicht ausreichend gefestigt, um radikalen politischen, kommunistischen Projek-ten Einhalt zu gebieten. Er tendierte zu korporatistisch verfassten Politiksyste-men nach franquistischem Vorbild, die er während seiner Präsidentschaft auch in Kolumbien zu etablieren versuchte.595 Des Weiteren verteidigte er physische Gewalt in politischen Auseinandersetzungen als „unerschrockene Aktion ( acción intrépida )“.596 Insbesondere als sich die zweite Amtszeit von López Pumarejo anbahnte, rechtfertigte er sogar Attentate als Akt der Notwehr ( defensa legítima ).597Und Silvio Villegas plädierte schon in den 1930er Jahren dafür, die Liberale Par-tei mit „ihren eigenen Mitteln“598, der physischen Gewalt, zu schlagen, da der massive Wahlbetrug keine anderen Handlungsweise, aus seiner Sicht, zulasse. In seinem Werk – mit dem vielsagenden Titel No hay enemigo a la derecha – rief Villegas dazu auf,

Bezüglich der Entscheidung der liberalen Mehrheit in den legislativen Körper-schaften, die Wahlen auf den 27. November 1949 vorzuziehen, befand Gómez, dass das „Dogma der Hälfte plus eine [Stimme, L. R.]“ nicht jedwedem politi-schen Vorgang Legitimität verschaffen könne. Ungeachtet des legalen Anstrichs der Entscheidung – immerhin hatte die Corte Suprema die Entscheidung gebilligt – habe sie „einen die soziale Ethik auflösenden Charakter [… und sei] eine mora-lische Unmöglichkeit“.600

Nicht nur die Person Laureano Gómez hatte offenkundige Vorbehalte gegen die Legislative. Der Innenminister Andrade wandte sich am 30. September 1949 an die Vorsitzenden der Asambleas Departamentales , um sie zu gemäßigter poli-tischer Aktivität aufzurufen, damit die öffentliche Ordnung nicht gestört würde. Sein Anliegen begründete er mit dem „ausschließlich administrativen Charak-ter“, den die legislativen Vertretungen seiner Ansicht nach hätten.601 Wie das Zitat zeigt, wurde die Legislative von ihm nicht als konstitutives Element okzidental geprägter Demokratievorstellungen, sondern als eine der politischen Exekutive untergeordnete Verwaltungseinrichtung gesehen.

Ungeachtet der Sympathien für faschistische Ideologien, die Teile der Konser-vativen Partei geäußert hatten, verteidigten sich ihre Repräsentanten gegen den Vorwurf, totalitären Politikvorstellungen anzuhängen. Der Directorio Nacional Conservador erklärte wegen der „tendenziösen Kampagne, die anlässlich der gegenwärtigen Präsidentschaftswahlen im Inland und im Ausland geführt wird“, dass sie seit ihrer Gründung Mitte des 19. Jahrhunderts die Demokratie und die bürgerlichen Freiheiten verteidige.602 Explizit nahm die konservative Parteifüh-rung Laureano Gómez gegen die Vorwürfe in Schutz, da dieser im Laufe seines politischen Werdegangs zur Genüge sein Bekenntnis zu demokratischen Prinzi-pien unter Beweis gestellt habe.603 Weil Kolumbien ein Rechtsstaat sei, in dem die Rechte der politischen Opposition gewahrt würden, war es aus Sicht der konserva-tiven Abgeordneten „unmöglich zu behaupten, dass es sich [bei der konservativen Regierung, L. R.] um ein faschistisches oder falangistisches Regime handele“.604

Mariano Ospina Hernández, ein Journalist, der in El Derecho aus Ibagué ver-öffentlichte, gestand zumindest ein, dass es in der Konservativen Partei Gruppie-rungen gab, die faschistischen Ideologien anhingen. Er bedauerte, dass sich einige Mitglieder besagter Partei noch immer nicht des „unendlichen Unterschiedes, der die faschistische Ideologie von der konservativen Ideologie trennt“, gewahr geworden seien. Der offiziellen Selbstdarstellung der Konservativen Partei fol-gend „ist ein wahrer Konservativer gleichzeitig ein wahrer Christ“ und somit könne er keinen faschistisch inspirierten Staat, der sich selber über den Men-schen, das Ebenbild Gottes, stellt, gutheißen.605

Silvio Villegas verteidigte Gómez gegen die Darstellung seiner Person „als Schüler von Hitler, Mussolini und Franco“. Villegas’ Meinung zufolge bedürfe die Konservative Partei keinerlei ideologischer Anleihen bei den „Helden der Falange ( próceres de la falange )“.606 El Siglo erinnerte daran, dass es Laureano Gómez gewesen sei, der in den 1930er Jahren gegen faschistische Tendenzen in den Jugendorganisationen der Konservativen Partei gekämpft habe, als sich in Europa faschistische Regimes etablierten und es Bemühungen gab, ähnlich gela-gerte Gruppierungen auch in Kolumbien zu gründen.607 Den Vorwurf, dass die Konservative Partei eine faschistisch inspirierte politische Gruppierung sei, ver-suchten ihre Anhänger zu entkräften, indem sie auf ihr christliches Fundament verwiesen. Dieses war für sie unvereinbar mit totalitären Ideologien. El Derecho sah in dem politischen Fundament der Konservativen Partei, das auf der christ-lichen Lehre – der Directorio Nacional Conservador sprach von der „Moral des Christentums und seinen zivilisierenden Doktrinen“608 – basiere, nicht nur einen quasi-natürlichen Widerspruch zu kommunistischen, sondern auch zu faschisti-schen und nationalsozialistischen Ideologien.609

Mitte der 1950er Jahre, als die Regierung Gómez bereits abgesetzt worden war, wehrten sich konservative Periodika weiterhin gegen die Gleichsetzung mit faschistisch inspirierten Gruppierungen. Dieser Umstand macht deutlich, dass die Darstellung der Konservativen Partei als Apologeten faschistischer Ideologien eine gewisse „Tiefe“ und Beständigkeit hatte. Die Tageszeitung Diario de Colom- bia – wie Eco Nacional von Alzate Avendaño gegründet – plädierte vor dem Hin-tergrund des erneut steigenden Gewaltpegels für eine genaue und ergebnisoffene Untersuchung der Ursachen der Gewalt. Der Journalist der Tageszeitung, Dario Vera Jiménez, verteidigte die Notwendigkeit, „den wahren Grund des Übels“ herauszufinden.610 So sollte von „verkürzten Interpretationen ( interpretaciones caseras ) unglaublicher Einfältigkeit wie jener, nach der der spanische falangismo die Schuld an der Gewalt in Kolumbien trägt“, Abstand genommen werden.611

155

3 Schutz der Zivilisation vor der um sich greifenden Barbarei

Die Dichotomisierung der sozialen Welt zwischen den beiden partidos tra- dicionales beschränkte sich allerdings mitnichten lediglich auf den ideologisch-programmatischen Bereich, das heißt die Gegenüberstellung von Liberalen und Konservativen sowie die Gleichsetzung von Liberalen und Kommunisten auf der einen Seite, von Konservativen und Faschisten auf der anderen. Neben der Her-ausbildung von politischen Antipoden, Faschismus versus Kommunismus, wurde in den Diskursen der Traditionsparteien der Gegensatz zwischen Zivilisation und Barbarei wiederbelebt. Diese Kontrastierung bildete sich in Lateinamerika im Zuge der europäischen Eroberung entlang ethnischer Unterschiede zwischen der indigenen Bevölkerung des „entdeckten“ Kontinents und den europäischen Eroberern aus: „Die Dichotomie von ‚Zivilisation und Barbarei‘ repräsentiert ein Denkprinzip, das seit den Anfängen der spanischen Eroberung als grundlegendes Element der Kolonisation bezeichnet werden kann“.612

Mary Roldán hat für Antioquia herausgearbeitet, wie auch die Violencia in die-sem departamento von Zeitgenossen aus einer ethnisierten Perspektive verstanden wurde bzw. inwiefern die Ethnisierung des politischen Gegners die Gewalt gegen diesen konditionierte. Die europäischstämmige, mehrheitlich weiße Bevölkerung Zentralantioquias sah sich als zivilisiert, modern und Trägerin des wirtschaftli-chen Wachstums sowie Fortschritts. Der negriden und indigenen Bevölkerung der rezent besiedelten Regionen in der Peripherie Antioquias wurden hingegen Eigenschaften der Unzivilisiertheit, Unmoral und Lüsternheit zugeschrieben, die eine Gefahr für die (konstruierte) Regionalidentität ( antioqueñidad ) darstel-len würden.613 Roldán zeigt auf, dass die Violencia nicht nur durch Faktoren wie die gegensätzlichen Parteiidentitäten bedingt wurde, sondern auch die „weiße“ Regionalidentität Zentralantioquias mit ihren Attributen der Moderne, des Fort-schritts, Zivilisiertheit gegen Indigene und (afrokolumbianische) costeños , die sich der Sozialordnung Antioquias nicht unterordnen wollten und sich nicht in das identitäre Schema einordnen ließen, verteidigt werden sollte.614

Ein ähnlicher Befund bezüglich der Opposition Zivilisation-Barbarei oder ethnisierter Diskurse wurde Regionen übergreifend bzw. für andere, ebenfalls massiv von der Gewalt betroffene departamentos wie Tolima noch nicht syste-matisch herausgestellt. Vereinzelt wurden jedoch der Phänotyp und der ethnische Hintergrund von Politikern genutzt, um deren politische Ambitionen zu desavou-ieren.615 So waren im Präsidentschaftswahlkampf 1946 ethnisierte Diffamierun-gen der um das höchste politische Amt im Lande konkurrierenden Politiker zu beobachten. Der offizielle Kandidat der Liberalen Partei Gabriel Turbay wurde ob seiner libanesischen Herkunft als „Türke ( turco )“ diffamiert, während die Wider-sacher Gaitáns versuchten, ihm durch die despektierliche Bezeichnung als „der Schwarze“ oder als Mulatte politische Unterstützung zu nehmen.616

Die Politik der Liberalen Partei in Norte de Santander zeugte aus Sicht konservativer Politiker davon, dass die mehrheitlich liberale Bevölkerung des departamento aus „Kaffern, ignoranten Mulatten und Leuten ohne zivilisierte Prinzipien“ bestehe.617 Auch Lázaro Espinosa versuchte, das politische Gewicht Gaitáns durch einen pejorativen Vergleich mit der indianischen Bevölkerung des Landes zu schmälern, der rationale Eigenschaften und Reflexivität abgesprochen wurden:

Juan Lozano sah das passive Verhalten Gaitáns während eines Streiks 1947 als Beweis für seine „ malicia indígena “.619 Und Pedro Luis Ramírez sah sich bemü-ßigt, in El Siglo Aspekte zu veröffentlichen, die Gaitán, der „Reden schwingende Indigene ( indígena conferenciante )“, in seiner Ansprache in Cucutá nicht erwäh-nen würde.620

Die Wahrnehmung bzw. die zeitgenössische Diffamierung von Gaitán als „schwarz“, „mulattisch“ oder „indigen“ wurde dadurch begünstigt, dass auch Gaitán nicht frei von einer ethnischen Dimension in seiner Deutung politischer Realitäten war. In seiner Sichtweise bildeten mestizische Kolumbianer mit einem dunklen Phänotyp den pueblo , als dessen Vertreter sich Gaitán sah und den er der „weißen“ Oligarchie oder dem país político gegenüberstellte.621 Nicht wenige Kreise der Liberalen Partei teilten mit der Konservativen Partei die „ethnischen Vorbehalte“ gegen Gaitán und seine Gefolgschaft.622

Ungeachtet des sporadischen Charakters und des nicht systematischen Gebrauchs dieser ethnisierten politischen Semantiken lässt sich zeigen, dass evolutionistische Auffassungen von Gesellschaft und Entwicklung deutlichen Einfluss auf die Definition des politischen Gegners und das Verständnis sowie die Ausübung von Gewalt hatten. Im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert hatten evolutionistische Theorien großen Einfluss auf nahezu alle Wissenschafts-disziplinen ausgeübt – nicht nur auf die Ethnologie und Anthropologie.623 Auch das Prisma führender Politiker der partidos tradicionales und parteinaher Mei-nungsmacher wie Journalisten und Kommentatoren, durch das sie die soziale und politische Realität betrachteten, war stark geprägt von evolutionistischen Theo-rien der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diese verteidigten die These, dass alle Kulturen, unabhängig ihrer geographischen Verortung und ihrer kulturellen, sozialen und politischen Spezifika, die gleichen Entwicklungsstufen im Lauf ihrer Evolution durchlaufen würden. Dabei wurden eine Logik und eine Vernunft in allen menschlichen Gemeinschaften als gültig erachtet. Oder wie es Lewis H. Morgan 1878 formulierte:

Die evolutionistischen Theorien des späten 19. Jahrhunderts gingen aber kei-neswegs von einer gradlinigen, stets progressiven Entwicklung menschlicher Gemeinschaften aus. Vielmehr wurde, ungeachtet der in der diachronen Perspek-tive beobachteten Fortschrittstendenz, eingeräumt, dass Stagnationen und sogar Rückschritte in der Entwicklung die Regel seien. Die These, dass Evolution durchaus auch temporäre Rückschläge einer allgemeinen Entwicklungstendenz implizieren konnte und Variationen in den Entwicklungsstadien menschlicher Gemeinschaften möglich waren, wurde allerdings in der anthropologischen Pra-xis des frühen 20. Jahrhunderts oftmals ignoriert. In der Regel wiesen die empiri-schen Studien der Ethnologen, die betonten, dass die Entwicklung unterschiedli-cher Kulturen nicht unilinear verlaufen muss, nicht jene Differenziertheit auf bzw. widersprachen ihren eigenen theoretischen Prämissen.625

Das Gegensatzpaar Zivilisation und Barbarei, dem ursprünglich eine ethnische Differenz zugrundelag, wurde im Untersuchungszeitraum dabei von radikalen Vertretern der Traditionsparteien auf den als fundamental und absolut wahrge-nommenen Unterschied zwischen Liberalen und Konservativen übertragen und im Zuge dieser Übertragung von seiner ursprünglichen ethnischen Konnotation gelöst. Mitte des 20. Jahrhunderts widersprachen die politischen Praktiken und die konstant zunehmenden Gewalthandlungen dem Selbstverständnis der Par-teien einerseits, ihrer Vorstellung sozialer, kultureller und politischer Entwick-lung andererseits. Die gegenseitige Wahrnehmung der Anhänger der Traditions-parteien als Barbaren verdeutlicht das evolutionistische Gesellschaftsmodell, das im Untersuchungszeitraum unter weiten Teilen des politischen Establishments und der Bevölkerung vorherrschte. Diesem folgend entwickeln sich menschliche Gemeinschaften von einfach strukturierten Kollektiven mit wenig stark ausge-prägter Strukturierung zu komplexen, ausdifferenzierten Gesellschaften.626 Die steigende Gewaltintensität, für die in dem jeweiligen diagnostic frame einzig und allein der politische Gegner verantwortlich gemacht wurde, wurde als Beweis für seinen rückständigen und unzivilisierten Charakter gewertet. Die partidos tra- dicionales sahen sich selbst, jede mit ihrem distinktiven politisch-ideologischen Hintergrund, wiederum als Trägerinnen von Kultur und Zivilisation.

Panorama blickte 1957, kurz nachdem die Konservative und die Liberale Partei mit geeinten Kräften Rojas Pinilla abgesetzt hatten, auf die rezenten gewaltsamen Auseinandersetzungen in Kolumbien zurück. Den Ursprung der Violencia außer Acht lassend beschwor der liberale Kommentar, im Überschwang des Frente Civil , die Größe und Bedeutung der beiden Traditionsparteien, welche dazu bei-getragen hätten, „die Struktur der Republik zu formen, und ihren zivilisierenden Einfluss [auf den pueblo , L. R.] ausgeübt haben“.627

Von dem zivilisierenden Einfluss beider Traditionsparteien war aber wenige Jahre zuvor nicht die Rede gewesen. Bis zur Einrichtung des Frente Nacional in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre beanspruchten weite Teile der Liberalen und der Konservativen Partei für sich allein, Fortschritt und Entwicklung zu reprä-sentieren und den bis dato erreichten Grad der Zivilisation gegen die Barbarei zu verteidigen, die der politische Widersacher in der subjektiven Wahrnehmung verkörperte.628

3.1 Die liberalen Barbaren bedrohen die Konservative Partei

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 1946 zeichneten sich konservative Politiker durch einen im Vergleich zum späteren Untersuchungszeitraum betont wenig aggressiven Wahlkampf aus. Indem der gespaltenen Liberalen Partei, die zwei Kandidaten für die Wahl zum Staatsoberhaupt aufstellte, nicht ein von den beiden Flügeln geteiltes aggressives Feindbild geboten wurde, sollte verhindert werden, dass sie sich im letzten Moment doch noch auf einen gemeinsamen Kan-didaten einigen würden. Auch aus diesem Grund lobte El Siglo die Bemühun-gen von Lleras Camargo, (gewalt-)freie und faire Präsidentschaftswahlen 1946 zu garantieren, denn „wir dürfen nicht zurückschreiten in die Barbarei und die Zivilisation“.629

Nach dem Wahlsieg der Konservativen Partei hingegen verschärfte sich der poli-tische Diskurs gegenüber den liberalen Konkurrenten um die politische Macht. In den verbalen Auseinandersetzungen verdeutlichte sich die evolutionistische Vor-stellung konservativer Politiker, dass sich die Gesellschaft von einem primitiven (Ur-)Zustand zu einer zivilisierten, kultivierten Gemeinschaft entwickelte – und die es gegen die politischen Gegner zu verteidigen galt. Ospina Pérez mahnte – die Liberale Partei und die anstehenden Legislativwahlen im März 1947 im Blick – vor dem Hintergrund der steigenden politischen Gewalt an, dass politi-sche Veranstaltungen nicht in „Schauplätze der Barbarei, die einer, wie der uns-rigen, Demokratie unwürdig sind, degenerieren dürfen“.630 Urheber der von dem Staatspräsidenten angeklagten Barbarei seien die Anhänger der Liberalen Partei. Denn die Konservative Partei sei, in den Augen von Laureano Gómez, der für die Mehrheit der konservativen Parteimitglieder sprach, der „Meister ( campeón ) der Sicherheit und Anführer ( adalid ) der Zivilisation gegen die Barbarei“.631 Und der Directorio Nacional Conservador verwies auf die beanspruchten Fundamente konservativer Politik, „die Moral des Christentums und seine zivilisierenden Dok-trinen gegen die Unmoral und die korrumpierenden Doktrinen des Materialis-mus und Atheismus“.632 In anderen Worten hieß dies, dass konservative Politiker der Überzeugung waren, die kolumbianische Zivilisation gegen die Fundamente liberaler Politik verteidigen zu müssen.

Nach dem Wahlsieg von Gómez in den Präsidentschaftswahlen im November 1949, von denen sich „die verwirrte Liberale Partei“ enthalten hatte, lobte El Siglo den demokratischen Charakter des Urnengangs und die Sicherheiten, die Ospina Pérez auch dem politischen Konkurrenten eingeräumt habe. „Die liberalen Prima-ten“ hätten sich, wie El Siglo betonte, aus freien Stücken dazu entschieden, nicht zu dem politischen Kräftemessen anzutreten.633 Eco Nacional wiederum bemühte das Bild der „unzivilisierten Wilden“ aus Nordamerika, um den politischen Geg-ner und die steigende Gewaltintensität zu beschreiben. Die Zeitung berichtete über den Tod eines jungen Konservativen in Norte de Santander, der „barbarisch [von] vier liberalen Apachen“ erstochen worden sei.634 Und der Directorio Departamen- tal Conservador Tolimas protestierte gegen das Attentat auf den Gouverneur Toli-mas Francisco González Torres und den Sohn des Interimspräsidenten Roberto Urdaneta Arbeláez im Frühjahr 1952 in Nordtolima. Sie beschuldigten die libera-len Urheber des Angriffs auf die Politiker, „moderne Vandalen“ – das Sinnbild eines wilden und unzivilisierten Volkes – zu sein. Selbst aus dem entfernten Bar-rancabermeja bekundete der Directorio Municipal das Warten auf Befehle und die Bereitschaft, gegen die „liberale Barbarei“ vorzugehen.635

Die Wahrnehmung der Liberalen als Relikte aus einer, durch das evolutionis-tische Prisma betrachtet, längst von der Entwicklung und dem Fortschritt über-holten Epoche verdeutlicht sich ebenfalls an der Beschreibung der Liberalen als chaotische Gruppierung ohne innere Struktur und Organisation. Vor den Präsi-dentschaftswahlen 1946 lobte El Siglo die Bemühungen Gaitáns um eine mora-lische Erneuerung des politischen Systems und der Gesellschaft. Aber der Kom-mentator erinnerte daran, dass „das Erscheinungsbild [der Bewegung Gaitáns, L. R.], dem Pöbel ( turba ) gleichend, die Reinheit der politischen Intentionen trübt“.636 Aber nicht nur die einfache Gefolgschaft Gaitáns stelle die turba dar. Die Versuche Gaitáns, als er bereits den Vorsitz der Liberalen Partei innehatte, die Kompetenzen der Exekutive zugunsten der Legislative zu beschneiden, würden, in der Meinung konservativer Politiker, das Ziel verfolgen, dass der Präsident in Zukunft „das Gesindel“ für die Besetzung von Posten um Zustimmung fragen müsse.637 Konservative Abgeordnete sahen in liberalen Parlamentariern, die zu einem großen Teil aus derselben sozialen Schicht wie sie selber stammten, allein wegen der von ihnen vertretenen politischen Prämissen Gesindel . Ähnlich argu-mentierte der Korrespondent von Eco Nacional in Ibagué. Die Asamblea Depar- tamental hatte im Zuge der Resistencia Civil 300 Posten der Polizei Tolimas abge-schafft. Dem Journalisten zufolge würden die liberalen Abgeordneten mit dieser Maßnahme den „bösartigen Strauchdieben ( hampones ) dieser Partei das Feld für alle Formen von Verbrechen öffnen“ wollen.638

Die zivilisierenden Lehren der christlichen (katholischen) Religion machten in der Selbstdarstellung der Konservativen Partei den zentralen Unterschied zu ihren liberalen Pendants aus. Wie oben dargestellt wurde, räumten konservative Politiker, unter anderem wegen ihrer Treue zu katholischen Lehren und dem katholischen Fundament ihrer politischen Betätigung, der Familie eine expo-nierte, gesamtgesellschaftliche Bedeutung ein. Daher würden die Angriffe libera-ler Kombattanten auf die Heimstätten konservativer Familien für die konservative Regionalzeitung El Derecho einen nicht gekannten Tabubruch und „ein deutli-ches Zeichen der Barbarei und Ruin ( merma ) unserer Kultur“ darstellen.639 Silvio Villegas sprach sich gegen die expandierende, politische Gewalt aus und erinnerte an „die erhöhten menschlichen Gefühle, die keine christliche Gesellschaft mis-sachten darf, ohne zum Heidentum und der Barbarei zurückzukehren“.640 Prakti-ken der Folter und die Vergeltung qua Gewalt erklärte er unter Rückgriff auf den italienischen Rechtsphilosophen Cesare Beccaria zu „verurteilenswerten Relikten ( heces ) aus barbarischen Jahrhunderten“.641

Der Comité Municipal Conservador der Gemeinde Espinal in Tolima protes-tierte gegen die Gewalt von Liberalen, „die mit ihren perversen Instinkten die Stadt in einen Bereich der fehlenden Kultur und Wildheit ( salvajismo ) verlagern“.642Das Massaker, welches das „liberal-kommunistische Pack ( chusma liberal-comu- nista )“ – man beachte die erneute Betonung einer liberal-kommunistischen Hand-lungsallianz – an wehrlosen konservativen campesinos in Playarrica (Tolima) ver-übt habe, war für El Derecho kein Einzelfall. Vielmehr stelle es einen Teil der „Welle der Wildheit ( salvajismo ) und Barbarei“ seiner liberal-kommunistischen Urheber dar.643

Der konservative Kongressabgeordnete Manuel J. Betancourt kritisierte die Oppositionspolitik der Liberalen Fraktion, die Resistencia Civil , als „teils ver-deckte, teils unverfrorene Subversion gegen die rechtliche Ordnung, mit der erreicht werden soll, dass Kolumbien unter den Nationen der Erde den Ruf als zivilistisches und demokratisches Land verliert“.644 Ähnlich drückte sich El Siglo aus: die Zeitung sah in der Welle politisch motivierter Morde, die von Liberalen an Mitgliedern der Konservativen Partei verübt wurden, eine Gefahr für das Ansehen des Landes: „Die Morde mit […] politischem Vorwand vergiften weiterhin das nationale Ambiente und ihr progressiver, ansteigender Rhythmus zerstört unsere Reputation als kultiviertes Volk ( pueblo culto )“.645 Die in der Frühphase der Vio- lencia noch regional begrenzte Verhängung des Ausnahmezustandes sah El Siglo als Folge der von den Anhängern der Liberalen Partei ausgehenden Gewalt und der „Barbarei der gaitanistas ( barbarie gaitanista )“.646

Der ministro de guerra Bernal bekundete Mitte 1952, dass die Gewalt seit den Aufständen nach der Ermordung Gaitáns am 9.4.1948 und „die Zahl der Todesop-fer, die haarsträubenden Verstümmelungen, die zerstörten Heimstätten, in Brand gesetzten Häuser […] kaum in einem zivilisierten Volk zu verstehen sind, […] das sich weiterhin christlich nennt“.647 Das sich ungeachtet aller anderslautenden Appelle herausbildende „Klima der extremen Gewalt […] umgab die politische Aktivität mit unkontrollierbaren Umständen der Barbarei, die unsere Reputa-tion als demokratisches und friedliches Volk beflecken“.648 Vier Jahre später war jedoch nur noch zu konstatieren, dass jenen Aufrufen und Versuchen, das Ansehen Kolumbiens durch die Eindämmung der Gewalt zu retten, keine Erfolge beschie-den waren. Der Consejo Administrativo del Tolima verurteilte die sich gegen Ende des Jahres 1954 erneut intensivierenden Gewalttätigkeiten in Tolima und dem benachbarten Caldas, „die uns vor den Unsrigen und den Ausländern als ein Land der Barbaren darstellen“.649

Der Diskurs von Fraktionen der Konservativen Partei betonte den histori-schen Charakter des barbarischen und unzivilisierten Charakters der Anhänger der Liberalen Partei. In der Sichtweise von El Siglo sei bereits 1930 „die Aus- löschung der Konservativen Partei mittels der Barbarei dekretiert“ worden, womit sich der konservative Kommentator auf die Gewalt bezog, zu der es im Zuge des Regierungsantritts von Olaya Herrera gekommen war.650 Die Gewalt stellte aus konservative Blickwarte immer noch ein Mittel dar, das Liberale über zwei Jahrzehnte später gegen die Konservative Partei einsetzen würden: El Derecho berichtete von der sich intensivierenden Gewalt in Osttolima, der in erster Linie Polizeibeamte und Beamte der lokalen Verwaltung zum Opfer fielen. Die Miss- achtung des von der Konservativen Partei verteidigten Autoritätsprinzips und der fehlende Respekt gegenüber den staatlichen Sicherheitskräften würden davon zeugen, dass „sich die liberale Barbarei ausbreitet“.651 Die zunehmende Gewalt gegen Ende der 1940er Jahre sahen konservative Politiker den „barbarischen und brutalen Instinkten“ der Anhänger der Liberalen Partei geschuldet.652 Den Verlust der Achtung vor dem menschlichen Leben anklagend begrüßte El Siglo den, ver-glichen mit den letzten Monaten des Vorjahres, Rückgang der Gewalt im Frühjahr 1950. Dessen ungeachtet müsse aber eingestanden werden, dass noch „Herde der Barbarei ( brotes de barbarie )“ existierten.653

3.2 Die konservative Barbarei: Gefahr für die kolumbianische

Zivilisation

Vertreter der Liberalen Partei sahen in der steigenden Gewalt gegen Anhänger der Liberalen Partei ebenfalls einen Widerspruch zu einer zivilisierten, moder-nen Gesellschaft, respektive als Ausdruck des vormodernen, unzivilisierten und barbarischen Charakters des politischen Gegners. Ismael Santofimio Trujillo, ein liberaler Lehrer aus der cabecera departamental Tolimas, verwunderte der Mord an dem liberalen Parteivorsitzenden Gaitán wegen der aggressiven Politik kon-servativer dirigentes nicht, denn „die Konservativen zivilisierten sich nicht“, wie er vor Gericht zu Protokoll gab.654 Seiner Meinung nach sei mit dem Regierungs-antritt von Ospina Pérez „das Land um 150 Jahre zurückgeworfen worden“ und der Mord an Gaitán – er beschuldigte Anhänger der Konservativen Partei, Gaitán getötet zu haben – sei ein „Verbrechen aus der Höhle“ gewesen.655 Mit dieser Metapher spielte Santofimio Trujillo auf den unzivilisierten Charakter der konser-vativen Parteimitglieder an, der dem steinzeitlicher, in rudimentären Unterkünf-ten wie Höhlen lebender Menschen ähnelte.

Der am 9.4.1948 ermordete Gaitán selber hatte seine Gefolgschaft aus Boyacá und Norte de Santander in der Frühphase des Untersuchungszeitraums als Opfer der von staatlichen Stellen und Anhängern der Konservativen Partei ausgeübten Barbarei gesehen.656 Wie Gaitán zu bedenken gab, „beschädigt [die um sich grei-fende Gewalt] die Ordnung der gesamten Nation schwer und schadet dem Prestige als organisierte Demokratie, als zivilisierte und kultivierte menschliche Gemein-schaft, das wir so schwerlich vor den übrigen Ländern erlangt hatten.“657 Sich um das Ansehen Kolumbiens vor der internationalen Staatengemeinschaft als zivili-sierter und moderner Staat sorgend fürchtete El Espectador wegen der sich inten-sivierenden Gewalt gegen die Liberale Partei, dass die kolumbianische Bevölke-rung „erneut als primitiver Stamm angesehen wird, der sich nur der Befriedigung seiner tiefsten Instinkte und Passionen hingibt“.658

Der Bruder des ehemaligen Präsidenten Santos, der als einer der bekanntesten politischen Kommentatoren von El Tiempo unter dem Pseudonym Calibán veröf-fentlichte, deutete die von Konservativen und von unter Alkoholeinfluss stehenden Polizisten, die ihres Amtes nicht würdig waren („ polizontes ebrios “), ausgehende Gewalt als „Rückschritt in die schlimmsten Epochen der Unsicherheit und Barba-rei“.659 Tunja, im departamento Boyacá gelegen und Epizentrum der politischen Gewalt in der Frühphase des Untersuchungszeitraums, habe sich ihm zufolge in „eine kleine Siedlung ( aduar ), die von Beduinen beherrscht wird, verwandelt“.660Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken forderte Calibán die Ersetzung „der Horden von Barbaren, die sich Boyacás bemächtigt haben, durch unparteiische, aufrichtige und ehrenwerte Autoritäten“.661 Die Gewaltereignisse, unter anderem in Boyacá, „werfen einen Schatten auf das Prestige unserer Demokratie und ver-lagern uns in Epochen der rohesten Wildheit ( más crudo salvajismo )“, wie ein in El Mundo veröffentlichender Journalist zu bedenken gab.662 Die sich generalisie-rende Gewalt im Spätjahr 1949, welche die Enthaltung der Liberalen Partei von den anstehenden Wahlen bedingte, „findet ihresgleichen nur in den unmensch-lichen Situationen ( brotes inhumanos ), in die nur die primitivsten Stämme der [menschlichen, L. R.] Spezies geraten“ stellte El Tiempo fest.663 Und Echandía sah in der von der Konservativen Partei ausgehenden Gewalt eine Gefahr für die „kolumbianische […] Zivilisation“.664

El Tiempo verurteilte die „Manifestationen der Barbarei“ in Boyacá und rief die Regierung auf, „den zivilisierten Ablauf der demokratischen Auseinanderset-zungen“ zu gewährleisten, respektive „gegen die politische Primitivität“ einzu-schreiten.665 Jornada berichtete vor dem Hintergrund der Gewaltwelle in Boyacá, dass die Liberale Partei „bereit ist, der konservativen barbarischen Aggression entgegenzuwirken.“666 Die gewaltsame Einschüchterung potentieller liberaler Wähler vor den Legislativwahlen im März 1947 deuteten liberale Journalisten mit deutlichen evolutionistischen Untertönen. Ihnen zufolge widerspreche die von Konservativen ausgehende Gewalt „unserem Rang als vorangeschrittene Nation auf der Weltbühne“ und sei Ausdruck der „sozialen Primitivität und der instinkti-ven Üppigkeit der rohen Gewalt“, wie sie Gesellschaften ohne ausdifferenzierte Sozialstruktur zugeschrieben wurden.667

In ähnlichen Tönen verurteilte der dirigente liberal aus Boyacá Rafael Humberto Bernal die von konservativen Zivilisten ausgehende Gewalt gegen liberale Bür-ger in Nuevo Colón, ohne dass lokalpolitische Autoritäten einschreiten würden.668 El Tiempo wertete die Gewalttaten als „einen weiteren Akt der Barbarei gegen die friedliche Bevölkerung in Boyacá“.669 Und die dem Flügel der gaitanistas zuzu-ordnende Zeitung Jornada sah in der Gewalt gegen Liberale in Boyacá die „bar-barische Aggression der Konservativen“.670 Die Gewalt, die von Konservativen ausging, wurde vonseiten der Anhänger Gaitáns als Ausdruck der „entfesselten Barbarei“ wahrgenommen.671 Vor den Präsidentschaftswahlen im November 1949 bediente Emilio Rico sich ebenfalls des Bilds wilder und unzivilisierter Massen ohne Organisation oder interner Struktur bei der Beschreibung der Gefolgschaft der Konservativen Partei. Er fürchtete, dass Gómez die Rückkehr aus dem spani-schen Exil, in das er nach dem Mord an Gaitán gegangen war, dazu nutzen werde, „seine Phobie des Verbitterten ( fobia de resentido ) zu inthronisieren und sich an die Spitze der konservativen Horden zu setzen“.672

Auch nach dem Sturz von Laureano Gómez durch Gustavo Rojas Pinilla 1953 setzte die Liberale Partei ihren Kampf gegen die von ihr wahrgenommene Barba-rei fort. In El Tiempo wurde dazu aufgerufen, die Bemühungen von Rojas Pinilla um eine umfassende Befriedung des Landes zu unterstützen. Eine erneute Inten-sivierung der Gewalt sei aus Sicht des liberalen Journalisten nicht möglich, „ohne nicht nur die Würde und Ruhe [Kolumbiens, L. R.], sondern auch sein Prestige als kultiviertes und zivilisiertes Volk auf ewig zu beeinträchtigen“.673

Die linksliberale Regionalzeitung Tribuna aus Ibagué, die sich oftmals durch eine dem politischen Establishment gegenüber kritische Berichterstattung aus-zeichnete, blickte 1957 zurück auf die Regierungszeiten von Gómez und Rojas Pinilla. Das Leid und die Zerstörung, welche die Auseinandersetzungen zwischen Liberalen, Konservativen und kommunistischen Gruppierungen mit sich gebracht hatten, sah sie dem Einfall von „barbarischen Menschen“ geschuldet.674 Bereits im Dezember 1950 hatte selbige Zeitung anlässlich eines Angriffs auf den Heraus-geber Héctor Echeverry Cárdenas festgestellt, dass die ortsansässigen Mitglieder der Konservativen Partei die Gewalt gegen die Liberalen ablehnten. Diesen wur-den die „mit rohem Hass von Höhlenbewohnern ( odios salvajes y cavernícolas ) erfüllten Personen [und] Menschen aus anderen Breitengraden, die in die Ebenen Tolimas ihren geerbten Hass ( odios heredados ) brachten“, gegenübergestellt.675Damit nahm der Kommentator Bezug auf den Umstand, dass sowohl die wäh-rend der Violencia eingesetzten Polizei- und Militärkräfte als auch ein Großteil der lokalen politischen Autoritäten in der Regel aus anderen Landesteilen in die Einsatzgebiete beordert wurden, um zu vermeiden, dass ihr Handeln durch per-sönliche, familiäre oder freundschaftliche Beziehungen beeinflusst würde.676 Die ursprünglich aus dem Valle del Cauca stammenden pájaros sowie die paramili-tärisch organisierten, regierungstreuen, konservativen Zivilisten ( contrachusma , guerrillas de paz ) – die „Importierten“, wie sie in Tribuna genannt wurden – waren in der Meinung liberaler Journalisten Barbaren und Höhlenbewohner .677

Evolutionistische Theorien unterstellen vermeintlich primitiven Gesellschaf-ten ohne komplexe Sozialstruktur gleichzeitig eine fehlende Rationalität und somit eingeschränkte Kontrolle ihres Handelns. Vielmehr würde, den Verfechtern dieser Theorien folgend, das Verhalten der Mitglieder einfacher Gesellschaften durch affektive Parameter bestimmt.678 Diese (unterstellte) Eigenschaft primiti-ver Gesellschaften wurde während des Untersuchungszeitraums, parallel zu der Wahrnehmung als „unzivilisierte Barbaren“, auch auf den politischen Kontrahen-ten übertragen. El Espectador bediente sich dieses Bildes und warnte davor, dass die kolumbianische Gesellschaft als unterentwickelt angesehen werden würde, die mit der Gewalt lediglich ihre „tiefsten Instinkte und Passionen“ befriedigte, wie es vormodernen Gesellschaften zugeschrieben wurde.679

Guillermo Peñaranda Arenas folgend seien die Wahlen in Kolumbien, „unge-achtet unseres tiefen demokratischen Ideals“, von Feindseligkeiten zwischen den Traditionsparteien geprägt. Die irrationale Leidenschaften und Passionen für die jeweilige politische Subkultur würden oftmals zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Liberalen und Konservativen anlässlich der regelmäßig stattfindenden Wahlen führen.680 Zwar hätten die Reformen während der República Liberal , wie Peñaranda Arenas herausstrich, zu einer Demokratisierung und Verringerung des Gewaltniveaus bei politischen Wahlen geführt. Ihre Verdienste um die fortschrei-tende Zurückdrängung der zügellosen Leidenschaften aus dem politischen Raum, die leicht in physische Gewalt umschlagen konnten, und die einhergehende Ratio-nalisierung von Politik sahen liberale Politiker mit dem Regierungsantritt von Ospina Pérez in Gefahr. López de Mesa forderte eben diese rationale Basis für politische Entscheidungen und Wahlen wieder ein. Er beklagte, dass die Wahlen zu einem „ungeordneten und gewalttätigen Spiel der Leidenschaften geworden waren“, wie die sich intensivierende Gewalt in Boyacá zeige.681

Gewaltsame Auseinandersetzungen und deren Opfer wurden häufig durch die leidenschaftlich erregte Gemütslage der Beteiligten erklärt. Laut El Tiempo seien liberale Parteianhänger in Chiquinquirá (Boyacá) von „ conservadores exaltados “ angegriffen und verletzt worden.682 Und auch auf andere departamentos greife die Gewalt über, wie die liberale Presse beklagte. In Valle del Cauca würden die liberalen Parteimitglieder ebenfalls Opfer der Gewalt von „ conservadores exal- tados “, ohne dass die staatlichen Autoritäten die Gewalt verurteilen oder gegen sie einschreiten würden.683 Die überbordenden Leidenschaften für die Konser-vative Partei, welche die Akteure nicht zu kontrollieren vermochten, wurden als der Grund für die Gewalt gegen Liberale gesehen. In der mehrheitlich liberalen Gemeinde San Antonio (Tolima), deren Verwaltung trotz der liberalen Mehrhei-ten konservative Politiker vorstanden, fand eine Versammlung von Konservativen statt. Vor deren Hintergrund, „überbordeten, der politischen Agitation geschul-det, […] die Passionen und arteten in bedauernswerte blutige Ereignisse aus“.684Nicht einmal der katholische Klerus habe es vermocht, die konservativen Gewalt- akteure, deren „Impetus ihre Primärinstinkte“ – wie bei Rudeltieren – seien, von ihrem Handeln abzubringen.685

Das Abkommen, das die beiden partidos tradicionales im Herbst 1951 ( Pacto de Octubre ) in der Hoffnung schlossen, der Gewalt zwischen ihren Anhängern Einhalt zu gebieten, nannte einige der Gründe für die bewaffneten Auseinander-setzungen, die es abzuschaffen galt. Neben niederen Beweggründen wie Hab-sucht und Rache oder wie der gewaltsamen Repression Andersdenkender wurden „die fanatischen Passionen“ für eine der beiden Parteien als weitere Ursache der Gewalt genannt.686

Der Diario del Tolima blickte anlässlich des fünften Jahrestages der Ermor-dung Gaitáns zurück und berichtete über die Aufstände in der Gemeinde Armero, im Verlaufe derer der ortsansässige Pfarrer ermordet worden war. Die liberale Regionalzeitung betonte, dass liberale Bewohner der Kleinstadt versucht hatten, den katholischen Geistlichen in Sicherheit zu bringen. Bei diesem Versuch seien sie von exaltados aufgehalten worden, die in einem Handgemenge den Geistli-chen erschlugen.687

Auch in der konservativen Wahrnehmung wurde die Gewalt als Folge der zügellosen Passionen gesehen. Zwar bedauerte der Directorio Nacional Conser- vador die Angriffe auf die Wohnhäuser von Lleras Restrepo und López Pumarejo als Reaktion auf die Ermordung von Polizisten in Tolima – eine Sichtweise, der sich Eco Nacional anschloss.688 Die Zeitung unterstrich aber, dass nach der Ver-urteilung der Angriffe auf die Privathäuser der liberalen Politiker erstrecht gegen den Tod von elf Konservativen wenige Tage zuvor protestiert werden müsse. Den liberalen Urhebern dieses Massakers unterstellte der Journalist,

Angesichts des erneuten Wiederaufflammens der Gewalt nach der Machtüber-nahme von Rojas Pinilla nahm El Derecho die Politiker beider Traditionsparteien in die Pflicht. Diese wurden aufgefordert, ihren Einfluss auf die Parteimitglieder auszuüben, um sie „in ihren primitiven Instinkten im Zaum zu halten“ und das erneute Ausbrechen der Gewalt zu unterbinden.690

In den politischen Diskursen des Untersuchungszeitraums wurden die als Bar-baren und Unzivilisierte wahrgenommen politischen Widersacher am Rande der Gesellschaft und am Rande der politischen Gemeinschaft verortet – oder wie Eco Nacional es mit Blick auf die Liberale Partei ausdrückte: die Politik der Resisten- cia Civil zeige, dass „Gaitán und seine wilden Kriegsscharen ( turbulentas hues- tes ) an den Ufern der Republik kampieren, ohne sich zu entscheiden, diese zu überschreiten – vielleicht, weil die Furt überflutet ist“.691

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4 Die Wahrnehmung des politischen Widersachers außerhalb der menschlichen Gemeinschaft

Ungeachtet der bis hierin analysierten Diskurse wurde der politische Gegner, so unzivilisiert und barbarisch er sein mochte, noch als menschlich angesehen – wenn auch nur, evolutionistisch gedacht, auf einer rudimentären Entwicklungs-stufe bzw. am Rande der Gesellschaft oder, wie Eco Nacional es formulierte, an den Ufern der Republik . Im Laufe der 1940er Jahre lassen sich allerdings Ele-mente im diagnostic frame finden, welche die letzte Hemmschwelle, tödliche Gewalt gegen den politischen Gegner einzusetzen, versuchten einzureißen. Der Dämonisierung des Widersachers kommt gerade mit Blick auf die Rekrutierung und Mobilisierung von Kombattanten aus der eigenen vorgestellten Gemeinschaft große Bedeutung zu.692 Insbesondere in dem konservativen Diskurs lassen sich Diskurselemente auffinden, die den als barbarisch und unzivilisiert wahrgenom-menen politischen Gegner jenseits der menschlichen Gemeinschaft verorteten. Die zu beobachtende Entmenschlichung des politischen Widersachers charakte-risierte die kulturell-diskursive Rahmung des Gewalthandelns. Ein prominentes Beispiel dieses Diskurselements findet sich in der Beschreibung des politischen Gegners durch Laureano Gómez. Bei seiner Rückkehr aus dem spanischen Exil 1949 zeichnete er das sicherlich bekannteste Bild, das weite Teile der Konserva-tiven Partei von ihren liberalen Konkurrenten um politische Macht hatten. Die Liberale Partei in ihrer Gesamtheit beschrieb der spätere Präsident Kolumbiens wie folgt:

Die Metapher des Basilisken, die Gómez benutzte, um die Liberale Partei zu beschreiben, fasst die Mehrheit der bislang beschriebenen Charakteristika zusam-men, die der Liberalen Partei im skizzierten konservativen Diskurs zu geschrieben wurden: Fehlen von interner Struktur und Organisation, Abwesenheit eines wohl-definierten politischen Programms – also ein verwirrter oder verrückter Geistes-zustand – sowie die Unterwanderung durch freimaurerische und kommunistische Akteure gepaart mit einer intrinsischen Gewaltbereitschaft. Die Gefolgschaft der Liberalen Partei wurde hier aber nicht mehr, wenn auch barbarisch und auf einer vormodernen Entwicklungsstufe verharrend, als menschlich wahrgenommen, sondern war in den Augen des konservativen Politikers eine monströse, kontur-lose Figur der Mythologie, die kommunistischen Prämissen gehorchte und deren Blicke töteten.694

Nach der Durchsicht der Berichterstattung der Presse, die der Liberalen Par-tei nahestand, über die Violencia bzw. der Erklärungen von Vertretern derselben Partei lassen sich hingegen nur sporadische und vereinzelte Beschreibungen des politischen Gegners finden, die ihn außerhalb der menschlichen Gemeinschaft verorteten. Unter vielen Mitgliedern der Liberalen Partei wurde Gómez aller-dings nicht mit einem menschlichen Wesen verglichen. Insbesondere unter den Anhängern von Gaitán war er als das Monster, El Monstruo , bekannt.695 Auch lassen sich einige Beschreibungen, die auf das semantische Feld der Krankhei-ten zurückgreifen, heranziehen. El Espectador sprach 1948 von der Gewalt als „schwere Krankheit […], die den nationalen Organismus mit tauber und siche-rer Hartnäckigkeit unterminiert“.696 Und der liberale Guerillakämpfer Silvestre Bermúdez (alias Mediavida), der sich in der Gemeinde Prado (Tolima) gewaltsam gegen die staatliche Repression gewehrt hatte, lobte 1957 in einem offenen Brief die Bemühungen der Militärjunta, die Rojas Pinilla im Zuge seiner Absetzung einrichtete, „die Endemie, an der das Volk bis zum 10. Mai [1957; Tag des Rück-tritts von Rojas Pinilla, L. R.] litt, zu heilen“.697

Auf konservativer Seite hingegen zeugte der „biologistische Diskursstrang“, der dem politischen Gegner den menschlichen Charakter absprach, von einer weitaus höheren Dichte und Kontinuität. Konservative Meinungsmacher gingen über die Gegenüberstellung von Zivilisation und Barbarei hinaus und bedienten sich des semantischen Feldes der Medizin sowie der Opposition Gesundheit-(töd-liche) Krankheit, um den politischen Widersacher zu beschreiben. In dem Maße, wie der Konkurrent um politische Macht als tödliche Krankheit beschrieben wurde, wurde er nicht mehr als Teil der menschlichen Gemeinschaft, sondern vielmehr als essentielle Bedrohung derselben gesehen. Repräsentanten der Kon-servativen Partei beschrieben dabei sowohl die Gewalt als auch deren Urheber mit Termini aus dem semantischen Feld der Krankheiten. Da aus ihrem Blick-winkel ausschließlich Liberale und Kommunisten schuldig an der Gewalt waren, verschwammen oftmals die Unterscheidungen zwischen der Gewalt als Krankheit und den Anhängern der Liberalen Partei als Urheber der Gewalt und als Krankheit.

So verglich El Siglo bereits 1947 die um sich greifende Gewalt in Norte de Santander mit einer Krankheit: So wie ein Arzt sich nicht auf die Bekämpfung der Krankheitssymptome beschränken dürfe, sondern sich der Eliminierung der die Krankheit verursachenden Faktoren widmen müsse, sei auch mit der Gewalt zu verfahren. Der konservative Kommentator machte die Ursache für die als Krank-heit gedeutete Gewalt aus: die Gewalt stehe in „engem Zusammenhang ( depen- dencia íntima ) mit dem Wahlbetrug“, den die Liberale Partei zur Sicherung der politischen Macht, trotz ihres angeblichen, von konservativen Politikern betonten Minderheitenstatus nahezu strukturell verankert habe. Welche Maßnahmen sei-ner Ansicht nach genau unternommen werden müssten, teilte er der Leserschaft nicht mit. Er verwies aber darauf, dass „der Zustand der Anomalie nicht mit den üblichen Vorgehensweisen und Mitteln gelöst werden kann“ und plädierte für einen „festen Angriff auf sie [die Krankheit bedingenden Gründe, L. R.], um sie auszulöschen“.698 Da ausschließlich Mitglieder der Liberalen Partei und Kommu-nisten aus Sicht der konservativen Meinungsmacher für die Gewalt verantwort-lich seien, mussten diese, so lässt sich der Aufruf interpretieren, mit einem festen Angriff bedacht werden.

Diese vielsagende Metapher nahm El Siglo im Folgemonat erneut auf. Die Ver-hängung des Ausnahmezustandes in Norte de Santander sei durch die „Verbre-chen […] der Barbarei der gaitanistas “ notwendig geworden, aber die Zeitung erklärte: „Dies [der Estado de Sitio ] ist eine Maßnahme, die nicht auf den Grund des Übels zielt. Morphium, um den Patienten zu betäuben; aber der zersetzende und auslöschende Krebs lebt weiter“.699 Die gaitanistas und die Gewalt, für die sie verantwortlich seien, deuteten konservative Journalisten als zersetzenden Krebs , der nicht mit einfachen Schmerzmitteln zu bekämpfen sei.

Silvio Villegas wiederum verglich die zunehmende Gewalt mit dem Fieber. So wie die erhöhte Temperatur nur das Symptom einer Krankheit sei, die aber eine Vielzahl von zu bekämpfenden Gründen haben könne, stelle auch die Gewalt zwischen Anhängern der partidos tradicionales nur das Symptom eines tiefer lie-genden Problems dar. Dieses machte er in dem vielfach von konservativer Seite beklagten liberalen Wahlbetrug aus und versuchte die Mitglieder seiner Partei wachzurütteln: „Wir dürfen uns nicht damit beschäftigen, oberflächliche Heil-mittel zu suchen, Schmerzmittel […], die nur dazu dienen, dass das Übel ohne Schmerzen und widerstandslos weiter gedeiht“. Sollte der Grund des Fiebers , der fraude electoral der Liberalen Partei, beseitigt sein, würden die Symptome, die Gewalt, leicht und schnell abzustellen sein.700

Inocencio Franco verneinte der Anhängerschaft Gaitáns ebenfalls den Charak-ter einer politischen Bewegung bzw. einer sich im Bildungsprozess befindlichen politischen Partei. Auch er beschrieb den politischen Widersacher mit Termini, die aus dem semantischen Feld der Krankheiten stammten: „Der gaitanismo ist eine Epidemie […] er ist eine Krankheit, eine Art der Vergiftung, die seine Opfer […] in die Gewalt stürzt, eine Form des Irrsinns ( enajenación mental )“.701 Die Oppositionspolitik der Liberalen Partei, die in der Enthaltung von den Präsident-schaftswahlen im November 1949 mündete, sei eine „wahnsinnige Politik ( enlo- quecida política )“ und aus dem konservativen Blickwinkel betrachtet Ausdruck des „Irrsinns des Directorio Nacional der Liberalen Partei“.702

Eine Revolte gegen die staatlichen Autoritäten in Tierradentro, die den Tod des Bürgermeisters zur Folge hatte, sei dem Umstand geschuldet, dass die „Gruppe einfacher Menschen durch die aus der Hauptstadt kommende Propaganda vergif-tet waren“.703 Die Sicht- und Teilungsprinzipien des politischen Gegners wurden in dieser Sichtweise als Toxin wahrgenommen, das dem menschlichen Körper Schaden zufüge. Der Vorwurf an dirigentes liberales , zur Gewalt gegen die staat-lichen Autoritäten aufzurufen, nahm El Siglo fünf Tage später erneut auf. Den liberalen Politikern wurde vorgeworfen, durch Gerüchte „dem verrückt geworde-nen Verstand ( mentes enloquecidas )“ der liberalen Gefolgschaft in ruralen Gebie-ten glauben zu machen, dass „es jenseits des Respekts vor den Autoritäten und des Gehorsams gegenüber dem Gesetz möglich sei, verlorene Regierungspositionen wiederzuerlangen“.704

Die Verwendung von Termini aus dem Bereich der Medizin und dem semanti-schen Feld der Krankheiten war besonders stark ausgeprägt, wenn es darum ging, politische Realitäten und Entwicklungen zu beschreiben, die in einem (vermute-ten) Zusammenhang mit den kommunistischen Akteursgruppen standen. In der Wahrnehmung konservativer Politiker zeichnete sich die Liberale Partei durch eine Nähe zu politischen Positionen des Partido Comunista de Colombia aus, teilte mit diesem bestimmte Deutungsrahmen oder verfolgte vergleichbare Ziele. Trotz des Vorhandenseins minoritärer antikommunistischer Fraktionen in der Par-tei, die El Derecho eingestand, sei die Liberale Partei, „in ihren politischen Pro-grammen, Handlungen und die dirigentes liberales von der marxistischen Infizie-rung ( contagio marxista )“ befallen.705

José María Villarreal attestierte der Liberalen Partei, an „einer tödlichen Neu-rose, hervorgerufen durch den kommunistischen Einfluss“, zu leiden.706 Die Spal-tungen und Uneinigkeit der Liberalen Partei betonend, berichtete El Derecho von der „marxistischen Krankheit ( morbo marxista )“ der Nachwuchsorganisationen der Liberalen Partei. Des Weiteren attestierte die Regionalzeitung, dass große Teile der Liberalen Partei „von den Doktrinen des Marxismus verseucht ( contagiado )“ seien.707 Diesen morbo marxista bezeichnete sie als „Lepra, die uns zerfrisst ( está devorando )“.708 Mit der Tod bringenden Krankheit bezog sich die Zeitung auf das gemeinsame Vorgehen des liberalen und kommunistischen Widerstands in den frühen 1950er Jahren gegen paramilitärische, konservative Gruppen und die staat-lichen Sicherheitskräfte in Südtolima.709

El Siglo stellte eine in der República Liberal begründete moralische Krise der kolumbianischen Gesellschaft Mitte des 20. Jahrhunderts fest. Die von den libera-len Regierungen ausgehenden Reformen würden aus Sicht der konservativen Tageszeitung dazu führen, dass „das Land einen exorbitant hohen Preis für die link-spropagandistischen ( izquierdizantes ) und materialistischen Allüren ( veleidades ) zahlt, die das öffentliche Bildungssystem infiziert haben“.710 Auch nach dem Sturz der Regierung Gómez wurde, insbesondere in Tolima, die Zusammenarbeit von kommunistischen und liberalen Akteuren beklagt. Die verbliebenen Gewaltherde in Tolima und der Schutz von kommunistischen Akteuren durch liberale Politiker würden davon zeugen, dass „der Liberalismus schwer vom Kommunismus infi-ziert ist“.711

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5 Die Abhängigkeit der patria von den partidos tradicionales

Wie gezeigt wurde, erfolgte die Herausbildung der Kollektividentität der par- tidos tradicionales in einem reziproken Prozess zwischen Selbstdefinition und Wahrnehmung des politischen Widersachers. Diese oszillierten zwischen den Bil-dern der Verteidiger demokratischer Traditionen sowie des Prinzips der Ordnung und Subversiven; zwischen Kommunismus und Faschismus; zwischen Zivilisa-tion und Barbarei. Teilweise wurde der politische Gegner und sein Handeln mit tödlichen Krankheiten verglichen und jenseits der menschlichen Gemeinschaft verortet. Dabei gerierten sich die Traditionsparteien als Ausdruck höherer Werte-systeme, die gegen den politischen Gegner verteidigt werden mussten, und stell-ten die eigene Partei als Maxime dar, der nicht nur im politischen Feld, sondern auch im Bereich des privaten Lebens zu folgen sei. Oder wie Eduardo Santos es für die Liberale Partei ausdrückte:

Die konstruierten Kollektividentitäten hatten nicht nur massiven Einfluss auf die individuelle Identität der einzelnen Parteimitglieder – und wurden, wie San-tos es mit Blick auf die Liberale Partei verstand, eine Lebenseinstellung und ein „Temperament [und] ein Gefühl“.713 Die in Abgrenzung zum politischen Geg-ner konstruierten Parteiidentitäten schlossen sich zunehmend aus und machten eine gemeinsame Betätigung der sich in der subjektiven Wahrnehmung dia- metral gegenüberstehenden politischen Kräfte im Raum des Politischen unmög-lich: eine Grundlage der als Kommunisten wahrgenommenen Liberalen und der als Faschisten definierten Konservativen für eine politische Zusammenarbeit war schwerlich auszumachen.

Diese radikale Dichotomisierung der sozialen Welt hatte vor dem Hintergrund des einsetzenden Kalten Krieges und kurz nach der globalen Auseinandersetzung zwischen faschistischen Regimes, der kommunistischen Sowjetunion und den demokratischen Westmächten zur Folge, dass die beiden Traditionsparteien das Schicksal und die Zukunft des Landes, der patria , von ihrer eigenen politischen Aktivität abhängig machten.714 Im Zuge dieser wechselseitigen Konstruktion kol-lektiver Identität wurde das Konzept der Staatsbürgerschaft, der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Bürger, zunehmend auf die Parteiidentität reduziert.715 In der Wahrnehmung bzw. Interpretation politischer Realitäten, das heißt im von vielen dirigentes políticos verteidigten diagnostic frame , wurde der Schutz der eigenen Partei gleichgesetzt mit dem Schutz des Heimatlandes, der hochgeschätz-ten patria und ihren politischen sowie kulturellen Errungenschaften, die der poli-tische Widersacher in seinen Grundfesten gefährdete. Laureano Gómez glaubte, dass die Liberale Partei eine existentielle Bedrohung für Kolumbien darstelle.716Und Gaitán sah sich als Vorsitzender der Liberalen Partei in seinen Bemühungen, den Präsidenten Kolumbiens ab 1950 zu stellen, „dem Wohl der patria und der Partei“ verschrieben.717

Für den liberalen Politiker Castro Martínez stand bei den im Frühjahr 1947 anstehenden Legislativwahlen nicht nur „das Überleben der Liberalen Partei“ auf dem Spiel, sondern auch das, wofür die Liberale Partei – und aus seiner Blickwarte nur sie – stand: „das großartige, 1930 begonnene Werk der Befreiung ( redención ) und der Gerechtigkeit“, das heißt eine demokratisch verfasste Republik Kolum-bien mit einer ausgeglichenen Sozialstruktur.718 Sollte die Liberale Partei nicht ein deutliches Stimmenplus gegenüber ihren konservativen Konkurrenten erzielen, „würden wir [die Liberalen, L. R.] die Gelegenheit auslassen, den Fortschritt des Vaterlandes weiterhin zu forcieren und den drängenden Anforderungen der Zivi-lisation und Kultur zu dienen“.719 Eine liberale Regierung sei laut El Tiempo „das einzig mögliche Mittel, dass die Republik geordnet und harmonisch ihren anstei-genden Rhythmus der Größe beibehält“.720

Der Diskursstrang, der die bipolare Aufteilung des politischen Feldes vorantrieb und sich gegenseitig ausschließende Bilder der partidos tradicionales zeichnete, verdichtete sich gegen Ende des Jahres 1949, als sich die Kandidatur von Gómez für die Konservative Partei konkretisierte und der Gewaltpegel vor den Wahlen spürbar anstieg. Gegenüber der Konservativen Partei, die, wie liberale Politiker fürchteten, unter der Führung von Laureano Gómez ein faschistisch inspiriertes Regime errichten würden, oblag der Liberalen Partei „eine Mission, die sie nicht zurückweisen kann […denn] die Rettung der Freiheit, das heißt das Schicksal selber der patria , ruht in den Händen der Liberalen“.721 Darío Echandía erklärte in der Hauptstadt Tolimas in einer Wahlkampfrede im Oktober 1949, dass „wir [die Liberalen, L. R.] einen Kampf um das kolumbianische Vaterland führen, […] um das Überleben des Vaterlandes […und dass] das Banner der Liberalen Partei heute eins wird mit der Flagge der patria , unserer glorreichen Trikolore“.722

In der Sichtweise von La Opinión handelte es sich bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im November 1949 nicht mehr „einfach um die Vorherr-schaft der einen oder der anderen Partei“.723 Die Liberale Partei dürfe nicht wei-terhin tolerieren, dass die konservative Regierung „mit ihren Fehlern und ihrer Hinterlist die Republik zerstöre“, und rief zur „nächsten Schlacht für das Vater-land und die Freiheit auf“.724 In der Auseinandersetzung zwischen Liberaler und Konservativer Partei sei die Liberale „der einzige moralische Rückhalt ( reserva moral ) des Vaterlandes und ohne den wird es unmöglich sein, die Geltung von Recht und Gesetz in Kolumbien durchzusetzen“.725

Da das politische Feld derart bipolar radikalisiert aufgefasst wurde, überrascht es nicht, dass die Legislativwahlen 1949, die weniger als ein halbes Jahr vor den Präsidentschaftswahlen abgehalten wurden, als entscheidende Wegmarke für die Zukunft des Landes gesehen wurden.726 El Mundo rief die Mitglieder der Libera-len Partei dazu auf, die Reihen zu schließen und sich die für die Stimmabgabe notwendigen cédulas ausstellen zu lassen, damit sie „besser dem Ruf des Vater-landes ( llamada de la patria ) folgen können“.727 Trotz der steigenden Gewalt gegen Anhänger der Liberalen Partei müsse dem Ruf des Vaterlandes gefolgt wer-den, denn „das Vaterland und die Menschen [sind] großen Gefahren“ ausgesetzt.728Angesichts der Tatsache, dass sich die Liberale Partei in den Wahlen zur Legis-lative trotz Verlusten die Stimmenmehrheit sichern konnte, „ist der Wahlsieg ein Glaubensbekenntnis ( acto de fé ) zum Schicksal der Nation […und] ein Sieg der patria “.729

Den Bestrebungen der Liberalen Partei, durch einen Wahlsieg das kolumbia-nische Vaterland retten zu wollen, setzte die Konservative Partei ihre eigenen Lösungsvorschläge für die Übel entgegen, welche die patria gefährden würden. Die Kandidatur von Ospina Pérez veranlasste Jorge Leyva zu der Aussage, dass diese Kolumbien retten werde.730 Für Azula Barrera war die Aufstellung des Prä-sidentschaftskandidaten Ospina Pérez „ein transzendentaler politischer Akt, des-sen Ausmaße nur mit dem Kongress von Angostura, den Heldentagen von 1854, welche die Diktatur von Melo zu Fall brachten […] verglichen werden kann“.731Ospina Pérez selber sah die Auswahl seiner Person als konservativen Anwärter auf die Präsidentschaft als die Antwort der Konservativen Partei auf „eine inbrünstige Sehnsucht der Nation“.732 Der dirigente conservador José Luis Trujillo richtete sich vor den Wahlen zur Legislative 1947 explizit an die arbeitende Bevölkerung. Er hielt ihr die Bedeutung der katholischen Soziallehre als Alternative zu sozia-listisch-revolutionären Lösungsansätzen für sozioökonomische Ungleichheiten vor Augen. Der von der Konservativen Partei propagierte Problemlösungsweg schütze Kolumbien, warb er, vor „den sozialistischen und sowjetischen Imperia-lismen“ und bewahre damit das Land vor der Vernichtung dessen, was es ausma-che wie Ordnung, Privatbesitz, Familie, Demokratie und christlicher Glaube.733

Jaime Lozano Henao forderte als Repräsentant des Directorio Nacional Con- servador vor dem Hintergrund einer erneuten Krise der Unión Nacional in einer Rede in Cali, die politische Zusammenarbeit mit der Liberalen Partei endgül-tig zu beenden. Er plädierte dafür, dass die Konservative Partei die Regierung alleine, ohne liberale Beteiligung, stellen müsse, „um den Interessen der patria wirkungsvoll zu dienen und ihr zu Größe sowie Würde zu verhelfen“.734 Der diri- gente conservador Gustavo Salazar García sah „das Erbe ( heredad ) [der Kon-servativen Partei, L. R.] in Gefahr“.735 Das von ihm evozierte Erbe würden aber nicht „profane Dinge ( cosas vanas ) wie Budgets und die Bürokratie, sondern die großen Ideale unserer Mission ( causa ), die Prinzipien, welche die selbige Rai- son d’Être der Existenz Kolumbiens sind“, darstellen.736 Er versicherte, dass die Regierungspartei „ihrer Mission […und] fürchterlichen Verantwortung vor der Geschichte“ gerecht werden würde.737 Die Einheit der Konservativen Partei und der Gehorsam der Parteimitglieder gegenüber ihren dirigentes seien nicht nur not-wendig, um Erfolge bei Wahlen zu erzielen, sondern auch um „das Überleben der Republik Kolumbien“ sicherzustellen.738

El Siglo verteidigte Ospina Pérez vor den Vorwürfen liberaler Politiker, der zunehmenden politischen Gewalt nicht oder nur unzureichend entgegenzuwirken und erinnerte an die Gewaltausbrüche zu Beginn der 1930er Jahre, als die Liberale Partei mit Olaya Herrera den Präsidenten stellte. Ospina Pérez wurde dazu aufge-rufen, sich seiner „historischen Mission“ für das Land gewahr zu werden, die er mit der Übernahme des Präsidentenamtes auf sich genommen habe.739 Für Villa- rreal war die Liberale Partei „die größte Gefahr, die das Vaterland jemals bedroht hat“. Er bezeichnete es als „die Pflicht der Konservativen Partei, koste es, was es wolle“, zu verhindern, dass die Liberale Partei die Präsidentschaftswahlen 1949 gewinne und ihre politischen Programme in die Tat umsetzen könne.740

Alzate Avendaño hatte die Mitglieder der Konservativen Partei bereits einige Monate zuvor, im Vorfeld der Legislativwahlen im Juni 1949 auf den Sieg ein-geschworen, da ihm zufolge bei einem liberalen Wahlerfolg die Auslöschung der Konservativen Partei drohe.741 Das Pflichtbewusstsein konservativer Politiker betonend erinnerte Eco Nacional daran, dass die Konservative Partei 1946 die poli-tische Macht „in einem Land im Vorstadium der sozialen Zersetzung“ übernom-men habe. Erst die konservativen Regierungen von Ospina Pérez und Laureano Gómez hätten der Verfassung erneute Geltung verschafft und „das Übel an seiner Wurzel gepackt“742 und die República Liberal beendet. Anlässlich der bevorste-henden Amtseinführung von Laureano Gómez erinnerte Antonio Cardozo an die Versuche der Liberalen Partei, die Wahlen im November 1949 zu sabotieren. Die Führung der Liberalen Partei „nutzte alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, um die Republik zu zerstören“, wovor sie die konservative Regierung zusammen mit den Streitkräften Kolumbien geschützt habe.743

Mit der Verhängung des Ausnahmezustandes, der den Präsidentschaftswahlen vorausging, habe Ospina Pérez El Siglo zufolge das Land vor dem Chaos geret-tet, in das die Liberale Partei es durch die Politik der Resistencia Civil zu stürzen drohe.744 El Derecho sah sich im Juli 1950 dazu gezwungen, die Mitglieder der Konservativen Partei dazu aufzurufen, „nicht nur die eigene Selbstverteidigung, sondern auch die Rettung und Zukunft der Republik“ zu übernehmen, nachdem es zu verstärkten Angriffen liberaler Widerstandsgruppen auf konservative Zivi-listen gekommen war.745

Konservative Politiker stilisierten die Novemberwahlen zu einer die Zukunft des südamerikanischen Landes entscheidenden Frage. Laureano Gómez mahnte, die Bedeutung des historischen Moments nicht zu unterschätzen, denn „unsere Arme, und nur unsere Arme, sind plötzlich die Stütze des unermesslichen Wer-kes“, womit sich Gómez auf das traditionsreiche und geschichtsbewusste Vater-land bezog. Dieses galt es, durch die Wahl einer Person seiner staatsmännischen Statur zum Präsidenten vor dem kommunistischen Totalitarismus zu schützen, nachdem „unsere Partei das Land aus dem institutionellen Chaos geholt und die hundertköpfige Hydra der Unordnung getötet hatte“.746

Die konservativen Abgeordneten der Asamblea de Antioquia erklärten anläss- lich der Verkündung der Kandidatur von Laureano Gómez, dass er „die einzige Möglichkeit der historischen Rettung ist, die der patria vor der subversiven Bedro-hung durch den Liberalismus und seinem Alliierten, dem Kommunismus, bleibt“.747Sollte die Liberale Partei den künftigen Präsidenten Kolumbiens ab 1950 stellen, „würde unmittelbar der rasende Geist des 9. April Einzug in das Vaterland halten und die Kolumbianer würden unversehens unter die schändlichste Diktatur fal-len“.748 So wie die Liberale Partei ihren Erfolg bei den Legislativwahlen Mitte 1949 als bedeutend für die Zukunft des ganzen Landes sah, befand Silvio Villegas die von der Konservativen Partei gewonnen Präsidentschaftswahlen als transzen-dentales Ereignis: „1.2 Millionen Stimmen bestätigen unser Recht, Kolumbien zu regieren, und lichten ( despejar ) die Zukunft des Vaterlandes für viele Jahre“.749

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6 Die Gewalt als Möglichkeit zur Lösung politischer Probleme

Theoretiker des framing -Ansatzes betonen, dass der Deutungsrahmen ( diagnos- tic frame ) und der Handlungsrahmen ( prognostic frame ) aufs Engste miteinan-der verbunden sind. So lässt die Antwort auf die Frage, welche Probleme in der wahrgenommenen Realität vorliegen, und vor allem die Antwort auf die Frage nach deren Ursachen nur eine gewisse Spannbreite an Handlungsoptionen zu. Teilweise überlagerten sich in dem hier untersuchten Fall der kolumbianischen Violencia der diagnostic und der prognostic frame . Aus der Gleichsetzung der eigenen Partei mit der zu bewahrenden patria in ersterem frame folgte unvermit-telt der Aufruf radikalisierter Parteimitglieder, das kulturell entwickelte, zivili-sierte Vaterland zu retten – und um die patria zu retten, musste die eigene Partei verteidigt werden. Die Wahrnehmung der politischen Widersacher als Barbaren und Unzivilisierte , welche nicht nur spezifische Errungenschaften des kulturellen und politischen Fortschritts in Frage stellten, sondern auch die zivilisierte Gesell-schaft in ihrer Gesamtheit bedrohten, machte gewaltsame Lösungsstrategien und Handlungsoptionen für die identifizierten Probleme plausibler. Gegen barbari- sche Horden und unzivilisierte Kriegsscharen war der Einsatz massiver Gewalt, um mit Popitz zu sprechen, leichter vorstellbar und damit auch leichter in die Tat umzusetzen.750

Wie gezeigt wurde, nahmen sich die politischen Widersacher im Untersuchungs-zeitraum als Kommunisten und Faschisten , als Barbaren und Unzivilisierte , teil-weise jenseits der menschlichen Gemeinschaft verortet und sogar als infektiöse, schwere Krankheit wahr. Zwischen politischen Antipoden wie faschistischen und kommunistischen Akteuren, zwischen rationalen, dem Fortschritt verpflichte-ten Gruppen einerseits und irrationalen, von niederen Passionen bewegten, dem Fortschritt feindlichen Zeitgenossen andererseits ließen sich keine politischen Abkommen schließen. Die geopolitischen Entwicklungen, wie die von Stalin vor-angetriebene Einverleibung kurz zuvor befreiter Staaten in den Ostblock, zeigten, dass kommunistischen Politikern nicht zu trauen war. Und die Barbaren konn-ten nicht zivilisiert werden, sondern mussten, wie Sarmiento es für Argentinien vorgedacht hatte, ausgelöscht und vernichtet werden, um den Fortschritt und die Modernisierung des Landes voranzutreiben.751

Die moderne Medizin wiederum empfahl die Eliminierung der Ursachen schwerer Erkrankungen für die Gesundung des Patienten, anstatt lediglich die Symptome zu bekämpfen oder abzumildern. Folgerichtig durften die Probleme im politischen Feld, welche die gesamten zivilisatorischen Errungenschaften zu bedrohen schien, nicht mit den üblichen Vorgehensweisen und Mitteln bekämpft werden, wie der bereits zitierte Kommentator von El Siglo bekundete. Morphium, um den Patienten zu betäuben , würde vielen konservativen Meinungsmachern zufolge nicht ausreichen, um der sich zunehmend gewaltsamer gestaltenden Beziehungen zwischen den partidos tradicionales Herr zu werden, während der zersetzende und auslöschende Krebs weiter gedeihen würde, das heißt der politi-sche Widersacher ungestört sein Unwesen treibe.

Dieser sich zunehmend polarisierende diagnostic frame ließ mit seinem Ein-fluss auf den prognostic frame in den Augen der Akteure, welche die sozialen und politischen Realitäten so deuteten, nur noch wenige Handlungsoptionen zu. Zwar riefen Vertreter der partidos tradicionales nicht direkt zu gewaltsamem Vorgehen gegen den politischen Widersacher auf. Die vermehrte Formulierung politischer Nachrichten und Beschreibungen politischer Auseinandersetzungen in militäri-schen Semantiken trug aber dazu bei, dass der Einsatz von physischer Gewalt gegen Zugehörige der um die politische Macht konkurrierenden Partei vorstellbar und plausibler wurde.

Die Zahl der militärischen Reminiszenzen und Vergleiche in politischen Debat-ten und verbalen Auseinandersetzungen spiegelte wider, dass Meinungsmacher beider Parteien zunehmend die militärischen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der Traditionsparteien als zentrale Handlungsoption sahen. Der milita-risierte prognostic frame gewann gegen Ende der 1940er Jahre an Bedeutung in den Debatten im zeitgenössischen politischen Feld und ließ nur noch wenig Raum für nicht-militärische, friedliche Handlungsvorschläge, mit denen die sich ver- komplizierende politische Situation hätte gelöst werden können. Moderate Ver-treter der partidos tradicionales , die für eine friedliche Lösung der zunehmend komplizierten Beziehungen zwischen den Parteien plädierten, wurden nicht mehr wahrgenommen.752

Eco Nacional kritisierte das aus seiner Sicht nur halbherzige Bekenntnis der Liberalen Partei unter Führung von Gaitán zur Koalitionsregierung der Unión Nacional . Er warf den liberalen Politikern vor, die Taktik der asymmetrischen Kriegsführung par excellence anzuwenden: Mit der von der liberalen Parlaments-mehrheit verfolgten Resistencia Civil „legt sie der Exekutive Hinterhalte ( embos- cadas )“, das heißt sie greife verdeckt und lediglich in für sie opportunen Momen-ten die Koalitionsregierung an. Der Vorsitzende der Liberalen Partei, Gaitán, erfülle bei diesem Vorgehen die Funktion eines „Kondottieres“, das heißt eines Söldnerführers.753

Mit Blick auf das Projekt der liberalen Mehrheit im Parlament, die Polizei der Kontrolle der Exekutive zu entziehen und unter die Befehlsgewalt der Legislative zu stellen, um so den zunehmend parteipolitisch motivierten Einsatz der Polizei zu verhindern, bekundete der ministro de gobierno Montalvo, dass die Konservative Partei die Regierung „ a sangre y fuego “ verteidigen würde.754 Die Ankündigung, dass sich die Konservative Partei und die Exekutive ohne Rücksicht auf Verluste, auch unter Aufopferung des eigenen Lebens, gegen die liberalen politischen Pro-jekte zur Wehr setzen würde, wurde von liberalen Politikern als Herausforde-rung zu bewaffneten Auseinandersetzungen aufgenommen.755 Angesichts des Ver-gleichs politischer Betätigung mit kriegerischen Auseinandersetzungen fehle „der Grund, der liberalen Parlamentsfraktion nahezulegen, die unverschämte Heraus-forderung des Herrn Minister nicht als Kriegserklärung aufzufassen“.756 Ordoñez Quintero, ehemaliger Vorsitzender des Kongresses, deutete das Schweigen von Ospina Pérez dahingehend, dass dieser nicht nur den Bruch der Unión Nacio- nal anstrebe, sondern auch „den Bürgerkrieg sucht“.757 Vor dem Hintergrund der Beschwerden der liberalen Politiker und Presse über die vieldeutigen Aussagen von Montalvo verwies El Siglo auf die geeigneten Mittel, eine mögliche Formie-rung der „Kriegsscharen der restauración [der politischen Bewegung um Gaitán, L. R.] aufzuhalten: Luftwaffe, Marine, Artillerie, Infanterie, Kavallerie“.758

Der Directorio Conservador de Antioquia bezeichnete den Wahlsieg der Kon-servativen Partei bei den Präsidentschaftswahlen 1946 als „ersten Sieg“ in einer Reihe von zu führenden Auseinandersetzungen. Er forderte diesen „Brückenkopf ( puesto de avanzada ) durch den Aufbau unüberwindbarer Bastionen als strategi-schen Punkt für die Planung und Durchführung zukünftiger Feldzüge ( campañas ) zu sichern“.759 Die Erklärung von Gómez, dass eine revolución – ein Terminus, mit dem auch im Untersuchungszeitraum noch ein möglicher Bürgerkrieg zwi-schen Liberalen und Konservativen, wie im 19. Jahrhundert, bezeichnet wurde760– notwendig sei, die politische Pattsituation zwischen Liberaler und Konservati-ver Partei zu lösen, sorgte auf der liberalen Seite für böse Vorahnungen. Die Aus-sage stelle „eine Parole dar, die zweifellos ihre blutige Umsetzung in die Praxis in den Landstrichen finden wird, in denen den liberalen campesinos der Schutz der Autoritäten fehlt“.761

Der dirigente conservador Salazar García aus Valle del Cauca forderte die Par-teiführung auf, „die […] sowohl im Ungemach als auch im Sieg treuen Milizen der Partei durchzusehen“ und versicherte dem Directorio Nacional , dass „die Legionen der Partei bereit und in Formation stehen“.762 Angesichts der „siegrei-chen Kampfbegier ( combatividad )“ der Anhänger der Konservativen Partei zwei-felte er nicht daran, dass die Konservative Partei eine erfolgreiche Regierungs-politik durchsetzen könne, obwohl „der Gegner versucht, die Positionen, die ihm der Präsident großzügigerweise einräumt, als Schützengraben zu nutzen, um die Regierung zu bekämpfen“.763

Lozano Henao beschrieb das Verhältnis zwischen den beiden Traditions-parteien ebenfalls in einer ähnlichen militärischen Semantik. Er berichtete vor dem Hintergrund der steigenden Zahl gewaltsamer Zusammenstöße zwischen Liberalen und Konservativen in Norte de Santander, dass einige Konservativen, „welche die Verfolgung durch die Liberale Partei nicht mehr ertragen konnten, liberale Schwadronen in die Flucht geschlagen haben“.764 Rhetorisch fragte er, was geschähe, sollten sich die Anhänger der Konservativen Partei zur Vergeltung entschließen und wenn „ein glorreiches Heer und alle Konservativen aus Norte [de Santander] mit Ehrgefühl zur Verteidigung ihrer Leben gegen die rasenden Gefolgsleute des restaurador [Gaitán, L. R.] kämpfen“.765

El Derecho blieb dem Bild der Partei als militärisch strukturierter Zusammen-schluss treu und sah es als notwendig an, Mitglieder der Konservativen Partei, „Anführer und Soldaten“, an die Loyalität gegenüber der konservativen Ideolo-gie und der Gemeinschaft zu erinnern. In der Regionalzeitung wurden die Unter-stützer der konservativen Regierung aufgerufen, sich zu verteidigen, „damit [die Konservative Partei] auf allen Feldern siegt“. Um dieses Ziel zu erreichen, „lohnt sich ein Kreuzzug [und] jeder Konservativer muss […] ein aktiver Soldat der Partei sein“.766

Der Flügel der laureanistas in der Konservativen Partei interpretierte das Vor-gehen gegen die Expansion kommunistischer und liberaler Akteure in Kolumbien ebenfalls als einen heiligen Kampf. Sollten „Stimmen der Zwietracht in diesem Kreuzzug“ zu hören sein, „bliebe unsere Schuld nicht auf die Gegenwart begrenzt, sondern die Schuld würde sich auch auf die Zukunft ausweiten“.767 Moderate Ver-treter der Konservativen Partei, wie Miguel Zapata Restrepo, stellten fest, dass die konservative Gewalt Züge eines „heiligen Krieges“ angenommen hätten.768

Radikalisierte Konservative wie Alzate Avendaño machten im Oktober 1949 ausschließlich die Liberale Partei für die verfahrene politische Situation verant-wortlich, da sie es sei, die ungeachtet der Schlussfolgerungen, zu der die kanadi-sche Untersuchungskommission gekommen war, eine Überprüfung der cédulas verhinderte. Des Weiteren habe die Resistencia Civil aus den legislativen Körper-schaften „einen Unterstand ( refugio ) unwürdiger Konsumenten, die nicht das pro-duzieren, was sie konsumieren“ gemacht.769 Alzate Avendaño warnte die Liberale Partei, dass „die Frage der Macht nicht an den Wahlurnen, sondern auf den Barri-kaden entschieden wird“, sollte sie ihre wenig verhandlungsbereite Haltung beibe-halten.770 Der konservative dirigente Navarro Ospina drohte relativ unverhohlen mit dem Einsatz von Gewalt: „Wenn der Liberalismus darauf besteht, die Wahlen [auf den 27.11.1949, L. R.] vorzuziehen und die Ausstellung neuer cédulas ver-hindert, wird der politische Kampf unmittelbar auf ein anderes Feld als das gegen-wärtige verlegt […] sie [die Liberale Partei, L. R.] nimmt eine unübliche Haltung ein, die den Frieden der Republik gefährdet“.771

Auf Seiten der Liberalen hatten sich Eduardo Santos und die anderen Mitglie-der der Dirección Nacional Liberal schon 1947 „mit enthusiastischer Demut“ zu den „vielen anderen Soldaten unserer Mission ( causa )“ gezählt bzw. hatten sie angeboten, zu „einfachen Soldaten ( soldados rasos )“ der Partei zu werden, wenn dies der Einheit der Liberalen Partei zuträglich sei.772 Auch gaitanistas sahen sich als „Soldaten der kolumbianischen Freiheit“, die bereit seien, in jedweder Form für „das Vaterland und ihre Mission“ sowie für die Anliegen Gaitáns zu kämpfen.773Ismael Zuleta versicherte Gaitán, dass dieser „immer auf meine Unterstützung als Soldat zählen kann, der entschlossen und bereit ist, das Gewehr zu ergreifen“.774Gaitán wiederum versicherte seinen Anhängern, dass er nicht zurückbleibe, wenn „in dem Moment der Gefahr der Befehl, in die Schlacht zu ziehen ( la orden para la batalla ), gegeben werden muss“ und dass „meine Anwesenheit in den Straßen an der Spitze von euch [seiner Gefolgschaft, L. R.] das Zeichen dieser Schlacht sein wird“.775 Als Gaitán ermordet worden war, bedauerten einige seiner Anhän-ger, nicht mit ganzer Kraft an den Aufständen, die seiner Tötung folgten, teil-haben zu können: Ein liberales Parteimitglied aus Ibagué gab den ermittelnden Beamten zu Protokoll, dass „ich eine Verwünschung aussprach, weil ich meiner Partei keinen Dienst leisten konnte, in […] den Schützengräben der Freiheit, mit einem Gewehr, denn ich dachte in diesem Moment, dass es zu einem Bürgerkrieg kommen würde“.776

Und Castro Martínez erinnerte daran, dass die Partei daran gewöhnt sei, „die guten Liberalen an der Spitze ihrer Kriegsscharen ( huestes ) zu sehen, ohne vor den Gefahren einzuhalten“. Er forderte diese guten Liberalen dazu auf, die „Deserteure zu isolieren und die gesamte Frontlinie der Wahlschlacht ( batalla electoral ) abzu-decken“.777 Gegen Ende der 1940er Jahre bereitete sich die Liberale Partei ihrer-seits verstärkt auf die anstehenden politischen Auseinandersetzungen gegen die „Konservative Partei, Partei der Reaktion und der Barbarei, politischer Zusam-menschluss der Massakers und des Hasses“778, vor:

Da die „kriegserprobten Kasernen ( aguerridos cuarteles ) des Liberalismus von Aktivität, Enthusiasmus, Standhaftigkeit und Vertrauen geprägt sind“, gleiche die Liberale Partei „heute eher einem mächtigen marschierenden Heer als einer poli-tischen Partei in Wahltrance“. 780

Die militärischen Semantiken im politischen Diskurs liberaler Politiker nah-men ihre konservativen Pendants zum Anlass, Carlos Lleras Restrepo vorzu-werfen, mit seinen Reminiszenzen an die Gewalt und die Bürgerkriege des 19. Jahrhunderts der Konservativen Partei de facto den Krieg erklärt zu haben. Dies beweise aus konservativer Sicht, dass „der Liberalismus in den Körperschaften einen revolutionären Plan verfolgte“781 und die Gewalt somit ihren „Ursprung ( foco ) im Kongress“ habe, in dem die Liberale Partei die größte Fraktion stellte.782

Damit die Konservativen auf dem von ihnen angekündigten Kreuzzug nicht weiterhin Raum gewinnen würden, forderte Ismael Santofimio den Herausgeber der liberalen Regionalzeitung El Mundo , José Manuel Benítez, als pars pro toto der Liberalen Partei auf, „zum Wohl der Partei und des Vaterlandes in dem Schüt-zengraben zu verbleiben“.783 Um dieses Ziel zu erreichen, plädierte die liberale Zeitung La Opinión dafür, „alle Kampfeinheiten ( efectivos de la lucha ) technisch zu organisieren und eine geschlossene Schlachtlinie zu zeigen“, wenn man „als historische Gemeinschaft überleben will“.784 Dabei verwies die Regionalzeitung mit der Aussage, die Liberale Partei sei immer ruhmreich gewesen, wenn „die widrigen Umstände sie zum verzweifelten Kampf und zur bitteren Auseinander-setzung zwangen“, auf die guerras civiles des 19. Jahrhunderts.785

Für die bereits erahnte, nicht mehr rein verbale Auseinandersetzung zwischen der Liberalen und der Konservativen Partei erachtete El Mundo es als notwen-dig und legitim, dass sich die beiden Traditionsparteien „mit ihren Einheiten für die Schlacht bereit machen“.786 Weiterhin sei die harmonische Einheit zwischen „Anführern und Soldaten“ vonnöten, damit diese gemeinsam „dem Ruf des Vater-landes und der vollen Siegesgewissheit folgen“.787 Um in den Exekutivwahlen im November 1949 zu bestehen, die als das Wohl der Partei und des ganzen Landes entscheidend wahrgenommen wurden, sei eine klassenübergreifende, „Totalmo-bilmachung ( movilización total ), […] der Bauarbeiter und Händler, der Landwirte und der Industriellen, der Studenten und Arbeiter“ notwendig.788 Den Führungs-gremien der Liberalen Partei komme dabei die Aufgabe zu, „eine intensive Vorbe-reitung der Massen zu leisten und diesen zu lehren, sich zu verteidigen und sich zu organisieren […], damit wir [die Liberalen, L. R.] einmal mehr den traditionellen Gegner schlagen können, der bereits die schwere Maschinerie seiner Stoßtruppen in Bewegung setzt“.789 Der liberale Senator Gilberto Moreno warnte im Sommer 1949 vor den anstehenden Legislativwahlen, dass „die Liberale Partei bewaff-net ist und wenn sie bei den Wahlen nicht siegen wird, wird sie den Bürgerkrieg erklären“.790

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7 Die Traditionsparteien als Antipoden im politischen Feld

Bezüglich der Selbstdarstellung der Traditionsparteien lässt sich zusammen-fassend feststellen, dass diese sich nicht nur als Träger politischer Programme verstanden. Vielmehr präsentierten sie sich auch als Verkörperung moralischer Werte und Traditionen, von deren Verteidigung das Wohl der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit, mehr noch, der abendländischen Zivilisation abhänge.791 Auf der Ebene der Wahrnehmung des politischen Gegenübers zeichneten die Traditions-parteien Bilder von ihrem politischen Widersacher, die diametral zu der eigenen politischen Gemeinschaft standen, deren Wertekodex zu zerstören drohten und somit die Fronten zwischen den politischen Gemeinschaften verhärteten.792 Im Rahmen der Herausbildung kollektiver Parteiidentitäten griffen Vertreter der par- tidos tradicionales allerdings auf weitere cleavages zurück, um die Differenzie-rung zwischen den vorgestellten Gemeinschaften zu vertiefen.

