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: Altstraßenforschung als Archäoprognose

Altstraßenforschung als Archäoprognose

Theoretische und methodische Überlegungen zur Wegeforschung am Beispiel Westlicher Bodensee

Inhalt

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Vorwort

Die Altstraßen- oder Altwegeforschung war bis vor einigen Jahrzehnten ein wichtiges und be-achtetes Arbeitsfeld der Kulturgeographie, verbunden mit Publikationen, die auch heute noch als Standardwerke gelten. Neue Forschungsansätze zu Theorie und Methodik blieben jedoch über lange Zeit weitgehend aus. Frau Rodat stellte sich nun der Aufgabe, eine neue metho-dische Herangehensweise zu entwickeln, einerseits basierend auf der bekannten Altstraßen-forschung, andererseits Ansätze aus anderen Disziplinen, speziell der Archäologie, integrie-rend; dies primär bezogen auf die (prä-)historische terrestrische Verkehrsinfrastruktur. Die Methodenentwicklung ist der Kern der Arbeit, doch benötigte Frau Rodat eine konkrete Land-schaft als „Spielmaterial“ oder Testgebiet, wofür sie das westliche Bodenseegebiet wählte. Für diesen Raum schien die Quellenlage gut zu sein, zumal sie dort bereits landschaftshistorisch unterwegs war. Den Schwerpunkt der auch für die denkmalpflegerische Praxis bedeutsamen Erkenntnisse bildet ein Katalog von 71 Kriterien, ermittelt aus verschiedenen Fachgebieten, mithilfe derer alte Verkehrsinfrastrukturen erklärt und möglichweise auch – etwa im Vorfeld archäologischer Ausgabungen – prognostisch lokalisiert werden können. Herausgekommen ist ein überaus interessanter wissenschaftsmethodischer Beitrag, der dieses Bemühen sehr unter-stützen kann. Frau Rodat ist mit einem interdisziplinären Blick in ein komplexes Fachgebiet eingedrungen und zeigt neue Wege für die Altstraßenforschung auf, die auch ganz konkret für die Arbeit der Denkmalpflege von Bedeutung sind. Dies wird bei der Anwendung im Boden-seeraum sehr anschaulich dargestellt. Ihre neuen methodologischen Ansätze sollten unbedingt weiter verfolgt werden.

Kirchzarten

Prof. Dr. sc. agr. Werner Konold

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Vorwort der Verfasserin

Wenn die Faszination von historischen Karten auf Neugier und Entdeckergeist trifft, dann be-ginnt die Suche nach Relikten einer historischen Kulturlandschaft. Ob Grenzsteine, Mühlen oder eben Wege – die allgemeine Sammelleidenschaft des Menschen tut ihr Übriges. Ebenso wie viele meine Mitstreiter in den Geschichtsvereinen oder der ehrenamtlich Beauftragten der archäologischen Denkmalpflege will ich wissen, warum ein Weg dort und nicht woanders ver-läuft, warum wann welche Veränderung der Linienführung erfolgte und welche Hinweise im heutigen Landschaftsbild noch zu entdecken sind.

Bei der digitalen Erfassung von archäologischen Fundstellen der Römerzeit im westlichen Bodenseegebiet vor vielen Jahren überraschte mich eine ungewöhnliche Wegesituation im Ort Orsingen (Abb. 66): Warum verläuft in der historischen Karte von 1797 der jahrhundertealte europäische Handelsweg in vier fast rechtwinkligen Kurven durch den Ort, obwohl das wich-tigste Merkmal von natürlichen Wegen ja die Geradlinigkeit ist? Berücksichtigt man dann aber die räumliche Lage der archäologischen Fundstellen der nahe gelegenen römischen Siedlung so muss der Handelsweg nur am ersten Knick virtuell verlängert werden und durchläuft dann di-rekt den vicus. Ein Zufallsfund? Könnten also durch neuzeitliche Wege doch Hinweise auf sehr viel ältere Wege und Siedlungen möglich sein? Spätestens jetzt wollte ich als Wissenschaftlerin wissen, ob eine allgemein gültige, reproduzierbare Vorgehensweise auf Grundlage des aktuellen Stands der Forschung bekannte oder eben auch bisher unbekannte archäologische Fundstellen und Wege prognostizieren kann. Dass hierfür die traditionelle Vorgehensweise der Altstraßen-forschung stark erweitert werden musste, ahnte ich damals noch nicht.

Die vorliegende Arbeit ist der Versuch, die interdisziplinäre Wegeforschung weiterzuent-wickeln und stellt die überarbeitete Fassung meiner Dissertation dar, die von der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau im November 2019 angenommen wurde. Für die Drucklegung und die gute Zusammenarbeit bei Redaktion und Herstellung sei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (wbg) gedankt.

Mein größter Dank geht an meinen Doktorvater, Prof. em. Dr. Werner Konold, der sich des Themas mit großem Interesse annahm, mir viel Freiheit bei der Gestaltung der Arbeit ermög-lichte und große Geduld mit mir als externer Doktorandin hatte. Frau Privatdozentin Dr. Renate

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Ebersbach (IPNA, Universität Basel bzw. Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg) möchte ich für die Übernahme des Korreferates und den anregenden Gedankenaustausch dan-ken. Ihre Ideen, z. B. zum Thema Taphonomie und ihre konstruktive Kritik haben die Arbeit maßgeblich geprägt. Prof. em. Dr. Hans-Rudolf Egli (Geographisches Institut, Universität Bern) danke ich für sein Engagement als Zweitbetreuer und vor allem, dass ich immer wieder an die geographischen Aspekte der Arbeit erinnert wurde. Ich danke Dr. Jürgen Hald (Kreisarchäo-loge des Landeskreises Konstanz) für seine fachliche und persönliche Unterstützung und das Feedback zu den archäologischen Kapiteln. Dank aussprechen möchte ich Prof. em. Dr. Dietrich Denecke (Geographisches Institut, Georg-August-Universität Göttingen) und Prof.  Dr.  Rolf Peter Tanner (Pädagogische Hochschule Bern), die mich auf der Spessart-Tagung 2014 nach-haltig inspirierten, das Thema wieder in den Blick rückten und die Motivation wiederbeleb-ten. Dank gebührt den Mitarbeitern der Archäologischen Denkmalpflege des Landesamts für Denkmalpflege Baden-Württemberg für die Hilfestellungen und Kommentare zur Taphonomie bzw. kritische Durchsicht des Kapitels (Dr. Thomas Link, Marcel El-Kassem), die tatkräftige Unterstützung bei der Bearbeitung der DGK5 (Dr. Verena Nübling) und die freundliche Daten-bereitstellung aus der elektronischen Datenbank ADAB (Dr. Ralf Hesse, Dr. Ute Seidel). Ein besonderer Dank geht an meine ehemaligen Kollegen im Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau im Regierungspräsidium Freiburg, v. a. Dr. Frank Waldmann für sein Experten-wissen, das aus der Bodenkarte das Optimale für die Fragestellung herausholte. Frau Leonie Schwab (Digitalisierungszentrum, Universitätsbibliothek Heidelberg) danke ich für die digitale Erfassung von wichtigen historischen Karten zu archäologischen Fundstellen und Bereitstellung über www.leo-bw.de.

Meinen Kollegen der ehrenamtlich Beauftragten in der archäologischen Denkmalpflege und unseren „Betreuern“ Dr.  Bertram Jenisch und Dr.  Andreas Haasis-Berner, den Kollegen aus dem Hegau-Geschichtsverein und dem Förderkreis Archäologie in Baden möchte ich für die jahrelange gegenseitige kollegiale Unterstützung danken. Sie sind auch genauso fasziniert von unserer Geschichte wie ich. Dank geht an die zahlreichen Cafés in und um Freiburg für das optimale kulinarische Klima für Kreativ- und Lektoratsphasen. Mein ganz besonderer Dank gilt meiner guten Freundin Bettina Schmücking für ihre unendliche Geduld bei der Jagd nach Rechtsschreib- und Logikfehlern im Manuskript, für die unermüdliche Unterstützung, ihre Zeit und Beistand. Meinem Bruder und meinen Freunden Thomas, Charlotte, Johanna, Christina, Almut, Reiner, Martin, Hanna, Gabi und Christian danke ich ganz herzlich – ihr habt die letzten Jahre, auch in schwierigen Zeiten so lebenswert gemacht. Dieses Buch möchte ich meinen Mit-streiterinnen Gudrun Mögel (†), Anette Samland (†) und Margarete Rodat (†) widmen, ohne deren aktive und freundschaftliche Unterstützung die Erforschung der Wege in der Kulturland-schaft Hegau langweilig und langwierig gewesen wäre.

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1 Einleitung

1.1 Einführung

Alle Wege führen nach Rom.

In Anlehnung an Prof. Dr. Heinz Herzig, emeritierter Professor für Alte Geschichte an der Universität Bern („Alle Wege führen nach Rom – Aber wie gelangt ein Bote von Besançon auf die Passhöhe des Großen St. Bernhard?“, Herzig 2004) kann diese Frage noch weiter aus-gedehnt werden: Welche Wege gingen die vorrömischen Menschen, welche Wege nahm Ötzi am Ende des Neolithikums über die Alpen und welcher Route folgte der moderne Mensch, als er sich vor 60 000 Jahren mitten in der letzten Eiszeit von Afrika aus nach Europa auf den Weg machte?

Spätestens seit dem Fund des „Mannes aus dem Eis“ im Jahr 1991 trat der kulturelle Austausch über die Alpen und die damit verbundenen Verkehrslinien wieder in das öffentliche Interesse. Inspiriert von den neuen Untersuchungsmöglichkeiten aus der Paläogenetik und Isotopenana-lyse arbeiten Wissenschaftler in interdisziplinären Forschungsprojekten aktuell zu den großen Fragen der Mobilität des Menschen, seiner Vorfahren und was den Übergang von Jägern und Sammlern zum sesshaften Homo sapiens während des Neolithikums bewirkte (SFB 806 „Our Way To Europe  – Culture-Environment Interaction and Human Mobility“, Universität Köln bzw. „The Role of Culture in Early Expansions of Humans“, Heidelberger Akademie der Wis-senschaften). Wichtige Fragestellungen betreffen die Suche nach den Motiven, Auslösern und Bedingungen für Mobilität („human wanderlust“), den Nachweis raumzeitlicher Wanderungs-muster und die Wechselwirkungen mit den Umweltbedingungen.

„Seit jeher sind Volkswirtschaften, Staaten und Kulturen für ihre Existenz, für ihre Sicherheit und ihren Fortschritt auf den Verkehr, auf den räumlichen Austausch von Personen und Gü-tern angewiesen. Deswegen bilden der Verkehr und seine Geschichte ein faszinierendes Quer-schnittsthema“ (Merki 2008, S. 8). Allerdings ist einerseits festzustellen, dass die vor- und früh-geschichtliche Wegeforschung „oft recht stiefmütterlich behandelt [wird]“ (Haupt 2013, S. 40), „noch kaum entwickelt [ist]“ (Denecke 2002, S. 9) bzw. „eine ausgesprochene Forschungslücke festzustellen [ist]“ (Schiedt 1999, S. 17). Einzelne Probegrabungen sowie Zufallsfunde bei Sied-lungsgrabungen liefern isolierte Aussagen, andere Untersuchungen betreffen nur Bohlen- und Holzwege.

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Das öffentliche Interesse ist andererseits ungebrochen  – in jeder Ortschronik werden alte Straßen und Wege oft in eigenen Kapiteln beschrieben. Die Begeisterung für Römerstraßen beispielsweise reicht weit in das 19. Jahrhundert zurück. „[…] daß die […] Straßenforschung in dem Prinzip der Geradlinigkeit ein die ersteren [Römerstraßen] von allen mittelalterlichen Wegen unterscheidendes Merkmal und zugleich ein Mittel, sie nicht nur unter alten Wegen, sondern auch mitten im freien Felde und im weglosen Walde aufzufinden, nachgewiesen hat“ (Hertlein 1924, S. 53).

Die sich aus der Römerstraßenforschung entwickelnde Altstraßenforschung hat mit der, im wahrsten Sinne des Wortes wegweisenden Dissertation von Prof. Dr. Dietrich Denecke (eme-ritierter Professor am Geographischen Institut der Universität Göttingen) aus dem Jahr 1969 einerseits zwar gute Grundlagen und Methoden, anderseits bleibt das Desiderat einer aktuali-sierten, interdisziplinären Methodenübersicht, von Theoriemodellen zu prähistorischen Wegen und systematischen Untersuchungen in Baden-Württemberg. Mit dem zunehmenden Einsatz moderner Techniken in aktuellen Ausgrabungen („digitale Archäologie“) stellen sich zudem neue Fragen: „Das angeblich typische Kennzeichen einer Römerstraße, dass sie nämlich ohne größere Rücksicht auf das Terrain geradlinig verlaufen sollte, haben die Römer selbst offenbar nicht so eng gesehen. Für die Römerstraßenforschung in unserem Land eine nicht unwichtige Erkenntnis“ (Landesamt für Denkmalpflege 2018).

1.2 Fragestellung

„Wie nähert man sich einem Forschungsobjekt, dessen Erstellungsdatum unklar, das nur manch-mal materiell vorhanden ist, das unsere Kulturlandschaft aber nachhaltig beeinflusst hat und bis heute eine wichtige Rolle im täglichen Leben spielt?“ (Rodat 2011, S. 27).

Speziell für die Erforschung von vorgeschichtlichen Wegen kann als erste Annäherung die Frage aufgeworfen werden, ob bzw. wie ein rezenter Wegverlauf in 2000 Jahren rekonstruiert werden könnte (Abb. 1).

• Der Weg selbst ist materiell längst verschwunden, da die Wegmorphologie nicht ausgeprägt ist. Es können keine Spurrillen („Fußweg“), keine Sohlenbefestigung, keine Böschung oder andere Begrenzungen nachgewiesen werden. Zudem ist der Weg nicht als Hohlweg ausge-bildet.

• Es gibt keine topographischen Zwangspunkte im flachen Betrachtungsraum wie Flussüber-gänge oder Bergpässe.

• Der Abschnitt ist zu kurz für weitere, üblicherweise den Weg begleitenden Objekte. Infra-strukturelemente wie Wegweiser, Feldkreuze, Brunnen oder Herrschaftsanzeiger wie Burgen, Zollstationen fehlen.

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• Es besteht die Möglichkeit, dass Nutzer des Weges kleinere Objekte verloren haben. Je nach Nutzungsdauer haben sich Fundsachen wie Münzen, Hufeisen oder Plastikmüll erhalten. Vergängliche Objekte aus organischem Material (z.  B. Reste von Transportmitteln oder Transportgütern) fehlen.