Auf einer politischen Achse bewegten sich die Unterscheidungen, entlang der Differenzierung von Faschisten und Kommunisten. Die subjektiv als „Faschis-ten“ und „Kommunisten“ wahrgenommenen politischen Akteursgruppen wiesen keine ideologische Schnittmenge auf, die eine gemeinsame, konzertiert-kons-truktive und vor allem friedliche politische Betätigung zu ermöglichen schien. Für weite Teile der Traditionsparteien war das Gewalthandeln die einzig verblei-bende Interaktionsform mit dem politischen Gegenüber. Unter Betonung einer kulturalisierten Trennmarke bemühten die Wortführer der Parteien weiterhin eine Opposition entlang der Unterscheidung von Barbarei und Zivilisation. Für die Deutungsrahmen von Anhängern der Konservativen Partei lässt sich feststellen, dass sie Liberale als mitunter tödliche Krankheit wahrnahmen, wenn sie auf den Gegegnsatz krank-gesund zurückgriffen.

Von besonderem Interesse ist der Umstand, dass kollektive, sich vom cleavage aus konstituierende Identitäten einen „Ausschließlichkeitsanspruch“ besitzen, der „ alle erfassen will, und jeden Einzelnen ganz “.793 Das heißt, dass von den Akteu-ren, welche die vorgestellte Gemeinschaft bilden, ein eindeutiges und ungeteiltes Bekenntnis zu dem Kollektiv erwartet wird und Ambivalenzen bezüglich ihrer identitären Zugehörigkeit nicht geduldet werden.794 Zwar vermochte es weder die Liberale noch die Konservative Partei, alle Kolumbianer und jeden Kolumbia-ner ganz von den jeweils vertretenen politischen Positionen und Programmen zu überzeugen. Dennoch kam der von Assmann attestierte Ausschließlichkeitsan- spruch kollektiver Identitäten mit Blick auf das politische Feld Kolumbiens Mitte des 20. Jahrhunderts gewissermaßen in umgekehrter Denkrichtung zum Tragen. Bestimmte Identitätsgemeinschaften verbieten es, dass dem ihnen zugrundelie-genden Ausschließlichkeitsanspruch nachgekommen werden kann, weil sich nicht alle zu integrierenden Akteure von der Richtigkeit der absolut gesetzten Werte und Programme überzeugen lassen – wie die in subjektiven Wahrnehmun-gen konstruierten kommunistischen und faschistischen Gruppen. In diesen Fällen ist die absolute Abspaltung von den nicht „integrierbaren“ Akteuren die einzige Möglichkeit, die eigene Gemeinschaft vor ihnen zu schützen. Gleichzeitig erhö-hen die Akteure, die sich vorbehaltlos zu der jeweiligen vorgestellten Gemein- schaft bekennen, den Druck auf die zögernden und zaghaften Mitglieder, sich aktiv in die Gemeinschaft einzubringen, um nicht als illoyal zu gelten.795

Ungeachtet der Tatsache, dass sich die Traditionsparteien durch die Existenz verschiedener politischer Flügel und Fraktionen auszeichneten, bildete sich wäh-rend des Untersuchungszeitraums das von den politischen Widersachern gezeich-nete Bild der partidos tradicionales als homogene, nahezu monolithische poli-tische Einheiten heraus – die Konservativen als Faschisten und falangistas , die Liberalen als Kommunisten. Die zunehmende Polarisierung der Traditionsparteien manifestierte sich in dem wachsenden Einfluss der radikalen Flügel der Liberalen und der Konservativen Partei.796 Aus den wechselseitigen Identitätskonstruktio-nen aus Selbstdarstellung und Wahrnehmung des politischen Gegners erwuchsen die partidos tradicionales als Antipoden, die sich gegenseitig ausschlossen bzw. ein gemeinsames politische Vorgehen unmöglich machten. In diesem Kontext stellt Majka fest, dass „die Identifikation mit dem Kollektiv Partei gleichzeitig ein Feindbild und die Ausgrenzung der Anderen von der anderen Partei zur Bedingung hatte“.797 Nachrangige Mitglieder der Traditionsparteien wie campesinos sahen sich „in einem ewigen Krieg zwischen dem Guten und dem Bösen“ verwickelt.798

Ähnlich wie im Falle religiös motivierter (terroristischer) Gewalt war eine manichäistische Wahrnehmung des politischen Feldes und des sozialen Raums entlang der Trennmarke liberal-konservativ bzw. kommunistisch-faschistisch zu beobachten.799 Die Dichotomisierung der sozialen Welt wurde 1952 in der Analyse der innenpolitischen Situation durch den Oberbefehlshaber der Streitkräfte und späteren Präsidenten Rojas Pinilla deutlich. Er unterschied dichotom zwischen „Banditen und guten Menschen ( gente de bien )“.800 Gaitán wiederum drückte die bipolar wahrgenommene politische Realität wie folgt aus:

Vor diesem Hintergrund der diskursiven Dichotomisierung , die, wie Majka betont, sozioökonomische Unsicherheiten und Ungewissheiten in der Nachkriegs-zeit verstärkten802, wurden die Selbstaufopferung und die Bereitschaft, „für die Partei zu sterben […] zum höchsten Bekenntnis der Loyalität des Parteimitglieds“ gegenüber der vorgestellten Gemeinschaft – ähnlich der Figur des Märtyrers in religiösen Kontexten.803 Gaitán warnte die konservative Regierung im März 1948 in der Rede auf der Plaza Bolívar im Zentrum Bogotás, welche die Marcha del Silencio beendete, dass „wir [die Liberalen, L. R.] bereit sind, unsere Leben zu opfern, um den Frieden und die Freiheit Kolumbiens zu retten“.804 García und Betancourt betonen die Bedeutung des politischen Diskurses, der die politische Auseinandersetzung als einen Kampf des Guten gegen das Böse darstellte, für das Aufkommen und Agieren konservativer Gewaltkollektive wie der pájaros .805

Die diskursiv geschaffene, absolut gesetzte Differenz zwischen Konservati-ver und Liberaler Partei beschränkte sich aber mitnichten nur auf den politisch-program-matischen Bereich. Unter Rückgriff auf einen kulturalisierten cleavage wurde in den Diskursen exponierter Vertreter der Traditionsparteien eine Oppo-sition zwischen der okzidentalen Zivilisation und der Barbarei gezeichnet. Die sich gegenseitig beeinflussenden Diskurse der partidos tradicionales und wech-selseitigen Wahrnehmungen erlangten des Weiteren teilweise eine derartige Kon-fliktivität, dass der politische Gegner diskursiv als tödliche Krankheit wahrge-nommen und so jenseits der menschlichen Gesellschaft verortet wurde. Dennis ist in diesem Zusammenhang zuzustimmen, wenn sie befindet, dass nicht nur das Zeichnen absoluter Feindbilder (Kommunisten und Faschisten) den konkre-ten Gewaltakten während der Violencia vorausging, sondern dass der politische Widersacher vor seiner Tötung entmenschlicht wurde.806 Dieser Punkt ist insofern von Interesse, da gewisse Waffentechniken und Gewaltpraktiken es erfordern, die Opfer vor dem eigentlichen Gewaltakt zu entmenschlichen.807 Die Dehumanisie-rung der Opfer während der Violencia stellte einerseits den diskursiv-kulturellen Kontext der Gewalt dar. Andererseits spiegelte sich die Verneinung des mensch-lichen Charakters der Opfer auch in der Performanz der Gewalt wider – Uribe verweist auf Gewaltpraktiken der Violencia , die aus dem Handlungsfeld des bäu-erlichen Schlachtens von Tieren stammten.808

Die subjektiv bedingte Identifizierung von Gründen für die sich zunehmend konfliktiver gestaltende politische Situation und die damit einhergehende Imagi-nation des Feindes sind für den Untersuchungszeitraum und die ihn dominierende Gewalt von großer Bedeutung. Popitz betont mit Blick auf Gewaltphänomene die Wirkmächtigkeit der menschlichen Vorstellungskraft: Da sich Menschen sowohl das Brechen moralischer Tabus als auch die Ausübung exzessiver Gewalt vorstel-len können, können sie auch moralische Tabus in der Realität brechen und exzes-sive Gewalt gegen ihresgleichen ausüben.809

Die Wahrnehmung des Gegners unter weiten Teilen des politischen Feldes als eine monolithische politische Einheit ohne gruppeninterne Differenzierungen, mit der es keine Gemeinsamkeiten gab, die als Grundlage für Verständigung und gemeinsames Handeln hätten dienen können, stellt eines der zentralen Erklä-rungsmomente für die Gewalt zwischen beiden vorgestellten Gemeinschaften dar. In dem Maße, wie der politische Konkurrent außerhalb der zivilisierten und sogar der menschlichen Gemeinschaft verortet wurde, wurde auch der Einsatz von Gewalt gegen ihn möglich – weil vorstellbar –, die ostentativ und exzessiv grau-sam war. Selbst Gewaltpraktiken, die aus dem Handlungskontext des Schlachtens von Tieren bzw. der Beseitigung von Ursachen tödlicher Krankheiten stammten, fanden ihre Anwendung im Umgang mit dem politischen Gegner.810

Muñoz, der die Violencia aus einer diskursanalytischen Perspektive untersucht, identifiziert einen Diskursstrang, der die in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre zunehmende Gewalt mit dem politischen Wettstreit, dem Wahlbetrug und der sub-jektiv zugeschriebenen Aussagekraft von Wahlen assoziiert – so wie er vorange-hend skizziert worden ist. Seiner Untersuchung folgend bricht dieser Diskurs-strang Mitte 1949 vergleichsweise abrupt ab und wird durch die Wahrnehmung politischer Realitäten ersetzt, welche die Gewalt als einen Dauerzustand sah und mit dem Schlachtfeld und militärischen Gefechten in Verbindung brachte.811Obgleich gezeigt wurde, dass politische Aktivitäten bereits vor Mitte 1949 mit bewaffneten Auseinandersetzungen verglichen wurde, wie sich in dem Gebrauch der militärischen Semantiken widerspiegelte, und auch der Vorwurf des fraude nach 1949 geäußert wurde, ist Muñoz zuzustimmen, dass Mitte des Jahres 1949, vor dem Hintergrund der von den Liberalen gewonnen Legislativwahlen und der anstehenden Kandidatur von Laureano Gómez für das Präsidentenamt, die poli-tischen Diskurse an Heftigkeit gewannen. Die diskursive Polarisierung fand, wie im folgenden Teil der Arbeit dargestellt wird, oftmals ihre Übersetzung von der diskursiven Deutungs- auf die regionalspezifische Handlungsebene.

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III Die Gewalt im Raum des Politischen. Die Violencia in Tolima 1 Die Violencia in regionaler Perspektive

Wie in dem vorangegangen Teil der Arbeit gezeigt wurde, machte die Dicho- tomisierung der sozialen Realität den Einsatz von Gewalt gegen den politischen Widersacher in fortschreitendem Maße, um Popitz zu paraphrasieren, vorstellbar , ergo zu einer Handlungsoption in Aushandlungsprozessen im Raum des Politischen Kolumbiens. Vertreter der Traditionsparteien stellten Gewalt als Lösungsvorschlag für die als zunehmend konfliktive politische Situation diskursiv zur Verfügung. Allerdings, so ist zu betonen, wurde die Handlungsressource Gewalt nicht an jedem Ort in gleichem Maße in die Realität überführt und genutzt. Zwar ist Gewalt eine Ressource, auf die jedermann zurückgreifen kann , aber Kontexte, in denen man auf sie zurückgreifen muss , weil es keine andere Option des wie auch immer gearteten Handelns gibt, stellen Extremsituationen der menschlichen Existenz dar.

Michael Krennerich, der darauf zielt, sich von Galtungs Konzept der Struk- turellen Gewalt abzugrenzen, unterscheidet zwischen Gewalt verhältnissen und Gewalt taten . Gewaltverhältnisse will er als einen strukturellen Begriff verstanden wissen und streicht heraus, dass diese zwar eng mit den konkreten, sowohl phy-sischen als auch psychischen, Gewalttaten verbunden sind, aber keine simplifi-zierenden Kausalketten vorliegen. Er will die strukturellen Rahmenbedingungen, die gewalttätiges Handeln begünstigen oder hervorrufen, in Widerspruch zu dem Galtung’schen Diktum, von der Violenz analytisch trennen. Bei dem Konzept der Strukturellen Gewalt von Galtung sieht Krennerich das entscheidende Defizit, dass die erklärenden Faktoren, das Explanans , und die zu erklärende Gewalt, das Explanandum , miteinander vermischt werden.812

Die regionalen oder sogar lokalen politischen Machtstrukturen stellen ein Bei-spiel der von Krennerich beschriebenen Gewaltverhältnisse dar, von denen der Rückgriff auf Gewalt im politischen Wettstreit während des Untersuchungszeit-raums und die subjektive Legitimität der Gewalt abhingen. Die Machtverhält-nisse zwischen den Parteien, der Charakter der regionalen und lokalen politischen Klasse oder rezente, subjektiv erfahrene Beziehungen zwischen den politischen Kollektiven – um nur einige Beispiele zu nennen – erklärten den Rückgriff auf die Handlungsressource Gewalt in politischen Auseinandersetzungen. Sie bedingten die Dynamiken und den Charakter der Violencia und sind zentrale Faktoren, wel-che „das Denkbare [die Gewalt] zum Machbaren werden lassen“.813

Medina verdeutlicht am Beispiel der im südlichen Tolima gelegenen Gemeinde Chaparral, in welchem Maße die regionalen oder lokalen Rahmenbedingungen als Gewaltverhältnisse für die Nutzung oder den Verzicht auf die Handlungsop-tion Gewalt bedeutsam waren. Die politische Elite der Gemeinde in Südtolima war nahezu ausnahmslos liberal und verfügte über starken Einfluss auf die natio-nalstaatliche Politik. Darío Echandía, exponierter dirigente liberal und Präsident-schaftskandidat 1949 ist das sicherlich deutlichste Beispiel für einen politisch einflussreichen chaparraluno . Aufgrund der Möglichkeit, Einfluss auf die natio-nalstaatliche Politik zu nehmen, konnten in Chaparral ansässige Liberale lange Zeit auf gewaltsames Vorgehen gegen den politischen Widersacher verzichten.814

Den gewaltsamen Konflikt zwischen Anhängern der Liberalen und der Kon-servativen Partei sowie kommunistischen Akteuren, die Violencia , zu verstehen, bedeutet also, seinen regionalen bzw. lokalen spezifischen Ausprägungen nach-zuspüren. In der ersten Phase des Untersuchungszeitraums (1946-1949) kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern der Traditionspar-teien vor allem in Regionen, in denen die Stimmenverteilung der Liberalen und Konservativen Partei relativ ausgeglichen war, das heißt in denen durch leichte Verschiebungen in dem Wählerverhalten und den Machtrelationen Siege bei den 1947 anstehenden Wahlen errungen werden konnten. Riekenberg verweist mit Rückgriff auf Elias darauf, dass gerade dort, wo sich die Kontrahenten in den bewaffneten Auseinandersetzungen durch geringe Machtdifferentiale aus-zeichnen, das heißt sie über den sich mehr oder minder annähernden Zugang zu Gewaltressourcen verfügen, eine hohe Gewaltintensität zu erwarten ist.815 Nur graduelle Differenzen in der Stimmenverteilung zwischen Anhängern und Wäh-lern der Konservativen bzw. Liberalen Partei konnten zum einen bei einer ver-gleichsweise geringen Verschiebung im Stimmverhalten zum Wahlsieg der einen oder anderen Partei führen. Zum anderen wurden mit der Anzahl der Anhänger einer der beiden Traditionsparteien aber auch deren militärische Stärke beschrie-ben, denn wie El Derecho forderte, „muss jeder Konservativer […] ein aktiver Soldat der Partei sein“816 – und ähnliches forderten auch die dirigentes liberales von ihrer Gefolgschaft.

In diesen Situationen sollen Riekenberg folgend die eigenen, im Vergleich zum politischen bzw. militärischen Gegner geringen oder nur geringfügig größeren Machtressourcen durch die betont grausame Gewalt überhöht dargestellt werden, zumal die Kräfteverhältnisse zwischen den Kontrahenten nie genau eingeschätzt werden können, sondern ein letztes Maß an Unwägbarkeiten erhalten bleibt. Die Zurschaustellung und die Demonstration der eigenen Machtressourcen zielen dar-auf, eine „Abschreckungsreputation“ zu erlangen, also den Gegner bereits ein-zuschüchtern und zu verängstigen, bevor er einen militärischen (Gegen-)Angriff plant oder unternimmt.817

Kriegerische Auseinandersetzungen, in denen eine übergeordnete Instanz wie der Staat fehlt, die als mehr oder minder neutraler Garant fungieren kann, dass Abkommen und (Friedens-)Verträge zwischen den Gewaltkollektiven auch einge-halten werden, haben das größte Vernichtungspotenzial.818 In dem Maße wie sich die konservative Regierungspartei mit der patria identifizierte und den Parteier-folg mit deren Überleben gleichsetzte, konnten sich Anhänger der Liberalen Partei nicht darauf verlassen, dass die staatlichen Ordnungskräfte ihre Rechte wahren oder sie vor Übergriffen schützen würden. Die Vehemenz der Gewalt wird bei Konflikten in bäuerlichen Gesellschaften – und um einen solchen handelte es sich im Fall der kolumbianischen Violencia – dadurch erhört, dass die landwirtschaft- liche Existenzgrundlage, die bestellten Äcker und Felder, nicht „transportabel“ sind, die Kontrahenten sich nicht bzw. nur unter enormen Kosten ausweichen können.819

Wie Gilhodés festhält, ging die Gewalt in der ersten Phase der Violencia in der Mehrheit der Fälle von radikalisierten konservativen Kreisen, vor allem den lau- reanistas , aus, die darauf hofften, ihre Position bei den Wahlen 1947 durch den Einsatz von Gewalt zu verbessern.820 Riekenberg betont, dass die berechtigte Kri-tik an dem Modell der Strukturellen Gewalt von Galtung nicht darüber hinweg-täuschen darf, dass jedweder Gewaltakt eine strukturelle Dimension besitzt. In Abgrenzung zu der von Sofsky und von Trotha geforderten Fokussierung auf den Akt der Gewalt, der in einer thick description nachzuzeichnen sei, hebt er hervor, dass Gewalt immer auch über den begrenzten Zeitrahmen, in dem er stattfindet, hinauswirkt. In dieser fortdauernden Wirkmächtigkeit konstituiert sich die struk-turelle Dimension von Gewaltakten, die sich unter anderem in der Festschreibung von Machtverhältnissen manifestiert:821 Die Konsequenzen eines Wahlsiegs der Konservativen Partei, der im Zuge gewalttätiger Unternehmungen ihrer Anhänger zustande gekommen wäre, würde weit über den konkreten Akt der Gewalt, auf den die selbsternannten Innovateure der Gewaltforschung fokussieren, hinauswirken.

Die lokalen bzw. regionalen politischen Machtrelationen, als Gewaltverhält-nisse im Sinne von Krennerich verstanden, wiederum waren entscheidend für die Frage, ob radikalisierte Parteimitglieder in ihren Bestrebungen, Gewalt als Hand-lungsressource in dem Wettstreit mit dem politischen Gegner zu etablieren, Erfolg hatten. Gewalt ausübende Anhänger der Liberalen oder der, insbesondere in der Frühphase der Violencia , Konservativen Partei mussten über eine ihr Handeln unterstützende Struktur in der lokalen bzw. regionalen Politik verfügen, das heißt Repräsentanten des Staates mussten gewaltsames Vorgehen gegen den politischen Widersacher zumindest dulden und ihm gleichgültig gegenüber verbleiben – obgleich es an Beispielen, in denen Lokalpolitiker aktive Komplizen der Gewalt- akteure waren, nicht mangelte, wie in den folgenden Kapiteln deutlich wird.

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2 Die ersten Jahre nach dem Regierungswechsel in Tolima: Versuche zur Begrenzung der Gewalt

Vor allem departamentos , in denen es bereits in den frühen 1930er Jahren nach dem Amtsantritt von Olaya Herrera zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Liberalen und Konservativen gekommen war, waren in der Frühphase der Violen- cia Schauplätze der Gewalt. So kam es in departamentos wie Boyacá und Norte de Santander zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der beiden Parteien.822 El Espectador berichtete im Januar 1948, dass„der Ein-fall bewaffneter Konservativer einen wahrhaftigen Bürgerkriegszustand“ in der Region um Arboledas und Cucutilla in Santander del Norte geschaffen habe.823 El Tiempo sah den Grund für die Gewalt gegen Liberale, die in Boyacá um sich griff, in den konservativen Vertretern der Regionalregierung. Sie würden, wie die Zei-tung klagte, angesichts der gegen die Liberale Partei ausgeübten Gewalt passiv bleiben und trotz anderslautender Zusagen die Gewalt fördernden Bürgermeister in Amt und Würden belassen.824 Um „in einem Klima des Schreckens und des sectarismo “ den Sieg der Konservativen Partei in den bevorstehenden Wahlen zu sichern, würden aus Sicht des Journalisten der liberalen Tageszeitung in ganz Boyacá „nicht wünschenswerte Personen ( gente indeseable )“ als Bürgermeister und Steuerbeamte eingesetzt.825 Das Sprachrohr der gaitanistas , die Tageszeitung Jornada , erklärte angesichts der Gewalt gegen Liberale in Boyacá, dass eine Koa-lition der Traditionsparteien, die Unión Nacional , offenbar nicht existiere und die Liberalen keinerlei Garantien und Schutz genießen würden.826 Die der Liberalen Partei nahestehende Presse machte zwar Ospina Pérez nicht direkt für die Gewalt in der Frühphase des Untersuchungszeitraums verantwortlich, beschuldigte ihn aber dennoch, nicht alles in seiner Macht Stehende getan zu haben, um die Gewal-texzesse gegen ihre Anhängerschaft in Boyacá zu unterbinden.827

Departamentos wie Tolima, in denen die Liberale Partei traditionell über deutli-che Mehrheiten verfügte, hingegen blieben bis Ende der 1940er Jahre von organi-sierten Gewaltkollektiven und -vorfällen weitgehend verschont. Lokal begrenzte Gewalt, wie sie andernorts von Anhängern der Konservativen Partei ausging, war angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit der Bevölkerung der Liberalen Partei anhing, nicht dazu geeignet, grundlegende Änderungen in den politischen Machtverhältnissen hervorzurufen – die Machtdifferentiale waren zu groß, als dass der begrenzte Einsatz von Gewalt Erfolge gezeitigt hätte. Die Liberale Partei wiederum erwartete bei den nach dem Regierungswechsel anstehenden Wahlen die Umkehrung des Prozesses, welcher der Konservativen Partei den politischen Erfolg 1946 beschert hatte. Angesichts der mehrheitsbedingten Machtstellung gegenüber ihren konservativen Konkurrenten sahen sich liberale dirigentes nicht genötigt, in – bewaffneten – Aktionismus zu verfallen. Vielmehr boten ihnen die Mehrheiten in den legislativen Körperschaften, der Asamblea del Tolima und den concejos municipales , die Möglichkeit, der politischen Taktik der Resistencia Civil zu folgen, wie sie auch auf der nationalstaatlichen Ebene praktiziert wurde, um Einfluss auf die Politik der Exekutive zu nehmen.

Anfang März 1948, als die Unión Nacional auf der nationalen Ebene aufge-kündigt wurde, erklärte auch der Gemeinderat in Ibagué die Resistencia Civil angesichts der bevorstehenden Ernennung eines konservativen Bürgermeisters in der Provinzhauptstadt. Diese politische Strategie beinhaltete die Kürzung von Gehältern öffentlicher Angestellter um 90 Prozent und die Umstrukturierung der von der Bürgermeisterei abhängigen Angestellten. So wurden einige Posten abge-schafft bzw. das bisherige Personal entlassen und anderen Stellen der Lokalver-waltung wie der personería municipal und der controlaría municipal zugeord-net, auf welche die Liberale Partei über die Legislative größeren Einfluss nehmen konnte.828 Auf einer Zusammenkunft in Ibagué kurze Zeit später, am 12.3.1948, folgten liberale Gemeinderäte aus ganz Tolima dem Beispiel ihrer Pendants in Ibagué. Bürgermeister, die sich aggressiv gegen die Zusammenarbeit mit den liberal dominierten Stadt- und Gemeinderäten wehrten, sollten durch drastische Gehaltskürzungen zur Einsicht, dass eine Politik gegen den Widerstand der libera-len Mehrheiten in der Legislative nicht möglich sei, gebracht und zur politischen Zusammenarbeit gezwungen werden. Gleiches galt für die von der Exekutive ernannten Angestellten und die Beamten der Policía Municipal .829

Der Umstand, dass die regionalen politischen Machtverhältnisse und die Mehr-heit der Liberalen Partei in der Legislative in Tolima es ihr ermöglichten, Einfluss im institutionellen Rahmen des politischen Feldes zu nehmen, hieß mitnichten, dass es in Tolima vor Ende der 1940er Jahre nicht zu gewaltsamen Zusammen-stößen zwischen Konservativen und Liberalen gekommen wäre. Bereits vor dem Regierungswechsel im August 1946 kam es in Villahermosa zu Konflikten zwi-schen dem liberalen Bürgermeister, der in der Stadt stationierten Polizei und Mit-gliedern der Konservativen Partei.830 Wie der Comité Municipal Conservador beklagte, instrumentalisiere Ignacio Fernández Suárez, der das Amt des Bür-germeisters nur wenige Tage vor den Präsidentschaftswahlen angetreten hatte, seine Befehlsgewalt über die ortsansässigen Polizisten für seine Bestrebungen, die Anhängerschaft der Konservativen Partei einzuschüchtern. Selbst angesehene konservative Bürger seien den Übergriffen der Ordnungshüter ausgesetzt. Auf Geheiß des Bürgermeisters würden sie des Weiteren Ausweispapiere beschlag-nahmen, um konservativen Wählern die Stimmabgabe für Ospina Pérez unmög-lich zu machen. Gleichzeitig berichtete der Comité von der Tatenlosigkeit des Bürgermeisters bei verbalen Angriffen gegen Anhänger der Konservativen Partei. Fernández Suárez verharre sogar, so klagte das konservative Lokalkomitee, in absoluter Passivität, als der Arzt Miguel Navarro Uribe in der Nacht mit Schuss- waffen angegriffen wurde.831

Der Inhaftierung von Navarro Uribe nach einem Wortgefecht mit dem Bürger-meister folgte ein tumultartiger Aufstand von politischen Weggefährten des Arztes, die sogar drohten, das Gefängnis zu stürmen. Aus den Reihen der rebellierenden Konservativen wurden Stimmen laut, welche die Umstehenden zur Ermordung des Bürgermeisters und der ihm unterstellten Polizisten aufriefen.832 Wie gespannt das Verhältnis zwischen Anhängern der Liberalen und der Konservativen Partei in Villahermosa bereits 1946 war, wird an der Tatsache deutlich, dass zumindest die konservative, lokale Bevölkerung dem Gerücht Glauben schenkte die von Fernández Suárez kontrollierten Polizeibeamten würden das Ziel verfolgen, ein Massaker an der Dorfbevölkerung zu verüben.833

Der konservative Lokalpolitiker Patrocinio Navarro Ruiz wurde am 19.3.1947 in Natagaima Opfer eines Angriffs, der von einer Gruppe liberaler Parteianhän-ger um Ernesto Sánchez ausging.834 Navarro Ruiz war als Mitglied des Comité Conservador der Gemeinde Natagaima in die Dörfer gereist, die in der Nähe der cabecera municipal lagen, um den angeblichen Wahlsieg der Konservativen Par-tei in den wenige Tage zuvor abgehaltenen Legislativwahlen zu verkünden. Laut Angaben des Zeugen Teófilo Bernate seien die des Angriffs beschuldigten Libera-len über die Verbreitung der Falschnachricht – immerhin war die Liberale Partei als Sieger aus dem Urnengang hervorgegangen – derart erbost gewesen, dass sie den zurückkehrenden konservativen Lokalpolitiker mit Steinen und Knüppeln angriffen.835 Nur die anwesenden Polizisten und die Soldaten, die zur Wahrung der öffentlichen Ordnung bei den vorangegangenen Wahlen entsandt worden waren, verhinderten den drohenden Lynchmord an dem dirigente conservador . Die Trag-weite und Bedeutung, die dem Vorfall beigemessen wurde, spiegelt sich auch in dem Umstand wider, dass anfangs wegen „Körperverletzung ( lesiones persona- les )“ ermittelt wurde, die weiteren Ermittlungen allerdings den Tatbestand „Auf-stand ( asonada )“ verfolgten.836

2.1 Der Bogotazo in der Provinz

Während die Situation in Tolima, im Gegensatz zu anderen departamentos , in der Frühphase des Untersuchungszeitraums vergleichsweise friedlich war, stellten die Aufstände von Anhängern der Liberalen Partei, die der Ermordung von Gaitán im April 1948 folgten, die ersten kollektiven Gewaltaktionen in dem departa- mento dar. Im Gegensatz zu den großen urbanen Zentren des Landes waren die Bemühungen in Tolima, die liberale Revolte nicht, wie in Bogotá, in Plünderungen und Brandschatzungen übergehen zu lassen, deutlich ausgeprägt. Wie Sánchez bereits Anfang der 1980er Jahre herausgestellt hat, hat die historische Forschung bislang vorrangig die Ereignisse im Zuge der Ermordung Gaitáns in der Haupt-stadt Bogotá, den Bogotazo , untersucht. Das politische, innovative Potenzial der Aufstände werde aber gerade in der Provinz, jenseits der Großstädte, deutlich.837

Die sich zunehmend konfliktiver und gewalttätiger gestaltenden Beziehungen zwischen Anhängern der Liberalen und der Konservativen Partei bildeten den Hintergrund für die Ereignisse, die dem Mord an Jorge Eliécer Gaitán folgten. Die Nachricht von seinem gewaltsamen Tod verbreitete sich über Radiosender, die teilweise von den rebellierenden Anhängern Gaitáns besetzt worden waren, in Windeseile im ganzen Land. Während der Vorsitzende der Liberalen Partei im Zentrum Bogotás um 13:05h erschossen wurde838, gaben hochrangige liberale dirigentes políticos in den späteren Ermittlungen an, bereits zwischen 13:30h und 14h von dem tragischen Ereignis in der Hauptstadt erfahren zu haben.839

Auch wenn die Regierung Ospina Pérez nicht müde wurde, den Mord als das Ergebnis einer internationalen kommunistischen Verschwörung darzustellen, las-teten die Anhänger Gaitáns das Verbrechen unmittelbar nach den tödlichen Schüs-sen der Regierung – die Unión Nacional war nur wenige Wochen zuvor ausein- andergebrochen – und der Konservativen Partei an.840 Hierzu trug das Gerücht bei, einer der berühmt-berüchtigten, stark politisierten Polizisten, ein chulavita , habe Gaitán erschossen.841 Der Liberale Eberto Riveros beschuldigte in seinen Aussagen vor Gericht ebenfalls Anhänger der gegnerischen Partei: er gab an, kei-nen Konservativen in Ibagué gesehen zu haben, als die Nachricht von dem Atten-tat zirkulierte, „weil es schien, dass sie davon gewusst hätten, dass Dr. Gaitán ermordet würde, damit sie aus der Stadt verschwinden konnten“.842

Felipe Salazar Santos, Mitglied des Directorio Liberal Departamental , drückte sein vollstes Verständnis dafür aus, dass „sich diese Reaktion [der Aufstand libera-ler Parteimitglieder, L. R.] instinktiv gegen zwei Ziele richtete: die Regierung von Ospina Pérez und die Konservative Partei“.843 In Bogotá strömten Liberale zum Präsidentenpalast, um den Rücktritt von Ospina Pérez zu fordern. Auch in Ibagué fanden sich die aufgebrachten und trauernden Liberalen vor dem Sitz der Exekutive ein, wobei in dem departamento Tolima de jure noch París Lozano als liberaler Gouverneur in Amt und Würden war.844

In der Reaktion der Anhänger der Liberalen Partei in Tolima auf den Mord an Gaitán lässt sich erkennen, dass sich zwei Flügel unter den protestierenden Liberalen, ein gemäßigter und ein als radikal zu bezeichnender, herausbildeten. Beide einte, dass sie die führenden dirigentes políticos der Konservativen Partei und die Regierung Ospina Pérez, deren Abdankung sie forderten, für den Mord verantwortlich machten. In der Formulierung ihrer Forderungen und den Ver-suchen, dieses Ziel zu erreichen, unterschieden sie sich allerdings deutlich. Auf diese beiden Gruppen soll im Folgenden näher eingegangen werden.

2.1.1 Der radikalisierte Flügel der nueveabrileños

Vielen rebellierenden Liberalen war als Ergebnis dessen, was ich als Dichoto- misierung der sozialen Realität bezeichnet habe, eine Differenzierung zwischen Personen, die der Konservativen Partei angehörten, dessen ungeachtet aber eine Reihe von individuellen Charaktereigenschaften besaßen, nicht mehr möglich. Das einzige Merkmal, was sie in entscheidendem Maße definierte und zu Feinden machte, war ihr Bekenntnis zur Konservativen Partei. In dem Glauben, diese Par-tei in ihrer Gesamtheit habe die Ermordung Gaitáns zu verantworten, forderten diese radikalisierten, im sectarismo verfangenen Anhänger Gaitáns Vergeltung für seinen Tod, womit sie konkret die Tötung von Konservativen meinten – unab-hängig von deren möglicher Tatbeteiligung oder Schuld an dem Attentat.

Carlos Samuel Posada rief in Mariquita zur Rache an den konservativen Bür-gern der Gemeinde nach dem Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ auf.845 Die potentiellen Opfer fürchteten wohl nicht zu unrecht, dass sich ein Massaker an ihnen anbahnte. Die Rache implizierte, so hatte es einer der bedrohten Konserva-tiven aus dem Mund von Posada gehört, alle Konservativen zu töten.846 Obdulio Cárdenas berichtete, dass sein Wohnhaus und sein Ladenlokal von einer Gruppe protestierender Liberaler am Nachmittag des 9.4.1948 mit Steinen angegriffen wurden, nachdem die Nachricht von dem Attentat auf Gaitán bekannt geworden war. Am Abend desselben Tages sollten die Häuser konservativer Parteimitglieder in Mariquita nicht mehr nur mit Steinen, sondern auch mit Sprengsätzen attackiert werden.847

Fermín Quiñones gab zu Protokoll, dass Aufständische in San Antonio gezielt nach Anhängern der Konservativen Partei suchten, um sie zu töten. Und Nepomu-ceno Gutiérrez zufolge „forderte der Pöbel ( populacho ), dass man die [konser-vativen, L. R.] Gefängnisinsassen freiließ, um das Blut Gaitáns zu rächen“848, das heißt, um sie töten zu können. Andere Anhänger der Konservativen Partei wiederum wurden aufgefordert, die Gemeinde dauerhaft zu verlassen, um ihrer Ermordung zu entgehen.849

In Chaparral war das örtliche Gefängnis das Ziel der Angriffe von rebellieren-den liberalen Bewohnern der Kleinstadt in Südtolima. Sowohl die konservati-ven Häftlinge als auch das Gefängnispersonal sowie der Direktor der Haftanstalt, die der Konservativen Partei angehörten, fürchteten um ihr Leben, als mehrere Dutzend, mit Macheten und Revolvern bewaffnete Aufständische versuchten, das Gefängnis zu stürmen. Die Angegriffenen entgingen nur knapp dem drohenden Lynchmord. Einer der Häftlinge wurde beinahe getötet, weil er eine Krawatte in der Farbe Blau trug, mit der die Konservative Partei identifiziert wurde.850 Und auch in San Antonio forderten die Liberalen, die gegen den Mord an Gaitán pro-testierten, den Tod der inhaftierten konservativen Bürger.851

In dem Dorf Andalucía der Gemeinde Cunday in Osttolima wurde ein von den aufständischen Liberalen festgesetzter Konservativer am 12.4. um vier Uhr mor-gens, also drei Tage nach dem Attentat auf Gaitán, aus seinem „Gefängnis“ geholt und getötet. Da das Opfer bei seiner Ermordung gefesselt war und ihm drei Wun-den zugefügt wurden, von denen jede für sich schon tödlich war, sah das Gericht zwar die Merkmale eines Mordes ( asesinato ) als erfüllt an, erkannte aber unge-achtet der festgestellten Grausamkeit ( sevicia ) auf einen politischen Charakter des Mordes.852 Auch in Ibagué forderten Teile der sich auflehnenden Liberalen den Tod der „ godos “, die sie in ihrer Gesamtheit für den Tod Gaitáns verantwort-lich machten.853 Esteban Ortiz Lozano, Beamter der Policía Nacional , erklärte, Teile der aufständischen Liberalen hätten in der Tötung des Präsidenten Ospina Pérez und Laureano Gómez die „einzige Möglichkeit [gesehen], dies alles [die verfahrene, politische Situation nach dem Mord an Gaitán, L. R.] zu regeln“.854

Aus der Hauptstadt wurde am 9.4.1948 dann auch berichtet, dass konservative Politiker aus Rache für die Ermordung von Gaitán getötet worden seien: Laure-ano Gómez und José Antonio Montalvo seien in Bogotá ermordet worden und Guillermo León Valencia habe das gleiche Schicksal in Popayán ereilt, wie man auch in Ibagué am 9.4.1948 glaubte.855 Diese Nachrichten aus Bogotá in die Pro-vinz waren mehr oder minder indirekte Aufrufe zu Gewalt gegen Anhänger der Konservativen Partei qua Nachahmung, gleichwohl sie sich später als Falschmel-dungen herausstellten: Aus den besetzten Radiostationen wurde im selben Atem-zug, wie sie die Nachrichten über den Tod hochrangiger konservativer Politiker verkündeten, gefordert, dem Beispiel der Liberalen in der Hauptstadt zu folgen, das heißt Vertreter der Konservativen Partei zu töten.856

Auch in Südtolima, in Chaparral, glaubten die rebellierenden Liberalen, dass Laureano Gómez und andere exponierte Repräsentanten der Konservativen Partei von den Aufständischen getötet worden seien.857 Verstärkt wurden die Aversionen gegen die führenden konservativen Politiker und Kabinettsmitglieder der Regie-rung Ospina Pérez durch Nachrichten, denen zufolge Echandía, der sich in Ver-handlungen mit dem Präsidenten befand, von diesem festgesetzt worden sei.858 In Mariquita habe, nach Auskunft des Zeugen Justo Arce, Francisco Luis Arenas zu einer erhöhten Kampfbereitschaft aufgerufen, weil Echandía und Lleras Restrepo Geiseln der konservativen Regierung in dem Präsidentenpalast, der Casa de Nariño , seien und getötet würden.859

Die (Falsch-)Nachrichten, die einerseits indirekte Aufrufe zu Gewalt darstell-ten, andererseits die Hinterhältigkeit der konservativen Politiker betonten und somit die Distanz zwischen Konservativen und Liberalen vergrößerten, wurden von weiteren Gerüchten begleitet, die Gewalt fördernd wirkten. Die rein anti-konservative Gewalt, die ausschließlich auf der Parteizugehörigkeit des als Feind wahrgenommenen Gegenübers basierte, wurde durch eine Serie von Gerüchten gespeist, die das Gewaltpotenzial noch erhöhten. Diese besagten, dass ein Gege-nangriff von konservativen Parteigängern auf die jeweiligen Städte, in denen die liberalen Aufständischen die politische Macht übernommen hatten, bevorstünde.860Nach Aussage von Miguel Angel Pretel herrschte in San Antonio am 9.4.1948 die Überzeugung, dass in La Esmeralda 300, in El Cajón 200 und in El Tetuán 100 Konservative bereit stünden, um gemeinsam die cabecera municipal anzu-greifen.861 Die sich auflehnenden chaparralunos wiederum befürchteten, dass der Pfarrer in San Antonio bis zu 3000 konservative Zivilisten mobilisiern würde, um Chaparral einzunehmen.862 Um sich gegen die eventuellen Angriffe durch Anhänger der Konservativen Partei wehren zu können, zielten die rebellierenden Liberalen darauf, sich zu bewaffnen. Aquimín Vélez berichtete, dass am 9.4.1948 und den Folgetagen in Chaparral „alle bewaffnet waren [und] sogar Schulkinder Dynamitstangen und Macheten auf der Straße trugen“.863 Auch in Ibagué warnten die dirigentes liberales davor, in der Wachsamkeit nachzulassen, denn das „kon-servative Gesindel ( turbas conservadoras )“ könnte jederzeit die Stadt angreifen.864Der liberale Anwalt Germán Torres Barreto sagte ebenso über das Gerücht aus, dass „die Konservativen, 3000 an der Zahl, bis an die Zähne bewaffnet, auf Iba-gué vorrückten, um die Liberalen zu vernichten“.865

Die aufständischen Liberalen in Armero äußerten ebenfalls ihre Sorge, dass eine konservative Konterattacke aus den umliegenden Dörfern bevorstünde: Konservative Milizen unter Führung von Benjamín Espinosa, so die Gerüchte, würden die Stadt aus Süden und aus Westen angreifen.866 Lucio Pirabán bestritt zwar, zusammen mit Antonio Molina, dem berühmt-berüchtigten dirigente con- servador Osttolimas, der den Ruf hatte, vor dem Einsatz von Gewalt nicht zurück-zuschrecken, einen großangelegten Gegenangriff geplant zu haben.867 Allerdings bestätigte Pirabán, dass in den Tagen der liberalen Revolte im April 1948 ein sol-ches Gerücht in Andalucía (Cunday) umging und er daher um sein Leben gefürch-tet hatte.868

Die öffentliche Zurschaustellung von Fotos in Andalucía, die Anhänger der Liberalen Partei zeigten, die in Santander von konservativen Zivilisten und chula- vitas getötet worden waren, erhöhte das Gewaltpotenzial gegen die konservativen Bewohner der Gemeinde.869 Die Bilder führten den Liberalen, im wahrsten Sinne des Wortes, vor Augen, was ihnen (und ihren Familien) drohte, sollte es zu dem befürchteten Angriff konservativer Milizen kommen. Teile der Aufständischen in Ibagué bedienten sich ebenfalls des Bildes der Traditionsparteien als zwei antago-nistische, nicht miteinander vereinbare politische Einheiten, indem sie die Bür-gerkriege des ausgehenden 19. Jahrhunderts evozierten. Emilio Rico verfasste nach eigenen Angaben am 10.4.1948 ein Gedicht zu Ehren des getöteten Gaitán, das er über einen der besetzten Radiosender der Öffentlichkeit verbreitete. Nach seinem Aufruf, den hinterhältigen Mord an Gaitán zu rächen („ lo mataron por la espalda más lo habremos de vengar “) rief er seinen Zuhörern das Bild des libera-len Heerführers aus Tolima, Tulio Varón, in Erinnerung, der die liberalen Truppen in der Guerra de los Mil Días Ende des 19. Jahrhunderts angeführt und den Rang eines Generals bekleidet hatte870:

Aufgrund der unverhohlenen Unterstützung von Teilen der Katholischen Kir-che für die Konservative Partei und deren politisches Programm waren unter den liberalen Aufständischen, die den politischen Gegner allein entlang des social cleavage „Parteizugehörigkeit“ definierten und in der Zugehörigkeit zu der Kon-servativen Partei den einzigen Differenzmarker sahen, auch antiklerikale Stim-men zu vernehmen. Viele Anhänger der Liberalen Partei waren sich bewusst, dass Teile der Kirche die Politik der Konservativen Partei unterstützten – und das nicht immer nur passiv. Verstärkt wurde die antiklerikale Stoßrichtung des Aufstandes durch Nachrichten bzw. Gerüchte, denen zufolge Scharfschützen aus Gebäuden der Kirche auf die rebellierenden Liberalen feuern würden.872

In San Antonio wurde vor den Ereignissen im Zuge des 9.4.1948 berichtet, dass der Pfarrer der Gemeinde die lokalen Konservativen aktiv bei der Aufstel-lung von Parteimilizen unterstütze.873 Daher stürmten liberale Aufständische nach dem Attentat auf Gaitán die Kirche der Gemeinde, da sie davon ausgingen, dass „der Hurensohn von Pfarrer unter den Gewändern der Heiligenstaturen Waffen versteckt hatte, um die Liberalen zu töten“.874 Ebenso riefen sie dazu auf, nicht nur die Mitglieder der Konservativen Partei, sondern auch den Pfarrer zu töten. Dieser war sich durchaus der Gefahren für seine Person bewusst, denn sobald er von dem Attentat auf Gaitán erfahren hatte, flüchtete er unerkannt aus der Stadt.875Auch in Ibagué kam es zu vereinzelten Gewaltaufrufen gegen Kleriker. Der diri- gente conservador Ramón Collazos gab zu Protokoll, dass in den über die besetz-ten Radios ausgestrahlten Reden zur Tötung von godos aufgerufen worden sei. Die Zuhörer seien in gleicher Weise dazu angehalten worden, „zu den Häusern der Pfarrer zu gehen“.876 Aus den Reihen der Aufständischen wurden Forderungen laut, die Priester und andere Kleriker zu töten, denn diese, so die Argumentation der Redner, würden Bomben sowie Hieb- und Stichwaffen besitzen, die gegen die Anhänger der Liberalen Partei eingesetzt werden sollten.877

Solche Gerüchte über die Lagerung von Waffen durch Kleriker bildeten den Hintergrund für den einzigen Mord an einem Kleriker im Zuge des Aufstandes liberaler Parteimitglieder im April 1948 – dem Mord an dem Pfarrer Pedro M. Rodríguez in Armero.878 Dieser habe schon in der Vergangenheit gegen Mitglieder der Liberalen Partei agitiert, wie Decio Emilio Acosta Rivas zu Protokoll gab.879Luis Aguirre beobachtete, wie sich die liberalen Aufständischen am 10.4.1948 vor der Kirche des Ortes versammelten und behaupteten, der Pfarrer besitze Bomben, um diese gegen den pueblo einzusetzen.880 Nachdem Schüsse aus den Gebäuden auf die Aufständischen abgefeuert worden waren, offenbar hatten sich konser-vative Bürger der Stadt in der Kirche verschanzt, versuchten ungefähr 100 mit Macheten bewaffnete Aufständische, den Kleriker festzusetzen. Im Zuge eines Handgemenges innerhalb der Gruppe, die Ramírez abführen wollte, und nach Aufrufen, den verhassten Kleriker zu töten, wurde der Pfarrer erschlagen.881

2.1.2 Die Reaktionen gemäßigter Liberaler auf den Mord an Gaitán

Parallel zu den Aufständen radikalisierter Anhänger Gaitáns formierte sich der Widerstand gegen die konservative Regierung in den Reihen als gemäßigt zu bezeichnender Vertreter der Liberalen Partei. Hochrangige liberale Politiker waren sich der potentiellen Erschütterungen für das politische System bewusst, welche der Mord an Gaitán nach sich ziehen konnte. Um den Protest zu kanali-sieren und den sich spontan zusammenfindenden liberalen Parteianhängern nach Maßen eine politische Führung zu geben, bildeten sich wie im ganzen Land auch in Tolima Juntas Revolucionarias , welche vielerorts die politischen Autoritäten absetzten und, zumindest für einige Tage, die politische Führung übernahmen. In erster Linie waren gemäßigte, freiberuflich tätige und in der Gesellschaft etablierte Vertreter der Liberalen Partei wie Anwälte oder selbstständige Handwerker – Pécaut nennt sie „nicht-revolutionär“882 – Mitglieder dieser Juntas. Diese zielten auf die Rückkehr der Liberalen Partei an die Macht, strebten aber keine grundle-genden Änderungen des politischen Systems an und stellten nicht die Keimzelle einer neuen popularen Macht dar.883 Die Mitglieder der Juntas Revolucionarias bemühten sich, Ausschreitungen, Plünderungen und Brandschatzungen, zu denen es nicht nur in Bogotá kam, zu verhindern.

Als das Zentrum des liberalen Protestes gegen die Regierung Ospina Pérez wegen des tödlichen Attentats auf den liberalen Parteivorsitzenden in Tolima muss Ibagué bezeichnet werden.884 Die Junta Revolucionaria in der Hauptstadt Tolimas bildeten exponierte liberale Politiker885 wie Ernesto Lucena Bonilla (Kongressab-geordneter für die Legislaturperiode 1947-1949), Germán Torres Barreto (ehe-maliger Vorsitzender der Asamblea del Tolima sowie des concejo de Ibagué und Vorsitzender des Directorio Liberal Departamental ) sowie Felipe Salazar San-tos.886 Julio Ernesto Salazar Trujillo, Angestellter der Stadt Ibagué, führte die Ent-scheidung, eine Junta Revolucionaria zu gründen, auf den Wunsch zurück, dem pueblo verantwortungsbewusste Führungspersonen voranzustellen.887

Der Umstand, dass sich hochrangige liberale Politiker in der Junta organisier-ten, verleitete Ramón Collazos, Mitglied des Directorio Conservador Depar- tamental , diese mit dem offiziellen Führungsgremium der Liberalen Partei in Tolima gleichzusetzen.888 Und auch der Gouverneur París Lozano unterstützte „in gewissen Punkten die Rebellierenden“, wie es Londoño Botero ausdrückt.889Diese in den späteren Ermittlungen beklagte Unterstützung des Gouverneurs für die Aufständischen ergab sich aus der spezifischen politischen Situation in der Hauptstadt Tolimas Ibagué, nachdem die Unión Nacional im Vormonat zerbro-chen war. Mit der Entscheidung von Ospina Pérez, eine homogen konservative Regierung zu bilden, stand París Lozano als Angehöriger der Liberalen Partei am 9.4.1948 vor seiner Abberufung als Gouverneur Tolimas. Der kurz vor seinem Amtsantritt stehende neue konservative Gouverneur hatte für den 9.4.1948 bereits eine entsprechende Erklärung vorbereitet.890 Dessen ungeachtet befand sich París Lozano an besagtem Tag offiziell noch in Amt und Würden, sodass er mit Fug und Recht gegenüber den dirigentes liberales erklären konnte, dass er – und nur er – der verfassungsmäßige Gouverneur Tolimas sei. Somit müsse kein libera-ler Aufständischer den Rücktritt der Exekutive fordern, um einen Repräsentanten der Liberalen Partei an der Spitze der Exekutive zu wissen891 – im Gegensatz zu vielen anderen departamentos , denen konservative Gouverneure vorstanden oder in denen es nach dem Bruch der Koalitionsregierung bereits zum Amtswechsel gekommen war. Auf der engen Zusammenarbeit des Gouverneurs mit den Mit-gliedern der Junta Revolucionaria – París Lozano bestätigte und legitimierte als offizieller Amtsinhaber deren Entscheidungen – basierte die Klage, der Gouver-neur habe mit den Aufständischen gemeinsame Sache gemacht.892

Die Streitkräfte unterstellten sich dem Gouverneur. Sie folgten damit ihrer patriotischen, parteipolitisch neutralen Eigenwahrnehmung, die sie weder als liberal noch als konservativ, weder links noch rechts, sondern kolumbianisch und als Verteidiger der kolumbianischen Bürgerschaft sah.893 Ebenso verhielt sich die Policía Nacional , División Tolima , in der ungeachtet der zunehmenden partei-politischen Instrumentalisierung der Polizeikräfte in anderen Landesteilen starke Sympathien mit der Liberalen Partei auszumachen waren.894 Insbesondere Poli-zeibeamte, weniger Angehörige der Streitkräfte, sahen sich, ähnlich wie París Lozano, dem Vorwurf ausgesetzt, nicht die legitimen politischen Autoritäten unterstützt, sondern sich den Aufständischen angeschlossen zu haben. Die Sym-pathie für die Liberale Partei bei vielen Beamten der Policía Nacional und der Policía Municipal habe sich in antikonservativen Äußerungen, der Verteilung von Dienstwaffen an Zivilisten sowie der Beteiligung an Angriffen auf Konservative geäußert, so die ermittelnden Beamten.895 Als Argument für die Klage, die Policía Nacional habe die Rebellierenden unterstützt, diente weiterhin der Umstand, dass der Polizeioffizier Lizarralde mit der Organisierung der aufständischen Liberalen in Milizen, das heißt der Formierung einer policía cívica , beauftragt worden war.896

In anderen Ortschaften wurden ebenfalls alternative Formen politischer Herr-schaft in Form von Juntas Revolucionarias gebildet, die sich darum bemühten, den Protest und die Empörung der Anhänger Gaitáns zu kanalisieren. Aus Ibagué, wo durchaus hochrangige liberale Politiker die Junta Revolucionaria bildeten, wurde versucht, die Aufstände der Anhänger Gaitáns im gesamten departamento durch die Einrichtung einer Junta Revolucionaria del Tolima Seccional Ibagué zu koordinieren und ein gemeinsames Vorgehen sicherzustellen.897

Ähnlich wie in Ibagué bildeten auch in Mariquita „exponierte Persönlichkeiten des Liberalismus“ die Junta Revolucionaria , die sich ungeachtet des tragischen Ereignisses in Bogotá um die Beibehaltung der öffentlichen Ordnung sorgten.898Rafael Ballesteros Velásquez, der Rebelión beschuldigt, betonte in den Verneh-mungen diese Sichtweise und strich die Sorge der aufständischen Liberalen um Ruhe und Ordnung heraus. Er antwortete auf die Frage des Richters, der die Ereig-nisse in Mariquita untersuchte, ob er wisse, warum er vorgeladen wurde:

Eloina Galindo, Angestellte des Postamtes in Ibagué, zeichnete in ihrer Aus-sage ebenfalls das Bild des koordinierten und geordneten Protestes gegen das Attentat auf Gaitán. Sie bezeugte, dass die Aufständischen, die ihre Arbeitsstätte besetzt hatten, „sehr höflich“ im Umgang mit ihr und ihren Kollegen waren und nicht einen chaotischen Mob darstellten, wie gemeinhin angenommen wurde.900

In San Antonio bemühten sich ebenfalls wohl situierte Bürger, die sich zu der Liberalen Partei bekannten, Ausschreitungen zu unterbinden. Die von ihnen gebil-dete Junta Revolucionaria habe, nach Aussage von Nepomuceno Gutiérrez, dem Ziel gedient, eigenständige Aktionen der „ exaltados “ und Übergriffe von diesen zu verhindern.901 Jorge Vélez, Angestellter der Federación Nacional de Cafeteros in Chaparral, ernannte sich zum Inspector Civil y Militar und übernahm im Zuge der Ermordung Gaitáns die politische Führung in Rioblanco, einem der späteren Zentren bewaffneter liberaler Widerstandsgruppen in Südtolima.902 Unterstützt wurde er bei der Organisierung der Aufständischen von Jorge Vargas und dessen Sohn Hermógenes, der in den 1950er Jahren als General Vencedor die liberalen Widerstandsgruppen in Südtolima anführen sollte.903 Armando Siachoque, füh-render gaitanista in der Region Chaparral, wurde nach der Absetzung der offiziel-len politischen Autoritäten zum alcalde popular der Ortschaft ernannt.904

Die Mitglieder der Juntas Revolucionarias , die sich in Tolima im Zuge der Ermordung Gaitáns bildeten, waren sich der Polarisierung im politischen Feld zwischen der Liberalen und Konservativen Partei ( sectarismo ) bewusst. Sie fürchteten, wie oben skizziert wurde, nicht ohne Grund, dass sich die Trauer radikalisierter Anhänger Gaitáns in gewaltsame An- und Übergriffe auf Konser-vative übersetzen würden. París Lozano bemühte sich darum, konservative und somit gefährdete Regionalpolitiker wie den Kämmerer der Ortschaft Villaher-mosa, der sich in Ibagué befand, in Sicherheit zu bringen, sobald er Nachricht von den Ereignissen in Bogotá bekommen hatte.905 Das Junta-Mitglied Lucena Bonilla gewährte Rafael Dávila, dem Vorsitzenden des Directorio Conservador Departamental , Schutz in seinem Privathaus, als dessen Heim von Aufständi-schen attackiert wurde.906 Der liberale Lokalpolitiker Roberto Escobar, Präsident des concejo der Gemeinde Mariquita, stellte dem konservativen Parteimitglied Jorge Gómez González sein Haus zur Verfügung, um ihm Schutz vor drohenden Angriffen von liberalen Aufständischen zu geben.907

Um die der Konservativen Partei zugehörigen Einwohner vor den befürchte-ten Angriffen von radikalen Anhängern Gaitáns zu schützen, befahlen die Juntas Revolucionarias oftmals, die Konservativen in den örtlichen Gefängnissen, die aufgrund ihrer Bauweise ein Mindestmaß an Schutz vor physischen Angriffen boten, in Gewahrsam zu nehmen. Jorge Vélez, der selbsternannte Inspector Civil y Militar in Rioblanco, ließ alle Konservativen des Ortes festnehmen.908 Auch die Aufständischen in Armero wollten die Mitglieder der Konservativen Partei durch die Unterbringung in den Räumlichkeiten des Gefängnisses vor Angrif-fen bewaffneter liberaler Aufständischer schützen.909 Ebenfalls zu ihrem Schutz nahmen die liberalen Aufständischen in Osttolima, in ihrer Mehrheit gaitanistas , die konservativen Bürger fest und gewährten ihnen, wie ein Zeitzeuge betonte, „großartige Sicherheiten“.910

In Mariquita bemühten sich die Mitglieder der Junta Revolucionaria , Attacken auf die der Konservativen Partei angehörigen Bürger der Gemeinde in Nordtolima und kriminell motivierte Verbrechen zu verhindern. Der Bürgermeister teilte dem Ermittlungsrichter mit, die Maßnahmen der Junta Revolucionaria hätten verhin-dert, dass es zu gewöhnlichen Verbrechen wie „Raub, Hinterhalten, Vergewalti-gungen […], Brandstiftungen, Zerstörung [… oder] Mord“ gekommen sei. In der Stadt in Nordtolima hätten „verantwortungsbewusste und besonnene Liberale“ die Konservativen festgenommen, um sie vor „ exaltados und Fanatikern“ zu schüt-zen.911 Jorge Gómez González, einer der festgesetzten Konservativen, drückte in seiner Aussage vor Gericht seinen „aufrichtigen Dank für das Verhalten der liberalen Herren gegenüber mir und den anderen Konservativen“ aus, die für ihren Schutz und ihr Wohlbefinden während der turbulenten Tage im April 1948 gesorgt hatten. Er hatte keinerlei Vorwürfe gegen die liberalen Aufständischen vorzubringen, zumal diese die konservativen Häftlinge später persönlich mit den eigenen Autos zu ihren Wohnhäusern brachten, nachdem die Junta Revoluciona- ria aufgelöst worden war.912

Die Mitglieder der Konservativen Partei, die zu ihrem Schutz festgesetzt wer-den sollten, begaben sich allem Anschein nach meist freiwillig in die Obhut der gemäßigten Aufständischen, die sie oftmals schon seit langer Zeit kannten. Carlos Botero aus San Antonio gab zu Protokoll, dass er widerstandslos und „unmit-telbar dem Haftbefehl nachkam“, als ihm mitgeteilt wurde, dass er auf Befehl der Junta Revolucionaria verhaftet werden sollte.913 Angesichts der tumultartigen Zustände in der Stadt blieb Alfonso Londoño Mejía mit Parteifreunden freiwillig bis zum 17.4.1948 in Gewahrsam der Junta Revolucionaria .914 Der Umstand, dass Lisimaco Parra in Mariquita von dem selbsternannten alcalde civil y militar die Erlaubnis erhielt, das Gefängnis zu verlassen, um seine kranke Mutter aufzusu-chen, verdeutlicht den eher schützenden und weniger repressiven Charakter der Festnahmen konservativer Bürger im April 1948.915

Die dirigentes liberales der Juntas Revolucionarias in Tolima bemühten sich, den Protest der Liberalen Partei gegen den Mordanschlag auf Gaitán zu artiku-lieren und zu kanalisieren. Gleichzeitig wollten sie die öffentliche Ordnung wah-ren, zumal sich ihre Partei als Partei der Freiheit und der demokratischen Rechte verstand. Der politische Widersacher hingegen sah in ihr, wie bereits ausführlich dargestellt wurde, eine Ansammlung von Subversiven, amorphen Feinden der öffentlichen Ordnung und Barbaren. Dieser Propaganda wollten sie keine Argu-mente an die Hand geben – oder wie es die Mitglieder der Junta Revolucionaria in Mariquita ausdrückten: „Es musste gezeigt werden, dass Mariquita ein zivili-siertes Dorf war“916 und kein Hort liberaler Barbarei, wie konservative Politiker immer wieder unterstellten.

Salazar Santos befürwortete es, dass sich die Angehörigen der Liberalen Partei auf den Straßen Ibagués versammelten, um ihrer Wut und Trauer Ausdruck zu verleihen. Er verurteilte aber, mit Blick auf Brandstiftungen und die Zerstörung der in Ibagué angesiedelten konservativen Tageszeitung El Derecho , die Aus-schreitungen, zu denen sich liberale Aufständische hinreißen ließen.917 Lucena Bonilla gab an, gegen Aufständische eingeschritten zu sein, die Geschäfte kon-servativer Besitzer plünderten. Er forderte sie im Namen des toten Gaitán auf, von ihrem Vorhaben abzusehen, denn „die Liberale Partei ist keine [Partei] von Dieben“.918 Einer seiner Mitstreiter wurde bei dem Versuch, den Raub zu verhin-dern, durch eine Kugel schwer verletzt und fast getötet.919 Auch Felipe Salazar Santos ging physisch gegen Aufständische vor, die einen Laden im Zentrum von Ibagué plünderten, denn er fürchtete die Delegitimierung und Diskreditierung der liberalen Bewegung.920 José Ignacio Suárez und Germán Torres Barreto schritten gegen rebellierende Liberale ein, welche die Kathedrale und das Pfarrhaus mit Steinen bewarfen, da sie der Meinung waren, „dies bedeutete, einer politischen Bewegung zu schaden“. Torres Barreto wandte sich an die Gruppe und sprach sich gegen „Plünderungen […] Raub [und…] Vandalismus“ aus.921

Da die Wahrung der öffentlichen Ordnung als das zentrale Anliegen der Jun- tas Revolucionarias nicht allein durch das persönliche, individuelle Einschrei-ten von dirigentes liberales sichergestellt werden konnte, organisierten die Jun-tas Freiwilligenverbände, die im zeitgenössischen Sprachgebrauch guardias oder policías cívicas genannt wurden. Auch in Ibagué verfolgte die Aufstellung einer policía cívica das Ziel, die öffentliche Ordnung zu wahren, die Aufständischen zu organisieren und diese von ihrem eigenständigen Handeln auf der Straße abzu-bringen, ergo sie unter Kontrolle zu halten.922 So wie die Juntas Revolucionarias von verantwortungsbewussten und gemäßigten liberalen Politikern gebildet wur-den, stellten Ladenbesitzer und Händler das Gros der policía cívica in Ibagué, das heißt Personen, die ein persönliches Interesse an der Unterbindung von Raubzü-gen und Ausschreitungen hatten.923

Als Lucena Bonilla von Plünderungen der Läden konservativer Bürger in Iba-gué erfuhr, schlug auch er die Organisierung von „bekannten Leuten“, von deren Aufrichtigkeit man überzeugt sein könne, in einer Miliz vor, um weitere Über-griffe zu unterbinden.924 París Lozano, am 9.4.1948 noch amtierender Gouver-neur Tolimas, legitimierte die guardia cívica durch ein entsprechendes Dekret, welches das von der Miliz zu verfolgende Ziel festlegte: sie sollte die staatlichen Sicherheitskräften unterstützen und dazu beitragen, „die Ordnung zu wahren“.925Auch gegenüber Eusebio Cortes, einem Offizier der Streitkräfte, rechtfertigte París Lozano die Formierung der policía cívica als Maßnahme, die Aufständi-schen unter Kontrolle zu bringen und Ausschreitungen zu verhindern.926

Vicente Iglesias betonte ebenfalls, dass die liberalen Aufständischen in San Antonio darum bemüht gewesen seien, die öffentliche Ordnung und Ruhe auf-rechtzuerhalten. Zwar hätten sich viele Personen an den Folgetagen des 9.4.1948 auf den Straßen der Ortschaft befunden, aber nicht um zu plündern oder zu brandschatzen, sondern zum „Schutz des Dorfes“.927 Jorge Trujillo Vargas setzte als Anführer der policía cívica in Armero die seinem Kommando unterstehen-den Milizionäre ein, um das örtliche Elektrizitätswerk vor der Zerstörung durch Aufständische zu schützen. Und Salvador González Maldonado gab an, für den Dienst an einem Checkpoint der von Trujillo Vargas kommandierten guardia cívica rekrutiert worden zu sein.928

Die Einrichtung von policías cívicas aus den Reihen der gemäßigten libera-len Aufständischen zur Wahrung der öffentlichen Ordnung stellte insofern eine Notwendigkeit dar, da die regulären staatlichen Sicherheitskräfte nur in beding-tem Maße ihren Aufgaben nachkommen konnten. Am Tage des Mordes an Gaitán befanden sich in der Hauptstadt des departamento Tolima weniger als 30 Poli-zisten im Dienst, die gegen die Masse liberaler Aufständischer wenig ausrichten konnten. Die nach dem Bruch der Unión Nacional in die Welt gesetzten Gerüchte, nach denen die angestrebte rein konservative Regierung das gesamte Personal der Policía Nacional entlassen würde oder aber die Asamblea del Tolima als Maßnahme der Resistencia Civil die Gehälter extrem kürzen würde, hatten dazu geführt, dass viele Beamte der Polizei ihren Dienst quittierten. Die wenigen ver-bleibenden Kräfte der Policía Nacional wurden des Weiteren von gezielten Aktio-nen gegen die Aufständischen abgehalten, da sie sich gegen den Angriff konser-vative Angestellter des lokalen Gefängnisses, dem Panóptico , erwehren mussten.929

Auch in anderen Städten Tolimas sah sich die Polizei nicht imstande, die Aktionen der aufständischen Liberalen effektiv zu unterbinden. In Armero zogen sich die Polizeibeamten in die Polizeikaserne zurück, nachdem es zu versuchten Lynchmorden an Polizisten gekommen war, die Angriffe auf die Häuser konser-vativer Eigentümer unterbinden wollten.930 Jorge Galindo, ein in Armero statio-nierter Polizeibeamter, sagte aus, „wegen der gewalttätigen Haltung […] einer großen Menge unbekannter Personen“ keinerlei polizeiliche Maßnahmen wegen des Mordes an dem örtlichen Pfarrer unternommen zu haben.931 Angesichts der Zahl von Aufständischen besaß der Bürgermeister der Stadt Mariquita die Beson-nenheit, den Rückzug der örtlichen Polizei zu befehlen, bevor er von den Aufstän-dischen zum Rücktritt gezwungen wurde, „um schwerwiegende Konsequenzen oder Blutvergießen zu vermeiden“.932 Somit konnten die staatlichen Sicherheits-kräfte auch in der Kleinstadt Nordtolimas nicht effektiv gegen die Aufständischen vorgehen.

Die Versorgung der Aufständischen mit Nahrungsmitteln war neben der Formie-rung der Juntas Revolucionarias sowie der Aufstellung von policías cívicas eine weitere Maßnahme, die öffentliche Ruhe und Ordnung zu wahren und Plünderun-gen zu verhindern. An einem Freitag vor dem sonntäglichen Markttag befanden sich bereits viele campesinos in den urbanen Zentren wie Ibagué. Um die Land-bevölkerung zu versorgen und eine Art Suppen- oder Volksküche organisieren zu können, sammelte der Schatzmeister der Junta Revolucionaria in Ibagué Geld-spenden bei Besitzern von Gastronomiebetrieben sowie Einzelhandelsgeschäften. Andere Unterstützer der Aufständischen stellten belegte Brote und Getränke zur Verfügung.933 Ähnlich gingen die Widerstand leistenden Liberalen in Armero vor: Mario Durán Calle verneinte die Frage, ob er „von der Existenz irgendeiner Junta oder eines revolutionären Komitees wisse“, das in der Stadt existiert habe. Er gab an, nur Kenntnis von einer Junta zu haben, die „Essensvorräte an die Leute ver-teilte“, von anderweitigen Zusammenschlüssen habe er nicht erfahren.934

Wie deutlich geworden ist, rekrutierten sich die Juntas Revolucionarias , welche die policías cívicas organisierten, aus dem gemäßigten Flügel der liberalen Auf-ständischen. Dieser wollte in erster Linie die öffentliche Ordnung wahren. Darum war er bemüht, der Entpolitisierung der Widerstands- und Protestbewegung entge-genzuwirken, indem er Plünderungen und andere Ausschreitungen zu verhindern suchte. Insbesondere in ihrem maßvollen Verhältnis und ausgleichendem Umgang mit den konservativen Bürgern der jeweiligen Gemeinde unterschieden sich die gemäßigten liberalen Aufständischen von den radikalisierten Teilen der Liberalen Partei, die sich durch eine starke antikonservative Ausrichtung ( sectarismo ) aus-zeichneten. Dessen ungeachtet konnte der gemäßigte Teil der liberalen Aufständi-schen vor dem Hintergrund des Machtzuwachses des radikalen Flügels der Kon-servativen Partei auch nicht die Nachrichten falsifizieren, die besagten, dass sich konservative Milizen bildeten und einen Gegenangriff auf die Zentren des libera-len Widerstandes planten. Gemäßigte Vertreter der Liberalen waren sich bewusst, dass erstens Teile der Konservativen Partei, wie die laureanistas , zunehmend auf die Gewalt als Mittel in den politischen Auseinandersetzungen setzten und dass dieser Flügel zweitens, zunehmend seit den Legislativwahlen 1947, an Gewicht und Bedeutung gegenüber dem gemäßigten Ospina Pérez gewonnen hatte.935

Die Möglichkeit, dass sich radikalisierte Konservative gewaltsam gegen die Liberalen zur Wehr setzten, war nicht von der Hand zu weisen. Denn die Libera-len wurden von ihnen als amorph und chaotisch betrachtet, was sie in den Augen der Konservativen am 9.4.1948 und an den Folgetagen unter Beweis stellten. Die Juntas Revolucionarias befahlen, um sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten, Razzien und Beschlagnahmungen von Waffen, die sich in den Händen konserva-tiver Bürger befanden. Auch bei diesem Unterfangen achteten die Repräsentanten des gemäßigten Flügels des liberalen Aufstandes auf ein geordnetes und formal korrektes Vorgehen – im Gegensatz zu der Bewaffnung durch Plünderungen, wie es die Radikalen taten.936

In Chaparral wurden die Razzien von der in der Gemeinde in Südtolima etablier-ten Junta Revolucionaria schriftlich befohlen. Um Zerstörungen während der Durchsuchung des Ladens von Sergio Pérez zu vermeiden und das Betreten durch Unbefugte zu verhindern, wurden Wachposten am Eingang des Ladenlokals pos-tiert. Wie Primitivo Arce Cárdenas hervorhob, seien besagte schriftliche Befehle unabdingbare Voraussetzung für die Suche nach Waffen und deren Beschlag-nahmung gewesen.937 Die liberalen Aufständischen in San Antonio begründeten gegenüber Carlos Botero die Durchsuchung seines Ladens mit dem schriftlichen Befehl der Junta Revolucionaria , den sie bei sich trugen. Für die beschlagnahm-ten Macheten, Munition und Schießpulver stellten sie ihm Quittungen aus, wel-che die Zahl der sichergestellten Gegenstände auswiesen.938 Ebenso wurden in Mariquita Dynamit sowie andere Sprengstoffe beschlagnahmt. Auch hier stellten die aufständischen Liberalen den Besitzern der beschlagnahmten Gegenstände Belege über die Konfiszierung derselben aus.939

Durch ihr betont formales Vorgehen bei den Durchsuchungen und Razzien woll-ten sich die Juntas Revolucionarias ungeachtet ihres politisch-demokratisch nicht legitimierten Charakters einen Hauch von Rechtmäßigkeit geben – bei einigen Hausdurchsuchungen in San Antonio war sogar der Polizeibeamte Juan Barrios anwesend, was dem Vorgehen der Aufständischen in noch stärkerem Maße einen offiziellen Charakter verlieh.940 Ungeachtet der Versuche, die Hausdurchsuchun-gen zu koordinieren und geordnet durchzuführen, kam es oftmals zu Diebstählen und Zerstörungen von fremdem Besitz. Justo Arce berichtete, dass rebellierende und mit Hausdurchsuchungen beauftragte Liberale auf seiner finca von den Ange-stellten fünf Hühner und zwei Schweine einforderten, denn „den Moment der Verwirrung ausnutzend wollten sie sich der Gegenstände bedienen, die nicht für die revolución zu gebrauchen waren“.941

María Fernando Cubillos de López berichtete, dass zwei der Personen, die mit der Durchsuchung ihres Hauses beauftragt worden waren, sich gegenseitig ermun-terten, einige Kleidungsstücke mitzunehmen, obwohl sie Waffen suchten, denn „der Ruf, Diebe zu sein, werde ihnen so oder so gewiss sein“.942 Auch an anderen Orten zeigten Aufständische, die mit der Suche nach Waffen und als solche einzu-setzenden Gegenständen beauftragt worden waren, nur ein rudimentär ausgepräg-tes Pflichtgefühl. Personen wie Gerardina Salazar beklagten die Form, in der die Razzien durchgeführt worden waren. Sie zeigte an, dass Jaime Arias, Francisco Robayo und Marco Tulio Ramos während der Durchsuchung ihres Hauses in San Antonio diverse Möbelstücke vorsätzlich zerstörten. Der Versuch, die Geschä-digte mit der Aussage zu beschwichtigen, die Junta Revolucionaria komme für die entstandenen Schäden auf, zeugt von einem gewissen Maß an mangelndem Verantwortungsbewusstsein der mit der Razzia beauftragten Personen.943

Die von den Razzien Geschädigten, das heißt die Personen, die beschlagnahmte Gegenstände nach dem Aufstand nicht zurückerhielten, nahmen denn auch die Juntas Revolucionarias , welche die Razzien – sogar schriftlich – befohlen hatten, in die Pflicht. Ricardo Galvis reichte dem ermittelnden Richter eine Liste der aus seinem Besitz entwendeten Gegenstände ein und erklärte, dass seiner Meinung nach „die Mitglieder des revolutionären Kommandos, die das nicht statthafte Vor-gehen befohlen hatten, für die Missbräuche und Diebstähle haften müssen“.944

2.2 Die polarisierenden Tendenzen im Raum des Politischen nach dem nueve de abril

Auch wenn die Regierung Ospina Pérez nach den landesweiten Erhebungen nach dem tödlichen Attentat auf Gaitán im April 1948 erneut eine Regierung mit Beteiligung der Liberalen Partei bildete, gestaltete sich die friedliche Betätigung im politischen Feld in der Folge zunehmend schwieriger. Die Ermordung Gaitáns stellte einen Katalysator des Gewaltgeschehens in Kolumbien dar, dessen Anfänge in dem Regierungswechsel 1946 lagen.945 Der Mord, den liberale Parteigänger der Konservativen Partei und der Regierung Ospina Pérez anlasteten, verdeutlichte diesen die Bereitschaft von einigen konservativen Politikern, Gewalt für politi-sche Zwecke einzusetzen und ihre politische Machtstellung zu verteidigen – so wie es die Diskurse von Vertretern der Liberalen Partei mit der Wahrnehmung ihres politischen Widersachers als faschistisch und reaktionär vorausgesagt hatten.

Die Mitglieder der Junta Revolucionaria in Ibagué sahen den Mord an Gaitán als Teil einer bereits mehr als ein Jahr zuvor begonnenen konservativen Offen-sive und Gewaltkampagne gegen die Mitglieder der Liberalen Partei. Felipe Sala-zar Santos betonte gegenüber dem ermittelnden Richter, dass die Liberale Partei bereits vor dem Mord an Gaitán „in verschiedenen Regionen des Landes unnach-giebig und blutig verfolgt worden war, es Hunderte von Opfern gegeben hatte und die Liberalen ihren Besitz und ihre Heimstätten hatten verlassen müssen“.946 Car-los Augusto Vargas Cuéllar verurteilte die Legitimierung von Attentaten ( aten- tado personal ) als Mittel in politischen Aushandlungen, die „in einer bestimmten Presse Karriere gemacht hatte“, womit er auf El Siglo im Besitz von Laureano Gómez anspielte, und die in dem Mord an Gaitán gemündet hätten.947 Ähnlich argumentierte Eduardo Camacho Nieto:

Der procurador municipal von Ibagué, Carlos Arturo Rubio, kritisierte die leichtfertig formulierten Klagen gegen die in Ibagué an den Protesten gegen den Mord an Gaitán beteiligten Personen wegen Rebelión und Delitos contra el régi- men constitucional . Die Ereignisse seien seiner Ansicht nach der Ausdruck „der Nonkonformität eines Volkes hinsichtlich des Verbrechens als System, dessen Ergebnis der Mord an dem bekannten Bürger [Gaitán, L. R.] war“.949 Auch die Strafverteidiger der Angeklagten plädierten dafür, die politischen Rahmenbedin-gungen bei der Beantwortung der Frage zu berücksichtigen, ob die Aufstände Verbrechen gegen die verfassungsmäßige Ordnung des Landes darstellten.950Angesichts der „unnachgiebigen Verfolgung der Liberalen in allen Provinzen des Landes [und der Tatsache, dass] ganze Dörfer entvölkert worden waren, weil die Bewohner die Flucht ergreifen mussten, um sich vor der Verfolgung zu retten“951, habe nach Ansicht des Anwalts Alvarez Molina eine „bewaffnete Erhebung seine Begründung, seinen Vorwand, wenn nicht sogar seine Rechtfertigung“ gehabt. Der Anwalt bestritt naturgemäß, dass seine Klienten jemals derartiges im Sinn gehabt hätten.952

Die von Liberalen angezettelten Aufstände und Absetzungen politischer Auto-ritäten wiederum verstärkten innerhalb der Konservativen Partei die Überzeu-gung, dass mit Politikern aus der Liberalen Partei keine in ihren Augen ernsthafte und verantwortungsvolle Politik zu betreiben war. Die Einrichtung von Juntas Revolucionarias entsprach der Annahme unter weiten Teilen der Konservati-ven Partei, dass die Liberalen genuin subversiv und verfassungsfeindlich einge-stellt waren. Dionisio Arango Ferrer, ein konservativer Hardliner, der nach dem 9.4.1948 zum Gouverneur Antioquias ernannt wurde, reichte im November 1948 seinen Rücktritt ein. Von Ospina Pérez aufgefordert, die Liberale Partei im Rah-men der Unión Nacional an der Regionalregierung zu beteiligen, war er davon überzeugt, dass der liberale Koalitionspartner nicht die notwendige Aufrichtigkeit unter Beweis stellen würde, um die angestrebten politischen Ziele der Regierung Ospina Pérez zu verfolgen.953

Gonzalo París Lozano, der den Aufständischen in Ibagué sehr nahe gestan-den hatte, wurde von Ospina Pérez nicht wie vorgesehen von einem Mitglied der Konservativen Partei, sondern einem Offizier der Streitkräfte, Oberst Hernando Herrera, abgelöst. Die Streitkräfte galten in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre als (partei-)politisch neutral und Herrera bezog auch Vertreter der Liberalen Par-tei in sein Kabinett mit ein – wenn er auch den Anteil konservativer Amtsinhaber erhöhte.954 Chaparral und Armero blieben die einzigen Gemeinden in Tolima, in denen liberale Bürgermeister im Rahmen der politischen Reorganisierung nach den das politische System erschütternden Apriltagen 1948 ernannt wurden.955

Die nach wie vor vorhandenen bzw. sich im Laufe der Zeit steigernden Span-nungen zwischen den Traditionsparteien auf der nationalstaatlichen Ebene wirk-ten sich auch auf die regionale Ebene in Tolima aus, obwohl die Personen- und Sachschäden in Tolima während der Aufstände nach der Ermordung Gaitáns im Vergleich zu anderen Orten wie Bogotá vergleichsweise gering ausgefallen waren. Auch der Umstand, dass die Regierung Ospina Pérez von Repressionsmaßnahmen gegen die rebellierenden Liberalen in Tolima absah, konnte nicht verhindern, dass die politische Atmosphäre in dem zentralkolumbianischen departamento ange-spannt und von Misstrauen geprägt blieb.956

In dem Maße, wie die Distanz und die Differenzen zwischen der Liberalen und der Konservativen Partei auf der nationalstaatlichen Ebene in Bogotá wuchsen, wurden auch die Beziehungen zwischen den Angehörigen der Traditionsparteien auf der regionalen Ebene in Tolima schwieriger. Vor dem Hintergrund der sich zunehmend konfliktträchtiger gestaltenden politischen Situation und der Dichoto- misierung der sozialen Realität stellten die anstehenden Wahltermine besonders gewaltaffine Momente des politischen Mit- bzw. Gegeneinanders von Mitgliedern beider Parteien dar.957

Parallel zu den Debatten, die in Bogotá um eine Reform der Wahlgesetzgebung und die Überprüfung der cédulas geführt wurden, entzündeten sich auch in Tolima politische Konflikte zwischen Konservativer und Liberaler Partei entlang der für 1949 anstehenden Wahlen bzw. deren Vorbereitung. Nur wenige Monate nach den liberalen Aufständen, im Oktober 1948, scheiterte die Sitzung der Wahlkommis-sion ( jurado electoral ) in Piedras daran, dass der mit der Öffnung der Räumlich-keiten beauftragte liberale secretario Abel Rodríguez unauffindbar war, nachdem er sein Erscheinen den Mitgliedern der Kommission kurz zuvor noch persönlich angekündigt hatte. Es wurde berichtet, dass sich Rodríguez gegenüber einem anderen Angestellten der Stadtverwaltung unflätig über die Mitglieder der Wahl-kommission geäußert habe.958 Auch wenn der jurado electoral auf andere Räume für die geplante Sitzung ausweichen konnte, erhitzte die folgende Absetzung des secretario nach seiner Pflichtverletzung durch die Wahlkommission die Gemüter. In der folgenden Nacht leistete Rodríguez offenbar nicht mehr nur zivilen Wider- stand ohne den Einsatz physischer Gewalt, sondern bediente sich anderer, rabiate-rer Mittel. In der Nacht wurde das Wohnhaus des Mitglieds der Wahlkommission Darío Polanía durch eine Dynamitexplosion teilweise zerstört. Die Bewohner des Hauses gaben vor Gericht an, Hochrufe auf die Liberale Partei gehört zu haben, während die Bombe deponiert wurde. Sie beschuldigten den zuvor entlassenen secretario Abel Rodríguez, das Bombenattentat verübt zu haben.959

Die Präsidentschaftswahl im November 1949, in der Gómez zum neuen Präsi-denten Kolumbiens bestimmt wurde, stellte einen Wendepunkt in der Genese der Violencia dar.960 Gómez war erst Mitte des Jahres aus dem spanischen Exil, in das er sich nach dem Bogotazo begeben hatte, nach Kolumbien zurückgekehrt. Als die Dirección Nacional Liberal die Kandidatur von Darío Echandía für die Prä-sidentschaftswahl im November 1949 wegen der ausufernden Gewalt gegen ihre Anhängerschaft zurückzog, wurde die Möglichkeit, eine Präsidentschaft Gómez‘ durch einen liberalen Wahlsieg zu unterbinden, obsolet. Als Ospina Pérez auch noch den landesweiten Ausnahmezustand verhängte, der die Schließung der legis-lativen Körperschaften auf unbestimmte Zeit implizierte, sahen sich die Liberale Partei und ihre Gefolgschaft der Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme im institutionellen und somit friedlichen Rahmen beraubt.

Das Ziel, die Wahl Gómez‘ zum Präsidenten zu verhindern, wurde nicht nur nicht revidiert, sondern die Notwendigkeit, diese zu unterbinden, wurde durch die stetig aggressiver werdenden Diskurse vonseiten liberaler Politiker noch unterstrichen. Die Wahrnehmung des konservativen Präsidentschaftskandida-ten als Bewunderer des spanischen Diktators Franco und die ihm unterstellten Ziele, ein falangistische Regime in Kolumbien einrichten zu wollen, förderten die zunehmende Gleichsetzung der Liberalen Partei und der patria , die es vor dem Emissär des Diktators Spaniens zu schützen galt. Bei den Präsidentschaftswah-len im November 1949 stand für die Liberale Partei das Ziel im Vordergrund, die Wahl des konservativen Hardliners Laureano Gómez unter allen Umständen zu verhindern.

Nicht zuletzt war es die Führungsspitze der Liberalen Partei, welche die Inter-vention der Streitkräfte forderte und von der das Gerücht über einen bevorstehen-den Militärputsch mit der Liberalen Partei sympathisierender Offiziere der Streit-kräfte ausging.961 So wie liberale Spitzenpolitiker mit einem Militärputsch die Möglichkeit sahen, durch gezieltes gewalttätiges Eingreifen den politischen Kurs des Landes zu steuern, versuchten Mitglieder der Liberalen Partei auf der regio-nalen Ebene, die absehbaren politischen Entwicklungen gewaltsam zu unterbin-den. Die Radikalisierung liberaler Parteiangehöriger spiegelte sich in dem Brief des liberalen Lokalpolitikers Luis Alberto Rojas an den dirigente liberal Rafael Caicedo Espinosa aus dem Juli 1949 wider. Vor der Verkündung des landesweiten Estado de Sitio sah er zwar noch die theoretische Möglichkeit eines Wahlsieges der Liberalen Partei, fügte aber hinzu, dass der „liberale Generalstab eine Ent-scheidung X [sic!] treffen muss, wenn die konservative Gewalt uns zu siegen verhindert“.962 Vorausahnend, dass gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der Traditionsparteien unausweichlich werden würden, stellte die Führung der Liberalen Partei in seinen Augen das Oberkommando eines militäri-schen Zusammenschlusses dar.

Knapp vier Monate später, im November 1949, als die Präsidentschaftswah-len, zu denen die Liberale Partei nicht mehr antrat, vor der Tür standen, bekun-dete Avelino Copabán, Gefolgsmann von Luis Alberto Rojas, gegenüber anderen Anhängern der Liberalen Partei, dass „wir [die Liberalen, L. R.] uns im Krieg befinden“.963 In diesem Kriegszustand, wie er es sah, sperrte Copabán einen Tag vor der Wahl, am 26.11.1949, zusammen mit anderen Bewaffneten die Straße, die von dem Weiler Monte Grande in die cabecera municipal Alvarado führte, wo sich die Wahlurnen zur Stimmabgabe befanden. Gemeinsam setzten sie vier kon-servative Bürger mit Waffengewalt fest, um zu verhindern, dass diese am Wahltag in Alvarado ihre Stimme für den Kandidaten der Konservativen Partei Laureano Gómez abgeben konnten.964

In Osttolima, wo kommunistische Gruppierungen und vor allem gaitanistas über erheblichen politischen Einfluss verfügten, waren sich konservative Wäh-ler der Gefahren bewusst, wenn bewaffnete Liberale ihnen bei der Stimmab-gabe auflauerten. Ananias Rodríguez wusste, dass er und seine Gefährten, alle-samt konservative Parteimitglieder aus Mundo Nuevo in der Gemeinde Cunday, Gefahr liefen, ihr Leben zu verlieren, sollten sie ihre Stimme in dem mehrheitlich von Liberalen bewohnten Dorf La Aurora abgeben. Sie hatten allerdings die im zweiten Teil der Arbeit beschriebene Bedeutung eines konservativen Wahlsieges für die Zukunft der patria verinnerlicht, welche die konservative Parteiführung betonte. Rodríguez zufolge „mussten wir jedwede Schwierigkeit überwinden und jedwedes Opfer zum Wohle unserer Mission ( nuestra causa ) auf uns nehmen“.965Bereits mehrere Tage vor dem Wahltag waren sie unter Führung von Octavio Peña Sarmiento, dem cacique conservador des Dorfes, nach San Bernardo im benachbarten departamento Cundinamarca ausgewichen, um dort am 27.11.1949 ihre Stimmen abgeben zu können. Wohl nicht zu Unrecht fühlten sie sich von der liberalen Bevölkerung des Ortes bedroht, denn bereits zuvor waren Morddro-hungen gegen sie geäußert worden, zumal weiterhin von Gruppen bewaffneter Liberaler in der Region berichtet wurde.966

Andere Zeugen hingegen zeichneten ein weitaus weniger friedfertiges Bild der Konservativen als das einer Gruppe, die um jeden Preis ihren staatsbürgerlichen Pflichten nachkommen wollte. Die Wähler seien nach Aussage von Belarmina Acosta mit Hochrufen auf die Konservative Partei und ihren Kandidaten Laure-ano Gómez aus San Bernardo zurückgekehrt. Weiterhin hätten die konservativen Parteigänger, wie Acosta zu Protokoll gab, die mehrheitlich liberale Bevölkerung des Dorfes mit Schüssen aus Waffen provoziert, die chulavitas den konservativen Wählern verkauft hatten.967

In jedem Fall hatte die Gruppe konservativer Parteigänger der selbst aufer-legten Verpflichtung für ihre causa nachkommen und für Gómez wählen kön-nen. Auf dem Rückweg aus San Bernardo wurden sie jedoch bei der Ankunft in Mundo Nuevo von fast 80 Liberalen unter Führung von Ramón Rodríguez (alias Patillas) und Jorge Adelmo Peralta angegriffen.968 Diese hatten bereits am Wahltag den konservativen Parteigängern, letzten Endes vergeblich, aufgelauert, nutzten aber deren Rückkehr, um sie mit Macheten, Revolvern und Schrotflin-ten anzugreifen.969 Exponiertes Ziel des Angriffes war Peña Sarmiento, der von mindesten fünf Personen mit Hiebwaffen attackiert wurde. Schwerverletzt ließen die Angreifer ihn auf dem Boden liegen, um die Flüchtenden aus der Gruppe zu verfolgen; Peña Sarmiento wurde später getötet („ rematado “). Dabei gingen die liberalen Angreifer mit äußerster Brutalität vor. Die mit der Bergung des Leich-nams beauftragten Beamten protokollierten, dass dieser „vollständig entstellt war […] und ihm die Gesichtshaut, […] die Augen, Nase, Mund, Wangen und Ohren fehlten“. Dem Opfer platzierten die Täter seine cédula , die für die Stimmabgabe notwendiges Requisit gewesen war und in der die Stimmabgabe auch schriftlich festgehalten wurde, gut sichtbar auf dem Bauch.970

Die neuere Politik- und Gewaltforschung betont den kommunikativen Charak-ter von Gewalthandlungen, der neben ihre destruktiven Funktionen tritt. Peter Waldmann hat am Beispiel terroristischer Gewalt herausgearbeitet, dass physi-sche (terroristische) Gewalt mitnichten nur auf Zerstörung und das Töten von Menschen zielt. Er streicht heraus, in welchem Maße Gewalt auch ein Kommu-nikationsmedium ist, das die von Münkler konzipierten als interessiert unterstell- ten Dritten mobilisieren soll. Demzufolge bezeichnet er Terrorismus als Kom-munikationsstrategie.971 Allerdings charakterisieren sich nicht nur terroristische Akteure dadurch, dass sie auf Gewalt als Form der kommunikativen Interaktion zurückgreifen. Duncan Baretta und Markoff weisen in ihrer Arbeit zu Gewalt in lateinamerikanischen Frontierregionen darauf hin, dass die Zurschaustellung der Verletzungsmächtigkeit im Sinne Popitz’972, als Machtdemonstration, nicht nur bipolar zwischen dem Täter und dem Opfer erfolgt. Die durch Gewalt gezeitigten Erfolge müssen gewissermaßen von einem Publikum anerkannt werden, weshalb die Gewaltausübung oftmals in öffentlichen Räumen und somit weithin wahr-nehmbar erfolgt. In diesem Sinne stellte die Gewalt ein Kommunikationsmedium dar, um die eigene militärische, soziale und politische Stärke mitzuteilen.973

Es ist davon auszugehen, dass den Zeitgenossen die symbolische Bedeutung der Platzierung der cédula auf der Leiche von Peña Sarmiento nicht entging. Indem die Täter das für die Stimmabgabe notwendige Dokument auf den getöteten poli-tischen Widersacher legten, signalisierten sie den Grund für dessen Ermordung: Die Beteiligung an den Wahlen, bei denen nur der konservative Kandidat antrat, war das Motiv für die brutale Ermordung von Sarmiento gewesen. Ein Wahl-sieg der Konservativen Partei bedeutete in den Augen der Anhänger der Liberalen Partei nicht weniger, als die patria ein Stück weiter an den Abgrund zu rücken, was um jeden Preis zu verhindern war. Die exzessiv grausame Art und Weise der Ermordung des Gefolgsmann der Konservativen Partei sollte dessen Umfeld wie-derum warnen und die Botschaft verbreiten, dass die Liberalen noch handlungsfä-hig waren, auch wenn ihre Partei nicht zu den Präsidentschaftswahlen angetreten war. Den liberalen Einwohnern der Region, den als interessiert unterstellten Drit- ten , hingegen demonstrierte der brutale Mord, dass Widerstand gegen die konser-vativen Aggressionen möglich war, obgleich die Liberale Partei von der Teilhabe im institutionalisierten politischen Feld ausgeschlossen war.

In Südtolima konnten die staatlichen Sicherheitskräfte eine gefährliche Stö-rung der politischen Abstimmung und einen Angriff auf die Gemeindepolizei am 27.11.1949 verhindern, als sie einen Tag vor dem Wahlgang Tiberio Acuña aus Chaparral verhafteten. In seinem Besitz wurde eine selbstgebaute Bombe gefun-den, die er zur Selbstverteidigung hergestellt habe, denn, so gab er zu Protokoll, „man sagte, dass es Krieg geben würde“.974 Der Sprengsatz richtete sich der Sprengsatz gegen im Militärjargon euphemistisch als „weiche Ziele“ bezeichnete Menschen. Dies war erkennbar an der Tatsache, dass Acuña im Gegensatz zu den Sprengsätzen in Bergbauunternehmen, wo er die Handhabung von Sprengstoffen gelernt hatte, der Bombe Schrauben und Schraubenmuttern hinzugefügt hatte. Für den Fall, dass der von der liberalen Parteiführung ausgerufene Generalstreik fehl-schlug, sollte – so hatten die ermittelnden Beamten herausgefunden – die Policía Municipal angegriffen werden.975 Damit wurde die Behauptung von Acuña, im Rahmen der Selbstverteidigung gehandelt zu haben, juristisch relativiert, verdeut-lichte aber, wie Liberale die zeitgenössische politische Realität angesichts der bevorstehenden Präsidentschaft Gómez’ deuteten. In den Augen von Acuña war die Verteidigung seiner Person gleichzeitig die Verteidigung der Liberalen Partei, die mit dem Wohl und der Zukunft der patria gleichgesetzt wurde.

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im November 1949 ermittelten die Strafverfolgungsbehörden im südlichen Tolima gegen unbekannte Personen, denen vorgeworfen wurde, liberale Parteigänger zu rekrutieren, um die konser- vative Bevölkerung der Gemeinde Roncesvalles anzugreifen und zu töten.976 Die Befürchtungen, dass ein solcher Angriff auf die Bürger bzw. die staatlichen Sicherheitskräfte – wie die Policía Municipal in Chaparral – bevorstand, wur-den dadurch genährt, dass seit dem Vormonat regelmäßig die Telegraphenleitung zu benachbarten Ortschaften, aus denen man im Notfall Verstärkung hätte anfor-dern können, zerstört wurden. Die ermittelnden Beamten waren sich gewiss, dass diese Sabotageakte Teil eines liberalen Komplotts gegen die Regierung waren. Den verdächtigen, in der Nähe der Telegraphenleitung wohnenden Misael Galvez fragten sie, warum er die Beschädigung nicht gemeldet habe, wenn er „keine böse Absichten“ gegenüber den politischen Autoritäten – wie einen Aufstand gegen die Vertreter der Regierung – habe.977 Wie die Ermittler erfahren hatten, habe nur noch der Befehl des liberalen Kaziken der Region, Bernardino Piedrahita, ausge-standen, um die Telegraphenverbindung endgültig und dauerhaft zu zerstören.978In den Augen der Ermittler habe Galvez lediglich auf den bereits erwähnten und von Mitgliedern der Liberalen Partei evozierten „Marschbefehl, um in das raue Gefecht zu ziehen“, gewartet.979

Wie konfliktträchtig und potentiell gewaltsam sich die Beziehungen zwischen Liberalen und Konservativen gestalteten, verdeutlicht der Mord an dem Liberalen Pedro Salas in Santa Isabel Mitte 1949. Salas wurde an einem Samstagabend vor einer Kneipe in der Ortschaft erschossen, kurz nachdem er das Lokal verlassen hatte. Ihm war eine Gruppe von Personen gefolgt, die zuvor bekundet hatte, der Konservativen Partei anzugehören und die, so hatte man gehört, Streit mit Mit-gliedern der Liberalen Partei suchte. Der Freund des Getöteten, Luis Herrera, gab zu Protokoll, nicht auf die Straße gegangen zu sein, um zu erfahren, was gesche-hen war, als er die tödlichen Schüsse hörte, weil:

Offenbar wurde politische Betätigung nicht nur in den Reden hochrangiger Politiker der Traditionsparteien zunehmend mit kriegerischen Auseinanderset-zungen in Beziehung gesetzt. Auch nachgeordnete Parteimitglieder auf der loka-len Ebene wussten, dass politische Differenzen leicht in physische und mitunter letale Gewaltakte umschlagen konnten.

In diesem Klima, in dem Angehörige der Liberalen und der Konservativen Partei davon absahen, sich in bestimmten Situationen unbewaffnet gegenüber-zutreten, genügten oftmals kleinere Vorfälle, die zu einer Eskalation der Gewalt führten. Im Februar 1949 war ein zu Boden gefallener und beiseite getretener Hut in El Espinal der Auslöser für die Bildung eines Mobs mit Macheten bewaffneter liberaler Parteianhänger, der die der Konservativen Partei angehörigen Arbeiter Trifón Riaños und Saavedra verfolgte. Die Gruppe griff auch die Polizisten an, die intervenierten, als das Haus, in dem die Flüchtenden Schutz suchten, attackiert wurde. Die Ordnungshüter, die von den zahlenmäßig überlegenen Angreifern ent-waffnet worden waren und die um ihr Leben fürchteten, sahen sich gezwungen, den Rückzug anzutreten und sich zu verstecken. Die Mitglieder der Liberalen Partei machten in ihrer Wut keinen Halt und griffen auch den Pfarrer tätlich an, der einem vermeintlich Sterbenden die Beichte abzunehmen versuchte, nachdem der Geistliche versucht hatte, die Gemüter der beteiligten Personen zu beruhigen.981

In San Antonio griffen liberale Bürger der Gemeinde das Haus des konservati-ven Bürgermeisters der Kleinstadt Héctor Silva Eslava nicht nur mit Steinen, son-dern auch mit Schusswaffen an. Zwei Tage lang durchstreiften bewaffnete liberale Gruppen die Stadt, drohten dem Bürgermeister, dass er nur noch wenige Stunden zu leben habe, und griffen Einrichtungen der Stadtverwaltung sowie Immobilien im Besitz konservativer Parteigänger an. Der Bürgermeister sah sich nicht in der Lage, die öffentliche Ordnung wiederherzustellen, geschweige denn Ermittlun-gen wegen der Vergehen einzuleiten. Da die angeforderten Beamten der Policía Nacional noch nicht eingetroffen waren, konnte die Sicherheit der staatlichen Repräsentanten nicht garantiert werden. Silva Eslava sah sich gezwungen, ihm wohlgesonnene konservative Zivilisten ad hoc zu Hilfspolizisten zu ernennen und sie mit der Bewachung der Telegraphenmasten zu beauftragen, um die vollstän-dige Isolation der Gemeinde von der Außenwelt zu verhindern.982

Der Verlauf der Rebellion in San Antonio verdeutlicht aber auch, in welchem Maße die Violencia von den lokalen politischen Autoritäten abhängig war. Denn der oberste Vertreter der Exekutive auf der lokalen Ebene war, allem Anschein nach, nicht unbeteiligt an der Eskalation der Lage. Im Vorfeld hatte sich Silva Eslava regelmäßig mit radikalisierten Konservativen getroffen, die in betrunke-nem Zustand zu gewaltsamen Aktionen gegen die liberalen Mitbürger aufriefen und von denen auch physische Angriffe auf Liberale ausgingen. Die Rekrutierung von policías cívicos aus Reihen der gewaltbereiten konservativen Bürger, die Silva Eslava bei der Erfüllung seiner Amtspflichten unterstützen sollten, berei-tete den Liberalen der Gemeinde große Sorgen. Das Vorgehen des Bürgermeisters nährte die Gerüchte, dass er zusammen mit diesen einen Großangriff auf sein Dorf plane. Selbst Bürger der Gemeinde San Antonio, die wie der Bürgermeister der Konservativen Partei angehörten, missbilligten sein Verhalten und wollten ihn von seinem feindseligen Vorhaben abbringen.983 In einer Bestandsaufnahme über den Fortschritt der Ermittlungen aus dem Jahr 1952 wurde bestätigt, dass das Verhalten von Silva Eslava den Aufstand der liberalen Bürger provoziert habe. Weiterhin konstatierten die Ermittler, dass er den Pflichten des ihm anvertrauten Postens als Bürgermeister nicht nachgekommen sei, sondern „die Haltung von einem kämpferischen politischen dirigente ( jefe político beligerante ) annahm“.984

Vor diesem Hintergrund war auch das schriftlich fixierte Friedensabkommen zwischen Liberalen und Konservativen der Gemeinde zum Scheitern verurteilt, das nur wenige Tage vor den Angriffen auf Silva Eslava vereinbart worden war und das die Vertreter der Traditionsparteien dazu aufrief, die Bürger zur Bewah-rung von Ruhe und Ordnung anzuhalten.985 Der mehrheitlich liberale Rat der Gemeinde San Antonio griff daher auf das in der ersten Phase des Untersuchungs-zeitraums häufig angewendete Instrument der Resistencia Civil zurück, mit dem liberale Politiker das ihrer Partei verbliebene politische Gewicht in die Waag-schale zu werfen versuchten. Durch die Senkung der Gehälter von Angestellten der Bürgermeisterei bzw. der gänzlichen Abschaffung von Posten zielten die Ver-treter der Legislative darauf, die von der Regierung ernannte Exekutive auf der lokalen Ebene davon zu überzeugen, dass die politische Betätigung gegen den Widerstand der liberalen Fraktion unmöglich sei.986 Im Sommer 1949 hatte sich das politische Feld Kolumbiens allerdings bereits derart dichotomisiert , dass der ursprünglich gewaltfreie Versuch der politischen Einflussnahme mit der Drohung massiver physischer Gewalt verbunden wurde: Falls Silva Eslava nicht abdanken würde, nachdem der mehrheitlich liberale Stadtrat von San Antonio die Resisten- cia Civil verkündet hatte, sollte er, so drohten ihm die liberalen Rebellierenden, getötet werden.987

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3 Die Verteidigung der institutionellen Ordnung mit der Waffe in der Hand

An den bewaffneten Auseinandersetzungen der Violencia beteiligte sich eine Vielzahl von Akteuren, die unterschiedliche Beweggründe anführten, um ihr gewaltsames Vorgehen zur Wahrung der institutionellen Ordnung Kolumbiens zu rechtfertigen. In diesem Kapitel werden die staatlichen Sicherheitskräfte, also die Policía Nacional und die Streitkräfte, sowie die konservativen Freiwilligenver-bände als handelnde Gruppen in diesen bewaffneten Auseinandersetzungen in den Blick genommen.

3.1 Die chulavitas als Akteure der sich steigernden Gewaltintensität

Einen nicht unerheblichen Anteil an dem Anwachsen der Gewalt Ende der 1940er Jahre hatte der zunehmende parteipolitische Einsatz von Polizeikräften.988In weiten Teilen der Konservativen Partei bestanden nach 16 Jahren liberaler Regierungen Zweifel an der Loyalität der Polizei gegenüber der neuen Regierung. In ihrer Einschätzung der Polizei als Instrument der Liberalen Partei sahen sich konservative Politiker bereits wenige Monate nach dem Amtsantritt von Ospina Pérez im Oktober 1946 bestätigt, als sich Polizisten weigerten, gegen eine Streik-demonstration der CTC vorzugehen bzw. sogar offen Sympathien für die Strei-kenden bekundeten – die Ablösung des Direktors der Policía Nacional durch den Konservativen Delfín Torres Durán war die Folge dieser Vorkommnisse.989

Das Verhalten der Polizei gegenüber den Streikenden der CTC gilt gemein-hin als Auftakt für die Konservatisierung der Polizeieinheiten unter der Regie-rung Ospina Pérez.990 In einem vertraulichen Bericht beklagte der Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes Santiago Rozo 1947 die Passivität der Polizei gegen kommunistische Gruppierungen, die er in dem Umstand begründet sah, dass die Mehrzahl der Polizisten gaitanistas sei.991 Wie bereits gezeigt, wurden bereits im August 1946 in Villahermosa Vorwürfe gegen den liberalen Bürgermeister laut, die lokalen Polizeieinheiten zur Einschüchterung der konservativen Bevölkerung einzusetzen.992

Die These, die Polizei stehe nicht loyal zu der von den Konservativen gestell-ten Exekutive, sondern sympathisiere weiterhin mit der Liberalen Partei, bewahr-heitete sich in den Augen konservativer Politiker, als sich zahlreiche Polizis-ten den aufständischen Liberalen nach dem Mord an Gaitán im April 1948 in Bogotá und vielen anderen Städten des Landes, anschlossen. Eine der Folgen dieser Aufstände waren Massenentlassungen von Polizisten. 142 Polizeioffiziere und mehrere Hundert Polizisten niederer Ränge mussten landesweit ihren Dienst in der Policía Nacional quittieren. Ersetzt wurden sie durch der Konservativen Partei loyal ergebene Personen, die vor allem in Regionen rekrutiert wurden, in denen die Partei traditionell über deutliche politische Mehrheiten verfügte.993 Der Prozess der parteipolitischen Ausrichtung und des entsprechend motivierten Einsatzes der Polizeikräfte, der bereits kurz nach dem Regierungswechsel 1946 eingesetzt hatte, beschleunigt sich nach den Aufständen Liberaler im April 1948.994

In dem zunehmend als Kampf um das Überleben der patria wahrgenommenen politischen Wettstreit zwischen den partidos tradicionales konnten Liberale in den Reihen der staatlichen Sicherheitskräfte nicht mehr geduldet werden. In den Augen politischer Amtsträger aus der Konservativen Partei stellten sie Feinde in den eigenen Reihen dar. Offizielles Ziel der Restrukturierung und Neuausrichtung der Policía Nacional war es, aus ihr „eine höchst technische Institution fern jeder politischen Aktivität“ zu machen.995 Zur Unterstützung des Projekts der Refor-mierung der Polizei beauftragte die Regierung im Juni 1948 eine Experten-Kom-mission der englischen Polizei Scotland Yard unter Führung von Sir Douglas Gor-don. Der dirigente político José María Villarreal wurde von Ospina Pérez mit der Reorganisierung der Policía Nacional beauftragt und in der Folge von liberaler Seite als der oberste Anführer der chulavitas gesehen.996

Die auch von liberalen Abgeordneten angestrebte Zentralisierung und Unter-stellung der Polizei unter ein auf der nationalstaatlichen Ebene angesiedeltes Kommando erfolgte unter Führung des dirigente conservador , der dem rechten Flügel der Konservativen Partei zuzuordnen war, mit einer anderen Zielsetzung, als die liberalen Politiker intendiert hatten.997 Die liberale Mehrheit in den legis-lativen Korporationen hatte versucht, durch die Überführung der Policía Munici- pal und der Policía Departamental in die Policía Nacional diese der Kontrolle und Instrumentalisierung durch Lokal- bzw. Regionalpolitiker zu entziehen. Die „nationalisierte“ Polizei sollte aus der Verfügungsgewalt des Präsidenten gelöst und der Kontrolle des mehrheitlich liberalen Kongresses unterstellt werden. Die von der liberalen Kongressmehrheit angestrebte Polizeireform stieß, wie zu erwarten war, auf den erbitterten Widerstand der Regierung Ospina Pérez. Das liberale Reformprojekt veranlasste den Innenminister Montalvo zu der berühmt gewordenen Aussage, die Regierung würde die Institution der Polizei a sangre y fuego verteidigen.998

In Folge der von Villarreal vorangetriebenen Reform der Polizeikräfte wurden für die Aufnahme in den Polizeidienst die charakterliche Eignung, der Werdegang und die Ausbildung der Rekruten weniger maßgeblich. Einstellungskriterium war vielmehr die Loyalität gegenüber der Regierungspartei, die durch Empfehlungs-schreiben konservativer Politiker sichergestellt werden musste.999 Die der Meu-terei und Desertion angeklagten Polizeibeamten Alfredo Giraldo Sánchez, José María Pinto Moreno, Luis Antonio Moncada Gutiérrez, José Ignacio Vásquez Bustos und Carlos Julio Guzmán Díaz konnten beispielsweise nur eine rudimen-täre Schulbildung vorweisen. Der nur sechs- bzw. zwölfmonatige Besuch einer Primarschule tat allerdings ihrer Einstellung als Beamte der Policía Nacional offenbar keinen Abbruch.1000 Entscheidend war weniger die fachliche Eignung der Rekruten als deren Loyalität – oder, wie die dokumentierten Ermittlungen wegen Desertion zeigten, scheinbare Loyalität – gegenüber der Konservativen Partei. Die klientelistische Rekrutierung der Polizisten nach parteipolitischen Überle-gungen führte dazu, dass die Policía Nacional , insbesondere auf der Meso- und Makroebene, ähnlich einer Miliz der Regierungspartei agierte.1001

Die deutliche konservativ-politische Ausrichtung der chulavitas führte dazu, dass sie sich in mehrheitlich liberalen Gemeinden wie Besatzungsmächte verhiel-ten bzw. als solche wahrgenommen wurden.1002 Von Zeitzeugen wurde die Ankunft von chulavitas in einer bestimmten Region in der Regel mit dem Beginn massiver Gewalthandlungen gleichgesetzt. Den Mitgliedern der von der ersten Regierung des Frente Nacional eingerichteten Comisión Investigadora berichteten Opfer der Violencia , wie die Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen eskalierten, als die hochgradig politisierten Polizeikräfte in den llanos orientales eintrafen. Exzessiver Alkoholkonsum und die folgenden (sexuellen) Übergriffe auf Frauen stellten dort den Auftakt des bewaffneten Parteienkonflikts dar.1003 Die Neubesetzung des Bürgermeistersamtes in El Líbano mit einem Vertreter des rech-ten Flügels der Konservativen Partei und die stärkere Einbeziehung der Policía Nacional in die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung führte zu einer deut-lichen Intensivierung der blutigen Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen in der Gemeinde in Nordtolima.1004

Verstärkt wurde das Auftreten der Polizisten im Stile einer Besatzungsmacht durch den Umstand, dass die chulavitas in der Regel nicht in den Regionen, aus denen sie stammten, eingesetzt wurden. Dmait sollte verhindert werden, dass sie in ihrem Handeln gegen die als absolut anders wahrgenommenen Liberalen, Kom-munisten und gaitanistas von familiären, freundschaftlichen oder wirtschaftli-chen Beziehungen abgelenkt würden.1005 Zeitzeugen waren sich oft dieser Zusam-menhänge bewusst. Sie betonten die ethnisch-kulturelle Differenz zwischen den chulavitas und der eigenen, einheimischen Bevölkerung.1006

Die Behandlung, die Adolfo Torres von Beamten der Policía Nacional erfuhr, verdeutlichte das Bild der chulavitas als eine radikalisierte Parteimiliz, die vor dem Einsatz von Gewalt gegenüber den als Feinden der Konservativen Partei wahrgenommenen Liberalen, die vor dem Hintergrund der Dichotomisierung der sozialen Realität gleichzeitig auch die Feinde der hochgeschätzten patria waren, nicht zurückschreckten. Am 14.4.1950 erstattete der sechzigjährige campesino Anzeige gegen den Beamten der Policía Nacional namens Alfonso Moreno. Der angetrunkene Moreno hatte Torres am 10.4.1950 mit „einer zweischwänzigen Peitsche, die Knoten an den Spitzen hatte“, geschlagen, nachdem der unter Gene-ralverdacht stehende Liberale bekundet hatte, er besitze keine Waffen und wisse auch nicht, wo sich solche befänden.1007 Unter steten Schlägen musste Torres nach der Auspeitschung im Hof des Gefängnisses auf dem Boden, mit dem Gesicht nach unten gerichtet, über mehrere Stunden umherrobben, bis er sich übergeben musste. Der Umstand, dass ein anderer Polizeibeamter ihn am Folgetag der glei-chen Behandlung unterwarf, deutet darauf hin, dass es sich bei der Misshandlung des Häftlings nicht um einen Einzelfall handelte, sondern weite Teile der Policía Nacional rechtsstaatlichen Ansprüchen nicht genügten.1008

Das Vorgehen der chulavitas gegen den bewaffneten Widerstand, der sich der Regierung Ospina entgegenstellte, zeichnete sich durch ein hohes Maß an Grausamkeit aus. Der Zeitzeuge Pedro ruft grausamste Verbrechen der chulavi- tas in Erinnerung. Auch schwangere Frauen und Kleinkinder wurden Opfer von Massakern, die von chulavitas verübt wurden.1009 Die physische Gewalt gegen die bewaffneten Widerstandsgruppen und die sie vermeintlich unterstützenden Zivilisten, die sich in der Vielzahl von Massakern widerspiegelte, wurde begleitet von Plünderungen, Erpressungen sowie dem Niederbrennen von Ernten und Häu-sern der zu Staatsfeinden deklarierten Bewohnern mehrheitlich liberaler Regio-nen.1010 Ähnlich wie bei tribalen Kriegen ging es bei diesen Formen der Plünde-rungen und Massaker weniger darum, ökonomische Ressourcen anzuhäufen und das eigene Überleben zu sichern. Die Angreifer zielten vielmehr darauf, den als Erzfeinden wahrgenommenen Anhängern der Liberalen Partei und ihren kom-pletten Familien die Lebensgrundlage zu entziehen. Nicht die Ausgleichung der „Ressourcenknappheit, sondern […] den Feind militärisch zu schwächen“ und aus seinen angestammten Wohngebieten zu vertreiben, war das vorrangige Ziel der Gewalthandlungen.1011

3.2 Die konservativen Parteimilizen: Bewaffnete Zivilisten als contrachusmas

Zwar verfügte die Policía Nacional Anfang der 1950er Jahre über 25.000 Beamte und war im Vergleich zum Heer, das nur 15.000 Soldaten zählte, vergleichsweise stark besetzt.1012 Dessen ungeachtet sahen sich die Polizeikräfte häufig einem zah-lenmäßig weitaus stärkeren bewaffneten Widerstand liberaler und kommunisti-scher Akteure gegenüber. Im Frühjahr 1951 ermittelte der Tribunal Superior de Ibagué gegen mehrere Beamte der Policía Nacional , die sich, so der Vorwurf, geweigert hätten, einen Checkpoint der Polizei in Chaparral zu verstärken, der von bewaffneten Widerstandskämpfern angegriffen wurde. An diesem Fall lässt sich die Schwäche der staatlichen Sicherheitskräfte in Bezug auf Personalstärke und militärische Schlagkraft gegenüber dem bewaffneten Widerstand verdeut- lichen. 18 Polizeibeamte waren der Meuterei und Desertion angeklagt, weil sie dem Befehl, den angegriffenen retén zu verstärken, nicht nachgekommen seien. Dieser wurde aber von 200 bis 300 Bewaffneten angegriffen, sodass die Verstär-kung durch weniger als 20 Polizeibeamte die Kräfterelation zwischen Angreifern und Angegriffenen nicht grundlegend geändert hätte.1013 Bereits wenige Monate zuvor hatte ein immerhin aus 110 Beamten bestehender Polizeitrupp seinen geplanten Patrouillengang in der Region nicht durchführen können, da der sich in Südtolima gebildete Widerstand in der Lage war, auch ein Kommando dieser Größe anzugreifen – und zu schlagen.1014

In Situationen wie dem beschriebenen Kontrollgang in Südtolima, in denen der Widersacher und seine militärische Stärke nicht genau eingeschätzt werden können, wächst die Furcht, dass die Gewalt unter Umständen zu einer auslöschen-den Kraft werden kann. Bei der Furcht vor Gewalttaten, die im Extremfall zur Vernichtung aller involvierten Akteure führen können, wird die Angst (vor der eigenen Vernichtung) zum Hauptmotiv für Gewalthandeln.1015 Paradoxerweise haben gerade dieses enorme, unter Umständen vernichtende Gewaltpotenzial und das Bewusstsein der Gewaltkollektive, dass eine nahezu grenzenlose Ausuferung der Gewaltdynamiken möglich ist, eine ordnende Funktion: Die Tatsache, dass die wirkliche Stärke des Gegners nie genau einzuschätzen ist und somit sein Ver-nichtungspotenzial unbekannt bleibt, kann die Gewalt begrenzen und einhegen.1016Da die 110 Beamten der Policía Nacional nicht genau wussten, wie viele bewaff-nete Widerstandskämpfer sich ihnen entgegenstellen würden und es möglich war, dass diese den Trupp der staatlichen Sicherheitskräfte vernichten würden, brachen sie ihre Patrouille ab. In dem Maße, wie sie den als Staatsfeinde deklarierten Kombattanten einen Teil des Territoriums überließen, hegten die Unübersichtlich-keit und das Gewaltpotenzial den Konflikt ein.

Die mangelnden Informationen über den militärischen Gegner und das Gewalt-potenzial, die es möglich – weil denkbar – machen, dass es jederzeit zu massiven Gewalttaten kommen kann, können allerdings auch eine entgrenzende Wirkung haben. Sie lassen es als unabdingbar erscheinen, die militärischen Ressourcen aufzustocken und die Zahl der Kombattanten stetig zu erhöhen, denn der „Präven-tivangriff ist die beste Verteidigungsstrategie“.1017 So griffen konservative Bür-germeister, in Abstimmung mit den lokalen Directorios Conservadores , bereits seit der ersten Phase des Untersuchungszeitraums auf Zivilisten zurück, die der Konservativen Partei angehörten und ihrer causa treu ergeben waren. Einerseits kompensierten diese die mangelnde Schlagkraft der staatlichen Sicherheitskräfte, andererseits wurden sie genutzt, um das politische Vorhaben der Konservati-ven Partei jenseits rechtsstaatlicher Bedenken voranzutreiben. In San Vicente de Chucurí (Santander) trafen im Fahrwasser radikalisierter Lokalpolitiker, die nach dem Mord an Gaitán in die Gemeinde versetzt worden waren, politisierte Polizei-kräfte ein. Diesen schlossen sich konservative Zivilisten in ihrem Vorgehen gegen die liberalen Bewohner der Gemeinde an, die als per se subversiv und aufrühre-risch gesehen wurden, wie ihre Bezeichnung als nueveabrileños , eine Anspielung auf den Todestag Gaitáns, verdeutlichte.1018

Medina berichtet, dass die staatlichen Sicherheitskräfte zusammen mit konser-vativen Freiwilligenverbänden ab Mitte des Jahres 1949 in Südtolima gegen die Mitglieder der Liberalen Partei, die sich in den vorangegangenen Legislativwah-len hatte behaupten können, in die Offensive gingen.1019 Bereits im Juli 1949 dran-gen chulavitas zusammen mit bewaffneten konservativen Zivilisten in den Weiler El Limón in der Gemeinde Chaparral ein. Insbesondere die Zivilisten, welche die staatlichen Sicherheitskräfte begleiteten, waren für Plünderungen der Bewohner des Dorfes verantwortlich. Die der Konservativen Partei angehörigen Bewohner der Gemeinde waren bereits vor der Ankunft der politisierten Polizisten aus der Region geflohen. Aus konservativer Blickwarte legitimierte die Flucht bzw. aus ihrer Sicht Vertreibung von konservativen Parteimitgliedern die Entsendung der Polizeikräfte. Liberale wiederum vermuteten, dass diese von der bevorstehen-den Ankunft der chulavitas wussten und daher – in weiser Voraussicht, was ihre Stationierung für den Frieden in der Region bedeuten würde – ihre Heimstätten freiwillig vorsorglich verlassen hatten – und nicht etwa wegen der Aggressionen vonseiten der Liberalen gegen sie.1020

Mit der verstärkten Formierung von kommunistischen und liberalen bewaff-neten Widerstandsgruppen nach den Präsidentschaftswahlen im November 1949 griffen die staatlichen Sicherheitskräfte, insbesondere die Policía Nacional , in noch höherem Maße auf paramilitärische, der konservativen Regierung loyal ergebene Kombattanten zurück. Ein solcher, der Konservativen Partei und ihrer selbst auferlegten Mission treuer konservativer Zivilist war Ramón Remigio Guerrero. Im Zuge der juristischen Aufarbeitung bewaffneter Auseinandersetzun-gen zwischen Liberalen und Konservativen in Santa Isabel wurde seine Rolle bei den Zusammenstößen untersucht. Domingo Hernández berichtete über Guerrero, dass ihm die Provokation in politischen Angelegenheiten gefiel („ le gustaba poli- tiquiar “) und dass er bekundete, dass „er die Konservative Partei und die [Katho-lische, L. R.] Religion verteidigen würde, sollte es zu einem Krieg kommen“. Die Gewohnheit, seinen Revolver regelmäßig zu ölen und seine Machete zu schär-fen, die er stets bei sich trug, verlieh der Aussage von Guerrero ein erhebliches Drohpotenzial.1021

Die konservative Regierung, namentlich die verschiedenen Innenminister, forderten die Gouverneure auf, die durch die liberalen und kommunistischen Widerstandsgruppen gestörte verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen. Zu diesem Zweck griffen diese auf die Policía Nacional und sie unterstützende bewaffnete, regierungstreue Zivilisten zurück.1022 Die von den lokalen politischen Autoritäten ausgehobenen guardias cívicas sollten nach den ursprünglichen Inten-tionen die Polizei bei ihrer Arbeit unterstützen, zumal die Polizeibeamten oftmals aus anderen Regionen als den Einsatzgebieten stammten und nicht um die lokalen Spezifika und Kräfteverhältnisse wussten. Lokal- und Regionalpolitiker versuch-ten, diese paramilitärischen Verbände mit dem Verweis auf Notwehr ( legítima defensa ) zu rechtfertigen bzw. diente diese Argumentationsfigur als Argument, um zögernde konservative Zivilisten für die Rekrutierung zu gewinnen.1023 Aus Sicht der konservativen Regierung verteidigte die Policía Nacional zusammen mit bewaffneten konservativen Zivilisten nicht nur eine legitime und demokrati-schen Ansprüchen genügende Regierung, sondern die Existenz der Konservativen Partei überhaupt – und damit das gesamte historische Erbe der patria .

Der beschriebene sectarismo basierte auf der Wahrnehmung der Parteien als monolithische, identitäre Blöcke, die sich zunehmend gegenseitig ausschlossen und, wie in Teil II der vorliegenden Arbeit beschrieben wird, die soziale Realität dichotomisierten . Daher formierten sich die liberalen und konservativen Kom-battantengruppen entlang der Grenzen der Traditionsparteien, die sie vor dem politischen Konkurrenten beschützten, der die eigene Gemeinschaft wegen der antagonistischen Selbst- und Fremdwahrnehmung zunehmend in seiner Existenz bedrohte.1024 Die Bekundung des bereits erwähnten Guerrero, mit der Konserva-tiven Partei auch den katholischen Glauben zu verteidigen, wenn es zu massiven bewaffneten Auseinandersetzungen mit den Anhängern der Liberalen Partei kom-men würde, zeigt, wie dieser Deutungsrahmen auch von Akteuren auf der lokalen Ebene übernommen wurde: die Konservative Partei – und nur sie – verteidigte den Katholischen Glauben gegen die als atheistisch diffamierte bzw. protestan-tisch unterwanderte Liberale Partei.

Die Übernahme von auf der nationalstaatlichen Ebene gezeichneten Deutungs-rahmen und Wahrnehmungsmuster auf die lokale Handlungsebene, mit denen der Einsatz massiver Gewalt gegen den politischen Gegner vorstellbar wurde, lässt sich an dem Mord an drei Mitgliedern der Liberalen Partei verdeutlichen. Diese wurden in der Spätphase der Regierung Gómez in Santa Isabel getötet. Abundio Sánchez, jefe conservador des Weilers La Estrella in der Gemeinde, war im Vorfeld während einer Feier, zu der ihn der jefe liberal des Ortes eingeladen hatte, schwer verletzt worden. Die Tatsache, dass er im Hause eines Angehöri-gen der Liberalen Partei die Verletzungen erlitten hatte, denen er später erliegen sollte, reichte aus, dass die Brüder des Opfers zusammen mit anderen Konser-vativen Rache an liberalen Parteimitgliedern nahmen. Dass Juan Sierra, Silverio Dorado und Alejandro Mendieta an der Verletzung von Sánchez nicht beteiligt gewesen waren und dass Sánchez offenbar mit dem Liberalen Alfredo Aguilar so gute Beziehungen hatte, dass Aguilar ihn zu Feierlichkeiten in seinem Pri-vathaus eingeladen hatte, spielte für die Täter offenbar keine Rolle.1025 Sectarios nahmen individuelle Eigenschaften ihres Interaktionspartners nicht wahr. Auch der beschriebenen Tat in Santa Isabel lag allem Anschein nach die Annahme einer Kollektivschuld der Mitglieder der Liberalen Partei für die tödlichen Verletzun-gen des jefe conservador zugrunde.

Die Betrachtung der politischen Ereignisse und die Wahrnehmung des politi-schen Widersachers, der die gesamte eigene vorgestellte Gemeinschaft in ihrer Existenz bedrohte, erklärt die Kriminalisierung der bewaffneten Widerstands-gruppen im Diskurs staatlicher Amtsträger. Die kriminalisierende Etikettierung des Widerstandes als subversive bandoleros machte diese zu Freiwild hochgradig politisierter staatlicher Sicherheitskräfte und ihrer paramilitärischer Unterstützer-gruppen, machte sie zu töt-, nicht aber opferbaren Objekten.1026 Die Gewalt von-seiten der staatlichen Sicherheitskräften und ihrer Unterstützergruppen einerseits und des bewaffneten Widerstands andererseits verstärkten die vorgestellten und von den radikalen Flügeln der Traditionsparteien betonten Differenzen zwischen Liberalen und Konservativen. Auf der einen Seite rahmte die Dichotomisierung der sozialen Realität das Gewalthandeln kulturell und machte es zu einer Hand-lungsoption. Auf der anderen erhöhte die Gewalt zwischen Anhängern der parti- dos tradicionales und kommunistischen Akteursgruppen die Glaubwürdigkeit der Deutungs- und Wahrnehmungsrahmen, welche die Gewalt vorstellbar gemacht hatten.

Betancourt und García streichen allerdings heraus, dass die paramilitärischen Freiwilligenverbände oftmals derart an Schlagkraft und Stärke gewannen, dass sie die staatlichen Sicherheitskräfte de facto ersetzten.1027 Ähnliches berich-tet der kommunistische Widerstandskämpfer und spätere FARC-Kommandant Jaime Guaraca: die paramilitärische Gruppe unter Führung eines konservativen hacendado , die an beachtlicher Stärke gewonnen hatte, brach bereits ohne die Anwesenheit von Polizisten zu Expeditionen gegen die zu Staatsfeinden dekla-rierten Liberalen im Grenzgebiet zwischen Tolima und Huila auf.1028

In Osttolima übernahm im Januar 1950 der aus Nordkolumbien stammende dirigente conservador Eduardo Gerlein die Führung der Colonia Sumapaz , dem Kolonisationsunternehmen, in dem sich Anfang der 1950er Jahre eines der stärks-ten liberal-kommunistischen Widerstandszentren herausbilden sollte. Die Zeit-zeugin Rosa Wolf berichtet, dass mit Gerlein die chulavitas , die ihn eskortierten, in die Region kamen. Die konservativen gamonales , wie Antonio Molina, Aure- liano Ortiz und Adán Hernández, griffen auf die Polizeikräfte, die sich weniger der Republik Kolumbien als der konservativen Regierungspartei verpflichtet sahen, zurück, um den Führungsanspruch der Konservativen Partei gewaltsam durch- zusetzen.1029 George A. Wolf berichtete in einem Brief an seinen Sohn Jorge im Juli 1950, dass sehr viele Einwohner aus Villarrica geflohen seien, als Gerlein zum Bürgermeister ernannt und Molina zu seinem secretario bestimmt wurde.1030Die dirigentes conservadores stellten den staatlichen Sicherheitskräften lokale bewaffnete Parteimitglieder zur Verfügung, um ihre politischen Programme gegen den Widerstand der mehrheitlich liberalen Bevölkerung der Region durchzusetzen.1031

In der in Zentraltolima gelegenen Gemeinde Roncesvalles hatte Pablo Emilio Alvarez 1952 den Ruf, gemeinsam mit der Polizei als bandoleros kriminalisierte Liberale zu verfolgen.1032 Jaime Guaraca erinnert daran, wie die lokalen politi-schen Machthaber zuließen, dass bewaffnete konservative Zivilisten die Polizis-ten in deren Arbeit unterstützten, das heißt die Mitglieder der Liberalen Partei im südlichen Tolima angriffen und deren Unterkünfte vollständig zerstörten.1033 In der Gemeinde Rioblanco waren Jeremías Mallorquín und Manuel Rincón dafür bekannt, als gewaltbereite Konservative die chulavitas bei der Verrichtung ihrer Aufgaben zu unterstützen.1034 Und der ehemalige Bürgermeister von Venadillo führte ein konservatives Gewaltkollektiv an, das sich sowohl aus Polizisten als auch konservativen Zivilisten zusammensetzte und nächtliche, oftmals tödliche Angriffe auf liberale Bewohner der Gemeinde verübte.1035

Als es in Espinal zu Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Liberalen und der Konservativen Partei kam, die den Ort „einem echten Schlachtfeld“ glei-chen ließen, stellte sich Isidoro Ramírez dem corregidor der Kleinstadt zur Ver-fügung. Da sich die Polizeikräfte in besagtem Moment nicht in Reichweite befan-den, bot er dem konservativen Verwaltungsbeamten an, zusammen mit anderen Hilfspolizisten die liberalen Missetäter festzunehmen.1036

Juan Patiño, gegen den wegen Mordes ermittelt wurde, gestand ein, zu der Gruppe von Personen gehört zu haben, welche 1950 die Tötung des liberalen campesino Rafael Poveda in San Antonio zu verantworten hatte. Die Gruppe hatte sich zum Ziel gesetzt, die Polizei bei der Festnahme von Poveda zu unterstützen, denn „die Polizei durfte man nicht alleine lassen“, da es sich bei Poveda um einen „schlechten Menschen“ bzw. einen „kommunistischen Hurensohn“ handelte.1037Allerdings habe sich Patiño der Kommission nur angeschlossen, so erklärte er zu seiner Verteidigung, weil ihm zugesichert worden war, dass zumindest ein Polizist anwesend sein würde – und somit ein Mindestmaß an Legalität gewahrt werden würde. Misael Tapiero, welcher der Gruppe ebenfalls angehört hatte, erklärte hin-gegen, dass es von Beginn an das Ziel der Expedition gewesen war, Poveda zu töten und auszurauben – ein Vorhaben, das ihm nach eigenem Bekunden keinerlei Kopfzerbrechen bereitet habe.1038

Eine Polizeikommission, die in Rovira eine Gruppe von liberalen Widerstands-kämpfern festnehmen sollte, wurde von konservativen Zivilisten aus Santa Elena begleitet. Die Zusammenarbeit der Zivilisten, unter anderen Isaac Sierra und Pedro Espinosa, mit der Polizei bestand darin, dass sie die Ordnungshüter, die über wenig Ortskenntnisse verfügten, hinsichtlich der zu wählenden Route berie-ten. So waren die Polizisten in der Lage, Regionen zu meiden, von denen bekannt war, dass sie von den bandoleros stark frequentiert wurden. Weiterhin konnten die Zivilisten, immerhin waren sie bewaffnet, die Beamten bei dem kurzen Feuer-gefecht mit den Festzunehmenden unterstützen. Wenn auch die Personen, die das eigentliche Ziel der Polizeiexpedition waren, fliehen konnten, vermochten es die Polizisten gemeinsam mit den Zivilisten, mehrere Frauen festzunehmen, die der Zusammenarbeit mit den bandoleros verdächtigt wurden.1039

In Coello, zwischen der cabecera departamental und Girardot gelegen, über-nahmen Gruppen bewaffneter, der Konservativen Partei zugehöriger Zivilisten Aufgaben der staatlichen Sicherheitskräfte. Darum bemüht, Unterstützer der liberalen Widerstandsgruppen in der Region ausfindig zu machen, wurden die sozial angesehenen und wohlhabenden Brüder Maximiliano und Tomás Ochoa festgenommen. Ihnen wurde vorgeworfen, die für das Personal ihrer hacienda bestellten Nahrungsmittel den liberalen chusmeros auszuhändigen. Festgesetzt wurden sie aber nicht von legitimierten Inhabern des staatlichen Gewaltmonopols, sondern von einer Gruppe zivil gekleideter Konservativer unter der Führung einer Person, die lediglich unter ihrem Aliasnamen El Tigre bekannt war. Diese liefer-ten die Brüder Ochoa bei der Polizei ab, deren Kommandant mäßigend auf die konservativen Hilfspolizisten einwirkte und die Einkerkerung der Festgenomme-nen, nicht aber deren Verhaftung, verhinderte.1040 Auch andere Personen wie Car-los Julio Herrera, Luis Alberto Hernández Rendón, Heriberto Céspedes und María Puertas wurden von den konservativen Zivilisten festgenommen und der Policía Nacional übergeben. Ohne dass ihnen die zur Last gelegten Verbrechen mitgeteilt worden wären, wurden sie über mehrere Tage, teilweise Wochen in Polizeige-wahrsam genommen. Sie alle waren durch den Kauf und Transport von Gegen-ständen des täglichen Bedarfs und von Nahrungsmitteln in das Visier der Gruppe um El Tigre geraten.1041

Im südlichen Tolima beauftragte der Bürgermeister der Gemeinde Natagaima „ziviles Personal“, das sich durch das „absolute Vertrauen der aktuellen Regie-rung“ auszeichnete, mit der Observation und späteren Festnahme von Angel Bau-tista Diaz. Dieser wurde verdächtigt, den in der Grenzregion zwischen Tolima und Huila beheimateten Widerstand gegen die konservative Regierung zu unterstüt-zen. Er wolle sich, so die Ermittler, den im zeitgenössischen Sprachgebrauch als bandoleros bezeichneten Akteuren anschließen. Der Vorwurf gegen Bautista Diaz wurde durch den Fund von Schwarzpulver, Zündschnüren und Zünder erhärtet, auch wenn der Beschuldigte bestritt, mit dem Bombenbau böse Absichten ver-folgt zu haben.1042

Uribe stellt für den blutigen kolumbianischen Konflikt Ende des 20. Jahrhun-dert fest, dass breite Teile der ruralen Bevölkerung oftmals die verschiedenen in den Konflikt involvierten Akteursgruppen nicht stringent unterscheiden können, da sie allesamt Uniformen tragen, die denen der ordentlichen staatlichen Sicher-heitskräfte ähneln.1043 Ähnliches galt auch für den Untersuchungszeitraum, in dem liberale und kommunistische Widerstandsgruppen sowie in der Spätphase der Violencia die bandoleros políticos und bandoleros sociales versuchten, sich durch Polizei- oder Militäruniformen zu tarnen und ihre wahre Identität zu verschleiern. Ähnliches traf allerdings auch für die bewaffneten, konservativen Zivilisten zu, welche die staatlichen Sicherheitskräfte bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unter-stützten. Einige Polizeieinheiten versorgten die sie unterstützenden bewaffneten Zivilisten mit Uniformen und trugen somit zu den begrenzten Unterscheidungs-möglichkeiten zwischen regulären Sicherheitskräften und den begleitenden Zivi-listen bei.

Der Polizeibeamte Neftalí Piraquive Rodríguez berichtete dem ermittelnden Richter, dass der befehlshabende Polizeioffizier einigen der Zivilisten, welche die Polizeikommission in Südtolima begleiteten, Polizeiuniformen aushändigte. Fol-gerichtig wurden diese in mehreren Situationen, zum Beispiel von Infanteristen des Heeres, als Angehörige der Policía Nacional angesehen und entsprechend behandelt.1044

Angel Bautista Diaz, der des Bombenbaus und der Unterstützung des Wider-standes gegen die konservative Regierung beschuldigt wurde, ließ in seinen Aus-sagen durchblicken, dass in seinem Fall nicht deutlich zwischen Polizisten und zivilen Unterstützern unterschieden werden konnte. Er war sich offensichtlich nicht bewusst, dass er von zivilem Personal , welches das absolute Vertrauen der konservativen Regierung genoss, festgenommen worden war. In seiner Verneh-mung sprach Bautista Diaz nicht von Zivilisten, sondern Polizisten, denen er Rede und Antwort stand.1045

Die Unterscheidung zwischen Polizisten und ihren nicht-staatlichen Unterstüt-zern wurde dadurch erschwert, dass sich Letztere gewiss waren, vor dem Hinter-grund des anwachsenden bewaffneten Widerstandes für die Regierung essentielle Aufgaben zu übernehmen. In dem Auftreten der Akteure, welche die Polizeibe-amten unterstützten, manifestierte sich oftmals das Bewusstsein über ihre relative Machtposition gegenüber den ordentlichen Sicherheitskräften. Tomás Ochoa, der Belieferung der Widerstandsgruppen mit Lebensmitteln beschuldigt, sagte aus, dass sein Bruder sich an einen der Zivilisten gewandt habe, um mehr über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu erfahren – und nicht etwa an den anwesenden uniformierten Polizisten. Ungeachtet dessen Präsenz war es einer der Zivilisten, der den Eindruck gemacht habe, die mit der Festnahme der Verdächtigen beauf-tragte Gruppe zu befehligen. Die Person, die Ochoa „dort als befehlerisch ( auto- ritario )“ wahrgenommen hatte und die er daher – ohne eine Antwort zu erhal-ten – nach seinem Rang fragte, teilte ihm lediglich mit, dass die Lebensmittel beschlagnahmt seien und er diese nicht freigeben könne.1046 Der Polizeikomman-dant Ernesto Cardona Arias kritisierte denn auch die Praxis vieler konservativer Bürgermeister, zivile Freiwillige zur Unterstützung der Polizei zu rekrutieren. Er sprach sich gegenüber der liberalen Zeitung Tribuna im August 1951 dafür aus, „mit der ländlichen Ad-hoc-Polizei Schluss zu machen […], die nur Kopfzerbre-chen bereitet“.1047

Mit der Unterstützung der staatlichen Sicherheitskräfte wurden die der Kon-servativen Partei zugehörigen Zivilisten allerdings auch zum militärischen Ziel der Widerstandsgruppen, die sich gegen den Führungsanspruch der Regierung Gómez zur Wehr setzten.1048 Im Dezember 1950 wurde Sergio Escamilla in der Gemeinde Icononzo in Osttolima tot aufgefunden. Emilio Bello äußerte gegen-über dem mit der Bergung des Leichnams beauftragten Bürgermeister, dass Esca-milla wahrscheinlich den gewaltsamen Tod erlitten habe, weil er Polizeikommis-sionen des Öfteren zur Seite gestanden hatte.1049 Diese hatte er als Ortskundiger in die Region um den Weiler El Palmar, einem der Zentren des bereits zu diesem Zeitpunkt angewachsenen bewaffneten Widerstandes in Osttolima1050, begleitet. Bereits sieben Monate zuvor war nach Informationen der Angehörigen des Mor-dopfers ein Attentat auf Escamilla verübt worden, das er aber mit Schussverlet-zungen schwerverletzt überlebt hatte.1051

3.3 Die Streitkräfte als Akteure der Violencia

Die Streitkräfte galten in der Frühphase der Violencia als weniger stark politi-siert und im Gegensatz zu den polizeilichen Kräften parteipolitisch neutral ausge-richtet bzw. der verfassungsmäßigen Ordnung verpflichtet.1052 Die Hoffnung auf politisch neutrale Streitkräfte wurde auch von der Führung der Liberalen Partei genährt, die auf ein Eingreifen der Streitkräfte in das in den 1940er Jahren zuneh-mend gewalttätigere politische Feld hofften – wie dem in letztem Moment abge-sagten Putsch vor den Präsidentschaftswahlen 1949.1053 Die Konservative Partei bzw. die von ihr gestellte Regierung hingegen sah in der Frühphase des Untersu-chungszeitraums in den Streitkräften keine politisch neutrale Einrichtung, son-dern machte in ihnen nach 16 Jahren liberaler Regierungen deutliche Sympathien für die Oppositionspartei aus.1054

Daniel Pulido, Vorsitzender des Comando Conservador der Gemeinde Muzo, sah in den Streitkräften ein Machtinstrument der Liberalen Partei. Im Januar 1948 beklagte er sich bei José María Villarreal, dem mit der Reorganisierung der Poli-zeikräfte beauftragten konservativen Politiker, über die Gewalt, die von Streit-kräften gegen die konservativen Bürger der Ortschaft in Boyacá ausgehe.1055

Ungeachtet der von dirigentes conservadores beklagten liberalen Tendenzen in den Streitkräften waren diese aber nicht davor gefeit, in den Sog der im Untersu-chungszeitraum weit um sich greifenden Politisierungswelle gezogen zu werden, wie auch der General des Heeres Matallana anerkannte.1056

Paradoxerweise war es die in der Verfassung festgeschriebene politische Neu-tralität und Unterordnung des Militärs unter die zivile Politik bzw. die Nichtein-mischung der Streitkräfte in das politische Alltagsgeschäft, die dazu führten, dass die Streitkräfte zu einem wesentlichen Akteur in den (bewaffneten) Machtkämp-fen wurden. Durch das Befolgen von Befehlen, die offiziell immer zur Sicherung der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes gegen subversive, revolutionäre Gruppierungen ausgegeben wurden, wandelten sich die Streitkräfte in den 1940er Jahren in einen De-facto-Partner der konservativen Partei. Der bereits im Unter-suchungszeitraum aktive General Valencia Tovar nannte dies das „Dilemma der Neutralität“.1057 Auch in seinen Memoiren geht er auf die Rolle der Streitkräfte in der Violencia ein:

Durch die Betrauung von Offizieren mit Aufgaben in der Exekutive wurden die Streitkräfte weiterhin zunehmend in den politischen Konflikt zwischen den Traditionsparteien hereingezogen. Bereits vor den Präsidentschaftswahlen 1946 wurden über 200 hochrangige Militärs als alcaldes militares in konfliktträchti-gen Gemeinden eingesetzt. In dieser Funktion mussten sie direkte politische Verantwortung übernehmen und sich in dem gewalttätiger gestaltenden Umfeld positionieren, was oftmals hieß, Partei ergreifen zu müssen.1059 Dieser Trend zur Übernahme innenpolitischer, polizeilicher Aufgaben durch die Streitkräfte wurde durch die immer wieder erfolgende Verhängung des Estado de Sitio in den ersten Jahren der Regierung Ospina Pérez verstärkt und kuliminierte in dem bis zur Ein-richtung des Frente Nacional dauernden Ausnahmezustand.1060

Die konservative Regierung nahm allerdings auch intentionale Maßnahmen wahr, um die vermeintlichen Sympathien für die Liberale Partei in den Streit-kräften auszugleichen. So entsendete die Regierung vornehmlich liberale Offi-ziere nach Korea, um dort an Seite der US-amerikanischen Streitkräfte gegen die kommunistischen Kräfte im Norden des Landes zu kämpfen und sich so der zur Oppositionspartei tendierenden Militärs zu entledigen.1061 Während der Regie-rung Gómez fanden vornehmlich konservative Militärs Aufnahme in das Offi-ziercorps der Streitkräfte. Des Weiteren wurden Personen aus Regionen, in denen die Liberale Partei traditionell über deutliche Mehrheiten verfügte, wie Rioblanco oder Chaparral in Südtolima, als Rekruten für die Streitkräfte gemieden.1062

Im Zuge der Nationalisierung der Polizeikräfte unter Gómez wurde die Policía Nacional 1951 der Verfügungsgewalt des Innenministeriums entzogen und dem Ministerio de Guerra unterstellt. In der Folge wurden die Streitkräfte, in erster Linie das Heer, noch mehr als zuvor dazu eingesetzt, gemeinsam mit der Poli-zei und deren bewaffneten, konservativen Unterstützern gegen die liberalen und kommunistischen Widerstandsherde vorzugehen.1063 Die gemeinsamen Patrou-illen von Policía Nacional und Streitkräften sollten dazu dienen, einerseits die Befürchtungen in der Bevölkerung wegen alleiniger Streifengänge von chulavitas zu zerstreuen, andererseits die Polizeibeamten unter stärkerer Kontrolle zu halten, deren Verhalten gegenüber der Zivilbevölkerung auch bei vielen Militärs Missbil-ligung hervorrief.1064

Die Eingliederung der hochgradig parteipolitisch agierenden Polizeieinhei-ten in die Streitkräfte und die gemeinsamen Expeditionen gegen den bewaffne- ten Widerstand blieben allerdings nicht ohne politisierende Effekte auf die Streit-kräfte selbst. In der Folge verloren sie ihren Ruf als neutrale Instanz in dem bewaff-neten Binnenkonflikt.1065 In Südtolima, das als kommunistisch-liberale Hoch- burg galt, waren Massaker an angeblichen Unterstützern der Widerstandsgruppen das Resultat von gemeinsamen Expeditionen von Policía Nacional und Streit- kräften – sowohl unter der Regierung Gómez’ als auch der Militärregierung.1066Atehortúa und Vélez zitieren einen namentlich nicht genannten dirigente liberal aus Santander, der vormals Verteidigungsminister gewesen war:

Nicht nur hochrangige Politiker waren sich des Wandels der Rolle der Streit-kräfte in dem kolumbianischen Binnenkonflikt bewusst. Der Angriff auf das Heer in den llanos , dem 96 Soldaten im Juli 1952 zum Opfer fielen, verdeutlichte, dass sich das Verhältnis der bewaffneten Widerstandsgruppen zu dem Heer geän-dert hatte, nachdem oftmals ein, wie es Oquist ausdrückt, „Leben und Leben las-sen“ das Verhältnis zwischen (liberalen) Widerstandsgruppen und Heer bestimmt hatte.1068 Einen gewissen Grad an sectarismo und Mitschuld der Streitkräfte an der schwierigen Situation gestand auch der Heeresoffizier Matallana ein. Auch wenn er sich in seinem testimonio auf die llanos bezog, ist seine Aussage für die meisten Regionen, in denen die Streitkräfte zum Einsatz kamen, gültig:

Pedro Florez Quintero nahm ebenfalls Bezug auf die exponierte Rolle der Streitkräfte als gewalttätiger Akteur in den blutigen Auseinandersetzungen. Er bestritt, Kontakte zu den liberalen oder kommunistischen Widerstandsgruppen in der Gemeinde Dolores zu haben. Um nicht von diesen zwangsrekrutiert zu werden, gab er zu Protokoll, dass er sich mehrere Monate in der Wildnis versteckt gehalten habe. An die politischen Autoritäten habe er sich erst gewendet, als er keinen anderen Ausweg gesehen habe, nachdem ihm die Lebensmittel ausgegan-gen waren. Vorher habe er darauf verzichtet, sich den Streitkräften zu stellen und über die Zwangsrekrutierungen zu berichten, da „die Streitkräfte der Regierung alle, die sie finden würden, töteten“.1070 Manuel Vargas González berichtete eben-falls von den Gerüchten, die Streitkräfte würden „von den Neugeborenen bis zu den Alten“ alle Personen, derer sie habhaft wurden, töten.1071

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4 Der Griff zu den Waffen als Reaktion auf die Wahl der Regierung Gómez 1949

4.1 Die Formierung von bewaffneten Widerstandsgruppen

Der Gewinn an politischem Gewicht der radikalen Flügel der Traditionsparteien, insbesondere der gewachsene Einfluss der laureanistas gegenüber den moderaten Konservativen um Ospina Pérez, hatte bereits zu einer stetigen Intensivierung der Gewalt in der Frühphase des Untersuchungszeitraums geführt. Nach dem Aus-bruch eines binnenstaatlichen Konflikts und im Zuge der zunehmenden Polarisie-rung im politischen Feld werden, wie Waldmann festhält, die Stimmen der radi-kalisierten politischen Flügel immer lauter und die gemäßigten, im Grundsatz zur Vermittlung bereiten Fraktionen nicht mehr gehört und Konfliktlagen potentiell verschärft.1072 Ein ähnlicher Befund ist für Kolumbien Ende der 1940er Jahre zu konstatieren.

Die Verhängung des Ausnahmezustandes und die Wahl von Laureano Gómez zum neuen Präsidenten Kolumbiens im November 1949 stellte eine Zäsur in der Ausgestaltung der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen sowie kommunistischen Gruppierungen dar. Mit dieser Wahl hat-ten die laureanistas , der rechte Flügel der Konservativen Partei, ihr gewachsenes politisches Gewicht und ihren Einfluss unter Beweis gestellt. Im Gegensatz zu den ospinistas lehnten die Anhänger von Laureano Gómez eine Beteiligung der als unehrlich, moralisch ungefestigt und als kommunistisch unterwandert dargestell-ten Liberalen ab. Der November 1949 stellte den Auftakt einer Phase der Violencia dar, in der sich die politische Verständigung zwischen den Parteien ihrer instituti-onalisierten Kanäle beraubt sah und sich die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den politischen Gruppierungen generalisierten und intensivierten.1073

In der Frühphase der Violencia waren Regionen mit deutlichen Mehrheiten für die Liberale Partei, wie der departamento Tolima, weniger stark von kollekti-ven, parteipolitisch motivierten Gewaltakten betroffen gewesen. Liberale gamo- nales und Regional- sowie Lokalpolitiker hatten nach ihren Möglichkeiten im Rahmen eines klientelistischen politischen Systems mäßigenden Einfluss auf die liberalen Parteimitglieder ausgeübt, die sich gewaltsam gegen die Angriffe von konservativen Mitbürgern oder staatlichen Sicherheitskräften wie der immer stärker politisierten Policía Nacional zur Wehr setzten. Besonders deutlich wur-den die Versuche der Anleitung des liberalen Widerstandes durch Vertreter der Liberalen Partei bei den Aufständen anlässlich des Mordes an Gaitán und der folgenden Einrichtung von Juntas Revolucionarias . Allerdings war die Unterstüt-zung bewaffneter Widerstandsgruppen durch liberale Politiker in der Frühphase des Untersuchungszeitraums nur rudimentär ausgeprägt und wurde zu keinem Zeitpunkt zentral koordiniert. Häufig beschränkte sie sich auch nur auf verbale Gutheißungen.1074

Bekanntlich gelang es der liberalen Parteiführung nicht, durch die Oppositi-onspolitik der Resistencia Civil oder anderweitige Einflussnahme in den institu-tionalisierten Kanälen des politischen Feldes die von der Konservativen Partei ausgehende Gewalt einzudämmen. Erschwerend kam hinzu, dass die Führungs-riege der Liberalen Partei kein einheitliches Konzept besaß, wie der steigenden Gewalt zwischen den Anhängern der Traditionsparteien begegnet werden könnte. Die Versuche, dies durch Protestnoten an den Präsidenten und die zuständigen Minister zu erreichen, das heißt die noch verbliebenen institutionellen Kanäle des politischen Feldes zu nutzen, brachten nicht den gewünschten Erfolg. Gleichzei-tig zielten radikalisierte Anhänger des zukünftigen Präsidenten Gómez in steigen-dem Maße darauf, ihre politischen Ziele gewaltsam durchzusetzen.1075

Ab November 1949 verloren liberale Parteimitglieder durch die Verhängung des landesweiten Ausnahmezustandes, insbesondere in der ländlichen Periphe-rie, auch noch das letzte Maß an Schutz, den ihnen Repräsentanten der Liberalen Partei in den politischen Institutionen der Legislative bislang hatten geben kön-nen. Parallel zu der Schwächung der Einflussmöglichkeiten der Liberalen Par-tei gewann der rechte Flügel der Konservativen Partei um Laureano Gómez an Macht und politischem Gewicht, wie sich an der Rückkehr des jefe natural aus seinem spanischen Exil und seiner bevorstehenden Kandidatur für das Präsiden-tenamt verdeutlichte.1076 Nachdem die Liberale Partei ihre politischen Mehrheiten anlässlich der Legislativwahlen Mitte 1949 erneut unter Beweis gestellt hatte, sahen die Apologeten der Mission der Konservativen Partei für die patria die Notwendigkeit, dieser notfalls auch gewaltsam zum Erfolg zu verhelfen, wie der Schusswechsel im Kongress im September 1949 oder das Massaker in der Casa Liberal in Cali einen Monat später exemplarisch verdeutlichen.1077 Insbeson-dere die Schießerei in den Volksvertretung zwischen liberalen und konservativen Volksvertretern, bei der die Abgeordneten Gustavo Jiménez und Jorge Soto del Corral getötet wurden, war für viele Anhänger der Liberalen Partei auf der regio-nalen Handlungsebene der Anlass, sich auf eine umfassendere Form des Wider-standes vorzubereiten. In weiten Teilen des Landes bildeten sich in der Folge bewaffnete Widerstandsgruppen, um sich gegen die konservativen Aggressionen zu verteidigen.1078

Wie bereits gezeigt wurde, unterschieden konservative dirigentes políticos nicht stringent zwischen Liberalen und Kommunisten. In ihrer Wahrnehmung und Deutung sozialer Realität waren beide politischen Gruppierungen zu einer amorphen und ununterscheidbaren Masse geworden. Daher verwundert es nicht, dass die Gewalt der chulavitas sowie ihrer paramilitärischen Unterstützer sowohl campesinos , die sich den Liberalen verbunden fühlten, als auch kommunistische Akteure traf.

Der Estado de Sitio , der den politischen Oppositionsparteien die Einflussnahme über die legislativen Körperschaften nahm, sowie der Machtgewinn von radika-lisierten Konservativen und deren unter Beweis gestellte Bereitschaft, Gewalt für politische Zwecke gegen Liberale und Kommunisten einzusetzen, stellten die von Michael Krennerich konzipierten Gewalt verhältnisse dar, welche Gewalt ta- ten begünstigen. Auf diese Gewaltverhältnisse reagierten kommunistische und liberale Akteursgruppen mit der Formierung bewaffneter Widerstandsgruppen. In der Interaktion zwischen Kombattantengruppen und ihren Widersachern – zu denen auch staatliche Akteure gehören können – stellt gewaltsames Handeln eine nahezu jederzeit verfügbare Handlungsressource dar.1079 Selbst der von Enzens-berger als „Verlierer“ bezeichnete isolierte und sozial randständige Akteur – und als solche waren 1949 Mitglieder der Liberalen und der Kommunistischen Par-tei zu bezeichnen – kann, wenn auch nur für einige Augenblicke, die Aufmerk-samkeit auf sich ziehen und große Publizität erreichen, wenn er auf (extreme) Gewalt zurückgreift, um seinen Anliegen Gehör zu verschaffen.1080 Gerade für diese Verlierer , das heißt für machtlose und kommunikativ isolierte Individuen oder Gruppen ist es unter Umständen attraktiv, auf die Gewalt als Handlungsop-tion zurückzugreifen, denn sie ist ein „nicht nichtnegierbares Kommunikations-angebot“.1081 Von derjenigen Person, die gewaltsam handelt, kann niemand im Nachhinein behaupten, dass sie nicht agiert hätte.1082

Für das Verständnis der weiteren Genese der Violencia ist es wichtig, zwischen der Formierung liberal und kommunistisch inspirierter Widerstandsgruppen zu unterscheiden. Während der kommunistische Widerstand auf die Überwindung der althergebrachten sozialen und politischen Ordnung zielte, verfolgten die Widerstandskämpfer, die sich die Verteidigung der Werte der Liberalen Partei auf die Fahnen schrieben, die Beibehaltung des bis 1946 bestehenden politischen Systems. Die liberalen und kommunistischen Kombattanten mit ihren unter-schiedlichen Zielsetzungen lassen sich mit Münkler als die schwer miteinander in Einklang zu bringenden Partisanen der Revolution und Partisanen der Tradition beschreiben.1083

4.2 Die Bildung liberaler guerrillas

Ungeachtet der bevorstehenden Wahl Laureano Gómez’ zum Präsidenten hoffte die Mehrheit der liberalen Parteimitglieder darauf, dass die Führungsriege ihrer Partei die zu erwartende Eskalation der blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der Traditionsparteien abwenden konnte. Diese Hoffnung wurde zu guter Letzt in nicht unerheblichem Maße von der Parteispitze selber genährt. In liberalen Tageszeitungen wie El Tiempo verbreiteten exponierte Vertreter der Partei ihre Überzeugung, dass sich die Streitkräfte im Gegensatz zu der stark poli-tisierten Polizei rechtsstaatlichen Prinzipien verpflichtet sehen und die Mitglieder der Liberalen Partei vor der Gewalt schützen würden – eine Überzeugung, die sich im Laufe der Zeit als trügerisches Gerücht herausstellen sollte.1084

Der Glaube an eine Intervention der Streitkräfte zugunsten der Liberalen Partei basierte auf der Tatsache, dass während der República Liberal ein beachtlicher Teil des Offizierscorps mit Personen besetzt worden war, die sich zur Liberalen Partei bekannten. So zielten liberale dirigentes políticos darauf, der Liberalen Par-tei wohlgesonnene Teile der Streitkräfte zu einem Putsch gegen die konservative Regierung zu bewegen, der im November 1949 anlässlich der Präsidentschafts-wahlen erfolgen sollte. Einem Geheimdienstbericht zufolge zirkulierten sechs Tage vor dem Wahltag Schreiben der Dirección Liberal mit dem Aufruf an das Heer, den geplanten Staatsstreich zu unterstützen.1085 Kurzfristig wurde der Plan allerdings fallen gelassen und stattdessen zu einem Generalstreik aufgerufen. Die Nachricht erreichte jedoch nicht alle involvierten Offiziere rechtzeitig, so dass der rebellierende Kapitän der kolumbianischen Luftwaffe Alfredo Silva Romero in Meta auf verlorenem Posten stand. Mit dem Scheitern der militärischen Erhe-bung begaben sich die bewaffneten liberalen Parteimitglieder um Eliseo Velás-quez, welche die Streitkräfte bei ihrem Vorhaben unterstützen wollten und die Stadt Puerto López angegriffen hatten, in den Widerstand, auch um der folgenden Strafverfolgung zu entgehen.1086 Die guerrilla in den llanos orientales wurde die bedeutendste Gruppe des bewaffneten Widerstandes gegen die Regierung Gómez in den frühen 1950er Jahren.

Die Hoffnung, dass sich die Streitkräfte auf die Seite der Liberalen Partei schlagen würden, wurde auch noch im Juni 1950 anlässlich des bevorstehenden Amtsantritts von Gómez geäußert. In einem als subversiv klassifizierten Flugblatt wurde jedes Mitglied der Liberalen Partei dazu aufgerufen, stets die chulavitas anzugreifen, in den Angehörigen des Heeres aber „einen treuen Verbündeten zu sehen, der bereit ist, ihm [dem liberalen Parteimitglied, L. R.] unmittelbar zu helfen“.1087 Weiterhin machte das Pamphlet deutlich, wie sehr sich die diskursive Dichotomisierung der sozialen Realität bereits in den Wahrnehmungshorizonten der Akteure auf der regionalen Ebene verfestigt hatte. Die Autoren des Flug-blatts sahen genauso wie die Wortführer der Liberalen Partei in dem nächsten Präsidenten Kolumbiens den Verfechter faschistischer Ideologien, die dieser in Kolumbien etablieren wollte. Sie argumentierten, dass ein Großteil der Offiziere des Heeres der Liberalen Partei in der „Endschlacht“ beistehen würde, sodass das „falangistische Monster und Vertreter Francos niemals den Thron der Prä- sidenten betreten wird, der bereits von der mörderischen Regierung Ospina Pérez und seinen Gefolgsleuten befleckt und geschändet ( vilipendiado ) worden ist“.1088

Politiker aus der Führungsebene der Liberalen Partei konnten die Wahl Gómez’ zum Präsidenten nicht verhindern. Auch die Streitkräfte intervenierten nicht, wie von Vertretern der Liberalen Partei gehofft, in die innenpolitischen Entwicklun-gen, um die Wahl zu unterbinden. Auf die sich weiter intensivierende Gewalt gegen Anhänger der Liberalen Partei reagierten diese anfangs mit einer Evasions-taktik. Um den überfallartigen, in der Regel im Schutz der Dunkelheit erfolgenden Angriffen von chulavitas und den sie unterstützenden konservativen Zivilisten zu entgehen, verbrachten viele potentielle Opfer die Nächte nicht in ihren Unterkünf-ten, sondern in provisorischen Behausungen im umliegenden Bergland.1089 Mit dem Fortschreiten des Konflikts sahen sich immer größere Teile der Bevölkerung gezwungen, ihr Hab und Gut zurückzulassen und auf unbestimmte Zeit in das bergige, relativ schwer zugängliche Umland zu fliehen.1090 Zwar ermöglichte die Flucht in das unwirtliche und unwegsame Hinterland, den Aktionen staatlicher Sicherheitskräfte und konservativer Gewalttäter zu entgehen. Allerdings hieß dies auch, dem politischen Gegner seinen Besitz, seine Häuser, seine Tiere, seine fin- cas – wenn die Flüchtlinge denn überhaupt in Besitz eigenen Landes waren – zu überlassen, ohne dass es eine realistische Hoffnung gab, dass der blutige politi-sche Konflikt in absehbarer Zeit enden würde. Die Aussicht auf Rückerlangung der zurückgelassenen Habseligkeiten musste von den Betroffenen folgerichtig als äußerst gering eingeschätzt werden.

Zentrale Motivation für die Herausbildung von bewaffneten Widerstandsgrup-pen liberaler oder kommunistischer Ausprägung war in erster Linie die Verteidi-gung der Familien und des Besitzes gegen die Gewalt der chulavitas und ihrer paramilitärischen Unterstützer. Dementsprechend hatten die bewaffneten Wider-standsgruppen in ihrer Frühphase eine grundsätzlich defensive Ausrichtung, obgleich einige Widerstandsgruppen um 1951 eine militärische Stärke gewonnen hatten, die ihnen auch Offensivaktionen gegen die staatlichen Sicherheitskräfte erlaubte.1091

Mit Riekenberg können die zeitgenössisch als guerrillas bezeichneten Gruppen als Gewaltsegmente bezeichnet werden. Er beschreibt Gewaltsegmente als auf der gemeinschaftlichen Gewalttat und in der Interaktion mit anderen Gewaltkollekti-ven konstituierte Kombattantengruppen. Diese sind „organisierte Gemeinschaften der Gewalttat […], die egalitäre Gewaltbeziehungen konstituieren bzw. repräsen-tieren, umgrenzte Territorien kontrollieren und zu kriegsartigen Handlungen […] in der Lage sind“.1092 Die liberalen Gewaltsegmente entstanden in der Regel um weit gesponnene Familiennetzwerke und Personen, die wegen ihres Einflusses in lokalen Machtnetzwerken caudillos , ähnlich des von Max Weber beschriebenen charismatischen Herrschers1093, genannt wurden.1094

In Rovira ging beispielsweise Leonidas Borja (alias El Lobo) zusammen mit seinen Brüdern Tiberio (alias Córdoba) und Arsenio (alias Santander) sowie David Cantillo (alias Triunfante) in den bewaffneten Widerstand gegen die konserva-tiven Gewaltakteure.1095 In Südtolima bildeten sich Widerstandsgruppen um die Familien Rada, García und Loaiza.1096 Das bedeutendste liberale Gewaltsegment in Südtolima entstand in der Gemeinde Rioblanco um den als caudillo zu bezeich-nenden Gerardo Loaiza, der es als Landbesitzer zu einem gewissen Wohlstand gebracht hatte, und seinen Söhnen, die unter den Alias Veneno, Agarre, Tarzán und Calvario firmierten.1097 Ihr Mitstreiter in der liberalen guerrilla in Rioblanco war Leopoldo García, der Bekanntheit unter dem Aliasnamen Peligro erlangte. Weitere exponierte liberale dirigentes guerrilleros waren Hermógenes Vargas (alias Vencedor), der mit seinem Vater schon im April 1948, nach dem Mord an Gaitán, gegen die konservative Regierung rebelliert hatte, und Ignacio Parra (alias Revolución).1098

Die Mitglieder der Liberalen Partei, die sich in der Endphase der Regierung Ospina Pérez in den bewaffneten Widerstand begaben, waren nahezu in ihrer Gesamtheit zu Opfern konservativer Gewalt geworden bzw. zählten nahe Fami-lienangehörige zu den Opfern der Repression durch Polizei und konservative Freiwillige. Juan Calderón Palomar (alias Sangre Negra) war in den bewaffneten Widerstand gegen die Regierung Gómez gegangen, nachdem chulavitas seinen Onkel, einen liberalen Lokalpolitiker, 1949 getötet hatten.1099 Auch Hermógenes Vargas schloss sich dem liberalen bewaffneten Widerstand an, der sich in der zwei-ten Jahreshälfte 1949 in dem Weiler El Quebradón in Südtolima bildete, nachdem sein Vater Jorge Antonio wegen seiner Mitgliedschaft und seiner führenden Rolle in der Liberalen Partei von Polizeibeamten getötet worden war. Sowohl Gerardo Loaiza als auch Vargas waren Augenzeugen der Vergewaltigung und Ermordung ihrer Ehefrauen, Schwestern und Töchter durch radikalisierte konservative Zivi-listen geworden, die den Widerstand Liberaler in Südtolima durch solche Gewalt- akte brechen bzw. dessen geringe Erfolgsaussichten aufzeigen wollten.1100 Die Ermordung zwei seiner Brüder durch chulavitas 1950 veranlasste Jesús Antonio Otavo dazu, Bekannte, die Ähnliches erlebt hatten, um sich zu scharen und den Widerstand in der Gemeinde Chaparral zu organisieren, wo sich zeitgleich auch kommunistisch geprägte autodefensas herausbildeten.1101

Die von exponierten Repräsentanten der Liberalen Partei mitgetragene Dicho- tomisierung der sozialen Realität führte dazu, dass Liberale, die sich auf der regionalen bzw. lokalen Handlungsebene in den bewaffneten Widerstand bege-ben hatten, den politischen Widersacher als den absolut Anderen und das absolut Böse sahen. Dieser bedrohte nicht nur die Existenz der eigenen Gemeinschaft, sondern stellte auch das historisch-kulturelle Erbe der patria infrage – so wie es die Repräsentanten der Liberalen Partei auf der nationalstaatlichen Ebene vor-zeichneten. Die Kombattanten, welche Ende der 1940er Jahre die Liberale Partei mit dem Griff zu den Waffen gegen die konservativen Aggressionen schützen wollten, beriefen sich auf die Liberale Partei und behaupteten, in ihrem Namen zu agieren. Durch diese Anbindung versuchten sie, ihrem bewaffneten Handeln Legitimität zu verleihen.1102

In einem Brief an den noch amtierenden Präsidenten Ospina Pérez vom 28.11.1949, einen Tag nach der Wahl Gómez’ zum künftigen Präsidenten Kolum-biens, bezeichneten führende Vertreter der Liberalen Partei den 9.11.1949, als Ospina Pérez den Ausnahmezustand verhängte und die Schließung der legisla-tiven Körperschaften verfügte, als Staatsstreich.1103 Neben der ausufernden Gewalt gegen die liberale Wählerschaft, die eine Beteiligung an den Wahlen am Vortag unmöglich gemacht hatte, kritisierte der Brief das politische Vorgehen des Präsi-denten bezüglich der Verhängung des Ausnahmezustandes. Keine Interpretation des Verfassungstextes rechtfertige aus Sicht der Unterzeichner die Auflösung des Kongresses und auch die Widerrufung von Gesetzen per Präsidialdekret, die in keinerlei Zusammenhang mit den Gründen für den Estado de Sitio standen, ent-behre jeglicher konstitutionellen Grundlage. Das politische Projekt der konser-vativen Regierung verglichen die Autoren des Schreibens, zu denen neben vielen anderen Alfonso López Pumarejo, Carlos Lleras Restrepo und Carlos Lozano y Lozano gehörten, mit den rezenten Versuchen der europäischen Faschisten Hitler, Mussolini und Franco, die demokratische Ordnung zu zerstören.1104

Ähnlich drückte sich im Juli 1953 ein im Exil in St. Louis (USA) lebender kolumbianischer Staatsbürger in einem Brief an Rojas Pinilla aus, in dem er die politischen Entwicklungen in seinem Heimatland der letzten Jahre betrachtete. Der Wahl von Gómez nach der Verhängung des Ausnahmezustands sprach er jeg-liche Legitimität ab und beschuldigte den kurz zuvor abgesetzten Präsidenten, Kolumbien „entehrt“ zu haben. Die zahlreichen Verbrechen und die landesweite Straflosigkeit für konservative Gewalttäter würden aus seiner Sicht die Situation in Kolumbien unerträglicher als in der Sowjetunion machen – bei den Westmäch-ten der Inbegriff eines totalitären politischen Systems.1105 Liberale Politiker auf der nationalstaatlichen bzw. regionalen Ebene sahen in der konservativen Regie-rung eine „ godo -falangistische Sekte“1106 und eine Diktatur mit demokratischer Fassade, die mittels der Gewalt gegen die Liberale Partei Kolumbien das demo-kratische Fundament nehmen wolle.