• Als einzige sichtbare Landmarke ist ggf. das Ziel in der Ferne zu erkennen. Dies ist allerdings nur möglich, wenn die Landnutzung zum Zeitpunkt der Entdeckung nicht aus Wald besteht und der Untergrund nicht als Bau- oder Rohstoffabbaufläche entfernt wurde.

• Aufgrund der fehlenden Wegmorphologie liegen keine aussagekräftigen Erkenntnisse aus Luftbildern oder Laserscanning-Verfahren oder geophysikalischen Messmethoden vor.

• Aus schriftlichen Quellen ist bekannt, dass eine S-Bahn-Station am Bodenseeufer vorhanden war und 200 m oberhalb ein Kloster lag. Als Hypothese kann daher angenommen werden, dass ein Fußweg von der Siedlung bis zur Umsteigestelle führte. Dadurch ist auch eine grobe Datierung des Weges möglich.

• Aus jüngeren Karten können die vermuteten Start- und Zielpunkte nachgewiesen werden. Die eigentliche Linienführung ist allerdings daraus nicht ersichtlich.

Abb. 1: Immer wiederkehrende, durch die Vegetation sichtbare Ausprägung eines Fußweges bei Hegne (Gem. Allensbach, Lk. Konstanz). Aufnahme 2003

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Diese Analyse zeigt zum einen, welche Herausforderungen der raumzeitlichen Einordnung und fachlichen Ansprache bei der Erforschung historischer Wege beachtet werden müssen. Zum anderen ergibt sich eine Vielzahl von Eigenschaften von Wegen, die verallgemeinert als For-schungsmodell eingesetzt werden können. Aufgabenstellung der archäologischen Denkmalpflege

Alle prähistorischen und die Mehrheit der historischen Wege können nur durch archäologische Untersuchungen wie Prospektionen oder Ausgrabungen entdeckt werden. Meist sind es Zufalls-funde, die zudem oft nicht als solche erkannt oder zeitlich datiert werden können.

Die Erfassung, Dokumentation und Erforschung der räumlichen Lage bzw. Ausdehnung und Bedeutung von archäologischen Fundstellen gehören zu den wichtigen Aufgaben der Denkmal-pflege. Diese Inventarisation bildet die Grundlage für denkmalpflegerischen Maßnahmen wie Gutachten, Stellungnahmen und die denkmalfachliche Beratung.

Trotz der Archivierung von Bodendenkmälern in umfangreichen sogenannten Ortsakten kann auch für das Land Baden-Württemberg angenommen werden, dass „mit den klassischen archäologischen Prospektionsmethoden wie z. B. Begehungen, Geomagnetik, Luftbildarchäo-logie und Sondagen […] bisher nur ein kleiner Teil der gesamt existierenden archäologischen Fundstellen bekannt [wurde]“ (Münch 2013, S. 141). Neben der Quantität spielt auch die Quali-tät der Informationen eine große Rolle: „das historisch gewachsene Archäologische Inventar [enthält] heute nicht für alle Epochen, Regionen und Fundstellenkategorien gleichwertige, flächendeckende und repräsentative Informationen zum Archäologierisiko“ (Ebersbach 2015, S. 212). Die in der Planungsberatung häufig gestellte Frage, ob durch anstehende Bebauungspro-jekte im Boden befindliche Funde zerstört werden könnten, kann oft nicht beantwortet werden.

In den archäologischen Wissenschaften wurde deshalb eine Vorgehensweise entwickelt, „das vorhandene Wissen über archäologische Fundstellen auf diejenigen Regionen und Epochen zu übertragen, die weniger gut bekannt und erforscht sind“ (Ebersbach 2015, S. 212).

1.3 Ziele

Die vorliegende Arbeit ist im Forschungsbereich der historisch-geographischen Landschafts-forschung angesiedelt und beschäftigt sich mit der raumzeitlichen Suche nach (prä-)histori-schen Landwegen. Innerhalb der letzten 50 Jahre seit der Arbeit von Denecke entwickelten sich durch neue Techniken getriebene Methoden und Werkzeuge, zeigten andere Wissenschafts-disziplinen neue Denkansätze und Konzepte im Umfeld von Wegen auf und stehen heute um-

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fangreichere Quellen und digitale Geodaten zur Verfügung. Allerdings bleibt das Desiderat einer aktualisierten, interdisziplinären Methodenübersicht und von Theoriemodellen zu prä-historischen Wegen.

Übergeordnetes Ziel der Arbeit ist es, eine methodische Vorgehensweise zu entwickeln, um Abschnitte von (prä-)historischen Landwegen mithilfe der traditionellen Altstraßenforschung und aktueller interdisziplinärer Forschungsergebnisse identifizieren zu können. Folgende Teil-ziele wurden definiert: Dokumentation und kritische Diskussion bisheriger Forschungsansätze

Aktuelle Quellen und Methoden aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, die den ursprünglichen Forschungsansatz der Historischen Geographie erweitern, werden beschrie-ben. Interdisziplinäre Zusammenhänge werden aufgezeigt und bisherige Methoden kritisch diskutiert. Entwicklung einer allgemein gültigen Vorgehensweise

Die Methodik der GIS-gestützten Standortanalyse und Standortsuche wird mithilfe der aktuel-len interdisziplinären Modelle und Konzepte auch auf (prä-)historische Wege erweitert und ein neuer Weg der praktischen Umsetzung vorgeschlagen. Erstellung eines Kriterienkatalogs für Landwege

Ein Katalog allgemein gültiger, empirisch ermittelter Kriterien für Wege wird vorgestellt, mit denen nachvollziehbar, systematisch und begründet nach noch unbekannten Abschnitten ge-sucht werden kann, unabhängig von Epochen und Naturraum. Untersuchungen im Testgebiet „Westlicher Bodensee/Hegau“

Im Rahmen einer kleinen Studie werden ausgewählte Faktoren aus dem erstellten Kriterien-katalog stichprobenartig eingesetzt und die Möglichkeiten bewertet.

Ein weiteres Ziel ist es, die Quellen und Methodik so auszuwählen, dass diese leicht auch auf andere Gebiete übertragen werden können. Die Vorgehensweise wird deshalb transpa-

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rent und nachvollziehbar beschrieben, die verwendeten Kartenwerke nach ihrer einfachen Verfügbarkeit und Nutzbarkeit für größere Gebiete ausgewählt und übliche GIS-Werkzeuge verwendet.

Die vorliegende Arbeit will den aktuellen Stand zur Wegeforschung für weitere Forschungen bereitstellen und damit im Rahmen der ehrenamtlichen Denkmalpflege einen Beitrag zur Alt-straßenforschung in Baden-Württemberg leisten.

1.4 Vorgehen

Kapitel 2 beschreibt zunächst die Grundlagen des Untersuchungsobjektes, mögliche Quellen und die Herausforderungen der Altersbestimmung. Die Forschungsgeschichte zeigt die lange Tradition der klassischen geographischen und archäologischen Altstraßenforschung auf und präsentiert die Vielfältigkeit der Forschungsansätze verschiedener wissenschaftlicher Diszipli-nen.

Im Kapitel 3 liegt ein zentraler Bereich der Arbeit auf einer Analyse der aktuellen Forschungs-situation außerhalb der Historischen Geographie. Theorien, Konzepte und Modelle vor allem aus den archäologischen Wissenschaften, aus der Landschafts- und Städteplanung bzw. Ver-kehrspsychologie werden vorgestellt.

Das Kapitel 4 beginnt zunächst mit einer kritischen Diskussion der verschiedenen Ansätze aus den Kapiteln 2 und 3 und bewertet, welche Aspekte zu einer zukünftigen Wegeforschung, insbesondere auch von prähistorischen Wegen beitragen können. Im Bereich der Modellbildung wird danach das Konzept für eine Standortanalyse und Standortsuche für Landwege vorgestellt. Grundlage und Kernstück der vorliegenden Arbeit bildet der Kriterienkatalog, der auf Grund-lage der interdisziplinären Wegeforschungen allgemein gültige Merkmale von Landwegen zu-sammenfasst.

Das Kapitel 5 widmet sich einer kleinen Studie, in der ausgewählte Kriterien in einem Un-tersuchungsgebiet am westlichen Bodensee/Hegau stichprobenartig auf Plausibilität geprüft werden.

Das letzte Kapitel 6 diskutiert die entwickelte Vorgehensweise mit Quellen- und Methoden-kritik und bietet abschließend einen umfangreichen Ausblick.

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2 Die Erforschung historischer Landwege

2.1 Untersuchungsobjekt

2.1.1 Wege und Straßen Das Reallexikon der germanischen Altertumskunde definiert „Wege im landschaftsbezogenen Sinne […] [als] allgemein gespurte, unterhaltene oder gebaute Verkehrsbahnen eines Landver-kehrs“ (Denecke 2007b, S. 626). „Straßen bilden in der Regel befestigte bzw. gangbar gemachte Teile des Bodens, die dem Verkehr vorbehalten und als Verkehrsräume aus der sonstigen Land-nutzung ausgegliedert sind“ (Kolb 2005, S. 74). Die Oekonomische Encyclopädie von Krünitz hält 1856 fest: Der Weg ist „1) Die Linie oder der Raum in der Länge, welchen ein Körper in seiner Bewegung beschreibt. 2) Der Raum auf einer Erdfläche, welcher dazu bestimmt ist, um von einem Orte zum andern zu gelangen“ (Krünitz et al. 1856).

Wege und Straßen sind generell also physisch vorhandene, an den Boden gebundene und abgrenzbare Elemente der Kulturlandschaft, die eine gezielte Fortbewegung im Raum vorgeben und vereinfachen. Sie bestehen zum einen aus morphologisch mehr oder weniger ausgepräg-ten Straßenkörpern mit unterschiedlichen Breiten, Bauarten und Oberflächen (z. B. Klammer 2012), teilweise mit begleitenden Landschaftselementen, z.  B. natürliche Begrenzungen wie Böschungen, Gräben, Gehölze oder künstliche Begrenzungen wie Zäune bzw. Bankette (z. B. Humpert 1995). Manchmal finden sich im Querschnitt noch weitere, parallel liegende Bahnen („Mehrspurigkeit“). Zum anderen folgen Wege einer Linienführung und Trassierung im Ge-lände. Sie sind Netzlinien in einem, je nach zeitlicher Epoche und Landschaft geprägten Wege-system mit Kreuzungen und Weggabelungen (Schaur 1992). Beide Komponenten unterliegen dem stetigen Wandel und sind von vielen physischen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Faktoren beeinflusst (z. B. Tanner 2007, Breier 2013b).

In der Literatur wird die Abgrenzung vom Weg zur Straße je nach Blickwinkel der Disziplinen ausführlich diskutiert (z. B. Denecke 1979, Schwarz 1989). Die grundlegende Problematik ist die Tatsache, dass „Straße“, vom lat. „stratum“ (Schicht, Pflaster), eigentlich eine befestigte Straßen-decke impliziert (Jäger 1996), im Mittelalter und Neuzeit allerdings damit überwiegend Strecken ohne Straßenbau benannt wurden. Generell werden folgende Aspekte als Charakteristika von Straßen angesehen (z. B. Marschalleck 1964, Klammer 2012):

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• Bewusste Anlage mit Straßenbau

• Durchführung von Instandhaltungsmaßnahmen

• Verbindung von größeren Siedlungsräumen („Fernverkehr“) als öffentliche Straßen

• Nutzung vor allem für den Verkehr mit Fahrzeugen

• Zweck: vorwiegend Militär, Fernhandel

Selbstverständlich sind „Straßen in historischer Perspektive […] weit mehr als die möglichst kürzeste und am schnellsten überwindbare Verbindung zwischen zwei Punkten“ (Haverkamp 1997, S. 7). „Im übertragenen Sinne verstehen sich ‚Wege‘ als Wege der Wanderung, der Kom-munikation, des Transports und Handels von Gütern, ohne dabei konkrete Linienführungen oder gar Trassierungen zu verfolgen oder belegen zu können. Es geht dabei um Nachweise räumlicher Beziehungen, um Güteraustausch und Kulturtransfers, aus denen Verkehrsbewe-gungen und damit auch Verkehrswege zu erschließen sind.“ (Denecke 2007b, S. 628)

Wege und Straßen sind also physische Manifestationen von Verkehr und damit von Kommu-nikation und Transport (Breier 2013b). Sie besitzen durch die Ausgangs- bzw. Zielorte und die weite Entfernungen überwindenden Trassen eine hohe Raumwirksamkeit in der Kulturland-schaft (Schenk 2011) und sind Grundlage für Geopolitik, Handel und Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur in den jeweiligen (prä-)historischen Epochen. 2.1.2 Wegetypen

Grundsätzlich lassen sich Wege je nach räumlicher, zeitlicher und funktionaler Betrachtung bzw. je nach Transportmedium/-mittel in verschiedene Typen einteilen, die im Weiteren bei-spielhaft beschrieben werden.

• Transportmedium: Land- und Wasserwege

• Räumliche Abgrenzung: lokale, regionale und überregionale Wege

• Zeitliche Abgrenzung: permanente bzw. saisonal genutzte Wege

• Transportmittel: zu Fuß, Trag- bzw. Reittiere, Fahrzeuge

• Funktionale Abgrenzung: zweckgebundene Wege (z. B. Pilgerweg, Ochsenweg, Königs- oder Heerstraße) Wasserwege

Üblicherweise werden Wege wie im Kapitel 2.1.1 beschrieben mit Landverkehr gleichgesetzt. Gerade in (prä-)historischen Epochen spielen Verbindungen über Flüsse, Seen und Meere je-doch eine weitaus größere Rolle. Eckoldt wies bereits 1980 auf die Bedeutung auch kleinerer

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Flüsse für den Transport von Menschen und Waren speziell zur Römerzeit hin (Eckoldt 1980). Trotz schwankender Wasserstände und Hochwassergefahren war es wohl einfacher, schneller und damit kostengünstiger, Massengüter auf flachen Kähnen selbst in seichten Gewässern zu bewegen (Leise 1986). Auch die maximal mögliche transportierbare Warenmenge war im Ver-gleich mit einzelnen Karren oder Wagen auf den nicht ausgebauten, „weichen“ Landwegen we-sentlich höher (Rothenhöfer 2013).

Systematische Forschungen und Validierungen dieser Annahmen fehlen bisher. In seiner Ha-bilitationsschrift legt Zimmermann Untersuchungen zur räumlichen Verteilung von Rijckholt-Feuerstein zur Zeit der Bandkeramik (5500–4900 v. Chr.) vor, die einen weiten Transport über den Wasserweg Main vermuten lassen (Zimmermann 1995). Allerdings sind bei einer lokalen Betrachtungsweise keine direkten Zusammenhänge zwischen der Verbreitung und dem Gewäs-sernetz zu erkennen.

Durch die umfangreichen Untersuchungen vor dem Welterbeantrag traten die räumliche Lage der prähistorischen Pfahlbauten um die Alpen und damit auch ihre Verkehrsverbindungen über Seen und Flüsse in den Vordergrund. Beispielsweise waren „die Bewohnerinnen und Bewoh-ner der Pfahlbauten am Attersee und Mondsee über die Traun und die Enns in Oberösterreich direkt mit einer der Hauptverkehrsadern in Europa, der Donau, verbunden.“ (Dworsky 2016, S. 120) Die wichtigste archäologische Fundstelle in Oberschwaben, der Federsee, mit seinen großen befestigten bronzezeitlichen Siedlungen wird heute sogar als Drehscheibe zwischen den Flusssystemen von Rhein und Donau angesehen (Heumüller et al. 2016). Die vielen Einbäume, die Standorte der Dörfer, die Zu- und Abflüsse und die Lage genau auf der Europäischen Haupt-wasserscheide lassen einen weiträumigen Güter- und Personenverkehr von Norditalien über das Alpenrheintal, Bodensee und Schussen bzw. über die Kanzach zur oberen Donau vermuten (Mainberger 2017).

Die Untersuchung von Wasserwegen und ihrer Bedeutung bleibt schwierig. Die über Jahr-tausenden starke Dynamik von Flüssen und die umfangreichen anthropogenen Eingriffe ma-chen archäologische Entdeckungen an Flussufern zu Zufallsfunden. Das Anlanden von flachen Booten war praktisch überall möglich; Relikte aus Tätigkeiten mit überwiegend organischen Materialien sind kaum zu erwarten. Aber auch die Vegetationsentwicklung hatte wahrscheinlich Auswirkungen auf den wassergebundenen Verkehr: Je mehr undurchdringliche Wälder desto eher wurde der Fluss als Transportmedium vorgezogen (Johannsen et al. 2010). Lokale, regionale und überregionale Wege

Die mit Abstand ältesten und wichtigsten Wege bei sesshaften Kulturen sind die innerörtlichen bzw. lokalen Verbindungen zu den umliegenden Wirtschaftsflächen (Abb. 2). Dieser kleinräu-

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mige Verkehr für den Transport von land- und forstwirtschaftlichen Produkten und Rohstoffen war alltäglich notwendig und musste deshalb teilweise durch Instandhaltungsmaßnahmen ge-sichert werden (Vieweger et al. 2012, Posluschny 2012, Denecke 2013).

Verbindungswege zwischen Siedlungen und ggf. einem zentralen Ort (z. B. Herrschaftssitz, Marktplatz, Kirchenspiel) innerhalb einer Siedlungskammer charakterisieren den regionalen Verkehr (Denecke 2007b). Hierzu zählen auch Zubringerstraßen, die von lokalen Einheiten zu überregionalen Verkehrsstrecken oder Verkehrsknotenpunkten führen. Diese Wege sind meist weniger frequentiert als lokale Wege und werden deshalb aus Kostengründen weniger intensiv instandgehalten (Vieweger et al. 2012).

Abb. 2: Beispiel eines besonders ausgeprägten innerörtlichen Fußwegs in Nenzingen

(Gem. Orsingen-Nenzingen, Lk. Konstanz). Aufnahme 2011

Überregionale Wege umfassen großräumige Militärstraßen und Fernhandelswege, die sich ge-genseitig beeinflussten: waren es die römischen Militärstraßen, die das nachfolgende umfassen-de Handelsnetz hervorbrachten, so wurden in Mittelalter und Neuzeit die europäischen Fern-

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handelswege für den Transport von Streitkräften der zahlreichen Kriege der Neuzeit verwendet. Fernstraßen verbinden größere Orte oder Rohstoffquellen mit überregionaler Bedeutung, die hunderte Kilometer entfernt liegen können (z. B. Nürnberg-Lyon ca. 800 km). Für diesen Trans-port nicht alltäglicher Waren oder größerer Gütermengen wurde, wenn möglich, der Wasserweg bevorzugt (Posluschny 2012). Auf großer Maßstabsebene beobachtet Denecke deshalb für das frühe und hohe Mittelalter, dass der Fernverkehr durchgehende, weitgehend ortsferne Linien-führungen bevorzugte, also relieforientiert und kaum siedlungsorientiert war (Denecke 1996, Denecke 2007b). Permanente und temporär genutzte Wege

Waren Reisen unverzichtbar und mussten auch jahreszeitlich unabhängig durchgeführt wer-den, standen oft mehrere parallele Routen („Sommer- und Winterwege“) zur Verfügung: z. B. Schlitten auf gefrorenen Feuchtgebieten und Seen oder Schifffahrt auf hochwasserführenden Flüssen im Winter bzw. Schifffahrt auf Seen oder Nutzung des ausgetrockneten Flussbettes im Sommer (Rasbach 2010, Schiedt 2015). Aufgrund der Fließrichtung der Flüsse waren Hin- und Rückweg oft unterschiedlich (Schenk 1999). Landwege passten sich bestmöglich an die topographischen und klimatischen Gegebenheiten an. Häufig verliefen diese deshalb auf Ge-ländehöhen und nach Süden geneigten Hängen, bei denen etwaige Regenmengen schnell ab-fließen und die Wege abtrocknen konnten. Transportmittel

Je nach Reiseentfernung, vorhandener Reiseinfrastruktur, natürlichen Gegebenheiten und Art bzw. Menge des Transportgutes wurden epochenübergreifend Menschen (Läufer, Bo-ten, Träger) oder Tiere wie Esel/Pferd/Ochse (Reit-, Trag-, Pack- und Saumtiere, Zugtiere für Schleifen, Schlitten, Karren, Fuhrwerke) eingesetzt. Jedes Transportmittel hat eigene An-sprüche an den Straßenkörper und die Linienführung im Gelände: Konnten beispielsweise Fußgänger, Reiter oder Tragtiere auch ältere Wege mit hohen Steigungen und direkter Linien-führung bewältigen, mussten für Frachtwagen oft neue Trassen mit weniger Steigung gebaut werden (Denecke 1969). Gerade an Hangaufstiegen kann die Entwicklung des Verkehrs und der Verkehrsmittel anhand der Morphologie und Linienführung der parallel laufenden Wege meist gut nachvollzogen werden.

Im Allgemeinen wird angenommen, dass der überwiegende Verkehr zu Fuß erfolgte (Casson 1976). Bei größeren Gewichten oder hohen Gütermengen wurden aber auch lokal

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Wagen und Karren eingesetzt (Schiedt 2015, Heumüller 2016). Vor allem regionale Fußwege zeichnen sich durch die kürzest mögliche Verbindung aus, da fast keine Rücksicht auf land-schaftliche Hindernisse wie kleinere Gewässer, Feuchtgebiete oder steile Böschungen genom-men werden musste. Oft bilden eigens ausgebildete Fußwege Abkürzungen zu anderen Stra-ßen (Denecke 1979).

Für viele überregionale Wege sind Transporte mit Tragtieren überliefert (Vieweger et al. 2012, Schiedt 2015). Vor allem in Landschaften mit starker Reliefierung (z. B. Mittel- und Hochgebirge) mit ihren natürlichen Einschränkungen für Fahrzeuge bildeten die Saum-pfade jahrhundertelang die wichtigste Grundlage für den Fernhandel (z. B. „Der goldene Steig“, Kubů et al. 2013). Voraussetzung für den Transport mit Tieren war eine ausreichend ausgebaute Infrastruktur, also Wasserstellen, Verpflegungs- und Übernachtungsmöglich-keiten.

Verkehr mit Karren oder Wagen und Zugtieren bedingte eine hohe Beanspruchung der Fahr-bahn. Vor allem zur Römerzeit wurden deshalb oft eigene, speziell befestigte Fahrbahnkörper angelegt, die z. B. als via publica „alle Arten von Straßenverkehr uneingeschränkt gestattete“ (Nuber 2010, S. 20). Diese umfassten üblicherweise auch parallele Wegführungen, z. B. seitlich des Fahrbahnkörpers angelegte Erdbankette, für die anderen Transportmittel (Blöck 2016). Die meisten mit Fahrzeugen benutzten Wege waren epochenübergreifend jedoch nicht oder nur wenig befestigt bzw. unterhalten. Funktionale Einteilung

Nahezu alle Wege und Straßen waren multifunktional, d. h. sie dienten mit den jeweiligen Transportmitteln vielen verschiedenen Verkehrszwecken (Denecke 1979). Eine regiona-le Strecke zwischen zwei Siedlungen konnte z. B. sowohl dem Nahverkehr zur Marktstätte, dem Transport von Rohstoffhalbfabrikaten zu Baustellen oder von Mehlprodukten zu loka-len Backstuben als auch als Teil eines überregionalen Heer-, Handels- oder Pilgerweges ge-nutzten werden (Denecke 2007a). Vor allem auf lokaler Ebene gab es darüber hinaus explizit monofunktionale Strecken wie z. B. zu land- und forstwirtschaftlichen Flächen, Köhlerplätzen („Kohlenwege“) oder Mühlen. Die Ziele dieser Wege lagen meist an deren Ende – sie bildeten Sackgassen.

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Abb. 3: Hohlwegstück des neuzeitlichen Handelsweges Nürnberg-Lyon in Burgthal

(Gem. Stockach, Lk. Konstanz). Rechts in der Bildmitte ist ein älterer, jetzt abgehängter

Verlauf ca. 2 m oberhalb des aktuellen Weges zu erkennen (Aufnahme 2004). 2.1.3 Quellengattung Relikte

Die Erforschung von (prä-)historischen, wüst gefallenen, also aufgelassenen Wegen ist schwie-rig (vgl. Kap. 1.2) und beginnt deshalb meist mit den wenigen, noch sichtbaren, „gegenständli-che(n) Relikte(n) früherer Kulturlandschaften im gegenwärtigen Erscheinungsbild“ (Jäger 1973, S. 15). Dabei sind der Straßenkörper und die Linienführung zunächst die wichtigsten Aspek-te (vgl. Kap. 2.1.1). Gut überliefert werden überwiegend nur morphologisch stark ausgeprägte Überreste von straßenbaulichen Maßnahmen, z. B. aufgeschüttete Kiesdämme (Fingerlin 1984), Pflasterungen von Furten (Kortüm 2014), Wegsicherung durch Stützmauern (Denecke 2002) oder Brückenfundamente. Meist liegen diese jedoch nur in kürzeren Teilstücken vor (Denecke 2007b).

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Abb. 4: Typisches Beispiel für die drei Wege-Komponenten: (befestigter) Straßenkörper,

(geschwungene) Linienführung und Wegbegleiter wie bepflanzte Böschungen, Wegkreuz und Ruhebank (Nenzingen, Gem. Orsingen-Nenzingen, Lk. Konstanz). Aufnahme 2004

Die Linienführung von Wegen kann im Normalfall nur mithilfe von zusätzlichen Hinwei-sen auf die Wegoberfläche rekonstruiert werden. Hier spielen die zahlreichen Hohlwege an Hangaufstiegen eine große Rolle (Abb. 3, Wolf et al. 1994), die sich meist durch langjähri-ge oder/und intensive Nutzung und dem damit verursachten Abtrag der Oberfläche entwi-ckelten (Lay 1994, Denecke 2002). Eine Einschätzung der früheren Nutzungsintensität kann häufig durch die Anzahl und Breite der sogenannten Spurenbündel, d. h. parallel laufende Hohlwege, erfolgen (Denecke 1979, Doneus 2013). Die vor allem aus den schweizerischen Mittelgebirgen bekannten Geleisestraßen mit ihren in den Fels eingekerbten Fahrrillen gehö-ren ebenfalls zu den Wegen mit besonders gut tradierten Wegoberflächen (Schneider 2005). Zusätzlich zu den genannten Relikten können Straßenzügen im Gelände auch durch na-türliche Zwangspunkte wie Flussübergänge, Anlandestellen an Seen oder Bergpässe fixiert werden (Denecke 2007b).

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Weitere wichtige Hinweise auf aufgelassene Wege liefern die sogenannten Wegbegleiter (Abb. 4). Diese überwiegend anthropogen bedingten, an Verkehrswegen orientierte Gebäude und Anla-gen stehen mit diesen in einem direkten oder indirekten funktionellen Zusammenhang (Denecke 1969). Meist dienten sie zur Beobachtung, Kontrolle und Sicherung der Wege („Herrschaftsin-frastruktur“ wie Post- und Zollstellen, Herrschaftssitze) oder zur Betreuung und Versorgung der Reisenden bzw. des Weges selbst („Reiseinfrastruktur“ wie Brunnen, Wegweiser, Rasthäuser, Ma-terialentnahmegruben bzw. sakrale Einrichtungen wie Grabhügel, Feldkreuze, Kirchen).

Je nach Ausprägung und Überlieferungsgrad lassen die Relikte auf ihre ursprüngliche Funk-tion und die räumliche und zeitliche Nutzung der Straße schließen und spielen deshalb bei der Charakterisierung von Wegen eine wichtige Rolle (Kap. 4.3.4). 2.1.4 Quellengattung archäologische Befunde

Durch die Methoden und Befunde aus den archäologischen Wissenschaften kann das Wissen zur Lage und Nutzung des Untersuchungsobjekts „Weg“ deutlich ausgeweitet werden. Neben den klassischen Prospektionsmethoden wie Begehungen, Sondagen und Ausgrabungen kom-men auch die zahlreichen naturwissenschaftlichen Methoden wie z. B. Archäobotanik, Den-drochronologie, Geomagnetik oder Geoelektrik zum Einsatz. Im archäologischen Kontext und vor allem bei Altfunden besteht häufig das Problem, dass unbefestigte Wege nicht als solche erkannt bzw. gefundene Strukturen fälschlicherweise als Straßen interpretiert werden (vgl. Behrends 1998).

Bedingt durch die kleinräumigen Untersuchungsfenster und die selektive Überlieferung stel-len die straßenbaulichen Eingriffe auch hier die wichtigsten Nachweise dar. An erster Stelle sind natürlich die Römerstraßen zu nennen (Abb. 5). Im Idealfall findet sich eine ca. 6 m breite, aus kleineren, unbehauenen Bruchsteinen und größeren, bearbeiteten Steinquadern zusammen-gesetzte Fahrbahn mit einer unregelmäßigen, aber dennoch festen Oberflächenstruktur auf einem Fundament aus Kalkbruchsteinlagen ruhend (Nebenstrecke im Ostalbkreis, Bofinger et al. 2011). Oft finden sich noch beidseitig begleitende Straßengräben (Humpert 1995). Auch die Kombination von Steinkofferung und Holzbauten kann auf feuchten Untergrund häufig nach-gewiesen werden (Bolliger 2005b). Im Feuchtboden konservierte hölzerne Überreste umfassen nicht nur die bekannten Bohlen als Unterbau von Wegen sondern auch Rundhölzer und Reisig oder sogar ganze Steganlagen (Heumüller 2016).