Ähnlich äußerten sich liberale Kombattanten, die sich gegen die konservativ- staatliche Gewalt zur Wehr setzten. Sie würden die Liberale Partei und die durch sie verkörperten Werte verteidigen, die aus liberaler, zeitgenössischer Sichtweise das Fundament moderner westlicher Demokratie darstellten. Juan de Jesús Franco, der eine liberale Widerstandsgruppe in Südwestantioquia organisiert hatte, verbot seinen Untergebenen, das Heer anzugreifen, „denn dieses sucht [wie die liberalen Widerstandskämpfer, L. R.] die Freiheit der patria , den Frieden und die Gerech-tigkeit“.1107 Aparicio Guayara, Opfer eines Überfalls einer bewaffneten liberalen Widerstandsgruppe in der Gemeinde Roncesvalles, sagte dahingehend aus, dass einer der Täter ihm gegenüber bekundet habe, sie hätten zu den Waffen gegrif-fen, da „sich die Regierung schwer an dem Liberalismus vergangen hat ( ha abu- sado con el liberalismo en gran manera ), was viele in den Ruin getrieben hat“.1108Victor Mendoza erstattete Mitte 1952 Anzeige gegen seine Arbeitgeber Antonio José Varón und dessen Bruder Miguel, weil sie versucht hätten, ihn davon zu überzeugen, sich der lokalen liberalen Widerstandsgruppe anzuschließen. Die Beschuldigten hätten ihm bekundet, so gab Mendoza zu Protokoll, dass der liberale Widerstand auf die Absetzung der Regierung hinarbeite. Antonio José Varón habe – im Einklang mit den führenden dirigentes liberales – Mendoza gegenüber betont, dass die Liberale Partei seit jeher über einen größeren Stimmenanteil als ihre konservative Konkurrenz verfügt habe. Die Beschuldigten hätten angeführt, dass sich die liberalen Widerstandsgruppen gegen eine totalitäre Konservative Partei zur Wehr setzten, die gewaltsam und die Verfassung verletzend verhindere, dass die Liberale Partei die Regierung stelle.1109

Das liberale Gewaltsegment in den llanos orientales führte stellvertretend für die liberalen Widerstandsgruppen an, für die politische und soziale Freiheit zu kämpfen, welche aus ihrer Blickwarte die kolumbianische Bevölkerung vor dem Antritt der konservativen Regierungen genossen habe.1110 Zum zweiten Jahrestag der Ermordung Gaitáns schrieb Eliseo Velásquez, der bereits als „Oberbefehls-haber der revolutionären Kräfte der Llanos“ unterzeichnete, an den kurz vor sei-ner Ablösung stehenden Präsidenten Ospina Pérez: „Angesichts der bedrohlichen Haltung Ihrer Regierung bleibt uns lediglich, unsere Leben, Familien und Habe a sangre y fuego zu verteidigen“. Velásquez warnte ihn, dass die Befriedung der llanos nicht möglich sei, solange sich er und seine Regierung über die Verfassung und Gesetze hinwegsetzen würden.1111

Vor dem Hintergrund der Dichotomisierung der sozialen Welt wurde die Ver-teidigung des eigenen Lebens, der eigenen Familie und der eigenen bäuerlichen Existenzgrundlage zur Verteidigung der Partei, die wiederum mit der patria gleichgesetzt wurde. So wie es galt, diese vor dem politischen Gegner zu schüt-zen, zielte die eigene Gewalt darauf, den Widersacher, seine Familie und seine Partei zu vernichten. Trutz von Trotha konzipiert den totalen Krieg als einen Typus kriegerischer Auseinandersetzungen, der tendenziell alle Mitglieder der eigenen und der gegnerischen Gemeinschaft in die Kämpfe mit einbezieht. Er nennt die-sen Umstand das genozidale Moment des totalen Krieges .1112 In dieser Hinsicht zeichneten sich die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Liberalen und der Konservativen Partei durch Charakteristika des totalen Krieges im Sinne von Trothas aus.1113

Die Grenzen zwischen Angehörigen der Liberalen und der Konservativen Par-tei wurden in einzelnen Regionen Tolimas als derart undurchlässig und strikt wahrgenommen, dass die gewaltsamen Interaktionen zwischen Mitgliedern der Traditionsparteien andere Formen sozialer Beziehungen ersetzten.1114 Die Aussa-gen von Ermenegildo Enciso im September 1953, bereits nach dem Putsch von General Rojas Pinilla, zu dem Mord an einem seiner Söhne, verdeutlichten den sectarismo , der auf Seiten der liberalen Widerstandsgruppen zu beobachten war. Er beklagte den Mord an seinem Sohn Benicio in der Gemeinde Purificación, den eine Gruppe von 200 bis 300 liberalen Bewaffneten, zusammen mit fünf weiteren Konservativen, getötet hatte. Nach Auskunft seines anderen Sohnes Saturnino, der über Wochen von der cuadrilla verschleppt worden war, habe der Grund für den Mord einzig und allein in der „Politik“ gelegen1115, das heißt er wurde getötet, weil die Liberalen in der Mitgliedschaft des Opfers in der Konservativen Partei das Kriterium für die Definition als Feind sahen. Saturnino Enciso berichtete, dass die Gruppe liberaler Aufständischer „nur godos tötete“.1116

Die Art und Weise, wie die Opfer von den liberalen Tätern zugerichtet wurden, ließ darauf schließen, wie fundamental die Täter die Differenz bzw. Feindschaft zu den konservativen Opfern wahrnahmen. Den Opfern waren die Augen ausge-stochen sowie die Zunge herausgeschnitten worden, teilweise wurden sie gehäu-tet, enthauptet und verstümmelt.1117 Auch hier lässt die Performanz darauf schlie-ßen, dass die Gewalt als Kommunikationsmedium genutzt wurde – einerseits zur Einschüchterung von den Opfern nahestehenden Personen und andererseits, um den eigenen potentiellen Unterstützern aufzuzeigen, dass es möglich war, Wider-stand zu leisten.

Maximino García erstattete im Dezember 1953 Anzeige gegen die Brüder Diaz, die den Konservativen Miguel Diaz nachts aus seinem Haus gezerrt und getötet hatten. Vor dem Mord hätten sie das Haus des Opfers, in dem sich der Anzeigener-statter befand, zusammen mit anderen Liberalen umstellt und dem konservativen García gedroht, „all diese godos […], die in dieser Region lebten und die keinen Grund zu leben hatten, zu töten“.1118 Humberto Zapata sagte aus, dass ihm die liberalen Kombattanten anvertraut hätten, sie würden auch andere konservative Bewohner der Region um den Weiler La Yuca in der Gemeinde Cunday, wie die Familie García, töten oder vertreiben wollen: „Wenn sie [die liberalen Kombat-tanten, L. R.] ihrer [der Familienmitglieder García, L. R.] nicht habhaft würden, würden sie zumindest das Vieh, das sie hatten, essen“.1119 Ein solches Verhalten entspricht einem totalen Krieg , wie ihn von Trotha konzipiert hat und in dem ver-sucht wird, dem Gegner die Lebensgrundlage zu nehmen.

Argemiro Andrade Medina warf Nemesio Acosta vor, zusammen mit anderen Liberalen seine und seiner Geschwister Ermordung geplant zu haben. Er berich-tete von einem Zusammentreffen mit Acosta, bei dem letzterer bekundet habe, dass „er alle godos töten musste und keinen einzigen am Leben lassen würde“.1120Auch in diesen Ermittlungen wird deutlich, wie sehr der sectarismo die Freund-Feind-Zuschreibungen bedingte. Zwar kannten Rebecca Cañón Diaz und ihre Schwestern die liberalen Kombattanten, welche die finca überfielen, auf der sie beschäftigt waren, seit Kindesbeinen. Trotz der langjährigen Bekanntschaft droh-ten die Angreifer ihnen, nachdem die Überfallenen ausgeraubt worden waren, dass sie am Folgetag zurückkehren würden. Sollten Cañón Diaz und ihre Familie noch auf dem Landgut anzutreffen sein, würde die liberale cuadrilla sie alle töten.1121

Angesichts der polarisierten politischen Situation, die sich unter anderem in dem sectarismo der Kombattanten äußerte, sahen die liberalen Kombattanten in dem Sturz der Regierung Ospina Pérez bzw. Gómez den einzigen Weg, ihr Ziel – die Verteidigung der Liberalen Partei, ihrer politischen Werte und der patria – zu erreichen. Yesid Robayo Moreno wurde beschuldigt zu dem Unterstützerkreis der liberalen guerrillas in Rovira zu gehören. Er zeichnete in seiner Vernehmung ein Bild von den über 1000 liberalen Kombattanten in der Gemeinde, das deren nicht nur militärische Stärke aufzeigte:1122 Sie würden auf ein breit gespanntes Logistiknetzwerk zurückgreifen können, das bis in die Provinzhauptstadt Ibagué reiche und das sie frühzeitig über ausrückende Polizeikommissionen informiere. Über das Unterstützernetzwerk würden die liberalen Widerstandskämpfer mit Nahrungsmitteln, Geld, Tabak, Munition und selbstgebauten Sprengsätzen ver-sorgt, während der Arzt Luis Muñoz sie medizinisch versorge. Der Umstand, dass sie in ihren Rückzugsräumen Käse herstellten, den sie über das Unterstützernetz veräußerten, zeugt davon, dass sie an Stärke gewonnen hatten und die staatlichen Sicherheitskräfte, angesichts der Produktionsdauer von Käse, über einen längeren Zeitraum auf Distanz halten konnten.1123

Dass die liberale guerrilla in Rovira mit ihrer gewachsenen Stärke auch andere Ziele formulieren konnte, die sie mit ihren bewaffneten Aktionen verfolgte, war auch dem Ermittler, der den Unterstützern der liberalen Kombattanten in der Gemeinde nachforschte, bewusst. Zwar kriminalisierte er sowohl die Kombat-tanten als auch deren Unterstützer als gewöhnliche Verbrecher, als Banditengrup-pen, die „alle Art von Verbrechen gegen Personen und Besitztümer begingen“.1124Gleichzeitig war er sich aber offenbar darüber im Klaren, dass sich die Gewalt der Bewaffneten in erster Linie gegen staatliche Einrichtungen richtete, welche die, seiner Meinung nach, „legitime Regierung“ repräsentieren würden, und die liberalen Gewaltkollektive darauf zielen würden, „die legitim konstituierte Regie-rung zu stürzen“.1125 Mit der Feststellung, dass die Widerstandskämpfer haupt-sächlich gegen politische Institutionen vorgingen, relativierte er allerdings seine eigene Kriminalisierungsstrategie.

Mit dieser Einschätzung lag der ermittelnde Beamte offenbar nicht falsch, denn die liberalen Kombattanten in Rovira beschränkten sich nicht darauf, einfache campesinos , Arbeiter oder Reisende, die der Konservativen Partei angehörten, anzugreifen, sondern planten militärische Unternehmungen, die über den loka-len Rahmen hinausgingen. Francisco Trujillo Cárdenas zufolge suche die liberale guerrilla neue Rekruten, auch in Ibagué, von denen sie eine „geschärfte Machete, ein paar einfache Schuhe ( alpargatas ), alte Kleidung, ein Paket Schwarzpulver und eine Taschenlampe“ fordere, um in die Widerstandsgruppe aufgenommen zu werden. Die Rekrutierungskampagne des bewaffneten Widerstandes ziele darauf, „mehrere Tausende [neue Kombattanten zu gewinnen], um Ibagué anzugreifen“.1126

In den Gemeinden Osttolimas hatten sich, parallel zu den Entwicklungen in anderen Regionen des departamento , Mitglieder der Liberalen Partei in den bewaffneten Widerstand begeben. Dabei konnten sie auf Organisationsstrukturen vorheriger sozialer Bewegungen zurückgreifen, insbesondere auf die movimientos campesinos der 1920er und 1930er Jahre. Diese waren unter der Schirmherrschaft der von Gaitán initiierten Unión Nacional Izquierdista Revolucionaria (UNIR), dem Partido Agrario Nacional (PAN) von Erasmo Valencia sowie dem dirigente campesino Juan de Cruz Varela zu einem Akteur im politischen Feld Kolumbiens geworden.1127

Einer der ersten Angriffe der liberalen guerrilla in Osttolima, die Attacke auf den konservativen Weiler La Aurora in der Gemeinde Cunday ist ein exzellentes Beispiel dafür, dass sich die Gewalt der Bewaffneten, die im Namen der Liberalen Partei zu kämpfen vorgaben, gegen den in der konservativen Regierung repräsen-tierten Staat und den von ihm postulierten Ordnungsanspruch richtete. Eine, so der Bürgermeister der Gemeinde Cunday, „Diebesbande“, die ihren Stützpunkt in dem Dörfchen La Aurora habe und die von besagtem dirigente agrario Varela befehligt würde, griff am 10.3.1950 die Polizeistation in La Aurora an und tötete neben drei chulavitas zwei zivile Mitglieder der Konservativen Partei. Einer der Zivilisten sei den Angreifern zum Opfer gefallen, weil er mit den staatlichen Sicherheitskräften zusammengearbeitet und Informationen über die liberalen Bewohner der Region an diese weitergegeben habe, somit ein „ sapo “ sei.1128

Die liberalen Kombattanten sahen ihren Angriff als Teil eines landesweiten Aufstandes. Sie verkündeten, dass der Krieg ausgebrochen sei und dass sowohl Ospina Pérez als auch Gómez in Bogotá bereits getötet worden seien. Diese Selbstwahrnehmung als Teil einer den lokalen Rahmen sprengenden Rebellion gegen die konservative Regierung erklärt auch das Vorgehen der Bewaffneten in Cunday, das sich vornehmlich gegen die staatlichen Einrichtungen bzw. Reprä-sentanten des Staates richtete. Ana López de Salgado informierte die ermittelnden Beamten, dass die liberalen Aufständischen bekundet hätten, alles, was der Regie-rung gehörte, zerstören zu wollen. Aus den Räumlichkeiten der Dorfverwaltung hätten die Rebellierenden mit der Nationalflagge, den Siegeln der Administration und des Wahlkomitees sowie diversen Prozessunterlagen Gegenstände entwen-det, welche den Staat bzw. seinen Souveränitäts- und Führungsanspruch symbo-lisierten. Weiterhin hätten sie – da es sich aus ihrer Sicht um keine lokale Revolte handelte – ausgehend von La Aurora weitere Angriffe auf den Stützpunkt des Heeres auf der Hacienda Varsovia und anschließend auf die cabecera municipal Cunday geplant. Zu diesem Zweck kontrollierten sie nach dem Angriff auf die Polizeistation das Kommunikationsnetz, das heißt das Telegraphen- und Telefon-system des Dorfes, und überwachten den Personenverkehr in La Aurora, womit sie, wie die Geschworenen festhielten, „de facto eine Regierung“ einrichteten.1129Die liberalen Bewaffneten hätten weiterhin mehrfach im Verteidigungsministe-rium in Bogotá angerufen, um die Nachricht über den Erfolg ihres Unterfangens zu übermitteln und der auf Seiten der Liberalen stehenden Militärjunta, die sich angeblich im Zuge der landesweiten Rebellion gebildet habe, ihre Unterstützung zuzusichern.1130

Auch die Militärrichter hielten in diesem Fall fest, dass es sich nicht um rein kriminell motivierte Gewalt vonseiten liberaler Parteianhänger handelte. Wie sie vermerkten, war eindeutig bewiesen, dass diese sich der „Rebellion gegen die legitim konstituierten Autoritäten“ schuldig gemacht hätten und mit dem Angriff auf den „totalen Wechsel des existierenden konstitutionellen Systems“ gezielt hät-ten.1131 Die Gewalttaten der Angeklagten seien, wie die Corte Militar de Casación y Revisión feststellte, als politisch anzusehen, denn sie zeugten von einem „gren-zenlosen Hass auf die Regierung und diejenigen, die diese repräsentierten, [und] einem gewaltigen Eifer, die Regierung zu stürzen und die Institutionen der Repu-blik zu erneuern“.1132 Die Anerkennung des politischen Charakters des Angriffes spiegelte sich auch in der Urteilsverkündung des Consejo de Guerra Verbal wider. Mord, Raub und Brandstiftung stellten zwar keine notwendigerweise politischen Straftaten dar, allerdings verurteilte das Militärgericht alle Beschuldigten auch wegen „Rebellion ( rebelión )“, die mit der Auflehnung gegen die staatlichen Auto-ritäten eine politische Dimension impliziert – Ramón Rodríguez (alias Patillas) wurde weiterhin wegen des Delikts der Amtsanmaßung („ Usurpación de funcio- nes públicas “) belangt.1133

4.3 Das Entstehen kommunistischer autodefensas

Am 22.10.1949 rückte der Partido Comunista de Colombia von seiner Fokus-sierung auf die friedliche, demokratische politische Betätigung ab, als er die Losung der autodefensa de masas ausgab. Die autodefensas waren, wie der Name bereits andeutet, strikt defensiv ausgerichtete Zusammenschlüsse von potentiel-len Angriffszielen der staatlichen Repression. Sie widmeten sich der Beobachtung einer bestimmten Region, um Gefahren wie anrückende Polizeiexpeditionen oder die Präsenz von radikalisierten, bewaffneten Konservativen frühzeitig erkennen und über den drohenden Angriff berichten zu können.1134

Um die gefährdeten Zivilisten aus dem Kampfgeschehen zu halten, bemühten sich die Selbstverteidigungsgruppen um präventiv eingerichtete Zufluchtsstätten für diese in dem unwegsamen Bergland bzw. Dschungel. Neben der Überwa-chung des Einflussgebietes der jeweiligen autodefensas bezeichnete der kommu-nistische Kombattant mit dem nom de guerre Olimpo „die politische Bildung als vorrangige Aufgabe“.1135 Für die Kommunistische Partei Kolumbiens war näm-lich, so ist deutlich hervorzuheben, der bewaffnete Kampf noch nicht die zentrale Handlungsoption, da sie die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedin-gungen für eine bewaffnete Ergebung noch nicht als gegeben ansah.1136 Gutiér-rez attestiert der Kommunistischen Partei jedoch eine „ambivalente und wider-sprüchliche Einstellung“, da sie einerseits den bewaffneten Kampf der Anhänger der Liberalen Partei als unangemessene Handlungsvorschläge und „abenteuer- liche Entwicklung ( tendencia aventurero )“ disqualifizierte, andererseits aber die Selbstverteidigung der Massen proklamierte, die im Notfall auch den Griff zu den Waffen implizierte.1137

Die mit Abstand erfolgreichste autodefensa baute die Kommunistische Par-tei in ihrer „alten“ Hochburg Viotá, in Cundinamarca an der Grenze zu Tolima gelegen, auf. Dort hatte der dem PCC nahestehende movimiento campesino in den 1930er Jahren politische Erfolge gegen die lokalen Großgrundbesitzer erzielt – Erfolge, die sich in den Landzuweisungen an vormals landlose campesinos widerspiegelten. Viotá war die erste Gemeinde, in der die Kommunistische Partei Kolumbiens die Mehrheit in dem Gemeinderat stellte. Mit der Intensivierung der Auseinandersetzungen zwischen liberalen und kommunistischen Widerstands-gruppen einerseits, den staatlichen Sicherheitskräften und ihren paramilitärischen Unterstützern andererseits intervenierten die politisch einflussreichen hacenda- dos bei der Regierung Gómez und handelten einen Nichtangriffspakt aus, da sie die Beeinträchtigung ihrer wirtschaftlichen Interessen bei einem Ausbrechen der Gewalt fürchteten.1138

Viotá war weitgehend ausgespart von der Violencia . Die Region war während des Untersuchungszeitraums ein Rückzugsraum für kommunistische Akteure, wo der PCC des Weiteren eine Parteischule zur Ausbildung politischer Kader unter-hielt.1139 Marco Fidel Acosta Rojas, der beschuldigt wurde, dem kommunistischen Widerstand anzugehören, gab 1955 zu Protokoll, dass das Heer in der Region Viotá nicht präsent sei und die kommunistischen Gruppierungen somit freie Hand hätten.1140 Wenig zuvor hatte sich der Directorio Conservador des departamento Cundinamarca bei Präsident Rojas Pinilla über die Präsenz linker politischer Kräfte beschwert. Aus Sicht der konservativen Politiker sei es für die kolumbia-nische Regierung nicht hinnehmbar, dass die kommunistischen Gruppen „über eigene [politische] Autoritäten, die regieren und Recht sprechen, über Polizei-kommissionen verfügen, die Bürger verhaften […] und sogar auf religiöse Seel-sorger sui generis zählen können, die Ehen schließen und Taufen vollziehen“.1141

Die Zentren der Formierung von – ursprünglich defensiv ausgerichteten – bewaffneten kommunistischen Gruppierungen waren Süd- und Osttolima. In dem departamento Tolima gehörte die Gemeinde Chaparral zu den Orten, wo sich bereits sehr früh kommunistisch orientierte bewaffnete Widerstandsgruppen her-ausbildeten. In Südtolima verfügte der Partido Comunista über vergleichsweise großen politischen Einfluss unter den campesinos und colonos , den sie Ende der 1940er Jahre bei der Bildung bewaffneter Widerstandsgruppen nutzen konnten. In den Agrarkämpfen der 1920er und 1930er Jahre hatte die Kommunistische Par-tei verschiedene Agrargewerkschaften und ligas campesinas unter dem Leitmotiv der „revolutionären Landnahme“ politisch orientiert.1142

Das Engagement und der politische Einfluss des PCC, der nach der Auflösung der UNIR 1935 noch anwuchs, schlugen sich auch in dem institutionalisierten politischen Feld nieder. 1940 stellte der PCC Isauro Yosa zufolge, der in die-ser Zeit kommunistischer Abgeordneter im Stadtrat war, die größte Fraktion des concejo municipal in Chaparral.1143 Lokalpolitiker wie Marco Aurelio Restrepo, Pedro Ramos, Isauro Yosa und Eliseo Manjarrés, welche die Zusammenschlüsse der campesinos in Südtolima angeführt hatten, waren auch diejenigen, welche, den Vorgaben des PCC folgend, die autodefensas campesinas organisierten. Für viele kommunistische dirigentes campesinos stellte die Violencia eine Fortfüh-rung der Agrarkämpfe vorheriger Dekaden dar.1144

Die Widerstandsgruppen in Chaparral in Südtolima waren allerdings im Ver-gleich zu denen in der Region Sumapaz stärker offensiv ausgerichtet, was Medina durch die größere Radikalisierung der kommunistischen Akteure in Südtolima erklärt. Im Gegensatz zu der campesino -Bewegung in Osttolima war der movi- miento in Südtolima noch vergleichsweise jung, das heißt die Mehrzahl der cam- pesinos in Südtolima verfügte über keine Landtitel, was zu einer potentiell höhe-ren Radikalität führte. Des Weiteren war der linke Flügel der Liberalen Partei in Osttolima, sowie die UNIR und der PAN, vergleichsweise stark gewesen, wäh-rend der PCC in Südtolima über starken Einfluss unter den in der Landwirtschaft Tätigen verfügte.1145

Die ersten destacamentos der kommunistischen guerrilla etablierten sich in Südtolima in den Orten Buenos Aires, Irco, La Marina, Horizonte, Ambeima und Chicalá, wie der kommunistische Widerstandskämpfer mit dem Kampf- namen comandante Olimpo erinnerte.1146 Guaraca berichtete von der Formierung von Selbstverteidigungsgruppen als Reaktion auf die vermehrte und als bedroh-lich wahrgenommene Präsenz Gruppen ortsfremder Konservativer, die unter den liberalen und kommunistischen campesinos und colonos böse Vorahnungen weck-ten. Mit den Angriffen von Polizeikräften, die von diesen konservativen Gewalt-kollektiven unterstützt wurden, bewahrheiteten sich bald die Befürchtungen, die der Zeitzeuge äußerte.1147

Der Widerstandsgruppe in Chicalá kam mit Blick auf die weiteren Entwicklun-gen im Untersuchungszeitraum große Bedeutung zu. Zu der Gruppe, die aus nicht einmal 20 jungen Männern unter 20 Jahren bestand, gehörte der aus Chaparral stammende Luis Enrique Hernández (alias Teniente Solito), der sich später dem bewaffneten Widerstand in Osttolima um Varela anschloss.1148 Die Widerstands-gruppe in Chicalá ähnelte stärker einer sich durch größere Mobilität auszeich-nenden guerrilla als der an den anderen Orten etablierten autodefensas . Medina deutet diesen Umstand als erstes Anzeichen einer Loslösung von den movimientos campesinos , welche die soziale Basis der anderen Widerstandsgruppen bildeten. Gleichzeitig hebt er hervor, dass sich die Gruppe in Chicalá gegenüber den ande-ren Widerstandskernen durch eine größere politisch-soziale Stabilität auszeich-nete, was nicht zuletzt an dem bereits früh etablierten Comité Municipal des PCC lag.1149

Pizarro Leongómez hält fest, dass viele der kommunistischen Widerstands-kämpfer ihren politischen Ursprung in der Liberalen Partei hatten.1150 Dies gilt auch für Pedro Antonio Marín, der den Namen des kommunistischen Stadtrats-abgeordneten Manuel Marulanda Vélez annahm und unter seinem Kampfnamen Tirofijo als jahrzehntelanger Anführer der Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) traurige Berühmtheit erlangte.1151 Marín stammte aus Génova (Valle del Cauca) aus einer Familie, die stark von dem Denken Gaitáns beeinflusst war. Nach letzten Endes erfolglosen Versuchen, in Valle del Cauca eine bewaff-nete Widerstandsgruppe zu organisieren, entschloss sich Marín, sich dem bewaff-neten liberalen Widerstand in Südtolima anzuschließen, der sich bereits um die Familie Loaiza, mit der Marín verwandt war, gebildet hatte.1152

Der departamento Valle del Cauca war Ende der 1940er Jahre Schauplatz mas-siver Gewalthandlungen vonseiten des radikalen Flügels der Konservativen Partei und der sich herausbildenden konservativen pájaros . Marín verweist explizit auf die Angriffe und Massaker an Liberalen in den Städten Betania und Ceylán sowie dem Angriff auf die Casa Liberal in Cali in der zweiten Jahreshälfte 1949, um die politisch-soziale Situation zu illustrieren, in der sich Liberale in Valle del Cauca befanden.1153 Ciro Castaño ist ein weiterer Fall von einem Liberalen, der so stark mit den kommunistischen Sicht- und Teilungsprinzipien sympathisierte, dass er sich, „verlassen von seinen [liberalen, L. R.] Anführern“, den kommunistischen Kombattantengruppen anschloss.1154

277

5 Das Verhältnis zwischen den bewaffneten Widerstands- gruppen, den Parteien und der Zivilbevölkerung

Die Unterstützung bewaffneter Widerstandsgruppen durch die Bewohner der Regionen, in denen diese entstehen und operieren, ist zentral für deren Überleben. Dies gilt in noch höherem Maße, wenn guerrillas ihr Ziel erreichen wollen, die Regierung, gegen die sie kämpfen, aus den Machtpositionen im Staat zu vertrei-ben. Wickham-Crowley zufolge ist weniger die ideologische Überzeugungskraft der Kombattanten auf die potentiellen Unterstützer von Bedeutung für die Frage, ob die lokale Zivilbevölkerung den Widerstandsgruppen die notwendige Unter-stützung zukommen lässt oder nicht. Er konzipiert das Verhältnis zwischen den beiden Gruppen als eine Form der Alternativregierung, mit der ein social contract geschlossen wird. Ob die Zivilbevölkerung des Aktionsgebietes der jeweiligen Widerstandsgruppe dieser beisteht, hängt vielmehr davon ab, ob das Handeln der guerrillas den Zivilisten greif- und spürbare Verbesserungen in deren Alltags- leben nach sich zieht.1155

Ob ausreichend große Teile der lokalen Nonkombattanten den bewaffneten Akteuren zur Seite stehen, damit diese gegen die staatlichen Sicherheitskräfte bestehen können, hängt weiterhin von zwei miteinander eng verbundenen Fakto-ren ab. Die Legitimität der Regierung, gegen die sich der bewaffnete Widerstand formiert, ist von zentraler Bedeutung für die Frage, ob die Kombattanten von der lokalen Bevölkerung unterstützt werden – oder nicht. Von der Legitimität, die dem politischen Gegner, der Regierung, zugeschrieben wird, hängt wiederum die Glaubwürdigkeit der bewaffneten Akteursgruppen ab, die sich in den bewaffneten Kampf begeben. Ungeachtet der Glaubwürdigkeit der bekämpften Regierung ist das Verhalten und Agieren der Widerstandsgruppen gegenüber der Zivilbevölke-rung ein nicht zu unterschätzender Faktor für die Unterstützung, oder deren Aus-bleiben, für die guerrillas .1156

5.1 Die liberalen guerrillas und ihr soziales Umfeld

Pardo Rueda hebt hervor, dass die Frage nach der Unterstützung liberaler guerrillas durch Repräsentanten der Liberalen Partei eine Leerstelle in den meis-ten historischen Studien darstellt.1157 Pizarro Leongómez zufolge entstanden die liberalen Widerstandsgruppen ohne die militärische und politische Orientierung der Partei, in deren Namen sie zu kämpfen vorgaben.1158 Diesem Befund wider-spricht Ricardo Rojas, der sich Anfang der 1950er Jahre den liberalen guerrillas in den llanos angeschlossen hatte, denn ihm zufolge „gab es zweifelsfrei Waf-fen von der Dirección Liberal für die guerrilla in den llanos “.1159 Auch Fajardo berichtet, dass die Führung der Liberalen Partei ihre wenigen Versuche, Einfluss auf die in ihrem Namen kämpfenden Gruppen zu nehmen, auf die guerrilla in den llanos orientales konzentrierte. Die stärksten liberalen Widerstandsgruppen in den frühen 1950er Jahren verstanden sich daher zumindest in ihren Ursprün-gen als bewaffneter Arm der Liberalen Partei.1160 Betancourt Echeverry hebt wie-derum hervor, dass sogar bewaffnete liberale Gruppen jenseits der llanos orienta- les , in Tolima und der Cordillera Central , auf die „unmittelbare Unterstützung der directorios und lokaler [Partei-]Führer“ zählen konnten.1161 Auch gab es Gerüchte, denen zufolge es im Hinterland, in den llanos , einen liberalen Generalstab gab, der die bewaffneten Gruppen befehligte und koordinierte. Eine solche Vorstellung beunruhigte die konservative Regierung ungemein.1162

Pécaut zufolge hofften die liberalen Widerstandsgruppen in Südtolima stetig auf die Verkündung des Datums der umfassenden Erhebung gegen die konser-vative Regierung, deren Koordination von der liberalen Parteiführung erwartet wurde.1163 Das Hoffen auf „den Marschbefehl […], um in das raue Gefecht zu zie-hen“1164, verdeutlichte wiederum, wie sehr die liberalen Widerstandskämpfer auf der lokalen Ebene darum bemüht waren, sich in die Verteidigung der Liberalen Partei, die als ein Kernelement des politischen Feldes auf der nationalen Ebene wahrgenommen wurde, einzuschreiben.1165

Konservative Politiker warfen der Führung der Liberalen Partei vor, die sie wegen ihrer politischen Ideologie als subversiv und kommunistisch unterwan-dert wahrnahmen, sich offiziell als demokratisch und gesetzestreu darzustellen, in der politischen Praxis hingegen subversive guerrillas zu unterstützen. Der- artige Anschuldigungen beruhten auf Berichten wie dem Geheimreport der Policía Nacional aus dem Jahr 1950 zu kommunistischen Aktivitäten in den llanos orien- tales . Der Agent des Geheimdienstes Vargas Orjuela berichtete von einer „blonden Frau, ungefähr 23 Jahre alt“, die mit ihren steten Reisen zwischen Kolumbien und Venezuela „als Verbindungsfrau zwischen der Dirección liberal nacional [sic!] und dem kommunistischen Büro in Caracas“ fungiere.1166

Ähnliche Vorwürfe gegen liberale Politiker wurden schon 1949 in einem ver-traulichen Bericht geäußert. Nach Geheiminformationen plane der liberale Abge-ordnete Mejía Duque vor den Präsidentschaftswahlen im November eine liberale Revolte. Zu diesem Zweck halte er schon „selbstgemachte Bomben und andere Gegenstände“ bereit. Den Befehl zum Beginn des Aufstandes, so die Informa-tionen der Inlandsgeheimdienstler, würde die Führungsriege der Liberalen Partei geben.1167 Eco Nacional blickte vor dem Hintergrund der Demobilisierungen libera-ler guerrillas nach dem Regierungsantritt von Rojas Pinilla auf die vergangenen, durch blutige Auseinandersetzungen geprägten Jahre zurück. Als „unbestreitbar“ bezeichnete die konservative Tageszeitung, dass die liberalen Widerstandskämp-fer schriftliche Befehle aus Bogotá, das heißt von der liberalen Parteiführung, erhalten hätten, die sie zum bewaffneten Kampf aufgerufen hätten.1168

Die Führungsriege der Liberalen Partei bestritt allerdings, bewaffnete Gruppie-rungen zu unterstützen, die gegen die konservative Regierung kämpften. Aus Sicht liberaler Politiker gingen die liberalen Gruppen nicht offensiv und eigeninitiativ gegen die Konservative Partei und gegen die von ihr gestellte Regierung vor, son-dern machten in dem Dafürhalten vieler dirigentes políticos nur von ihrem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch: Sie hätten zu den Waffen gegriffen, um sich vor der konservativen Gewaltwelle zu schützen, nachdem der Staat und seine Institu-tionen, allen voran die Policía Nacional , hochgradig politisiert worden seien und Liberalen keinerlei rechtstaatliche Garantien geben würden. Dessen ungeachtet wurde die Unterstützung bewaffneter Gruppen, die anführten, die Interessen der Liberalen Partei zu verteidigen, nie zur offiziellen Parteipolitik erhoben.1169

In ihrem Verhältnis zu den de facto existierenden liberalen Kombattantengrup-pen zeigten sich in der Dirección Liberal allerdings durchaus Friktionen.1170 Die Gruppe um den ehemaligen Präsidenten Eduardo Santos plädierte für den gewalt-freien Widerstand gegen die konservative Regierung Gómez. Santos sah in den bewaffneten liberalen Gruppen ein Hindernis für die Wiederherstellung des Frie-dens und die sich ab 1952 intensivierenden Gesprächen zwischen den modera-ten Flügeln der Traditionsparteien.1171 Für Lleras Restrepo hingegen waren die liberalen Kombattanten nur eine Reaktion auf die konservativen Gewaltakteure. Er betonte, dass „wir [die Gewalt, L. R.] weder gutheißen noch verurteilen“.1172Er gehörte zu den liberalen Politikern, die aufgrund der Existenz der Kombat-tanten auf eine Verbesserung der liberalen Verhandlungsposition gegenüber der konservativen Regierung hofften.1173 Ricardo Rojas kritisierte Lleras Restrepo für seine Haltung gegenüber der guerrilla . Seiner Meinung zufolge unterstütze Lleras Restrepo anfangs die liberalen Widerstandsgruppen „für politische Dividenden“, dann aber ließ er sie – Rojas wertete dies als mangelnde Konsequenz in seinem Handeln – fallen, als sie ihren politischen Wert eingebüßt hätten.1174 Germán Zea Hernández bringt in seinem testimonio die Ambivalenzen der liberalen Parteifüh-rung gegenüber den guerrillas deutlich zum Ausdruck, die einerseits die Wider-standsgruppen unterstützt habe, andererseits versucht habe, das Ausbrechen eines Bürgerkrieges zu verhindern. Er bekundet, dass „wir [die dirigentes liberales , L. R.] ihnen [den Widerstandskämpfern, L. R.] Arzneien und bestimmte Artikel zukommen ließen, aber niemals Waffen“.1175

Nicht nur die verschiedenen Fraktionen innerhalb der Liberalen Partei, die unter anderem von Lleras Restrepo, Zea Hernández und Santos repräsentiert wurden, erschweren die Beantwortung der Frage, ob die bewaffneten Widerstandsgrup-pen von liberalen Politikern unterstützt wurden. In einem politischen Feld, das sich wie in Kolumbien durch starke klientelistische Praktiken auszeichnet und in dem sich politisches und ökonomisches bzw. soziales Kapital sehr stark ähnelte und leicht gegeneinander auszutauschen war, fällt es schwer zu bestimmen, wer wann in welcher Funktion oder Position mit den liberalen guerrillas interagierte. Handelte der liberale Besitzer einer hacienda in Rioblanco, der gleichzeitig einer der jefes políticos liberales der Gemeinde war und der den liberalen Widerstands-kämpfern Unterstützung zukommen ließ, als „offizieller“ Vertreter der Liberalen Partei oder als „privater“ Großgrundbesitzer, der versuchte seine wirtschaftlichen Interessen zu schützen? Es ist schwer auszumachen, ob der liberale Anwalt José Alvear Restrepo, welcher der guerrilla llanera ab Oktober 1952 als politischer Berater zur Seite stand und an der Redaktion der als Leyes del Llano bekannten Regelwerke mitwirkte, als politisch aktiver Bürger oder als Repräsentant seiner Partei agierte.1176

Ungeachtet der Frage, ob caciques oder dirigentes der Liberalen Partei in kon-kreten Fällen die Widerstandsgruppen unterstützen, trugen erstere zu der in Teil II der Arbeit beschriebenen diskursiven Rahmung des Gewalthandelns bei. Die diskursive Dichotomisierung der sozialen Realität , an der auch sie maßgeblich beteiligt waren, und der zunehmend militarisierte Deutungsrahmen der politischen Geschehnisse trugen dazu bei, dass der Einsatz von Gewalt gegen den politischen Gegner zu einer Handlungsoption wurde. Diese Handlungsressource nutzten Mitglieder der Liberalen Partei und setzten sich gewaltsam gegen die staatlichen Sicherheitskräfte und ihre paramilitärischen Unterstützer zur Wehr.

Die Frage, wie sich die faktischen Beziehungen zwischen den bewaffneten Akteuren, die auf die Weise die Liberale Partei gegen die konservativen Aggres-sionen verteidigen wollten, und den liberalen Politikern gestalteten, war für die Frage des Verhältnisses zwischen den Kombattanten und weiten Sektoren der Zivilbevölkerung in Tolima nicht von größerer Bedeutung. Große Teile der mehr-heitlich liberalen Landbevölkerung sahen in den Widerstandsgruppen – gleich ob sie mit dem Wohlwollen liberaler Politiker agierten oder nicht – Verteidiger der Partei, der sie angehörten, und gewährten ihnen so Legitimität für ihr Han-deln, wenn ihre Stimme auch nicht viel Gehör im politischen Feld fand. Weiterhin garantierten die Kombattanten den Mitgliedern der Liberalen Partei ein gewisses Maß an Schutz, da viele Vertreter des Staates wie Polizisten und Beamte nicht mehr die Rechte von Staatsbürgern ohne Rücksicht auf deren Parteizugehörigkeit schützten oder achteten. Aus diesen Gründen genossen die Kombattanten oftmals die Unterstützung von Zivilisten, die sich der Liberalen Partei zugehörig fühlten. Hilfe ließen ihnen aber auch Parteimitglieder zukommen, die über ökonomisches und politisches Kapital verfügten, obwohl diese nicht als „offizielle“ Repräsen-tanten der Liberalen Partei agierten.1177

Diese Zusammenhänge kommen in einschlägigen Prozessakten deutlich zum Ausdruck. So wurden die Brüder Bonilla Camargo, „Personen von ökonomischer Solvenz, liberaler Parteizugehörigkeit und übertrieben passioniert wegen der Politik“, der Unterstützung und Förderung der liberalen Widerstandsgruppen in Rovira beschuldigt.1178 Die Anklage stützte sich bei ihren Anschuldigungen auf ein Flugblatt, das den Mitgliedern der Liberalen Partei das Vorgehen in dem „Kreuz-zug zur Zurückeroberung der Macht“ aufzeigte. Das Flugblatt verkündete, dass „von einem Moment auf den anderen der Befehl zum Vorrücken auf die bereits vereinbarten Punkte gegeben wird“.1179 Des Weiteren wurde die Befehlskette auf-gezeichnet, die den Start der liberalen Offensive einläuten würde. Die Befehle würden, so die Autoren des Flugblatts, von der Dirección Nacional Liberal über die in Bogotá ansässigen dirigentes liberales „per sicherer verbaler Mittel“ in die cabeceras departamentales gereicht, von wo aus die einzelnen Gemeinden über das weitere Vorgehen in Kenntnis gesetzt würden. Die Brüder Bonilla Camargo wurden als letztes Glied in der Befehlskette, die von der nationalstaatlichen bis auf die lokale Ebene reichte, der Verschwörung beschuldigt.1180

Das Vorgehen von Agustín Bonilla (alias El Diablo), der seit Anfang der 1950er Jahre eine bewaffnete Widerstandsgruppe in der Gemeinde Alvarado, westlich von Ibagué gelegen, anführte, entsprach dem in dem Flugblatt gezeichneten Bild des bewaffneten liberalen Widerstandes, der durchaus Hierarchien und Befehls-ketten kannte. Er bemühte sich, die liberalen Kombattanten gegen die Regierung Gómez und Rojas Pinilla in dem departamento Tolima zu koordinieren. Um den Widerstandsgruppen zu einer höheren Schlagkraft zu verhelfen, reiste er in den 1950er Jahren mehrfach in den Süden Tolimas, um Angriffe auf die Gefolgschaft der Konservativen Partei sowie die staatlichen Sicherheitskräfte mit den liberalen Widerstandsgruppen um Gerardo Loaiza abzustimmen.1181

Der Anwalt der Brüder Ochoa, die der Unterstützung der liberalen chusma in Coello beschuldigt wurden, führte als seine Mandanten entlastenden Umstand an, dass diese mit den dirigentes liberales Rafael Parga Cortés und Jorge Caicedo Torres Kontakt aufgenommen hätten. Mit den Regionalpolitikern hätten die Beschuldigten über den Sinn und Zweck dieser bewaffneten Widerstandsgrup-pen im Namen der Liberalen Partei gesprochen, wobei Parga Cortés und Caicedo Torres abstritten, diese gutzuheißen. Immerhin hätten aber beide angeboten, sich zu Gesprächen mit den Kombattanten in die Region Coello zu begeben, womit sie diesen ein gehöriges Maß an Vertrauensvorschuss gewährten und Bedenken bezüglich der eigenen körperlichen Unversehrtheit hinten anstellten.1182

Die Form der Unterstützung für die im staatlichen Diskurs als chusma bezeich-neten Widerstandsgruppen konnte während des Untersuchungszeitraums vielfäl-tige Formen annehmen. Lisando Barrera und Santos Calderón wurden im Juli 1952 auf ihrer Arbeitsstätte auf der hacienda San Javier von einer Gruppe libera-ler Bewaffneter überfallen. Nachdem sie allerdings glaubhaft machen konnten, dass sie ebenfalls der Liberalen Partei angehörten, ließen die Angreifer von ihnen ab. Barrera und Santos Calderón entschieden sich aber, erst noch eine Weile ihrer Arbeit nachzugehen, bevor sie den Überfall den zuständigen Behörden meldeten. Die zeitliche Verzögerung in der Erstattung der Anzeige ist als Form der Unter-stützung für die liberalen Kombattanten zu interpretieren. Auch der Umstand, dass die Angreifer den überfallenen Landarbeitern auf deren Bitten die geraub-ten Gegenstände, vor allem Kleidungsstücke, zurückgaben, spricht dafür, dass sich diese der Bedeutung einer guten Beziehung zu der liberalen Landbevölke-rung bewusst waren. Das Gespräch, das Arnulfo Loaiza, einer der Angreifer, mit den Überfallenen führte, zeugte nicht von dem absoluten Machtgefälle zwischen Henker und Todgeweihtem, sondern hatte vielmehr einen kameradschaftlichen Ton: Loaiza erkundigte sich nicht nur nach dem Wohlbefinden der Schwestern der Überfallenen, die in der Region wohnten, sondern auch nach dem dirigente libe- ral aus Roncesvalles Bernardino Piedrahita, womit er ein Mindestmaß an Wissen über die lokalen politischen Strukturen offenbarte.1183

Eine andere Form der Unterstützung für die liberalen Widerstandsgruppen war die Bereitstellung von Informationen sowie die Versorgung der guerrillas mit Lebensmitteln. Die Widerstandsgruppen in Rovira konnten offenbar auf ein breit gefächertes Unterstützernetzwerk zurückgreifen, das bis nach Ibagué reichte und zu dem auch ein Anwalt gehörte, der Mitglied der Liberalen Partei war. Dieses Netzwerk ließ ihnen Lebensmitteln in größeren Mengen zukommen, stellte den Kombattanten Unterkünfte zur Verfügung und leitete Informationen über Trup-penbewegungen an sie weiter, versorgte sie aber auch mit Waffen und Muni- tion.1184 Der Bürgermeister der Stadt Rovira Calderón informierte den Polizei-kommandeur der Gemeinde über die Personen, die der Unterstützung der libera-len bandoleros verdächtigt wurden. Er warnte ihn, sich nicht täuschen zu lassen, denn die Informanten der Widerstandsgruppen seien ausgestattet mit „Passier-scheinen ( salvoconductos ) und die Nachrichten [an die liberalen Kombattanten, L. R.] stehen auf Papierstreifen in den Hosenbeinen“.1185 In Rovira wurden neben Pedro Reynoso auch drei Frauen der Versorgung der liberalen Widerstandsgrup-pen mit Lebensmitteln verdächtigt und festgesetzt.1186 Der bereits erwähnte Acuña wiederum wirkte dabei mit, die Widerstandsgruppen in Chaparral weniger logis-tisch, sondern im engeren Sinne militärisch zu unterstützen. Der des Sprengstoff-besitzes beschuldigte Acuña gab an, die Explosivstoffe von Straßenbauarbeitern bekommen zu haben, um diese an die Kombattanten in Südtolima weiterzuleiten.1187

Dass die bewaffneten Widerstandsgruppen ganze Regionen der staatlichen Ver-fügungsgewalt entzogen und zu einem nicht zu unterschätzenden Machtfaktor auf der lokalen Ebene wurden, lässt sich anhand juristischer Ermittlungen in Ronces-valles erahnen. Der Tagelöhner Victor Mendoza erstattete Mitte 1952 Anzeige gegen seine Arbeitgeber Miguel und Antonio José Varón. Mendoza, der Kon-servativen Partei zugehörig, beschuldigte die Brüder Varón, in Kontakt mit der chusma zu stehen und diese nicht nur mit potentiellen Kombattanten zu versor-gen. Wie er dem ermittelnden Beamten mitteilte, sei Miguel Varón persönlich bei den liberalen Kombattanten vorstellig geworden und fordere seinen Bruder auf, sich bei diesen ebenfalls „registrieren ( reconocer )“ zu lassen, „damit sie weder ihm noch den Arbeitern etwas antäten“.1188

Die bewaffneten Widerstandsgruppen nutzten ihre in lokalen Kontexten erlangte Macht mitunter auch, um Unterstützung für sich weniger auf freiwilliger Basis zu gewinnen, sondern vielmehr zu erpressen.1189 Héctor Julio Estrada Herrán wus-ste, dass liberale Widerstandskämpfer die hacienda La Alsacia überfallen hatten, obwohl deren Besitzer der Liberalen Partei angehörte, weil die Kombattanten ihn für einen Verräter hielten. Der hacendado galt ihnen als Verräter, weil er die in mehreren Briefen geforderte Unterstützung nicht nur verweigert, sondern auch noch eine Gruppe der verhassten chulavitas angefordert habe und auf seinen Län-dereien stationieren lasse, um sich so gegen die Forderungen zu wehren.1190

5.2 Die kommunistischen autodefensas , der Partido Comunista und die lokale Bevölkerung

Bei dem Partido Comunista de Colombia und den kommunistisch orientierten Widerstandsgruppen fällt die Antwort nach dem Verhältnis zwischen Partei und Kombattanten leichter. Bis der PCC im Oktober 1949 die Politik der autodefensa de masas propagierte, hatte er versucht, durch die Organisierung von Arbeitern und campesinos in Gewerkschaften und ligas campesinas die aus seiner Sicht objektiven Bedingungen einer revolutionären Situation zu schaffen. Den bewaff-neten Kampf sah die Kommunistische Partei, ungeachtet der Verkündung der autodefensa de masas , nicht als zentrale Achse politischer Betätigung.1191 Die von dem PCC propagierten autodefensas bedeuteten weniger die Aufstellung bewaff-neter, offensiv ausgerichteter (Guerilla-)Gruppen, sondern zielten vielmehr auf die Organisierung der Bevölkerung einer bestimmten Region in Parteistrukturen wie Ortsgruppen, Komitees und Brigaden.1192 Parallel zu der Organisierung von Selbstverteidigungsgruppen zielte der PCC auf die Etablierung von politischen Allianzen im Stile der aus Europa bekannten Volksfronten gegen die konserva-tive Regierung. Der Frente Democrático de Liberación Nacional (FDLN) strebte die Organisierung der von der konservativen Regierung angegriffenen liberalen Parteimitglieder, der Kommunisten, der Parteilosen und der als Feinde der Katho-lischen Kirche angefeindeten Protestanten an.1193

Ein Flugblatt des FDLN erklärte die Bedeutung des Aufbaus der Kommunis-tischen Partei auf der regionalen und der munizipalen Ebene in Form von Partei- komitees. Die einzelnen Zellen der Kommunistischen Partei sollten, so die Auto-ren des Flugblatts, mindestens drei, aber wegen der Gefahr der Infiltration durch den Geheimdienst nicht mehr als 15 Personen umfassen. Des Weiteren wurden die Bedeutung der Einbindung von Frauen in die Widerstandsgruppen durch die Organisierung eines frente femenino und die Bestimmung verschiedener secreta- rios herausgestrichen, welche für die Propaganda- und politischen Bildungs-maßnahmen verantwortlich zeichnen sollten.1194 Die kommunistische Publika-tion Resistencia drückte diesen Punkt wie folgte aus: „Die Revolution wird nicht gemacht, die Revolution wird organisiert“.1195

Ab 1952 bot der PCC in Viotá allerdings auch Ausbildungen in militärischen Taktiken und Kampfformationen für die guerrillas an, an denen auch einige liberale Widerstandsgruppen teilnahmen, während andere die Zusammenarbeit mit den kommunistischen Gruppierungen ablehnten.1196 Martín Camargo, ein Kader der Kommunistischen Partei, der in den 1950er Jahren unter anderem an der Parteischule in Viotá tätig war, berichtete, dass der liberale guerrillero alias Pedro Brincos einer seiner Schüler in Cundinamarca gewesen war.1197

Kommunistische Gruppierungen deuteten die konservative Regierung, gegen die sich der Widerstand formierte, als faschistisch. Der angesichts der ideologi-schen Nähe Gómez’ zu dem spanischen Diktator Franco als falangistisch gewerte-ten Gewalt der Regierung müsse die „organisierte Gewalt der Massen“ entgegenge-setzt werden, wie die Autoren eines kommunistischen, als subversiv qualifizierten Flugblatts forderten. Seine Wahl zum Präsidenten sei ohne Gegenkandidaten erfolgt, was aus der Perspektive kommunistischer Politiker einem „falangistischen Stil“ entspreche.1198 Die Entwicklungen in Kolumbien Ende der 1940er Jahre deu-teten kommunistische Ideologen keineswegs als länderspezifisches Phänomen, sondern als Teil des „dritten Weltkrieges gegen die europäischen Demokratien“, womit sich der Redakteur von Resistencia auf die Staaten des sich formierenden Ostblocks bezog.1199 Der Widerstand zielte in den Augen kommunistischer Grup-pierungen nach der Wahl von Gómez zum Präsidenten, auf die Verteidigung der Demokratie und des Weltfriedens.1200 In diesem Kampf sah sich der PCC als poli-tische Avantgarde, die „in diesen Momenten, wie immer, die revolutionäre Fahne gegen die Diktatur und Tyrannei trägt“.1201 Um diese Ziele zu erreichen, wirkte die Kommunistische Partei auf den Sturz der Regierung Gómez hin.

Ähnlich wie in dem bereits erwähnten liberalen Flugblatt erwarteten auch kommunistische Widerstandsgruppen einen breit angelegten Aufstand gegen die Regierung, der zu einer Machtübernahme der politischen Opposition führen würde. Dieser Aufstand würde, so kalkulierten kommunistische Politiker, die Aus-maße der Erhebungen im April 1948 anlässlich des Todes von Gaitán annehmen. Allerdings seien die Aufstände im Zuge des 9.4.1948, angesichts der Plünderun-gen und Brandschatzungen, zu denen es in vielen Fällen gekommen war, eine Lehrstunde für die Folgen des Agierens des pueblo bei fehlender ideologischer Klarheit.1202

Der Partido Comunista versuchte seit der Verkündung der autodefensa de masas , ähnliche Entwicklungen ab dem Spätjahr 1949 zu vermeiden. Zu diesem Zweck stellte er den dirigentes campesinos , den lokalen Organisatoren der Wider-standsgruppen, politische Berater zur Seite, die sich um die politische Schulung und Bildung der Kombattanten bemühten. Pedro Vásquez, der spätere Begrün-der des maoistischen Ejército Popular de Liberación , war einer der Emissäre, den der PCC Anfang der 1950er Jahre nach Südtolima zur politischen Orientie-rung der kommunistisch inspirierten guerrillas entsandte.1203 Ein junger Gewerk-schafter, der später als comandante Olimpo unter den kommunistischen Kombat-tanten firmieren sollte, wurde von der Kommunistischen Partei nach Chaparral entsendete, um die kommunistischen autodefensas politisch zu schulen bzw. zu beraten.1204 Bei ihm handelte es sich um Jorge Hernández, der Rafael Hernández zufolge – beide waren nicht miteinander verwandt – vom PCC nach Südtolima entsendet worden war, um die Partei und die sich formierenden Widerstandsgrup-pen zu organisieren. Rafael Hernández, der des Besitzes subversiver kommunisti-scher Propaganda beschuldigt wurde, betonte gegenüber den Ermittlern, dass die Kommunisten in Chaparral entgegen der offiziellen Darstellung allesamt einfache campesinos – und keine Staatsfeinde – seien.1205 Weitere Emissäre, die der PCC zu politischen Bildungsmaßnahmen nach Südtolima entsendete, waren Martín Camargo, Pedro J. Abella und Pablo Oyola.1206

Die Parteikomitees unter Führung der entsendeten comisarios políticos und die autodefensas , die zur Organisierung und zum Schutz der Bevölkerung aufgebaut wurden, waren defensiv ausgerichtet und zielten auf präventive Maßnahmen, um potentielle Gewaltakteure frühzeitig zu erkennen und auf diese reagieren zu kön-nen. Die enge Anlehnung der autodefensas an die Parteistruktur wird deutlich an den Quittungen über die zu entrichtenden Mitgliedsbeiträge der Gruppen in Chi-calá, Irco und La Marina, die der Finanzsekretär des PCC in Chaparral Hernández Martínez in seinem Besitz hatte, als er festgenommen wurde.1207 Dabei griff die Kommunistische Partei einerseits auf ihre Erfahrungen in den Agrarkämpfen vor-heriger Dekaden zurück, an die auch Jaime Guaraca in seinem testimonio erinnert, andererseits auf die der europäischen Arbeiterbewegung der 1920er und 1930er Jahre.1208 Gewalt sollte, zumindest in der politischen Theorie des PCC, nur reak-tiv angewendet werden; der Aufruf des PCC strich heraus, dass die autodefensas ermöglichen sollten, dass „die Arbeiter- und Bauernmassen sich mit allen zur Ver-fügung stehenden Mitteln verteidigen können, wenn sie angegriffen werden“.1209 5.3 Die Zusammenarbeit von kommunistischen und liberalen

Widerstandsgruppen in Südtolima

Dem Zeitzeugen und ehemaligen Widerstandskämpfer Rojas folgend „gab es in Tolima zwei wichtige guerrillas : die von Lister und die von den Loaiza“.1210 Die Widerstandsgruppen, die sich um Isauro Yosa und Gerardo Loaiza herum gebildet hatten, stehen dabei als Pars pro Toto für die Anfang der 1950er Jahre entstan-denen dezidiert liberalen und die kommunistischen Widerstandsgruppen. Trotz der Tatsache, dass die Widerstandsgruppen unterschiedlicher politisch-ideologi-scher Couleur waren und separat voneinander entstanden, wurden beide durch den gemeinsamen konservativen Feind geeint.1211

Im konservativen Diskurs waren, wie gezeigt, Mitglieder der Liberalen Partei und Kommunisten nahezu ununterscheidbar, sodass es wenig verwundert, dass chulavitas und die Mission der Konservativen Partei verteidigende Zivilisten beide gleichsam als Staatsfeinde angriffen. Die Deutungsrahmen sozialer Realität von liberalen und kommunistischen Politikern wiederum wiesen eine beachtliche Schnittmenge in dem Punkt auf, dass sie die Regierung von Laureano Gómez als faschistisch klassifizierten und ihn als Vertreter des (spanischen) falangismo in Kolumbien sahen. Die Parallelen in der Fremdwahrnehmung durch den kon-servativen Gegner und ähnlich gelagerte Deutungen der politischen Realität und Entwicklungen erleichterten das frame bridging zwischen liberalen und kom-munistischen Akteursgruppen auf der lokalen Ebene. Auf Basis paralleler Deu-tungsrahmen begaben sich liberale und kommunistische Widerstandsgruppen – ungeachtet der ideologischen Differenzen zwischen beiden – in lokal begrenzte Handlungsallianzen.

Die sicherlich, auch mit Blick auf die weiteren Entwicklungen im Untersu-chungszeitraum, bedeutendste Zusammenarbeit gingen liberale und kommunisti-sche Widerstandsgruppen in Südtolima ein. Um sich und vor allem die Zivilbe-völkerung vor der wachsenden militärischen Repression durch die staatlichen Sicherheitskräfte, an der sich zunehmend auch die Streitkräfte beteiligten, zu schüt-zen, verließen die kommunistischen Widerstandsgruppen Mitte 1950 die Region um Chaparral.1212 Die Columna de Marcha , als die der Treck bekannt wurde, folgte dabei dem Vorbild des Langen Marsches, mit dem sich Mao Tse-tung der Einkes-selung durch die Truppen von Chiang Kai-shek entzogen hatte. Die kommunisti-schen Widerstandsgruppen genossen zu dieser Zeit, so berichtete Olimpo, wegen ihrer militärischen Stärke und Disziplin die Wertschätzung der liberalen guerrillas , die sich um den Clan der Loaiza herum in Rioblanco gebildet hatten.1213

Nach ersten Sondierungsgesprächen vereinbarten beide eine militärische Zusammenarbeit, die sich in der Etablierung eines Estado Mayor Conjunto widerspiegelte. Dieser sollte die militärische Organisation und Koordinierung der Kombattanten übernehmen, wobei die einzelnen, liberalen und kommunistischen Widerstandsgruppen ein großes Maß an Autonomie behielten.1214 Dem gemeinsa-men militärischen Kommando gehörten die exponierten militärischen Führer der beiden Guerillagruppierungen an, allen voran Gerardo Loaiza und Isauro Yosa.1215

Hobbes folgend ist die Ubiquität von Gewalt eine der Gründe, warum es zur Herausbildung des modernen Staates kommt bzw. kommen muss.1216 In einigen Regionen Tolimas, so beispielsweise im Süden des departamento , nahmen die bewaffneten Konflikte zwischen Anhängern der Liberalen Partei, chulavitas , radi-kalisierten Mitgliedern der Konservativen Partei und Teilen der Streitkräfte Aus-maße an, die an den Hobbes’schen Urzustand, des Kampfes Jeder gegen Jeden, erinnerten. Im Falle der gewaltsamen Auseinandersetzungen in Kolumbien Mitte des 20. Jahrhunderts waren die Repräsentanten des Staates und seine Sicherheits-kräfte allerdings weniger, wie in der Hobbes’schen Theorie, die Garanten, die latenten Gewaltmanifestationen einzuhegen, als vielmehr deren Protagonisten. Das allzeit präsente Gewaltpotenzial und das immerzu drohende Ausbrechen offener Gewalt können aber nicht nur als Bedingung für Vergemeinschaftung und als inhärentes Merkmal von Gesellschaften betrachtet werden. In Räumen, in denen staatliche Strukturen nicht präsent sind bzw. Vertreter des Staates, wie im Untersuchungsfall, ihren formaljuristisch-konstitutionellen Verpflichtungen nicht nachkommen, kann Gewalt auch Grundlage für eine alternative Form der Ver- gemeinschaftung sein.1217

Die zusammengelegten liberalen und kommunistischen Widerstandskräfte ver-lagerten sich gegen Ende des Jahres 1950 an den im schwer zugänglichen Hinter-land der Gemeinde Rioblanco gelegenen Ort El Davis, der für die Organisierung des bewaffneten Widerstandes wegen seiner Topographie hervorragend geeignet war. El Davis entwickelte sich zu einem Zufluchtsort von Opfern der staatlichen Repression, der – genaue Zahlen sind nicht bekannt – um die 5000 Personen beherbergte, was einen engen Kontakt von Kombattanten mit der Zivilbevölke-rung implizierte. In diesem umgrenzten Territorium übernahmen die Gewaltseg-mente mit der sozialen Organisierung der geflohenen lokalen Bevölkerung bzw. der Durchsetzung von Sicht- und Teilungsprinzipien mitunter quasistaatliche Aufgaben.1218 Durch die Urbarmachung von Land konnten die geflohenen Per-sonen Lebensmittel selbst anbauen, was zu einer Vermeidung von Konflikten mit finqueros führte, von deren Land ungeachtet der Distanz zu El Davis zuvor die notwendigen Nahrungsmittel entwendet worden waren.1219 Selbst Schulen und Betreuungseinrichtungen für Kinder organisierten die Bewohner von El Davis eigeninitiativ. Der Kräftezuwachs der Widerstandsgruppen führte dazu, dass die autodefensas ihre vorrangig defensive Ausrichtung aufgeben und Offensivaktio-nen gegen die staatlichen Sicherheitskräfte sowie Zusammenschlüsse bewaffneter konservativer Zivilisten durchführen konnten.1220

Aber auch in anderen Regionen des departamento Tolima traten Liberale und Kommunisten in Kontakt, um die Möglichkeiten zu einem koordinierten Vorgehen gegen den gemeinsamen Feind auszuloten. Eliécer Pérez Torres berichtete der Jus-tiz von seiner Entführung im Frühjahr 1952 durch die liberale Widerstandsgruppe, die sich um David Cantillo und seinen Brüdern in der Gemeinde Rovira gebil-det hatte. Er gab übereinstimmend mit seinem Bruder Alberto zu Protokoll, dass die chusmeros Besuch von Personen erhielten, die in dem bäuerlichen Ambiente durch ihre elegante Bekleidung aufgefallen seien. Diese hätten sich durch Aus-weise als Mitglieder der Kommunistischen Partei Kolumbiens ausgewiesen und versucht die Gruppe um David Cantillo davon zu überzeugen, die Kräfte von liberalen und kommunistischen Kombattanten zu bündeln, nachdem die libera-len guerrilleros bekundet hatten, dass „wir sehr schwach sind [und] nicht ausrei-chend Waffen besitzen, um dem Feind die Stirn zu bieten“.1221 Die Emissäre des Partido Comunista hätten den im Namen der Liberalen Partei Kämpfenden Waf-fenlieferungen, Munition und angeblich sogar Kanonen sowie Nahrungsmittel in Aussicht gestellt.1222 In demselben Jahr, 1952, brach aus Südtolima eine Delega-tion kommunistischer Berater nach Nordtolima auf, um die Widerstandsgruppen liberaler Provenienz politisch zu orientieren, was allerdings auf den Widerstand dort ansässiger caciques der Liberalen Partei stieß.1223

Der Widerstand liberaler gamonales gegen die Versuche der politischen Ein-flussnahme auf liberale Kombattanten durch kommunistische Akteure beruhte zu einem großen Teil auf dem Ziel letzterer, der Violencia den Charakter eines Klas-senkampfes zu geben. Die Liberale Partei und die in ihrem Namen Kämpfenden hingegen waren in erster Linie geeint durch den Gegensatz zu der Konservativen Partei und deren Mitgliedern. Aus Perspektive der kommunistischen Gruppierun-gen verlief die Hauptkonfliktlinie jedoch zwischen den ausgebeuteten Massen, Arbeitern und campesinos , auf der einen Seite sowie der als faschistisch wahrge-nommenen Regierung, welche die kapitalistisch-ausbeuterische Elite repräsen-tiere, auf der anderen. Der sectarismo , der weite Teile der liberalen und konser-vativen Kombattanten definierte, war in der Interpretation der politischen Realität durch kommunistische Gruppierungen lediglich ein Herrschaftsinstrument der Eliten des Landes, mit dem die Organisierung der Arbeiter und Bauern gegen das kapitalistische System verhindert werden sollte.1224

Der comandante Olimpo erinnert, dass die Emissäre der Kommunistischen Par-tei in diesem Sinne darauf zielten, ihren, potentiellen liberalen Verbündeten dar-zulegen, dass Arbeiter und campesinos Opfer des vorherrschenden Wirtschafts-system waren – gleich welcher Partei sie angehörten.1225 Deutlich wurde die von den kommunistischen Gruppierungen angestrebte Mobilisierung auf Basis des von ihnen propagierten Klassengegensatzes als Alternative zu der Differenz zwi-schen den Traditionsparteien an der Aussage von Carlos Hernando Amaya über die Versuche der kommunistischen Gruppen in Osttolima, ihn zum Eintritt in ihre Reihen zu bewegen. Er berichtete, dass in die kommunistischen bewaffneten Widerstandsgruppen nicht nur Kommunisten und Liberale, sondern auch „saubere Konservative mit Bewusstsein“ aufgenommen wurden.1226 Mit sauberen Konser- vativen mit Bewusstsein bezogen sich die kommunistischen Widerstandskämp-fer auf Mitglieder der Konservativen Partei, deren Handeln und Interpretationen sozialer Realitäten nicht allein vom weit verbreiteten sectarismo gespeist wurden, sondern die sich ihrer sozioökonomisch definierten Position im gesellschaftlichen Gefüge bewusst waren.

Die impliziten Tendenzen, die diskursiv gezogenen Differenzen zwischen den partidos tradicionales zu überwinden, sorgten bei den gamonales liberales für Unruhe.1227 Leopoldo García (alias Peligro) beschrieb das Zusammentreffen der liberalen Widerstandsgruppe mit den kommunistischen Kombattanten und deren politische Ansichten gegenüber Guzmán Campos wie folgt:

Nach El Davis kamen auch die Emissäre der Kommunistischen Partei, die sich zum Ziel gesetzt hatten, die Widerstand leistenden Bewaffneten politisch zu bil-den. Wie Guaraca betont, fanden die Bemühungen, die Bewaffneten politisch zu schulen, defensiv „ohne die Kommunisten zu benennen“ statt, um nicht die anti-kommunistischen Ressentiments der liberalen Widerstandskämpfer zu wecken.1229In der Anfangsphase der Zusammenarbeit von kommunistischen und liberalen Widerstandskämpfern genossen erstere das Ansehen der liberalen Gruppierungen, welche die militärische Effizienz der Kommunisten bewunderten. So erbeuteten kommunistische Kombattanten in einem Großangriff auf die Policía Nacional in der Region Ambeimba ein automatisches Gewehr, was von großer psychologischer Bedeutung war, da es die Möglichkeit verdeutlichte, dass erfolgreicher Widerstand möglich war. Die Anerkennung der militärischen Kompetenz der unter der Ägide des Partido Comunista Kämpfenden, die bereits Erfahrung in Kollektivaktionen im Rahmen der Landkämpfe in vorherigen Dekaden gesammelt hatten, beruhte nicht zuletzt auf dem Umstand, dass die liberalen Widerstandsgruppen kurz vor der Etablierung des Estado Mayor Conjunto in einen Hinterhalt der Streitkräfte getappt waren. Angeblich desertierte Soldaten, die sich dem bewaffneten Wider-stand anschließen wollten, lockten die Liberalen in eine Falle, die ungefähr 100 Kombattanten das Leben kostete.1230

Die Handlungsallianz zwischen liberalen und kommunistischen Widerstands-gruppen in Südtolima dauerte allerdings nur wenig mehr als ein Jahr, wenn auch Olimpo sie als sehr erfolgreich und sogar harmonisch bezeichnete.1231 Die Zusam-menarbeit der politisch differenten Akteursgruppen beruhte auf militärischen Überlegungen bzw. Notwendigkeiten, ohne dass die politischen Konsequenzen bedacht worden wären.1232 Kurze Zeit nach der Einrichtung des Estado Mayor Conjunto brachen allerdings die Differenzen in zentralen politisch-ideologischen Grundsatzfragen zwischen liberalen und kommunistischen Widerstandsgruppen auf, die sogar zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen beiden Gruppen führten.1233 Während der PCC und die von ihm initiierten autodefensas mit ihren Forderungen nach Selbstverwaltungsstrukturen und einer umfassenden Agrar-reform das zeitgenössische Gesellschaftssystem infragestellten, verteidigten die liberalen Kombattanten, als Partisanen der Tradition im Münkler’schen Sinne, die Beibehaltung des politischen Systems gegen die drohende konservative Hege-monie und die politische Exklusion der Liberalen Partei.1234

Die Agrarfrage entwickelte sich zu einem zentraler Differenz- und Streitpunkt zwischen kommunistischen und liberalen Widerstandskämpfern. Die dirigentes liberales , die auf die eine oder andere Weise den liberalen Widerstand in Südtolima unterstützten oder guthießen, waren in der Mehrheit Großgrundbesitzer, denen die Landkämpfe unter den Auspizien der Kommunistischen Partei in den Dekaden zuvor nur allzu gut in Erinnerung geblieben waren.1235 Die terratenientes machten ihren Einfluss auf die liberalen guerrillas nach Möglichkeit geltend und zielten darauf, die Handlungsallianz mit den kommunistischen Kombattanten aufzu- brechen.1236 Des Weiteren waren neben der politischen Einflussnahme liberaler Politiker, Medina zufolge, sozialstrukturelle Unterschiede zwischen der Gemeinde Rioblanco, in der sich der liberale Widerstand formierte, und Chaparral, wo die kommunistischen autodefensas ihren Ursprung hatten, ausschlaggebend für das Aufbrechen der Handlungsallianz. Während in Rioblanco nur sehr wenige haciendas existierten und campesinos im Besitz von kleinen, aber eigenen, Land-parzellen in der Mehrzahl waren, war der Anteil von lohnabhängigen Landarbei-tern, die der kommunistischen Interpretation sozialer Wirklichkeit weitaus offe-ner gegenüberstanden, in Chaparral sehr viel höher.1237

Eng verbunden mit der Agrarproblematik, in der sich Liberale und Kommu-nisten deutlich unterschieden, war die Frage des Privat- bzw. Kollektivbesitzes. Im Rahmen der Organisierung und Einbindung der Zivilbevölkerung im Frente Democrático de Liberación Nacional plädierten die comunes dafür, den Proviant, die eingesammelten Lebensmittel und die in Gefechten mit dem militärischen Gegner erbeuteten Gegenstände gemäß des Bedarfs unter Kombattanten und Zivi-listen aufzuteilen. Guaraca erinnert daran, dass sich die comunes in diesem Punkt deutlich von den limpios unterschieden.1238 Aus Sicht der limpios stellte dieses Vorgehen eine Kollektivierung von Gütern und Nahrungsmitteln dar, die dem traditionellen Individualismus der liberalen campesinos widerspreche.1239 Der liberale Guerillakommandant Jesús María Oviedo (alias Mariachi) drückte seine Vorbehalte gegen das von den comunes vereidigte Konzept von (Privat-)Besitz in einem Brief 1958 wie folgt aus: „Banditen sind diejenigen, die behaupten, dass alles für alle ist und dass die Dinge nicht dem Besitzer gehören, sondern dem- jenigen, der sie benötigt“.1240

Héctor Julio Estrada Herrán berichtete von einem Gespräch, das er mit einem der liberalen Widerstandskämpfer in Roncesvalles geführt hatte. Dieser antwor-tete ihm auf die Frage, welche Ziele sie verfolgten, dass sowohl Konservative als auch Kommunisten Gegner seiner guerrilla darstellten. Er setzte Kommunisten, die den Privatbesitz nicht respektierten, sondern den Kollektivbesitz propagier-ten, und den konservativen Erzfeind gleich. Die comunes würden sich aus seiner Sicht durch das gleiche Vorgehen auszeichnen, dass auch die Konservativen cha-rakterisiere, welche „die reichen Herren auf dem Land angreifen, sie ausrauben, […] ohne Gnade töten und dann der liberalen guerrilla die Schuld geben“.1241

Insbesondere die Verteilung der Waffen, die in Gefechten mit den staatlichen Sicherheitskräften erbeutet wurden, war Anlass für Konflikte zwischen den bei-den Widerstandsgruppen. Dem getöteten Gegner seine Feuerwaffen abzunehmen, stellte in der Regel die einzige Möglichkeit dar, im Landesinneren Waffen jen-seits einfacher Flinten zu erlangen. Die liberalen Widerstandskämpfer verteidig-ten die Auffassung, die in Gefechten erlangten Waffen würden in den Privatbesitz der siegreichen Kombattanten übergehen. Die comunes hingegen wollten diese Waffen in Besitz des movimiento de autodefensa wissen, der diese den einzelnen destacamentos nach Bedarf zuteilen sollte.1242

In anderen Punkten, welche die limpios ihren kommunistischen Alliierten in El Davis vorwarfen, näherten sie sich dem Diskurs der dirigentes conservadores an. Sie warfen den comunes vor, die liberalen guerrillas zu unterwandern und ihnen eine kommunistische Stoßrichtung geben zu wollen, die diesen, wegen ihres liberalen Charakters, per Definition fremd sei. Andere Beschuldigungen, die konservative Politiker gegen die Verfechter liberaler Ideen richteten, münzten die Mitglieder der Liberalen Partei gegen die comunes . So führe der den Kommu-nisten eigene Atheismus aus ihrer Sicht dazu, dass das soziale Ordnungsprinzip Familie aufgeweicht würde.1243 Weiterhin klagten sie die comunes an, durch die Einbindung von Frauen und Kindern in den FDLN die traditionellen Familien- strukturen aufzulösen.1244

Mit den Komitees im Stile einer Volksfront zielten die dirigentes políticos der kommunistischen Widerstandsgruppen auf die parallele Organisierung der kämp-fenden und der zivilen Bevölkerung. Sie sollten die Kohäsion und Beteiligung der Non-Kombattanten an dem Widerstand gegen die staatlich-konservativen Aggressionen sicherstellen. So wurden Heranwachsende in der Jugendorganisa-tion des PCC ( Juventud Comunista ) organisiert und auch die Frauen betätigten sich in dem logistischen Umfeld der Kombattanten, übernahmen aber auch mili-tärische Aufgaben. Kinder unter 12 Jahren wurden in dem sogenannten Batallón Sucre zusammengefasst, wo sie mit Hilfsarbeiten wie dem Sammeln von Feuer-holz und Reinigungstätigkeiten betraut wurden. Die Kinder, eingebunden über den Batallón Sucre , wurden Guerillakommandanten zugeordnet, denen sie als Adjutanten dienten und die sie, wie Alape berichtet, sogar „Vater“ nannten, was die Auflösung der (patriarchalischen) Familienstrukturen auch auf der semanti-schen Ebene verdeutlichte. Weiterhin nahmen sie, wenn auch in weniger gefähr-lichen Positionen, an Gefechten teil und wurden beispielsweise zum Einsammeln der Waffen von Gefallenen eingesetzt.1245

Angesichts der stets zu befürchtenden Angriffe durch die staatlichen Sicher-heitskräfte oder die gefährliche und nur bewaffnet durchzuführende Beschaffung von Lebensmitteln dominierte an Orten wie El Davis eine militärische Logik auch in ursächlich nicht-militärischen Handlungsräumen. Die ursprünglich zivil aus-gerichteten Zusammenschlüsse des FDLN reduzierten ihre Arbeit oftmals auf die Bedürfnisse des bewaffneten Kampfes. Derart rückten die weiblichen und jungen, heranwachsenden Zivilisten zum Missfallen der limpios in die Nähe der bewaff-neten männlichen Kombattanten, was in den Augen der liberalen Kombattanten zu der Auflösung der traditionellen Familienstrukturen beigetragen habe.1246

Während die limpios die Organisierung des Widerstandes im Rahmen des FDLN auf Seiten der comunes und damit verbundene Einbindung von Zivilis-ten in militärische Aufgabenbereiche kritisierten, bemängelten die kommunisti-schen Widerstandskämpfer eben dieses Fehlen von Organisation auf der liberalen Seite. Die Formierung des liberalen Widerstandes um Familienoberhäupter und -netzwerke führte dazu, dass dieser oftmals eine lokale Perspektive einnahm und sich durch eine begrenzte politische Reichweite auszeichnete. Die liberalen gue- rrillas verteidigten ihre patria chica , das heißt ihre Familien, Heimstätten und Land und sahen sich nicht, wie die kommunistischen Akteure, in einen Dritten Weltkrieg zwischen imperialistischen und demokratischen Kräften involviert.1247

Die comunes kritisierten den personalistischen Charakter und die starken indi-vidualistischen Züge ihrer temporären liberalen Alliierten. Diese führten in den Augen der kommunistischen Widerstandskämpfer nicht nur zu einem hohen Maß an Undiszipliniertheit in dem Handeln der limpios , sondern auch, gepaart mit der Betonung des Privatbesitzes, zu einer Tendenz, kriminelle, ökonomisch moti-vierte Gewalt auszuüben. Einige der liberalen Guerillakommandanten verfolgten in den Augen ihrer kommunistischen Verbündeten keinerlei hehren und politi-schen Ziele, sondern verwandelten den bewaffneten Widerstandes in ein bloßes Geschäft – oder wie Olimpo es ausdrückt: „Sie [die liberalen Widerstandskämpfer, L. R.] akzeptierten nicht, dass der Kampf nicht dafür da war, sich zu bereichern, sondern für ehrenwerte und progressive Ziele wie den Sturz der damaligen Dikta-tur“.1248 Guzmán Campos zitiert ein Schreiben des kommunistischen Movimiento de Autodefensa Campesina , in dem die Autoren die liberalen Widerstandskämpfer um Loaiza beschuldigten, in ihren Reihen kriminelle, weil ökonomisch motivierte Gewaltakteure zu akzeptieren, die auch vor Morden an wohlhabenden Liberalen und Vergewaltigungen nicht zurückschreckten.1249

Der gemeinsame Feind und die militärischen Aggressionen der staatlichen Sicherheitskräfte und ihrer zivilen Unterstützer machte die militärische Zusam-menarbeit von limpios und comunes Anfang der 1950er Jahre möglich bzw. not-wendig. Auf einer ideologisch-politischen Ebene nahmen sie aber, wie oben dar-gestellt wurde, diametral auseinander liegende Positionen ein.1250 Diese führten zu einem Auseinanderbrechen der Allianz von comunes und limpios , offenbar auch auf Drängen von regionalen sowie lokalen Vertretern der Liberalen Par-tei.1251 Beide Gruppen gingen in der Folge nur noch temporäre Allianzen ein, um beispielsweise größere Militärexpeditionen und -belagerungen zu durchbrechen. Eine dieser gemeinsamen Aktionen im Frühjahr 1952 gab allerdings Anlass zu dem definitiven Bruch zwischen liberalen und kommunistischen Widerstands-kämpfern. Als ein zu der Gruppe um Loaiza gehörender Kombattant nach einer gemeinsamen militärischen Unternehmung, die unter dem Kommando des Kom-munisten Pedro Ruminque (alias Canario) stand, die erbeutete Waffe in seinen Privatbesitz nehmen wollte, zerbrach die liberal-kommunistische Allianz an der Frage des Privat- bzw. Kollektivbesitzes endgültig. Die Konfiszierung des Gewehres, die der dirigente comunista Raúl Valbuena veranlasste, gab Anlass zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den ehemaligen Alliierten.1252

Die ehemaligen Weggefährten führten die in der Folgezeit regelmäßigen Gefechte, denen auch mehrere Söhne des exponierten liberalen Guerillaführers Gerardo Loaiza zum Opfer fielen, mit erbitterter Härte.1253 Ricardo Castañeda berichtete von einem Gefecht in La Quebrada, das „ a bala y a machete “ geführt wurde und von Tagesanbruch bis in den späten Nachmittag andauerte.1254 Und Leopoldo García (alias Peligro) gab Germán Guzmán Campos zu Protokoll, dass er 1952 mehr gegen die comunes als gegen die Erzfeinde der Liberalen, die chula- vitas , gekämpft habe.1255

Riekenberg streicht heraus, dass sich Gewaltsegmente als identitäre Gruppe in der Interaktion mit anderen Gewaltkollektiven konstituieren.1256 Sicherlich bestanden zwischen den liberalen und den kommunistischen Widerstandskämp-fern bereits vor ihrer Zusammenarbeit und Interaktion ideologisch-politische Dif-ferenzen bezüglich zentraler Fragen wie der Feinddefinition oder der Bedeutung des Privat- bzw. Kollektivbesitzes. Limpios und comunes gerierten sich in ihrer Selbstdarstellung als Verfechter und Träger der Doktrinen der jeweiligen Partei, der sie sich verbunden fühlten. Diese ideologisch-politischen Differenzen gaben, wie skizziert, Anlass für die Kämpfe zwischen den liberalen und kommunisti-schen Kombattanten.

Die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den beiden Gruppierungen, die gewaltsamen Interaktionen zwischen den Gewaltsegmenten , wirkten aller-dings zurück auf die Gruppenidentitäten. Die bewaffneten Konflikte, die entlang der politischen Differenzen entbrannten, festigten die Gewaltakteure in ihrer Identität, das heißt in ihren politischen Überzeugungen, und vertieften die Kluft zwischen ihnen und ließen weitere Konflikte wahrscheinlich werden. Die Span-nungen zwischen Kombattanten, die sich zu der Liberalen bzw. der Kommunis-tischen Partei bekannten, waren kein ephemeres Phänomen, sondern wirkten bis weit in die 1960er Jahre hinein.

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6 Die Regierung der Fuerzas Armadas (1953–1957)

Liberale Politiker erreichten zusammen mit dem moderaten Flügel der konser-vativen Regierungspartei das, was dem bewaffneten liberalen und kommunisti-schen Widerstand nicht gelungen war: die Absetzung der verhassten Regierung Laureano Gómez. Der Verständigungsprozess zwischen Fraktionen der partidos tradicionales war allerdings dadurch begünstigt worden, dass die dezentral ent-standenen guerrillas mit unterschiedlichem politischem Hintergrund an Schlag-kraft gewonnen hatten und sich nach der Conferencia de Boyacá eine überre-gionale Koordinierung der Widerstandsgruppen abzeichnete. Insbesondere die liberalen Widerstandsgruppen waren in der Lage, in stärkerem Maße in die Offensive gegen die staatlichen Sicherheitskräfte und parastaatlichen Gruppen zu gehen.1257 Da sie sich gleichzeitig in ihren Forderungen zunehmend von den Ziel-setzungen der liberalen Parteiführung lösten, nahm auch diese sie als eine Gefahr für das traditionelle politische System wahr.1258

6.1 Das Amnestieangebot der Militärregierung Rojas Pinilla

Die politisch-ideologischen Differenzen zwischen limpios und comunes führten zu einem unterschiedlichen Umgang mit dem Amnestieangebot nach der Abset-zung der konservativen Regierung Gómez durch Rojas Pinilla im Juni 1953. Die verschieden beantwortete Frage nach der Positionierung gegenüber der Militärre-gierung vertiefte, zusätzlich zu den vorangegangenen bewaffneten Interaktionen zwischen den Gewaltsegmenten , in der Folge die Differenzen zwischen libera-len und kommunistischen (ehemaligen) Widerstandskämpfern.1259 Der Fokus der Regierung Rojas Pinilla lag auf der Befriedung der llanos orientales , wo sich die stärkste liberale guerrilla formiert hatte. Diese hatte zunehmend an Autonomie gegenüber der liberalen Parteihierarchie gewonnen und Ansätze zu einer Interpre-tation sozialer Realität und auch zu Mobilisierungen entlang von Klassengegen-sätzen, und weniger der Parteidifferenz entwickelt.1260 Die Herausbildung einer geeinten Führung der liberalen Widerstandsgruppen in den llanos vergrößerte die von ihr ausgehende Gefahr für den politischen Status quo merklich. Der Regie-rung Rojas Pinilla gelang es, das Oberkommando zu untergraben, indem sie die im Juli 1953 einsetzenden Verhandlungen mit den einzelnen destacamentos des bewaffneten Widerstandes separat führte.1261

Insbesondere nach Bürgerkriegen ist die Befriedung im Inneren des Landes oft-mals die Hauptquelle politischer Legitimität der (neuen) Regierung, die aus den bewaffneten Auseinandersetzungen hervorgeht.1262 Der Erfolg der noch jungen Regierung Rojas Pinilla, die massenhafte Demobilisierung von liberalen Wider-standskämpfern in dem Tiefland östlich von Bogotá, erfuhr daher eine breite medi-ale Resonanz, die Wirkung auf liberale Widerstandsgruppen in anderen Regionen des Landes zeitigte.1263

Die liberalen Kombattanten akzeptierten in der Mehrheit vergleichweise schnell das Amnestieangebot der Militärregierung. Zum einen genossen die Streitkräfte trotz ihrer während des Untersuchungszeitraums wachsenden Beteiligung an der Aufstandsbekämpfung nach wie vor den Ruf, parteipolitisch neutral zu sein. Viele Liberale trauten ihr zu, zwischen Liberalen und Konservativen vermitteln zu kön-nen – nicht zuletzt hatte die Führungsriege der Liberalen Partei entscheidend dabei mitgewirkt, den General in das Präsidentenamt zu bringen. Zum anderen war der Sturz des konservativen Hardliners Gómez das vorrangige Ziel liberaler guerri- llas gewesen, das mit dem golpe de opinión erreicht worden war.1264 Den meisten liberalen Widerstandskämpfern ging es nicht darum, den Kampf um das Über-leben und den Widerstand gegen die Repression in einen Kampf für die grund-legende Änderung der Verfassung der Gesellschaft oder des politischen Feldes zu verwandeln.1265 Sie waren Partisanen der Tradition und die von den liberalen Kombattanten angestrebte Verteidigung der Tradition sahen sie mit der Absetzung von Gómez erreicht.

6.1.1 Die Amnestierung und Demobilisierung liberaler guerrillas

Sánchez unterscheidet mit Blick auf die Reaktionen der bewaffneten Wider-standsgruppen drei Typen.1266 Zu der ersten Gruppe gehörten liberale guerrillas , die sich den staatlichen Sicherheitskräften bedingungslos stellten, das heißt ohne vor der Demobilisierung und der Waffenabgabe Forderungen formuliert und Zusagen eingefordert zu haben.1267 Die Widerstandsgruppen, die derart vorgin-gen, kamen mit dem sofortigen Niederlegen der Waffen durchaus Aufrufen der Liberalen Partei nach, die das sofortige Ende der Gewalt vonseiten der liberalen Kombattanten forderten.1268 Der Directorio Liberal Departamental Tolimas unter Vorsitz von Rafael Parga Cortés rief knapp zwei Wochen nach dem Regierungs-wechsel dazu auf, dass „alle, die sich in guerrillas erhoben haben, insbesondere unsere Parteimitglieder, ihre Waffen vor den militärischen Autoritäten niederle-gen und die Garantien, welche die Regierung zusichert, annehmen“.1269

Die Widerstandsgruppe, die sich um Tiberio Borja (alias Córdoba) und seinen Bruder Leonidas (alias Tranquilo) in der Gemeinde Rovira gebildet hatte, gehörte zu den liberalen guerrillas , die sich bedingungslos ergaben. Diese legte Anfang August 1953 nach Gesprächen mit dem Militärgouverneur Cuéllar Velandía, bei denen sie von dem liberalen Journalisten Echeverry Cárdenas begleitet worden waren, die Waffen nieder.1270 Sánchez berichtet, dass, entgegen der Behauptung von Guzmán Campos, die gegenseitigen Zusagen seien eingehalten worden, die im Rahmen der entrega abgegebenen persönlichen Daten oftmals zur späteren, gezielten extralegalen Tötung amnestierter guerrilleros , durch Angehörige der Streitkräfte oder pájaros , genutzt wurden –Tiberio Borja wurde Ende des Jahres 1954 von Soldaten ermordet.1271

Einer zweiten Form der Demobilisierung kamen Widerstandsgruppen nach, welche die Waffen niederlegten und im Nachhinein Forderungen an die Regierung stellen. Zu diesen ex post gestellten Konditionen liberaler Widerstandskämpfer gehörten die Forderungen nach körperlicher Unversehrtheit, langfristigen Kre-diten, um den Wiederaufbau der fincas und Häuser zu finanzieren, Forderungen nach dem Ausbau der lokalen und oftmals zerstörten Infrastruktur sowie dem Bau von Schulen. In diese Form der Kapitulation begab sich die Mehrheit der libera-len guerrillas in Südtolima, wobei die entregas der liberalen Kombattanten nicht unmittelbar nach dem Putsch von Rojas Pinilla stattfanden. Angesichts der fort-währenden Präsenz konservativer, paramilitärischer Gewaltkollektive, wie den Barbados und Patriotas in Chaparral oder den Enruanados in San Antonio, war-teten die limpios mit der Entwaffnung, bis auch ihre Feinde entwaffnet wurden.1272Daher demobilisierte sich die guerrilla , die unter dem Kommando von Gerardo Loaiza gestanden hatte, erst im Oktober 1953.1273

Kurze Zeit später folgte die entrega von Efraín Valencia (alias Arboleda) in unmittelbarer Nähe zur cabecera municipal in Chaparral.1274 Arboleda hatte seine „Karriere“ im bewaffneten Widerstand, ähnlich wie der unter dem nom de guerre Mariachi bekannt gewordene Jesús María Oviedo, in Südtolima in destacamentos guerrilleros begonnen, die den comunes zuzuordnen waren. Die Befriedungskam-pagne nach der Absetzung Gómez’ nutzten diese aber, um sich von den kommu-nistischen Akteuren loszusagen und sich den für die Liberale Partei Kämpfenden anzuschließen – und gegen die kommunistischen Zusammenschlüsse, gemein-sam mit den Streitkräften oder deren Billigung, vorzugehen.1275 Jaime Guaraca beschuldigte Oviedo allerdings, sich den limpios weniger aus ideologischen als aus monetären Gründen angeschlossen zu haben.1276 Auch Marín warf ihm vor, die ideologischen Differenzen mit den comunes nur aus rhetorischen Gründen heran-gezogen zu haben, um seinen gegen Geldzahlungen erfolgten Seitenwechsel vor den Kombattanten unter seinem Kommando rechtfertigen zu können.1277 Gegen Ende Oktober 1953 bilanzierte El Tiempo , dass mit der Kapitulation von meh-reren Hundert guerrilleros , mit denen bereits insgesamt 800 ehemalige Wider-standskämpfer die Waffen niedergelegt hatten, und den angekündigten entregas weiterer Kombattanten die Befriedung des departamento Tolima nahezu vollstän-dig erfolgt sei.1278

Wie Sánchez und Meertens unterstreichen, fehlte vielen liberalen guerrillas in Südtolima die politische Reife, Bedingungen vor der Abgabe der Waffen zu stellen und Garantien auf Erfüllung einzufordern. Nach der Entwaffnung hatten die guerrillas keine Druckmittel mehr in der Hand, um auf die Erfüllung der For-derungen vonseiten des Staates zu pochen.1279 Gerardo Loaiza drückte schon im März 1954 in einem Schreiben an den Präsidenten seine Enttäuschung über die nicht eingehaltenen Zusagen aus, die anlässlich der entrega als Gegenleistung für die Abgabe der Waffen knapp sechs Monate zuvor gemacht worden waren. Die von Rojas Pinilla gegründete Oficina de Rehabilitación y Socorro habe Loaiza zufolge weder die zugesagten Kredite gewährt, noch die in Aussicht gestellten landwirtschaftlichen Geräte geliefert.1280

Eine dritte Gruppe, sowohl liberaler als auch kommunistischer, Widerstands-kämpfer stellte in etwa die Bedingungen für ihre Demobilisierung, wie sie von anderen, oben erwähnten liberalen Widerstandsgruppen im Nachhinein gestellt wurden. Das Unterscheidungsmerkmal macht Sánchez hier an dem Zeitpunkt der Formulierung der Forderungen – vor bzw. nach der entrega – fest.1281 Die Forde-rungen, die kommunistische Widerstandsgruppen als Bedingung für ihre Demo-bilisierung stellten, glichen in etwa den liberalen Konditionen, allerdings stellten sie als weitere Forderungen die Wiederherstellung demokratischer Rechte wie das Recht auf freie Wahlen sowie eine Neuausrichtung der Außenpolitik des Lan-des.1282 Das Vorgehen dieser Gruppen, zu denen auch die von Alvear Restrepo beratene und vor der entrega gewarnte guerrillas in den llanos orientales gehör-ten, erklärte sich unter anderem damit, dass sie über die politische Beratung durch vergleichsweise erfahrene Akteure des politischen Feldes verfügten. Die Wider-standsgruppen in Osttolima wurden beispielsweise in den Verhandlungen mit der Militärregierung von dirigentes políticos des PCC beraten.1283

6.1.2 Die entregas simbólicas der kommunistischen autodefensas

Der Partido Comunista de Colombia kritisierte die Regierung Rojas Pinilla bereits sehr früh wegen des hohen Militärbudgets und ihrer US-freundlichen Politik.1284 Der PCC hatte angesichts des ausgeprägten Antikommunismus der Streitkräfte, der bisherigen Verwicklung in Gewaltakte von Rojas Pinilla wie dem Massaker in der Casa Liberal in Cali und seiner Zugehörigkeit zu der Konser-vativen Partei deutliche Zweifel an seinen Friedensbekundungen. Die Führung des kommunistischen Widerstandes in Südtolima sah in ihm den Vertreter der nationalen Oligarchie, die zum Erreichen ihrer Ziele nicht davor zurückschrecke, eine Militärdiktatur in Kolumbien zu installieren.1285 Im August 1953 erklärte die Kommunistische Partei im Rahmen eines Parteiplenums in Palmira, dass der Machtantritt des Generals lediglich „einen Regierungswechsel, aber keinen Regi-mewechsel [im Sinne eines Systemwechsels, L. R.]“ darstelle.1286 Das Misstrauen kommunistischer Widerstandsgruppen in Südtolima erklärte sich auch durch die Gefechte mit den Streitkräften, in die sie auch noch im November 1953, also fünf Monate nach dem Regierungsantritt von Rojas Pinilla, verwickelt waren.1287 Die Vorbehalte gegen die Regierung des Militärs teilten die kommunistischen Wider-standsgruppen mit einigen, wenn auch nur wenigen, Akteuren auf der liberalen Seite. Der Anwalt Alvear Restrepo, politischer Berater der guerrilla llanera , warnte diese vor der Kapitulation im Rahmen der angebotenen Amnestie, da er diese nur als Schachzug der Streitkräfte wertete, um der Kombattanten einfacher habhaft werden und diese dann töten zu können.1288

An der Frage, wie mit dem Amnestieangebot der Militärregierung umzugehen sei, offenbarte sich innerhalb des kommunistischen Widerstandes die Herausbil-dung unterschiedlicher Fraktionen. Die vom PCC entsendeten politischen Berater Pedro Vásquez und Martín Camargo beispielsweise plädierten für die Auflösung der politischen Kommissionen der Widerstandsgruppen, die Entsendung der Kom-battanten als mobile guerrillas und den Abbruch der Gespräche mit Vertretern der Militärregierung.1289 Marín warf dem militaristischen Flügel wiederum mangelnde Weitsicht und fehlendes Verständnis über die Lage des Widerstandes in einer Region vor, in die sie erst wenige Wochen zuvor gekommen waren. Er charakteri-sierte die Situation für die kommunistische Widerstandsgruppe wie folgt:

Damit folgte Marín der „offiziellen“ Parteilinie des PCC, der die Verhandlun-gen mit der Militärregierung über die Demobilisierung der bewaffneten Wider-standsgruppen bejahte, um Zeit zu gewinnen und diese in zivile movimientos de masa umwandeln zu können.1291 Die politische Situation, in der sich die kom-munistischen Widerstandsgruppen in der zweiten Jahreshälfte 1953 befanden, war schwierig. Einerseits dominierte in der dem Putsch von Rojas Pinilla folgen-den Euphorie ein allgemeines Klima der Demobilisierung und die Hoffnung, zu einer friedlichen politischen Betätigung zurückkehren zu können – dies waren die gewandelten, konträren objektiven Bedingungen , von denen Marulanda sprach. Andererseits sahen die comunes in dem General ein Instrument der Oligarchie und Bourgeoisie zur Wiederherstellung der altbekannten Ausbeutungsstrukturen und misstrauten daher seinen Versprechen. Des Weiteren waren die Erinnerungen an die blutigen und verlustreichen Auseinandersetzungen mit den limpios noch frisch. Die comunes konnten sich der tatsächlichen Demobilisierung und Entwaff-nung ihrer Gegner nicht gewiss sein, zumal einige von diesen, wie Mariachi, die Streitkräfte im Kampf gegen die kommunistischen Gewaltkollektive unterstütz-ten – die nicht genau einzuschätzende militärische Stärke des Widersachers führte dazu, dass das Gewaltpotenzial in der Region erhalten blieb.1292

Viele limpios hatten sich in den Verhandlungen über das von Rojas Pinilla unterbreitete Amnestieangebot als Hilfstruppen der Streitkräfte empfohlen, um gegen die kommunistischen Akteursgruppen vorzugehen, die sie als die „wahren Übeltäter“ bezeichneten.1293 Der liberale Guerillakommandeur Leopoldo García (alias Peligro) verfolgte zusammen mit dem Heer kommunistische Widerstands-kämpfer nach der Absetzung von Laureano Gómez bzw. gestatteten die Streit-kräfte, dass Peligro die in der Region verbliebenen kommunistischen Kräfte bekämpfte oder festnahm und sie den staatlichen Sicherheitskräften übergab.1294Ciro Castaño strich heraus, dass der Umstand, dass die comunes die Waffen nicht abgegeben hatten, ihnen einen gewissen Schutz vor den Feindseligkeiten der lim- pios gewährte.1295

Letzten Endes folgten die verschiedenen kommunistischen Widerstandsgruppen nicht einer durch den PCC vorgegebenen Handlungsanweisung, sondern reagier-ten uneinheitlich auf das Amnestieangebot und die Forderung nach ihrer Demobi-lisierung. In Südtolima teilten sich die kommunistischen Kombattantengruppen, gemäß des Beschlusses der II. Conferencia Regional del Sur im Oktober 1953, in vier Gruppen auf. Diese verließen die Region in verschiedene Richtungen, ohne sich in den formellen Kapitulationsprozess zu begeben, einerseits um dem nach wie vor währenden Druck durch die limpios und der Streitkräfte auszuweichen, andererseits den Maßgaben des Partido Comunista Folge zu leisten. Dieser zielte darauf, die bewaffneten Gruppen in zivil agierende, breite soziale Bewegungen ( movimientos de masa ) umzuwandeln bzw. andere Widerstandsgruppen bei die-sem Vorhaben in anderen Landesteilen zu unterstützen und zu verstärken.1296

Eine erste Gruppe von ungefähr 200 Kombattanten zog unter Führung von Isauro Yosa (alias Lister) und José Alfonso Castañeda (alias Richard) aus Südtolima in den Osten des departamento , um sich den bereits demobilisierten Kombattanten um Varela und Marcos Jiménez anzuschließen.1297 Ein Zeitzeuge, der als Tomi-nejo in den bewaffneten Untergrund in Osttolima gegangen war, erinnert, dass die als sureños bezeichneten Neuankömmlinge wegen ihrer militärischen Erfahrung, Disziplin und Bewaffnung in Sumapaz geschätzt wurden. In politischen Veranstal-tungen versuchten die sureños , den Einflussbereich der kommunistischen Kräfte in einer Region auszuweiten, in der sich die Mehrheit der Widerstandsgruppen zu der Liberalen Partei bekannte und in der Gaitáns UNIR in den 1930er Jahren großen Einfluss auf die movimientos campesinos gehabt hatte. Tominejo rekapi-tulierte, dass einer der dirigentes comunistas „insistierte, dass wir nicht mehr den einfachen Kampf ( lucha vulgar ) der liberalen guerrillas weiterführen durften. Er sagte, dass wir uns in die zukünftigen Anführer der Revolution in Kolumbien wandeln mussten“.1298

Eine weitere Gruppe unter Führung von Gratiniano Rocha (alias Avenegra) bewegte sich in die durch eine starke indigene Präsenz charakterisierte Gemeinde Natagaima in Südtolima. Wenig später folgte die Gruppe um Avenegra jedoch den nach Sumapaz Evakuierten um Lister und Richard. Zwar wollten die sureños die Kombattanten, die in Osttolima Widerstand gegen die konservative Regie-rung geleistet hatten, von der zentralen Bedeutung des Klassengegensatzes für den bewaffneten Kampf überzeugen und den politischen Kampf für den sozialen Wandel weiterführen. Aber auch wenn sie den Versprechungen des neuen Präsi-denten misstrauten, konnten sie sich dem allgemeinen politischen Klima nicht entziehen – und dieses tendierte, in der allgemeinen Hoffnung auf eine dauerhafte Beendigung des Konflikts, zur Abgabe der Waffen.1299

Anders als ihre ehemaligen Kampfgefährten in Südtolima, die sich der entregas verweigerten, kapitulierten die sureños , einmal in Osttolima angekommen, sym- bolisch . Rocha leitete in Villarrica die entrega simbólica der sureños , wobei der liberale guerrillero Marcos Jiménez (alias Resortes) den Kontakt zwischen diesen und den neuen Machthabern hergestellt hatte. Bei der Etablierung des Kontak-tes zwischen der Militärregierung und den kommunistischen Kombattanten aus Südtolima war weiterhin Jorge Wolf, der Sohn von George A. Wolf, der diesem über die Ernennung von Gerlein zum Bürgermeister von Villarrica und die Flucht der Liberalen aus der Region berichtet hatte, behilflich.1300

Mit der symbolischen Kapitulation wurden die Demobilisierungen bezeich-net, die lediglich den formalen Anforderungen genügten, aber die Organisations-strukturen und Waffenbestände nicht grundlegend modifizierten. Den Streitkräf-ten wurden lediglich ältere, weniger brauchbare Waffen ausgehändigt, neue und moderne Waffen, welche die (ehemaligen) Kombattanten unter anderem in den rezenten Auseinandersetzungen erbeutet hatten, wurden aber im unzugänglichen Hinterland versteckt, um sie nach der entrega notfalls wieder in Gebrauch nehmen zu können.1301 Manuel Rozo Rico, ein Ladenbesitzer aus San Bernardo, wusste, dass die sureños „lediglich einige alte Flinten“ während der entrega abgegeben hatten.1302 Isauro Yosa (alias Lister) gab in seiner Vernehmung nur den ungefäh-ren Aufbewahrungsort der in Sicherheit gebrachten Waffen zu Protokoll. Seiner Aussage zufolge habe er auch keine weiteren Kenntnisse über die Waffen, da sich Cardenal um das Verstecken derselben bemüht habe für den Fall, dass sich die Situation grundlegend verschlechtern solle („ para el caso de que se volviera a dañar esto “).1303

Marín wiederum verließ mit seinem „politischen Mentor“ Jacobo Prías Alape (alias Charronegro) und einer Handvoll Kombattanten El Davis in Südtolima, um in der Region Riochiquito Zuflucht zu finden. Im departamento Cauca, hatte die Gruppe um Charronegro allerdings mit widrigen Umständen zu kämpfen, wie der Isolation von der Kommunistischen Partei, die unter anderem zu der Unwissen-heit über die politischen Entwicklungen auf der nationalen Ebene führte. Weiter-hin litten die comunes auch in Cauca unter Angriffen durch das Heer und durch ehemalige liberale Widerstandskämpfer, die sich den Streitkräften zu Diensten gestellt hatten. Die limpios wurden oftmals von den Latifundisten der Region im Kampf gegen die nicht demobilisierten Kommunisten unterstützt, weil sie nicht nur eine Gefahr für den politischen Status quo darstellten, sondern auch Nah-rungsmittel und Vieh auf den benachbarten Landgütern stahlen, um das eigene Auskommen sicherzustellen.1304

Dessen ungeachtet betrachteten Marín und Prías Alape die abgeschiedene, schwer zugängliche Region als den geeigneten Ausgangspunkt für den zu formie-renden movimiento agrario . Wie Karl hervorhebt, war die Region Riochiquito nicht wie die späteren repúblicas independientes Marquetalia und Guayabero unbesiedelt, sondern in Riochiquito waren bereits comunidades indígenas ansäs-sig.1305 In den Indigenen der Region, die von umliegenden hacendados in ihrem Besitz bedroht wurden, sahen die dirigentes comunistas potentielle Unterstützer der aufzubauenden Agrarbewegung.1306 Die Beziehung der kommunistischen Neuankömmlinge zu den indigenen Gemeinschaften, die bereits während der Regierungszeit Gómez in den bewaffneten Konflikt hineingezogen worden waren, gestaltete sich in der Anfangszeit allerdings keineswegs konfliktfrei, bis sich auch Indigene in dem movimiento agrario engagierten.1307

Neben den drei genannten Gruppen, die aus Südtolima in andere Landesteile aufbrachen, um andere, formal demobilisierte Widerstandsgruppen zu verstär-ken und movimientos de masas zu organisieren, verblieben einige comunes in der Region El Davis . Deren Führung übernahm der militärisch zwar erprobte, poli-tisch jedoch unerfahrene Andrés Bermúdez (alias Llanero), der mit der Regierung die Rückkehr der von der Violencia Vertriebenen aushandeln sollte.1308 Kurze Zeit nach dem Aufbruch der Kommissionen nach Osttolima und Riochiquito fiel die Llanero anvertraute Gruppe einem Täuschungsmanöver der limpios um Leopo-ldo García zum Opfer, der den Mangel an politischer Erfahrung des comandante ausnutzte. Peligro arbeitete, wie bereits erwähnt, mit den Streitkräften zusammen, welche die Personen töteten, die Llanero anvertraut worden waren und die sich weigerten, sich den limpios anzuschließen, nachdem sich diese auf Einladung von García zu einem, angeblich freundschaftlichen, Treffen an dem vereinbarten Ort eingefunden hatten.1309

In Osttolima, wo die Spannungen zwischen liberalen und kommunistischen Akteuren nicht wie in Südtolima zu bewaffneten Auseinandersetzungen geführt hatten, entschied sich der Widerstand zu einer entrega simbólica als Kompromis-slösung zwischen dem Verbleib in den Kampfverbänden und der vollständigen Demobilisierung.1310 Einerseits konnten auch die liberalen und kommunistischen Widerstandskämpfer, die der Militärregierung misstrauten, nicht die Augen vor der politischen Realität und Konjunktur nach dem Putsch von Rojas Pinilla ver-schließen; die Euphorie nach dem golpe de opinión drängte zu den entregas . Ande-rerseits gab es starke Widerstände unter den Kombattanten, wie zum Beispiel von Juan de la Cruz Varela, die deutliche Vorbehalte gegen die Regierung des Generals hatten. Letztere setzten sich in der Befürchtung, in der näheren Zukunft könnte es zu erneuten Aggressionen kommen, gegen ihre vollständige Entwaffnung zur Wehr.1311

José Aniceto Almario (alias Secreto) sagte vor Gericht aus, dass Varela seinen Kombattanten, zu denen Almario gehörte, befohlen hatte, nur eine automatische Waffe und ungefähr drei Dutzend Gewehre abzugeben. Die sonstigen Waffen, unter anderem mehrere moderne Schusswaffen, die in Gefechten mit der Polizei erbeutet worden waren, versteckten sie auf Befehl der Kommandeure in dem unzu-gänglichen Gebiet der Colonia Agrícola .1312 Der comandante Baltazar Fernández berichtete, dass sich viele Zivilisten, und weniger die Kombattanten, den Streit-kräften stellten, um die Waffen älteren Baujahrs abzugeben. Dieses Vorgehen zielte darauf, „den Druck ein wenig zu nehmen“, denn auch die Kombattanten, die an den Versprechungen der Militärregierung zweifelten, konnten sich nicht der allgemeinen politischen Konjunktur entziehen, die zur Demobilisierung ten-dierte.1313 So stellten sich immerhin offiziell 600 als Widerstandskämpfer bezeich-nete Bewaffnete, die von Marcos Jiménez Domínguez (alias Resortes) und sei-nem Bruder Julio angeführt wurden, einer Militärkommission, deren Vorsitz der Brigadegeneral Duarte Blum innehatte.1314

6.2 Der Gewaltrückgang nach dem Machtantritt von Rojas Pinilla

Unbestritten ist, dass dem Regierungsantritt des Generals Rojas Pinilla ein deutlicher Rückgang der Gewaltintensität folgte, den die von der Regierung ange-botene Amnestie und die Kapitulationen ( entregas ) bzw. Einstellung der Kampf-handlungen von den Gruppen, die sich nicht oder nur formal demobilisierten, bedingten.1315 Die Annäherung der gemäßigten Flügel der Traditionsparteien und der aus dieser resultierende golpe de opinión hatte Rojas Pinilla den Weg in die Casa de Nariño geebnet, als der bewaffnete Widerstand in vielen Regionen Kolumbiens zunehmend in die Offensive ging. Ausgehend von den Entwicklungen in den llanos orientales hatten auch die Teilnehmer der Conferencia de Boyacá im August 1952 auf die nationale Koordinierung der kommunistischen und liberalen Kombattantengruppen gezielt. Die sich anbahnende Herausbildung einer geein-ten Führung der verschiedenen bewaffneten Widerstandsgruppen wurde durch die Demobilisierungskampagne obsolet.1316 Die von Rojas Pinilla erlassene Amnestie und die folgenden entregas setzten dem von den llanos ausgehenden Zentrali-sierungsprozess der verschiedenen Widerstandsgruppen und der Herausbildung eines Guerillaoberkommandos ein jähes Ende.

Eine Amnestie zu erlassen, zeugt immer auch davon, dass die involvierten Konfliktparteien über ein annäherndes Kräftegleichgewicht verfügen, was kei-ner Seite erlaubt, sich in den bewaffneten Auseinandersetzungen durchzusetzen.1317Zwar hatten die Widerstandsgruppen während der Regierungszeit von Gómez an militärischer Stärke gewonnen und eine Tendenz zur Zentralisierung von Befehls-strukturen entwickelt. Mit der Annahme der von der Militärregierung angebotenen Amnestie und der folgenden entregas sahen sich die Kombattantengruppen aller-dings dieser Qualitäten als militärisch zunehmend schlagkräftigerer und politisch ernstzunehmender Akteur beraubt. Karl ist in diesem Sinne zuzustimmen, wenn er festhält, dass „die Amnestie, als militärische Strategie, eine Meisterleistung war. Die Amnestie stellte weniger ein Zugeständnis an stärker werdende guerri- llas als deren Niederlage dar“ – entwaffnet und demobilisiert hatten sie nicht mehr die Druckmittel in der Hand, politische Reformen zu forcieren.1318

Angesichts des vergleichsweise schnellen Befriedungsprozesses, vor allem in den llanos orientales , genoss der neue Präsident Kolumbiens zwar unter weiten Teilen der Bevölkerung und des politischen Establishments hohes Ansehen und durchaus politische Legitimität. Mit der Amnestierung und Demobilisierung der Kombattanten im Zuge des Regierungsantritts von Rojas Pinilla wurden aller-dings weder die (vorgestellten) Differenzen zwischen den Fraktionen des poli-tischen Feldes Kolumbiens der 1950er Jahre getilgt noch seine Topographie grundlegend geändert. Daher war die von Rojas Pinilla erlassene Amnestie nicht gleichzusetzen mit der Beendigung des Konfliktes zwischen den verschiedenen Fraktionen im politischen Feld Kolumbiens bzw. der Eliminierung der diesen bedingenden Faktoren.1319 Dem Putsch folgte lediglich ein temporärer Rückgang in den Ausmaßen der Gewalt und ihrer Intensität.1320 Bürgerkriege zeichnen sich dadurch aus, dass deren Gewaltaufkommen und -intensität nicht linear oder kon-tinuierlich verlaufen, das heißt ein Abflauen der kriegerischen Auseinanderset-zungen darf nicht vorschnell mit der Beendigung des Bürgerkrieges gleichgesetzt werden – wie Zeitgenossen oftmals schlussfolgern.1321

Die von Karl benannte Niederlage der guerrilla , das heißt die dem Amnes-tieangebot folgenden Demobilisierungen, war kein militärischer Sieg der staat-lichen Sicherheitskräfte über die Widerstandsgruppen und führte nicht zu einer dauerhaften Beilegung der Konflikte zwischen Liberalen, Konservativen und Kommunisten, die zu den bewaffneten Auseinandersetzungen geführt hatten. Die Annahme der Amnestie und die Demobilisierung war vielmehr Ausdruck einer gewissen Kriegsmüdigkeit vieler Kombattanten.1322 Der Militärregierung gelang es, die im Namen der Liberalen, Konservativen und Kommunistischen Partei Kämpfenden zu demobilisieren, ohne ihnen letzten Endes wirkliche Zugeständ-nisse zu machen.1323 Des Weiteren gehörte die Regierung Rojas Pinilla zu den Regierungen, die im Rahmen einer Befriedungskampagne Amnestien erlassen, aber oftmals nicht in der Lage, oder nicht gewillt, sind, die Zusagen und Verein-barungen auch einzuhalten, das heißt, nicht in der Lage sind, die mit der Amnestie anvisierten Ziele zu erreichen.1324

6.2.1 Die begrenzte Reichweite der staatlichen

Wiederaufbaumaßnahmen

Die am 2. Juli 1953 gegründete Oficina de Rehabilitación y Socorro , welche die Rückkehr von Vertriebenen unterstützen sollte und für den Wiederaufbau zerstör-ter Häuser und Landgüter Kredite vergab, verhalf zwar den Ankündigungen der Militärregierung zu mehr Glaubwürdigkeit. Die Gründung der Oficina wurde von Zeitgenossen als adäquates Mittel gesehen, auf eine dauerhafte Befriedung des Landes hinzuarbeiten und die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass die partidos tradicionales ihre althergebrachten Rivalitäten beilegen konnten.1325 Ähnliches galt für die Gründung des Instituto de Colonización e Inmigración (ICI) durch die Regierung Rojas Pinilla einen Monat nach dem Machtantritt des Generals. Mit dem ICI sollte dem Problem begegnet werden, dass viele in der Landwirtschaft Tätige über keine eigenen Landparzellen verfügten. Des Weiteren sollte so das Konfliktpotenzial verringert werden, das die illegale Inbesitznahme von fincas bzw. deren unrechtmäßiger Verkauf hervorgerufen hatte.1326

Die effektive Reichweite der von Rojas Pinilla aufgelegten Wideraufbaumaß-nahmen durch die beiden genannten Institute und den im September 1954 nach peronistischem Vorbild gegründeten und von dem General zur Schaffung politi-schen Rückhalts genutzten Secretariado Nacional de Asistencia Social (SENDAS) waren allerdings begrenzt.1327 In erster Linie kamen Gemeinden in den Genuss von Wiederaufbaumaßnahmen und Hilfsleistungen, in denen die rezenten gewaltsa-men Auseinandersetzungen und die mit ihnen verbundenen Vertreibungen libera-ler Bürger konservative Mehrheiten geschaffen hatten oder die sich durch eine relativ geringe vorherige Gewaltintensität auszeichneten. Regionen, von denen bekannt war, dass ihre Bewohner die Widerstandsgruppen unterstützt hatten, oder die im politischen Dissens zu der Militärregierung standen, wurden deutlich weni-ger stark unterstützt.1328 Mit Blick auf die geplanten Kolonisationsunternehmun-gen im Osten Tolimas stellt Londoño Botero fest, dass „die Institutionszeitschrift, jenseits einer PR-Kampagne ( despliegue publicitario ) für den Instituto de Colo- nización , sehr wenig darüber informiert, was das Institut tatsächlich erreicht hat“, obwohl die Ziele gewesen hochgesteckt waren. Immerhin 600.000 Hektar waren für Besiedlungsprojekte ausgewiesen und die infrastrukturelle Erschließung der Region Alto Sumapaz, Cabrera und Villarrica beschlossen worden.1329

Einen Rückschluss auf die Effizienz der tatsächlichen Unternehmungen lässt der Umstand zu, dass ein Monat benötigt wurde, um die aus Santander herbeige-schafften Traktoren über die letzte Etappe des Weges von einer Länge von unge-fähr 20km zu transportieren – am Ziel angekommen konnten sie trotzdem nicht genutzt werden, da es in der Region an Treibstoff mangelte, der aus Bogotá ange-liefert werden musste.1330

Ungeachtet der ambitionierten Pläne des ICI beklagten mehrere ehemalige liberale Widerstandskämpfer in einem Memorandum an die Dirección Nacional Liberal , dass ihnen jedwede Hilfe vorenthalten würde. Selbst elementare Werk-zeuge, um ihr Überleben in der unwirtlichen Region zu sichern, würden den Autoren des Schreibens fehlen, zu denen auch Juan de la Cruz Varela gehörte.1331Die begrenzte Reichweite der staatlich initiierten Infrastrukturmaßnahmen und die prekäre Präsenz des Staates in der Region spiegelten sich auch in dem testi- monio eines Zeitzeugen wider, der den größten Teil seines Lebens in Sumapaz verbracht hatte und sich dem Anlegen von Landparzellen widmete:

Die Befriedung des departamento sah sich allerdings keineswegs nur durch Defizite in der Koordination, Finanzierung und Ausstattung der von der nationals-taatlichen Ebene mit den Wiederaufbaumaßnahmen beauftragten Entitäten behin-dert. Auf der lokalen Ebene erhöhte die Rückkehr Tausender desplazados an ihre Heimstätten, die in den Jahren zuvor wegen der gewaltsamen Auseinandersetzun-gen geflohen waren, das Konfliktpotenzial weiterhin. Viele der Vertriebenen, die mit Rojas Pinilla im Präsidentenamt auf ihre verlassenen fincas zurückkehrten, fanden diese durch dritte Personen besetzt oder in Abwesenheit der rechtmäßi-gen Besitzer verkauft vor, was Anlass für erneute Konflikte barg.1333 Varela und seine Weggefährten beklagten, dass die Mitglieder der Liberalen Partei, die „in der Phase des terror laureanista “ gewaltsam von ihrem Land vertrieben worden waren, nach dem Machtantritt von Rojas Pinilla keinerlei Rechte einklagen konn-ten.1334 In dem Maße, wie die desplazados die Rückgabe ihres Landes forderten, wurden sie von denjenigen, „die sich des Landes, das ihnen nicht gehörte, gewalt-sam bemächtigten“, als kommunistische Unruhestifter diffamiert.1335 Auch Ange-hörige der Streitkräfte, so fuhren die Autoren des Memorandums fort, würden „fabelhafte Gewinne mit den Gütern derjenigen, die sie selber zur Flucht gezwun-gen hatten, um ihr Leben zu retten“, machen.1336

Mit diesem Punkt sprachen die Autoren des Memorandums eine komplexe Dimension der dritten Phase des Untersuchungszeitraums an. Auf der II. Con- ferencia Regional del Sur formulierten die kommunistischen Gruppierungen die Forderung, dass durch die Violencia Vertriebene bei ihrer Rückkehr das Land zurückerhalten mussten, das – vor allem während der Regierungszeit Gómez’ – Dritte illegal in Besitz genommen hatten. Diese Forderung teilten die kommu-nistischen Akteure mit liberalen (ehemaligen) Widerstandsgruppen, die selbige Bedingung als Gegenleistung für die Demobilisierung stellten.1337

Viele bewaffnete Akteure hatten unter der Regierung Laureano Gómez politi-sche Motive angeführt, um eine, wenn auch fragile, Legitimation für ihr Gewalt-handeln anführen zu können, dem in erster Linie aber ökonomische Motive zugrunde lagen.1338 El Tiempo verwies darauf, dass die Mitte der 1950er Jahre erneut zunehmende Gewalt eine sozio-ökonomische Komponente habe, denn „die Leute mussten von ihren geringen Besitztümern vertrieben werden, damit diese besetzt werden oder ihre Eigentümer gezwungen werden konnten, die Häuser und Felder unter Wert zu verkaufen“.1339 Ebenso erkannte das entgegengesetzte poli-tische Spektrum an, dass die sich intensivierende Gewalt einer ökonomischen Logik folgte. Unter Rückgriff auf den Offizier der Streitkräfte Navas Pardo stellte Diario de Colombia fest, dass „die Gewalt auch als Geschäft, als Mittel, Gewinne zu erzielen, erscheint […und] somit die Industrie des Massakers und des Raubes existiert“1340

In der Regel waren allerdings die konkreten Akteure, welche die finqueros gewaltsam von ihrem Land vertrieben bzw. den Verkauf weit unter Wert erzwan-gen, nicht diejenigen, die ökonomischen Nutzen aus der Gewaltsituation ziehen konnten, das heißt sie waren nicht die Personen, die das Land in Besitz nahmen.1341Obgleich die Kombattantengruppen im Zuge der von der Regierung Rojas Pinilla erlassenen Amnestie demobilisiert worden waren, wehrten sich die Hintermänner, die von den bewaffneten Auseinandersetzungen, teilweise massiv, profitiert hat-ten, gegen die Rückgabe des von ihnen beanspruchten Landes.1342

Der Wechsel im Präsidentenpalast in Bogotá im Juni 1953 bedeutete mitnich-ten, dass die Nutznießer der Violencia die sie schützenden und unterstützenden Beamten in der Verwaltung und den staatlichen Sicherheitskräften auf der lokalen Ebene verloren hätten. Henderson konstatiert, dass für die dritte Phase des Unter-suchungszeitraums, die mit der Regierungszeit von Rojas Pinilla zusammenfällt, ökonomische Motive für das Gewalthandeln im Vergleich zu den vorherigen Jahren an Bedeutung gewannen.1343 Dieser Umstand lag sicherlich auch in den desaströsen, sowohl wirtschaftlichen als auch sozialen Folgen des gewalttätigen Konflikts begründet. Die Persistenz staatlicher Repräsentanten und Bedienste-ter der Regierung Gómez in ihren Posten war allerdings in diesem Zusammen-hang von zentraler Bedeutung. Sie bildeten den politisch willfährigen Rahmen, der erst gewährleistete, dass die ökonomischen Zielsetzungen durch das Gewalt-handeln erreicht werden konnten. Die Industrie des Massakers , wie es Navas Pardo nannte, war nur möglich gewesen durch Politiker, welche die gewaltsamen Aneignungen des Besitzes Vertriebener tolerierten, durch Bürgermeister, welche die Präsenz von Gewaltkollektiven duldeten, durch Notare, welche die angebli-che Rechtmäßigkeit des Besitzerwechsels entsprechend beglaubigten, und durch Staatsbedienstete, die den Klagen der Enteigneten kein Gehör schenkten. Und oftmals blieben diese Beamten aus der Regierungszeit Gómez’ auch unter Rojas Pinilla in Amt und Würden.

6.2.2 Die Kontinuität von politischen Beamten aus der Vorgängerregierung

Die Militärregierung, die sich in der Regierungspropaganda als über den Inter-essen und Anliegen der Traditionsparteien stehend präsentierte, zeichnete sich auf der Akteursebene durch eine beachtliche Kontinuität von Beamten, Politikern und Kommandeuren der staatlichen Sicherheitskräfte aus, die zutiefst in die vorheri-gen gewaltsamen Auseinandersetzungen involviert gewesen waren – und sie teil-weise erst ermöglicht hatten.

Weiterhin hatte die Amnestie der Regierung Rojas Pinilla nicht nur eine Gewalt hemmende Wirkung, da nicht wenige aktive Gewaltakteure in ihren Genuss kamen und erneut auf freien Fuß gesetzt wurden. Das bekannteste Beispiel ist sicher-lich der als El Cóndor berühmt-berüchtigt gewordene León María Lozano, der die Violencia in Valle in entscheidendem Maße prägte.1344 Auch Ernesto Lucena Bonilla, dirigente liberal und der Mitgliedschaft in der Junta Revolucionaria am 9.4.1948 in Ibagué beschuldigt, beklagte die Kontinuität von Beamten, die bereits unter Gómez ihre Posten innegehabt hatten. Er verteidigte in seiner Funktion als Rechtsanwalt Cristóbal Ramírez, der des Besitzes von Bomben beschuldigt wurde. Lucena Bonilla kritisierte die Ermittler, die ihre Arbeit nach dem Putsch von Rojas Pinilla aufgenommen hatten, harsch. In seinen Augen waren die Beam-ten „Menschen, die glauben, dass in diesen Land an diesem denkwürdigen Datum [dem 13.6.1953, dem Tag des Regierungsantritts von Rojas Pinilla] nichts passiert ist und sie deshalb weiterhin ihrem verdorbenen und kriminellen Vorgehen folgen können, das bis dahin in dem Land geherrscht hatte“.1345

Auch andernorts war auszumachen, dass Staatsbedienstete des alten Regimes nach dem Machtantritt von Rojas Pinilla weiterhin in Amt und Würden waren. Diario del Tolima nahm die in vielen Büros nach wie vor präsenten Portraits des ehemaligen Präsidenten als Anlass für seine Kritik an dem Verbleib von Beam-ten in den Posten, die sie bereits unter Gómez bekleideten. Rhetorisch fragte der Kommentator: „Was bedeutet dies? Oder ist es der Fall, dass bis hierhin [in die Gemeinde Honda, L. R.] der 13. Juni nicht gelangt ist?“. Die Bilder Gómez’, die in der Gemeinde in Nordtolima noch „in allen öffentlichen Einrichtungen“ hingen, zeugten seiner Meinung nach von „der Unterstützung ( adhesión ) seiner Person und seines Werkes“.1346

Zu den Personen, welche die rezenten politischen Ereignisse nicht in ihrer gänz-lichen Tragweite wahrgenommen hatten, gesellte sich der dirigente conservador Jaime Pava Navarro. Dieser würden aus Sicht des liberalen Kommentators zu den Personen gehören, die „den vergangenen Möglichkeiten nachtrauern und der Idee anhängen, dass Laureano Gómez zurückkehren wird“.1347 Vicente Cantero, Mit-glied der Liberalen Partei, schrieb im Juni 1954 aus Kingston (Jamaika) an Rojas Pinilla und kritisierte den Verbleib der „gewalttätigsten und sektiererischsten Männer“ in ihren Ämtern unter dem neuen Präsidenten. Cantero wies ihn darauf hin, dass es ein Paradoxon und „ein Fehler [sei], den Frieden und die Gerechtig-keit mit den Aposteln des Hasses und des Schreckens schaffen zu wollen“.1348

Vielsagend in diesem Zusammenhang ist das Schreiben, das der Directorio Conservador de Cundinamarca im September 1954 an Rojas Pinilla sandte. Er beklagte die Zunahme der Gewalt gegen die Bewohner des Grenzgebietes zum departamento Tolima, die der Konservativen Partei angehörten. Die der Gewalt ausgesetzten Konservativen bezeichneten die dirigentes políticos dabei entgegen der offiziellen Rhetorik von Rojas Pinilla, der betonte, dass die Militärregierung nicht der traditionellen Spaltung des politischen Feldes entlang der Grenzen der Traditionsparteien gehorchte, als „Mitglieder der Regierungspartei“.1349 Viele konservative Politiker fühlten sich offenbar auch unter der Präsidentschaft von Rojas Pinilla als Vertreter der Regierung.

6.2.3 Die Persistenz von Gewaltakteuren unter der Militärregierung

Das Festhalten der Regierung Rojas Pinilla an Beamten, die bereits unter Lau-reano Gómez Dienst getan hatten, beschränkte sich allerdings mitnichten nur auf den zivilen Teil der politischen Institutionen und der Beamtenschaft. Auch in den Reihen der staatlichen Sicherheitskräfte blieben Inhaber des legitimen, staatli-chen Gewaltmonopols, die in hohem Maße in die vorangegangen gewaltsamen Auseinandersetzungen verstrickt gewesen waren, ungeachtet der Brüche auf der nationalstaatlichen Ebene in Amt und Würden.

Nach der Absetzung des Generals Rojas Pinilla nutzte der ehemalige Unterof-fizier des Heeres Julio Cobo die gewandelten politischen Rahmenbedingungen, um in einem Schreiben an mehrere liberale Tageszeitungen und Politiker über den „Grund für fast alle Verbrechen in Valle del Cauca, Tolima, Bogotá und weiteren Teilen des Landes“ zu berichten.1350 Den Urheber dieser Vergehen sah er in der Person des conservador sectario und Oberstleutnants Luis Felipe Acosta, den der Autor des Schreibens „als Unteroffizier des Heeres leider als Vorgesetzten in zwei seiner schrecklichsten Handlungen ertragen musste“.1351 Acosta habe sich seinem ehemaligen Untergebenen zufolge als militärischer Bürgermeister in Pacho und La Palma zahlreicher Verbrechen gegen die Bürgerschaft schuldig gemacht. Erst nach Intervention der Regierung habe Acosta sein Schreckensregime zumindest deutlich abgemildert. Bis zu diesem Zeitpunkt seien laut Cobo Folterungen und Misshandlungen an der Tagesordnung gewesen. Wie weiter berichtet wurde, habe der Kauf der liberalen Tageszeitung El Tiempo ausgereicht, damit Acosta die Festnahme und Auspeitschung der Zeitungskäufer auf der plaza pública befohlen habe.1352

Die Ermittlungen zum bis heute unaufgeklärten Mord an dem linksliberalen Journalisten Héctor Echeverry Cárdenas in Ibagué 1957 richteten sich unter ande-rem gegen Angehörige der Polizei, denen Komplizenschaft mit den konserva-tiven Auftragsmördern, den berühmt-berüchtigten pájaros , vorgeworfen wurde. Der Polizeibeamte José Barón Rodríguez erklärte in seiner Aussage, dass einer seiner verdächtigten Kollegen, Joselín Vargas Guatama, wegen eines nicht näher benannten Delikts aus dem Polizeidienst entlassen worden sei. Obwohl das Ver-gehen als so gravierend gewertet wurde, dass er nicht mehr für den Dienst in der hochgradig politisierten Polizei ( chulavitas ) geeignet war, fand Vargas Guatama Anstellung in dem Heer.1353

Aber nicht nur in den Streitkräften kamen Akteure mit einer, teilweise extrem, gewalttätigen Vergangenheit nach den politischen Umwälzungen im Juni 1953 unter. Zwar führte Rojas Pinilla den Inlandsgeheimdienst Servicio de Inteligencia Colombiano (SIC), der die unter Gómez stark politisierte Prefectura Nacional de Seguridad ablöste, als Beispiel für die politische Neutralität der staatlichen Sicherheitskräfte an.1354 Dessen ungeachtet stellte dieser nach dem Regierungs-wechsel 1953 ein Sammelbecken für viele politisch motivierte Gewalttäter wie pájaros oder chulavitas dar. Der in Kingston wohnhafte Liberale Vicente Cantero beklagte 1954 in einem Brief an Rojas Pinilla, dass in den Reihen der staatlichen Sicherheitskräfte nach wie vor viele „getarnte chulavitas ( chulavitas disimula- dos )“ tätig seien.1355 Selbst der Konservativen Partei zugehörige Bürger erkannten an, dass ein Jahr nach dem Regierungswechsel noch unzählige „Vertreter der alten gewalttätigen und sektiererischen Politik“ als Beamte Dienst tun würden.1356

Einer der Vertreter der alten gewalttätigen und sektiererischen Politik in Staats-diensten war offenbar Silvio López, der beschuldigt wurde, Anführer konserva-tiver pájaros zu sein und ein Massaker an der Familie eines liberalen finquero begangen zu haben. Obwohl er als Polizeibeamter tätig war, wurde er von seinem Vorgesetzten beschuldigt, „jede Art von Verbrechen in der Umgebung der Stadt Ibagué begangen zu haben“.1357 Selbst nachdem er aus dem Polizeidienst entlas-sen worden war, konnte López allerdings noch auf Unterstützung aus den Reihen seiner ehemaligen Kollegen zählen. Diese liehen ihm Polizeiuniformen, die er dazu nutzte, um als scheinbarer Angehöriger der staatlichen Sicherheitskräfte das Vertrauen seiner Opfer zu gewinnen.1358

Auch andere Fälle verdeutlichten die engen Banden, die zwischen staatlichen Sicherheitskräften, politischen Amtsinhabern und konservativen Gewalttätern bestanden. Zwar war Julio Atehortúa unter dem Pseudonym El Gitano als Auf-tragsmörder ( pájaro ) konservativen Hintermännern zu Diensten. Gleichzeitig fungierte er aber als Vorsteher der politischen Exekutive ( corregidor ) in dem in unmittelbarer Nähe zur capital departamental gelegenen Weiler El Salado. Der dirigente conservador Quintiliano Triana hatte sich dafür eingesetzt, dass Atehortúa zum corregidor des kleinen Ortes ernannt wurde. Als El Gitano nach einem von ihm begangenen Mord mit blutverschmierter Kleidung in eine Bar kam, bekundete er unverblümt, dass ihn die Anzeige wegen Mordes nicht beunru-hige. Cabal, der mit den Ermittlungen beauftragte Bürgermeister von Cajamarca, sei einer seiner Freunde, mit dem er zusammen in der Polizei in Valle gedient habe, sodass er von dieser Seite nichts zu befürchten habe. Mit dieser Einschät-zung lag er offenbar richtig, denn Cabal warnte Atehortúa wenige Tage später und forderte ihn auf, die Region zu verlassen und sich unauffällig zu verhalten, nicht ohne ihm die noch ausstehenden Lohnzahlungen für seine Dienste als co- rregidor auszuzahlen.1359 Der SIC sorgte sich ebenfalls um El Gitano, sammelte in seinen Reihen Spenden für diesen und versicherte ihm, dass ihm nichts passieren würde. Der Inlandsgeheimdienst habe denn auch den Transport für El Gitano nach Bogotá organisiert, um ihn aus dem Visier ihm nicht wohl gesonnener Ermittler in Tolima zu nehmen.1360 Das Verhalten des SIC war insofern wenig verwunderlich, als dass der bereits erwähnte Luis Felipe Acosta, der als alcalde militar für will-kürliche Verhaftungen und Folterungen von Liberalen verantwortlich war, nach dem Putsch von Rojas Pinilla in eine führende Position des SIC berufen wurde. Den ihm hörigen pájaros verschaffte er Posten in den Reihen des Inlandsgeheim-dienstes, die sie vor einer etwaigen Strafverfolgung schützten.1361 Gleichzeitig waren aber auch Beamte des SIC selber in Zusammenschlüssen der konservativen Auftragsmörder aktiv.1362

Die engen Kontakte zwischen SIC und pájaros bzw. der Aufnahme von letz-teren in den Staatsdienst entging auch der Bürgerschaft nicht. Alberto Holguin Pelaez, Redaktionsleiter der liberalen Zeitung Tribuna , bezeichnete die krimi-nellen Verbindungen zwischen SIC, pájaros und konservativen Lokalpolitikern als offenes Geheimnis in Ibagué.1363 Als im Zentrum der Hauptstadt Tolimas der linksliberale Journalist Héctor Echeverry Cárdenas von unbekannten Tätern nie-dergeschossen wurde, beschuldigten viele liberale Einwohner der Stadt das Per-sonal des SIC, Urheber des Mordes zu sein bzw. das Klima geschaffen zu haben, das solche Morde auf offener Straße ermögliche. Diese Beschuldigungen gegen die Geheimpolizei wurden des Weiteren durch Gerüchte verstärkt, denen zufolge ein Unteroffizier des SIC einem Unbekannten eine Waffen mit der kryptischen Ansage, „mit dieser habe er das zu erledigen, was er tun müsse“, gegeben habe.1364

Der zur Untersuchung des Verbrechens eingesetzte Ermittler sah sich gezwun-gen, den Gouverneur um die Kasernierung des Personals des SIC zu bitten.1365 Die Petition des Ermittlers diente der Vermeidung von gewaltsamen Zusammenstößen zwischen staatlichen Sicherheitskräften und den aufgebrachten Bürgern der mehr-heitlich liberalen Stadt. Letztere hatten der Militärregierung ein Ultimatum von 24 Stunden gegeben hatten, um die Beamten des SIC aus der Stadt abzuziehen.1366

Die oftmalige Kontinuität von Politikern und Vertretern des Staates auf der lokalen Ebene zwischen der Regierung von Gómez und der des Generals Rojas Pinilla einerseits, die Politisierung der staatlichen Sicherheitskräfte und deren Zusammenarbeit mit bewaffneten konservativen Zivilisten andererseits führten zu den engen, teilweise offensichtlichen, Verbindungen zwischen konservativen Gewaltakteuren und Lokalpolitikern. Oftmals gestalteten sich die engen Bezie-hungen zwischen Politikern und Gewaltakteuren mit dem Regierungsantritt von Rojas Pinilla sogar noch enger, als Offiziere der Streitkräfte, und in geringerem Umfang der Policía Nacional , Ämter als Bürgermeister oder Gouverneure sowie andere Posten in der Exekutive übernahmen, das heißt Gewaltakteure politische Verantwortung übernahmen. Der Offizier Julio Terrón hielt in seinem Bericht zum Orden Público in Osttolima fest, dass unter weiten Teilen der Bevölkerung der Region nicht nur wegen der Nichteinhaltung von Zusagen Unzufriedenheit herr-sche. Missfallen rufe auch der Umstand hervor, dass „in Cabrera und La Aurora Personen als (Militär-)Kommandanten tätig sind, die bereits in der Phase der Vio- lencia dort Dienst taten und große Massaker verübten“.1367 Auch das Verhalten der der Beamten der Policía Nacional lasse nach wie vor zu wünschen übrig: „sie betrinken sich und es kommt zu Übergriffen ( arbitrariedades )“.1368

6.3 Die erneute Formierung von bewaffneten Widerstandsgruppen

Die Kontinuität politischer Amtsträger und die fortwährende Aktivität von Gewaltakteuren einerseits, die Defizite der staatlich organisierten Rehabilitati-ons- und Wiederaufbauprogramme andererseits erklären zu einem großen Teil, warum die Einrichtung der Militärregierung nicht zu einer dauerhaften Been-digung der gewaltsamen Auseinandersetzungen führte. Die tief sitzende Feind-schaft zwischen Anhängern der Konservativen und Liberalen Partei ließ sich nicht per Regierungsdekret oder die Verkündung einer Amnestie beilegen. Viele Staatsbedienstete, die sich der von Gómez repräsentierten konservativen Mission verpflichtet fühlten, blieben auch nach dem Regierungswechsel, wie dargelegt wurde, in Amt und Würden. Aus den staatlichen Machtpositionen gingen sie wei-terhin gegen die ehemaligen liberalen Kombattanten vor, welche die Regierung diplomatisch guerrilleros nannte, in den Augen vieler Beamte und Repräsentan-ten des Staates aber nach wie vor kriminelle bandoleros waren.1369 Ungeachtet der Amnestie, welche die Widerstandskämpfer gegen die Regierung Gómez als Gegenleistung für ihre Demobilisierung erhalten hatten, wurden unzählige Ex-Kombattanten Opfer extralegaler Tötungen durch pájaros , chulavitas disimula- dos oder lediglich formal demobilisierter, aber weiterhin aktiver konservativer contrachusmas .1370

Der Tod von acht demonstrierenden Studenten im Juni 1954 in Bogotá sym-bolisierte auf der nationalen Ebene die zunehmend repressivere Ausrichtung der Regierung Rojas Pinilla.1371 Die Tötung des ehemaligen dirigente guerrillero Guadalupe Salcedo durch die Polizei, die besonders große Aufmerksamkeit erfuhr, war nur einer von vielen Fällen.1372 In Tolima erregten Ende 1954 insbesondere die Tötungen von David Cantillo (alias Triunfante) sowie Tiberio Borja (alias Córdoba) und seinem Bruder Leonidas (alias El Lobo) Aufsehen. Diese hatten den liberalen bewaffneten Widerstand in Rovira angeführt und zu den ersten gue- rrillas in Tolima gehört, die das Amnestieangebot angenommen und sich demo-bilisiert hatten.1373 Die extralegalen Erschießungen der amnestierten Ex-Kombat-tanten erregte starkes Misstrauen unter ihren ehemaligen Weggefährten wie Jesús María Oviedo (alias Mariachi) oder Teófilo Rojas (alias Chispas), die fürchte-ten, das gleiche Schicksal könne auch sie ereilen.1374 Chispas zufolge „mussten sich die Überlebenden der Familie Borja und Cantillo erneut organisieren, um zu sehen, wie sie sich verteidigen konnten, und sie verteidigten uns, die nicht in der Lage waren, die Waffen gegen die Polizei, das Heer und die sogenannten pájaros zu ergreifen“.1375

Sánchez beschreibt die Morde an den genannten ex-guerrilleros und die fol-gende, erneute Formierung bewaffneter Widerstandsgruppen als Beginn einer erneuten Phase der Violencia , in der es zu den ersten gewalttätigen Aktivitäten der späteren Protagonisten des Konflikts in Tolima – wie William Angel Aranguren (alias Desquite) und Teófilo Rojas (alias Chispas) – kam.1376

Die Offiziere der Streitkräfte, die mit den Regierungsgeschäften in dem depar- tamento Tolima beauftragt waren, bemühten sich zwar, die extralegalen Tötungen der begnadigten Ex-Kombattanten als Einzelfälle darzustellen. In Versammlungen mit der Bürgerschaft versuchten sie, diese davon zu überzeugen, dass die Politik der Militärregierung weiterhin auf die umfassende Befriedung des Landes ziele und die extralegalen Tötungen amnestierter Ex-Kombattanten nicht die Regie-rungspolitik darstellen würden.1377 Dessen ungeachtet konnten die sich erneut for-mierenden Widerstandsgruppen auf Wohlwollen und Unterstützung der Zivilbe-völkerung in ihren Operationsgebieten zählen, da sich diese, wie Chispas es zum Ausdruck brachte, auch um den Schutz der Zivilisten sorgten, die sich nicht gegen chulavitas disimulados und pájaros verteidigen konnten.

In vielen von der Violencia betroffenen Regionen waren die Widerstandsgrup-pen, zumindest für die liberalen Zivilisten, die einzigen Garanten des Rechts auf körperliche Unversehrtheit und der Verteidigung vor konservativen Gewalttätern. Der Anwalt von Pablo Reina González, welcher der Unterstützung der bewaffne-ten Gruppen angeklagt wurde, versuchte seinen Mandanten zu entlasten, indem er anführte, dass es in der Region, in der Reina González wohnte, keinerlei staatliche Sicherheitskräfte gab, an die er sich hätte wenden können, um die Präsenz der liberalen Kombattanten anzuzeigen, die sich erneut formiert hatten. Der Beschul-digte gab allerdings zu Protokoll, von der Unterstützung der Kombattanten aus der Zivilbevölkerung gewusst zu haben. Ihm war bekannt, dass Mitarbeiter der Zeitung Tribuna der Gruppe um die verbliebenen Mitglieder der Familie Cantillo monetäre Unterstützung zukommen lassen würden.1378

José Manuel Sánchez, der zu der liberalen Widerstandsgruppe in der Region Rovira und San Antonio gehörte, deren Anführer von staatlichen Sicherheitskräf-ten getötet worden war, berichtete ebenfalls über ein weit verzweigtes Netz von Unterstützergruppen, das bis nach Ibagué reichte. Dieses versorge die Bewaffne-ten mit Lebensmitteln, Munition und Gegenständen des täglichen Bedarfs einer-seits, mit Informationen über Truppenbewegungen und ausrückende Kommissio-nen andererseits.1379 Ines Robayo beschuldigte ihre Cousine Ninfa Guzmán de Benavides die liberalen Widerstandsgruppen in der Gemeinde Rovira zu unter-stützen, der sich auch einer ihrer Söhne angeschlossen habe. Von allen relevanten Informationen wisse die chusma umgehend – Robayo fürchtete sogar, dass die Informationen, die sie in ihrer Aussage preisgab, an die liberalen Kombattanten weitergegeben würden, was einen Informanten innerhalb der Stadtexekutive vor-ausgesetzt hätte.1380

Als Grund, warum er sich im Alter von ungefähr 19 Jahren den liberalen Wider-standsgruppen in Rovira angeschlossen hatte, nannte José Manuel Sánchez seine Mitgliedschaft in der Liberalen Partei – oder wie er es ausdrückte: „ich schloss mich der roten chusma an, weil ich mit meinem ganzen Körper, meiner ganzen Seele liberal bin“.1381 Die Aussage von Sánchez verdeutlicht, dass sich die libera-len Kombattanten, die erneut zu den Waffen gegriffen hatten, bewusst waren, dass sich die Regierung Rojas Pinilla durch ausgeprägte konservative Tendenzen aus-zeichnete und liberale Politiker weitgehend von der Teilhabe an politischer Macht ausgeschlossen waren. Nicht nur, dass die Kontinuität konservativer Gewal-takteure ein mehr als greif- und spürbares Phänomen für liberale Parteianhänger auf dem Land war; die Gruppe, der Sánchez angehörte, wollte kämpfen, bis die Liberale Partei wieder die Regierung stelle.1382

Auch in Südtolima begaben sich die – offiziell demobilisierten – liberalen Widerstandskämpfer erneut in den bewaffneten Kampf, um sich gegen die nach den vermehrten extralegalen Tötungen amnestierter guerrilleros befürchteten Aggressionen der staatlichen Sicherheitskräfte zur Wehr setzen zu können. Das Misstrauen in die Regierung wurde des Weiteren durch die Nicht-Einhaltung der im Rahmen der Demobilisierung getätigten Zusagen verstärkt. Wie bereits erwähnt, äußerte Gerardo Loaiza schon im März 1954 gegenüber Rojas Pinilla sei-nen Unmut wegen der ausstehenden Leistungen vonseiten der Regierung.1383 Das Konfliktpotenzial in Südtolima war allerdings im Vergleich zu anderen Regionen des departamento ungleich höher. Viele der limpios , wie Leopoldo García oder der vormals auf kommunistischer Seite kämpfende Jesús María Oviedo, hatten sich nach der Absetzung Gómez’ den Streitkräften als ortskundige Hilfstruppen gegen die comunes , den gemeinsamen Feind von Liberalen, Konservativen und staat-lichen Sicherheitskräften, zur Verfügung gestellt. Aus diesem Grund hatten sie zumindest einen Teil ihrer Waffen behalten, die sie in der sich konfliktiver gestal-tenden Situation auch gegen die zeitweise verbündeten Streitkräfte richten konn-ten. Wie Romero Quijano hervorhebt, griffen die limpios auch zu den Waffen, um ihren Forderungen an die Regierung Rojas Pinilla Nachdruck zu verleihen. Der Entsendung größerer Militärkontingente nach Südtolima unter der Führung von Offizieren, die sich durch ein rücksichtloses Vorgehen in ihren Maßnahmen zur Befriedung des Landes und der Entwaffnung der limpios auszeichneten, folgte die erneute Organisierung bewaffneter liberaler Widerstandsgruppen im Grenzgebiet zu Huila.1384 Anfang 1956 kam es in der Gemeinde Chaparral zu größeren Mili-täroperationen, in denen die Streitkräfte gegen die liberalen Kombattantengrup-pen vorgingen und versuchten, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen.1385 6.4 Krieg dem Kommunismus: Die Guerra de Villarrica

Wie gezeigt wurde, zeichnete sich die Regierungszeit des Generals Rojas Pinilla durch teilweise deutliche Kontinuitäten von Gewaltakteuren, mitunter in Staatsdiensten, und konservativen Gewaltkollektiven aus. Auch mit Blick auf die politischen Amtsinhaber, insbesondere auf der regionalen und lokalen Ebene, war das Überdauern von sectarios aus der konservativen Vorgängerregierung zu beob-achten. Das Hauptaugenmerk legte die zunehmend repressiver agierende Militär-regierung jedoch in erster Linie auf die kommunistischen Kombattantengruppen, die sich oftmals nur entregas simbólicas unterworfen hatten. Die Kommunisti-sche Partei und ihre Gefolgschaft war für Rojas Pinilla nur schwerlich in das von ihm anvisierte politische System zu integrieren, das unter populistischen und zunehmend autoritäreren Vorzeichen stand.1386

Das Grenzgebiet zu Cundinamarca kann als Hauptschauplatz der Violencia in Tolima während der Regierungszeit von Rojas Pinilla bezeichnet werden. Die kommunistischen Kräfte in Osttolima waren zum einen durch die Ankunft der sureños aus dem Süden des departamento verstärkt worden. Diese zeichneten sich durch eine große Kampferfahrung aus, die sich sowohl aus den Landkämpfen der 1930er Jahre als auch den bewaffneten Auseinandersetzungen mit den staatlichen Sicherheitskräften und den limpios während der Regierung Gómez speiste. Zum anderen stellten exponierte dirigentes des bewaffneten, linksliberalen Widerstan-des Kontakte zu der Kommunistischen Partei her wie beispielsweise Juan de la Cruz Varela, der kurz nach seinem Eintritt in den PCC 1952 Kontakt zu dem kom-munistischen Politiker Pedro Ignacio Villamarín aufnahm.1387 Der Heeresoffizier Lombana nahm vor dem Hintergrund der sich anbahnenden Guerra de Villarrica an, dass Villamarín von Ibagué aus die Aktionen des bewaffneten Widerstandes in der Region Villarrica koordinierte, wie er in seinem Bericht zum Orden Público vermerkte.1388 Diese Befürchtungen wurden durch Berichte wie dem des Directo- rio Conservador de Cundinamarca verstärkt. Die konservativen Regionalpolitiker teilten dem Präsidenten mit, dass kommunistische Gruppierungen zusammen mit ehemaligen liberalen Widerstandskämpfern die Organisierung der lokalen Bevöl-kerung in der Region Sumapaz übernommen hätten, die De-facto-Ordnungsmacht seien und aggressiv gegen konservative Zusammenschlüsse vorgehen würden.1389

Der ohnehin ausgeprägte Antikommunismus in den Streitkräften wurde Mitte der 1950er Jahre durch die Rückkehr von kolumbianischen Veteranen aus dem Koreakrieg noch verstärkt, die sich in besonderem Maße durch Vorbehalte gegen kommunistische Ideologien auszeichneten.1390 Ausdruck des dezidierten Anti-kommunismus der Regierung Rojas Pinilla war das im September 1954 per Prä-sidialdekret erlassene Verbot, kommunistisches Gedankengut in Kolumbien zu verbreiten.1391 Der dirigente comunista Baltazar Fernández hielt fest, dass „Rojas zum einzigen Staatsoberhaupt wird, das es, solange die [Kommunistische, L. R.] Partei existiert, gewagt hat, nicht die Partei an sich, sondern die [von ihr vertre-tenen] Ideen zu verbieten.“1392 Die der Illegalisierung des Partido Comunista de Colombia gleichkommende Verfügung zwang die Mitglieder des PCC, ihre poli-tischen Aktivitäten vollständig in den Untergrund zu verlegen.1393

Begleitet wurde diese Maßnahme der Regierung Rojas Pinilla einen Monat spä-ter durch ein Dekret gegen „Verleumdung und Beleidigung“ ( Decreto 3.000 ). Mit dieser Verfügung wurde de facto jegliche Kritik an der Regierung, insbesondere in der Presse, verboten.1394 Und im April des Folgejahres bestimmte das Dekret 1.139, dass die Veröffentlichung von unbewiesenen, direkten oder indirekten Vor-würfen gegen die Streitkräfte und ihre Missionen als Sabotageakt zu werten seien, der mit zwei bis fünf Jahren Haft bestraft würde.1395

Die Präsenz der kommunistischen Kräfte, die 1953 dem Konflikt mit den limpios ausweichend aus Südtolima in den Osten des departamento gekommen waren, verschärfte die politische Situation in der Region Sumapaz. Auf das Ver-bot des PCC reagierten die kommunistischen Gruppierungen in Osttolima mit einer breit angelegten Propagandakampagne, die dem Motto „Die Kommu-nistische Partei ist verboten, es lebe die Kommunistische Partei“ folgte, wie sich die Zeitzeugin Mercedes erinnert. An Hauswänden, Brücken und ande-ren leicht zugänglichen Orten wurden die Logos und Schlachtrufe des PCC für jeden sichtbar angebracht.1396 Ungeachtet der sich anbahnenden Konflikte mit den Streitkräften bemühte sich der PCC um den weitergehenden Aufbau von Parteistrukturen und einer bereits in Südtolima erprobten Volksfront ( Frente Democrático de Liberación Nacional ) im Osten des departamento , in die auch Personen aufgenommen wurden, die dem PCC fernstanden.1397 Um diesen Orga-nisationsprozess zu unterstützen, entsandte das Zentralkomitee des Partido Comunista als politische Berater unter anderem Martín Camargo, der sich später in harsche Konflikte mit anderen dirigentes comunistas verstricken sollte, und Luis Morantes, der als Mitglied im Estado Mayor der FARC unter dem Namen Jacobo Arenas bekannt werden sollte. In Erwartung der bevorstehenden Angriffe der Streitkräfte wurden zugleich an strategisch günstigen Orten bewaffnete Wider-standszellen unter der Führung bereits erfahrener Kombattanten organisiert.1398

Die Befürchtungen des sich erneut formierenden Widerstands in Osttolima wurden spätestens ab November 1954 bestätigt, als es zu vermehrten Gefechten zwischen den Streitkräften und (ehemaligen) Widerstandskämpfern kam. Im Zuge dieser griff eine Patrouille des Heeres am 12.11.1954 das Haus in Mercadilla an, in dem sich Isauro Yosa mit anderen (ehemaligen) Kombattanten befand. Mehrere Personen wurden getötet – unter diesen der Bruder von Richard – und Yosa wurde zusammen mit Miguel Avilez festgenommen.1399 Isauro Yosa wurde zuerst in das in der Gemeinde Cunday eingerichtete Gefangenenlager gebracht, das von Zeit-genossen, knapp ein Jahrzehnt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, ankla-gend als „Konzentrationslager ( campo de conentración )“ bezeichnet wurde. In einem Memorandum an die Dirección Nacional Liberal brachten Varela und seine Gefolgsleute das Gefangenenlager in Cunday, den „Schlachthof,“ wie sie es nann-ten, explizit mit der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland und ihren Vernichtungslagern in Verbindung.1400

Die Festnahme von Yosa, bei der mehrere seiner Begleiter erschossen wur-den, und die Tötung von annähernd 100 campesinos in Puerto Nuevo, die auf die Ausstellung ihrer obligatorischen salvoconductos warteten, setzten Varela, Fabián Póveda und andere Unterzeichner eines Schreibens an Rojas Pinilla mit dem Beginn einer erneuten Gewaltwelle gegen die Bewohner Osttolimas gleich. Sie klagten die Verfolgung unschuldiger campesinos an, die als Kommunisten mit dem Ziel diffamiert würden, sich deren Landes zu bemächtigen.1401 Salomón Cuéllar und Varela schlugen die Einrichtung einer unabhängigen Kommission vor, um die Vorwürfe zu überprüfen, in Osttolima habe sich eine kommunistische, subversive Bewegung gebildet. Auf diese Weise hofften sie, „der Kraft der Ver-nunft“ zum Sieg zu verhelfen, „anstatt die Gewalt der Waffen zu gebrauchen“.1402In einem Flugblatt des FDLN klagten dirigentes comunistas im Dezember 1954, dass „die Soldaten auf friedfertige campesinos schossen“. In ihren Augen würden die Streitkräfte ein „Klima der Gewalt“ schüren, um die Aufrechterhaltung des Ausnahmezustandes und der damit verbundenen Sondervollmachten für die staat-lichen Sicherheitskräfte zu legitimieren.1403

Die Wahrnehmung der in der Landwirtschaft Tätigen als kommunistische Staatsfeinde würde, so die Autoren des Schreibens an die liberale Parteiführung, auch von den politisch-militärischen Autoritäten der Region geteilt, zumal unter diesen einige bereits unter Laureano Gómez in Amt und Würden gewesen waren. So sei Guillermo Quintero – den Urhebern des Memorandums zufolge verant-wortlich für das Massaker mit über 130 Toten in Mundo Nuevo im Februar 1953 – zum Oberkommandierenden des Militärpostens in Cabrera ernannt worden, der die Gewaltakteure bei ihrem Vorgehen gegen die campesinos und Landarbeiter unterstütze.1404

Ungeachtet der Sichtweise der Autoren des erwähnten Schreibens, nach der die Diffamierung als Kommunisten lediglich der Rechtfertigung der Gewalt diene, setzte sich in der Folge in der Militärregierung immer stärker die Überzeugung durch, dass die Region Osttolima das Epizentrum einer kommunistischen Unter-wanderung darstelle, die von ausländischen Kräften gesteuert würde.1405 Der Offi-zier Navas Pardo erklärte gegenüber der Presse, dass die Streitkräfte Dokumente gefunden hatten, die bewiesen, dass die Gewalt in Tolima einen kommunistischen Ursprung habe.1406 Als „Beweis“ für die Existenz einer aus dem Ausland gesteu-erten, kommunistischen Verschwörung wurde die kurz bevorstehende Festnahme bzw. Tötung des bereits in Spanien aktiven Lister genannt.1407

In den Augen der Militärmachthaber nahm die kommunistische Bedrohung in Osttolima immer größere Ausmaße an, und allein sie bedinge die zunehmende Gewalt. Auf Basis dieser Begründung wurden Streitkräfte im April 1955 mit der Zerschlagung der kommunistischen Kampfverbände in Osttolima beauftragt.1408Das Gebiet, das die Gemeinden Icononzo, Pandi, Melgar, Carmen de Apicalá, Cunday, Cabrera, Ospina Pérez und Villarrica umfasste, wurde de facto zu einem Kriegsgebiet („ zona de operaciones militares “) erklärt, das „von regulären Trup-pen des Heeres besetzt und organisiert werden wird“.1409 Anlass zu der Militär- offensive in Osttolima war ein Angriff der sich erneut formierenden bewaffne-ten Widerstandsgruppen auf einen Militärkonvoi einen Monat zuvor, der den Tod vieler Soldaten zur Folge hatte.1410

Unter Rückgriff auf diese Sondervollmachten verhängten die Streitkräfte eine nächtliche Ausgangssperre, verboten den Ausschank von Alkohol und verpflich-teten die Bewohner der Region, einen Passierschein bei sich zu tragen. Der Erlass der Streitkräfte drohte „der Bürgerschaft, dass diejenigen, die gegen die […] Anordnungen verstoßen, die Verantwortung dafür tragen, durch die Truppen des Heeres als Feinde behandelt zu werden“.1411

Zur Vorbereitung der großangelegten Militäroperation gegen die als kommunisti-sche Hochburg wahrgenommene Region veranlassten die Streitkräfte die Evakuie-rung der Kleinstadt Villarrica. Diese strebte dem Offizier Forero Gómez zufolge grundlegend zwei Ziele an. Einerseits sollten die Einwohner davor geschützt wer-den, dass die als bandoleros kriminalisierten Kombattanten sie weiterhin zu Unter-stützungsleistungen und der Abgabe von Lebensmitteln zwangen. Andererseits zielte die Maßnahme darauf, dass „die Streitkräfte mit voller Freiheit, drastischere Maßnahmen ergreifend, handeln können, ohne Angst zu haben, Opfer unter der Zivilbevölkerung zu verursachen“.1412 Es ist allerdings zu vermuten, dass die von den Streitkräften veranlasste Evakuierung der Region um Villarrica weniger den Schutz der Zivilbevölkerung vor den angekündigten drastischeren Maßnahmen des Heeres anstrebte. Vielmehr sollten dem bewaffneten Widerstand seine zivilen Unterstützer entzogen werden, denn die Einwohner der Region standen unter dem Generalverdacht des Heeres, in Komplizenschaft mit den Kombattanten zu stehen. Wie das Heer in seinen ersten Resultaten der Militäroperationen festhielt,

Der Beginn der Militäroperationen und die implizierten drastischeren Maßnah- men trafen die liberalen und nach dem Putsch von Rojas Pinilla durch die Ankunft der sureños angewachsenen kommunistischen Gruppen in Osttolima nicht gänz-lich unvorbereitet. Bereits im Dezember 1954 hatten die dirigentes políticos des FDLN ihre Sorge über einen bevorstehenden militärischen Angriff auf die Region Villarrica geäußert, wobei sie allerdings zu diesem Zeitpunkt von einem Angriff von lediglich 500 Soldaten ausgegangen waren.1414 Und Varela sowie andere diri- gentes políticos hatten schon im Januar 1955 vor dem Hintergrund der zunehmen-den Gewalt und der Passivität der staatlichen Sicherheitskräfte ihren Sorge zum Ausdruck gebracht, dass „sich eine neue Phase der Verfolgung und des Massakers herausbildet“.1415

Derartige Befürchtungen hatten die Widerstandskämpfer gegen die Regierung Gómez, wie beschrieben, dazu bewogen, sich nur in entregas simbólicas zu erge-ben. In Erwartung neuer Aggressionen hatten sie eine Vielzahl von brauchbaren Waffen nicht abgegeben, sondern im Hinterland versteckt, auf die sie Anfang 1955 zurückgreifen konnten. Auch Gelder aus den Agrarkrediten, die im Zuge der Befriedungsmaßnahmen der Regierung Rojas Pinilla vergebenen worden waren, wurden für den Kauf von Waffen und Munition verwendet.1416

Im Zuge der sich gegen Ende 1954 häufenden Scharmützel und sporadischen Zusammenstöße mit den Streitkräften hatte der sich erneut formierende Wider-stand eine Verteidigungslinie, die sogenannt cortina , eingerichtet. Der Vorhang , der aus Schützengräben und rudimentär angelegten Unterständen bestand, zog sich über eine Länge von mehreren Kilometern von Cunday bis in die Region der Gemeinde Prado.1417 Der Entschluss, den Streitkräften ungeachtet der ungünstigen Kräfteverhältnisse und der drohenden drastischen Maßnahmen in einer Art Stel-lungskrieg entgegenzutreten, und nicht aus der Region zu fliehen, zielte auch dar-auf, die Sicherheit der Familien der Kombattanten garantieren zu können. Diese und diejenigen Zivilisten, die nicht dem Aufruf zum Verlassen der Region gefolgt waren und die vor den Angriffen der insgesamt sieben entsendeten Heeresbatail-lone geschützt werden sollten, wurden von den Kombattanten hinter der cortina in Sicherheit gebracht.1418 Der Pfarrer Vásquez Caviedes, der Unterstützung der kommunistischen Verbände beschuldigt, beschrieb das Leben von ungefähr 1000 Personen hinter der cortina mit folgenden Worten: „Das war wie ein Dorf, denn es gab sehr viele Menschen und Familien, sie legten kleine Felder, Hütten und Wege in die Berge an“.1419

Die Entscheidung gegen die Organisierung des Widerstandes in mobilen Guerillaeinheiten fußte allerdings auch auf einer letzten Endes falschen Annahme. Die Kombattanten in Osttolima hofften, dass sich mit dem Beginn des bewaffneten Kampfes in der Region Villarrica auch in anderen Regionen wie Viotá bewaffnete Widerstandszellen reaktivieren würden und die Regierung Rojas Pinilla in kurzer Zeit gestürzt würde.1420 Zu mehr als verbalen Solidaritätsbekundungen kam es aber nicht: aktive Hilfe oder ein generalisierter Aufstand kommunistischer und liberaler Kräfte blieben aus.1421

Der bewaffnete liberal-kommunistische Widerstand sah sich somit in der soge-nannten Guerra de Villarrica einer gut ausgerüsteten Streitmacht gegenüber, die zu einem großen Teil aus Veteranen des Koreakriegs, dem Batallón Colombia , bestand. Das Heer setzte, nachdem es die Ortschaft Villarrica eingenommen und besetzt hatte, gepanzerte Fahrzeuge und schwere Artillerie ein und wurde weiter-hin von der Luftwaffe unterstützt, die auch vor dem Einsatz von Brandbomben gegen den bewaffneten Widerstand nicht zurückschreckte.1422 Insbesondere der Einsatz der Luftwaffe, die Verwendung von Bomben mit hoher Sprengkraft und der Mörserbeschuss riefen unter den bewaffneten campesinos großen Schrecken hervor. Die dichte Bewaldung der Region Villarrica gab den Angegriffenen jedoch ein Mindestmaß an Schutz vor den Luftangriffen, zumal diese Vogelscheuchen aufstellten, um die Piloten zum Abwerfen der Bomben an Stellen zu bewegen, wo die Sprengsätze keine größeren Schäden anrichteten.1423

Ungeachtet des Einsatzes von Flugzeugen, Artillerie und schweren Waffen konnten die staatlichen Sicherheitskräfte mangels geeigneter Lufttransportmit-tel auf den Einsatz von Infanterieeinheiten nicht verzichten. Auf dem Boden waren die Widerstandskämpfer oftmals im Vorteil gegenüber den Angehörigen der Streitkräfte und konnten ihre besseren Kenntnisse des Terrains in Überlegen-heit gegenüber dem Feind ummünzen. Die cortina hatten die Widerstandskämp-fer derart eingerichtet, dass sie sich im Falle des Vorrückens der Streitkräfte an strategische Posten zurückziehen konnten, um dann wieder die verlorenen Posi-tionen einnehmen zu können.1424 Gleichzeitig rückten Gruppen von Kombattan-ten oftmals vor, um den Gegner anzugreifen und dann wieder in die Stellungen der cortina zurückzukehren, womit Elemente des Stellungskrieges mit denen des mobilen Guerillakrieges kombiniert wurden.1425 Die Nachteile in der Bewaffnung gegenüber dem Heer versuchten die Kombattanten durch selbst gebaute Spreng-fallen auszugleichen. Eine massive Mine von hoher Sprengkraft, die aus einem mit Dynamit befüllten Rohr von bis zu zwei Metern Länge und einem Durchmes-ser von ungefähr 10 Zentimetern gebaut wurde, bezeichneten die Kombattanten in Osttolima als catalicón .1426

Dass die Schlagkraft der Infanteristen den Widerstandskämpfern dennoch große Verluste zufügte und diese in Angst und Schrecken versetzte, zeigt ein Ver-gleich von Jorge Wolf, ungarischer Exilant und colono in Sumapaz: In einem Brief verglich er im Juni 1955 die Vorstöße von Einheiten des kolumbianischen Heeres mit „Maßnahmen des Hitler’schen Blitzkrieges“.1427 Die besseren Orts-kenntnisse der verteidigenden Kombattanten, die Hinterhalte auf die angreifenden Streitkräfte unter Verwendung der catalicones ermöglichten, konnten die größere militärische Schlagkraft des regulären Heeres nicht aufwiegen.1428 Ungeachtet der widrigen Kräfteverhältnisse gelang es dem bewaffneten Widerstand allerdings, dem Angriff der Fuerzas Armadas nahezu ein Jahr lang zu widerstehen. Im Zuge der ersten Großoffensive des Heeres bis Juni 1955 mussten sich die Widerstands-kämpfer jedoch immer weiter in Richtung des Weilers Galilea, in unmittelbarer Nähe des Hochgebirges ( páramo de Sumapaz ) gelegen, zurückziehen.1429 Das mit ansteigender Höhe unwirtlichere Klima und die zunehmend schwierige Versor-gungslage – die Landparzellen und fincas der Widerstandskämpfer, von denen Lebensmittel besorgt werden konnten, lagen nach den mehrfachen strategischen Rückzügen oftmals jenseits der cortina – machte das Verharren im Widerstand zunehmend schwieriger. Die testimonios über die Guerra de Villarrica betonen unisono die Mühseligkeiten und die körperliche Schwäche der sich zurückziehen-den Kombattanten und Zivilisten. Insbesondere Letztere, unter denen sich viele Kinder und (schwangere) Frauen befanden, sahen sich ernsthaft durch den Man-gel an Nahrungsmitteln geschwächt. Viele von ihnen starben im monte , dessen Klima eine Vegetation zu eigen war, in der nur wenige genießbare Lebensmittel zu finden waren.1430

Nach der Offensive des Heeres Mitte 1955 riefen die Streitkräfte die Zivilis-ten erneut dazu auf, die Kombattanten zu verlassen und sich unter Garantie ihrer körperlichen Unversehrtheit den staatlichen Sicherheitskräften zu stellen.1431 Vor dem Hintergrund einer allgemeinen Demoralisierung und der in ihren Augen aussichtslosen Situation folgten viele nichtkämpfende Begleiter der bewaffneten Widerstandskämpfer dem Aufruf der staatlichen Sicherheitskräfte.1432

Buitrago Parra berichtet von Verhandlungen zwischen den Kombattanten und der Militärregierung über einen politischen Ausweg aus der Guerra de Villarrica , nachdem einige zivile Begleiter den bewaffneten Widerstand verlassen hatten. Unter anderem um eine friedliche Lösung für den sich anbahnenden Konflikt zu suchen, hatte der PCC Luis Morantes zu den bewaffneten Gruppen nach Ost-tolima entsandt. Die Gespräche verliefen allerdings insofern erfolglos, als dass die staatlichen Vertreter eine bedingungslose Kapitulation sowie die Abgabe aller Waffen einforderten – eine Bedingung, von der die Repräsentanten des Staates in den Gesprächen nicht abrückten, für den Widerstand aber nicht hinnehmbar war.1433

Die Fortführung der Kampfhandlungen zwischen den staatlichen Sicherheits-kräften und dem bewaffneten Widerstand stellte sich allerdings in immer stärke-rem Maße als Rückwärtsbewegung der kommunistischen und liberalen Kombat-tanten dar. Die Aufgabe strategisch gut zu verteidigender, fester Positionen und der zunehmende Wegzug der die Kombattanten begleitenden Zivilisten führten zu einer fortschreitenden Loslösung des bewaffneten Widerstandes von ihren zivilen Begleitern. Die engen Beziehungen zwischen Kombattanten und Zivi- listen hatten den kommunistischen Widerstand sowohl gegen die Regierung Gómez wenige Jahre zuvor als auch gegen die Militärregierung Rojas Pinilla geprägt, der von dem Modell des „verlängerten Volkskrieges“ im chinesi-schen Bürgerkrieg inspiriert war. In Südtolima hatte El Davis eine, im Sinne Mao Tse-tungs, befreite Zone dargestellt, in der eine Volksfront ( frente popular ) mit Beteiligung nicht-kommunistischer Kräfte etabliert wurde.1434 Und auch die cortina diente dem Schutz einer solchen Zone, in welcher der movimiento campesino , bzw. nach dem erneuten Ausbrechen der gewaltsamen Zusammen-stöße die bewaffnete autodefensa , mit der Strukturierung der Sozialbeziehungen quasistaatliche Aufgaben übernahm.1435

Die wachsende Auflösung der Strukturen des Frente Democrático de Liberación Nacional , das heißt das Aufbrechen der engen Anbindung der Zivilisten der ange-griffenen Region an die Kombattanten, war allerdings nicht nur den äußeren Umständen, den Angriffen der Streitkräfte, geschuldet. Innerhalb des kommunis- tischen Widerstands bildeten sich zwei Flügel heraus, deren Handlungsvorschläge als Reaktion auf den ansteigenden Druck der Streitkräfte unterschiedlich ausfielen. Neben einem gemäßigten Flügel, der für den Rückzug aus der Region Villarrica und den Aufbau von Kolonisationsunternehmungen in unbesiedelten Regionen des Landes plädierte, verteidigte ein radikaler Flügel den strategischen Rückzug und den Aufbau eines revolutionären Befreiungsheeres, um die Regierung Rojas Pinilla im bewaffneten Kampf zu stürzen. Die Schlagkraft der kolumbianischen Streitkräfte unterschätzend glaubten Repräsentanten dieses militaristischen Flü-gels, dass die Auseinandersetzungen in Osttolima die Dauer von zwei Wochen nicht überschreiten würde. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, plädierte der militaristische Flügel für die Loslösung der Kombattanten von ihrer zivilen Gefolgschaft, um sich voll und ganz auf den bewaffneten Kampf konzentrieren zu können.1436

Im Dezember 1955, nach einer weiteren Rückwärtsbewegung im Zuge einer zweiten Offensive der Streitkräfte, entschlossen sich die dirigentes políticos und militares des bewaffneten Widerstandes die Taktik des Stellungskrieges und somit die cortina aufzugeben. Mit der Umwandlung der vergleichsweise fest im Raum verankerten autodefensa zu den sogenannten guerrillas rodadas , das heißt kleineren, mobilen Guerillaeinheiten, wurde allerdings nicht die absolute Trennung von der Zivilbevölkerung vollzogen.1437 Vielmehr sollten die mobilen Kombattanteneinheiten die Evakuierung der Zivilisten, die trotz der Schwierig-keiten bei ihnen verblieben waren, aus Galilea sichern und sie vor Angriffen des Heeres schützen.1438

Neben einer Gruppe, die versuchte, sich den Auseinandersetzungen mit den Streitkräften in Richtung Pasca und Fusagasugá (Cundinamarca) zu entziehen, brachen zwei Trecks, die von guerrillas rodadas unter Führung erprobter Kom-battanten begleitet wurden, nach Caquetá sowie Meta auf, um den als coloni- zación armada bekannten Prozess der Urbarisierung durch bewaffnete Gruppen zu beginnen.1439 In der Region der späteren república independiente Guayabero trafen die sich zurückziehenden kommunistischen Widerstandskämpfer auf den liberalen guerrillero Dumar Aljure. Dieser kontrollierte das Gebiet La Uribe und El Duda, war jedoch zunehmend ökonomisch-materiell motiviert und ließ sich zu Übergriffen gegen die fliehenden Familien und Kombattanten hinreißen. Nach bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den beiden Gruppen gelang es den comunes , Aljure zu vertreiben und sich in der Region niederzulassen.1440 Aus den Kolonisationsunternehmungen in der Region gingen die später als repúblicas independientes bezeichneten kommunistischen Enklaven El Pato (Caquetá) und Guayabero (Meta) hervor.1441

Einige Kombattanten, wie beispielsweise Rafael Castellanos (alias Tarzán), weigerten sich jedoch, die angegriffene Region zu verlassen, die ihre patria chica darstellte und wo sie – wenn auch kleine – Landparzellen ihr Eigen nennen konn-ten.1442 Mit der weitgehenden Evakuierung der Region Villarrica und dem Ent-weichen der verbliebenen Widerstandskämpfer in das höher gelegene Hinterland (Alto Sumapaz) kamen die Kampfhandlungen der Guerra de Villarrica weitge-hend zum Erliegen, ohne dass der bewaffnete liberal-kommunistische Widerstand militärisch geschlagen worden wäre oder die kolumbianischen Streitkräfte eine Niederlage erlitten hätten.1443 Entgegen der Sichtweise der Streitkräfte, die sich als Sieger der kriegerischen Auseinandersetzungen fühlten, war der bewaffnete Widerstand, in den sich der movimiento agrario begeben hatte, nicht gebrochen worden. Vielmehr verlagerte er sich durch die Evakuierung der Region lediglich in andere geographische Gefilde, was den Konflikt keineswegs beseitigte, sondern ihn verlängerte.1444 Der kommunistische Guerillaführer Baltazar charakterisierte die Guerra de Villarrica rückblickend wie folgt:

Deas führt bei seiner Auflistung von Desideraten der historischen Erforschung des kolumbianischen Binnenkonflikts unter anderem die Guerra de Villarrica auf, deren Gründe und Ursachen ihm zufolge noch nicht ausreichend dargelegt wor-den sind. Er fragt nach den Zielen, welche die Militäroperation verfolgte, denn die Präsenz kommunistischer Kräfte in der Region allein erscheint ihm angesichts der Abwesenheit einflussreicher Großgrundbesitzer in der Region keine ausreichende Erklärung zu sein. Als einen der beeinflussenden Faktoren nennt er den ausge-prägten, durch die Teilnahme am Koreakrieg noch verstärkten Antikommunismus der Streitkräfte (McCarthyismus).1446 Auch wenn in der Region politisch einfluss-reiche terratenientes fehlten, war es für Rojas Pinilla und die Streitkräfte nicht hinnehmbar, dass eine soziale Bewegung in unmittelbarer Nähe zur Hauptstadt die Organisierung der lokalen Bevölkerung unter kommunistischen Vorzeichen auch nur ansatzweise erfolgreich übernahm.