Je ungestörter der aufgefundene Untergrund und je optimaler die Ausgrabungsbedingungen desto besser ist das Erkennen auch der eher unscheinbaren Spuren von Wagenrädern mög-lich. Highlights sind vor allem Spurrillen auf einfachen Erdwegen, wie sie z. B. auf Römerstra-ßen in den Niederlanden (Vermeulen et al. 2001) oder einem spätkeltischen Weg in Dänemark

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(Thrane 2009) entdeckt werden konnten. Manchmal finden sich auch wenig ausgeprägte Ge-leise-Spuren unter der heutigen Sohle in Hohlwegen (Denecke 1979).

Abb. 5: Römischer Straßendamm bei Hohenstadt (Gem. Hohenstadt, Lk. Göppingen). Bei

Ausgrabungen zur Neubaustrecke Stuttgart-Ulm wurde ein aus Kalksteinen gesetzter, ca. 6 m breiter, steinerner Straßendamm freigelegt, der sich auf einer Länge von über 30 m verfolgen ließ. Die Wegbegleiter sind auch aus dem archäologischen Kontext wichtige Hinweise auf Wege. Als bereits klassisch kann der Zusammenhang von Grabhügelfeldern und Wegen angesehen werden (Denecke 1969). Aber auch andere sakrale Objekte wie Weihesteine oder Opferplätze verweisen auf Wege (Walser 1983). Elemente der Infrastruktur wie Leugensteine sind einfach, die meisten wie z. B. römische Rasthäuser („mansiones“) oder Gasthäuser („mutationes“) aber oft schwierig zu identifizieren (vgl. Casson 1976). Ebenfalls kaum zu belegen sind herrschaftliche Gebiets-sicherungsmaßnahmen, auch wenn dies für einige (Höhen-)Siedlungen oder Wallanlagen aus vorrömischer Zeit angenommen wird (Denecke 2007a, Schußmann 2012, Armingeon 2017).

Es sind aber vor allem die unzähligen Einzelfunde außerhalb von Siedlungen, die auf-grund ihrer Verbreitung und Konzentration „einen breiten Einblick in die Aktivitäten des

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Menschen rund um die […] [Straßen] vermitteln.“ (Schneider 2005, S. 290) Neben Resten der transportierten Waren wie Holzkohle oder Erzbrocken (Denecke 2002) und Münzen (Bolliger 2005b) gehören „beispielsweise Schuh- und Steigeisen, Achsnägel, Reitersporn und Fassringe aus der vielfältigen Fundgruppe des Verkehrs; Beile, Steinhammer, Keile, Sichel und Sägen als Werkzeuge, die im Straßenbau oder für die Waldbewirtschaftung eingesetzt wurden, sowie Alltagsgegenstände wie Taschenmesser, Kleiderknöpfe, Gurt- und Schuh-schnallen, Bestecke usw. Dass die Straßen aber auch von Jägern, Soldaten und wohl auch Straßenräubern begangen wurden, bezeugen Fundgegenstände wie Eisenspitzen von Bogen- und Armbrustpfeilen, Blei- und Eisenkugeln, eine Vorderladerpistole und eine Säbelschei-de.“ (Schneider 2005, S. 290)

Im Gegensatz zu den oberflächig sichtbaren Relikten sind archäologische Befunde und Er-kenntnisse meist kleinräumig und beruhen überwiegend auf Zufallsfunden (Denecke 2002). Gerade außerhalb von Siedlungen nimmt die Funddichte deutlich ab, sodass Linienführungen hier kaum rekonstruiert werden können. Die wenigsten Wege waren zudem wirklich baulich befestigt, der Straßenkörper also aus standortüblichem Material, das kaum vom umgebenden Boden unterscheidbar ist (z. B. Vogt 13.06.2017). Trotzdem liefern die archäologischen Befunde wichtige Grundlagen zur Kennzeichnung von Wegen (Kap. 4.3.4). 2.1.5 Quellengattung Schriften und bildliche Darstellungen

„Es gibt nur eine einzige archivalische Quellengruppe, die ausschließlich den Wegen und dem Verkehr gewidmet ist: die Wegebauakten [des 17. bis 19. Jahrhunderts]. Alle anderen historischen Nachrichten über Wege, ihren Verlauf und ihre Funktion sind weit verstreut und finden sich als nur mittelbare Angaben in Urkunden, Chroniken, Akten oder sonstigen Quellen.“ (Denecke 1969, S. 24 ff) Sowohl bauliche Informationen als auch Erläuterungen zu Straßenverläufen finden sich außerdem z.  B. in Reisebeschreibungen, Kriegsberichte, Dienstregister, Kirchenbücher, Zolleinnahmebücher, Geleitsbriefen und beschränken sich zeitlich auf Epochen nach dem Spätmittelalter (z. B. Schaab 1982). Aus diesen Quellen las-sen sich auch Flur- und Wegenamen extrahieren und häufig auch verorten (Denecke 2002, Schenk 2011).

Da Wege durch Start- und Zielpunkte charakterisiert sind, kann die Lokalisierung von Siedlungen und/oder Wirtschaftsflächen Hinweise auf die Linienführung geben. Hier sind zunächst wüst gefallene Flächen zu nennen, die teilweise aus Archivalien ab dem Mittelalter rekonstruiert werden können (Denecke 1969, Denecke 2002). Weitere Angaben zu wichtigen Orten sind über Itineraren, d. h. Beschreibungen von Straßenverläufen mit Etappenorten und Knotenpunkten, zu erhalten (Herzig 1998). Neben beispielsweise mittelalterlichen Pilgerfüh-

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rern ist für die Spätantike das Itinerarium provinciarum Antonini Augusti von Bedeutung, ein Verzeichnis von wichtigen römischen Reichsstraßen aus dem 3. Jahrhundert (Herzig 2005, Blöck 2016). Aufgrund der Seltenheit und des stark punktuell zeitlichen und räumlichen Vor-kommens spielen epigraphische Quellen wie Meilensteine eine eher untergeordnete Rolle (Winkler 1985, Haupt 2013).

Kartographische Darstellungen von Landschaften sind seit jeher eine wichtige Quelle zur Erforschung von großräumigen Wegeverläufen und Wegenetze (Aymans et al. 1985, Burg-graaff et al. 2008), obwohl diese nicht unkritisch übernommen werden dürfen (Cranach 2000). Eine große Rolle für die Zeit vor dem Mittelalter spielt die Tabula Peutingeriana, die mittelalterliche Kopie einer antiken Straßenkarte aus dem 4. Jahrhundert, die das gesamte römische Weltreich umfasst (Filtzinger et al. 1976, Blöck 2016). Zeitlich noch weiter zurück gehen die zahlreichen Felsritzzeichnungen im norditalienischen Valcamonica (Jätzold 1998). Erste Wege und Karren werden auf Petroglyphen dargestellt, die in die Bronze- und Eisenzeit datiert werden.

Mit der Weiterentwicklung der archäologischen Prospektionsmethoden zur Luftbildarchäo-logie war es ab den 1980er Jahren erstmals möglich, Merkmale im Boden und im Bewuchs auch ohne Eingriffe in den Boden großräumig sichtbar zu machen (Gaitzsch 1988, Braasch 1994). Das Buch „Unterirdisches Baden-Württemberg“ (Planck et al. 1994) zeigt eindrucksvolle Beispiele von neu entdeckten Wegen: Karrengleise auf offener Schafweide, parallel verlaufende dunkle Gräben einer aufgelassenen Straße mit ebenfalls dunkel erscheinenden Entnahmegruben im sommerlichen Ackerfeld oder einen Dammweg mit Schnee-Kontrast. Häufig sind auch helle Kiesstreifen mit parallel verlaufenden Gräben, die meist als Römerstraßen eingestuft werden (Abb. 6, Blöck 2016).

Seit einigen Jahren steht mit dem Airborne-Laserscanning (engl. Light Detection And Ranging LiDAR) das bisher modernste bildgebende Verfahren zur Verfügung (Bofinger 2011). Mit den aus den Befliegungen erzeugten Punktdatensätzen können umfangreiche und komplexe Auswertungen durchgeführt und ein digitales Geländemodell bis zu einer Auflösung von 1 m generiert werden. Ohne weitere Eingriffe sind vom Boden aus kaum sichtbare Vertiefungen (z. B. Hohlwege) und Erhöhungen (z. B. Fahrbahndämme) zu entde-cken (Blöck 2016). Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit von großflächigen Untersuchun-gen (Doneus 2013). Zudem sind „Lineare Befunde […] im Laserscan auch im bewaldeten Gebiet meist sehr gut erkennbar, bis hin zu Fußpfaden und sogar Wildwechseln.“ (Haupt 2013, S. 43)

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Abb. 6: Luftbild zahlreicher Strukturen rund um ein größeres vorgeschichtliches Gräberfeld in Ehingen (Gem. Mühlhausen-Ehingen, Lk. Konstanz). Sichtbar ist neben den dunklen Kreisen

(eingeebnete Grabhügel) und quadratischen Einfriedungen vor allem die klassische Ansicht einer

Straße, die sich hell gegen den Hintergrund mit begleitenden Gräben von links unten nach rechts oben abzeichnet.

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„Ein grundlegendes Problem alter Straßen ist die fast unmögliche Datierung.“ (Thrane 2009, S. 182) Mit der Annahme, dass die Mehrzahl der (prä-)historischen Wege ohne Straßenbau blieb, ist nicht nur die Auffindung, sondern auch die Datierung schwierig. „Eine Altstraße kann nicht per Augenschein datiert werden, erst recht gilt dies für einen Fußweg.“ (Haupt 2013, S. 45) „Verkehrsinfrastrukturen weisen eine ausserordentlich hohe Persistenz auf“ (Egli et al. 2005, S. 246), d. h. sie waren oft jahrhundertelang in Benutzung. Dies gilt vor allem für die großen Handelsstraßen, die nach den Städtegründungen im 12. und 13. Jahrhundert entstanden und bis heute teilweise in Bundesstraßen weiterleben.

Generell spielen zwei Aspekte bei der zeitlichen Einordnung von Wegen eine Rolle: Chronolo-gie und Betroffenheit. Eine Datierung kann also zum einen „absolut“, auf das Jahr/Jahrhundert genau oder „relativ“, d. h. meist im räumlichen Vergleich mit anderen Objekten, erfolgen. Zum anderen liefert die Straße selbst, d. h. „direkte“ Informationen zum Alter oder es gibt „indirekte“ Hinweise über z. B. Wegbegleiter.

Bedingt durch die Quellenart und die potenziellen Überlieferungsprobleme ergeben sich oft hohe räumliche und/oder zeitliche Unsicherheiten trotz einer möglichen Datierung. Wie häufig in den Geschichts- und Archäologischen Wissenschaften können viele Wege(abschnitte) nur mit terminus ante quem bzw. terminus post quem eingeordnet werden. Im Folgenden werden die Datierungsmöglichen der Quellen beschrieben (s. Tab. 1).

Tab. 1: Einstufung der Quellen zur Datierung von Straßen

Der als Relikt oder archäologischer Befund überlieferte Straßenkörper ist per se nicht datier-bar. Lange war jedoch die Untersuchung von Straßenquerschnitten eine der wenigen direkten Methoden, um, mit anderen indirekten Indizien zusammen, eine grobe zeitliche Einordnung zu ermöglichen (Hoffmann 1988). „In vielen Fällen wurden […] nur ein aus Kies aufgeschütteter Fahrbahnkörper erfasst bzw. dokumentiert. Diese Befunde werden […] in der Forschungslite-ratur häufig als römische Straßen angesprochen, doch stellt ein aus Kies aufgeschütteter Fahr-bahnkörper ein chronologisch unempfindliches Bauelement dar, das im Straßenbau von der Antike bis in die Neuzeit Verwendung fand.“ (Blöck 2016, S. 183) So erwies sich ein zunächst vermeintlich römischer Weg nach weiteren Untersuchungen als neuzeitlich (Beck et al. 2007). Im Gegensatz dazu sind hölzerne Straßenbauten wie Bohlenwege oder Brückenfundamente meist einfach und exakt über die Methoden der Dendrochronologie bzw. C14-Datierung zeit-lich zuordenbar (Bolliger 2005b, Denecke 2007b).

In der Forschung wird die Datierung von Hohlwegen über deren Form bzw. Tiefe und von Geleisestraßen über die Breite der Spurrillen kontrovers diskutiert (z. B. Denecke 1979, Jo-hannsen et al. 2010). „Über das Alter eines Weges vermag der Grad der Eintiefung ebenfalls nur relative Aussagen zu machen. Allgemein läßt sich behaupten, daß die Wege bis zum ho-hen Mittelalter im Mittelgebirge wohl nur sehr wenig ausgeprägt waren, da der Verkehr gering und die Transportmittel klein und leicht waren. Stärker beansprucht wurden die Wege erst seit dem späten Mittelalter, so daß der größte Teil der tiefen Hohlwege weitgehend erst aus jüngerer Zeit stammt.“ (Denecke 1969, S. 85) Die Spurweite von Geleisestraßen gilt im All-gemeinen als wichtigste Kenngröße (Schneider 2005). „So geben die Spurweiten recht brauch-bare Informationen über die Entstehungszeit von Wegstrecken“ (Rottländer 1988, S. 184). Bei neueren Untersuchungen, vor allem in der Schweiz, konnte jedoch gezeigt werden, dass dieser Straßentyp bis ins 18. Jahrhundert angelegt wurde und sich deshalb keine Aussagen über eine zeitliche Einordnung ergeben (Herzig 1998, Haupt 2013). Manche Fahrspuren unterhalb von datierbaren Schichten können jedoch zumindest relativ zu dieser angesprochen werden (Jo-hannsen et al. 2010). Linienführung

Üblicherweise kann der Straßenverlauf nur mithilfe von zusätzlichen Hinweisen auf die Weg-oberfläche verfolgt werden. Beide Wegekomponenten liefern jedoch meist keine direkten Da-tierungsmöglichkeiten. Trotzdem wurden bereits im 19. Jahrhundert, in Analogie zu antiken Straßen in Italien, nahezu alle „geraden“ Strecken, z.  T. ohne weitere Befunde, als römisch

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beschrieben (z. B. Hertlein 1924, Humpert 1995). Diese Ausprägung der Linienführung wurde in der Forschung lange unkritisch tradiert, konnte aber durch weitere Untersuchungen relati-viert werden (Schwarz 1989, Grewe 2000b).