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7 Die fragile Waffenruhe nach der Einrichtung der Militärjunta im Mai 1957

Mit der Einrichtung der von Rojas Pinilla im Mai 1957 ernannten Junta Militar , die ihn in der Casa de Nariño ablöste, kamen die während seiner Regierungszeit erneut aufgeflammten bewaffneten Auseinandersetzungen vorerst zum Erliegen.1447Anders als die Regierung um Rojas Pinilla 1953 verkündete die Militärjunta keine sofortige Amnestie, wohl aber eine unmittelbare Waffenruhe.1448 Der General war im Juni 1953 von Fraktionen der beiden Traditionsparteien als einziger Kandidat gesehen worden, der imstande war, Laureano Gómez im Präsidentenamt abzu-lösen. Angesichts der Polarisierung im politischen Feld war ein Staatspräsident, welcher der Traditionsparteien zugehörig war, nicht durchzusetzen gewesen – und aus diesem Grunde war auf einen Vertreter der als parteipolitisch neutral gelten-den Streitkräfte zurückgegriffen worden.

Zu keinem Zeitpunkt hatten die Vertreter der Traditionsparteien, welche die Präsidentschaft von Rojas Pinilla befürworteten, aber vorgesehen, dass er dauer-haft das Präsidentenamt bekleiden sollte. Er war von den politischen Kreisen als Übergangslösung gesehen worden, bis eine Beilegung der politischen Feindschaf-ten und Differenzen die Wiederherstellung des Status quo, das heißt der hegemo-nialen Stellung der partidos tradicionales im politischen Feld, erlauben würde. In dem Maße, wie die Militärregierung andeutete, sich an der Spitze der Exekutive festsetzen zu wollen und zu diesem Zweck eine eigene Partei aufzubauen, distan-zierten sich die Vertreter der Liberalen und der Konservativen Partei von Rojas Pinilla und er wurde als diktatorisch agierender De-facto-Präsident ohne demo-kratische Legitimierung katalogisiert.1449

Die bewaffneten liberalen und kommunistischen Widerstandsgruppen hatten zwar nach dem Regierungsantritt von Rojas Pinilla die Waffen niedergelegt, und vor allem die liberalen Gruppen hatten diese auch abgegeben. Angesichts der sich zunehmend autoritär und gewaltsam gestaltenden Regierungspolitik hatte sich der bewaffnete Widerstand gegen die Regierung Mitte der 1950er Jahre allerdings erneut formiert. Parallel zu den urbanen Kadern der Parteien, derer sie sich zuge-hörig fühlten, sahen sie in Rojas Pinilla einen autoritär und diktatorisch regieren-den Präsidenten. Ihre Wahrnehmung des Militärpräsidenten als Gewaltherrscher beruhte allerdings weniger auf den politischen Entwicklungen in den urbanen Zentren – in erster Linie Bogotá – wie die Versuche zur Etablierung einer wei-teren politischen Partei, dem Festhalten, entgegen der Abmachungen von 1953, an der politischen Macht, der Wiedereinführung der Pressenzensur und dem Ver-bot der liberalen Tageszeitungen El Espectador und El Tiempo .1450 Die autori-tären Anwandlungen der Militärregierung und die Wiederbelebung gewaltsamer Modi, Politik zu betreiben, die denen der Vorgängerregierung Gómez ähnelten, erfuhren die demobilisierten Kombattanten fernab politischer Debatten über die zukünftige Gestaltung des politischen Feldes Kolumbiens. Der erneute Rückgriff auf den Ausnahmezustand als Mittel, das Land zu regieren, und das Handeln der Regierung Rojas Pinilla, das zunehmend demokratischen Grundsätzen zuwider-lief, diktatorische Züge annahm und vor dem Einsatz von physischer Gewalt nicht zurückschreckte, er lebten weite Teile der ländlichen Bevölkerung in ihrer Alltags-welt am eigenen Leib.

Nicht nur die Guerra de Villarrica hatte verdeutlicht, dass die Streitkräfte und die von diesen gestellte Regierung bereit waren, massive Gewalt gegen politi-sche Oppositionsgruppen einzusetzen. Die Regierungszeit von Rojas Pinilla kann als die Hochphase der konservativen Gewaltakteure, die als pájaros traurige Berühmtheit erlangten, bezeichnet werden. Hatten diese ihren Ursprung in Valle del Cauca, weiteten sie ihr Aktionsgebiet unter der Militärregierung stark aus.1451Auch der von Rojas Pinilla geschaffene Inlandsgeheimdienst SIC griff auf diese Akteure zurück, um sich unliebsamer politischer Oppositioneller zu entledigen, wie bereits an der Ermordung von Echeverry Cárdenas exemplarisch verdeutlicht wurde.

Das Ziel der Absetzung des als Diktator wahrgenommenen Rojas Pinilla, das liberale und kommunistische Widerstandsgruppen teilten, war mit der Etablierung der Junta Militar vorerst erreicht worden, was die Kombattanten dazu veranlas-ste, die Gewalthandlungen einzustellen.1452 Auch die Streitkräfte zogen sich aus Konfliktregionen wie Südtolima zurück, um ihren guten Willen unter Beweis zu stellen und ihre Absichten, die Gewaltherde zu befrieden, glaubhaft zu machen.1453Der General Duarte Blum, der mit den Demobilisierungsbemühungen in den llanos orientales 1953 Prestige in weiten Teilen der politischen Elite erlangt hatte und von der Militärjunta zum Justizminister ernannt wurde, schlug mit dersel-ben Zielsetzung versöhnliche und wohlwollende Töne gegenüber den liberalen Widerstandsgruppen an. Ihm zufolge profitierte die Befriedung des departamento in großem Maße von dem Beitrag „der guerrilleros , die in Tolima, im Gegensatz zu gewöhnlichen Verbrechern, von politischen Gefühlen geleitet agiert haben“.1454

Es handelte sich allerdings um einen sehr fragilen und tendenziell brüchigen Waffenstillstand. Der Frente Civil , der den (zivilen) Widerstand gegen die Militär-regierung anleitete und der zu deren Absetzung führte, war nicht zuletzt zustande gekommen, weil eine breite Regorganisierung und Reaktivierung der ehemaligen Kombattantengruppen drohte, die gegen die Regierung Gómez gekämpft hatten. Die „ehemaligen guerrilleros der Freiheit“, als die sich die 1953 demobilisierten Widerstandskräfte den llanos verstanden, hatten ihre Solidarität mit den durch die Streitkräfte Angegriffenen in Osttolima erklärt, und bereiteten die Wieder-aufnahme des bewaffneten Kampfes auf nationaler Ebene vor.1455 Angesichts der Tatsache, dass eine erneute flächendeckende Eskalation der politischen Gewalt 1957 nicht unmöglich war, blieben die Streitkräfte auch nach der Einrichtung der Militärjunta wachsam gegenüber den Entwicklungen im Land.

Einer der amnestierten guerrilleros , der mit der Koordinierung des erneuten bewaffneten Widerstandes gegen die Regierung beauftragt war, war Guadalupe Salcedo. Die von seinen Aktivitäten und seinem Ansehen unter den ehemaligen Kombattanten ausgehende Gefahr war einer der Gründe, warum er Anfang Juni 1957 von Polizisten in Bogotá erschossen wurde. Mit der Tötung von Salcedo nach der Absetzung von Rojas Pinilla war die Gefahr einer erneuten Erhebung ehema-liger Kombattanten allerdings keineswegs endgültig gebannt. Im Gegenteil, die Gefahr eines erneuten Aufflammens der Gewalt vergrößerte sich ungemein, wie Germán Zea Hernández, späterer Justizminister der ersten Regierung des Frente Nacional , in Erinnerung rief.1456 Die Mitglieder der Comisión Investigadora de las Causas de la Violencia betonten ebenfalls, wie leicht die Situation in den llanos umschlagen hätte können, da das ohnehin brüchige Vertrauen in die staat-lichen Repräsentanten durch den Mord ein weiteres Mal erschüttert wurde und sich Teile der demobilisierten Kombattanten erneut bewaffneten.1457 Der Frente Civil und die Militärjunta waren sich der potentiellen Tragweite der Ereignisse in Bogotá bewusst. Die Streitkräfte stellten Zea Hernández ein Flugzeug zur Verfü-gung, was ihm erlaubte, sich umgehend in die llanos orientales zu begeben, um die dort ansässigen ehemaligen liberalen Widerstandskämpfer davon abzuhalten, erneut zu den Waffen zu greifen.1458 Panorama berichtete, dass das Andenken an den ehemaligen Kombattanten der Liberalen Partei „in der Seele aller guerri- lleros , aller llaneros , aller Männer, die sich retteten, [und] der vergewaltigten, aber überlebenden Frauen weiterleben wird“.1459

Der Mord an Salcedo verdeutlichte nicht nur die Gefahr einer erneuten Mobi-lisierung der 1953 demobilisierten Kombattanten. Die Tatsache, dass die Mörder von Salcedo Inhaber des legitimen Gewaltmonopols des Staates, Polizisten, ge- wesen waren, verwies auch auf die Fragilität der Waffenruhe nach der Absetzung von Rojas Pinilla. Diese war nicht einmal formal vereinbart worden und Teile der staatlichen Sicherheitskräfte, wie das tödliche Attentat auf Salcedo zeigte, erach-teten diese offenbar nicht als verbindlich. Viele Kombattanten standen daher dem Waffenstillstandsangebot der Militärjunta – kurz nach dem Mord an Salcedo und in Erinnerung an die zahlreichen Morde amnestierter guerrilleros während der Militärregierung – sehr misstrauisch gegenüber.1460 Das Erliegen der bewaffneten Auseinandersetzungen Mitte 1957 beruhte vielmehr einerseits auf dem guten Wil-len der Offiziere, die sich den Traditionsparteien verbunden fühlten. Andererseits basierte der Waffenstillstand auf der abwartenden Haltung der Kombattanten, die darauf hofften, dass der Einfluss des Frente Civil auf die staatlichen Sicherheits-kräfte ausreichend groß sein würde, um deren Militäroperationen auszusetzen.

Wie Pereira herausstreicht, ist die Mobilisierung von Kombattanten eine der zentralen Aufgaben des Staates, um in gewaltsamen Auseinandersetzungen zu bestehen – eine Herausforderung, der sowohl die Regierung Gómez als auch Rojas Pinilla gewachsen gewesen waren, wenn man sich die Zahl der mobilisier-ten bewaffneten konservativen Zivilisten vor Augen führt, welche die staatlichen Sicherheitskräfte unterstützten. Aber ebenso ist die Demobilisierung von staatli-chen Sicherheitskräften und ihrer paramilitärischen Unterstützergruppen eine der großen Herausforderungen von Regierungen, die Transitions- und Friedenspro-zessen vorstehen, was sich oftmals weitaus schwieriger als deren Mobilisierung gestaltet.1461 Und hochgradig politisierte Polizeikräfte, chulavitas disimulados , konnten ebenso wenig wie radikalisierte konservative, nicht-staatliche Kombat-tanten wie die pájaros per Dekret oder Dienstanweisung davon abgehalten wer-den, weiterhin gewalttätig gegen die politischen Feinde (von gestern) vorzugehen.

José Tibaquirá, ein Mitglied der Liberalen Partei aus Cajamarca, betonte in einem Schreiben an den Gouverneur Tolimas, dass konservative Gewaltakteure ihr gewaltsames Vorgehen gegen Liberale ungeachtet der politischen Umbrüche auf der nationalstaatlichen Ebene fortsetzten. Ihm zufolge „werden die Versöhnung und Zusammenarbeit der Traditionsparteien in diesem unseligen departamento [Tolima] nicht wahrgenommen“.1462 Und auch noch im Juli 1958, kurz vor dem Amtsantritt von Lleras Camargo, mehr als ein Jahr nach der Absetzung von Rojas Pinilla, bekundete Gabriel París, General der Streitkräfte und Mitglied der Junta Militar , dass die Verständigungs- und Versöhnungspolitik der Traditionsparteien noch nicht auf der lokalen Ebene des Staates angekommen sei.1463 Etwa zeitgleich forderte Valencia Echeverry aus der Gemeinde Calarcá (Quindío) in einem Brief an die Junta Militar weitergehende Reformen ein. Der in dem lokalen Justizap-parat tätige Bürger kritisierte, dass der politische Wandel im Zuge der Absetzung von Rojas Pinilla noch nicht in allen Regionen des Landes spürbar geworden sei.1464

So wie der Mord an dem liberalen Journalisten und politischen Aktivisten Echeverry Cárdenas verdeutlichte, dass Polizisten und Agenten des Inlands- geheimdienstes oftmals eng mit konservativen Gewaltakteuren zusammenarbei-teten, veranschaulichte der Fall ebenso paradigmatisch das fortwährende Agieren der pájaros , ungeachtet jeder politischen Veränderungen in der Hauptstadt wie der Einrichtung der Junta Militar , die Rojas Pinilla im Präsidentenamt ablöste. Echeverry Cárdenas wurde am 14.6.1957 in Ibagué auf offener Straße erschossen – knapp einen Monat nach der Einrichtung der Junta Militar und zwei Wochen nach der Ermordung von Guadalupe Salcedo, was angesichts der zeitlichen Koin-zidenz der Morde an Vertretern der Liberalen Partei die Gefahr einer erneuten Bewaffnung der demobilisierten liberalen Kombattanten erhöhte.

Die Persistenz der pájaros erklärte sich allerdings nicht nur durch die engen Verbindungen zu den staatlichen Sicherheitskräften, die bereits zur Verdeutli-chung der Politisierung und parteipolitischen Instrumentalisierung der staatlichen Sicherheitskräfte beschrieben wurde. Die konservativen Gewaltakteure verfügten teilweise über sehr gute und weitreichende Kontakte in politische Kreise. Diese engen Verbindungen wurden am Beispiel des Prototyps der pájaros , León María Lozano, bereits in der Forschung deutlich herausgearbeitet bzw. in testimonios festgehalten.1465 Nach dem Tod von Lozano im Oktober 1956 intervenierten Ver-treter der Konservativen Partei vor dem Präsidenten, um dem Anliegen der Ange-hörigen des berühmtesten aller pájaros , Nachdruck zu verleihen und ihnen die Beerdigung von Lozano in seinem Heimatdorf zu erlauben.1466

Aber nicht nur in Valle del Cauca verfügten die pájaros über gute Kontakte zu politischen Amtsträgern und Vertretern der Konservativen Partei. Der alcalde militar aus Santa Isabel in Nordtolima meldete an den Inlandsgeheimdienst, dass Anhänger des dirigente conservador Jorge Leyva die Freilassung von festge-setzten konservativen Gewalttätern forderten. Die leyvistas drohten, den Innen-minister und sogar den Präsidenten, also die höchsten politischen Kreise, einzu-schalten, um die Freilassung von Leonidas Millán (alias Pájaro Azul) und José Miguel Arévalo (alias Murallas) zu erreichen, damit diese für den Schutz der lokalen konservativen Parteimitglieder sorgen könnten.1467

Ungeachtet der Tatsache, dass der Mord an Echeverry Cárdenas juristisch nicht vollständig aufgeklärt wurde, lässt sich an ihm doch verdeutlichen, dass Gewal-takteure, die gegen exponierte liberale Parteimitglieder vorgingen, zumindest auf die stillschweigende Unterstützung, wenn nicht sogar aktive Unterstützung, von Mitgliedern der Konservativen Partei mit großem Sozialkapital zählen konnten. Alle Personen, gegen die sich Verdachtsmomente wegen des Mordes an dem liberalen Journalisten erhärteten und in den Blick der Ermittler gerieten, standen in engem Kontakt mit Inhabern politischer Ämter oder bekleideten diese sogar selber – wie Julio Atehortúa als corregidor von El Salado. In den Untersuchungen des Mordes wurde immer wieder Quintiliano Triana, der Vorsitzende des Direc- torio Conservador der Stadt und unter Zeitgenossen als konservativer Hardliner bekannt1468, mit dem Mord an Echeverry Cárdenas in Verbindung gebracht, da er vergleichsweise offene Kontakte zu bekannten konservativen Gewaltakteuren pflegte. Um die politisch angespannte Situation in der cabecera departamental zu entschärfen, war er nach Barranquilla beordert worden, wo er den Zollbehörden vorstand – eine Ernennung, die Rückschlüsse auf das Ansehen und die politischen Verbindungen von Triana erlaubt. Dem konservativen Politiker wurde von ver-schiedenen Personen vorgeworfen, an der Atlantikküste, in unmittelbarer Nähe zum Nachbarland Venezuela, zusammen mit Cerveleon Fortoul Pinedo, dem venezolanischen Konsul in Barranquilla, in den Schmuggel von Smaragden und Kaffee verwickelt gewesen zu sein. Die investigativen Recherchen von Echeverry Cárdenas hätten, den Anschuldigungen zufolge, die kriminellen Machenschaften von Triana und Fortoul erheblich gestört und seien der Grund für den Mord an dem Herausgeber von Tribuna durch monetär entlohnte Auftragsmörder ohne politische Ansprüche gewesen.1469

Mit der Einrichtung der Militärjunta im Mai 1957 wurden die existieren-den politischen Gewaltkollektive nicht demobilisiert. Einige wie die liberalen und kommunistischen Widerstandsgruppen verhielten sich lediglich passiv und abwartend angesichts der politischen Wechsel auf der nationalstaatlichen Ebene, andere, wie die besagten pájaros , setzten ihre Gewaltaktivitäten aus mitunter öko-nomisch-kriminellen Motiven fort. Es war ein angespannter Waffenstillstand, der jederzeit in erneute gewaltsame Auseinandersetzungen umschlagen konnte, da von den (ehemaligen) Gegnern nach wie vor Gefahren ausgingen bzw. eine über-geordnete Instanz wie der Staat fehlte, der die Einhaltung der Abmachungen und des Waffenstillstandes hätte durchsetzen können.1470

In Südtolima waren Gewaltkollektive mit unterschiedlichen politischen Hinter-gründen präsent, was die Wahrscheinlichkeit von gewaltsamen Auseinanderset-zungen noch erhöhte: Die Anführer liberaler Widerstandsgruppen kontrollierten Planadas, Rioblanco, Chaparral und Prado, während die kommunistischen Grup-pen unter Führung von Isauro Yosa und Marulanda Vélez im benachbarten Mar-quetalia ansässig waren. Das konservative Gewaltkollektiv unter Teodoro Tacumá agierte wiederum zwischen Prado, Chaparral sowie Rioblanco und Marcos Oli-vera führte in unmittelbarer Nähe zu Planadas, dem Hauptquartier von Oviedo, eine bewaffnete Gruppe an, die im Namen der Konservativen Partei handelte.1471

In Südtolima waren die verschiedenen politischen Gewaltkollektive allerdings zu einem gewissen Maße räumlich getrennt und zwischen ihren Aktionsgebieten lagen in der Mehrzahl der Fälle eine gewisse Distanz bzw. topographische Barrie-ren. In Osttolima hingegen gestaltete sich das regionale politische Feld hingegen weitaus diffuser. Die liberalen Gewaltkollektive und die kommunistisch inspirier-ten Widerstandsgruppen befanden sich in der Regel in unmittelbarer Nähe und die Vormachtstellung der einen oder der anderen politischen Fraktion wechselte oftmals zwischen zwei in unmittelbarer Nähe gelegenen Dörfern – auch wenn in der zerklüfteten Region der Begriff der unmittelbaren Nähe relativ war. In dem Weiler El Roble in der Gemeinde Villarrica hatten Gruppen der limpios um Mar-cos Jiménez die Vorherrschaft, während in El Palmar (Icononzo) kommunistische Gruppen unter der Führung von Varela bewaffnete autodefensas organisiert hat-ten und die De-facto-Macht darstellten.1472 In dem zwischen den beiden Orten gelegenen Weiler Balconcitos beschwerten sich Anhänger der Liberalen Partei, dass von den im Namen des PCC kämpfenden Kombattanten auf sie Druck ausge-übt würde, ihre Beiträge zu den kommunistischen Organisationen zu leisten, und ihnen ein friedliches Leben in dem Dörfchen nicht möglich sei.1473 Der Weiler La Colonia wiederum war eine Hochburg von Anhängern der Konservativen Partei, von dem aus in den vorangegangenen Jahren Strafexpeditionen von chulavitas und gewaltbereiten konservativen Zivilisten gegen liberale und kommunistische Widerstandsgruppen organisiert wurden. Die räumliche Nähe der verschiede-nen politischen Gruppierungen vor dem Hintergrund der nach wie vor existenten Spannungen zwischen diesen bedeutete, dass ein immenses Konfliktpotenzial der Rache und Vergeltung in der Region bestand.1474

In Regionen wie Süd- und Osttolima, wo sich die Akteurs- und Kombattanten-gruppen mit verschiedenem politischem Hintergrund einen vergleichsweise engen Raum teilten, bestand die Gefahr des Rückgriffs auf die Handlungsressource aus zwei Gründen. Zum einen drohte, dass Verbrechen, zu denen es in der Vergan-genheit gekommen war, Auge um Auge, Zahn um Zahn , gewaltsam gesühnt, wer-den würden. Zum anderen können durch extreme, exzessive Gewaltakte wie das Massaker Sperrgebiete, sogenannte No-go-Areas, markiert werden. Das heißt die Verübung eines Massakers dient nicht nur dazu, eine gewisse Anzahl von Men-schen, die aufgrund welcher Kriterien auch immer zu Feinden erklärt wurden, zu töten. Exzessive Gewaltakte, die im öffentlichen Raum ausgeübt werden, stecken einen Raum ab, in dem bestimmte Personengruppen Gefahr laufen, getötet zu werden ( free fire zones ).1475 In diesem Sinn waren Massaker während des Untersu-chungszeitraums ein kommunikativer Akt, mit dem den Mitgliedern der Gemein-schaft, die nicht Opfer des Massakers geworden waren, mitgeteilt wurde, welche Territorien sie betreten durften – und in welche sie sich nicht begeben sollten, um nicht getötet zu werden. Auch unter der Junta Militar bestand die Gefahr, dass die verschiedenen Gewaltkollektive Sperrgebiete abstecken würden, welche die politischen Widersacher nicht betreten durften.

Exponierte Vertreter der Traditionsparteien bzw. des politischen Flügels der bewaffneten Widerstandsgruppen waren sich der Gefahren, dass die bewaffne-ten Auseinandersetzungen kurzer Hand wieder aufbrechen konnten, bewusst. Sie bemühten sich, noch bevor dem Amtsantritt der ersten zweiparteiischen Regierung des Frente Nacional und vor der Verkündung einer erneuten Amnestie auf poli-tische Gewalttaten, die bewaffneten Gruppen von der Bedeutung des politischen Wandels zu überzeugen. Sie verfolgten das Ziel, ihnen glaubhaft zu machen, dass die Einstellung der Kampfhandlungen vonseiten der Streitkräfte Ergebnis ihres aufrichtigen Wunsches nach einer dauerhaften Befriedung sei – und es nicht zu den Ermordungen amnestierter ex-guerrilleros wie nach 1953 kommen würde, wie der Mord an Salcedo in Bogotá kurz zuvor befürchten lassen könnte.1476

Die Mitglieder der späteren Comisión Investigadora , die mit der Kontakt-aufnahme mit den Widerstandsgruppen noch unter der Junta Militar beauftragt waren, berichteten von dem anfänglichen tiefen Misstrauen der Kombattanten in die Repräsentanten des Staates. Trotz ihrer Vorbehalte verweigerten sich die Kombattanten den Gesprächen aber nicht.1477 Auch um eine gute Verhand-lungsposition bei den geplanten Gesprächen über die formale Demobilisierung einzunehmen, legten die Vertreter der Traditionsparteien, die später die Unter-suchungskommission bilden sollten, den Kombattantengruppen nahe, ihren Beitrag zu der Befriedungskampagne zu leisten und sich nicht leichtfertig in erneute bewaffnete Auseinandersetzungen mit den benachbarten Gewaltkollek-tiven zu begeben.1478

Campesinos aus Osttolima bekundeten in einem Schreiben an Lleras Camargo ihre Bereitschaft, an den von seiner Regierung angestrengten Befriedungs- und Wiederaufbaukampagnen mitzuwirken. Gleichzeitig beklagten sie aber die Kon-tinuität von Beamten, die für die vorangegangenen bewaffneten Auseinanderset-zungen mitverantwortlich gewesen seien. Die Auswechslung der Regierungsver-treter solle, so forderten die Autoren des Schreibens, allerdings nicht in der Art und Weise wie bis dato erfolgen: „sie [die Dienstoberen, L. R.] tauschen einen pájaro gegen einen anderen aus, oder sie versetzen sie von einem Dorf in das andere“.1479 Hernández de Alba, Vorsitzender der División de Asuntos Indígenas des Innenministeriums, warnte die Streitkräfte, dass ihnen die indigenen Bewoh-ner der Region Riochiquito mit Misstrauen und Missfallen begegnen würden. Deren bis dato einzigen Erfahrungen mit Vertretern des Staates bestünden in den bewaffneten Auseinandersetzungen der Violencia . Daher sei nicht damit zu rech-nen, dass den staatlichen Sicherheitskräften ein Vertrauensvorschuss gewährt würde.1480

Von zentraler Bedeutung für die Befriedungskampagne 1957/58 waren lokale Netze der Traditionsparteien und die Präsenz von Kaziken der partidos tradicio- nales , zeitgenössisch als jefes naturales bezeichnet, in Tolima insbesondere der Liberalen Partei. Diese verfügten über ausreichend Ansehen unter den mehr-heitlich liberalen Kombattanten, um sie von der politischen Notwendigkeit und Opportunität zu überzeugen, die Waffen niederzulegen.1481 Bereits im März 1957, vor der Ablösung von Rojas Pinilla, suchte der liberale Politiker Rafael Parga Cortés, welcher der Oberschicht aus der Gemeinde Dolores entstammte, zusam-men mit Echeverry Cárdenas, dem Herausgeber von Tribuna , die liberale Kom-battantengruppe um Leopoldo García in Rioblanco auf, um über deren dauerhafte Demobilisierung zu verhandeln.1482 Severiano Ortiz und Ismael Castilla, Lokalpo-litiker aus Südtolima, bemühten sich wenig später, Kontakte zwischen den libera-len guerrillas in Südtolima und der Militärjunta herzustellen.1483

In Sumapaz organisierte der Geistliche Jaime Betancur auf Wunsch der vare- listas den Kontakt zu der Militärjunta, um über etwaige Demobilisierungen und Entwaffnungen zu verhandeln.1484 Bereits im Vorfeld hatte Varela im Namen des Movimiento de Resistencia del Oriente del Tolima y Provincia de Sumapaz seinen guten Willen erklärt, um die „sofortige Befriedung“ zu erreichen. Eine Entwaff-nung schlossen die varelistas allerdings kategorisch aus:

Bei den Gesprächen zwischen Vertretern der Widerstandsgruppen und Vertre-tern der Militärregierung sowie José María Villarreal, ministro de gobierno , und Carlos Holguín, Gouverneur von Cundinamarca, wurde die politisch-militärische Führung des kommunistischen Widerstandes von dem Anwalt Garavito Muñoz als juristischer Berater begleitet, der schon nach der Ermordung Gaitáns versucht hatte, die aufständischen gaitanistas zu organisieren und später zu der kommunis-tischen línea dura des MRL zählen sollte.1486 Die Unterredung fand in dem Dorf Lázaro Fonte in der Gemeinde Pasca statt, das, ungeachtet der Nähe zur Haupt-stadt Kolumbiens, unter der Kontrolle der kommunistischen Kombattantengruppe stand.1487

Bei der Etablierung von Kontakten zwischen den kommunistischen Gruppie-rungen, die von Ciro Castaño in Riochiquito befehligt wurde, und der Militärjunta war der Bürgermeister der Stadt Belalcazar (Cauca) behilflich. Dem testimonio von Guaraca verliefen die Gespräche positiv und so vertrauenerweckend, dass die von Castaño befehligten Kombattanten ihre Waffen niederlegten und sogar zu weiteren Gesprächen mit Vertretern der Exekutive nach Belalcazar reisten.1488José Alfonso Castañeda (alias Richard) begab sich nicht einmal drei Monate nach der Absetzung von Rojas Pinilla in Verhandlungen über die Beilegung des bewaffneten Kampfes mit Vertretern der Traditionsparteien.1489 Die Tatsache, dass sich Richard auch noch Ende 1958 mit Regierungsvertretern traf, um über die Maßnahmen zur Befriedung des Landes zu beraten, zeugt davon, dass das Anlie-gen der kommunistischen Kombattanten nicht nur rein taktischen Überlegungen geschuldet war.1490

In El Pato führte der Militärgouverneur von Huila Arce Herrera Gespräche mit Oscar Reyes, dem ungefähr 1.500 Personen in der kommunistischen Enklave unterstanden, über die bevorstehende Demobilisierung. Zugesagt wurden den ehemaligen Widerstandskämpfern Hilfsleistungen für die landwirtschaftliche Arbeit auf den Parzellen, die von den in ein movimiento de masa umgewandelten Kombattanten urbar gemacht werden würden. Im Gegenzug sicherten diese zu, dass sie das besetzte Land unmittelbar an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückge-ben würden, sollten diese ihren Besitzanspruch nachweisen können.1491 Die in Südtolima, in Marquetalia, ansässige Widerstandsgruppe um Prías Alape und Marulanda Vélez hingegen war noch in keinerlei Verhandlungen mit der Regie-rung über die anstehende Befriedungskampagne getreten.1492

Die Gespräche zwischen liberalen und kommunistischen Widerstandsgruppen, die sich gegen die Regierung Rojas Pinilla formiert hatten, sowie Vertretern der Militärjunta erfüllten insofern ihre Zwecke, als dass schwerwiegende Zusammen-stöße zwischen den staatlichen Sicherheitskräften, Kombattanten, die im Namen der Konservativen Partei agierten, sowie liberalen und kommunistischen Gewalt-kollektiven ausblieben.1493

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8 Die Regierungen des Frente Nacional (1958–1964)

Die erste Regierung des Frente Nacional unter Vorsitz des liberalen Präsidenten Lleras Camargo, die im August 1958 ihr Amt antrat, erließ vier Monate später den Decreto 0328 für die departamentos , die sich auch noch unter dem Frente Nacio- nal im Ausnahmezustand befanden. Das Dekret wurde in der allgemeinen Wahr-nehmung als Amnestie für politisch motivierte Gewalttaten bezeichnet.1494 Juris-tisch betrachtet handelte es sich allerdings nicht um eine Amnestie, die von den parlamentarischen Körperschaften des Landes hätte entschieden werden müssen, sondern um eine Aussetzung der Strafverfolgung, die im Kompetenzbereich der politischen Exekutive lag.1495 In einem Antwortschreiben an mehrere Bürgerinnen aus Tolima betonte Lleras Camargo, dass seine Regierung unterschiedliche Maß-nahmen gegen die politische, multikausal bedingte Gewalt unternommen habe. Zu diesen gehörte unter anderen die Aussetzung der Strafverfolgung, die, wie er hervorhob, oftmals „unpassend als Amnestie bezeichnet wird“.1496

8.1 Die Aussetzung der Strafverfolgung als Gegenleistung für das Niederlegen der Waffen

Die im November 1958 per Decreto 0328 erlassene Amnestie war, wie Ver-treter des Frente Nacional betonten, kein bedingungsloser Straferlass, wie sie beispielsweise Rojas Pinilla nach dem golpe de opinión gewährt hatte, sondern wurde nur nach positiver Begutachtung mehrerer Faktoren gewährt.1497 Um in den Genuss der Aussetzung der Strafverfolgung zu kommen, musste glaubhaft gemacht werden, dass die betroffene Person bereit sei, sich sowohl wieder in das zivile Leben als auch in den ordentlichen Arbeitszyklus zu reintegrieren und sich zukünftig durch eine gute Führung auszuzeichnen.1498 Die Entscheidung über die Erteilung der Amnestie stand den jeweiligen juristischen Beamten zu, bedurfte aber der Zustimmung der Regierung bzw. des Gouverneurs – für Fälle, in denen über die Freilassung bereits inhaftierter Gewaltakteure entschieden wurde, waren die eigens eingerichteten Tribunales de Gracia zuständig.1499

Der Gouverneur von Tolima Echandía beantragte im März 1959 die Suspen-dierung der Strafverfolgung gegen mehr als siebzig Personen, unter diesen die Anführer liberaler Widerstandsgruppen Gerardo Loaiza und Agustín Bonilla. Die zahlreichen Personen waren, wie Echandía vermerkte, freiwillig bei ihm vorstel-lig geworden und hatten glaubhaft machen können, dass sie in der Zukunft sowohl die Gesetze befolgen als auch eine gute Führung unter Beweis stellen würden. Ihr Antrag auf Aussetzung der Strafverfolgung war daher nach seinem Dafürhalten positiv zu bescheiden.1500

Eine erste Bedingung für eine Haftentlassung war, dass von den Häftlingen nach ihrer Freisetzung keine Gefahr für die öffentliche Ordnung ausgehen würde. Auch durften sie nicht rechtskräftig wegen anderweitiger Verbrechen krimineller Natur verurteilt worden sein, denn die Amnestie galt nur für politische Gewalt- akte, die vor dem 15.10.1958 verübt worden waren.1501 Politische Gewalt wurde im Dekret 0328 anhand folgender Punkte definiert: „a) Dem Angriff oder der Ver-teidigung der Regierung oder Autoritäten; b) der politischen Feindschaft; [und] c) der Parteiengewalt, die auf Basis des Kampfes der Parteien ausgeübt wird“.1502Neben der antistaatlichen, gegen die Regierung bzw. deren Repräsentanten gerichteten Gewalt fielen auch Gewaltakte der staatlichen Sicherheitskräfte und deren paramilitärischer Unterstützergruppen unter das Amnestiedekret – ähn-lich wie bei der von Rojas Pinilla angebotenen Amnestie, die auch Straffreiheit für „Überschreitungen bei der Unterstützung der Regierung“ gewährt hatte, mit der Rojas Pinilla Angehörigen der staatlichen Sicherheitskräfte Zugeständnisse gemacht hatte.1503

Mit der Beschränkung des Decreto 0328 auf politische Straftaten unterschied der Frente Nacional , letzten Endes idealisierend, zwischen politischen, uneigen-nützigen Gewalttaten, die als amnestiefähig qualifiziert wurden, und der verwer-flichen, kriminell und ökonomisch motivierten Gewalt.1504 In der Bewertung der Frage, ob der Desertion einiger Soldaten eine politische Motivation zugrunde lag, fasste der ermittelnde Staatsanwalt die Kriterien zusammen, bei deren Vorlie-gen man von einem politischen Anspruch sprechen konnte: „Die bestimmenden Motive bei politischen Verbrechen sind vorrangig sozial und altruistisch, da sie immer auf die Verbesserung der sozialen, ökonomischen und politischen Bedin-gungen der Gemeinschaft zielen“.1505

Mit der Junta Militar und der sich anbahnenden Einrichtung einer liberal-kon-servativen Koalitionsregierung, dem Frente Nacional , waren viele der Ziele, für die liberale guerrilleros gekämpft hatten, erreicht: Die Liberale Partei war nicht mehr von der politischen Macht ausgeschlossen und konnte sich sogar berech-tigte Hoffnungen machen, den ersten Präsidenten der Koalitionsregierung zu stellen, nachdem sich zwischen den verschiedenen Flügeln der Konservativen Partei Konflikte offenbarten, die sich offenbar nicht auf einen Kandidaten aus ihren Reihen einigen konnten. Daher traten viele liberale Widerstandsgruppen mit der neuen Regierung unter einem liberalen Präsidenten in Verhandlungen über die Demobilisierung und dauerhafte Waffenruhe sowie die damit verbun-dene Amnestie.1506

Bereits im September 1958, also noch vor dem Erlass des Dekrets, das die Mög-lichkeit der Aussetzung der Strafverfolgung festhielt, hatten Guerillaführer aus Südtolima schriftlich ihre Bereitschaft zur Kooperation mit dem Frente Nacional festgehalten. Unter anderem Gerardo Loaiza, Leopoldo García und Jesús María Oviedo bekundeten gegenüber der Comisión Investigadora , dass sie die Befrie-dungsbemühungen der neuen Regierung unterstützen und bei der Rückkehr von desplazados behilflich sein würden.1507 Diese Bereitschaft bekräftigten die zentra-len Guerillaführer wie Germán Dussán, Hermógenes Vargas und Leopoldo García auch im Frühjahr 1960, als Mariachi von ihnen militärische Unterstützung im Kampf gegen kommunistische Gruppierungen in Marquetalia anforderte. Sie wei-gerten sich, sich erneut in bewaffnete Auseinandersetzungen zu begeben, sondern wollten für Frieden und Ruhe in den von ihnen kontrollierten Regionen sorgen.1508

Viele liberale Widerstandskämpfer legten ihre Waffen nieder und kamen so den Anliegen der liberalen Politiker nach, ohne ihre Demobilisierung an Zusa-gen über umfassende Sicherheiten zu knüpfen. Dieses Vorgehen, obwohl nicht wenige, in Erinnerung an den Demobilisierungsprozess nach dem Regierungsan-tritt von Rojas Pinilla, ihre spätere Ermordung fürchteten, deutet Karl als Indiz für die politischen Anliegen, welche die liberalen guerrilleros mit dem bewaffneten Kampf verfolgt hatten.1509

Auch Anführer konservativer Gewaltkollektive wie Teodoro Tacumá aus Natagaima traten mit der liberal-konservativen Koalitionsregierung in Verhand-lungen über ihre Demobilisierung.1510 Das Verteidigungsministerium berichtete aber, dass nicht alle ehemaligen Kombattanten von Tacumá die Waffen nieder-gelegt hatten. El Flaco beispielsweise habe nach Informationen der staatlichen Sicherheitskräfte die zwischen Tacumá und der Regierung geschlossene Verein-barung über die Demobilisierung nicht angenommen.1511 Marcos Olivera, der eine in unmittelbarer Nähe zum Operationsgebiet von Oviedo in Planadas operierende Gruppe konservativer Kombattanten befehligte, bekundete wiederum den libera-len guerrilleros gleich sein Interesse, die Waffen niederzulegen und sowohl kon-servative als auch liberale Flüchtlinge in die Region zurückkehren zu lassen.1512Die Friedensschlüsse von Konservativen und Liberalen in der Gemeinde Plana-das, wo Olivera und Oviedo bewaffnete Gruppen ihrer Parteigenossen komman-dierten, stellten eine Form des Frente Nacional , der liberal-konservativen Zusam-menarbeit, auf der lokalen Ebene dar.1513

Ähnliche Verlautbarungen über die zukünftige friedliche Zusammenarbeit von Liberalen und Konservativen wurden aus den Gemeinden Rovira und Cajamarca gemeldet.1514 Bereits kurz nach dem Antritt der Regierung des Frente Nacional im August 1958 schloss die Mehrzahl der konservativen und liberalen Kombat-tantengruppen in den Folgemonaten Friedensabkommen mit der Regierung, um als Gegenleistung für ihre Demobilisierung und Rückkehr in das zivile Leben die Straffreiheit für die von ihnen begangenen Verbrechen zu erlangen.1515

Die kommunistischen Widerstandsgruppen traten, wie ihre liberalen Pendants, in Verhandlungen mit Vertretern des Frente Nacional über ihre etwaige Demo-bilisierung und die Annahme der Amnestie, ließen sich aber von den Anliegen der neuen Regierung nicht so leicht überzeugen wie die Kombattanten, die im Namen der Liberalen Partei gekämpft hatten. Anführer kommunistischer Gewalt-kollektive in Südtolima und angrenzenden departamentos wie Ciro Castaño und Marulanda Vélez bekundeten zwar schriftlich ihr Interesse daran, die Waffen nie-derzulegen.1516 Allerdings stellten sie umfassende Bedingungen für die Einstel-lung der Kampfhandlungen, da die Anführer der kommunistischen Gruppen die bewaffneten Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre weniger als Ausdruck des politischen Wettstreits der Traditionsparteien sahen. Den sectarismo und die sich aus ihm ergebenen Kämpfe zwischen Liberalen und Konservativen werteten sie vielmehr als künstlich geschaffenes Herrschaftsinstrument der Bourgeoisie, mit dem der pueblo gespalten und seine sozialen Forderungen unterdrückt wer-den sollten. In ihrer Interpretation sozialer Realitäten war der Klassengegensatz zwischen campesinos , colonos und Arbeitern auf der einen Seite, Industriellen und latifundistas auf der anderen die zentrale Triebfeder der bewaffneten Ausei-nandersetzungen gewesen.1517

So gehörten neben der Freilassung aller politischen Häftlinge die Wiederher-stellung der demokratischen Freiheiten, die damit verbundene Aufhebung des Ausnahmezustandes sowie freie Wahlen als auch eine Agrarreform zu den Bedin-gungen, welche die comunes in Südtolima stellten.1518 Insbesondere die für die Begünstigten kostenneutrale und umfassende Agrarreform zählte zu den zentra-len Anliegen der kommunistischen Kombattanten, die sich in ihrer Mehrzahl aus colonos und jornaleros ohne eigenen Landbesitz rekrutierten. Die Bedeutung der Einforderungen einer Landverteilung und grundlegenden Änderung der Besitz-verhältnisse für die comunes ließ sich daran erkennen, dass diese Forderung auch noch viele Jahre später einen zentralen Punkt der politischen Agenda der kommu-nistischen Kombattanten darstellte. Der Programa Agrario de los Guerrilleros , die an dem symbolträchtigen 20. Juli 1964, dem Día de la Independencia , unter anderem von Marulanda Vélez und Isauro Yosa verabschiedet wurde, forderte wie in den Verhandlungen um die Annahme der Amnestie 1958 eine „effektive Revolutionäre Agrarreform“. Diese wollten die Unterzeichner der „lügnerischen Agrarreform der Bourgeoisie“ gegenübergestellt wissen.1519 Gleichlautende For-derungen, neben Entschädigungszahlungen, Wiederaufbaumaßnahmen und Kre-dite, für die der Staat zu bürgen habe, waren von den kommunistischen Akteurs-gruppen aus dem Osten des departamento zu vernehmen.1520 Allerdings hatte der bewaffnete Widerstand um Varela – wie bereits erwähnt – deutlich gemacht, dass er nicht bereit war, die Waffen abzugeben und sich einer offiziellen entrega zu unterziehen.

Angesichts der Morde an amnestierten guerrilleros , die de facto während der gesamten Regierungszeit von Rojas Pinilla verübt wurden, zogen die kommu-nistischen Kombattanten in Süd- und Osttolima es vor, ihre Kombattantengrup-pen wie fünf Jahre zuvor in defensiv ausgerichtete Selbstverteidigungskomitees umzuwandeln, um ein Mindestmaß an Reaktionsfähigkeit bei möglicherweise erneut aufkommenden Repressionsakten zu behalten.1521 Offenbar wurde diese Bedingung, die der kommunistische Widerstand formulierte, auch von den Streit-kräften in der Anfangsphase des Frente Nacional akzeptiert, in der nahezu alle politischen Fraktionen an den Befriedungsbemühungen mitarbeiteten, obgleich der an der Unterredung mit den varelistas teilnehmende Minister José María Villarrealderen Forderungen als sehr anspruchsvoll qualifizierte.1522 Varela Mora und Romero Picón argumentieren mit Blick auf den kommunistischen Widerstand ähnlich wie Karl. Sie streichen heraus, dass die Annahme der Amnestieangebote 1953 und 1958/59 verdeutlichte, dass die bewaffneten bäuerlichen Widerstands-gruppen kommunistischer Prägung in Osttolima an einer friedlichen politischen Betätigung interessiert gewesen seien.1523

8.2 Die Fortführung gewaltsamer Praktiken im politischen Raum

Der Erlass der Amnestie und die Demobilisierungen von liberalen und konser-vativen Kombattanten in den Monaten August und September 1958 waren nicht mit dem Ende der Violencia in Tolima gleichzusetzen, wie Henderson kritisch anmerkt.1524 Alle politischen Akteursgruppen, die sich nicht in das Schema die Traditionsparteien integrieren ließen, blieben vor dem Hintergrund der Einrich-tung der vergleichsweise exklusiven Koalitionsregierung aus Liberaler und Kon-servativer Partei von der politischen Teilhabe im institutionalisierten politischen Feld des Landes ausgeschlossen.1525 Dies traf in erster Linie auf die Kommunis-tische Partei zu, deren Kombattanten daher tendenziell geringere Anreize hatten, sich zu demobilisieren. Zum einen konnten sie repressive Maßnahmen durch die staatlichen Sicherheitskräfte nicht ausschließen. Zum anderen waren die weit- reichenden Ziele, für die sie zu den Waffen gegriffen hatten bzw. die sie im Laufe des bewaffneten Kampfes formuliert hatten, nicht erreicht worden. Die Einrich-tung des Frente Nacional hieß nicht, dass alle Konfliktpotenziale, die bei der Genese der Violencia zum Tragen gekommen waren, beseitigt worden wären.

Palacios bezeichnet die von dem Frente Nacional erlassene Amnestie als ver-gleichsweise erfolgreichen Befriedungsversuch Tolimas.1526 Und Lleras Camargo betonte deren Bedeutung für die Befriedung des Landes. Als er 1962 auf seine Amtszeit als Regierungspräsident zurückblickte, strich er heraus, dass „sie [die Kombattanten, L. R.] mindestens zweimal die Gelegenheit hatten, sich zu resozia-lisieren ( rehabilitarse ), […] der Staat bot ihnen die vollständige Straffreiheit und Hilfe an, einen Platz in der neuen Gesellschaft zu finden“.1527 Damit beschrieb er, dass den Gewaltakteuren, die gegen die Militärregierung gekämpft hatten, nach deren Absetzung die Möglichkeit gegeben worden waren, sich in die Reihen der Traditionsparteien zu integrieren bzw. diese nicht zu verlassen und qua Amnestie als politische Akteure legitimiert zu werden.1528

Sicherlich verringerten die Regierungsmaßnahmen den Rückgriff auf Gewalt in den politischen Auseinandersetzungen in dem departamento , aber gerade für Tolima kann nicht davon gesprochen werden, dass die Einrichtung des Frente Nacional die Violencia beendet hätte.1529 Dass die Etablierung der Koalitionsre-gierung nicht, wie in der offiziellen Historiographie dargestellt, mit dem Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Fraktionen im politischen Feld Kolumbiens gleichzusetzen war, lag allerdings nicht nur an der Fortbestehen bewaffneter Gruppen, die sich nicht in die Traditionsparteien integrieren ließen.

Die Secretaría de Agricultura des departamento Tolima stellte Ende der 1950er Jahre in ihrer Bestandsaufnahme über die Folgen der Violencia in Tolima fest, dass „das Problem der Gewalt nicht verschwunden ist; es besteht weiter, wenn auch in merklich anderen Ausprägungen als die, welche sie in der Anfangsphase charak-terisierten“.1530 Diese gewandelten Charakteristika der Violencia sind der Grund, warum Sánchez und Meertens dafür plädieren, in dem Gewaltgeschehen während der ersten beiden Regierungen des Frente Nacional kein einfaches Überbleibsel der vorherigen gewaltsamen Auseinandersetzungen oder deren simple zeitliche Verlängerung zu sehen. Die beiden exponierten Kenner der kolumbianischen Vio- lencia konzipieren die sogenannte Phase des bandolerismo als ein eigenständiges Element der kolumbianischen Violencia Mitte des 20. Jahrhunderts.1531

Um zu verstehen, warum der vierte Untersuchungsraum die von Sánchez und Meertens proklamierte, eigenständige Phase der Violencia darstellte, ist es unab-dingbar, den Blick auf einen komplexen Kampf gegen , aber auch um die ehema-ligen liberalen Kombattanten zu richten. Zum einen versuchten Oppositionsgrup-pen ihren Einfluss auf die ehemaligen Kombattantengruppen zu vergrößern, um mithilfe dieser ihre politischen Macht- und Einflussbereiche gegen den Frente Nacional abzustecken. Zum anderen versuchten Vertreter der Koalitionsregierung auf der lokalen Ebene, in Tolima vorrangig Repräsentanten des oficialismo der Liberalen Partei, die ehemaligen Krieger ihrer Partei zu instrumentalisieren und sie zu dem Schutz ihrer politischen Pfründe vor der (parteiinternen) Opposition einzusetzen.1532

Die Instrumentalisierung der Kombattanten durch caciques und gamonales der Traditionsparteien zum Schutz ihrer Einflussbereiche einerseits und durch partei-interne Oppositionsgruppen wie den Movimiento Revolucionario Liberal anderer-seits wurde durch den Umstand begünstigt, dass ehemalige guerrilleros es oftmals als unmöglich sahen, die Waffen dauerhaft abzulegen. Auch wenn sie durch die Aussetzung der Strafverfolgung vor dem Zugriff des staatlichen Justizapparates geschützt waren, hatten sich nicht wenige von ihnen in den jahrelangen bewaff-neten Auseinandersetzungen viele Feinde, auch unter den staatlichen Sicherheits-kräften, gemacht, die ihnen nach dem Leben trachteten – gleich, ob sie amnestiert worden waren oder nicht. El Cronista drückte diesen Umstand mit den folgenden Worten aus:

An der Person von Teófilo Rojas kann dies exemplarisch verdeutlicht werden. Chispas hatte sich als junger Mann gegen Ende des Jahres 1955, vor dem Hinter-grund der erneut zunehmenden Repression gegen liberale Parteimitglieder durch die staatlichen Sicherheitskräfte, zusammen mit Leonidas Borja, dem Anführer einer liberalen Widerstandsgruppe in Rovira, in den bewaffneten Kampf begeben. Mit der Absetzung von Rojas Pinilla und dem bevorstehenden Regierungsantritt eines liberalen Präsidenten legte auch Teófilo Rojas die Waffen nieder und inten-sivierte die bereits zuvor etablierten Kontakte zu den bewaffneten Widerstands-gruppen in Rioblanco, Chaparral und Planadas in Südtolima.1534

Wenn Varela Mora und Romero Picón, die in der Annahme der Amnestie durch die kommunistischen Kombattanten einen Hinweis auf den politischen Charakter deren bewaffneten Kampfes sehen, Recht haben1535, hatte auch Chispas, der in der ersten Hälfte der 1960er Jahre mehr als einmal als Beispiel für den Prototyp des pathologischen und blutrünstigen violento genannt wurde, mit dem bewaff-neten Kampf politische Ziele verfolgt:1536 Nach der Annahme der von dem Frente Nacional angebotenen Amnestie widmete sich Chispas der landwirtschaftlichen Betätigung auf einem Stück Land, das er mit finanziellen Zuwendungen aus der Rehabilitación erworben hatte.1537 Die unter seinem Kommando stehenden Kom-battanten fordert Rojas dazu auf, mit den Vertretern des Frente Nacional zusam-menzuarbeiten.1538 Im März 1958, nach den Legislativwahlen, die den Präsident-schaftswahlen zur ersten Regierung des Frente Nacional vorausgingen, ließ sich Chispas auf Geheiß von Oviedo in Planadas nieder.1539 Chispas sollte gegenüber Mariachi Auskunft über seine Aktivitäten in den vergangenen zehn Jahren abge-ben, da sich Oviedo die Aufklärung der zahlreichen Chispas zur Last gelegten Verbrechen zum Ziel gesetzt hatte, um dessen vollständige Rückkehr in das zivile Leben zu garantieren.1540 In Planadas arbeitete Chispas zusammen mit Mariachi an dem Bau der Landepiste für Flugzeuge, die in der Gemeinde aus Mitteln der Rehabilitación angelegt werden sollte.1541

Auf einer symbolischen Ebene verdeutlicht die Ausstellung einer cédula de ciudadanía in Planadas während seines Aufenthalts unter dem Schutz von Maria-chi die Reintegration Chispas’ in das zivile Leben eines einfachen Staatsbürgers.1542Auch den ehemals in der Gemeinde El Líbano tätigen, bestens mit der Violencia vertrauten Priester Guzmán Campos, Autor des bereits vielfach zitierten Stan-dardwerks zum kolumbianischen Bürgerkrieg Mitte des 20. Jahrhunderts, bat Rojas um seine Mithilfe, um in den Genuss des Amnestieprogramms des Frente Nacional zu kommen und dem bewaffneten Kampf abschwören zu können.1543 Die Todesstatistiken verdeutlichen die Erfolge der Bemühungen von verschiedener Seite, den liberalen Kombattanten Chispas vom bewaffneten Kampf abzubringen. Wurden ihm 1958 noch 75 Morde zur Last gelegt, tötete er im Folgejahr, als er in dem Genuss der Aussetzung der Strafverfolgung gekommen war, „nur“ eine einzige Person.1544

Teófilo Rojas beklagte sich aber, dass er von Offizieren der Streitkräfte aller Verbrechen und Todesfälle beschuldigt wurde, die sich in der Nähe seines Auf-enthaltsortes ereigneten – sogar „der natürlichen Todesfälle“.1545 Die ehemaligen liberalen Kombattanten um Mariachi sahen in der Person Chispas ein deutliches Beispiel dafür, dass sowohl Konservative als auch kommunistische Akteure ver-suchen würden, die liberalen Gruppierungen aller Gewaltakte, zu denen es in einer bestimmten Region kam, zu beschuldigen. Obgleich Chispas nachweislich zu dem Zeitpunkt nicht näher spezifizierter Gewaltakte in ärztlicher Behandlung und physisch nicht der Lage gewesen sei, an den beklagten blutigen Ereignissen beteiligt gewesen zu sein, würden ihm diese angelastet, nur weil sie sich in seinem ehemaligen Operationsgebiet ereigneten.1546

Angesichts der oftmals mangelhaften Arbeit der zeitgenössischen Justiz sind die Beschuldigungen von Chispas und aus seinem Umfeld nicht als abwegig zu bezeichnen. Im Juni 1961 wurden in Cocorá nahe Ibagué, wo Chispas aktiv war, nachdem er wieder zu den Waffen gegriffen hatte, die Leichen von zwei ecuado-rianischen Indigenen gefunden. Ohne dass es Indizien oder die Aussagen von (Augen-)Zeugen gegeben hätte, eröffnete der Juzgado Segundo Superior del Dis- trito Judicial ein Verfahren gegen Teófílo Rojas und andere verdächtige Personen. Der einzige Grund, der zu den Ermittlungen gegen die Person Rojas führte, war der Umstand, dass die Toten in einer Region gefunden wurden, in der auch Chis- pas aktiv war.1547

Angesichts der fortwährenden Aggressionen gegen seine Person sah sich Chis- pas gezwungen, erneut zu den Waffen zu greifen. In einem Brief, in dem er sich über die Verleumdungen seiner Person sowie die Aufrufe von Konservativen beschwerte, ihn erbarmungslos zu verfolgen, obwohl er der Gewalt müde sei, „ein friedlicher und ehrenwerter Bürger sein“ und der Regierung keineswegs Problem bereiten wolle, gab er zu bedenken, dass „ich nicht die Hände in den Schoß legen und warten kann, dass sie mich töten; der Überlebenswille zwingt mich dazu, mich zu verteidigen“.1548

Auch in den Streitkräften, die lange Zeit als parteipolitisch neutral galten, zeigte sich, dass die mehr als ein Jahrzehnt dauernden bewaffneten Auseinander-setzungen nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen waren, sondern auch sie stark in den Konflikt zwischen den Traditionsparteien und kommunistischen Grup-pierungen gezogen worden waren. Mehrere Bürger aus der Gemeinde Rovira beschwerten sich über die Verfolgung von Mitgliedern der Konservativen Partei durch die in der Region stationierten Streitkräfte. In der mehrheitlich liberalen Gemeinde bezeichne der Mayor Correa den dirigente conservador Pedro Bonilla als „Anführer der pájaros und [als solchen] verfolgte er ihn nach Belieben“. Bonilla habe aufgrund der Anfeindungen gegen ihn und seine Familie, die zu der Ermordung von zwei seiner Brüder geführt hatten, die Gemeinde verlassen müs-sen.1549 Und der Gefreite Florian García, der eine Razzia in Rovira befehligte, habe den anwesenden Mitgliedern der Konservativen Partei gedroht, sie in dem von ihm zugeschriebenen Status als pájaros zu töten bzw. so die Tötungen ex post zu rechtfertigen.1550

Als die Streitkräfte nach Südtolima zurückkehrten, nachdem sie sich aus der Region zurückgezogen hatten, um die Gespräche zwischen der Junta Militar und den liberalen Widerstandsgruppen zu ermöglichen, unterstanden sie einem vergleichsweise jungen Unteroffizier, der als Anhänger der abgesetzten Militär-regierung von Rojas Pinilla nach parteipolitischen Gesichtspunkten handelte. Dieser unterwarf das Dorfleben zunehmend einer militärischen Logik und cha-rakterisierte sich durch ein despotisches Verhalten im Umgang mit den Ein-wohnern der Region: „Alle Menschen müssen nach seinen Schreien und seinen Befehlen springen ( marchar )“.1551 Wenig überraschend waren in den Streit-kräften, die als einzige Kampfverbände lateinamerikanischer Staaten an dem Koreakrieg teilgenommen hatten, antikommunistische Ressentiments vorhan-den. Nach den Gesprächen, welche die kommunistischen Kombattanten unter Führung von Richard 1957 mit den Vertretern der Militärjunta über die Abgabe der Waffen geführt hatten, wurde die Delegation der comunes von dem Unter-offizier Robayo, alcalde militar von Algeciras, bedroht und drangsaliert. Der Oberst Oscar Arce Herrera sah sich in seiner Funktion als Gouverneur von Huila gezwungen, Robayo und seine engsten Mitarbeiter angesichts des Vorfalls von ihren politischen Ämtern abzuberufen.1552

Die Feindseligkeiten zwischen Angehörigen der Traditionsparteien bestimmte oftmals trotz der kurz bevorstehenden Etablierung des Frente Nacional das Han-deln gewisser Akteursgruppen. Der sectarismo beschränkte sich aber mitnichten nur auf die staatlichen Sicherheitskräfte, sondern auch viele Politiker der partidos tradicionales hatten die Dichotomisiserung der sozialen Realität trotz der formalen Zusammenarbeit von Konservativen und Liberalen nicht überwunden. Eustaquio Gutiérrez, Mitglied der Konservativen Partei und Einwohner der Gemeinde Valle de San Juan in Südwesttolima beschwerte sich im Februar 1961 in einem Brief an den ministro de gobierno Ramírez Moreno, dass die Vergabe von Arbeitsauf-trägen im Rahmen des Infrastrukturausbaus in der Region nach parteipolitischen Gesichtspunkten erfolge. Der Gouverneur des departamento habe sowohl den Ingenieur als auch die Arbeiter, die ursprünglich mit dem Bau einer Straße beauf-tragt worden waren, ihrer Arbeiten entbunden, weil sie der Konservativen Partei angehörten.1553

Wie die Klage von Gutiérrez deutlich macht, hatte der sectarismo auch noch Anfang der 1960er Jahre maßgeblichen Einfluss auf das Denken und Wirken von Regional- und Lokalpolitikern. Bereits 1958 erklärte die Junta Militar gegenüber dem Kongress, dass „es Leute gibt, nicht nur sectarios , sondern auch dumme, die glauben, dass sie durch kriminelle Vorgehensweisen das Ziel unmöglicher Hege-monieansprüche erreichen können“.1554 Mit den kriminellen Vorgehensweisen , welche die unmöglichen Hegemonieansprüche zum Ziel hatten, beschrieben die Offiziere, dass Vertreter der Traditionsparteien auf der lokalen Ebene durchaus noch bereit waren, auf Gewaltkollektive zurückzugreifen, um die Vormachtsstel-lung in ihrem Einflussbereich zu wahren.

8.2.1 Die Amnestie als Instrument, die Grenzen des Politischen zu definieren

Zwar legten die Führungseliten der Traditionsparteien ihre politischen Diffe-renzen mit der Einrichtung des Frente Nacional auf der nationalstaatlichen Ebene bei und verfolgten das Ziel, gewalttätigen politischen Praktiken abzuschwören. Mit der Etablierung der konkordanzdemokratischen, liberal-konservativen Regie-rung, die eine grundlegende, fundamentale Neustrukturierung des politischen Fel-des des Landes darstellte, wurde Gewalt als Handlungsressource im Wettstreit um politischen Einfluss in Tolima entgegen der offiziellen Regierungspropaganda allerdings nicht obsolet.

Es waren aber weniger die konservativen Konkurrenten um die politische Macht, welche die Einfluss- und Machtbereiche von liberalen caciques und gamo- nales in Tolima gefährdeten und gegen die diese auf Gewaltkollektive zurückgrif-fen. Da durch die konstitutionell festgeschriebene, paritätische Postenvergabe die Aufteilung der politischen Macht, das heißt die Sitzverteilung in den legislativen Körperschaften und die Präsidentschaft, unabhängig von den Wahlergebnissen bereits vor den Urnengängen feststand, verlagerte sich der politische Wettstreit zwischen den Traditionsparteien vielmehr in diese hinein.1555 Die regelmäßig statt-findenden Wahlen wurden zu einem Gradmesser zur Bestimmung des politischen Gewichts und des Einflusses der verschiedenen politischen Fraktionen innerhalb der Konservativen bzw. der Liberalen Partei, da auch Vertreter der parteiinternen Dissidenzgruppen auf den offiziellen Wahllisten der jeweiligen Partei kandidieren konnten.1556

Um ihre schon als traditionell zu bezeichnenden Machtbereiche gegen parteiin-terne Oppositionsgruppen zu schützen, griffen Politiker, die dem offiziellen Flü-gel der Liberalen Partei angehörten, oftmals auf ehemalige Kombattanten zurück, die den oficialismo der Liberalen Partei nicht grundlegend kritisierten, um einen Machtgewinn parteiinterner Oppositionsgruppen auf eigene Kosten zu verhin-dern.1557 Auf einem Treffen der Gouverneure verschiedener departamentos , unter anderem Tolima, mit dem Innen- sowie Verteidigungsminister und Vertretern der Streitkräfte Anfang 1961 wurde die erneut steigende Gewaltintensität mit den im Folgejahr anstehenden Wahlen in einen kausalen Zusammenhang gebracht.1558

In dem mehrheitlich liberalen departamento Tolima stellte der Movimiento Revolucionario Liberal , der sich um López Michelsen, Sohn des ehemaligen Präsidenten López Pumarejo, gebildet hatte, den stärksten Konkurrenten für des oficialismo der Liberalen Partei um politischen Einfluss dar. In einigen Gemein-den Osttolimas und dem angrenzenden Cundinamarca, beispielsweise in Pandi, Fusagasugá und San Bernardo, verlor der liberale oficialismo seine politischen Mehrheiten aufgrund der Wahlerfolge des MRL in einer Region, die eine lange Tradition sozialer Bewegungen und Kämpfe hatte.1559

Das Dekret, das die Aussetzung der Strafverfolgung unter gewissen Bedingun-gen ermöglichte, stellte ein hervorragendes Medium dar, um sich die Unterstüt-zung ehemaliger Kombattanten zu sichern, denn der Decreto 0328 war in einigen zentralen Punkten vage formuliert. Bezüglich der zu untersuchenden Gewaltakte hatten die Verfasser, im Vergleich zu der von Rojas Pinilla formulierten Amnestie, diese relativ wenig stark eingrenzt. Rojas Pinilla hatte die Putschisten in den Rei-hen der Streitkräfte, die sich in Pasto gegen die Regierung López Pumarejo 1944 erhoben hatte, explizit mit eingeschlossen, exkludierte aber Militärs, die im Zuge der Ermordung Gaitáns rebelliert hatten, von einer möglichen Amnestie. Dem Dekret des Frente Nacional folgend mussten jedoch Gewaltakte ohne nähere Spezifizierung, die vor dem 15.10.1958 verübt worden waren, hinsichtlich einer möglichen Amnestierung begutachtet werden – theoretisch auch Gewaltakte, die bereits im Zuge des Putsches von Rojas Pinilla begutachtet und eventuell negativ beschieden worden waren.1560

Das zentrale Problem lag aber mitnichten nur in der Quantität der zu begutach-tenden Anträge auf Gewährung der Aussetzung der Strafverfolgung. Wie geschil-dert waren nur politische Gewalttaten amnestierfähig, aber die Bewertung, ob ein spezifischer Gewaltakt persönliche oder öffentliche Interessen verfolgte bzw. ob ihm kriminell-ökonomische oder altruistisch-allgemeingültige Motivationen zugrunde lagen, gestaltete sich in der juristischen Praxis durchaus diffizil. Rubio verweist auf die Schwierigkeiten, von den Motivationen des Individuums auf die Kollektivmotivationen der Kombattantengruppe zu schließen, aber auch aus letz-teren die Beweggründe der einzelnen Kombattanten abzuleiten. Auch wenn das Kollektiv prinzipiell handelte, um eine Verbesserung der Situation einer überin-dividuell konzipierten Gruppe zu erreichen, schloss dies nicht per se aus, dass einzelne Kombattanten hochgradig egoistische und persönliche Interessen ver-folgten.1561 Und auch ein Gewaltkollektiv, das die hehrsten politischen Ziele ver-folgte, stand im monte vor dem Problem, das eigene Überleben zu sichern. Wie war die Entwendung von Lebensmitteln und Vieh von fincas , die im Operati-onsgebiet einer bestimmten Kombattantengruppe lagen, zu bewerten? War dies ein krimineller Akt, welcher der individuellen Bereicherung diente, oder war es eine notwendige Handlung zur Sicherung des eigenen Überlebens im Rahmen des amnestierfähigen, politischen Kampfes?1562

Wie die beiden Fragen schon andeuten, ließ sich in der juristischen Praxis, in der über die Amnestiefähigkeit konkreter Gewalttäter entschieden werden mus-ste, nicht derart stringent zwischen politischen und ökonomisch motivierten, kri-minellen Gewalttaten unterscheiden, wie es das Dekret vorsah. Die eingeforderte Differenzierung war eine Unterscheidung, die tendenziell theoretischer Natur war und sich nur bedingt auf den konkreten, zu untersuchenden Fall anwenden ließ.1563Der Amtsträger hatte bei der Feststellung des politischen oder kriminellen Cha-rakters eines Gewaltakts einen gewissen Entscheidungs- und Interpretationsspiel-raum. Dieser stellte oftmals ein Disziplinierungsinstrument erster Güte gegenüber Parteimitgliedern dar, die sich in den bewaffneten Kampf begeben hatten, denn wer dem Frente Nacional treu war und ihn nicht infragestellte, konnte mit dem Wohlwollen des jeweiligen Mandatsträgers rechnen und als politischer Akteur in den Genuss der Amnestie kommen. Wer sich allerdings dem oficialismo ver-weigerte und sich gegen die liberal-konservative Koalitionsregierung stellte, lief Gefahr, nicht in den Genuss der Amnestie zu kommen, da der politische Charakter der von ihm begangenen Gewalttaten nicht anerkannt werden würde.

Ein weiteres Druckmittel auf ihre Gefolgschaft erhielten caciques und gamona- les mit dem Mittel der Verbannung ( extrañamiento ), das ab 1959 als Maßnahme, gegen die fortwährende Gewalt vorzugehen, diskutiert und auch angewendet wurde – auch wenn bei weitem nicht alle dekretierten Verbannungen umgesetzt wurden.1564 Der extrañamiento zielte darauf, kriminelle – oftmals als pathologisch gewalttätig wahrgenommene – Akteure aus ihrem sozialen Umfeld zu entfernen, in dem sie oftmals über (erzwungene) Unterstützung der Lokalbevölkerung ver-fügten. Gleichzeitig konnten Politiker den Anführern bewaffneter Gruppen aber auch mit der Verbannung drohen, sollten diese den Vertretern der Traditionspar-teien den Rücken kehren.1565

Der Interpretationsspielraum bei der Bewertung des politischen oder unpoliti-sch-kriminellen Charakters des Gewaltaktes vor dem Hintergrund der Antragstel-lung auf Aussetzung der Strafverfolgung stellte allerdings auch eine Quelle von nicht statthafter Straffreiheit dar. Wenn Akteure bekundeten, die Motivationen der von ihnen ausgeübten Gewalt seien politische gewesen und der über den Antrag entscheidende Politiker dies glaubte oder glauben wollte, konnten durchaus auch kriminell motivierte Gewaltakteure in den Genuss der Aussetzung der Strafver-folgung kommen.1566 Dieser Umstand entging auch dem Richter nicht, der den Mord an einem liberalen campesino während der Amtszeit von Gómez unter-suchte. Er kritisierte, dass viele Verbrechen, die rein kriminell bedingt waren, unter die von dem Frente Nacional dekretierte Amnestie gefallen seien. Ungeach-tet der Bedingungen, die der Decreto 0328 für eine etwaige Aussetzung der Straf-verfolgung nannte, „reichte es aus, dass der Angeklagte bei der administrativen Autorität vorstellig wurde und den entsprechenden Antrag stellte […], damit das von ihm begangene Verbrechen zu denen gezählt wurde, die von der impunidad profitierten, die wiederum von der selbigen Nationalregierung gefördert wurde“.1567Und aus dem Ministerio de Guerra wurden Klagen laut, dass 149 genuin krimi-nelle Akteure „aufgrund politischen Drucks die Amnestie erhielten, ihre Freiheit wiedererlangten, in ihre Ursprungsregion zurückkehrten und erneut ihre alten kri-minellen Aktivitäten aufnahmen“.1568

Der Interpretationsspielraum politischer Amtsträger bei der Beantragung und Gewährung der Amnestie, der dazu führte, dass diese zu einem politischen (Dis-ziplinierungs-)Instrument wurde, und der ein gewisses Maß an Willkürlichkeit der Aussetzung der Strafverfolgung implizierte, war allerdings nicht der einzige Grund für die begrenzte Reichweite der Amnestie des Frente Nacional . Das Dekret 0328 nannte als Bedingung für die Aussetzung der Strafverfolgung, „dass die Per-sönlichkeit der Person, gegen die ermittelt wird, die Modalitäten des Verbrechens, und die Situation des orden público seine Freiheit nicht ratsam machen“.1569 Als nicht amnestierbar wurden auf Basis der zitierten Einschränkungen Verbrechen angesehen, die ein hohes Maß an Grausamkeit aufwiesen, das heißt crímenes atroces waren von der Amnestie ausgeschlossen.1570 Der Gewaltakteur, der unter dem Pseudonym El Chimbilá im Namen der Konservativen Partei gekämpft hatte, berichtete Molano, dass er nicht amnestiert werden konnte, da die ihm zur Last gelegten Verbrechen als atroces gewertet worden seien.1571

Die Grausamkeit der Morde an den politischen Gegnern war allerdings ein Kriterium, das auf die Mehrheit der Kombattanten zutraf. Den in der Forensik Overkill genannten Umstand, dass viele der Opfer der Violencia nicht „nur einmal getötet wurden“, sondern ihnen mehrere definitiv zum Tode führende Verletzun-gen zugefügt wurden, bezeichnet Uribe, Urheberin einer der wenigen Studien, die den Blick explizit auf die Performanz der Gewalt richten, mit dem vielsagenden Titel ihrer Arbeit als Matar, Rematar y Contramatar .1572

Die zu beobachtende Performanz der Gewalt, die in der Tat von einem hohen Maß von Erbarmungslosigkeit und Sadismus zeugte, war allerdings nicht nur pathologischen Charaktereigenschaften der Kombattanten geschuldet.1573 Die Gewaltexzesse in bewaffneten Auseinandersetzungen sind immer auch eine Möglichkeit, „die eigene Schwäche und die Begrenztheit der eigenen Gewalt- ressourcen“ zu verdecken.1574 Das heißt, die ostentativ grausame Gewalt war auch während der Violencia ein Mittel, den Widersacher über die eigene oftmals einge-schränkte militärische Schlagkraft hinwegzutäuschen.

Pécaut wiederum sieht gerade in der sozialen Nähe der Opfer, die auf der geteil-ten Erwerbstätigkeit in der Landwirtschaft oder auf der in der Mehrheit der Fälle gemeinsamen Religionszugehörigkeit fußte, den Grund für die exponierte Grau-samkeit der Violencia . Durch die extreme Grausamkeit der Gewalttaten gegen homologe Opfer mit einer ähnlichen Position im sozialen Raum schafften die Täter die notwendige Distanz zu ihren Opfern, um sie töten zu können.1575

Uribe deutet das Wie der Gewalt ähnlich und verweist auf Gewaltpraktiken, die aus der bäuerlichen Alltagsbeschäftigung des Schlachtens von Tieren stammen1576– eine These, die vor dem Hintergrund der im Rahmen der untersuchten Dicho- tomisierung der sozialen Welt zu beobachtenden, teilweisen Entmenschlichung des politischen Widersachers eine gewisse Stichhaltigkeit hat. Von Trotha ver-weist ebenfalls darauf, dass die stringente Unterscheidung zwischen „Wir“ und „Sie“ zu einer Dehumanisierung des Gegners führen kann.1577 Blair wiederum konzipiert den menschlichen Körper des Widersachers als Medium, um politische Machtansprüche zu formulieren. Mittels des Körpers der Opfer wurden durch das „mehrfache Töten“ Nachrichten an das eigene soziale Umfeld und das des Opfers verbreitet.1578 Das exzessive Töten zielte auf die Demonstration – gegenüber dem eigenen Unterstützerumfeld – von absoluter Macht über Leben und Tod des Fein-des einerseits, auf Einschüchterung und Erzeugen von Furcht in der Entourage des Opfers andererseits.1579 Bauman streicht die kommunikative Dimension phy-sischer Gewalt heraus und betont, dass die Bilder von Gewalt bzw. ihrer Opfer auch immer eine Drohung an dritte Akteure sind, denen derart verdeutlicht wird, dass auch sie Opfer der mitunter tödlichen Violenz werden können.1580 Verstüm-melungen und post mortem zugefügte Wunden sollen der Gemeinschaft die Un- fähigkeit verdeutlichen, ihre Mitglieder schützen zu können.1581

An zwei Fällen lässt sich verdeutlichen, dass das exzessive Töten der poli-tischen Gegner seine durchaus intendierte Wirkung auf das soziale Umfeld der Opfer zeitigte und seine gewünschten Effekte hervorrief. Die Polizisten, die einen von liberalen Widerstandskämpfern angegriffenen Stützpunkt der staatlichen Sicherheitskräfte verstärken sollten, weigerten sich, den Befehlen ihrer Vorge-setzten Folge zu leisten. In der Anzeige über die Befehlsverweigerung informierte der Polizeioffizier Sarmiento Bohada, dass die beschuldigten Beamten bekundet hätten, den Marsch nicht weiter fortsetzen zu wollen, da „sie die Toten von gestern in der Form, wie sie übrig geblieben waren, gesehen hatten und auf eine andere Art und Weise sterben wollten“.1582 Auch einer der beschuldigten Beamten gab in seiner Vernehmung zu Protokoll, dass die Einheit, der er zugeordnet war, „durch den Anblick der Leichen, allesamt zerstückelt, etwas demoralisiert“ worden sei1583

Die Beamten, die als erste Personen den Tatort betraten, wo mehrere pájaros insgesamt neun Personen getötet hatten, protokollierten die Szenerie in den fol-genden Worten: „Wir beobachteten ein makabres Bild, die Körper von sechs Per-sonen, einer über dem anderen, dies war ein finsteres Spektakel“.1584 Angesichts der Tatsache, dass die Leichen allesamt mit dem corte de franela nahezu enthaup-tet worden waren und die Ermittler an dem Tatort die Tatwaffen, Macheten, mit Anhaftungen der Körper der Opfer fanden, erscheint die zitierte Aussage nicht übertrieben.1585

Das Kriterium der Grausamkeit war ein weiteres Bestimmungsmerkmal, das bei der Entscheidung über die Gewährung der Aussetzung der Strafverfolgung eine zentrale Rolle spielte, obwohl es als subjektiv zu kategorisieren war. So wie der entscheidende Richter bzw. Politiker einen gewissen Entscheidungsspielraum bei der Bewertung der Frage, ob die mit der Gewalt verfolgten Ziele altruisti-scher oder eigennütziger Natur waren, oblag es auch ihm zu beurteilen, ob ein Verbrechen grausam oder nicht war. So stellte der Richter Montoya Betancourt, der ein Massaker an 12 konservativen campesinos in Venadillo untersuchte, in einem ersten Schritt fest, dass es sich um ein politisches Verbrechen handelte, da das ausschlaggebende Motiv, das der Gewalt zugrunde lag, die Mitgliedschaft der Opfer in der Konservativen Partei war. Die gefesselten Opfer wurden aber nicht unmittelbar getötet, sondern zuvor gefoltert, um das Sterben über einen möglichst langen Zeitraum hinzuziehen. Und auch die Vergewaltigung einer Sterbenden, zeugte dem Richter folgend, von einer „moralischen Grausamkeit“.1586 Daher qualifizierte Montoya Betancourt das Verbrechen letzten Endes als grausam und damit nicht amnestiefähig, auch wenn die Feindschaft zwischen den Traditions-parteien, wie in Dekret 0328 festgehalten, als Motiv die Aussetzung der Strafver-folgung vorsah.1587

In einem anderen Fall hingegen wurden die Umstände, unter denen die Straftat stattfand, wiederum gänzlich unterschiedlich bewertet. Bei dem Angriff auf ein Polizeiquartier in Osttolima wurden die angegriffenen Beamten schwer verletzt, aus dem Gebäude gezerrt und bei lebendigem Leib angezündet. Die Angreifer bewachten sogar die sterbenden Polizisten, um zu verhindern, dass ihnen gehol-fen werden konnte.1588 Erstinstanzlich wurden den Beschuldigten der Status poli-tisch motivierter Kombattanten wegen der zu beobachtenden Grausamkeit des Verbrechens verweigert. Bei der Überprüfung des Urteils hingegen bekundete das zuständige Militärgericht auf Basis derselben Beweise und Aussagen, dass „keine Basis existiert, um abzuleiten, dass ‚Grausamkeit’ bei der Tötung der Polizisten vorlag“ und erklärte das vorherige Urteil für nichtig, da das Verbrechen unter die Amnestie falle.1589

Einer der berühmtesten und am meisten gefürchteten bandoleros der ersten Hälfte der 1960er Jahre, der vom Frente Nacional nicht amnestiert wurde, war Jacinto Cruz Usma (alias Sangrenegra).1590 Dieser setzte die von ihm ausgeübte Gewalt nicht nur dazu ein, das soziale Umfeld seiner Opfer und seine eigenen potentiellen Unterstützer von seiner Machtfülle zu überzeugen. Cruz Usma ver-suchte weiterhin, Kommunikationsprozesse in Form von Gesprächen mit den staatlichen Autoritäten durch die Ausübung exzessiver Gewalt anzustoßen: Edilma López, die ehemalige Geliebte des Kombattanten, berichtete, dass Sangrenegra durchaus bereit sei, die Waffen niederzulegen, wenn die Regierung ihm den Genuss der Amnestie zuteil werden ließe.1591 Allerdings war zum einen das Angebot der Gewährung der Amnestie zeitlich befristet, und 1963 bereits lange ausgelaufen, zum anderen wurden seine Verbrechen als atroz und damit nicht amnestiefähig gewertet. In der Ausübung exzessiver Gewalt sah er jedoch eine Möglichkeit, die Regierung dessen ungeachtet an den Verhandlungstisch zu bringen. Als einer der Urheber des Massakers in La Italia mit mehr als 40 Todes- opfern bekundete er, „dieses [Massaker] verübt zu haben, weil die Regierung ihm nicht die Amnestie hatte geben wollen [und] dass sich die Regierung so gezwungen sehen wird, ihm die Amnestie zu gewähren, damit er aufhöre, diese Taten zu vollführen“.1592

Auch wenn Cruz Usma das von ihm angestrebte Ziel mit den Gewalttaten nicht erreichte, waren seine Bestrebungen nicht derart abwegig, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mögen. Die Vergabe der Amnestie erfolgte mitnichten nur nach juristischen Maßgaben, sondern war, wie bereits beschrieben, ein flexibel einsetz-bares politisches Instrument. Parlamentarier der Konservativen Partei kritisierten, dass die Koalitionsregierung unter dem liberalen Präsidenten Lleras Camargo zu große Nachsicht und Wohlwollen gegenüber den Kombattanten walten lasse, die im Namen der Liberalen Partei gekämpft hatten.1593 Ein Zeitzeuge, der im Namen der Konservativen Partei gekämpft hatte und der Molano sein testimonio hinter-ließ, erinnert ebenfalls an die politischen Ränkespiele, Absprachen und gegensei-tigen Zugeständnisse zwischen den directorios beider Traditionsparteien über die Amnestierung von bestimmten Kombattanten.1594 Diese Verhandlungen zeigten, dass die von dem Frente Nacional erlassene Amnestie keineswegs nur juristi-schen, klar festgelegten Normen folgte, sondern auch als politisches Instrument genutzt werden konnte – und auch genutzt wurde.