Trotz intensiver Forschungen an Hohlwegen, exakten topographischen Vermessungen und Beschreibungen der Formenvielfalt ist auch hier eine direkte Altersbestimmung nicht möglich (Abb. 7, Denecke 1969, Gross et al. 2010, Haupt 2013). „Die einzelnen Hohlwege liegen meist dicht geschart nebeneinander. Überschneidungen einzelner Spuren sind häufi g, was bei einer genauen Vermessung der Spurscharungen und der durch jüngere, weitere Eintiefungen abge-schnittenen, hängenden Wegespuren die Feststellung eines zeitlichen Nacheinanders der Benut-zung, d. h. eine relative chronologische Einordnung einzelner Spuren möglich macht“ (Denecke 1979, S. 446).

Abb. 7: Hohlwegebündel der Eschelbacher Steige (Gem. Neuenstein, Hohenlohekreis). Beispiel für verschiedene Weggenerationen. Farblich markiert sind die Sohlen der Hohlwege .

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Ein Weg ist durch seine Ausgangs- und Zielpunkte definiert. Diese sind meist Gebäude oder Siedlungen, oft auch verkehrsbezogene Einrichtungen und Anlagen, die anhand von Funden und Befunden zeitlich eingeordnet werden können und damit grundlegend für eine Datierung des Weges (Denecke 2007b) sind. Hier liegt die Annahme zugrunde, dass Wege im Allgemeinen Siedlungen durchziehen und Ort und Weg gleichzeitig existierten. In Siedlungen beginnende Straßen, die sich aber im Gelände verlieren, können ebenfalls zeitlich eingeordnet werden wie Wege mit einer offensichtlich gezielten Linienführung hin zu Orten (Beck et al. 2007, Haupt 2013). Siedlungen, die nur über schriftliche Quellen oder Ortsnamen belegt sind, können zeit-lich nicht so gut eingeordnet werden. Beispielsweise stimmen die Gründung und die schriftliche Ersterwähnung von historischen Orten zeitlich oft kaum überein (vgl. Fütterer 2016). Auch die Nutzung von Sichtbeziehungen zu markanten Gebäuden wie Kirchtürme muss kritisch hinter-fragt werden, da die genaue Höhe und/oder das Baudatum der Türme meist unbekannt sind (vgl. Humpert 1995). Wegbegleiter – Kleinfunde

Neben den Siedlungen liefern Kleinfunde im und am Weg die wichtigste Altersbestimmung. Im Idealfall finden sich datierbare Objekte wie z. B. Keramikfragmente oder Münzen in den Spur-rillen eingelagert (Gaitzsch 1988), zwischen den Schottern der Straßenbefestigung (Böhm et al. 2012) oder unterhalb des Straßenkörpers (Humpert 1995). Manchmal liegen auch organische Reste wie z. B. Holzkohlen oder Getreidekörner vor, die dann 14C-datiert werden können (Thra-ne 2009, Haupt 2013). Detailliertere Aussagen zur zeitlichen Einordnung eines Weges ergaben sich beispielsweise auch durch die intensive Prospektion und Fundauswertung einer Geleisestra-ße in der Schweiz: Neben vielen anderen Funden konnten 48 Hufeisen datiert werden, die die Nutzung des Weges zwischen Hochmittelalter bis ins 19. Jahrhundert belegen (Schneider 2005). Ein besonderes Highlight stellt eine neu entdeckte Römerstraße im Alb-Donau-Kreis dar. Allein durch die räumliche Verteilung der über 6000, eindeutig römischen Schuhnägel ließ sich ein Weg von mindestens 50 m Breite auf ca. 1000 m verfolgen (Thoma 2013, Scheschkewitz 2017). Wegbegleiter – Grabhügel

„Dass Wege und Gräber zusammengehören, ist kein neuer Gedanke; man braucht nur an die klas-sische Welt zu denken mit der z. B. Via Appia, […] etruskischen Grabstraßen. […] Nicht datierte

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Wegelinien begleiten oft die [Grab]Hügelreihen, aber die Diskussion über Zusammenhänge und Gleichzeitigkeit erinnert oft an jene über die Henne und das Ei“ (Thrane 2009, S. 194f). Im All-gemeinen wird diese Annahme in der Forschung als Feststellung unkritisch übernommen (z. B. Humpert 1991, Posluschny 2012) und die Datierung über die Gleichzeitigkeit von Grab und Weg aufgrund der räumlichen Nähe durchgeführt (Abb. 8, Johannsen et al. 2010). „Die Zweifel einiger Forscher an einem ursächlichen und stets zutreffenden Zusammenhang zwischen vorge-schichtlichen Gräbern und Fernstraßen ist jedenfalls durchaus berechtigt“ (Denecke 1969, S. 129). Manchmal ergeben sich eindeutigere, wenn auch relative, Zuordnungen über die Stratigraphie. Beispielsweise konnte eine ansonsten undatierbare Straße in die jüngere Hallstattkultur bzw. frühe Latène-Zeit eingeordnet werden, da sie einen Grabhügel der älteren Hallstattkultur schneidet und ihrerseits durch die Befunde einer Siedlung der Spätlatène überlagert wird (Schußmann 2012). Schriften, Karten, bildgebende Verfahren

Archivalien zu Baumaßnahmen und Reparaturen an Straßen finden sich erst ab der frühen Neu-zeit. Vor allem Abrechnungen von Frondiensten und die Beschaffung von Baumaterial werden thematisiert. Ein Highlight aus Südwestdeutschland sind die baulichen Ausbesserungen von Straßen und der Bau von Brücken aus Anlass der Brautfahrt von Erzherzogin Marie Antoinette von Wien nach Straßburg 1770. Diese wurden beispielsweise allein im Hegau (heute Landkreis Konstanz) in mehreren Zentimeter dicken umfassenden Akten erfasst (z. B. Generallandesar-chiv Karlsruhe 123 Nr. 1220 c). Indirekte Hinweise ergeben zudem die Ausweisung von Geleit-rechten oder Einrichtungen von Post- und Zollstätten entlang der großen Handelswege (Leib-brand 1980, Schaab 1982). Trotz der meist umfangreichen und guten zeitlichen Überlieferung sind exakte Datierungen von Wegen aufgrund der fehlenden wissenschaftlichen Aufbereitung und der schwierigen Lokalisierung nur ab dem 17. Jahrhundert sinnvoll.

Itinerare und historische Karten geben die Verbindungen zwischen Siedlungen meistens zum Erstellungsdatum wieder (z. B. Rieckenberg 1965). Oft ist die räumliche Zuordnung der Orte an sich („Wüstungen“) oder der exakte Verlauf im Gelände schwierig. Zudem muss manchmal der Wahrheitsgehalt, die Vollständigkeit oder der Zeitpunkt der dargestellten Informationen in Frage gestellt werden (Herzig 1998, Cranach 2000).

Mit den bildgebenden Verfahren wie Luftbildarchäologie, LiDAR, aber auch weitere archäo-logische Prospektionsmethoden wie Geoelektrik oder Geomagnetik lassen sich Linien und Strukturen erfassen, die von sich aus grundsätzlich nicht datiert werden können. Aussagen zur zeitlichen Einordnung sind deshalb nur indirekt möglich, z. B. wenn eine Straße in einem rö-mischen Vicus beginnt und sich der Verlauf im weiteren Gelände über Luftbilder verfolgen lässt (Blöck 2016).

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Abb. 8: Beispiel Wegbegleiter Grabhügel in Neuhausen (Gem. Neuhausen ok Eck, Lk. Tuttlingen). Der heutige Forstweg führt knapp rechts am ca. 2 m hohen Grabhügel vorbei (Aufnahme 2002).

2.2 Forschungsgeschichte

Bahn et al. haben für Mitteldeutschland die ältere Literatur ausführlich zusammengestellt (Bahn et al. 2016). Für Baden-Württemberg gibt „der Lautenschlager“, die Bibliographie der badischen Geschichte, einen umfangreichen Einblick in die damaligen Forschungen zur römi-schen Herrschaft und Kultur, zu den entdeckten Altertümern und dem Limes (Lautenschlager 1929). Die Römerstraßen werden in einem eigenen Kapitel erwähnt und beginnen mit einer klassischen historisch-geographischen Betrachtung anhand der Tabula Peutingeriana (Pauly 1836). Der Arzt und Naturforscher Lorenz Oken war einer der ersten, auf denen zahlreiche archäologische Fundmeldungen zurückgehen (Ortsakten der Archäologischen Denkmalpfle-ge, Freiburg): „Der arme Schelm war zu Fuße von Zürich nach Ulm getrabt, um Spuren einer Römerstraße zu verfolgen, – immer im vollen Platzregen – und hatte fast nirgends Andere als Koth und nasses Gesträuch gefunden […]“ (Droste-Hülshoff X, 1, S. 203, Brief an August von Haxthausen, 02.08.1844, zitiert in Schupp 2006, S. 23).

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden die Forschungen zahlreicher und reichen von Beschreibungen von Altstraßen zwischen Antike und Mittelalter (Landau 1856, Stephan et al. 1966, Gasner 1889) bis zur Bedeutung der Verkehrswege für den Handel (Götz 1969, Mone 1861, Lautenschlager 1938). Auch erste kartographische Darstellungen der römischen Militär-straßen und Handelswege werden veröffentlicht (Abb. 9, Naeher 1888).

In Baden und Württemberg wurde zu diesem Zeitpunkt auch mit der systematischen Kartie-rung römischer Steindenkmäler und Ausgrabungen begonnen (Nick 2004). Karl Eduard Paulus d. Ä., Leiter des Statisch-topographischen Bureaus in Württemberg, publizierte 1859 als erster eine „Archäologische Karte von Württemberg – mit Darstellung der römischen, altgermani-schen (keltischen) u. fränkischen (alemannischen) Ueberreste“ (Paulus 1876). Ernst Hermann Wagner, Direktor der Großherzoglich-badischen Altertumssammlungen in Karlsruhe, sammel-te alle Erkenntnisse zu Kunstdenkmalen und veröffentlichte diese in „Fundstätten und Funde aus vorgeschichtlicher, römischer und alamannisch-fränkischer Zeit im Großherzogtum Baden“ 1908–1911, das bis heute als wichtige Grundlage für die Archäologische Denkmalpflege gilt (Nick 2004, Dauber 1983).

Im Rahmen der Reichs-Limeskommission 1892 zur länderübergreifenden Erforschung des Limes (Nick 2004) wurde von Karl Schumacher der aktuelle Stand der Forschung in Baden dargelegt (Schumacher 1892). Er veröffentlichte 1909 als erster eine genaue Beschreibung der Linienführungen der Römerstraßen (Schumacher 1909). Ein weiterer Meilenstein der Alt-straßenforschung war das dreibändige Werk „Die Römer in Württemberg“ von Peter Goess-ler, Friedrich Hertlein und Oscar Paret, das als Standardwerk der Archäologie in Südwest-deutschland gilt. Hierin wurden nicht nur die Römerstraßen auch in den badischen Gebieten beschrieben (Hertlein et al. 1930), sondern auch eine 1931 aktuelle Karte der archäologischen Denkmäler herausgegeben (Paret 1932). Speziell zur Geschichte des Verkehrs- und Straßen-wesens in Großherzogtum Baden erschienen „Chronik ueber Strassenbau und Strassenverkehr“

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(Baer 1878), „Geschichte des Verkehrs in Baden, insbesondere der Nachrichten- und Personen-beförderung“ (Löffl er 1910) und „Die geschichtliche und technische Entwicklung des Strassen-wesens“ (Cassinone 1926).

Abb. 9: Ausschnitt „Die römischen Heerstrassen und Handelswege in Südwestdeutschland und der Schweiz von Inspector Naeher 1:800 000“ aus dem Jahr 1888. 2.2.2 Altstraßenforschung Einleitung

„Wege als Ziel“ – mit diesem Titel der gleichnamigen Tagung in Bonn im Jahr 2000 wird in kur-zen prägnanten Worten das Feld der sogenannten Altstraßenforschung umrissen: die Suche, Erfassung, Beschreibung und Bewertung von historischen Wegen. Im Rahmen von Forschun-gen zu Entwicklungen von Kulturlandschaft en entwickelte sich dieses Th ema ab den 1960er Jahren im deutschsprachigen Raum als eigene Fachrichtung innerhalb der Historischen Geo-

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graphie heraus (Denecke 2007b). Wissenschaftliche Grundlagen lieferten z.  B. Karl-Heinz Mar-schalleck für die Vor- und Frühgeschichte (Marschalleck 1964), Günter Spellerberg und Karl-Geert Kuchenbecker für straßenbautechnische Gesichtspunkte (Spellerberg 1966, Kuchenbecker 1969) und Bernd W. Bahn für den Fernhandelsweg Kupferstrasse in Thüringen (Bahn et al. 2016). Die Dis-sertation von Dietrich Denecke 1969 gilt bis heute als das Standardwerk für die klassische Altwege-forschung (Abb. 10, Denecke 1969). Als Professor an der Universität Göttingen prägte er mit seinen umfangreichen Publikationen jahrzehntelang das Forschungsfeld in Deutschland (Denecke 2005). Abb. 10: Ausschnitt „Das mittelalterliche und frühneuzeitliche Wegenetz und die am ihm orientierten Anlagen nebst den Siedlungen und Wirtschaftsflächen im Raum zwischen Solling und Harz“. Neben den zahlreichen Wegbegleitern sind vor allem die Quellenbelege der einzelnen

Abschnitte mit unterschiedlichen Farben gekennzeichnet: sichere topographische Lage (rot) – unsichere Lage (gelb).

Den historischen Forschungsstrang zu archäologischen Fragstellungen nahm der bayerische Landesarchäologe Klaus Schwarz in den 1970er Jahren wieder auf. Er kombinierte die Beschrei-bung von Römerstraßen anhand der Tabula Peutingeriana und dem Itinerarium Antonini mit

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historisch-geographischen Methoden und einer möglichen Nutzungskontinuität bis ins Früh-mittelalter (Schwarz 1989). Definition

Der Begriff „Altstraße“ wurde im Rahmen von landeskundlichen Forschungen erstmals in den 1930er Jahren verwendet und bezeichnet grundsätzlich vormoderne Landwege und deren auf-gelassene Trassen (Jäger 1996). Schenk (2011) sieht die Altstraßenforschung als Baustein der historisch-geographische Analyse von vorindustriellen ländlichen Siedlungen, für Denecke (1996) gehört sie im engeren Sinne zur historischen Verkehrsgeographie und Schneider (1982) setzt den Begriff für die Erforschung von Straßen im ehemaligen Imperium Romanum ein. All-gemein gesprochen beschäftigt sich die Erforschung von Altstraßen, wie von allen Kulturland-schaftselementen im Sinn der Historischen Geographie, mit anthropogenen, raumbezogenen Aktivitäten und deren Folgen und Auswirkungen auf die Landschaft in allen (prä-)historischen Epochen (Schenk 2011).

Die Untersuchung und Rekonstruktion alter Wege und Straßen hat sich zu einer eigenen in-terdisziplinären Forschung entwickelt, in der die Archäologischen Wissenschaften, Geschichte und Geographie jeweils Schwerpunkte und Fragestellungen bearbeiten. Allen gemeinsam ist die Feldforschung bzw. das Landschaftsinventar, das mit archivalischer Forschung kombiniert wird (Denecke 1979). Dem bisher überwiegend empirischen Ansatz (Denecke 1996) wurden in den letzten Jahren auch erste theoretische Modelle gegenübergestellt (Doneus 2013, Nakoinz 2012a). Darauf aufbauende Forschungen beschäftigen sich z. B. mit der Geschichte des Ver-kehrs, Raumüberwindung und Raumdurchdringung, Verkehrspannungen, Steuerungsfaktoren von Verkehrsnetzen oder mit Siedlungs- und Landschaftsarchäologie. Ziele

Bedingt durch die Forschungsgeschichte und die eingesetzten Quellen ist die mittelalterliche Fernstraße das primäre Untersuchungsobjekt der Altstraßenforschung. Ziele sind zum Einen die Lokalisierung, Erfassung und Dokumentation von Relikten im Gelände (Marschalleck 1964, Jäger 1996, Denecke 2002). Zum Zweiten sollen aus diesen nachgewiesenen Streckenabschnit-ten großräumige Wegenetze möglichst topographisch genau rekonstruiert und kartographisch dargestellt werden (Jäger 1996, Denecke 2007b). Zum Dritten sind alle datierbaren Objekte im Umfeld der Wege mit diesen in Beziehung zu setzen, sodass Veränderungen des Wegenetzes wie Linienführung oder Zustand zeitlich zuordenbar werden (Marschalleck 1964, Jäger 1996).

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Tab. 2: Forschungszweige der klassischen Altstraßenforschung mit maßgeblichen

Disziplinen, Fragstellungen, Quellen und Methoden. Quellen Disziplin Forschungszweig Untersuchungsobjekte Methoden Forschungsergebnisse Feldfor-schung

Wegetras-sen

Gelände-relikte

Geogra-phie

Historisch- geographische

Geländefor-schung

Hohlwege, Gleisstraßen,

Kunstbauten, Wegrelikte

Kartierung und Vermessung, Ge-ländeaufnahmen, Inventarisierung Topographie und Chronologie von Tras-sen, AltstraßenkartenHistorisch-geo-graphische Luft-bildauswertung

Wegerelikte als Be-wuchs- bzw. Boden-merkmale

Bildgebende

Methoden, Luft-bildanalyse

Darstellung der Ent-wicklung des Verkehrs-netzesArchäo-logie

Archäologische

Feldforschung

Fossile Wegspuren,

Bohlenwege, Dämme und Brücken

Archäologische Ausgrabung

Formale und räumlich-funktionale Analyse der NetzentwicklungArchi-valische

Forschung

Geogra-phische

Landes-geschich-te

Historisch-geo-graphische

Archivforschung

Alte Flurkarten, topo-graphische Karten,

Itinerarien

Analyse von Kon-kordanzen und Diskordanzen, Umzeichnung, Neuentwurf von StraßenkartenVerkehrsnetze als Kulturlandschafts-elemente, Geschichte des Straßen- und BrückenbausWegebauakten und

Wegbauordnungen,

Pläne und Zeichnungen

Aktenauswertung Wegebautechnik, Geschichte der Wege-unterhaltungArchi-valische

Forschung

Sprach-forschung

Wege- und

Verkehrsnamens-kunde

Straßennamen, Flur-namen

Inventarisierung und Lokalisierung der ToponymeGe-schichts-forschung

Landesgeschichte Wegeordnungen, Geleit-verzeichnisse

Lage und Verbrei-tung Gasthäuser, Zollstellen

Geschichte des Wege- und VerkehrsrechtsReisebeschreibungen,

Chroniken

Inventarisierung und Lokalisierung von Aufenthalts-orten, Reise-routen

Geschichte der verkehrsbezogenen Anlagen, Verkehr- und GüterströmeEntwicklung einzelner Verkehrsarten

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Aus diesen Zielen im engeren Sinn ergeben sich nachrangig die zeitliche Entwicklung der ein-zelnen Wege bzw. der Nah- und Fernverkehrsnetze, der allgemeine Wandel der Kulturlandschaft und Fragstellungen zum historischen Verkehrswesen (Schenk 2011, Denecke 2013). Weitere Fragestellungen nach Denecke sind (Denecke 1996, Denecke 2002):

• Rekonstruktion der Topographie und chronologischen Schichtung alter Trassen

• Geschichte des Straßen- und Brückenbaus, Wegunterhaltung

• Rekonstruktion der Verbreitung, Funktion und Geschichte der verkehrsorientierten Anlagen und Einrichtungen

• Entwicklung und Bedeutung der Verkehrsverbindungen

• Geschichte des Weg- und Verkehrsrechtes

• Erforschung der Verkehrs- und Handelsbeziehungen und Wirtschaftspolitik, Organisation des Verkehrs

• Erfassung von Verkehrs- und Güterströmen über Verkehrsfrequenzen

• Geschichte von Transportarten und Transportgütern, Rekonstruktion von Transportrouten verschiedener Güter Methoden

Eine umfassende Übersicht über die „Geographische und historische Methoden der Altstra-ßenforschung“ gibt Jäger in seinem gleichnamigen Aufsatz (Jäger 1996). Abgeleitet von der Historischen Geographie werden in der Altstraßenforschung als empirische Wissenschaft grundsätzlich Vorgehensweisen aus den Forschungsdisziplinen Geographie und Geschichte zu sogenannten historisch-geographischen Methoden kombiniert.

Zum Einen wird die historisch-geographische Feldforschung eingesetzt, die vermehrt fossile Wege oder auch andere kulturgeographische Relikte wie z. B. Wüstungen (Siedlungen, gewerb-liche Anlagen) miteinbezieht und sich damit methodisch der archäologischen Landesaufnahme annähert (Denecke 1969). Für Bahn zählt dazu vor allem die Kleinmorphologie – „so müssen wir wirklich den Boden Meter für Meter absuchen“ (Bahn et al. 2016, S. 19).

Zum Zweiten basiert auch die Altstraßenforschung auf den querschnittlichen bzw. längs-schnittlichen Verfahren der Historischen Geographie (Jäger 1973). Bei der querschnittlichen, d. h. synchronen Betrachtungsweise werden die Zustände der Landschaft zu einem bestimmten Zeitraum der Vergangenheit untersucht. Die überwiegend eingesetzte längsschnittliche, d. h. diachrone Betrachtungsweise versucht, durch aufeinander folgende Zeitschnitte die Entwick-lung der bestimmten Landschaft zu analysieren.

Zum Dritten bedient sich die Altstraßenforschung der regressiven Methode. Ausgehend von einem jüngeren Landschaftszustand, meist aus kartographischen Landesaufnahmen des 18. bzw.

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19. Jahrhunderts, wird ein älterer Zustand mithilfe von möglichst vielen aussagekräftigen Quel-len durch Rückschreibung und Interpolation rekonstruiert (Jäger 1973, Denecke 1996). Dabei wird angenommen, dass vorangegangene Entwicklungen zu bestimmten Landschaftszuständen führen (Schenk 2005).

Im Allgemeinen wird die übliche diachrone, regressive Methode induktiv angewendet (Bahn et al. 2016). Von den einzelnen, empirisch erhobenen Wegabschnitten wird anhand der zahlrei-chen Quellen auf das zugrunde liegende gesamte Verkehrsnetz geschlossen. Diskussion

Unzählige Studien zur Altstraßenforschung liegen als kleinere Einzelbeiträge zu lokalen oder regionalen Wegen in der wissenschaftlichen und vor allem in der populärwissenschaftlichen Literatur vor (Jäger 1996, Denecke 2007b). Aufgrund des hohen zeitlichen Aufwandes können aber oft selbst bei wissenschaftlichen Untersuchungen keine flächendeckenden Geländeauf-nahmen durchgeführt werden (Denecke 1969). Zeitlicher Schwerpunkt der meisten Untersu-chungen ist die Neuzeit bis hin zum 19. Jahrhundert, manche Regionalstudien betrachten aber auch die Wegentwicklung im Längsschnitt bis ins frühe Mittelalter zurück (Denecke 2007b, Tanner 2007). Forschungen zu vorgeschichtlichen Wegen beschränken sich, auch aufgrund der schwierigen Quellenlage, im Wesentlichen auf Römerstraßen (Grewe 2000b, Landschafts-verband Rheinland 2004, Bolliger 2005a, Walde 2006). Im Umfeld von Ausgrabungen oder anderen archäologischen Fragestellungen werden immer wieder kleinräumig Relikte von Alt-straßen untersucht, selten stellen sie einen eigenen Forschungsansatz dar (Schuppert 2013, Heumüller 2016).

Denecke stellte bereits 1996 fest: „eine ausgesprochen problemorientierte oder auch eine theoretische Forschung ist auf diesem Gebiet [der Altstraßenforschung] bisher noch kaum entwickelt“ (Denecke 1996, S.  207). Die Altstraßenforschung bewegt sich heute zwischen dem abnehmenden wissenschaftlichen Interesse an landeskundlichen Forschungen generell und den zahlreichen vagen Rekonstruktionen von Wegen anhand von wenigen, meist un-zureichend untersuchten Befunden (z. B. Humpert 1995, Pfefferle 2015). Im Gegensatz zur Schweiz fehlen in Deutschland bis heute einheitliche und damit vergleichbare Kriterien und Vorgehensweisen, handbuchartige Zusammenfassungen und natürlich flächendeckende Kar-tierungen.

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Bereits in der 1960er Jahren lagen die Forschungsschwerpunkte des Lehrstuhls für Alte Ge-schichte an der Universität Bern auf der Erforschung von römischen Reichsstraßen wie z. B. Meilensteine, Bauherren oder Finanzierung (Pekáry 1968, Frei-Stolba et al. 2004). Heinz Herzig, seit 1980 Professor in Bern, legte schließlich den Grundstein für die Erforschung von histori-schen Wegen in der gesamten Schweiz.

Das Inventar historischer Verkehrswege der Schweiz (IVS) war ein weltweit einmaliges Projekt, das von 1984 bis 2003 eine kartografische und beschreibende Bestandsaufnahme von Straßen und Wegen erstellte, die aufgrund ihrer historischen Verkehrsbedeutung oder der erhaltenen historischen Bau-substanz von lokaler, regionaler oder nationaler Bedeutung sind. Ziel war eine Planungsgrundlage, um im Sinne des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz der Schweiz die Inventarobjekte zu schützen bzw. eine angepasste Nutzung vorzuschlagen. Obwohl hohe finanzielle Mittel über einen lan-gen Zeitraum eingesetzt wurden, musste die Erfassung auf Hauptrouten bzw. denkmalwürdig Straßen beschränkt werden. „Es ist schlicht unmöglich, den ganzen Kanton flächendeckend zu bearbeiten“ (Stromer et al. 2003, S. 40). Der Schwerpunkt lag auf „dem in die Gegenwart tradierten, in der heuti-gen Landschaft noch sichtbaren Bestand an Elementen früherer Verkehrswege“ (Doswald 2003, S. 3). Abb. 11: Ausschnitt „Bundesinventar der historischen Verkehrswege der Schweiz (IVS)“, Abfrage vom 24.10.2018

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Die eingesetzte historisch-geographische Methodik beruhte auf den Arbeiten von Denecke, wurde von Professor Klaus Aerni (Geographisches Institut, Universität Bern) weiterentwickelt und umfasste historische Analysen mit umfangreichen Auswertungen der zahlreichen histo-rischen Kartenwerke und Einzeldarstellungen, sowie Sekundärliteratur und editierte Quellen. Auch die rückschreibende Vorgehensweise wurde eingesetzt. Das umfangreiche Methodik-handbuch für die Erfassung im Gelände (Bundesamt für Strassen 1999) sowie ein Datenmodell für die Inventarkarte (Bundesamt für Strassen 2007) setzten neue Maßstäbe.

Als Projektergebnisse liegen zum einen Übersichtsbeschreibungen der historischen Ver-kehrsentwicklung als sogenannte Kantonshefte vor (z. B. Stromer et al. 2003) und zum ande-ren das detaillierte Straßeninventar, das kostenfrei unter http://www.ivs.admin.ch abgerufen werden kann. Für alle untersuchten Straßen sind z.  T. mehrseitige Streckenbeschreibungen vorhanden (Abb. 11). Nachfolgende Forschungsprojekte

Für den Aufbau des landesweiten Geographisches Informationssystem mit historischem Schwer-punkt „GIS-Dufour“ (Egli et al. 2005) wurde zwischen 2004–2006 das komplette Verkehrsnetz (Straße, Schiene, Wasserwege) der Schweiz aus dem Kartenwerk „Dufour“ um 1900 digital er-fasst. Zusätzliche Attribute wurden aus dem Verkehrsangebot und der Verkehrsinfrastruktur von 1750 bis 1910 digitalisiert. Ziel war die Abfrage- und Visualisierungsmöglichkeit zur Rekons-truktion des Auf- und Ausbaus der überörtlichen Verkehrsinfrastruktur. Daran anschließend untersuchte Flury mithilfe der Netzwerkanalyse die Erreichbarkeiten und Raumstrukturen in der Schweiz des 19. Jahrhunderts zwischen dem Kunststraßen- und Eisenbahnbau (Flury 2009).

Eine diachrone Regionalstudie zum Verkehr im Fürstbistum Basel von der Antike bis zum Eisenbahnbau legte Tanner vor (Tanner 2007). Anhand der Siedlungsentwicklung, historischen Karten, Reiseberichten und schriftlichen Quellen zum Straßenbau wurde das Verkehrsnetz zu bestimmten Zeitschnitten rekonstruiert und die geopolitische Dynamik nachvollzogen.

Die Ergebnisse des IVS bedingten auch neue kritische Diskussionen bezüglich der bisherigen Römerstraßen-Forschung in der Schweiz (Herzig 2005). Einmalig ist die vollständige Kartie-rung von bekannten, archäologisch nachgewiesenen Straßenresten in einer großen Siedlungs-kammer und deren Vergleich mit anderen Fundgattungen wie Meilensteinen und Itinerarien (Bolliger 2005a).

Die Stiftung für Verkehrsgeschichte ViaStoria (https://www.viastoria.ch) setzt die Tradition der historischen Straßen- und Wegeforschung in der Schweiz fort (Schiedt et al. 2007). Neuer Schwerpunkt ist die Nutzung der IVS-Daten für nachhaltigen Tourismus über das Programm „Kulturwege Schweiz“.