Wie deutlich geworden ist, konnten durch die von dem Frente Nacional dekre-tierte Amnestie die Grenzen des Politischen klar gezogen werden, da die Aus-setzung der Strafverfolgung in entscheidendem Maße von Repräsentanten der Traditionsparteien als politischen Amtsträgern abhing. Der relativ große Inter-pretationsspielraum hinsichtlich der Bewertung der zugrundeliegenden Ziele der Akteure und der Begutachtung der Performanz der Gewalt ermöglichte es den Vertretern der partidos tradicionales , den (ehemaligen) Gewaltakteuren den Status politischer Akteure zuzuschreiben und damit die Möglichkeit zu geben, amnestiert zu werden – oder ihnen diese vorzuenthalten.

Das in vielen Punkten vage formulierte Amnestiedekret und der beschriebene Interpretationsspielraum implizierten immer auch, einen politischen Fürsprecher zu haben, der für die Aussetzung der Strafverfolgung plädierte und beschied, dass von dem Akteur keine Gefahr mehr für den orden público ausging. Um diese Fürsprache zu bekommen, mussten die Gewaltakteure dem politischen Repräsen-tanten glaubhaft machen, dass sie ihn, seine Machtbereiche und die Partei, der er angehörte, nicht infragestellten. Auch konnten ehemalige guerrilleros , die sich nicht den Interessen ihrer politischen Protegés entsprechend verhielten, der Status eines Amnestierten entzogen werden. Tribuna warnte Mitte 1960 davor, die Straf-verfolgung gegen den ehemaligen liberalen Kombattanten Víctor Ordóñez (alias Capitán 21) wieder aufzunehmen. Die liberale Tageszeitung sah die Ambitionen, Ordóñez den Status eines Amnestierten zu entziehen, den Machtkämpfen zwi-schen Anhängern des MRL und dem oficialismo der Liberalen Partei geschuldet.1595Der Kommentator gab zu bedenken, dass „das Spiel mit der Justiz [für den orden público in Nordtolima, L. R.] sehr gefährlich ist“.1596

Vor diesem Hintergrund ist die Feststellung von Sánchez und Meertens zu verstehen, dass ein als kriminell wahrgenommener bandolero geworden zu sein, hieß, die politische Legitimität verloren zu haben. Es ging aber weniger darum, politische Legitimität durch die tatsächliche Verwicklung in kriminelle Machen-schaften eingebüßt zu haben, als vielmehr in erster Linie der Unterstützung und des Wohlwollens politischer Amtsträger verlustig geworden zu sein. In der Früh-phase der Koalitionsregierung genossen viele ehemalige liberale guerrilleros oft-mals noch die politische Legitimität, von der Sánchez und Meertens sprechen, das heißt sie erfuhren Unterstützung von Vertretern der Liberalen Partei.1597

Die Ermittlungen zu einem Mord und dem Straftatbestand der Rebellion ver-deutlichen, dass der enge Zusammenhang zwischen dem politischen Charakter der Kombattanten, der die Gewährung der Amnestie ermöglichte, und den guten Kontakten zu politischen Vertretern der Traditionsparteien auch in der juristischen Praxis gesehen bzw. vorausgesetzt wurden. Die Ermittlungen richteten sich gegen den ehemaligen liberalen Guerillaführer Efraín Valencia (alias Arboleda). Er und seine Kombattanten seien lange Zeit, von den Vorgängerregierungen, als krimi-nelle Akteur, als chusmeros , klassifiziert worden, womit die Aussetzung der Straf-verfolgung in ihrem Fall nicht möglich gewesen sei. Mit dem Zeitpunkt, als sie in Verhandlungen mit der Regierung über ihre Demobilisierung und Rückkehr in das zivile Leben traten, „wurde ihnen [jedoch] der Status (politischer) guerrilleros zuerkannt“, wie der Staatsanwalt Piedrahita Marín festhielt.1598 In dieser Sicht-weise reichte die Affinität zu einer der beiden Traditionsparteien aus, die sich in den Gesprächen manifestierte, um als politischer Akteur anerkannt und somit Kandidat für die Amnestierung zu werden.

Gewissermaßen in umgekehrter Weise kam das Zusammenspiel zwischen dem Kontakt zu einer der Traditionsparteien, der Gewährung eines politischen Status und der damit verbundenen Möglichkeit, amnestiert zu werden, in den Ermittlun-gen wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung ( Asociación para delinquir ) in der Gemeinde Planadas zum Tragen. Der Staatsanwalt versuchte Mitte 1962 die Argumentation des Strafverteidigers, dass es sich bei den untersuchten Vergehen um politische Verbrechen handele, die unter die Amnestie fallen würden, zu fal-sifizieren. Seiner Meinung nach hätten die Angeklagten die Amnestie angenom-men und würden sich der landwirtschaftlichen Arbeit widmen, wenn sie jemals politische Ziele mit ihren Gewalthandlungen verfolgt hätten.1599 Dabei ignorierte er allerdings, dass die beschuldigten Kombattanten Kommunisten waren, die in keiner der Traditionsparteien einen Fürsprecher hatten, der ihnen gewährt hätte, als politische Kombattanten zu gelten, und sie somit gar nicht amnestiert hätten werden können. Weiterhin waren die politischen Ziele der Beschuldigten mit dem Friedensschluss zwischen den partidos tradicionales keineswegs erreicht wor-den, sodass sie nur geringe Anreize hatten, die angebotene Amnestie – wenn sie sie denn in den Genuss selbiger gekommen wären – anzunehmen. In seiner Logik nähme derjenige, der aus politischen Gründen zu den Waffen gegriffen hatte, die Amnestie an, was unweigerlich bedeutete, in einer der Traditionsparteien poli-tisch beheimatet gewesen zu sein. In gewisser Weise reduzierte der Jurist das Poli-tische auf die Liberale bzw. Konservative Partei und zeigte die Tendenz, andere Gruppierungen zu kriminalisieren.

Diejenigen, welche die Waffen nicht ablegten und sich nicht dem oficialismo der Liberalen Partei bzw. der Führung der Konservativen Partei unterordneten, wurden als kriminelle bandoleros aus dem Raum des Politischen ausgeschlos-sen und der Repression durch die staatlichen Sicherheitskräfte ausgesetzt.1600 In diesem Sinne unterschied Cenón Muñoz, liberaler Lokalpolitiker aus Huila, zwi-schen „den authentischen guerrilleros , die sich bewaffnet hatten, weil sie von der Repression durch die unverantwortlichen Autoritäten bedrängt wurden“, und den „von Ciro Castaño, Tirofijo etc. befehligten Leuten“, die nicht in das zivile Leben zurückkehren wollen würden.1601

Allerdings, so ist doch herauszustreichen, wurde vielen kommunistischen Akteuren gar nicht die Möglichkeit gegeben, ihre Bereitschaft zu einer friedlichen politischen Betätigung unter Beweis zu stellen. Jaime Fajardo Pinzón, zuständi-ger Richter des Tribunal de Gracia , hatte im August 1959 den Antrag auf Aus-setzung der Strafverfolgung von Ciro Castaño und seiner Kombattantengruppe negativ beschieden. Fajardo Pinzón zufolge ließen der „Charakter und die Moda-litäten der [ihnen zur Last gelegten, L. R.] Taten“ keine positive Beurteilung der Aussichten auf eine Reintegration in das zivile Leben zu1602 – eine Prognose, die Politiker und Richter bei vielen anderen Kombattanten, die zur Verteidigung der partidos tradicionales zu den Waffen gegriffen und sich grausamster Verbrechen schuldig gemacht hatten, gänzlich anders stellten.

8.2.2 Der Schutz angestammter Einflussbereiche durch die bandoleros políticos

In Anspielung auf die Rahmenbedingung politischer Aktivität in dem departa- mento beschrieb ein namentlich nicht genannter Kongressabgeordneter den politi-schen Alltag und die Regierungsaktivitäten in Tolima mit folgenden Worten: „Um Gouverneur in Tolima zu sein, muss man gute Beziehungen zu den ehemaligen guerrilleros , den gegenwärtigen bandoleros haben“.1603 Damit spielte der Volks-vertreter auf den Umstand an, dass politische Amtsträger in dem departamento Tolima oftmals auf ehemalige guerrilleros zurückgriffen, welche die Machtver-teilung und -strukturen im politischen Feld zu Gunsten der politischen Amtsträger mitbestimmten. Der Gouverneur Tolimas Parga Cortés unterschied zwischen den mitunter kriminell motivierten, ehemaligen liberalen Widerstandskämpfern, den bandoleros , auf der einen Seite und liberalen guerrilleros , die den politischen Prämissen der Liberalen Partei, die in Tolima die politische Mehrheit stellte, folg-ten, auf der anderen. Jesús María Oviedo nahm er in Schutz, denn ihm zufolge „war Mariachi selber nicht so böse, wohl aber ambitioniert, er wollte der alleinige Anführer sein“.1604

Gilberto Zuluaga Ospina, Secretario des Juzgado 154 de Instrucción Criminal in Ibagué, war sich ebenfalls des Umstandes bewusst, dass gamonales der Traditi-onsparteien oftmals in direkter Beziehung zu den Gewaltkollektiven standen und diesen oftmals dabei behilflich waren, die Zugriffe der staatlichen Sicherheits-kräfte zu vermeiden. In einem Brief an das Verteidigungsministerium, in dem er seine Vorschläge erörterte, wie die Verfolgung von bandoleros effizienter gestal-tet werden könnte, empfahl er, sowohl Offiziere als auch die Mannschaften nicht länger als vier Monate in derselben Region stationiert zu lassen. Derart wollte er verhindert wissen, dass diese zu enge Kontakte zu den „ gamonales der Weiler [knüpften], die im Allgemeinen diejenigen sind, welche die cuadrillas anführen“.1605

Die Verbindungen zwischen politischen Amtsträgern sowie Repräsentanten der Traditionsparteien einerseits und (ehemaligen) Kombattanten, die im Namen der Liberalen Partei gekämpft hatten, andererseits können an der Person des dirigente liberal Alfonso Jaramillo Salazar verdeutlicht werden. Dieser nutzte seine Kon-takte zu ehemaligen liberalen Kombattanten, um seine politischen Einflussberei-che vor Oppositionskräften zu schützen.

Als Vertreter des oficialismo der Liberalen Partei verteidigte Jaramillo Sala-zar den Frente Nacional als angemessene Form, die Violencia zu einem Ende zu führen. Gleichzeitig erkannte er aber die politische Legitimität ehemaliger liberaler Kombattanten wie Jacinto Cruz Usma oder William Angel Aranguren an, obgleich sie von weiten Teilen des politischen Spektrum als bandoleros kri-minalisiert und als Hindernisse für die endgültige und dauerhafte Befriedung des departamento gesehen wurden.1606 Im Gegenzug für die Legitimität im Sinne von Sánchez und Meertens machten ehemalige liberale Kombattanten ihren Einfluss auf die Bürgerschaft der Regionen geltend, in denen sie die Sicht- und Teilungs- prinzipien maßgeblich mitbestimmten, um deren Stimmverhalten in Einklang mit den Interessen des politischen Protegés der bandoleros zu bringen. Jaramillo Salazar gewann als cacique liberal Nordtolimas die Legislativwahlen 1958 und 1960 de facto unangefochten, was ihm in beiden Jahren den Einzug in den Kon-gress sicherte.1607

Auch in den Legislativwahlen 1962 sicherte sich Jaramillo Salazar erneut ein Mandat im Kongress. Er verlor allerdings die Stimmenmehrheit in seinem ange-stammten Wahlbezirk El Líbano, das Tribuna als das „Wahllehen ( feudo electo- ral )“ des cacique bezeichnete.1608 Im selben Jahr berichtete der Geistliche José de Jesús Fernández, der als Mittelsmann zwischen Desquite und den staatlichen Autoritäten diente, um über eine Rückkehr von Aranguren in das zivile Leben zu verhandeln, dass diesem eine beachtliche Summe Geld geboten worden sei, wenn er die Waffen nicht niederlegen würde. Der Name der Person, die Desquite das zwielichtige Angebot unterbreitete, nannte El Cronista nicht, ließ aber verlauten, dass es sich um „eine bekannte Person der Gemeinde El Líbano“ handele. Ange-sichts der Tatsache, dass Jaramillo Salazar in der liberalen Regionalzeitung immer als ( médico- ) cacique bezeichnet wurde, er aus El Líbano stammte und sich in El Líbano in den kurz zuvor stattgefundenen Wahl einem Kandidaten der parteiin-ternen liberalen Opposition geschlagen geben musste, ist es durchaus wahrschein-lich, dass das Angebot an Desquite, seine cuadrilla aufrecht zu erhalten, von ihm unterbreitet wurde.1609

Tribuna kritisierte das Verhalten des cacique , „der glaubt, dass er seinen Sitz im Kongress gepachtet hat und dass es die stillschweigende Pflicht der liberalen Par-teianhänger ist, ihn regelmäßig und ohne zeitliche Begrenzung wiederzuwählen“, aufs Schärfste. Die Tageszeitung klagte das Vorgehen von Jaramillo Salazar gegen die Konkurrenten um politische Macht an. Gegen die linksliberale, parteiinterne Opposition nutze er seine politischen Kontakte nach Bogotá, um Gefolgsleute des MRL aus ökonomischen Machtpositionen entlassen zu lassen, damit diese nicht für politische Zwecke instrumentalisiert werden konnten. Quiroga Rios, Vertreter der Federación de Cafeteros in Santa Teresa und Gefolgsmann der poli-tischen Bewegung von López Michelsen, sei auf Betreiben von Jaramillo Salazar durch einen seiner treuen Gefolgsmänner ersetzt worden.1610 Mehrere Bürger der Gemeinde Falán in Nordtolima beschwerten sich schriftlich bei dem Gouverneur des departamento Echandía über die Anfeindungen und Drangsalierungen durch politische Weggefährten von Jaramillo Salazar. Diese würden die Oppositionellen angreifen, weil sie in den vergangenen Legislativwahlen nicht für die Kandidaten des oficialismo gestimmt hätten.1611

Damit die Drohungen auch ein entsprechendes Wahlverhalten zur Folge hat-ten, mussten diesen notfalls auch (Gewalt-)Taten folgen bzw. die Angefeinde-ten mussten glauben, dass die Nichtbeachtung der Anweisungen unangenehme Konsequenzen haben könnte. Die Mitglieder des MRL, gegen die wegen Mordes ermittelt wurde, beklagten sich vor Gericht über das Messen mit zweierlei Maß. Ihnen zufolge würden Juristen zwischen „den Guten, die auf der Seite des gegen-wärtigen Systems stehen, ohne dass es bedeutsam wäre, dass sie sich bestimmter Verbrechen schuldig gemacht hatten, und den Bösen, die nicht einer Meinung sind und nicht den Leitlinien [des Frente Nacional , L. R.] folgen“, unterscheiden.1612Sie beschuldigten Vertreter der Koalitionsregierung und der partidos tradiciona- les , über die Vergehen bewaffneter Akteure hinwegzusehen. Für die von ihnen begangenen Gewalttaten würden sie von der Justiz nicht behelligt, solange sie den Interessen des Frente Nacional dienlich seien. Andere ehemalige Widerstands-kämpfer hingegen, die sich den Oppositionsgruppen angenähert hatten, würden unnachgiebig als Verbrecher verfolgt. Anhänger des Movimiento Revoluciona- rio Liberal in Venadillo reichten Beschwerde bei den Kongressabgeordneten des MRL Saúl Pineda und Luis Eduardo Vanegas Franco in Bogotá über die Verfol-gung von Linksliberalen in der Gemeinde ein. Anhänger der politischen Bewe-gung um López Michelsen würden in Venadillo ihren Angaben zufolge sowohl von den politischen Amtsträgern als auch dem ehemaligen liberalen guerrillero Agustín Bonilla verfolgt. Bonilla hatte unter dem nom de guerre El Diablo den liberalen bewaffneten Widerstand in der Nähe der cabecera departamental wäh-rend der Regierungszeit Gómez’ organisiert.1613

Im Gegensatz zu anderen ehemaligen liberalen Widerstandskämpfern – auf die später noch eingegangen wird – hatte sich Agustín Bonilla zu keinem Zeitpunkt von den politischen Programmen des oficialismo der Liberalen Partei entfernt. Dies war einer der Gründe, warum Bonilla mit der Etablierung des Frente Nacio- nal in den Führungsstab der Polizeikräfte in der ländlichen Gemeinde, der Agen- tes Rurales , berufen wurde.1614 Jaime Ramírez Soto, alcalde militar der Gemeinde Venadillo, lobte Bonilla wegen seiner Treue zu und Unterstützung der politischen Autoritäten in Zentraltolima als „unseren aktiven Mitarbeiter“.1615

Silvestre Bermúdez, der im südöstlichen Tolima eine bewaffnete liberale Widerstandsgruppe angeführt hatte, bekundete, erklärter Gegner der parteiinter-nen liberalen Oppositionsgruppen und „erst recht der Herren Kommunisten“ zu sein. Bermúdez unterstrich allerdings, dass gegen die politischen Gruppen, welche die Vormachtstellung der Liberalen Partei in Tolima gefährdeten, nur „die Wege der Überzeugung, in höflicher und respektvoller Art und Weise“ eingeschlagen werden dürften.1616 Die Akteursgruppen, auf die sich die vorgeblich friedliche Überzeugungsarbeit von Mediavida richtete, sahen in Bermúdez hingegen keines-wegs nur den um friedliche politische Betätigung bemühten Ex-Kombattanten der Liberalen Partei. Der movimiento campesino in Osttolima, der sich weiterhin aus in der Landwirtschaft Tätigen aus den llanos orientales und dem departamento Cundinamarca speiste, beschuldigte Mitte 1959 Bermúdez, neben Marco Jiménez (alias Resortes) und Julia Castro (alias Barbajecha), für die rezenten Gewaltvor-fälle in der Region verantwortlich zu sein. Aus ihrer Sicht stellten die Diffamie-rungen der bäuerlichen Organisationen als kommunistische und staatsfeindliche Gruppierungen lediglich einen Vorwand dar, um sich der Ernten der campesinos aus monetären Interessen zu bemächtigen.1617

Der liberale guerrillero Jesús María Oviedo, der mit der Loslösung von den kommunistischen Kombattantengruppen seine Loyalität zu der Liberalen Par-tei bereits Anfang der 1950er Jahre unter Beweis gestellte hatte, vermochte es, viele der ihm untergebenen Kombattanten in den Polizeidienst ( Policía Rural ) zu integrieren.1618 Diese waren zwar de jure Teil der staatlichen Sicherheitskräfte und damit deren Oberbefehl unterstellt, de facto fühlten sie sich aber nach wie vor ihrem langjährigen Anführer im bewaffneten Kampf gegen die Regierung Gómez bzw. Rojas Pinilla verpflichtet. Nach dem Friedensschluss mit den konservativen Gewaltkollektiven unter Marcos Olivera konnten die in den Staatsdienst über-nommenen ehemaligen liberalen Widerstandskämpfer ihre militärischen Kräfte gegen die als bandoleros kriminalisierten kommunistischen Akteursgruppen Südtolima konzentrieren. Jaime Guaraca rief in Erinnerung, dass die unter dem Frente Nacional als Ordnungshüter fungierenden ehemaligen Widerstandskämp-fer, die unter dem Kommando von Oviedo, Efraín Valencia und Leopoldo García gestanden hatten, mit modernen Waffen und ausreichend Munition ausgestattet wurden.1619

Da sich viele der agentes rurales aus ehemaligen liberalen guerrilleros rekru-tierten, wie Agustín Bonilla, kannten diese besser als andere staatliche Sicher-heitskräfte die Operationsgebiete und bevorzugten Routen der bandoleros . Von Gewaltakteuren wie Sangrenegra wurde berichtet, dass sie insbesondere diese ländlichen Polizeikräfte, und weniger die ordentlichen Polizei- und Streitkräfte fürchteten.1620 Allerdings forderte Cruz Usma die ländlichen Polizeikräfte auch mit Nachrichten, die er auf seinen Opfern hinterließ, explizit heraus. Eine seiner boletas lautete wie folgt:

Zu den oben erwähnten Mitgliedern des MRL, die sich bei den Kongressab-geordneten über die Verfolgung der liberalen Gruppe in Venadillo beschwerten, gehörte Anibal Torres. Er bezichtigte Agustín Bonilla, den aktiven Mitarbeiter der staatlichen Sicherheitskräfte und der politischen Amtsträger, sowie die ihm unterstellten Polizisten, für Schießereien, während derer mehrere Personen ver-letzt wurden, verantwortlich gewesen zu sein. Torres sagte dem Bürgermeister der Gemeinde jedwede Unterstützung bei der Wahrung der öffentlichen Ordnung von seiner Seite aus zu und empfahl als Maßnahme, um diese zu wahren, den Agentes Rurales von Bonilla zu untersagen, das Dorf bewaffnet zu betreten.1622 Auch in den Ermittlungen wegen der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Mit-gliedern des MRL und oficialistas der Liberalen Partei in Venadillo richtete sich der Verdacht gegen Agustín Bonilla, der dafür bekannt war, gewaltsam gegen die liberale parteiinterne Opposition vorzugehen.1623

Wie der zitierte Kongressabgeordnete mitteilte, war ein gutes Verhältnis zu den in Tolima aktiven bandoleros eine Voraussetzung, um den departamento zu regie-ren. Gouverneur des departamento Tolima wurde 1962 Jaramillo Salazar, dem gute Beziehungen zu Gewaltakteuren wie Desquite und Sangrenegra nachgesagt wurden. Zwar hatte Jaramillo Salazar bei den Legislativwahlen im selben Jahr erneut sein Mandat im Kongress verteidigen können und wurde als treuer frente- nacionalista mit der Führung der politischen Exekutive beauftragt. In seiner alten Hochburg El Líbano hatte er jedoch die Stimmenmehrheit eingebüßt. Die Wahl-niederlage von Jaramillo Salazar in seiner Hochburg El Líbano deuten Sánchez und Meertens als erste Konsequenz des Aufbrechens der Allianz zwischen libera-len caciques und liberalen bandoleros políticos .1624 Auch wenn bandoleros bei der Sicherung von Wählerstimmen behilflich seien konnten, auch wenn sie gewalt-sam sicherstellen konnten, dass politische Oppositionsgruppierungen in bestimm-ten Wahlkreisen keinen Fuß fassten, waren sie keine sicheren Verbündeten der Repräsentanten der partidos tradicionales , auf die sich ihre politischen Protegés dauerhaft verlassen konnten.1625

Zwei Unternehmungen von Desquite, zu dem Jaramillo Salazar gute Kon-takte unterhalten hatte, verdeutlichten Ende 1962 und Anfang 1963 Vertretern der Liberalen Partei die lediglich bedingte Verlässlichkeit der irregulären Kombattan-ten. Am 19.12.1962 überfiel eine Gruppe Bewaffneter unter dem Kommando von Desquite das in der Gemeinde Mariquita gelegene Dorf El Hatillo und lieferte sich ein stundenlanges Gefecht mit den in dem Ort stationierten Polizeikräften. In Erwartung der länger andauernden bewaffneten Auseinandersetzungen hatten die bandoleros im Vorfeld die Telegraphenverbindung des Dorfes zerstört, sodass die Angegriffenen keine Verstärkung anfordern konnten. Insgesamt vier Ordnungs-hüter verloren ihr Leben bei der Attacke.1626

Keine zwei Monate später nahm Desquite dasselbe Dorf erneut ein und hielt vor den versammelten Bewohnern eine zwanzigminütige Rede, in der er verkün-dete, dass „ich von jetzt an der Anführer hier bin und ihr mich als politischen und militärischen Anführer behandeln müsst“.1627 Der Lokalbevölkerung gegenüber erklärte er, dass „ich hier in Zukunft weder (Streit-)Kräfte noch Repräsentanten der Regierung“ haben will und warnte sie davor, in der Zukunft die dauerhafte Stationierung der staatlichen Sicherheitskräfte zu fordern, denn er würde diese sowie die Bürger, welche die Gesetzeshüter angefordert hatten, töten.1628

Wie die von Desquite an die Bewohner von El Hatillo formulierte Forderung nach Gefolgschaft verdeutlichte, hatten die bandoleros políticos durchaus eigene politische Ambitionen und sahen sich nicht nur als bedingungslose Handlanger von Lokal- und Regionalpolitikern. Die Ernennung von Jaramillo Salazar zum Gouverneur des departamento Tolima wird gemeinhin als Entzug der semiinstitu-tionellen Unterstützung für bandoleros políticos gewertet. Als Gouverneur befand er sich in einer Machtposition, die ihm erlaubte, auf die Gewaltakteure zu verzich-ten, um seine politischen Machtbereiche abzusichern.1629

8.2.3 Auf der Suche nach neuer Legitimierung: Die bandoleros sociales

Sant Cassia nimmt das Konzept der social bandits von Hobsbawm sowie die Kritik von Blok auf und relativiert diese. Er betont, dass die dichotome Gegen-überstellung von bandits als Kämpfer für die Interessen unterer sozialer Schich-ten im Sinne von Hobsbawm einerseits und als Handlanger regionaler ökonomi-scher und politischer Potentaten amdererseits irreführend ist. Er streicht heraus, dass deren Motivationen für den Griff zu den Waffen keineswegs konstant seien. Vielmehr können bandoleros zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Rollen ausfüllen und verschiedenen Interessen gehorchen.1630

Die Tatsache, dass die als bandoleros bezeichneten Gewaltakteure für ihre poli-tischen Protegés keine sicheren Unterstützer darstellten, auf die sich Repräsen-tanten der partidos tradicionales dauerhaft und bedingungslos verlassen konnten, war nicht nur dem Umstand geschuldet, dass sie sich kriminellen Aktivitäten aus rein ökonomischen Motiven widmeten. Sicherlich gab es auch Fälle, in denen die Verbrechen der Gewaltakteure derartige Ausmaße annahmen, dass deren poli-tische Nutznießer ihnen nicht mehr die Legitimität im Sinne von Meertens und Sánchez bieten konnten. In dem Maße, wie Personen wie Desquite in der ers-ten Regierung des Frente Nacional eine weitgehende Kontrolle über die Wähler-schaft in bestimmten Regionen ausübten, akkumulierten sie jedoch auch einen politischen Einfluss, der sie zu Konkurrenten um politische Macht für die Reprä-sentanten der Liberalen Partei, ihren einstigen politischen Protegés, werden ließ.1631Um diese Akteure im politischen Feld bemühten sich nicht nur die caciques und gamonales liberales , um ihre politische patria chica vor Machtkonkurrenten zu schützen. Auch die Opposition zum Frente Nacional wollte die bandoleros für sich gewinnen und mit ihnen ihren politischen Einfluss erhöhen.

Die kommunistischen Gruppen hatten seit Anbeginn der blutigen Auseinan-dersetzungen darauf gezielt, den Kombattanten verständlich zu machen, dass die Kämpfe auf fundamentalen Klassengegensätzen und nicht auf der (vorgestell-ten) Differenz zwischen Liberaler und Konservativer Partei basieren würden. Vor dem Hintergrund des Sieges der Kubanischen Revolution im Januar 1959 war der bewaffnete Weg, den angestrebten Systemwechsel zu erreichen zwar keine offizielle Parteipolitik geworden, vergrößerte aber die Anreize, die existierenden Gewaltkollektive zu seinen Verbündeten zählen zu können.1632

Einer der bekanntesten ehemaligen Kombattanten, der sich zu einem bandolero social entwickelte, das heißt sich von der Liberalen Partei löste, die Dichotomi- sierung der sozialen Realität als Deutungs- und Handlungsrahmen verließ und den bewaffneten Auseinandersetzungen einen sozialen Gehalt gab, war Roberto González Prieto (alias Pedro Brincos).1633 Brincos hatte sich Ende der 1940er Jahre wie so viele liberale Parteimitglieder in ruralen Regionen Kolumbiens in den bewaffneten Widerstand gegeben und hatte sich der Gruppe um Agustín Bonilla angeschlossen.1634 Er war bereits in den 1950er Jahren mit kommunisti-schen Akteursgruppen in Kontakt gekommen, welche die Bedeutung des Klas-sengegensatzes für die Violencia betonten, als er in der Parteischule des PCC in Viotá an politischen Bildungskursen teilnahm.1635

Aus dem Zusammentreffen von liberalen Kombattanten mit kommunistischen Akteuren aus Gründen der politischen Schulung entwickelten sich auch liberal-kommunistische Handlungsallianzen bzw. schloss sich Pedro Brincos den kom-munistischen Zusammenschlüssen an. 1956 wurde gegen Abelino Campuzano Acosta wegen des Besitzes subversiver kommunistischer Propaganda des Frente Democrático de Liberación Nacional ermittelt – Ermittlungen, die unter dem kriminalisierenden Straftatbestand der Asociación para Delinquir geführt wur-den. Die Ermittler stellten als Beweismittel einen Brief an Campuzano Acosta sicher, den ihm Pedro Brincos im Juli 1956 aus Tierradentro gesendet hatte. In dem Schreiben forderte Brincos Campuzano Acosta auf, Informationen über die Einwohner des Dorfes El Salado, in der Nähe von Ibagué gelegen, preiszugeben, um einen bevorstehenden Angriff auf das Dorf planen zu können. Er fragte nach der Anzahl von Konservativen in dem Dorf sowie nach der Präsenz von „Libera-len, die unseren guerrillas behilflich sein können“.1636 Brincos zielte als Kom-battant in den Reihen des kommunistischen Widerstandes darauf, die in vielen Regionen des departamento konfliktiven Beziehungen zwischen Kommunisten und Liberalen vor dem Hintergrund des gemeinsamen Feindes in den Hinter-grund treten zu lassen und die liberal-kommunistische Zusammenarbeit, zu der es bereits Anfang der 1950er Jahre in Südtolima gekommen war und die in Ost-tolima während der Guerra de Villarrica erneut zu beobachten gewesen war, wiederzubeleben.1637

Mit der Etablierung des Frente Nacional näherte sich Pedro Brincos den poli-tischen Gruppierungen weiter an, die sich gegen die Zusammenarbeit der Eliten der Traditionsparteien zur Wehr setzten. Der vor dem Hintergrund der siegreichen Kubanischen Revolution entstandene Movimiento Obrero Estudiantil Campe- sino – 7 de Enero (MOEC) gehörte zu der Opposition, die sich seit ihrer Entste-hung darum bemühte, ehemalige liberale Widerstandskämpfer in ihren Reihen zu integrieren und sie von sozialrevolutionären Zielsetzungen zu überzeugen.1638 Die Diözese des departamento Tolima berichtete, dass in der Gemeinde El Líbano, der ehemaligen Hochburg von Jaramillo Salazar, aber auch dem Operationsge-biet von Pedro Brincos, nicht nur Spenden für kommunistische Organisationen gesammelt wurden. Vielmehr waren die Kirchenoberen im Besitz von Informa-tionen, nach denen sogar kubanische Revolutionäre ideologische Schulungs- und militärische Ausbildungskurse anböten.1639 Der Inlandsgeheimdienst berichtete, dass Gefolgsleute von Fidel Castro mit panamaischen Pässen nach Kolumbien eingereist seien, um die kommunistischen Gruppierungen in Valle del Cauca zu unterstützen.1640

Pedro Brincos stand auch in Kontakt zu der parteiinternen liberalen Oppositi-onsgruppe, dem MRL, die sich gegen die Zusammenarbeit mit der Konservativen Partei wehrte. Der MRL sah die sozialen Forderungen, welche die Liberale Par-tei in ihrer Selbstsicht auszeichneten, mit der politischen Allianz mit den selbst-ernannten Verteidigern der Tradition und des Katholizismus in Gefahr. Brincos sympathisierte allerdings mit der línea dura , dem kommunistischen Flügel des MRL. Dieser zeichnete sich durch Forderungen aus, die durchaus den Forderun-gen genuin kommunistischer Gruppierungen entsprachen.1641 So äußerten Vertre-ter des MRL parallel zu kommunistischen Akteuren die Forderung nach einer unmittelbaren Agrarreform mit der Möglichkeit zur entschädigungslosen Enteig-nung, um eine dauerhafte Befriedung des Landes zu erreichen. Auch den andau-ernden Ausnahmezustand verurteilte die parteiinterne Opposition als Maßnahme der herrschenden Schichten, um Ungleichheitsstrukturen aufrechtzuerhalten.1642Die Forderungen nach der sofortigen Freilassung politischer Häftlinge, Lohner-höhungen und einer Reform der Arbeitsgesetzgebung stellten weitere Parallelen in den politischen Agenden des MRL und kommunistischen Gruppierungen dar.1643

Die línea dura des MRL lehnte den bewaffneten Kampf auch nicht kategorisch ab, um das politische System des Frente Nacional zu öffnen, das sie als dritte politische Kräfte ausschließend kritisierte. Die Policía Nacional berichtete, dass auf einer Demonstration des MRL in Cauca zum Kampf gegen die Regierung des Frente Nacional aufgerufen wurde. Die anwesenden linksliberalen Oppositionel-len bekundeten, dass, „wenn sie die Revolution nicht als Kolumbianer gewinnen, sie sie als Kubaner gewinnen würden“1644 – womit sie auf die bewaffnete Erhebung von Fidel Castro, Che Guevara und deren Mitstreitern auf dem Inselstaat in der Karibik Bezug nahmen. In einem von Brincos verbreiteten Kommunique mit dem Titel Cordillera Central klagte er die Zusammenarbeit der ökonomischen Eliten, beider Parteien, in dem Frente Nacional an, die den in seinen Augen „parlamen-tarischen Totalitarismus“ legalisiert hätten. Diesen warf er vor, „die Plünderung unserer natürlichen Ressourcen wie Erdöl, Platin etc. durch nordamerikanische Unternehmen“ zu erlauben. Die „sogenannten Dissidenten der Linken“, womit er auf die línea blanda nach der Spaltung des MRL in den kommunistischen sowie den gemäßigten und reformorientierten Flügel um López Michelsen anspielte, sah er mit den von ihm kritisierten Eliten des Landes über den gemeinsamen öko- nomischen Status auf Engste verbunden.1645

Auch zu dem Frente Unido de Acción Revolucionaria (FUAR), der sich im März 1962 formierte, stark durch das Vermächtnis von Gaitán geprägt war und zu dessen Gründerinnen die Tochter Gaitáns gehörte, stand Pedro Brincos in Kontakt.1646 Angesichts des exklusiven Charakters des Frente Nacional wertete er den Weg, im Rahmen des institutionalisierten politischen Feldes Teilhabe und Gestaltungsmacht zu erlangen, als verschlossen. Den in Kolumbien regelmäßig stattfindenden Wahlen zog González Prieto „den bewaffneten Aufstand“ vor, um das politische Mitspracherecht zu erstreiten bzw. zu erzwingen.1647 Mit diesem Ziel versuchte er in verschiedenen Regionen des Landes – neben Tolima waren dies Caldas und Antioquia – bewaffnete, dezidiert sozialistische Gewaltkollektive zu organisieren.1648 So baute er im Spätjahr 1961 den Ejército Revolucionario de Colombia (ERC) in Turbo (Nordantioquia) auf, nachdem er Anfang des Jah-res noch in einem Club Social in El Líbano empfangen worden war. Dirigentes liberales und wohlhabende Geschäftsleute erhofften sich trotz seiner zunehmen-den Hinwendung zu kommunistischen Gruppierungen noch ein Mindestmaß an Schutz vor konservativen oder kriminellen Akteursgruppen durch den ehemaligen Kombattanten der Liberalen Partei.1649 Das Vorgehen der kolumbianischen Streit-kräfte, die gleichzeitig den Aufstand des MOEC in Vichada bekämpften, gegen die Brincos untergebenen Kombattanten in Nordwestkolumbien verhinderte, dass dieser in Antioquia die von ihm angestrebte bewaffnete revolutionäre Bewegung initiieren konnte.1650 Nachdem Brincos in seiner patria chica ein weiteres Mal versucht hatte, eine bewaffnete schlagkräftige Gruppe aufzubauen, wurde er in Nordtolima von Soldaten des Batallón Colombia in der Gemeinde Lérida getötet.1651

Pedro Brincos war allerdings nicht der einzige liberale guerrillero , der sich dem linken politischen Spektrum zuwandte. Sicherlich war er der Kombattant, der sich am weitesten sozialistischen bzw. kommunistischen Gruppierungen annäherte. Viele liberale Widerstandskämpfer schlossen sich eher dem linksliberalen Flügel des Movimiento Revolucionario Liberal an, da sie Vorbehalte gegen die sich offen als kommunistisch definierenden Gruppierungen hatten. Téllez berichtet, dass Aranguren den Vorschlag von Pedro Brincos, sich dem MOEC anzuschließen ablehnte, da er sich weiterhin als Liberaler verstand, dem diese Organisation zu offen kommunistisch erschien und der aus diesem Grund zu dem MRL tendierte.1652

Die Anhänger des MRL wiederum zielten darauf, ihren Einfluss unter länd-lichen liberalen Parteimitgliedern zu vergrößern, indem sie die Nähe zu den in einigen Regionen die De-facto-Autorität stellenden bandoleros suchten. Der Vor-sitzende des Directorio Liberal del Cauca Víctor Mosquera Chaux klagte, dass nach einer Wahlkampfrede des MRL-Politikers Anibal Prado in der Gemeinde El Tambo eine brutale Verfolgung der oficialistas der Region eingesetzt habe. Mosquera Chaux zufolge habe Prado den bandolero Gavilán zu dem gewaltsamen Vorgehen aufgefordert und diesem sogar moderne Waffen angeboten, damit er die Repression gegen die oficialistas effektiver gestalten könne.1653 López Michel-sen hingegen bestritt, dass die Mitglieder seiner politischen Bewegung für die rezenten Gewaltvorfälle verantwortlich seien oder Kontakte zu den im zeitgenös-sischen Sprachgebrauch als bandoleros bezeichneten ehemaligen Kombattanten der Liberalen Partei hätten. Gleichzeitig plädierte er aber dafür, die Interessen und Befindlichkeiten dieser zu berücksichtigen, als es darum ging, einen liberalen Kandidaten für die Präsidentschaft nach León Valencia auszuwählen.1654

Zwar waren die Mitglieder des MRL keine Apologeten des bewaffneten Kamp-fes, sondern strebten vielmehr an, die Radikalisierung und das Überlaufen von Liberalen zu kommunistischen Gruppen zu verhindern. Der MRL fing in gro-ßem Maße die Unzufriedenheit unter der in der Landwirtschaft tätigen Bevölke-rung in Regionen ein, die über keine Tradition der Agrarkämpfe verfügten und in denen daher kommunistische Akteursgruppen vergleichsweise schwach vertreten waren – wie zum Beispiel in Nordtolima.1655 Aber offenbar fühlten sich nicht alle Lokal- und Regionalpolitiker des MRL der gewaltfreien politischen Betätigung wie López Michelsen verpflichtet.

Der dem MRL zugehörige Regionalpolitiker Tolima Anibal Torres, der sich über die Verfolgung der Mitglieder der politischen Bewegung um López Michelsen durch Agustín Bonilla beschwerte, nutzte scheinbar selbst Kontakte zu ehemaligen liberalen Kombattanten, um seinen politischen Ansprüchen Nachdruck zu verlei-hen und die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu erzwingen. Als der ermit-telnde Beamte Manuel Villarraga (alias Almanegra) zu einem Massaker im Jahr 1960 befragte, dessen er und die von ihm angeführte cuadrilla beschuldigt wurden, gab dieser Anibal Torres als eine Person an, mit der er regelmäßigen Kontakt hatte, die ihn kannte und die über seinen Werdegang Auskunft geben könne.1656

Im Folgejahr wurde Almanegra erneut eines Massakers beschuldigt, das sich auf der hacienda La Argentina ereignet hatte. Grund für das Massaker war offen-bar die Tatsache, dass der Besitzer 1953 einen Stützpunkt der Policía Nacional auf seinem Landgut hatte einrichten lassen, von dem aus die chulavitas eine Viel-zahl von Gewalttaten gegen die mehrheitlich liberale Bevölkerung verübt hatten. Um Rache für die von diesen ausgehende parteipolitisch motivierte Gewalt zu nehmen und sich politischer Konkurrenten zu entledigen, tötete der dem MRL nahestehende bandolero Almanegra die auf der hacienda anwesenden Mitglieder der Konservativen Partei, während er die Liberalen verschonte.1657

Eine Gruppe von Gewaltakteuren, die mit dem MRL sympathisierte und von Cruz Usma sowie Oliverio Parra angeführt wurde, tötete auf einem Landgut in Venadillo mehrere Personen, die der Konservativen Partei angehört hatten, aus opportunistischen Gründen aber in die Liberale Partei eingetreten seien. Die Motive, die den Ermordungen zugrunde lagen, war zum einen die Tatsache, dass sie als oficialistas den Kandidaten des Frente Nacional gewählt hatten. Zum anderen warfen ihnen ihre Mörder vor, keine „wahren Liberalen“ zu sein, son-dern nur aus politischen Überlegungen in der mehrheitlich liberalen Gemeinde zu Mitgliedern der Liberalen Partei geworden seien und daher „als volteados […] kein Recht hatten, die Liberale Partei zu bejubeln“, da sich nur die Mitglieder des MRL als die Bewahrer der Tradition und der ideologischen Essenz der Liberalen Partei sahen.1658 Die Mörder von Lisandro Ramírez aus dem Umfeld von Sangre-negra hielten ihm vor, dass „er in den vergangenen Wahlen seine Stimme für die von Alfonso López Michelsen […] angeführte Bewegung abgegeben hätte, wenn er [ein wahrer] Liberaler gewesen wäre“.1659 Auf den Leichen ihrer Opfer hinter-ließen die bandoleros eine Nachricht an das soziale Umfeld ihrer Opfer, mit der sie die Ermordungen begründeten: „Herren oficialistas , das ist, damit Sie keine Verräter ( sapos ) sind und nicht weiterhin die tiras holen und jedwedem, der sie holt, wird das Gleiche erfahren“.1660 Auch ein von Sangrenegra entführter campe- sino berichtete nach seiner Freilassung, dass Sangrenegra im Besitz einer Liste sei, die Auskunft darüber gebe, welche Personen bei den Präsidentschaftswahlen 1962 für den Kandidaten des Frente Nacional Valencia – und nicht den des MRL – gestimmt hatten. Diese wolle Cruz Usma töten.1661

Bevor Sangrenegra ein eigenes Gewaltkollektiv befehligte, war er Mitglied in der cuadrilla von Manuel Villarraga (alias Almanegra) gewesen, der Lokal- politikern des MRL zu Diensten gewesen war.1662 Nach dem Tod von Almanegra im Mai 1961 hielt Torres, einer der Vertreter des MRL, die auf Gewaltakteure wie Villaraga zurückgegriffen hatten, allerdings Kontakt zu Sangrenegra, der sein Leben weiterhin im bewaffneten Untergrund führte.1663 Carlos Julio Molina, der im Rahmen der Ermittlungen zu den Verbindungen von Mitgliedern des MRL zu Gewaltakteuren in Venadillo befragt wurde, berichtete, dass Anibal Torres in der Gemeinde den Ruf als „Intellektueller der Bande von Sangrenegra“ habe.1664

Torres versorge, so der strafrechtliche Vorwurf gegen ihn, die cuadrilla von Sangrenegra mit Munition. Er wolle den politischen Einfluss des MRL in der Gemeinde wahren, indem er Gewaltakteure wie Aranguren und Cruz Usma damit beauftrage, alle Bürger zu töten, die sich neu in der Gemeinde niederließen und sich gegen ihn stellten oder ihre Stimme für die Kandidaten der liberal-konser-vativen Koalitionsregierung abgaben. Auch die detectives rurales , die unter dem Kommando von Agustín Bonilla standen und die politischen Kräfte des Frente Nacional repräsentierten bzw. schützten, sollten „Stück für Stück“ abgeliefert, das heißt getötet, werden.1665

Auch ein gewisser Belisario Salinas, wusste Leovigildo Robayo zu berichten, stünde mit der von Sangrenegra angeführten Bande in engem Kontakt. Salinas hatte ihn beauftragt, die Mitglieder der Konservativen Partei, von denen nicht zu erwarten war, dass sie bei den regelmäßig stattfindenden Wahlen für linksli-berale Kandidaten stimmen würden, in Santa Isabel zu töten. Auf seiner hacienda bewahre er nach Angaben von Robayo sowohl das Waffenarsenal der cuadrilla als auch das Geld, das Sangrenegra für ein von ihm begangenes Massaker erhal-ten habe, auf. Auch andere Ausrüstungsgegenstände der cuadrilla seien im Besitz von Salinas zu finden.1666 Der Arbeiter Germán Parra Vásquez, der auf der ha- cienda Romerales tätig war, die sich im Besitz von Belisario Salinas befand und auf der dieser Wertgegenstände von Cruz Usma aufbewahre, stand ebenso im Ver-dacht, die cuadrilla von Sangrenegra zu unterstützen.1667

Die Bedeutung von Jacinto Cruz Usma als bandolero social , auf den politi-sche Oppositionsgruppen wie der MRL zurückgriffen, um ihren Ansprüchen auf politische Repräsentation Nachdruck zu verleihen, lässt sich allerdings auf Basis des vorhandenen Quellenmaterials nicht eindeutig klären. Wie dargelegt wurde, rekurrierten Mitglieder des MRL auf das von Sangrenegra befehligte Gewaltkol-lektiv bzw. wirkte er in ihrem Interesse. Eine seiner boletas , die Sangrenegra auf den Leichen seiner Opfer zurückließ, schloss er mit Hochrufen „auf die rote Ein-heit und den MRL und die Kampagnen, die er durchgeführt hat“.1668 Angeblich hegte Cruz Usma auch Sympathien für dezidiert kommunistisch ausgerichtete Akteursgruppen. El Tiempo berichtete Mitte 1963 über Kontakte, die er zu den kommunistischen Akteursgruppen um Juan de la Cruz Varela in Osttolima auf-genommen habe und im Rahmen derer beide eine gemeinsame Zusammenarbeit vereinbarten hätten.1669

Der bereits erwähnte Leovigildo Robayo, der offenbar gute Kenntnisse über das Innenleben der cuadrilla von Cruz Usma hatte, gab des Weiteren zu Protokoll, dass Sangrenegra immerzu verkünde, dass der Kommunismus als Staatsform zu loben sei, „da er einem Nahrung gibt“.1670 Auch wusste Robayo zu berichten, dass Cruz Usma von Marulanda Vélez, dem Anführer der Kommunisten in Südtolima, aufgefordert worden sei, nach Marquetalia zu kommen, anstatt auf Anweisung von Personen wie Belisario Salinas Personen zu töten, nur weil sie der Konserva-tiven Partei angehörten oder die politischen Positionen des oficialismo der Libera-len Partei vertraten.1671 Offenbar hoffte Tirofijo, dem in der allgemeinen Wahr-nehmung als blutrünstigen bandolero par excellence geltenden Cruz Usma die Bedeutung des Klassengegensatzes in den bewaffneten Auseinandersetzungen in den 1960er Jahren vergegenwärtigen zu können.1672

Es ist aber gut möglich, dass die Anwandlungen von Cruz Usma, den bewaff-neten Auseinandersetzungen einen sozialrevolutionären Charakter geben zu wol-len, lediglich ein Versuch der Legitimierung althergebrachter Gewaltmodi waren. So gab die Kritik des MRL oder dezidiert kommunistischer Gruppierungen an der exklusiven politischen Zusammenarbeit mit der Konservativen Partei den fortwäh-renden Aggressionen ehemaliger Kämpfer der Liberalen Partei gegen konserva-tive Parteimitglieder einen als ideologische Begründung verstandenen Sinn . Denn den Aussagen, welche die Nähe von Sangrenegra zu kommunistischen Gruppie-rungen nahelegen, widersprechen andere Befunde, die sich in den Quellen finden lassen. In den Augen von Teófilo Rojas war Cruz Usma ein blutrünstiger Krimi-neller, der nicht danach strebte, die Lebensbedingungen einer sozialen Gruppe, die über enge und persönliche Beziehungen hinausging, zu verbessern. In der Meinung von Chispas war Sangrenegra ein „ conseguidor “, dessen (gewalttätiges) Handeln lediglich von dem Wunsch nach materieller Bereicherung geprägt sei.1673

El Cronista berichtete, dass sich die beiden ehemaligen liberalen Kombattanten Sangrenegra und Desquite aufgrund politisch-ideologischer Differenzen vonein-ander distanzierten – oder wie es die ehemalige Lebensgefährtin von Cruz Usma ausdrückte: „Sangrenegra hasste Desquite, weil dieser Kommunist ist“.1674 Sangre-negra sehe sich, im Gegensatz zu Desquite, als „reiner Liberaler ( liberal puro )“, was ihn, angesichts der Spannungen und gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen limpios und comunes , dazu veranlasst habe, sich von Aranguren loszu-sagen.1675 Desquite wiederum warf Cruz Usma vor, die Bedeutung der bewaffne-ten Auseinandersetzungen mit Blick auf ihren sozialen Gehalt nicht verstanden zu haben, sondern nach wie vor liberalen Großgrundbesitzern zu Diensten zu sein.1676

Die Differenzen zwischen ihnen nahmen die beiden bandoleros als so gravie-rend wahr, dass sich die Gewaltkollektive unter ihrer Führung sogar in bewaffnete Auseinandersetzungen begaben. Die ermittelnden Beamten eruierten als Gründe, die zu dem Bruch zwischen den bandoleros führten, zum einen Rivalitäten um die Führungspositionen innerhalb des zusammengelegten Gewaltkollektivs sowie die Aufteilungsmodalitäten der in den Überfällen erbeuteten Gegenstände. Zum anderen entzweiten sich die bandoleros wegen „des gebotenen Verhaltens gegen-über den wehrlosen campesinos “.1677 Während die unter dem Kommando von Sangrenegra stehenden Kombattanten offenbar noch die Parteizugehörigkeit als die Freund- und Feindzuschreibung bestimmenden social cleavage sahen, tendier-ten Desquite und seine cuadrilla dazu, die Klassenzugehörigkeit als den zentralen Unterschied für die Bestimmung des „Wir“ und seiner „Widersacher“ wahrzu-nehmen.1678 Téllez berichtet, dass „arme campesinos “ Desquite durchaus als ihren Fürsprecher sahen, der sich in dem Maße, wie er sich von dem oficialismo der Liberalen Partei löste und sich gegen liberale Großgrundbesitzer stellte, für ihre Interessen einsetzte.1679 Auch Hobsbawm hebt hevor, dass social bandits von der lokalen Bevölkerung als deren Protegés gesehen werden, während sie von Vertre-tern der Regierung für gewöhnliche Kriminelle gehalten werden.1680

Die Mutter von Cruz Usma hingegen strich heraus, dass auch ihr Sohn, der unter dem nom de guerre Sangrenegra traurige Berühmtheit erlangte und als kri-mineller bandolero getötet wurde, armen „ campesinos im Unglück“ geholfen habe und das Bild, das von ihm in der öffentlichen Meinung vorherrschte, nicht der Realität entspreche.1681 Ebenso betrauerten Personen, die nicht eng verwandt mit Cruz Usma waren, den Tod zutiefst. Die Ehefrau von José del Carmen Pinzón, der selber der Unterstützung von Sangrenegra beschuldigt wurde, habe angeblich verdächtigerweise den Tod von Sangrenegra beweint.1682

Die Aussage von María de Jesús Usma über die Hilfe, die Sangrenegra campe- sinos im Unglück angeblich zukommen ließ, muss allerdings keinen Widerspruch zu dem Befund darstellen, dass Desquite und Sangrenegra unterschiedliche social cleavages (Partei- bzw. Klassenzugehörigkeit) als entscheidende Differenzmarker wahrnahmen. Während Desquite anführte, für die Rechte von campesinos auf-grund ihrer sozioökonomischen Position in der Gesellschaft zu kämpfen, vertei-digte Sangrenegra lediglich liberale campesinos , sah in den konservativen jedoch nach wie vor den traditionellen Feind.1683 Auch wegen dieser unterschiedlichen Konzepte im Umgang mit der Zivilbevölkerung ihrer Operationsgebiete tötete die cuadrilla von Desquite im September 1962 mehrere Mitglieder des Gewalt-kollektivs von Cruz Usma.1684

Kurz nach den Kämpfen mit der cuadrilla von Sangrenegra setzte Desquite vier carabineros , die ihm nachstellten, fest. Sein Vorgehen – er entwaffnete die Ordnungshüter, tötete sie aber nicht – rechtfertigte er damit, dass er lediglich habe sicherstellen wollen, dass diese nicht ihn verhaften oder erschießen würden, denn „dies würde ernsthafte Komplikationen nach sich ziehen, die er [Desquite] vermeiden wollte“.1685 Die von Aranguren ihrer Waffen beraubten Polizisten sag-ten aus, nachdem sie wieder in ihre Dienststellen zurückgekehrt waren, dass der bandolero bekundet habe, dass er für „den Frieden und die Brüderlichkeit unter den Kolumbianern“ kämpfe.1686 Weiterhin habe Desquite den entwaffneten Poli-zisten mitgeteilt, wo sich die Leichname von Personen befanden, die von der der Gruppe um Sangrenegra getötet worden waren. Um seinen guten Willen unter Beweis zu stellen und der Aussage, er kämpfe für den Frieden und die Brüder- lichkeit , Nachdruck zu verleihen, kündigte er auch an, sowohl die Dienstwaffen der carabineros als auch die von ihm festgesetzten bandoleros aus der cuadrilla von Sangrenegra nach El Líbano an das Batallón Patriotas zu schicken.1687

Der Zusage kam Desquite zehn Tage nach den Vorfällen nach und nutzte die Gelegenheit, den Behörden erneut zu bekräftigen, dass er an der dauerhaften Befriedung des departamento und der Bekämpfung des bandolerismo interes-siert sei und bereit stünde, die politischen Autoritäten und die staatlichen Sicher-heitskräfte bei der Erfüllung ihre Pflichten zu unterstützen. Der Geistliche Jesús Fernández, der ein zweistündiges Gespräch mit Desquite geführt hatte und mit der Herstellung des Kontaktes zwischen dem Gewaltakteur und den Streitkräf-ten beauftragt worden war, um die Abgabe der Waffen auszuhandeln, bekräftigte gegenüber den staatlichen Sicherheitskräften, dass die Absichtserklärung von Aranguren aufrichtig geäußert worden sei.1688

Wie sich bei der Besetzung des Dorfes El Hatillo mit der Verkündung von Desquite, in Zukunft keine Repräsentanten des Frente Nacional zu dulden, schon andeutete, wurde der Deutungsrahmen von Aranguren – und angesichts der engen Verbindungen zu diesem auch sein Handlungsrahmen – in stets geringerem Maße von der Unterscheidung entlang des Differenzmarkers Parteizugehörigkeit gespeist. Offenbar war Desquite bereits mit Akteuren in Kontakt gekommen, die soziale und politische Realitäten jenseits des social cleavage der Zugehörigkeit zu einer der Traditionsparteien wahrnahmen, lange bevor er sich von oficialistas wie Jaramillo Salazar lossagte.

La Calle berichtete 1959, die erste Regierung des Frente Nacional kritisierend, über politische Gefangene, die trotz des Amnestieangebots der Regierung Lleras Camargo weiterhin ihrer Bewegungsfreiheit beraubt waren. Einer der Häftlinge, über den das Periodikum berichtete, das der politischen Bewegung von López Michelsen nahestand1689, war William Angel Aranguren, dem die Journalisten den Status eines politischen guerrillero zuschrieben und den sie mit den „Existenzia-listen von Saint Germain“ verglichen. Der Bericht zeigte den späteren Desquite, wie er in seiner Zelle im Gefängnis La Picota Las Guerrillas del Llano las. Das Buch, das von einem der Anführer der liberalen Widerstandsgruppen in den llanos orientales , Eduardo Franco Isaza, verfasst worden war, las Aranguren vor einem Portraitbild von Gaitán.1690

Schon Gaitán hatte die entscheidende Differenzierung der Gesellschaft in der Unterscheidung zwischen dem país nacional und dem país político ausge- macht – eine Unterscheidung, die der Klassenzugehörigkeit eine zentrale Bedeu-tung zuwies. Und die bewaffneten, liberalen Widerstandsgruppen in den llanos orientales hatten im Widerstand gegen die Regierung Gómez, parallel zu dem Denken von Gaitán, zunehmend den Klassenunterschied als entscheidenden Fak-tor in den bewaffneten Auseinandersetzungen identifiziert – eine Entwicklung, die sich in der Verkündung der Leyes del Llano widerspiegelte und auch der Füh-rungsebene der Liberalen Partei ernsthafte Sorgen bereitet hatte. So drückte Isaza in der zweiten Auflage des Buches, das Desquite in La Picota las, seine Bewunde-rung für die Kubanische Revolution aus. Er sah in dem bewaffneten Kampf von Castro und Guevara, die sich dem sozialistischen Block zuwendeten, „einen gro-ßen historischen Meilenstein […nach] den Niederlagen der Mexikanischen und den liberalen [Revolutionen] in Kolumbien“.1691 Diesem Deutungsrahmen entlang von Klassengegensätzen hatte sich offenbar auch Desquite angenähert.

Mitte 1962 informierte der secretario de gobierno Tribin Piedrahita den ihm vorgesetzten Innenminister, dass Fotografien von Aranguren gefunden worden waren, die ihn bei der Lektüre der Reden von López Michelsen zeigten.1692 Der Widerstand von López Michelsen gegen den Frente Nacional beruhte nicht zuletzt auf der Befürchtung, das in den politischen Agenden der Liberalen Partei tief ver-wurzelte Bekenntnis zu den Bedürfnissen unterprivilegierter sozialer Schichten würde sich in der Koalition mit ihren konservativen Pendants verflüchtigen1693 – und diese Sorge um campesinos und jornaleros schien auch Desquite zu teilen. Weitere Indizien für die Abwendung von Desquite von einer Interpretation sozia-ler und politischer Realitäten, die in erster Linie von der subjektiv wahrgenomme-nen Differenz der partidos tradicionales , dem sectarismo , bestimmt wurde, lie-fern Nachrichten, die vor dem Hintergrund seines gewaltsamen Todes durch die Streitkräfte veröffentlicht wurden. Soldaten des Batallón Patriotas entdeckten in den Unterkünften von campesinos , die der Unterstützung von Desquite verdäch-tigt wurden, neben Militäruniformen, die der cuadrilla von Aranguren dienten, um ihre wahre Identität zu verschleiern und sich als Angehörige der staatlichen Sicherheitskräfte zu tarnen, kommunistisches Propagandamaterial.1694

In dem Maße, wie sich Desquite von Politikern wie Jaramillo Salazar abwen-dete, die ihm Legitimität im Sinne von Sánchez und Meertens gegeben hatten, ver-suchte er, sein nach wie vor gewalttätiges Handeln durch Referenzen auf dessen soziale – und nicht parteipolitische – Zielsetzungen, in Anlehnung an Gaitán und Franco Isaza, zu rechtfertigen. Aranguren wehrte sich aktiv gegen die Kriminali-sierung seiner Person durch die Repräsentanten des politischen Establishments. In der zweiten Jahreshälfte 1962 schrieb Desquite einen Brief an den Präsidenten sowie den Innen-, Verteidigungs- und Justizminister, in dem er den Kabinettsmit-gliedern des Frente Nacional erklärte, warum er zu den Waffen gegriffen habe. Mit der Verfolgung liberaler Parteimitglieder in seinem Heimatort Rovira wäh-rend der Regierungszeit Gómez’, die in der Ermordung seines Vaters gipfelte, die er als zwingenden Grund für den bewaffneten Widerstand anführte, bezog er sich auf die ersten Phasen des Untersuchungszeitraum. Er versuchte aber auch jüngere Gewaltakte zu erklären, die sich unter der Koalitionsregierung von Liberaler und Konservativer Partei ereigneten – also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Gründe für die vorherigen bewaffneten Auseinandersetzungen, in der offiziellen Darstellung vonseiten der Regierung, bereits eliminiert worden waren.1695

Eine dieser von Aranguren ausgehenden Gewalttaten war der Angriff auf einen Konvoi des Heeres im Frühjahr 1962, dem zwölf Soldaten und zwei Zivilisten zum Opfer fielen – die Attacke hatte er schon in Nachrichten an das Offizierscorps des Batallón Patriotas begründet, die er auf den insgesamt vierzehn Leichen hinterlassen hatte. Die Streitkräfte habe er angegriffen, um Vergeltung für deren Razzia wenige Wochen zuvor zu nehmen, bei der die Lebensgefährtin von Des-quite, Rosalba Aguilar (alias La Aviadora), getötet und in der Folge das gemein-same Kind in staatliche Obhut genommen worden war.1696 Auf einer der Leichen seiner Opfer hinterließ er eine Nachricht an die befehlshabenden Offizieren der Einheit, welche die Militäroperation durchgeführt hatte: „Dies ist für die Sache mit La Aviadora “.1697

Zwar war den Versuchen von Desquite, sich als politisch – und nicht kriminell – motivierten Akteur darzustellen, kein Erfolg beschieden, das heißt die Adressaten seiner Äußerungen schenkten ihm keinen Glauben und er wurde letzten Endes als kriminalisierter Gewalttäter getötet.1698 Allerdings widerspricht die Tatsache, dass er sich mitunter an die obersten Stellen der politischen Exekutive wandte, um seine Gewalttaten zu rechtfertigen, dem gängigen Bild eines ausschließlich auf materielle Gewinne fixierten, pathologischen Übeltäters.

El Cronista sprach in einem Jahresrückblick im Dezember 1964 sogar davon, dass Desquite im Rahmen der Besetzung von El Hatillo „sein Regierungspro-gramm ( programa de gobierno )“ verkündet habe.1699 Der den Artikel verfas-sende Autor führte nicht näher aus, welche Punkte das Regierungsprogramm von Aranguren umfasst habe, allerdings implizierte die Nachricht, dass er nicht aus-schließlich das Ziel der kriminellen, materiellen Bereicherung verfolgte, sondern zumindest einen rudimentär formulierten politischen Anspruch für sein Handeln reklamierte. So unglaubwürdig die Darstellung, er verteidige die Interessen von campesinos und Arbeitern, auch für Zeitgenossen gewesen sein mag, wurde in der Berichterstattung über sein Handeln auch auf seine punktuelle Mildtätigkeit gegenüber den Akteuren, die er zu verteidigen vorgab, verwiesen. Angesichts sei-nes Bemühens um ein ausgewogenes Verhältnis, zumindest zu einem Teil, der Zivilbevölkerung attestierte die Regionalpresse Aranguren einen „romantischen Nimbus [… und] Großzügigkeit“.1700

Die ihm zugeschriebene Großzügigkeit gegenüber der Bevölkerung in den Ope-rationsgebieten von Aranguren spiegelte sich in den Nachrichten über das Mass-aker an 43 Personen an dem Ort La Italia, in der Nähe zum departamento Caldas gelegen, wider. Mit Blick auf den Massenmord, der in der damaligen Berichtstat-tung als Sinnbild der Grausam- und Unnachgiebigkeit der Violencia Tardía galt, mutmaßte El Cronista , dass Desquite nicht der Urheber des Massenmordes sei. Zwar nannten erste Berichte über den Vorfall Aranguren als Täter, aber das Perio-dikum gab die Meinung der Ortsansässigen wieder, die zu bedenken gaben, dass „dieser [Desquite] für gewöhnlich seine Opfer nicht tötete“. Die Lokalbevölke-rung lastete das Massaker vielmehr Jacinto Cruz Usma an, dem der romantische Nimbus , über den Desquite verfügte, abgesprochen wurde.1701

Die Policía Nacional berichtete, dass Aranguren zwar der Urheber des Mas- sakers in La Italia gewesen sei, strich aber heraus, dass er Frauen und Kinder nicht getötet habe. Er habe sie verschont, nachdem er sie unterwiesen hatte, in Zukunft gegen die Regierung zu arbeiten1702 – eine Vorgehensweise, auf welcher die Des-quite zugeschriebene bedingte Mildtätigkeit beruhte. In der Erinnerung an den Tod der Menschen erinnerte die Regionalzeitung daran, dass Desquite während des Massakers nicht nur Frauen und Kinder verschont hatte. Auch einen jungen Mann, der ihm glaubhaft versichern konnte, dass er sich auf dem Weg zu einer Apotheke befand, um für seine sterbenskranke Mutter Medikamente zu besorgen, tötete Desquite nicht.1703

Bei einem anderen Überfall auf einen Überlandbus tötete Aranguren zwar einige Passagiere und entführte fünf weibliche Heranwachsende, aber „die Mehr-heit der Personen wurde, gegen Geldzahlungen, am Leben gelassen“.1704 Obgleich das Verhalten von Desquite in diesem Fall, wie auch in vielen anderen Fällen, nur schwerlich als großzügig gegenüber den Reisenden zu bezeichnen war, waren es diese Ansätze von Nachsicht gegenüber der Zivilbevölkerung, das ihn in seinem Verhalten von anderen bandoleros unterschied und aus der sich der romantische Nimbus und die Großzügigkeit von Desquite speisten.

Eine ähnliche Entwicklung wie Aranguren nahm Anfang der 1960er Jahre offenbar auch Teófilo Rojas, der als Verteidiger der Liberalen Partei gegen die konservativen Aggressionen in den bewaffneten Kampf gegangen war. Wie beschrieben sah sich Chispas wegen der in seiner Sicht falschen Beschuldigun- gen seiner Person und die immense Zahl von rachsüchtigen Feinden, die er sich im Laufe der Zeit gemacht hatte, gezwungen, den Status eines amnestierten ex- guerrillero aufzugeben und erneut zu den Waffen zu greifen. Nach dem Bruch mit seinem Protegé Oviedo, der in der Region Planadas die Interessen der Liberalen Partei, notfalls auch mit Gewalt, gegen die politische Opposition und als kriminell gebrandmarkte Akteure verteidigte, folgte Rojas dem Ruf liberaler hacendados , nach Quindío zu kommen, um sie und ihren Besitz zu schützen. Diese sahen sich den Angriffen nach wie vor aktiver konservativer Gewaltakteure wie den pája- ros ausgesetzt, die parteipolitische Gründe anführten, um ihre zunehmend öko-nomische Interessen verfolgende Gewalttaten zu rechtfertigen.1705 Otto Morales Benítez, ehemaliger Generalsekretär der Liberalen Partei und späterer Minister der Regierung Lleras Camargo, sprach im Rahmen seiner Tätigkeit in der Comi- sión Investigadora mit von der Violencia betroffenen Zivilisten, wie den besagten hacendados aus Quindío. Morales Benítez zufolge unterstrichen diese gegenüber den Mitgliedern der Untersuchungskommission, dass Chispas von unschätzbarem Wert für ihr Wohlergehen sei, und weigerten sich, seinen Aufenthaltsort preiszu-geben. Einige seien sogar bereit gewesen, eher ihr Leben zu lassen, als mit der Auslieferung von Chispas ihre Familien und die Angehörigen der vorgestellten Gemeinschaft Liberale Partei zu gefährden.1706

Majka nimmt an, dass Chispas nach seinem erneuten Griff zu den Waffen in den 1960er Jahren keinerlei politische Ziele verfolgte. Der Analphabet aus einfa-chen Verhältnissen teilte ihr zufolge die soziale Welt lediglich in gut und böse, das heißt in liberal und konservativ, ein, so wie es Dichotomisierung der sozialen Welt und die Diskurse exponierter Vertreter der Liberalen Partei vorgezeichnet hatten.1707Sicherlich gehorchten die ersten erneuten bewaffneten Auseinandersetzungen, an denen Chispas beteiligt war, den Logiken des sectarismo , welche die Violencia ausgelöst hatten. So zeichnete Teófilo Rojas verantwortlich für den Überfall auf die Reisegruppe des Musikkonservatoriums aus Manizales, weil der ungebildete Gewaltakteur leichtfertig Conservatorio ( Musical ) mit Conservador verwechselt hatte.1708 Und alles was konservativ war oder nur den Anschein erweckte, mit der Konservativen Partei in Verbindung zu stehen, wurde für einen Gewaltakteur wie ihn zum militärischen Ziel.

Die pauschalisierende Feststellung, dass Chispas in den 1960er Jahren lediglich durch den sectarismo geleitet worden sei, ist allerdings zu relativieren. Guzmán Campo, der als Vertreter der Katholischen Kirche Mitglied der Comisión Investi- gadora war und persönliche Gespräche mit ihm hatte führen können, erinnerte an den radikalen Antikommunismus, der ursprünglich Teófilo Rojas als limpio aus-gezeichnet hatte. In dem von ihm verfassten Standardwerk zur Violencia stellte er aber gleichzeitig fest, dass „es nicht zu übersehen ist, dass es eine Berührung [mit kommunistischen Ideologien, L. R.] gab, durch deren Einfluss ein Gesinnungs-wandel in ihm [Chispas] einsetzte“.1709 Und auch die Diözese von Tolima nannte Chispas als das Beispiel für einen ehemaligen liberalen Widerstandskämpfer, der sich kommunistisches Gedankengut angeeignet habe und dieses „verdeckt in den partidos tradicionales “ propagiere.1710

Dieser Gesinnungswandel, den Chispas durchlief, wird an einem Briefwechsel, den er im September 1962 mit Olga Botero unterhielt, besonders deutlich. Die Schönheitskönigin äußerte den Wunsch, sich mit den guerrilleros treffen, um sie besser kennenzulernen, sich einen Überblick über ihre Anliegen zu verschaffen und einen Beitrag zur Befriedung des Landes zu leisten.1711 Chispas äußerte ange-sichts des bevorstehenden Gesprächs mit Botero seinen festen Entschluss,

Selbst der Bürgermeister von Roncesvalles, wo sich Chispas 1962 aufgehalten habe, glaubte an die Aufrichtigkeit seines Angebots, an der Befriedungskampagne aktiv teilzuhaben.1713 Das Gespräch zwischen der Reina Nacional del Folclor und Rojas fand letzten Endes nie statt, allerdings ließ es Chispas sich nicht nehmen, in einem Brief an Olga Botero seine Sichtweise auf die politischen Entwicklungen und die jüngsten Gewaltvorfälle in Tolima zum Ausdruck zu bringen. Für die all- seits beklagten „Akte der Barbarei, zu denen es jüngst in unserem departamento [Tolima, L. R.] kam [...], so wilde ( salvajes ) und feige Taten“, seien, wie Rojas beklagte, die staatlichen Sicherheitskräfte verantwortlich. Die Personen, die wie er zu den Waffen gegriffen hatten, „um die mit Füßen getretenen Rechte zu ver-teidigen“, würden ex post von den eigentlichen Tätern, den Ordnungshütern, der Bluttaten beschuldigt.1714 Den zukünftigen Kampf von als kriminelle bandoleros wahrgenommenen Akteuren wie ihm sah er als einen

Auffallend ist, dass Teófilo Rojas gerade die niederträchtigen Übergriffe, das heißt als willkürlich empfundene Massaker, Vergewaltigungen, Folterungen und Verstümmelungen aus „unserem Kampf“1716 ausgeschlossen wissen wollte. Für die Gräueltaten, welche die Violencia , insbesondere die Violencia Tardía , charak-terisierten, waren aus seiner Sicht weniger die cuadrillas bandoleras wie die seine verantwortlich als vielmehr die staatlichen Sicherheitskräfte und die sie unter-stützenden ehemaligen, dem Frente Nacional treu gebliebenen liberalen Wider-standskämpfer wie Mariachi oder El Diablo.

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9 Der Kampf gegen die bandoleros im Schwellenzustand

Als sich die erste Legislaturperiode des Frente Nacional ihrem Ende neigte und die Präsidentschaftswahlen näher rückten, intensivierte sich erneut die Gewalt, die mit der Einrichtung der Koalitionsregierung abgenommen hatte. Zwar war die Abstimmung 1962 für die Frage unerheblich, wer der nächste Präsident des südamerikanischen Landes sein würde, aber zur Bestimmung der parteiinternen Machtverhältnisse zwischen den verschiedenen politischen Fraktionen inner-halb der Traditionsparteien war sie maßgeblich – mit der Einrichtung des Frente Nacional hatten sich die politischen Machtkämpfe in die Parteien hinein ver- lagert.1717 Um den gefürchteten flächendeckenden erneuten Ausbruch der Gewalt zu vermeiden, von der man hoffte, sie erst jüngst mit der Einrichtung der Koali-tionsregierung beendet zu haben, gingen die staatlichen Sicherheitskräfte gegen die verbliebenen bzw. wieder erstarkenden Gewaltakteure in die Offensive. Dabei setzten sie allerdings keineswegs alleinig auf die militärische Repression der Gewaltakteure – die vorangegangenen Jahre hatten gezeigt, dass dieser allein kein Erfolg beschieden sein würde, solange bedeutende Teile der Zivilbevölkerung den bandoleros in ihren Operationsgebieten, freiwillig oder erzwungenermaßen, Hilfe gewährten.1718 Vertreter der Kirche, welche die Violencia und ihre Konsequenzen in Tolima untersuchten, stellten fest, dass sich die staatlichen Sicherheitskräfte in den Operationsgebieten der bandoleros oftmals in numerischer Unterzahl gegen-über diesen befanden. Kritisch merkten sie an, dass dieser Befund nicht nur auf die bewaffneten Kombattanten zu beziehen sei, sondern auch die zivilen Unterstützer und Zuarbeiter der bandoleros eingerechnet werden müssten – ihren Schätzungen zufolge würden ungefähr 80% der Zivilbevölkerung vieler Gemeinden in Zentral- tolima die Gewaltkollektive unterstützen.1719

In Anbetracht des multikausalen Charakters der Gewalt, der unter anderem zu der Hilfsleistungen für die cuadrillas führte, plädierte Lleras Camargo, erster Prä-sident des Frente Nacional , für Maßnahmen jenseits der „totalen Repression oder totaler Amnestie“, um der sich erneut ausbreitenden Gewalt Einhalt zu gebieten.1720Um die mannigfaltigen Gründe für die Violencia entsprechend zu berücksichti-gen, sah die Regierung den Entzug der Unterstützung für die Gewaltakteure durch die lokale Bevölkerung als zentralen Punkt im Kampf gegen den bandolerismo . Die Bedeutung, die Zivilbevölkerung in den Operationsgebieten der bandoleros davon abzuhalten, diese zu unterstützen, verdeutlicht die kritische Anmerkung von José Ignacio Gil, Inspector de Policía in Santa Isabel. Dieser machte seine Vorgesetzten und den ermittelnden Richter darauf aufmerksam, dass die von ihm initiierten Razzien gegen die cuadrilla von Almanegra weitestgehend ergebnis-los verliefen. Als einen der Gründe für das Ausbleiben der Erfolge nannte er den Umstand, dass bereits vor dem Anlaufen der Polizei- und Militäroperationen Informanten des Gewaltkollektivs Manuel Villarraga und seine Leute von den in Kürze ausrückenden staatlichen Sicherheitskräfte in Kenntnis setzen würden.1721Für die Inspektion des Tatortes eines Mordes, der Villarraga angelastet wurde, mahnte der befehlshabender Offizier der VI. Brigade, die mit der Verfolgung der bandoleros in Nordtolima beauftragt worden war, absolute Geheimhaltung über die Inspektion des Tatortes zu wahren. So wollte er die befürchteten „Störungen der Maßnahme durch Sympathisanten der antisociales verhindern“.1722

Um die Zivilbevölkerung davon abzuhalten, Gewaltakteure in der Hoffnung zu unterstützen, diese würden für die Interessen sozialer Unterschichten eintreten, war es notwendig, dass die Zivilbevölkerung, die sich der politischen Opposi-tion zugehörig fühlte, die Vertreter des Staates nicht mehr lediglich als Repressi-onsagenten erfahren würden. Gerade während der vorherigen Regierungszeiten von Ospina Pérez, Gómez und Rojas Pinilla war dies hinsichtlich der Polizei- und Streitkräfte der Fall für die Mehrheit der Bevölkerung gewesen.1723 Die im Rahmen der Rehabilitación geleisteten Wiederaufbaumaßnahmen zielten, neben der Wiederherstellung während der vorherigen Auseinandersetzungen zerstörter Dörfer, landwirtschaftlicher Flächen und der in Mitleidenschaft gezogener Infra-struktur, darauf, die Bürgerschaft wissen zu machen, dass die liberal-konservative Regierung ihre Belange und die Bedürfnisse in ihren Agenden berücksichtigen würde.1724 So sollte dieser verdeutlicht werden, dass sie nicht auf vermeintlich für deren Anliegen streitende (Gewalt-)Akteure rekurrieren müsse, um ihren Belan-gen Gehör zu verschaffen.

Zu diesem Zweck wurden unter anderem sogenannte equipos polivalentes ein-gerichtet, die nach dem Vorbild vergleichbarer Entwicklungs- und Aufbauteams in Brasilien in den frühen 1950er Jahren konzipiert wurden. Diese Mehrzweckgrup- pen bestanden aus Fachleuten verschiedener Disziplinen, die dem multikausa- len Charakter der Violencia gerecht werden sollten: Unter anderem Ärzte, Agro-nomen, Ingenieure und Sozialarbeiter sollten den Gemeinden, die am stärksten von den Gewalthandlungen während der vorangegangen Jahre betroffen waren, helfen, die Lebensqualität und den Lebensstandard zu erhöhen.1725 Dabei sollten diese Entwicklungen nicht nur von außen angestoßen werden, sondern gleichzei-tig einen Bewusstseinswandel in der lokalen Bevölkerung bewirken. Durch die equipos polivalentes sollte „die individuelle Anstrengung [zur Verbesserung der Lebensbedingungen] stimuliert, nicht angeleitet oder ersetzt, werden“.1726

Die Wiederaufbaumaßnahmen im Rahmen der Rehabilitación waren allerdings nicht nur zivil ausgerichtet, wie es der Einsatz der equipos polivalentes erscheinen ließ. Gerade in den Regionen, die am meisten des materiellen Wiederaufbaus und sozialer Maßnahmen bedurften, waren oftmals noch kriminell oder politisch moti-vierte Gewaltkollektive organisiert. Angesichts der Präsenz von Gewaltakteuren in den Regionen, in den Wiederaufbaumaßnahmen durchgeführt werden sollten, wurden die Streitkräfte mit vielen Maßnahmen der Rehabilitación , insbesondere in Infrastruktur- und Baumaßnahmen, beauftragt, da diese nicht nur über die not-wendigen Gerätschaften für das unwegsame Gelände verfügten, sondern auch für ihren eigenen Schutz vor den violentos sorgen konnten.1727

Die zentrale Beteiligung der Streitkräfte an den Programmen der Rehabilitación führte dazu, dass diese in einigen ruralen Regionen zu bedeutenden Vermittlern der Regierungsaktivität wurden.1728 Der Frente Nacional bekundete aber auch seine Bereitschaft und seinen Willen, gegen die verbliebenen Gewaltakteure militärisch vorzugehen. Dies hielt die mit den Wiederaufbau- und Befriedungsmaßnahmen beauftragte Kommission fest: Die Comisión de Rehabilitación identifizierte in den Regionen, in denen sie aktiv war, grundsätzlich drei verschiedene Formen der Gewalt in den ausgehenden 1950er, beginnenden 1960er Jahren. Gegen einen der Gewalttypen, gegen die als politisch charakterisierte Gewalt, sollten integrative Maßnahmen vonseiten des Staates erfolgen, das heißt den Gewaltakteuren sollte die Möglichkeit gegeben werden, in das zivile Leben zurückzukehren. Sollte diese Angebote ausgeschlagen werden, müsse aber „die gesamte Macht des Staates“, im Sinne von militärischer Repressionsmacht, gegen die politisch-subversiven Akteursgruppen, wie die bandoleros sociales , mobilisiert werden.1729 Die accio- nes cívico-militares der Streitkräfte waren somit der militärischen Repression lediglich vorgelagert, denn wer die Hilfsmaßnahmen und Regierungsangebote, in das zivile Leben zurückzukehren, nicht annahm, sollte die gesamte Macht des Staates zu spüren bekommen.