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Neben der Altstraßenforschung wird das Landschaftselement Straße/Weg von zahlreichen Wissenschaftsdisziplinen untersucht. Der folgende Überblick zeigt das umfangreiche Spek-trum von den Analysen der physischen Wegeform bis zu Verkehrswegen im übertragenen Sinn (vgl. Tab. 3). (Historische) Geographie

Der in den Jahren 1972 bis 1988 von der Kommission für geschichtliche Landeskunde her-ausgegebene „Historische Atlas von Baden-Württemberg“ umfasst neben über 100 themati-schen Karten zur Landeskunde auch einige wegebezogene (https://www.leo-bw.de/themen/ historischer- atlas-von-baden-wurttemberg). Im Bereich Verkehrsgeschichte werden das Wissen zu Geleitstraßen um 1550, Postrouten ab 1490 und das Hauptstraßennetz um 1855 visualisiert (Abb. 12). In den Übersichtskarten zur römischen Besiedlung werden ebenfalls die bekannten bzw. vermuteten Römerstraßen dargestellt.

Abb. 12: Ausschnitt „Postrouten (Postcourse) in Baden-Württemberg 1490–1803“

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Verkehrswege und ihre Bedeutung für die Kulturlandschaft thematisiert die Schwerpunktaus-gabe 1986 der Buchreihe Siedlungsforschung des Wissenschaftsvereins Arbeitskreis für histori-sche Kulturlandschaftsforschung in Mitteleuropa (ARKUM, Fehn et al. 1986). Im langjährigen Forschungsprojekt „Tabula Imperii Byzantini“ (Östereichische Akademie der Wissenschaften) zur Erstellung eines Atlas des byzantinischen Reiches wurden auch die Verkehrswege als Teil der Kulturlandschaft aus historischen Karten und Reiseberichten erfasst (Hild 2014). Eher sel-ten sind Auswertungen von Routen für spezielle Fragestellungen (z. B. historische Karten von Pilgerstraßen Kupčík 1992, Breier 2013a).

Im Bereich der Altlandschaftsforschung und speziell bei der Auswertung von historischen Karten kommt den Wegen als meist persistenten Landschaftselementen oft eine wichtige Rolle bei der digitalen Erfassung zu (z. B. Schumacher 2006, Walz et al. 2011).

In Sachsen hat die Altstraßenforschung eine lange Tradition und wurde u. a. durch die zahl-reichen und umfangreichen Publikationen des Historikers Rainer Aurig geprägt (Aurig 1989, Aurig 2007). Archäologische Wissenschaften

Die archäologischen Wissenschaften zeigen heute die größte Vielfalt an Forschungen mit dem Objekt „Straße“. Mit dem physischen Element beschäftigen sich z. B. räumliche, zeitliche und bauhistorische Fragestellungen zu Bohlenwegen (Heumüller 2002), punktuelle Untersuchungen von Römerstraßen bei Ausgrabungen (Blöck 2016) oder hallstattzeitliche Brückenforschungen (Schußmann 2012).

Auch der genaue Verlauf von Straßen wird in Forschung häufig thematisiert (Fingerlin 1984, Jankuhn 1989). Üblich sind Rekonstruktionen von römischen Routen anhand von Grabungs-befunden, Meilensteinen und Iternerarien (Rathmann 2003, Bolliger 2005b). Ein spezieller und gut untersuchter Forschungsbereich sind die überregionalen Verkehrsnetze „über die Alpen“ (Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg 2002).

Frühe Verkehrsmittel wie Schleifen, Schlitten, Rad und Wagen und deren archäologischen Befundsituationen werden ebenfalls untersucht (Köninger et al. 2002, Burmeister 2016b). Im Fokus der letzten Jahre stand der Nachweis räumlicher Beziehungen durch z. B. keramische Fremdformen (Hafner et al. 2016a), ortsfremder Rohstoffe oder Importgüter (Denecke 2007b, Scharl 2010, Heitz et al. 2016). Darauf aufbauend entstehen Fragestellungen zu Handelskon-takten, Kulturströmungen oder auch Wanderungsbewegungen (Heitz et al. 2016, Scharl et al. 2017). Aufgrund der spektakulären Ergebnisse der Paläogenetik liegt beispielsweise seit 2009 ein Schwerpunkt der Universität Köln auf der Ausbreitung und Mobilität des modernen Menschen aus Afrika (SFB/CRC 806 „Our Way to Europe“).

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Seit vielen Jahren visualisieren Archäologen nicht nur ihre Forschungsergebnisse mit Geo-graphischen Informationssystemen, sondern nutzen auch weitere IT-Programme für ihre Frage-stellungen. Oft werden neueste Forschungen auf der Computer Applications and Quantitative Methods in Archaeology Conference (CAA) vorgestellt. Thema sind vor allem Least-Cost-Mo-dellierungen (Herzog 2016, Herzog 2013) oder Auswertungen von LiDAR-Oberflächen (Hesse 2012). Alte Geschichte

Die Identifizierung und Untersuchung von Römerstraßen anhand von historischen Kartenwer-ken, Inschriften und Meilensteinen aber ohne Berücksichtigung archäologischer Befunde ist in der Forschung weit verbreitet (Bender 1975, Walser 1983, Rathmann 2003).

Untersuchungen und Darstellungen von Wegen und Straßen zur Zeit der klassischen Antike sind selten (Hitzer 1971, Alcock et al. 2012). Meist beziehen sie sich die Forschungen auf den Handel (Düwel 1985), z. T. mit räumlichen Analysen und Betrachtungen von Handelsstütz-punkten bzw. deren Erschließung und Verbindungen in das Hinterland (Dally et al. 2012). Ein weiteres Thema nimmt die Beschreibung der Reisekultur ein (Casson 1976, Olshausen et al. 2002). Geschichte

Straßen und Wege werden immer wieder aus historischer Sicht beleuchtet. Zum einen wer-den häufig zeitliche Schwerpunkte gesetzt, wie z. B. Straßen- und Verkehrswesen im ho-hen und späten Mittelalter (Schwinges 2007), Verkehr am Oberrhein im Mittelalter und in der frühen Neuzeit (Ohler 2000), Bibliographie zur Verkehrsgeschichte Deutschlands im Mittelalter (Simon 1985) oder allgemeine Aspekte des Verkehrswesens (Andermann et al. 2018).

Zum anderen wird das Straßennetz als Faktor für die zeitliche Entwicklung von Kultur-landschaft, Infrastruktur und Herrschaftspolitik untersucht: ottonische Herrschaft in Thü-ringen 919–1024 (Fütterer 2016), Kurfürstentum Sachsen 1648–1800 (Gränitz 2006) und Baden-Württemberg (Würtz 1970). Im Bewusstsein der historischen Raumerfassung und Raumdurchdringung werden am Rande auch Wege thematisiert (Moraw 2002). Interessant sind Untersuchungen zu echten Kontinuitäten von Verkehrsverbindungen von Spätantike zu Frühmittalter wie z. B. im Umland der römischen, später Bischofsstadt Toul in Lothringen (Bönnen 1997).

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Im Bereich der Verkehrsgeschichte sind zunächst die langjährigen Forschungen und Publikati-onen am Lehrstuhl Wirtschafts-, Technik- und Verkehrsgeschichte der Technischen Universität Dresden zu nennen. „Zu Wasser und zu Lande“ von Frau Professorin Rehbein gilt als Standard-werk (Rehbein 1984). Thematisiert werden Straßenbau, Mobilität, Automobil- und Eisenbahn-geschichte.

Grundlegende Zusammenfassungen zur Themenvielfalt legten Merki und Schiedt für die Schweiz vor: vom Verkehr des Reisens und Mobilität zu allen geschichtlichen Epochen zu Land, Wasser und in der Luft verbunden mit Technik-, Tourismus- und Konsumgeschichte, Wirt-schafts- und Unternehmensgeschichte, Transportgeschichte (Schiedt 1999, Merki 2008, Schiedt et al. 2010). Ein Forschungsschwerpunkt bildet auch Geschichte der Kommunikation und des Transports: z.  B. neuzeitliches Postwesen (Behringer 2003) oder vergleichende Transportge-schichte von Europa (Sieferle 2008). Kulturgeschichte

Kulturwissenschaftliche Untersuchungen spiegeln die Vielfalt des Objekts „Straße“ wider, be-ginnend von „einer kleinen Geschichte der menschlichen Fortbewegung“ (Kemper 1997, Klap-pentext) mit Beiträgen zu historischen und neueren Transportmitteln bzw. fünftausend Jahre Kultur- und Technikgeschichte von Achse, Rad und Wagen (Treue 1986).

Aus der Sicht der Kunst- und Sozialgeschichte, Volkskunde, Kultur- und Rechtsgeschichte werden Verkehrswege betrachtet, da sich viele Aspekte des Alltags direkt oder indirekt „auf der Straße“ abspielen (Bausinger et al. 1999, Jaritz 2001).

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Tab. 3: Ausgewählte (inter-)disziplinäre Fachtagungen und Kolloquien zum Thema Straße, Verkehr und Handel

Die Römerstraßen sind auch in der Staatlichen Denkmalpflege häufig Objekt von aktuellen Ausgrabungen, z.  B. Hohenstadt (Landkreis Göppingen, Scheschkewitz 2017), Oberndorf (Landkreis Rottweil, Kortüm 2014), Schorndorf (Rems-Murr-Kreis, Feigel 2015). Besonderes Highlight waren beispielsweise der Nachweis einer Römerstraße über die Verteilung von 6000 Schuhnägeln (Scheschkewitz 2017) oder der Schnittpunkt einer älteren und jüngeren Römer-straße (Kortüm et al. 2018).

Mit der Untersuchung einer gemeldeten „Römerstraße“ beschäftigt sich die Archäologische Denkmalpflege manchmal auch außerhalb von Ausgrabungen (Schmid 2010). Der nach Unter-suchungen als spätmittelalterlich eingestufte Weg von Pliezhausen-Rübgarten ins Neckartal wurde aufgrund der lokalen Steinpflästerung und anderer Wegbauten und der guten histori-schen Überlieferung als Kulturdenkmal ausgewiesen.

In Baden-Württemberg bisher einmalig ist die detaillierte Untersuchung der sogenannten Eschelbacher Steige bei Neuenstein-Eschelbach und Waldenburg (Hohenlohekreis) über ca. 15 km. Neben der Freilegung von Pflasterstücken und Spurrillen wurde der Hauptanstieg mit seinen sehr zahlreichen parallelen Hohlwegen von 700 m exakt im Gelände vermessen und to-pographisch beschrieben. Zusätzlich konnte die wechselvolle Geschichte der vielleicht bereits mittelalterlichen Straße durch umfangreiche Archivalien ab ca. 1600 dokumentiert werden (Gross et al. 2010).

Auch der jährliche Tag des offenen Denkmals nahm sich 2010 dem Objekt „Straße“ indirekt an (Kultur in Bewegung – Reisen, Handel und Verkehr) und bot Veranstaltungen zu vielen The-men wie Pilgerwege, Wallfahrtsorte und Herbergen, Verkehrsmittel, Orte des Handels, Poststa-tionen und Gasthäuser, Straßen- und Eisenbahnnetze, Wasserstraßen. Bürgerwissenschaftliches Engagement („Citizen Science“)

Wie bereits seit den Anfangsjahren der Straßenforschung ist das Interesse von Heimatforschern und Ehrenamtlichen an historischen Wegen auch heute noch groß. Eine lange Tradition von hei-matkundlichen Arbeiten gibt es vor allem in Thüringen durch den Heimatbund Thüringen und seiner AG Altstraßen in Südthüringen. Neben zahlreichen Publikationen (beispielhaft Hein-ke 2012, Köhler 2017) fand z. B. 2017 das Kolloquium „Auf den Spuren alter Straßen – Neue methodische Ansätze und Forschungen“ statt. In Niedersachsen kartierte der Niedersächsische

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Heimatbund zwischen 2015 und 2018 „die 500 schönsten und wertvollsten Alleen“ (http://www.alleen-niedersachsen.de). Im Rahmen des professionell geführten Archäologischen Spessart-projektes wurde auch eine der wichtigen mittelalterlichen Fernhandelswege durch Unterfran-ken beleuchtet „Über die Birkenhainer in die Welt – Die Erforschung einer Straßenlandschaft“ (Tagung 2014 in Lohrhaupten).

Natürlich spielen die sichtbaren Römerstraßen immer noch eine große Rolle, sei es als Unter-suchungsobjekt vor Ort (z. B. Stern 1994) oder in der populärwissenschaftlichen Literatur (z. B. Schwarz 2006, Klee 2010, Esch 2011). Römerfeste, Führungen und Aktionstage und Reiseführer entlang der ehemaligen Römerstraße Neckar-Alb-Aare von Frauenfeld bzw. Windisch (Schweiz) über Rottweil nach Köngen werden heute gemeinsam touristisch vermarktet (http://www.roe-merstrasse.net/). Mit Angeboten in Facebook und Twitter bzw. der Smartphone-App ist auch der Mythos Römerstraße im 21. Jahrhundert angekommen.

2.3 Forschungsfelder

Seit vielen Jahren hat sich die Erforschung von Verkehrswegen durch neue Fragestellungen („Spatial Turn“, „Zentrale Orte“) oder neue technische Möglichkeiten vor allem aus der Geoin-formatik weiterentwickelt und diversifiziert. Bedingt zusätzlich durch die untersuchten Objekte und Skalenbereiche ergeben sich heute im Wesentlichen vier Forschungsrichtungen, die im Fol-genden beschrieben werden (Tab. 4). Im Gegensatz zu rein historischen Studien zu Kommuni-kationswegen oder Handel beschäftigen sich diese Felder weiterhin mit dem physischen Objekt „Straße“ oder mit der Suche danach.

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Tab. 4: Übersicht Forschungsfelder

Die klassische Altstraßenforschung (s. Kap. 2.2.2) bezieht sich immer auf Relikte von Altwegen, auf das physisch vorhandene Landschaftselement. Der zeitliche Untersuchungsrahmen kann so-wohl historische als auch prähistorische Epochen umfassen. Das jeweilige Forschungsthema be-dingt die Auswahl der Quellen und den Betrachtungsmaßstab. Aufgrund des hohen Aufwands für intensive Geländeaufnahmen beschränkt sich die Forschung eher auf die lokale bis maximal regionale Ebene (Jäger 1996).

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Ziele sind die Entdeckung von Relikten, nachweisbare bzw. vermutete Beziehungen zwischen der Altstraße und Kultur- und Naturobjekten der Umgebung, die Analyse der historischen We-gelandschaft und die Beschreibung des Wandels von Kulturlandschaften. Diese Informationen werden nachrangig für die Heimatforschung ausgewertet bzw. dienen als Grundlage für die amtliche Denkmalpflege. Vorgehensweise

Die beschriebene Vorgehensweise basiert im Wesentlichen auf den Standardwerken von Dene-cke bzw. Jäger (s. Kap. 2.2.2.) und für die archäologischen Epochen auf der Arbeit von Blöck zur römerzeitlichen Besiedlung im Oberrheingebiet (Blöck 2016).