Neben der Gewährung von Hilfsleistungen für notleidende Zivilisten zielten die zivil-militärischen Unternehmungen auch darauf, die Gewaltakteure aus ihren sozialen (Unterstützer-)Netzen zu lösen, um sie zu isolieren und so das militäri-sche Vorgehen gegen sie zu ermöglichen. Die Trennung der violentos von ihren zivilen Unterstützern sollte in einem ersten Schritt dadurch erreicht werden, dass das Bild der staatlichen Sicherheitskräfte grundlegend geändert wurde. Gerade in mehrheitlich liberalen departamentos wie Tolima sollten weite Teile der Zivilbe-völkerung durch die Einbindung der Streitkräfte in Wiederaufbau- und Hilfsmaß-nahmen davon überzeugt werden, dass deren Rolle unter dem Frente Nacional , im Unterschied zu den vorangegangenen parteipolitisch motivierten Auseinan-dersetzungen, den Vorgaben der Verfassung gehorche.1730

Daher umfassten die als acciones cívico-militares bezeichneten Unternehmun-gen der Streitkräfte nicht nur materielle und infrastrukturelle Wiederaufbaumaß-nahmen, sondern zielten in besonderem Maße auf Hilfsleistungen für die Bevöl-kerung, in erster Linie auf die medizinische Versorgung sowie der Bereitstellung von Lebensmitteln für verarmte Teile der Landbevölkerung.1731 Die acciones cívico-militares wurden denn auch nicht alleinig von dem ministerio de guerra konzipiert, sondern sowohl das Erziehungs- als auch das Gesundheitsministerium waren an den Planungen beteiligt.1732 Der Innenminister Camacho Rueda lobte vor dem Hintergrund der Tötung von Cruz Usma die Kombination des militäri-schen Vorgehens gegen die Gewaltakteure mit zivilen Wiederaufbauprogrammen und Gesundheitsdienstleistungen für die Bevölkerung der Operationsgebiete der bandoleros .1733 Und die regionale Presse aus Tolima strich einerseits den materi-ellen Nutzen für die Landbevölkerung heraus, betonte aber auch gleichzeitig, dass die Hilfsleistungen andererseits den „herzlichen Beziehungen, die zwischen dem in der Landwirtschaft Tätigen und dem Soldaten bestehen müssen“, förderlich seien.1734

Neben der Modifizierung des Ansehens der Streitkräfte unter der Zivilbevölke-rung trieb die Koalitionsregierung einen Spalt zwischen die verbliebenen Gewalt-kollektive und Zivilisten, indem sie jenen den Status als Verteidiger der Bedürf-nisse und Belange von campesinos abzusprechen versuchte. Bei dem Unterfangen, den bandoleros sociales den Ruf zu nehmen, für die Interessen der ruralen Bevöl-kerung zu kämpfen, der oftmals zur Unterstützung der Gewaltakteure führte, wur-den die staatlichen Autoritäten von der regionalen Presse unterstützt. Der General Matallana, der die Militäroperationen gegen die Gewaltkollektive in Nordtolima kommandierte, beschrieb die Bemühungen der Streitkräfte in folgenden Worten: „Dem campesino wurde mit unanfechtbaren Beweisen gezeigt, dass die cuadri- llas keinerlei Idealismus oder politischen Anspruch hatten und dass sie einfach herzlose Kriminelle waren“.1735

El Cronista machte seine Leser darauf aufmerksam, dass die „Verbrecherban-den“ nicht für „die Wiederherstellung eines verletzten Rechts oder die Einforde-rung sozialer Rechte für die Klasse der campesinos “ kämpfen würden – dieses Charakteristikum sprach der Kommentar lediglich den liberalen Widerstands-gruppen und ihrem Kampf gegen die Regierung Gómez und Rojas Pinilla zu.1736Das liberale Periodikum ermahnte weiterhin, dass die Gleichgültigkeit und das Schweigen der Bevölkerung als billigende Zustimmung für das Handeln der bandoleros verstanden werden könnten.1737 Anstatt den sozialen Fortschritt vor-anzutreiben, seien die Gewaltkollektive, in den Augen der Vertreter des Frente Nacional , der Grund für den wirtschaftlichen Niedergang und den Verfall gesell-schaftlicher Moral: „Daher können sie [die bandoleros , L. R.] keinen Banner der Gerechtigkeit anführen, noch kann man glauben, dass sie von edlen oder altruis-tischen Motiven geleitet werden“.1738

Der Gouverneur Tolimas Jaramillo Salazar, der ehemals gute Kontakte zu bandoleros wie Desquite unterhalten hatte, bemühte die antagonistische Gegen-überstellung zwischen Zivilisation und Barbarei, um den Kampf gegen den bando- lerismo zu beschreiben. Mit dieser Differenzierung, die schon zur Beschreibung der kommunistischen Akteursgruppen und ihres Handelns genutzt worden war, zielte er darauf, ihnen die Unterstützung aus Teilen der ländlichen Zivilgesell-schaft zu entziehen.1739 Die violentos seien, wie El Espectador festhielt, „Feinde des Friedens und der Eintracht“.1740 Sich der Annäherung der bandoleros sociales an kommunistische Deutungs- und Handlungsrahmen bewusst stellte die liberale Tageszeitung sie als „ Frente Antinacional “, das heißt als Antipode zu der Koali-tionsregierung der partidos tradicionales , dar, die sich um das harmonische und gewaltfreie Zusammenleben aller Kolumbianer, so die Selbstdarstellung, bemühe.1741

Während die Regierung des Frente Nacional und die ihr nahestehende Presse besagte Aufklärungskampagne über den in ihrer Sicht wahren, kriminellen Cha-rakter der Gewaltakteure führte, entwickelten Personen wie Desquite oder Chis- pas keine nennenswerten gezielten Gegendarstellungen und -diskurse zu den staatlichen Kriminalisierungsstrategien. Nur in den wenigen, in der vorliegen-den Arbeit untersuchten Dokumenten, von denen aber keins von den bandoleros selber verfasst wurde, stellten sie ihre Sicht auf die politischen Entwicklungen in Kolumbien dar. Sánchez und Meertens sehen in dieser Tatsache eine der Bedin-gungen, die zu ihrer Niederlage gegen die staatlichen Sicherheitskräfte führte.1742

Als zusätzlichen Anreiz an die Zivilbevölkerung, sich von den Gewaltakteuren zu trennen und Informationen über diese preiszugeben, stellte die Regierung hohe Geldsummen für diejenigen Personen in Aussicht, die Informationen lieferten, die zur Ergreifung – oder Tötung – der gesuchten bandoleros führten.1743 Ins-besondere die regionale Presse veröffentlichte Anzeigen, die auf die in Aussicht gestellten monetären Entlohnungen für die Zusammenarbeit mit den staatlichen Sicherheitskräften aufmerksam machten. El Cronista unterstrich einerseits die absolute Geheimhaltung der Identität der Informanten, um Ängste vor der Rache der bandoleros und ihrer cuadrillas zu zerstreuen. Andererseits wurde versucht, durch den Verweis auf bereits ausgezahlte Belohnungen, zum Beispiel im Fall von Pedro Brincos, den Anreiz zu erhöhen, Informationen an die Strafverfolgungsbe-hörden zu geben.1744 Auch José Andrés Padilla Molina (alias Poker) konnte durch die Informationen aus der lokalen Bevölkerung aus den umliegenden Dörfern der cabecera departamental getötet werden.1745

Der Erfolg, den die Aussetzung von Kopfgeldern auf die gesuchten Gewalt- akteure mit sich brachte, Sánchez und Meertens sprechen sogar von „dem Florie-ren der ‚Informantenindustrie‘“1746, verdeutlichte sich an der Tötung von Sangre- negra: Kein geringerer als sein eigener Bruder Felipe brachte die staatlichen Sicherheitskräfte auf die Spur von Cruz Usma, um in den Genuss der hoch ange-setzten Belohnung zu kommen, was dessen Tötung ermöglichte.1747

Die Causa Sangrenegra verdeutlicht aber auch ein weiteres Charakteristikum, das die bandoleros sociales der ersten Hälfte der 1960er Jahre auszeichnete. Der Bruder von Cruz Usma gab an, dass er Sangrenegra an die staatlichen Behör-den habe ausliefern müssen, da dieser gedroht habe, ihn zu töten.1748 So wie sich Sangrenegra offenbar gegen Mitglieder seiner engsten potentiellen Unterstützer-gruppe, seine Familie, gestellt hatte, isolierten sich auch andere bandoleros von ihrer sozialen Basis und „brachen die horizontalen Verbindungen zu dem cam- pesinado “1749 – nachdem sich schon die vertikalen politischenBeziehungen zu caciques und gamonales der Liberalen Partei wie Jaramillo Salazar verflüchtigt hatten. Unter diesen Umständen erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit, dass Zivi-listen, die in den Aktionsräumen der bandoleros lebten, mit den staatlichen Auto-ritäten gegen die Gewaltakteure zusammenarbeiten würden.1750

Ein deutliches Beispiel für einen bandolero , der sich gegen seine eigene Unter-stützergruppe stellte, war neben Cruz Usma Ismael Saavedra (alias Almanegra). José Ismael Reinoso, der verdächtigt wurde, den bandolero unterstützt zu haben, führte 1964 zu seiner Verteidigung an, dass Almanegra damit gedroht habe, alle Mitglieder der Liberalen Partei zu töten, die ihn nicht unterstützen würden, obwohl er sie verteidige.1751

Auch die Überfälle auf Überlandbusse, die zu einer bevorzugten Finanzie-rungsquelle der cuadrillas bandoleras wurden, verdeutlichen, in welchem Maße die bandoleros sich gegen die sozialen Sektoren stellten, deren Rechte sie zu ver-teidigen vorgaben und von denen sie im Gegenzug Unterstützung für ihr Han-deln einforderten. Bei diesen wurden weniger wohlhabende finqueros oder Groß-grundbesitzer zu Opfern. Vielmehr richtete sich mit den Überfällen die Gewalt der bandoleros vornehmlich gegen ihre eigenen (potentiellen) Unterstützergrup-pen: Landarbeiter, Tagelöhner, colonos und campesinos , die am häufigsten zu den Passagieren der Buslinien zählten, wie der Kommentator von El Cronista kritisch anmerkte.1752

Akteure wie Pedro Brincos, Desquite oder Chispas kehrten mit dem Abbruch der Beziehungen zu den oficialistas , in deren Namen sie in den Kampf gezo-gen waren, der Liberalen Partei zunehmend den Rücken.1753 In dem Maße, wie ehemalige bandoleros políticos wie Chispas oder Desquite die Gründe für die Gewalthandlungen in den Differenzen zwischen den gesellschaftlichen Gruppen bezüglich ihrer sozioökonomischen Position sahen, und weniger in der Zugehö-rigkeit zu unterschiedlichen Parteien, trat ihr Handeln auch in Widerspruch zu den Interessen liberaler hacendados und Regionalpolitiker. Die Erpressung von finanziellen und anderen materiellen Unterstützungsleistungen vergrößerte deren Bereitschaft, mit den staatlichen Sicherheitskräften gegen die cuadrillas bandole- ras zusammenzuarbeiten.1754

Zwar versuchten die bandoleros sociales , dem Gewalthandeln einen sozialen Gehalt und eine Dimension des Klassenkampfes zu geben, aber es gelang ihnen nicht, sich eine feste soziale Basis entlang von Klassenlinien, jenseits der (vor-gestellten) Grenze zwischen den Traditionsparteien zu schaffen.1755 Lediglich die dezidiert im Namen des Partido Comunista agierenden Kombattanten wie Isauro Yosa, Manuel Marulanda Vélez und Ciro Castaño überdauerten die Epoche der Violencia und formierten Mitte der 1960er Jahre die Fuerzas Armadas Revolucio- narias de Colombia , die bis in die Gegenwart das politische Feld Kolumbiens maßgeblich prägen. Die bandoleros sociales hingegen unterlagen letzten Endes im Kampf, den die staatlichen Sicherheitskräfte gegen sie führten, die guerra con- tra el bandolerismo , denn sie vermochten es nicht, das sie unterstützende soziale Netzwerk so weit zu spannen, als dass es ihnen erlaubt hätte, die massive Repres-sion durch die Streitkräfte zu überstehen.

Die Situation, in der sich die bandoleros sociales befanden, gestaltete sich in den 1960er Jahren zunehmend schwieriger. Auf der einen Seite hatten sie die Unterstützung von Repräsentanten der Traditionsparteien, und damit politische Legitimität im Sinne von Sánchez und Meertens, verloren. Auf der anderen Seite erhöhten die Streit- und Polizeikräfte den militärischen Druck auf die Gewalt-kollektive, von denen viele zumindest in ihrer Selbstsicht zunehmend für den sozialen Wandel stritten.1756 Gleichzeitig bemühten sich die staatlichen Autoritä-ten darum, dass die politischen Umbrüche auch zu einer spürbaren Verbesserung der Lebenssituationen für die Bürgerschaft führten, das heißt gerade die ländliche Bevölkerung in den Operationsgebieten der Gewaltakteure sollte erfahren, dass mit der Rückkehr zu demokratischen Gepflogenheiten, wie die Traditionspar-teien den Frente Nacional werteten, auch die staatliche Sorge um das Allgemein-wohl zurückgekehrt sei.1757 Unter diesen diffizilen Umständen begingen die unter Druck geratenen cuadrillas von bandoleros sociales den entscheidenden Fehler, ihren bereits ausgedünnten Unterstützergruppen die gestiegenen materiellen und politischen Kosten des irregulären Kampfes aufzubürden. Die damit verbundenen sozialen Belastungen für die Zivilbevölkerung führten zu der sinkenden Unter-stützung der cuadrillas – vor allem nach dem Regierungswechsel 1962.1758

Sowohl Desquite als auch Sangrenegra waren sich der Versuche der sie verfol-genden Streitkräfte bewusst, Zivilisten im Kampf gegen den bandolerismo auf ihre Seite ziehen zu wollen. In ihren Versuchen, die wachsende Zahl von Infor-manten und Zuarbeitern des Heeres, von sapos , zu eliminieren, richteten sich ihre blutigen und oftmals willkürlichen Vergeltungs- und Einschüchterungsmaßnah-men immer stärker gegen die eigene soziale Basis.1759 Insbesondere die sexuali-sierte Gewalt gegen vermeintliche Unterstützer der staatlichen Sicherheitskräfte und deren familiäres Umfeld brachten die bandoleros sociales unter ihren ehema-ligen oder potentiellen Unterstützern in Misskredit. Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen, die bereits in den Jahren zuvor massiv angewendet worden waren, um den Widersacher in seiner Kampf- und Widerstandsbereitschaft zu brechen, hatten insbesondere in der ruralen lokalen Gesellschaft, die stark patriarchalisch und traditional geprägt war, nicht zu unterschätzende Auswirkungen auf das Pres-tige und den Ruf der Gewaltakteure in ihrem sozialen Umfeld.1760

Erschwerend kam für die bandoleros sociales hinzu, dass sich der Movimiento Revolucionario Liberal , der ihnen über einen langen Zeitraum noch ein Min-destmaß an politischer Legitimität im Sinne von Sánchez und Meertens gewährt hatte, sich zunehmend institutionalisierte und vergleichsweise gemäßigte politi-sche Agenden vertrat, während die bandoleros sociales politisch immer radikaler agierten.1761 Vor dem Hintergrund der schwindenden Legitimationsquelle, durch die Abkehr von Vertretern des oficialismo bzw. der parteiinternen Dissidenz, ver-mochten es die bandoleros sociales nicht, ihre soziale Basis ausreichend zu erwei-tern, um diesen Wegfall an politischer Legitimität auszugleichen.1762

Vielen liberalen guerrilleros war es nicht möglich, die Dichotomisierung der sozialen Welt , die sie in den bewaffneten Kampf gegen die Konservativen geführt hatte, gleichsam schnell wie Vertreter der partidos tradicionales auf der nationalstaatlichen Ebene zu überwinden.1763 Meertens zufolge entwickelten die bandoleros sociales der Violencia Tardía einen Deutungsrahmen, der von zwei sich tendenziell widersprechenden Faktoren maßgeblich gespeist wurden. Auf der einen Seite wurden sozioökonomische Differenzen in der Gesellschaft bedeutsam für die Wahrnehmung politischer und sozialer Realitäten. Personen wie Chispas und Desquite gelang es auf der anderen Seite aber nicht, den auf dem sectarismo basierenden Deutungsrahmen vollständig hinter sich zu lassen und durch einen zu ersetzen, der die Klassenzugehörigkeit als ausschließlichen oder zumindest zen-tralen cleavage definiert hätte. Vielmehr kombinierten sie beide cleavages mitein-ander, sodass das Bewusstsein über die Klassenunterschiede und deren Einfluss auf die sozialen sowie politischen Realitäten nach wie vor durchsetzt war von der Bedeutung der Parteizugehörigkeit. Dies hieß in der ersten Hälfte der 1960er Jahre in den ruralen Zonen Tolimas, dass die bandoleros sociales das sie unterstüt-zende Netzwerk bedeutsam verkleinerten. Auf Basis des cleavage Klassenzuge-hörigkeit stützten sie sich „nur noch“ auf campesinos (und nicht mehr gutgestellte Liberale aus höheren sozialen Schichten), aber wegen des nach wie vor virulenten sectarismo lediglich auf campesinos , die der Liberalen Partei angehörten. Meer-tens beschreibt dieses Bewusstsein für die Bedeutung der Klassenzugehörigkeit, die jedoch mit der Differenzierung nach Parteimitgliedschaft durchsetzt war, als „fragmentiertes Klassenbewusstsein, einen sozialen Antagonismus durchdrungen von der Parteiabhängigkeit“.1764

Dieser Punkt lässt sich an den Ermittlungen gegen Julio César Castro Rivera verdeutlichen. Dieser wurde beschuldigt, der cuadrilla unter Führung von Sangre- negra anzugehören und an mehreren Massakern beteiligt gewesen zu sein. Pedro Luis Muñoz Mejía zufolge, der die Konversation zwischen Castro Rivera und einer Prostituierten mitgehört hatte, habe der Verdächtige gegenüber der Frau zugegeben, an den unter Zeitgenossen Aufsehen erregenden Massakern in Tota-rito und Las Damas1765 beteiligt gewesen zu sein. Wie sehr die Täter die Dicho- tomisierung der sozialen Welt und den entsprechenden sectarismo verinnerlicht hatten, wird an dem Bekenntnis von Castro Riveras deutlich. Er bekundete gegen-über der Prostituierten, „dass diese godas , weil sie wohl schwanger waren, nicht leicht zu töten waren und dass sie ihnen deshalb in den Bauch stachen, damit sie endlich starben“.1766

Sant Cassia streicht heraus, dass die Tötung von Kindern auf eine besonders tief verwurzelte Feindschaft verweist, die in Versuchen münden kann, die gesamten Familien des eigentlichen Widersachers auszulöschen.1767 Aus der Perspektive der Täter, über die Muñoz Mejía berichtete, waren die Mitglieder der Konservativen Partei und ihre weiblichen Verwandten Antipoden zu der liberalen Gefolgschaft, die es um jeden Preis vollständig, zusammen mit den potentiellen Nachkommen auszulöschen galt – ungeachtet der unterstellten Annäherungen von Sangrenegra an politischen Gruppierungen, die den sectarismo verurteilten und zu überwinden versuchten.1768

Das von Meertens evozierte fragmentierte Klassenbewusstsein , das sowohl Parteizugehörigkeit und den sectarismo als auch Klasse zu konstitutiven Merk-malen für die Definition von Freund und Feind machte, wird auch in der Aussage von Dagoberto Cruz deutlich. Dieser informierte vor Gericht über die Aktivitäten und Verbrechen der von Almanegra angeführten cuadrilla . Er gab zu Protokoll, dass er von den bandoleros bedroht worden sei und getötet werden solle, weil er „ein godo war und seine Stimme für den Frente Nacional abgeben hatte“.1769 Wie deutlich wird, argumentierten die Gewaltakteure, die Cruz nachstellten, zweig-leisig. Einerseits bezeichneten sie ihn als godo , das heißt sie nahmen ihn als Mit-glied der Konservativen Partei wahr, das sich derer ideologischen Grundlagen bewusst war und sie verteidigte, und deshalb getötet werden müsse. Gleichzeitig wollten sie ihn ermorden, weil er der liberal-konservativen Koalitionsregierung, welche die Belange popularer Sektoren nicht ausreichend beachte, in den letz-ten Wahlen seine Stimme gegeben hatte. In dem politischen Feld Kolumbiens der Violencia Tardía wurde, wie dieses Beispiel als pars pro toto verdeutlicht, durchaus versucht, die Gewalt, die noch in dem „alten“ sectarismo begründet war, durch „neue“ Legitimationsmuster zu rechtfertigen. An die Kritik des des MRL und kommunistischer Gruppierungen anschließend, die den Frente Nacional als populare Anliegen ignorierend und oligarchisch verurteilten, sollte die Gewalt und die odios heredados gegen den konservativen Erzfeind gerechtfertigt werden.

Der Anthropologe Victor Turner, der sich vorrangig mit Veränderungsprozessen und dem Statuswechsel sowohl ethnischer Gruppen als auch Individuen beschäf-tigt, unterteilt den Vorgang des Übergangs aus einem altvertrauten in ein neues soziales Gefüge in Anlehnung an van Genneps rites de passage in drei Phasen: die Trennungs-, die Schwellen- und die Angliederungsphase. Nachdem sich das Individuum bzw. das Kollektiv aus der traditionellen Sozialstruktur gelöst hat, durchschreitet es, als Grenzgänger , den durch Unbestimmtheit und Ambiguität gekennzeichneten Zwischenraum der Liminalität , bevor es in der Angliederungs-phase einen fixierten, mit Rechten und Pflichten versehenen Platz in der neuen gesellschaftlichen Ordnung einnimmt.1770 Die Feststellungen von Turner zu den Transformationsentwicklungen ethnischer Gemeinschaft in gesamtgesellschaft-lichen Modernisierungsprozessen lassen sich auf die bandoleros políticos und sociales in Kolumbien der 1960er Jahre übertragen bzw. lassen sich diese und ihr Verhalten mit den Konzepten Turners beschreiben.

Im Fall des bandolerismo stellte die Liberale Partei das altvertraute Sozial-system dar, denn wie in Teil II der vorliegenden Arbeit gezeigt war die Liberale Partei für ihre Mitglieder nicht nur ein politischer Zusammenschluss. Vielmehr war sie, in den Worten von Santos, „ein Kriterium, um die kollektiven Taten zu werten, eine Norm, um unserer kollektives Handeln zu leiten, ein leuchtendes Ziel unserer Anstrengungen“.1771 So wie sich die bandoleros políticos , die liberalen gamonales zu Diensten gewesen waren, von diesen lossagten, und als bandoleros sociales sozioökonomische Differenzierungen als die soziale Realität bestimmen-den Faktor betrachteten, lösten sie sich auch von dem Sozial- und Wertesystem, das die Liberale Partei verkörperte. Turner folgend begaben sie sich mit dem Ver-lassen der Liberalen Partei in den Raum der Liminalität , dessen „Eigenschaften […] notwendigerweise unbestimmt sind, da dieser Zustand und diese Personen durch das Netz der Klassifikationen, die normalerweise Zustände und Positionen im kulturellen Raum fixieren, hindurchschlüpfen“.1772 Der unbestimmte, liminale Zustand, in dem sich Desquite, Chispas und ihresgleichen nach der Lösung aus der Liberalen Partei befanden, äußerte sich in ihrem fragmentierten Klassenbe- wusstsein : Einerseits erklärten sie mit wohlhabenden Landbesitzern und Agrar- unternehmern ihre ehemaligen Protegés auf Basis des Klassengegensatzes zu ihren Feinden. Andererseits suchten sie vor dem Hintergrund des traditionellen secta- rismo nur in dem liberalen campesinado – und nicht dem konservativen – vergeb-lich ihre soziale Basis.1773

Die von den Streitkräften geführte guerra contra el bandolerismo einerseits, die Unfähigkeit der bandoleros sociales , sich den geänderten Rahmenbedingun-gen der Violencia Tardía anzupassen, andererseits verhinderten, dass sie in den von Turner aufgezeigten letzten Abschnitt des Übergangs eintraten. In dieser, der Angliederungsphase, hätten sich die Schwellenwesen bandoleros wohlmöglich in dem neuen, angestrebten Sozial- und Wertesystem eingefunden, das die Klas-senzugehörigkeit als alleiniges Definitionsmerkmal gesehen hätte. Den Kampf gegen die staatlichen Sicherheitskräfte fochten die bandoleros aber als liminale Schwellenwesen , bevor sie in der neuen Ordnung ihren Platz gefunden hätten – und möglicherweise eine soziale Basis hätten in Anspruch nehmen können, die ihnen erlaubt hätte, den Kampf weiterzuführen oder sogar als Sieger aus diesem hinauszugehen.

Wie Joseph herausstreicht, sind bäuerlichen Revolten, im Rahmen derer die Protagonisten auf eine gefestigte Unterstützergruppe zählen können, oftmals Pha-sen gestiegener Kriminalität und Gewalt vorgelagert.1774 Auch Münkler beschreibt, mit Rückgriff auf Mao Tse-tung, irreguläre Kombattanten, wie sie Desquite und Chispas waren, als Akteure, die sich als „Larve des Revolutionärs“ zu sozialre-volutionären Akteuren und Partisanen der Revolution entwickeln können.1775 Der von Joseph und Münkler formulierten Thesen folgend wären Gewaltakteure wie Desquite oder Chispas die Protagonisten der Übergangsphase zu der politischen Bauernrevolte gewesen.

Als liminale Schwellenwesen waren die bandoleros der kolumbianischen Vio- lencia Tardía aber „weder das eine noch das andere, sondern bef[a]nden sich zwischen den vom Gesetz, der Tradition, der Konvention und dem Zeremonial fixierten Positionen“.1776 Die Position im Raum der Liminialität und das fragmen- tierte Klassenbewusstsein führten dazu, dass sie einerseits Latifundisten und mit hohem Maß an ökonomischem Kapital ausgestattete Vertreter der Traditionspar-teien angriffen und in ihren sozialen und politischen Ambitionen beeinträchtigten, andererseits aber lediglich für liberale campesinos zu kämpfen gedachten – und sich mit dem erhöhten militärischen Druck auch gegen diese stellten.

Der Fall Teófilo Rojas verdeutlicht paradigmatisch den Zustand der bandoleros sociales als Schwellenwesen . Im Januar, 1963, als er in Albania in der Gemeinde Calarcá in Quindío von den Streitkräften getötet wurde, trug er drei Portraitfo-tos bei sich, von denen, laut El Espectador , zwei „seine Zuneigung“, ein drittes „seinen Hass“ symbolisierten.1777 In dem Besitz von Chispas befand sich zum Zeitpunkt seines Todes ein Foto von dem bandolero , der unter dem Aliasnamen Pata de Rana gekämpft hatte und offenbar ein liberaler Kampfgefährte von Chis- pas während der ersten Phasen der Violencia gewesen war. Ein weiteres Bild zeigte Efraín González, dem Anführer mehrerer konservativer Gewaltkollektive in Santander, den Chispas, wie El Espectador in Erinnerung rief, sogar zu einem Duell herausgefordert habe, zu dem es aber nie gekommen war. Die Bilder dieser beiden Personen repräsentierten die alte soziale Ordnung und Wertesystem, für das die (vorgestellte) Differenz zwischen den partidos tradicionales zentral war. Aus diesem hatte sich Chispas zu lösen versucht, es aber noch nicht gänzlich hin-ter sich gelassen, wie der Besitz der Fotos als Repräsentationen seine Hasses und seiner Zuneigung verdeutlichte. Das dritte Foto, in dessen Besitz Rojas war, hin-gegen symbolisierte die neue soziale Formation, die das Schwellenwesen Chispas anstrebte – aber noch nicht vollständig erreicht hatte. Das Foto zeigte Ernesto „Che“ Guevara, der vier Jahre zuvor an der Seite von Fidel Castro die Kubanische Revolution zum Sieg geführt hatte und in den 1960er Jahren zum Symbol des Kampfes für eine sozial ausgeglichene Gesellschaft sowie gegen den US-ameri-kanischen Einfluss in die innenpolitischen Belange lateinamerikanischer Länder geworden war.1778

Etwas mehr als ein Jahr, nachdem Rojas von den Streitkräften in Calarcá getö-tet worden war, erlitt Desquite ein ähnliches Schicksal – er starb im März 1964.1779Als im Folgemonat mit Sangrenegra „der niederträchtigste Mörder aller Zeiten“, wie ihn El Cronista beschrieb, auf der Flucht vor den Streitkräften seinen Verlet-zungen erlag, waren die drei Protagonisten des bandolerismo liberalen Ursprungs tot.1780

1965 wurden die verschiedenen verbliebenen Gewaltkollektive, die sich aus ehemaligen liberalen Widerstandskämpfern gegen die konservative und die Mili-tärregierung rekrutierten, von den staatlichen Sicherheitskräften und der politi-schen Exekutive nicht mehr als zentrale Gefahr für die öffentliche Ordnung und die Stabilität des politischen Systems gesehen.1781 Als eine solche gerieten die kommunistischen Enklaven Riochiquito, Guayabero, El Pato und vor allem Mar-quetalia in das Visier der Streitkräfte. Die taktisch-strategischen Erfahrungen aus der guerra contra el bandolerismo wie der Gewinn der Unterstützung der lokalen Bevölkerung für die staatlichen Sicherheitskräfte und die Bedeutung, die öffentli-che Meinung auf seiner Seite zu haben, flossen in die Planungen der Angriffe auf die repúblicas independientes ab Mitte 1964 ein.1782

Der Kampf gegen die Akteure, die dezidiert für den revolutionären Umsturz in Kolumbien stritten und die zu keinem Zeitpunkt so enge Verbindungen zu Vertre-tern der partidos tradicionales wie die bandoleros sociales oder bandoleros polí- ticos gehabt hatten, war aber kein „einfacher“ Kampf gegen regierungsfeindliche Akteursgruppen oder Oppositionelle. Vielmehr ist er als eine Form der gewaltsa-men state formation zu verstehen.1783

Zwar beendeten die Tötungen der exponierten Anführer liberaler cuadrillas nicht den Rückgriff auf Gewalt in politischen Auseinandersetzungen in Kolum-bien, sondern es wurde ein neues Kapitel der inzwischen viele Dekaden umfas-senden Gewaltgeschichte Kolumbiens aufgeschlagen. Mit den Tötungen von Per-sonen wie Chispas und Desquite endete aber doch die letzte Phase der Violencia , die Phase des bandolerismo , die Sánchez und Meertens folgend einen eigenstän-digen Abschnitt der Violencia darstellte.1784

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IV Schlussbetrachtung 1 Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse

Ungeachtet der Versuche der Comisión Investigadora , den Ursachen der bluti-gen Auseinandersetzungen auf den Grund zu gehen, und trotz unzähliger Studien, von denen hier nur die Untersuchung der Secretaría de Agricultura del Departa- mento ( del Tolima ) genannt sein soll, sind bis heute einige wichtige Details der Violencia nicht geklärt. Auch besteht kein Konsens über die wahren Ausmaße des Konflikts. So schwanken die Schätzungen über die Zahl der während der Vio- lencia landesweit getöteten Personen erheblich. Während einige Wissenschaftler von 100.000 Toten ausgehen, wird an anderer Stelle die dreifache Zahl der Opfer genannt.1785

Im Grunde ist es wenig verwunderlich, dass die genaue Zahl der während der Violencia getöteten Personen nie genau bestimmt werden konnte. Die bewaffne-ten Auseinandersetzungen erfolgten zwischen Parteimitgliedern nachgeordneten Ranges in schwer zu überblickenden Allianzen abseits der urbanen Zentren in ländlichen Regionen, denen die politischen Eliten traditionell wenig Aufmerk-samkeit schenkten. Zu viele Leichen wurden in Flüsse geworfen, in den Bergen vergraben oder Aasfressern überlassen, als dass man die Opfer der Violencia auch nur annähernd genau hätte zählen können.

Was zu dem weitgehenden Unwissen über die annähernde Opferzahl beiträgt, ist der Umstand, dass die Kombattanten nicht zentral von Repräsentanten der Kon-fliktparteien auf der nationalstaatlichen Ebene koordiniert oder gar befehligt wur-den, was die Violencia von den Bürgerkriegen des 19. Jahrhunderts unterscheidet. Die Repräsentanten der beiden Traditionsparteien wussten um ihre Verantwortung für die vorangegangenen Kämpfe. Wie die Arbeit durch die Analyse der Deu-tungs- und Wahrnehmungsrahmen zeigt, hatten sie Gewalt in politischen Ausei-nandersetzungen aber als Handlungsressource diskursiv zur Verfügung gestellt. Die in dem Frente Nacional geeinten Führungsriegen der partidos tradiciona- les wollten daher sowohl durch das Amnestiegesetz als auch die verschiedenen Kommissionsarbeiten ein Vergessen der vorangegangenen Konflikte erreichen und eine historische Selbstabsolution aussprechen.1786 Liberale und konservative Politiker versuchten weiterhin mit demselben Ziel, die Regierung von General Rojas Pinilla, der unter Mitwirkung von weiten Teilen der Traditionsparteien an die Macht gebracht worden war, für die gewaltsamen Auseinandersetzungen ver-antwortlich zu machen.1787

Schon kritische Zeitgenossen sprachen von der moralischen Verantwortung der Vertreter der Traditionsparteien für die blutigen Auseinandersetzungen und ver-urteilten sie als geistige Urheber der Violencia . Der Cuerpo Médico de Bogotá bekundete 1948, dass seiner Meinung nach Politiker, die in ihren Radioanspra-chen zu Gewalt aufriefen, schuldiger („ más culpable “) seien als die tatsächlichen Gewaltakteure.1788 Und im Januar 1960 nahm Alonso Aragón Quintero, Gouver-neur von Valle del Cauca, die Politiker beider Traditionsparteien in die Pflicht, der Gewalt keinen Nährboden zu geben, denn „ein falsches Wort, eine aggressive Rede können als unmittelbare Folge neue […] abscheuliche Verbrechen haben“.1789

Aber nicht nur unter Zeitgenossen bestand ein breiter Konsens, dass Vertreter der Traditionsparteien eine erhebliche Mitschuld an den gewaltsamen und bluti-gen Auseinandersetzungen zwischen den Parteimitgliedern hatten. Auch Wissen-schaftler, die sich ausführlich mit der Violencia auseinandergesetzt haben, wis-sen um die Verantwortung der Führungszirkel der partidos tradicionales an den bewaffneten Konflikten zwischen den verschiedenen Fraktionen des politischen Feldes, die im Laufe des Untersuchungszeitraums immer weitere Teile der Gesell-schaft und des politischen Spektrums erfassten. Allerdings gingen die Aussagen bisher selten über allgemeine Bekundungen hinaus, dass Teile der Parteien durch einen scharfen sectarismo charakterisiert, der Liberalen Partei eine Nähe zu der Kommunistischen nachgesagt, immer mehr Bereiche sozialer Interaktionen mit dem Konflikt zwischen den Parteien chiffriert wurden oder Teile der Konservati-ven Partei mit faschistischem Gedankengut sympathisierten.1790

Die vorliegende Arbeit füllt diese Leerstelle, indem sie die Deutungs- und Wahr- nehmungsrahmen detailliert, quellenbasiert und inhaltlich argumentierend nach-zeichnet, die den diskursiven Weg ebneten, massive Gewalt gegen den politischen Widersacher einzusetzen. Repräsentanten der Traditionsparteien betonten die poli- tischen Unterschiede, indem sie die politikphilosophischen Grundlagen (aufge-klärter Liberalismus und katholizistischer Konservatismus) in den Vordergrund stellten, die zur Entstehung ihrer Parteien im 19. Jahrhundert geführt hatten. Aber darüber hinaus radikalisierten sie die politische Unvereinbarkeit der beiden Parteien, indem sie diese als Antipoden, als faschistische bzw. kommunistische Gemeinschaften, beschrieben, zwischen denen eine gemeinsame, konzertierte und friedliche politische Zusammenarbeit nicht mehr möglich schien. Kommu-nistische Politiker verblieben bei der Propagierung der Gewalt als Handlungs-ressource vergleichsweise stumm. Es war die diskursive Gleichsetzung von Mit-gliedern der Kommunistischen Partei und Liberalen durch konservative Politiker, die dazu führte, dass auch kommunistische Gruppierungen von den staatlichen Sicherheitskräften sowie ihren zivilen Unterstützern angegriffen und zu Akteuren des Konflikts wurden.

Ausgehend von der politisch-ideologischen Gegenüberstellung griffen Reprä-sentanten der Traditionsparteien auf eine kulturalisierte Trennmarke zurück. Auf den Gegensatz von Barbarei und Zivilisation rekurrierend sahen sie in dem Kon-kurrenten um politische Macht ein vormodernes Relikt einer überwundenden Ver-gangenheit. In dem Maße wie sie vor dem Hintergrund der Konstruktion unver-einbarer Differenzen zwischen Konservativer und Liberaler Partei politische Aktivität als militärische Unternehmung für eine höhere Mission identifizierten und dem politischen Gegner teilweise den menschlichen Charakter absprachen, wurde der Griff zur escopeta de fisto oder zur Machete vorstellbarer (Popitz) und plausibler.

All diese Faktoren (historische Entstehungsbedingungen, stigmatisierende Abwertung der gegnerischen Partei als Faschisten bzw. Kommunisten, Zukunfts-orientierung, Kampf gegen die vormoderne Vergangenheit) formten eine dicho- tomisierte soziale Welt . Vor diesem Hintergrund präsentierten Vertreter der Tra-ditionsparteien den politischen Widersacher in steigendem Maße als Bedrohung für die verheißungsvolle geordnete Zukunft der patria , die sie mit den politischen Erfolgen der eigenen Partei gleichsetzten. Die Dichotomisierung der sozialen Welt und die Gleichsetzung von Partei und patria erleichterten den Rückgriff auf Gewalt, um den politischen Widersacher daran zu hindern, seine sinisteren Pläne in die Tat umzusetzen.

Die Erarbeitung des diskursiv-kulturellen Kontextes der Violencia trägt in einem ersten Schritt dazu bei zu erklären, warum physische Gewalt Mitte des 20. Jahrhunderts zu einer Handlungsoption in politischen Auseinandersetzungen in Kolumbien wurde und warum so ausgiebig und umfassend auf sie zurückge-griffen wurde. In einen zweiten Schritt verweist sie im Kontext der historischen Gewaltforschung über den kolumbianischen Untersuchungsfall hinausweisend auf die Bedeutung, Gewalthandlungen soziokulturell zu kontextualisieren. Ent-gegen der Plädoyers der selbsternannten Innovateure der Gewaltforschung um Wolfgang Sofsky erklärt sich Gewalt nicht aus sich selbst heraus. Zwar kann die Bereitschaft, auf Gewalt zurückzugreifen, um wie auch immer geartete Ziele durchzusetzen, als eine anthropologische Konstante der menschlichen Existenz

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bezeichnet werden. Genauso muss aber auch der Gewaltverzicht als epochenüber-greifendes Merkmal menschlicher Gemeinschaften definiert werden. Gewalthan-deln erfordert vielmehr immer einen diskursiven, kulturellen Kontext, in dem der Rückgriff auf die physische Gewalt legitim und als der geeignete Weg erscheint, seinem Widersacher entgegenzutreten. Und diese Rahmenbedingungen müssen in Studien, die sich mit dem Phänomen (kollektiver) Gewaltausübung auseinander-setzen, berücksichtigt werden.

In einem weiteren Teil der vorliegenden Arbeit wurde auf Basis eines breiten Korpus schriftlicher Quellen gezeigt, dass die untersuchten Wahrnehmungs- und Deutungsmuster nicht nur Gedankengebilde blieben, sondern die politischen Aus-einandersetzungen nachdrücklich prägten. In dem departamento Tolima wurde die diskursiv bereitgestellte Handlungsressource Gewalt während des Untersu-chungszeitraums ausgiebig genutzt. In der ersten Phase des Untersuchungszeit-raums (1946–1949) verzichteten die politischen Fraktionen in Tolima noch weit-gehend auf Gewalt in den gegenseitigen Interaktionen. Liberale Parteigänger hofften, dass die Resistencia Civil in den Strukturen des institutionalisierten poli-tischen Feldes in dem mehrheitlich liberalen departamento ausreichen würde, um die politischen Ambitionen der Konservativen Partei zu durchkreuzen. Anhänger der Konservativen Partei wiederum waren sich bewusst, dass das liberale Wider-standspotenzial groß war, sollte sich die von Konservativen ausgehende Gewalt intensivieren. Sie zielten vorerst darauf, durch den sporadischen und punktuellen Einsatz von Gewalt den Ausgang der kurz nach dem Regierungswechsel stattfin-denden Wahlen so zu beeinflussen, dass ihre politischen Projekte in die Tat umge-setzt werden könnten. So sollten die politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die einen breiter angelegten Einsatz von Gewalt erlauben würden.

Den vorläufigen Höhepunkt der gewaltsamen Begegnungen von Liberalen und Konservativen in den ersten Jahren des Untersuchungszeitraums in Tolima waren die Aufstände der Anhänger von Gaitán im April 1948. Wie in der systemati-schen Analyse der Ereignisse, die der Ermordung Gaitáns folgten, deutlich wurde, bildeten sich zwei Flügel unter den Aufständischen heraus. Die als gemäßigt zu bezeichnenden Aufständischen bemühten sich, ungeachtet aller Wirren ein Min-destmaß an Führung zu übernehmen und die Ordnung unter den rebellierenden Liberalen zu wahren. So sollten Brandschatzungen, Plünderungen und die damit einhergehende Entpolitisierung der Rebellion vermieden werden – zumindest für Tolima liefert die Studie empirische Befunde, welche die These Sánchez’ über den stärker ausgeprägten politischen Gehalt der liberalen Aufstände im April 1948 in der Provinz stützen. Ein radikaler Flügel der aufständischen Gefolgschaft des ermordeten Gaitán hingegen zeigte sich von einem starken sectarismo geleitet, der sie auch zu rein antikonservativen Gewalttaten motivierte und sogar persön-

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liche Bereicherungen zu legitimieren schien – womit die Arbeit auch Gegenargu-mente zu dem Befund von Sánchez liefert.1791

Die letzten Monate des Jahres 1949 stellten den Auftakt der zweiten Unter- suchungsphase der vorliegenden Arbeit dar. Nicht nur auf der nationalstaatlichen Ebene waren sie eine Zäsur in der Genese der Violencia . Auch auf der regionalen Ebene in Tolima waren die Verhängung des Estado de Sitio und die Wahl Gómez’ zum Nachfolger von Ospina Pérez der Grund für Brüche in der Ausgestaltung des politischen Raums, die Tolima zu einem der Hauptschauplätze des Konflikts machten. Um Familiennetzwerke und lokale caciques entstanden liberale bewaff-nete Widerstandsgruppen, die sich gewaltsam gegen die Aggressionen der staat-lichen Sicherheitskräfte und der konservativen Zivilistenverbände zur Wehr setz-ten. Parallel zu den guerrillas , die sich im Namen der Liberalen Partei formierten, entstanden genuin kommunistische autodefensas . Im Süden Tolimas kooperierten die beiden Akteursgruppen unterschiedlicher politischer Couleur zeitweise, bis die ideologisch-politischen Differenzen zwischen ihnen dazu führten, dass sich beide in erbitterte Kämpfe gegeneinander begaben. An der Grenze zu Cundina-marca hingegen setzten Kommunisten und Liberale ihre Zusammenarbeit fort bzw. vertieften diese zu einem Zeitpunkt, als andernorts die Konflikte zwischen diesen politischen Fraktionen an Brisanz und Unerbittlichkeit zunahmen.

Es konnte dargestellt werden, dass der Putsch der Streitkräfte und der folgende Amtsantritt von Gustavo Rojas Pinilla in verschiedenen departamentos unter-schiedliche Auswirkungen zeitigten. Während sich die bedeutendste liberale gue- rrilla in den llanos orientales demobilisierte und auch in Antioquia das von Juan de Jesús Franco befehligte Gewaltkollektiv die Waffen niederlegte, war in Tolima nur ein zeitweiliger Rückgang der Gewalt in der dritten Untersuchungsphase zu beobachten.1792 Im Gegensatz zu anderen Landesteilen waren in Tolima zum einen dezidiert kommunistische Gruppierungen präsent, welche die Aufmerk-samkeit der antikommunistischen, durch die geopolitischen Entwicklungen des Kalten Krieges geprägten Militärregierung auf sich zogen und von den Streitkräf-ten militärisch angegriffen wurden ( Guerra de Villarrica ). Zum anderen begaben sich auch liberale Ex-Kombattanten angesichts der fortwährenden Aggressionen durch konservativ-zivile und staatliche Gewaltakteure, die oftmals eng miteinan-der kooperierten, erneut in den bewaffneten Widerstand.

Die „Amtszeit“ der Junta Militar , die Rojas Pinilla in der Casa de Nariño ablöste, war von einer fragilen Waffenruhe geprägt. Kommunistische Wider-standsgruppen verhielten sich zwar in der vierten Untersuchungsperiode nach der Absetzung des Generals passiv, nachdem sich die Streitkräfte aus den Konfliktre-gionen zurückgezogen und ihre militärischen Aktivitäten eingestellt hatten. Von einer umfassenden Demobilisierung ließen sich die comunes aber nicht überzeu-gen, denn die Fuerzas Armadas blieben, zumindest für die Übergangszeit, an der Spitze der Exekutive – und in den Jahren zuvor hatten diese unter anderem in Villarrica ihre antikommunistische Ausrichtung gewaltsam unter Beweis gestellt. Die liberalen guerrillas , die sich während der Regierungszeit von Rojas Pinilla erneut formiert hatten und sich anschickten, ihre Kräfte auf der nationalen Ebene zu bündeln und zu koordinieren, stellten ebenfalls ihre Kampfhandlungen ein. Allerdings misstrauten auch sie den politischen Entwicklungen wegen der sich fortsetzenden Aktivität konservativer Gewaltakteure, die in der Ermordung ange-sehener dirigentes guerrilleros wie Guadalupe Salcedo mündete.

Die Untersuchung der Geschehnisse in der letzten Periode des Untersuchungs-zeitraums von 1958 bis 1964, den ersten Jahren des Frente Nacional , verdeut-lichte, dass die Violencia mitnichten landesweit mit der Etablierung der liberal-konservativen Koalitionsregierung im August 1958 endete. Gewalt blieb auch nach dem von den Regierungsvertretern verkündeten Ende des Bürgerkrieges in vielen Regionen des Landes eine zentrale Modalität der Kämpfe um politischen Einfluss und Macht. Vertreter der Liberalen Partei griffen auf ehemalige Kombat-tanten zurück, um ihre politischen Einflussbereiche vor Konkurrenten – entweder der Konservativen Partei, den parteiinternen Oppositionsgruppen oder den kom-munistischen Gruppen – zu verteidigen ( bandoleros políticos ).

Die von der politischen Teilhabe weitgehend ausgeschlossenen Akteure wie-derum setzten auf physische Gewalthandlungen, um sich gegen das exklusive politische System der konstitutionell festgeschriebenen Koalition und der pari-tätischen Postenverteilung zur Wehr zu setzen. Zum einen waren dies die genuin kommunistischen Akteursgruppen, die sich ab den späten 1940er Jahren in den bewaffneten Kampf begeben hatten oder vor dem Hintergrund der Kubanischen Revolution den bewaffneten Kampf als einen vielversprechenden Weg sahen, um politische Mitsprache zu erlangen. Zum anderen gehörten ehemalige liberale Widerstandskämpfer zu den Gewaltakteuren der späten Violencia , die sich im Verlaufe der Auseinandersetzungen von den politischen Zielen der Liberalen Par-tei gelöst hatten und den bewaffneten Kampf für soziale Gerechtigkeit und öko-nomische Umverteilung fochten ( bandoleros sociales ). Da diese aber gleichzeitig Vorbehalte gegen dezidiert kommunistische Akteursgruppen und deren politische Agenden hegten, habe ich sie in Anlehnung an Victor Turner als liminale Schwel- lenwesen beschrieben, die sich gewissermaßen zwischen zwei Ordnungssystemen befanden: Sie hatten das „alte“ System von Sicht- und Teilungsprinzipien der Liberalen Partei bereits verlassen, ohne ihren Platz in dem „neuen“ Wertesystem,

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das Klassenunterschiede als den zentralen social cleavage betrachtete, gefunden zu haben. Vielmehr befanden sie sich in einem Zustand des Inbetween , in einem Zwischenraum, der sich in dem fragmentierten Klassenbewusstsein vieler bando- leros manifestierte.1793

Wie die Analyse eines breiten Quellenkorpus in den Archiven der Justizbe-hörden, die Auswertung nationaler, regionaler und lokaler Periodika sowie die Untersuchung der Berichte von Kombattanten und Politikern deutlich machen, wurde die Violencia durch die steigende Wahrnehmung von Klassengegensätzen durch die Kombattanten in großem Maße geprägt, wie die These exponierter vio- lentólogos lautet. Bereits kurz vor dem golpe de opinión von Rojas Pinilla fand die veränderte Perspektive auf den Konflikt Ausdruck in den von liberalen Wider-standskräften der llanos orientales unter Mithilfe des Anwalts Alvear Restrepo verfassten Leyes del Llano . Diese propagierten zunehmend eine Freund-Feind-Zuschreibung entlang eines klassenbasierten social cleavage . Pedro Brincos ist sicherlich ein besonders deutliches Beispiel – nicht aber das einzige – für einen liberalen Widerstandskämpfer, der sich kommunistischen Thesen und Interpre-tationen sozialer und politischer Realitäten zuwandte, je weiter der bewaffnete Konflikt voranschritt. Für andere Kombattanten hingegen blieben die Differenzen zwischen den vorgestellten Gemeinschaften , der Liberalen und der Konservativen Partei, die zentrale Trennmarke, entlang derer sie zwischen Freund und Feind unterschieden und Wirklichkeiten wahrnahmen. Sie und ihr Gewalthandeln waren in der Tat oftmals durch den sectarismo und die odios heredados für das politische Gegenüber motiviert. Die bisherige Forschungsliteratur hat diesen Zusammen-hang allerdings oftmals vorschnell und ohne ausreichende Belege konstatiert und auf nahezu alle Akteure verallgemeinert.

Mit Blick auf die Debatten zwischen den Verfechtern der verschiedenen gewaltsoziologischen Schulen hat die vorliegende Arbeit die Position von Sozio-logen wie Hüttermann und Imbusch gestärkt, die den komplementären Charakter der unterschiedlichen Ansätze in der Gewaltforschung herausstreichen. Wie am Beispiel der Violencia deutlich geworden ist, kann physische Gewalt durchaus funktional und instrumentell eingesetzt werden, um politischen Sicht- und Tei-lungsprinzipien Geltung zu verschaffen. Und durch den Rückgriff auf Gewalt können politische und soziale Gegebenheiten geschaffen bzw. modifiziert wer-den. Gleichzeitig zeigt die vorliegende Arbeit, dass es dem Plädoyer von Sofsky folgend notwendig ist, die Performanz der Gewalt explizit in Studien, die sich der Untersuchung physischer Gewalt widmen, einzubeziehen. Die zu beobachtende exzessiv grausame Gewalt, die auf den ersten Blick sicherlich sinnlos und patho-logisch erscheinen mochte, setzten die Gewaltakteure durchaus gezielt ein. Zum einen dienten die Gewalt bzw. die von der Gewalt geschundenen Körper als Kom-munikationsmedium, um das soziale Umfeld der Opfer einzuschüchtern, sie von der Sinnlosigkeit des Widerstands sowie der scheinbaren Übermächtigkeit des Gegners zu überzeugen. Zum anderen versuchten Akteure durch die ostentativ grausame Gewalt Kommunikationsprozesse anzustoßen. Am deutlichsten zeigt dies das Beispiel von Jacinto Cruz Usma, der explizit erklärte, dass er mit sei-nen grausamen Gewalttaten die Regierung zwingen wollte, ihm auch noch Jahre nach dem Auslaufen des Amnestieangebots die Aussetzung der Strafverfolgung zu gewähren, um ihn von seinem blutigen Treiben abzubringen.

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2 Überlegungen zum zeitgenössischen Begriff des Politischen

Am Beispiel der bandoleros políticos und der bandoleros sociales als Akteure der Spätphase der Violencia ist gezeigt worden, wie die Orthodoxie des zeitge-nössischen politischen Feldes das Amnestieangebot des Frente Nacional dazu nutzen konnte, die Grenzen des Politischen zu definieren. Dies gibt Anlass, über das Verständnis des Politischen während des gesamten Untersuchungszeitraums nachzudenken.

Die politischen Eliten des Untersuchungszeitraums charakterisierten sich durch ein traditionelles Verständnis des Politischen. Dieses reduzierte sich auf Parteien, staatliche Amtsträger und Institutionen, wie die Ausführungen der Tageszeitung El Siglo aus dem Jahr 1949 verdeutlichen. Der Kommentator war besorgt wegen der im Dezember des Jahres um sich greifenden Gewalttaten, die aber keine poli-tischen sein konnten, denn „nach der Beendigung des Wahlkampfes müssten die politischen Motive für die Kriminalität [im Sinne von Gewalt, L. R.] verschwun-den sein“.1794 Aus dieser Warte waren politische Betätigung und politische Hand-lungen ohne Parteien, ohne deren Vertreter und ohne dass diese das Ziel der poli-tischen Einflussnahme in den staatlichen Machtstellen verfolgen würden, nicht vorstellbar.

Ein ähnliches Politikverständnis offenbarte auch die konservative Tageszeitung Diario del Pacífico anlässlich des Attentates auf den Sohn des Interimspräsiden-ten Urdaneta Arbeláez und den Gouverneur Tolimas 1952. Dass hochgestellte Persönlichkeiten der politischen Elite das Ziel des Angriffes gewesen waren, sah der konservative Meinungsmacher als Beweis dafür, dass Vertreter des Führungs-zirkels der Liberalen Partei an der Planung des Attentates beteiligt gewesen sein mussten, denn „Banditen verfolgen keine anderen Ziele als zu rauben und greifen keine wichtigen Persönlichkeiten an“.1795 Ohne dass exponierte Repräsentanten der Liberalen Partei beteiligt gewesen wären, war dieser Meinung zufolge keine politische Aktivität – und sei es „nur“ politische Gewalt – möglich. Aus diesem elitären Politikverständnis heraus betrachtet waren nachgeordnete Parteimitglie-der aus einfachen Verhältnissen ohne die Parteieliten der Traditionsparteien nicht in der Lage, politisch zu agieren, sondern konnten nur – wenn überhaupt – krimi-nelle Zielsetzungen verfolgen.

Zwar waren im Untersuchungszeitraum, abgesehen von der Regierungszeit des Generals Rojas Pinilla, der den Partido Comunista für illegal erklärte, de jure keine politischen Parteien verboten. Vertreter der Traditionsparteien radikalisier-ten das skizzierte Politikverständnis allerdings dahingehend, dass sie das Politi-sche nicht nur auf Parteien im Allgemeinen, sondern lediglich auf die Handlungen der partidos tradicionales reduzierten. Was politisch zu betrachten war, musste in der zeitgenössischen Sichtweise unweigerlich auf die Liberale oder die Kon-servative Partei Bezug nehmen bzw. ihnen entstammen. Oppositionsgruppen, die nicht den Traditionsparteien angehörten oder sich deren Interessen widersetzten, sprach die Orthodoxie des politischen Feldes den politischen Charakter ab bzw. kriminalisierte sie, wenn es sich um bewaffnete Gruppierungen handelte.1796

Im November 1949, nach der Verhängung des landesweiten Estado de Sitio und kurz vor den Präsidentschaftswahlen, machte sich der Kommentator von El Siglo Gedanken über die zunehmend das politische Geschehen prägende Gewalt. Seiner Meinung nach war die Verantwortung kommunistischer Gruppierungen für die um sich greifenden Gewaltakte nicht zu leugnen. Er schlussfolgerte daher, dass die Auseinandersetzungen weder „das einfache Interesse eines Wahlkampfes […] noch den Wunsch, ideologische Gegner auszuschalten“, verfolgten.1797 Vor dem Hintergrund der Dichotomisierung der sozialen Welt waren die Anhänger des Partido Comunista de Colombia für ihn keine ideologischen Gegner mehr, die sich auf Basis eines politischen Programms zusammengefunden hätten. Für den politischen Meinungsmacher waren Kommunisten „nur noch“ Akteure, welche die patria und deren Zukunft in ihrer Gesamtheit bedrohten.

Aurelio Angarita Cárdenas, Kommentator der Tageszeitung Eco Nacional , definierte im August 1952 den Ursprung der bewaffneten Auseinandersetzun-gen in Kolumbien ebenfalls als politisch, da ihnen die Kämpfe der Liberalen und der Konservativen Partei um politischen Einfluss zugrunde lagen. Mit dem Fort-schreiten der Violencia attestierte er aber, dass „der politische Kampf dabei ist, in den Klassenkampf auszuarten ( degenerar )“.1798 Aus seiner Sicht war der von Kommunisten proklamierte Kampf von Ausgebeuteten gegen ihre Ausbeuter und die Kommunisten eigene Missachtung des Prinzips des Privatbesitzes und der kirchlichen Autoritäten im Gegensatz zu den vorherigen Gewaltakten nicht mehr politisch, da ihn weder die Liberale noch die Konservative Partei befürworteten.

Auch die Verlautbarungen des in Osttolima stationierten Offiziers Rafael Navas Pardo, der im Rahmen der Guerra de Villarrica die Militäroperationen gegen die autodefensas um Varela befehligte, spiegelten die zeitgenössische Definition des Politischen wider. Angesichts der Tatsache, dass beide Traditionsparteien die Gewalt als ihren politischen Agenden zuwiderlaufend verurteilten, müsse sie kommunistischen Ursprungs sein – eine These, die angesichts der Präsenz der aus Südtolima in den Osten des departamentos gekommenen sureños nicht gänzlich von der Hand zu weisen war. Den Schluss, den der Offizier aus diesen Gegeben-heiten zog, überrascht jedoch aus heutiger Sicht: „der Gewalt […] fehlt jedweder politische Charakter“.1799

Den kommunistischen Widerstandsgruppen, die sich nach dem Antritt der Mili-tärregierung aus Südtolima in das Hinterland des departamento Cauca zurückge-zogen hatten, wurde ebenfalls der politische Status abgesprochen. Obgleich aner-kannt wurde, dass sie die in der Region beheimateten indigenen Gruppen zum Widerstand gegen die oligarchischen Strukturen der Gesellschaft aufriefen, die sich für die comunidades indígenas in dem stets drohenden Raub ihres Landes äußerten, entpolitisierten Vertreter der partidos tradicionales sie qua Kriminalisie-rung. Wie der Gouverneur von Cauca, Tomás Castrillón, herausstrich, würden die Gewaltakteure in Riochiquito keine ideologisch-politische Rechtfertigung durch die Konservative oder die Liberale Partei finden und müssten daher „ordinäre Verbrecher ( delincuentes vulgares )“ sein.1800 Andere Protagonisten der öffentli-chen Meinung gingen ähnlich vor. Zeitgenossen sahen offenbar keinen Wider-spruch darin, Akteuren einerseits zu attestieren, von kommunistischen Ideologien geleitet zu sein, ihnen andererseits aber den politischen Charakter abzusprechen und sie als bandoleros zu kriminalisieren.1801

In dem Maße wie lediglich die partidos tradicionales im Untersuchungszeit-raum als politisch betrachtet wurden, konnten auch nur die mitunter gewaltsa-men Interaktionen zwischen den Traditionsparteien politische sein. Wer nicht im Namen der partidos tradicionales in den Kampf gezogen war oder auf die Hand-lungsressource Gewalt zurückgriff, um einer der Parteien Vorteile in den Macht-kämpfen zu verschaffen, war in der zeitgenössischen Wahrnehmung der öffent-lichen Meinungsmacher nicht politisch. Gewaltakteure, die nicht den politischen Subkulturen angehörten oder sich von diesen gelöst hatten, wurden entpolitisiert.1802Aus Sicht der Orthodoxie im politischen Feld hörten sie auf, politisch zu sein, weil sie ihre Anbindung an die Parteien verloren hatten.

Die entpolitisierende Kriminalisierung von Gewaltakteuren, die sich gegen das bestehende politische System des Landes stellten, wird sehr deutlich am Bei-spiel der bandoleros sociales und der bandoleros políticos in der Spätphase der Violencia . Bestenfalls wurde ihnen der Status als soziale Banditen zugestanden, in jedem Fall aber wurden sie entpolitisiert, obgleich sie mit ihren Forderungen nach der Umverteilung ökonomischen Reichtums, gesellschaftlicher Transforma-tion und der Ausweitung der politischen Partizipationsmöglichkeiten aus heutiger Sicht die Kriterien erfüllten, um als politische Akteure zu gelten. Als bandoleros políticos , das heißt als politische Akteure, wurden hingegen ehemalige Kombat-tanten bezeichnet, die gamonales und caciques der Traditionsparteien zu Diensten waren, um diese vor Oppositionskräften – wie movimientos campesinos , kommu-nistischen Gruppierungen und parteiinternen Splittergruppen – zu schützen. Als politisch galten sie in der zeitgenössischen Wahrnehmung, weil sie an Vertreter der Liberalen Partei und damit an eine der Traditionsparteien gebunden waren.

Dass politische Gewalt im zeitgenössischen Verständnis voraussetzte, dass sie im Wettstreit zwischen den partidos tradicionales um politische Macht erfolgte, wurde an den Reaktionen auf die Klagen Gaitáns deutlich. Er beschuldigte im Frühjahr 1948 konservative Regionalpolitiker aus Santander del Norte, für das Anwachsen der Gewalt in dem departamento verantwortlich zu sein, da sie sich gewaltsam Vorteile in den politischen Machtkämpfen verschafften. Gaitáns Anschuldigungen wurden jedoch mit dem Hinweis disqualifiziert, dass „die be- stätigten Toten in den bedauernswerten Massakern in Cucutilla, Arboledas und Pamplonita nicht nur Liberale, sondern auch Konservative sind“.1803 Da Mitglie-der sowohl der Konservativen als auch der Liberalen Partei zu den Opfern der Gewalt geworden waren, könne diese nicht als politisch gelten.

Ähnlich definierte auch Pabón Núñez, Gouverneur von Santander del Norte, die gewaltsamen Geschehnisse in dem departamento . Da der liberale Bürger-meister der Stadt Chinácota Mitglieder der Liberalen Partei für die von ihnen an anderen Liberalen begangenen Gewaltakte bestrafte, konnten diese Gewalttaten nicht politisch sein, da sie nicht zwischen den Anhängern der Traditionsparteien, sondern unter Mitgliedern derselben Partei ausgeübt wurden.1804 So argumentier-ten liberale Meinungsmacher auch noch fünfzehn Jahre später: Gewalttäter, die im März 1963 in Anaime (Tolima) dreizehn campesinos ermordeten, versuchten, ihre Tat politisch zu legitimieren. Diese Versuche der Rechtfertigung ließen aber weder die Journalisten noch die ermittelnden Beamten zu: Da es sich bei den Opfern sowohl um Liberale als auch Konservative handelte, könne es sich nicht um politisch motivierte Morde handeln.1805

Die vom Frente Nacional geschaffene Möglichkeit, die Strafverfolgung für politische Straftaten auszusetzen, stellte ein hervorragendes Medium dar, die zeit-genössische Bestimmung des Politischen zu erneuern. Die plebiszitäre Ratifizie-rung der Verfassungsänderungen mit hoher Zustimmung verschaffte der liberal-konservativen Koalitionsregierung zumindest in ihren Anfängen ein hohes Maß an Legitimität. Sie erneuerte den Rahmen für die Strategie exponierter Reprä-sentanten der Traditionsparteien, das Politische in den partidos tradicionales zu kondensieren und dritte Akteure von der politischen Teilhabe auszuschließen und gegebenenfalls zu kriminalisieren. Der erste Präsident des Frente Nacional , Lleras Camargo, betonte, dass die Koalitionsparteien gleichermaßen „jedwede Gewalt, die […] als Dienst an den politischen Gemeinschaften [der Liberalen oder der Konservativen Partei, L. R.] getarnt werden soll“, ablehnten und diese somit kei-nesfalls als politisch gerechtfertigt werden könne.1806

Den Gewaltakteuren, die auch nach der Absetzung von Rojas Pinilla und vor dem Hintergrund des Verständigungsprozesses zwischen der Liberalen und der Konservativen Partei auf der nationalen Ebene weiterhin aktiv waren, sprachen Vertreter der in der Koalitionsregierung geeinten Traditionsparteien den politischen Charakter ab. Die ungeachtet der politischen Umbrüche verbliebene Gewalt „ist nicht, […] kann nicht politisch sein“, denn ihre Urheber „sind nicht würdig, dem Liberalismus oder dem Konservatismus anzugehören“.1807 Die Meinung, nur die Traditionsparteien seien politisch, vertrat der Sohn von Laureano Gómez als Sena-tor der Konservativen auch vier Jahre später, als er die Gewalt kritisierte, die sich trotz der zwischen beiden Parteien geteilten politischen Verantwortung in einigen Landesteilen erneut ausbreitete. Er argumentierte, dass „es keinen Kolumbianer gibt, der berechtigterweise politische Motivationen anführen kann, um die Sou-veränität des kolumbianischen Staates abzulehnen“.1808 Aus dieser Warte waren die von kommunistischen Gruppen angeführten Legitimationen, sich gegen die in ihrer Meinung im Frente Nacional geeinten ökonomischen, ausbeuterischen Eliten des Landes und die von diesen befehligten staatlichen Sicherheitskräfte zu wehren und dazu auf Gewalt zurückzugreifen, keine politischen Gründe. Ähnlich sah es die Federación de Ganaderos de los Llanos Orientales . Vor dem Hin-tergrund der liberal-konservativen Zusammenarbeit auf der nationalstaatlichen Ebene konnten die verbliebenen Gewaltakteure wie die aus der Region Sumapaz geflohenen kommunistischen Kombattanten keinesfalls politische Motivationen anführen, um ihre Taten zu rechtfertigen. Dieser Logik folgend „agieren in den llanos […] lediglich gewöhnliche Kriminelle“.1809

Sicherlich, nicht wenige Akteure nutzten die Wirren der Violencia , um sich persönlich zu bereichern oder persönliche Rachegelüste zu befrieden. Dies traf insbesondere auf die Akteure zu, die während der Hochphase der Violencia in den 1950er Jahren sozialisiert worden waren. Und es fällt schwer zu behaupten, dass unter diesen keine sadistischen Gewalttäter zu finden gewesen wären. Trotzdem muss aus der Retrospektive konstatiert werden, dass die Mehrzahl der involvierten Akteursgruppen und ihre Gewalthandlungen ungeachtet aller Kriminalisierungs-versuche politisch motiviert waren: Sowohl liberale als auch kommunistische Widerstandsgruppen versuchten durch den Rückgriff auf die Handlungsressource Gewalt, die sozialen und politischen Realitäten nachhaltig und grundlegend zu verändern, als ihnen die institutionalisierten Kanäle der politischen Einflussnahme nach der Verhängung des Ausnahmezustandes verschlossen waren. Die Modifika-tionen, die Liberale und Kommunisten anstrebten, besaßen, so unterschiedlich sie im Detail auch waren, eine strukturell-zeitliche Dimension in dem Sinne, dass sie eine über den Moment hinausgehende Verbindlichkeit anstrebten. Die Forderung nach der Wiederherstellung der demokratischen Grundrechte – aus der Blickwarte der Kommunisten handelte es sich um die erstmalige Konstituierung und Fest-schreibung der Rechte für Arbeiter und Bauern – waren zeitlich nicht begrenzt.

Die potentiell Begünstigten der Forderungskataloge wiederum waren kein fest umgrenzter Personenkreis, sondern eine überindividuell vorgestellte Gemein- schaft – auch wenn sich die communities auf Basis eines unterschiedlichen social cleavage formierten. Die kommunistischen Akteure gaben vor, die Interessen der arbeitenden, ökonomisch benachteiligten und ausgebeuteten Bevölkerung zu verteidigen, gleich welcher Religion oder Ethnie sie angehörten, gleich ob sie untereinander persönlich bekannt waren oder nicht. Und im Falle der liberalen guerrillas war es die Gesamtheit der Mitglieder der imagined community Liberale Partei, für die Personen wie Gerardo Loaiza, Vencedor oder Resortes zu den Waf-fen griffen, ohne dass sie die liberalen Gefolgsleute persönlich gekannt hätten.1810

441

3 Politische Gewalt im Kolumbien des 20. Jahrhunderts

Die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der Tra-ditionsparteien, die den Bürgerkrieg ausgelöst und seit 1946 ein immer breite-res Spektrum der Gesellschaft und des politischen Feldes beherrscht hatten, kamen während der Amtszeit des zweiten Präsidenten des Frente Nacional zum Erliegen. In dieser Hinsicht stellt die Einrichtung der Koalitionsregierung und die Durchsetzung der Kooperation beider Parteien bis auf die lokale Ebene in der Tat eine bedeutende Zäsur in der kolumbianischen Geschichte des 20. Jahr-hunderts dar. Dies rechtfertigt es, mit der Niederschlagung der bedeutendsten cuadrillas bandoleras 1964 von dem Ende der Violencia als historische Epoche zu sprechen.

Die Einrichtung des Frente Nacional war allerdings nicht mit dem Ende jeg- licher gewalttätiger Auseinandersetzungen in Kolumbien gleichzusetzen. Gewalt-tätige Praktiken waren vor, während und nach der Koalitionsregierung im Wettstreit um politische Mitbestimmung, um Gesellschaftsordnungen und um Wirtschafts-modelle virulent. Zwar wichen die gewaltsam ausgetragenen Konflikte zwischen den Anhängern der Konservativen und der Liberalen Partei der Zusammenarbeit im Rahmen des Frente Nacional , aber verschiedene Gruppierungen kämpften weiterhin mit Waffengewalt gegen die Regierung und für einen politischen Sys-temwechsel in Kolumbien. Daher drängt sich die Frage nach der Bedeutung der Violencia für das Gewaltgeschehen in Kolumbien im 20. Jahrhundert insgesamt auf. War die Violencia ein entscheidender Bruch in der Geschichte der (politi-schen) Gewalt in Kolumbien?

Waldmann referiert die Argumente, die dafür sprechen, dass sich die Gewalt in den Jahren nach 1964 qualitativ von der Violencia unterschied.1811 Vertreter dieser sogenannten Diskontinuitätsthese betonen, dass sich die historischen Kontexte der Gewalt und die gewaltsam verfolgten Ziele grundlegend unterschieden. Der bewaffnete Kampf um die Teilhabe an dem bestehenden politischen System wäh-rend der Violencia , die revolutionäre Umgestaltung von Staat und Gesellschaft, welche die sozialistischen guerrillas (wie die Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) oder der Ejército de Liberación Nacional ) in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anstrebten, und die sozioökonomischen Rahmenbe-dingungen des Gewalthandelns in dieser Phase werden als unterschiedliche his-torische Kontexte und Ziele verstanden und somit als Diskontinuitäten interpre-tiert. Dieses Argument für sich genommen ist allerdings nicht überzeugend, denn historische Kontexte, politische Rahmenbedingungen und soziale Formationen ändern sich stets im Laufe der Zeit. Wäre dies ein stichhaltiges Argument, könn-ten Historiker, die sich mit längeren Zeiträumen beschäftigen, nur selten Kon-tinuitäten beschreiben. Der „neue“ Charakter des Gewaltgeschehens nach der Violencia wird auch damit begründet, dass dem Bürgerkrieg Mitte des 20. Jahr-hunderts eine Phase relativer Gewaltfreiheit folgte. Es handelt sich allerdings um ein Argument gradueller Natur und ist somit ebenfalls nicht überzeugend. Es ist nicht so, dass in den Zeitabschnitten zwischen den Gewalteruptionen auf Gewalt als Handlungsressource verzichtet worden wäre – es kam lediglich zu weniger Gewalthandlungen.

Der bislang in der Forschung nicht ausreichend berücksichtigte Grund für die Fortführung der Gewaltpraktiken in politischen Auseinandersetzungen, der die unterschiedlichen Phasen der Gewalt trotz ihrer andersartigen Ausgestaltung einte und auf Kontinuitäten im Gewaltgeschehen hindeutet, ist die reduktive Definition des Politischen: Zwar war der Frente Nacional eine Zäsur in den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Konservativen und Liberalen. Hinsichtlich der Definition des Politischen hingegen war die liberal-konserva-tive Koalition alles andere als ein grundlegender Bruch. Und in dem Maße, wie das Politische dauerhaft auf die partidos tradicionales reduziert wurde, setzte sich auch der Rückgriff auf Gewalt in sozialen und politischen Auseinanderset-zungen fort.

1958 war der Frente Nacional die Institutionalisierung bzw. die Materialisie-rung der im vorherigen Kapitel skizzierten zeitgenössischen Definition des Politi-schen: Verfassungsmäßig verankert konnten ausschließlich die Traditionsparteien als anerkannte politische Akteure in den Institutionen des politischen Feldes an der Ausgestaltung von Staat und Gesellschaft mitwirken.1812 Vertreter der liberal-kon-servativen Koalitionsregierung wollten wiederum mit der systematischen Krimi-nalisierung bewaffneter Oppositionsgruppen, die den partidos tradicionales den Rücken kehrten bzw. sich gegen das politische System stellten, deren Anspruch auf ein politisches Mitspracherecht desavouieren.1813 Während die Vertreter des Frente Nacional weiten Teilen der Opposition den politischen Charakter abspra-chen, rechtfertigte diese ihre Gewaltbereitschaft mit dem exklusiven Charakter des politischen Systems, das ihnen verwehrte, in dem institutionalisierten poli-tischen Feld mitzuwirken – gewaltsam wollten sie das von ihnen beanspruchte Recht auf politische Mitsprache erlangen.1814

Es sei dahingestellt, ob diese Argumentation stichhaltig ist und ob ihr Glauben geschenkt werden kann. Während der Frente Nacional als Maßnahme der politi-schen Eliten den Konflikten zwischen Anhängern der Traditionsparteien ein Ende setzte, war er aber als Ergebnis der Reduktion des Politischen der Grund für die Fortführung eines sich bereits während der Violencia abzeichnenden gewaltsa-men Gegensatzes entlang sozioökonomischer Differenzen.1815 Insofern trugen der auf 16 Jahre angelegte Frente Nacional , das Verhältnis zwischen der Orthodoxie im politischen Feld und den (bewaffneten) Oppositionsgruppen sowie die Legiti-mationsmuster von Gewalt entlang unterschiedlicher Definitionen des Politischen zur Fortführung von Gewaltpraktiken im politischen Raum bei. Denn die Strate-gie der entpolitisierenden Kriminalisierung von Oppositionsgruppen beschränkte sich mitnichten nur auf den Untersuchungszeitraum der vorliegenden Arbeit. Viel-mehr wirkte die Definition des Politischen weit über ihn hinaus. Zwar rühmt sich Kolumbien, eines der Länder Lateinamerikas mit langer Tradition einer demokra-tischen Kultur zu sein. Im Gegensatz zu seinen Nachbarstaaten ließ Kolumbien – abgesehen von dem Interregnum von Rojas Pinilla – keine Militärdiktaturen zu, welche die politische Geschichte vieler lateinamerikanischer Länder im 20. Jahr-hundert prägten.1816 Aber auch die zivilen Eliten des Landes schlossen politische Widersacher jenseits der partidos tradicionales – selbst nach dem Auslaufen des Frente Nacional 1974 – gewaltsam aus dem politischen Raum aus.

Vor dem Hintergrund der an militärischem und politischem Einfluss gewinnen-den FARC, die von kommunistischen Widerstandskämpfern der Violencia gegrün-det worden waren, zeigte die kolumbianische Exekutive ein weiteres Mal, dass sie auf die militärische Bekämpfung der politischen (bewaffneten) Opposition setzte, um ihren Führungsanspruch zu wahren. Die Regierung Turbay Ayala erteilte 1978 den Streitkräften des Landes mit dem Estatuto de Seguridad außerordentliche Vollmachten zur Wahrung der öffentlichen Ordnung. Das militärische Vorgehen gegen die Oppositionsgruppen ging allerdings mit gravierenden Menschenrechts-verletzungen einher und nahm schnell Züge einer guerra sucia an, die durch die aufstrebenden Drogenkartelle zusätzliche Finanzierungsquellen erhielt. Mit den paramilitärischen Gruppierungen, die unter der Schirmherrschaft der capos der Drogenkartelle gegründet wurden, kamen zudem neue Akteure hinzu.1817

Vor dem Hintergrund des explosionsartigen Anwachsen des Drogenhandels in den 1980er Jahren und des massiv steigenden Anbaus von Kokapflanzen in Regionen, welche die FARC kontrollierten, wurde die kommunistische Wider-standsgruppe diskursiv zu einer narco-guerrilla „degradiert“.1818 Die Krimina-lisierung der FARC diente nicht nur dazu, ihre politischen Ambitionen, die sie in den 1980er Jahren während der Friedensgespräche mit den Regierungen von Betancur und Barco nach den Acuerdos de La Uribe formulierte, zu untermi-nieren. Auch die von den USA im Rahmen der guerra contra los estupefacien- tes bereitgestellten Gelder und militärische Ausrüstung konnten im Rahmen der Kriminalisierungsstrategie gegen den bewaffneten politischen Widersacher ein-gesetzt werden.1819 Nachdem den FARC unter der Regierung Pastrana Ende der 1990er Jahre ein weiteres Mal der Status politischer Akteure eingeräumt worden war, um sie von den Verhandlungen zur Beilegung des Binnenkonflikts zu über-zeugen, erfuhren sie in der Folgezeit eine erneute Kriminalisierung.1820 Nach den Terroranschlägen in den USA im September 2001 wurden die FARC als Terroris-ten etikettiert – auch mit dem Ziel, im Rahmen des war on terror zur Verfügung gestellte Ressourcen gegen den inneren Feind nutzen zu können.1821

Die Parallelen in dem gewaltsamen Vorgehen gegen politische Oppositions-gruppen und in den Legitimationsmustern für diese Gewalt vor dem Hintergrund einer exklusiven Definition des Politischen stellen Kontinuitäten in der Geschichte der politischen Gewalt in Kolumbien im 20. Jahrhundert dar.1822 Weiterhin las-sen sich andere Merkmale ausmachen, die den bewaffneten Konflikt, der auf den Untersuchungszeitraum der vorliegenden Arbeit folgt, charakterisieren und deren Ursprünge mitunter in der Violencia liegen. Auch wenn sich die Kontexte und Motive des Gewaltgeschehens geändert haben, sind mit der ausgeprägten sowie wiederkehrenden Bereitschaft zur kollektiven Gewaltanwendung und zu Gewalt- exzessen in politischen Machtkämpfen Kontinuitäten jenseits der spezifischen Differenzen auszumachen. Der Umstand, dass Gewalt zu einer monetär entlohnten Dienstleistung wurde, verweist ebenfalls auf das Fortdauern spezifischer Gewalt-praktiken. Während der Violencia boten pájaros „ihre Dienste“ an, während in den 1980er und 1990er Jahren die durch die verschiedenen oficinas vermittelten sicarios „für Geld töteten“.1823

Auch der fehlende Wille der staatlichen Autoritäten, den Einsatz kollektiver Gewalt durch nichtstaatliche Akteursgruppen nachdrücklich zu ächten und kon-sequent zu unterbinden, muss genannt werden. Er ist eine weitere strukturelle Dimension der Gewalt im kolumbianischen gesellschaftlich-politischen Gefüge, welche die einzelnen Gewaltphasen übergreift. Im Laufe der Violencia griffen die staatlichen Sicherheitskräfte auf bewaffnete Zivilisten zurück, um Oppositions-gruppen zu bekämpfen – entweder auf als pájaros bezeichnete Einzelakteure, die sich punktuell zu Gruppen zusammenschlossen, oder auf zahlenmäßig oftmals die regulären Kräfte übertreffende contrachusmas . Die Formierung paramilitä-rischer und -staatlicher Gruppen aus Zivilisten wurde 1965 durch den Decreto 3.398 erlaubt, „um die nationale Sicherheit und die Stabilität der Institutionen zu garantieren“.1824 Die 1968 in den Rang eines Gesetzes ( Ley 48 ) erhobene Erlaub-nis, Zivilisten zu bewaffnen, diente ganaderos , (pensionierten) Militärs und Dro-genhändlern in den 1980er Jahren als juristische Basis für die Aufstellung para-militärischer Gruppen und untermauert somit die These einer kolumbianischen Gewaltkontinuität im 20. Jahrhundert.1825

Die in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre gestartete Offensive paramilitäri-scher Gruppen gegen Vertreter der Unión Patriótica , den politischen Arm der FARC, der nach den Acuerdos de la Uribe gegründet wurde, ist ein weiteres Bei-spiel für die fehlende oder unzureichende Unterbindung kollektiver Gewaltakte von nichtstaatlichen Gruppierungen – zumal die paramilitärischen Organisatio-nen offenbar auf aktive Unterstützung von Teilen der staatlichen Sicherheitskräfte zählen konnten.1826 Erst 1989 wurde die Ley 48 in der Hoffnung zurückgenom-men, so der um sich greifenden Gewalt Einhalt gebieten zu können.1827

Auch auf der personalen Ebene der in die Violencia involvierten Akteure ist eine weitere Konstante auszumachen. Ihre Protagonisten auf kommunistischer Seite in den repúblicas independientes waren die Personen, die in den 1960er Jahren die bis in das 21. Jahrhundert existierenden und aktiven FARC gründe-ten. Manuel Marulanda Vélez – Ende der 1940er Jahre noch auf Seiten der lim- pios kämpfend – ist sicherlich das bekannteste Beispiel für diese Kontinuität. Mit Isauro Yosa, Ciro Castaño, Jacobo Arenas und Jaime Guaraca sind aber nur einige der Personen genannt, die als comunes während der Violencia sowohl gegen die staatlichen Sicherheitskräfte als auch liberale guerrilleros kämpften und später die inzwischen lange Geschichte der FARC entscheidend mitprägten.1828

Trotz aller spezifischen Differenzen zwischen den verschiedenen Gewaltphasen hinsichtlich der historischen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen und trotz der Darstellung der Orthodoxie des politischen Feldes, der Frente Nacional habe die Violencia beendet, lassen sich deutliche Kontinuitäten in den Gewalt-praktiken und -akteuren sowie den Legitimationsdiskursen für Gewalt auszuma-chen. Der Frente Nacional beendete zwar die gewaltsamen Auseinandersetzun-gen zwischen Liberalen und Konservativen, war aber keinesweis gleichbedeutend mit dem Verzicht auf die Handlungsressource Gewalt im politischen Wettstreit. Ungeachtet aller unpolitischer Nebenerscheinungen – wie Landraub, andere öko-nomisch motivierte Gewaltakte, Vertreibungen, Verwicklung in den illegalen und den internationalen Drogenhandel etc. – beruhte die Gewalt der Violencia und der ihr folgenden Dekaden auf nach heutigem Verständnis politischen Motivatio-nen.1829 Sowohl die comunes und limpios der Violencia als auch die linksgerichte-ten guerrillas und die paramilitärischen Gruppierungen des ausgehenden 20. und frühen 21. Jahrhunderts versuchten gewaltsam, Ziele durchzusetzen, die einen zeitlich dauerhaften Anspruch hatten und auf die verpflichtende Gültigkeit für eine überindividuell konstituierte Gemeinschaft zielten. In dem Maße, wie sich die politischen, sozialen und historischen Kontexte wandelten, änderten sich die konkreten Ziele, die gewaltsam erreicht werden sollten (Inklusion in das beste-hende politische System und dessen revolutionäre Umgestaltung). Die Motive für die Gewalt in den verschiedenen Phasen sind jedoch – und dies ist der die Zeit-abschnitte einende und die Gewaltkontinuität begründende Faktor – als politische zu betrachten.1830

Während der Violencia etablierte sich physische Gewalt als Handlungsres-source in politischen Auseinandersetzungen und erlangte in den Augen der Han-delnden ein hohes Maß an Legitimität, die den Wettstreit im Raum des Politischen bis in die Gegenwart prägt. Auch die fortdauernden Rechtfertigungsmuster für politischen Charakter beanspruchende (Gegen-)Gewalt nahmen ihren Ursprung Mitte des 20. Jahrhunderts. Während die Orthodoxie des politischen Feldes (bewaffnete) oppositionelle Gruppen kriminalisierte, um staatliche Repression – teilweise auf parastaatliche Gruppen zurückgreifend – zu legitimieren, verwiesen diese auf den exklusiven Charakter des politischen Systems, der auf der redukti-ven, im Zuge der Violencia institutionalisierten Definition des Politischen beruhte, um ihr gewaltsames, politischen Anspruch erhebendes Vorgehen zu rechtfertigen. Im Widerspruch zu der Darstellung des Frente Nacional , der die Violencia 1958 für beendet „erklärte“, haben die während des Untersuchungszeitraums der vor-liegenden Arbeit etablierten (Gewalt-)Praktiken die bis in die Gegenwart andau-ernde Gewaltgeschichte des südamerikanischen Landes nachhaltig und dauerhaft geprägt. So unterschiedlich die „Hochphasen“ kollektiver Gewalt auch im Detail ausgestaltet sein mochten, stellen die Kriminalisierung politischer Oppositions-gruppen, die Gewalt, auf die sie zurückgreifen, um sich im politischen Feld Gehör zu verschaffen, und die mit der Kriminalisierung eng verbundenen Legitima-tionsmuster für Gewalt zur Bekämpfung der politischen Oppositionsgruppen eine wesentliche Kontinuität der kolumbianischen Geschichte dar. Aus diesem Grund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen in Kolumbien im frühen 21. Jahrhun-dert nicht ohne ein fundiertes Wissen von der Violencia zu verstehen.

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V Quellen- und Literaturverzeichnis 1 Quellen

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El Derecho, Ibagué

El Espectador (El Independiente), BogotáEl Mundo, Ibagué

El Siglo, Bogotá

El Tiempo (Intermedio), Bogotá

Diario de Colombia, Bogotá

Diario del Tolima, Honda

Jornada, Bogotá

La Calle, Bogotá

La Opinión, Ibagué

Panorama, Honda

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Tribuna, Ibagué

Voz, Bogotá

Voz Proletaria, Bogotá

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Asuntos Parlamentarios (AP)

Despacho Señor Ministro (DSM) Despacho Señor Presidente (DSP) Junta Militar de Gobierno (JMG)Secretaría General (SG)

Servicio de Inteligencia Colombiana (SIC) Fondo Ministerio del Interior (FMI) Serie Despacho del Ministro (SDM) Asuntos Indígenas (AI)

Secretaría General (SG)

450

Archivo Histórico Judicial del Tolima (AHJT)

Archivo Palacio de Justicia de Ibagué (APJI)

Archivo Personal Medófilo Medina (APMM)

Archive Paul Wolf (APW) (online unter: http://www.icdc.com/~paulwolf/colombia/ colombiawar.htm)

1.3 Zeitzeugeninterviews

Pedro Acosta, 13.5.1982 (APMM)

Jacobo Arenas, 15.2.1986 (APMM)

Aurelio González, 13.8.1982 (APMM)

Luis Felipe González, 13.8.1982 (APMM)

Emilio Guzmán, 14.8.1982 (APMM)

Eusebio Prada, 5.5.1982, 14.5.1982 (APMM)

Raúl Valbuena, 16.11.1982 (APMM)

Isauro Yosa (alias Lister), 19.4.1984 (APMM)

Gilberto Bravo Loaiza, Ibagué, 1.6.2010

Guillermo Vásquez, Ibagué, 11.6.2010

Ricardo Castañeda, Ibagué, 17.6.2010

Dr. Otto Morales Benítez, Bogotá, 14.8.2009, 12.7.2010

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2 Literaturverzeichnis

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