• Erfassung oberflächlicher Relikte bzw. archäologischer Befunde

• Kartierung von datierbaren Wegbegleitern (s. Kap. 2.1.)

• Ergänzungen der bekannten Strecken über Auswertung von historischen Karten, Luftbildern, LiDAR-Daten

• Rekonstruktion von Abschnitten zwischen bekannten Zielen bzw. Wegbegleitern entlang der kürzesten Verbindungslinie zwischen diesen Orten anhand von Wegekriterien, Wiederent-deckung von oft noch unverbauten Relikten

• Rückschreibung von Abschnitten aus kleinmaßstäbigen Karten

• Verifizieren im Gelände

• Zeitliche Zuordnung von Wegstrecken und statistische Beschreibung des Wandels Quellen (nach Jäger 1996, Denecke 2002, Beck et al. 2007, Schenk 2011)

• Geographische Quellen: geomorphologische Kleinformen, archäologische Befunde (z.  B. wüste Siedlungs- und Wirtschaftsplätze, Bohlenwege, Hohlwege, Geleise, Brücken, Befesti-gungen, Terrassierungen)

• Kartographische Quellen: historische bzw. topographische Karten, aber auch Fachkarten, z. B. Forstpläne

• Schriftliche Quellen: Meilensteine, Ortsnamen, Flurnamen, Archivalien, Reisebeschreibun-gen, Geleitstraßen, Grenz- und Wegebeschreibungen

• Bildliche Quellen: Luftbilder, Ortsansichten, Fotos, LiDAR-Daten

• Naturwissenschaftliche Quellen: z.  B. Pollenanalyse, Dendrochronologie, geomagnetische Messungen

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Die Hauptprobleme der Altstraßenforschung wurden im Kapitel 2.2.2 ausführlich diskutiert und beziehen sich vor allem auf den hohen Erhebungsaufwand bei einem gleichzeitig klein-räumigen Aussagewert und auf die oft sehr frei rekonstruierten Strecken ohne nachvollziehbare oder datierbare Objekte. Für die archäologische Forschung stellt zudem die LiDAR Technik eine Herausforderung dar. Ohne Fach- und Ortskenntnis können moderne Kabel- und Drainage-gräben als römische Straßenbegleitgräben oder neuzeitliche Bodeneingriffe z. B. als Verschan-zungen interpretiert werden (Beck et al. 2007). Ein bereits altes Problem ist die immer wieder postulierte, aber meist nicht belegte Indikatorfunktion für römische Straßen über Flurnamen. Beispiele Beispielhaft seien hier die Habilitationsschrift an der Österreichische Akademie der Wissen-schaften über die historisch-geographische Untersuchung der Altstraßen in Mazedonien zwi-schen Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Popović 2014) und die archäologische Dissertation über die nachrömischen Wegenetzveränderungen in Niederösterreich (Klammer 2012) genannt. 2.3.2 Historisch-geographische Untersuchungen von (vorhandenen) Straßennetzen (Netzwerkanalyse) Dieses Forschungsfeld beschäftigt sich mit größeren Wegenetzen. Dem einzelnen Abschnitt kommt nur die Rolle zu, zwischen Fixpunkten eine Verbindung herzustellen, die bestimmte Netzwerk-Eigenschaften besitzt. Im Sinne der zugrundeliegenden Graphentheorie werden diese als Kanten, die Fixpunkte als Knoten definiert. Beiden Elementen werden logisch beschreibbare Eigenschaften zugeordnet wie z. B. Umsteigemöglichkeit (Knoten) oder Einbahnstraße mit Ge-fälle (Kante). Folgende Fragen können mit diesen Informationen und den Algorithmen der weit verbreiteten GIS-gestützten Netzwerkanalyse beantwortet werden:

• Sind Start- und Zielpunkt gegeben, können je nach Zeitvorgabe oder Einbeziehungen von bestimmten Knoten z. B. die schnellste oder „schönste“ Strecke berechnet werden (vgl. Auto-routenplaner, Wanderrouten)

• Ist nur der Startpunkt und eine Zeit- oder Distanzangabe vorhaben, werden Knoten im Netz-werk gefunden, die diesen Kriterien entsprechen („Standortsuche“), z. B. Einzugsgebiete, Er-reichbarkeiten

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Ziele sind zunächst statistische Auswertungen wie Verkehrsmenge, Verkehrsrichtung, Hinder-nisse, zeitliche und räumliche Verteilung und ggf. das Verhalten unterschiedlicher Verkehrs-teilnehmer. Aus historischer Sicht lassen sich hierdurch Fragestellungen aus der Verkehrsgeo-graphie bzw. Verkehrsgeschichte gezielter untersuchen. Vorgehensweise

Im Gegensatz zu aktuellen Fragestellungen zur Verkehrsplanung und zum Verkehrsmanage-ment und den modernen Erfassungsmöglichkeiten mittels GPS müssen in Forschungen zu his-torischen Epochen andere Quellen und Methoden eingesetzt werden, wie am Beispiel Verkehrs-entwicklung in der Schweiz zwischen 1750 und 1910 (Abb. 13, Flury 2009):

• Scannen und Georeferenzierung von verfügbaren Altkarten

• Digitalisieren der Hauptstraßen und Eisenbahnen für mehrere Zeitschritte mithilfe der Alt-karten

• Digitale Erfassung von Attributen wie Art des Belags, Steigung, Gültigkeitsdauer der Merk-malsausprägung aus Literaturangaben/Fahrpläne

• Knotenpunkte in Siedlungen mit Attributen wie Umsteigemöglichkeiten, Wartezeiten aus Archivalien

• Analysen und Auswertungen der Strukturmerkmale (z.  B. Knotenarten, durchlaufende Wege, kürzester Weg) bzw. des eigentlichen Netzes (z. B. Umwege, Wegdichte, Häufigkeit der Begehung, Verbindung mit der geringsten Knotenzahl) Quellen

• Geographische Quellen (digitale Geodaten): Wegenetz, Lage der Knoten

• Kartographische Quellen: historische bzw. topographische Karten

• Schriftliche Quellen: Vorschriften für Verkehrsströme, Fahrtrichtung, Gewichtung der Kan-ten, Geschwindigkeit, Umsteigemöglichkeiten Probleme und Defizite

Um Analysen durchführen zu können, sind digitale Geodaten erforderlich. Gerade für histori-sche Epochen müssen die Wege aus Altkarten und die Eigenschaften von Knoten und Kanten aus Archivalien zunächst mit hohem Aufwand erfasst werden. Gute Aussagen können allerdings

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nur für die letzten 200 Jahre erwartet werden, da hier schrift liche Belege in ausreichender Quali-tät und Menge zur Verfügung stehen.

Abb. 13: Beispiel Forschungsfeld „Netzwerkanalyse“: Erreichbarkeit ausgewählter Orte in der

Schweiz 1800, 1870 und 1910 durch Individualverkehr Beispiele

Aufgrund der genannten Schwierigkeiten sind Forschungen zu diesem Th ema eher selten. Ein besonderes Beispiel aus der Zeit vor den automatisierten Bearbeitungsmöglichkeiten über GIS-Anwendungen sind die Untersuchungen zu ungeplanten Siedlungen am Institut für Leichte Flächentragwerke der Universität Stuttgart (Schaur 1992). In ihrer Dissertation untersuchte Schaur neben den eigentlichen Siedlungsfl ächen die charakteristischen Merk-male der innerörtlichen Wegenetze von 18 kleineren Orten überwiegend in Afrika, der Tür-kei und Italien.

Bereits mit dem Werkzeug GIS wurde die Transportinfrastruktur für England und Wales für die Jahre 1379–1729 erfasst (Satchell 2012). Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe an der

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Universität Cambridge untersucht hierbei den Zusammenhang des Ausbaus von Verkehrsnet-zen mit den strukturellen und geographischen Veränderungen von Arbeits- und Wohnstätten.

Der klassische Forschungsschwerpunkt liegt aber eindeutig auf der Suche nach dem besten Wegeverlauf über die Tobler’s Hiking Function (Tobler 1993). Der heute in allen digitalen Wan-derroutenplanern eingesetzte Algorithmus beschreibt die Abhängigkeit der Laufgeschwindig-keit von der Neigung des Geländes. Untersucht wurde damit z. B. eine prähistorische Straße in Amerika und der Vergleich zu alternativen Routen (Kunitz et al. 2017).

In der Archäologie beschäftigen sich weitergehende Ansätze der Netzwerkanalyse nicht mehr mit dem physischen Element „Straße“, sondern z. B. mit modellierten Trassen aus dem Bereich Predictive Modelling (s. Forschungsfeld 4, Groenhuijzen et al. 2016). Andere Unter-suchungen beschreiben einfache Verbindungslinien zwischen bekannten archäologischen Siedlungen als Kanten und versuchen Kommunikation und Verkehr auf einer abstrakten Ebene zu bestimmten („Soziale Netzwerkanalyse“, z.  B. Müller 2009). Hier ist bereits der Fokus weg von der Straßenforschung zugunsten der Siedlungsforschung verschoben (s. For-schungsfeld 3). 2.3.3 Rekonstruktion bzw. Visualisierung von Wegen anhand von archäologischen Funden und historischen Quellen

Das Landschaftselement „Straße“ besitzt durch die Ausgangs- bzw. Zielorte und die weite Ent-fernungen überwindenden Trassen eine hohe Raumwirksamkeit (Schenk 2011). Anhand von räumlichen Fixpunkten wird deshalb in diesem vielfältigen Forschungsfeld versucht, nicht sichtbare bzw. physisch noch unbekannte Wege zu rekonstruieren. Die eigentliche Linien-führung spielt hier meist ebenso wenig eine Rolle wie die potenziellen Relikte im Gelände. Im einfachsten Fall werden Wege in Karten als Illustration von räumlichen politischen oder wirtschaftlichen Zusammenhängen dargestellt, im komplexeren Fall anhand umfangreicher Quellenarbeit rekonstruiert. Die Untersuchungen umfassen alle prähistorischen und histori-schen Epochen, der Schwerpunkt lag in den letzten Jahren aber eindeutig im Bereich Archäo-logie und dort im Speziellen im Gebiet der „Zentralen Orte“-Modelle der Siedlungsforschung (Nakoinz 2012a).

Ziele sind die kartographische Darstellung, das Erkennen von räumlichen Zusammen-hängen zwischen bekannten Objekten und das Postulieren von Verbindungslinien/Wegen. Je nach Fragestellung und zeitlicher Betrachtung liefern diese Karten Grundlagen für das Ver-ständnis der Raumdurchdringung, Wirtschafts- und Verkehrsgeschichte und des Kulturland-schaftswandels.

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Je nach Umfang der Untersuchungen kann zwischen Visualisierung und Rekonstruktion unter-schieden werden:

Visualisierung

• Ggf. Scannen und Georeferenzierung von Altkarten

• Erfassen von archäologischen Funden und Befunden bzw. Digitalisieren der Fixpunkte mit-hilfe von kartographischen, schriftlichen und bildlichen Quellen

• Digitalisieren der potenziellen Wege als einfache „Striche“ (virtuelle „Verbindungsachsen“)• Ggf. einfache Streckenbeschreibungen

Rekonstruktion

• Ggf. Scannen und Georeferenzierung der Altkarten

• Erfassen von archäologischen Funden und Befunden bzw. Digitalisieren der Fixpunkte mit-hilfe von kartographischen, schriftlichen und bildlichen Quellen

• Digitalisieren der potenziellen Wegeverläufe zwischen den Belegpunkten anhand der Quel-lenlage, meist auf Grundlage historischer Karten Quellen

• Kartographische Quellen: historische bzw. topographische Karten, aber auch Fachkarten, z. B. Forstpläne, Flurnamen

• Schriftliche Quellen: Meilensteine, Ortsnamen, Archivalien, Reisebeschreibungen, Itinera-rien, Geleitstraßen, Grenz- und Wegebeschreibungen

• Archäologische Quellen: Funde und Befunde

• Bildliche Quellen: Luftbilder, Ortsansichten, Fotos, LiDAR-Daten Probleme und Defizite

Je nach zeitlicher Epoche müssen zunächst archäologische Funde und Befunde bzw. schrift-liche Quellen (teilweise mit umfangreicher Archivforschung inkl. Transkription) aufwendig digital erfasst werden. Hierbei sind die räumliche und zeitliche Zuordnung der Fixpunkte oft mit Schwierigkeiten verbunden. In der Regel erfolgt nach den hypothetischen Entwürfen keine

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Validierung im Gelände. Die Aussagekraft mancher, über viele Kilometer ohne Belegpunkte re-konstruierter Wege muss deshalb in Frage gestellt werden.

Auch die Rekonstruktion von überregionalen „Handelsstraßen“ in prähistorischen Epochen auf Grundlage von Importen, Münzen oder Hortfunden sieht Denecke nur für einen generali-sierten Maßstab als unkritisch an (Denecke 1996). Beispiele

Visualisierungen von Wegen in historischen Epochen finden sich in zahlreichen Publikatio-nen. Die Verkehrsgeschichte rund um Windisch (CH) von der Vorgeschichte bis zur Moderne (Müller-Lhotska 1993) sei als Beispiel für lokale Untersuchungen genannt. Umfangreicher sind Beschreibungen bzw. Rekonstruktion von meist mittelalterlichen Handels-, Heer- und Königs-wegen wie z. B. Königsstraße und Königsgut (Rieckenberg 1965), Kniebisstraße (Schüz 1996), Via Regia (Stubenvoll 1990) oder die Salzhandelsstraße Goldener Steig (Kubů et al. 2013).

Es werden spezielle Aspekte wie der Chausseebau ab dem 18. Jahrhundert thematisiert (Wun-der 1999, Kessinger 2011) oder großflächige Untersuchungen der Verkehrsgeschichte dargestellt (Würtz 1970, Leibbrand 1980, Schiedt 1998).

Beispielhaft für die Visualisierung von Verkehrswegen in prähistorischen Epochen seien die Il-lustrationen in der Publikation „4000 Jahre Pfahlbauten“ genannt. Diese umfassen z. B. die Ausbrei-tung der sesshaften Wirtschaftsweise von Kleinasien nach Mitteleuropa (Seidel 2016), zirkumalpine Kontaktwege (Köninger 2016) oder Verbreitung von Luxusgütern in Mitteleuropa (Petrequin 2016).

Mit Einsatz von modernen Methoden der Geoinformatik, der Graphen-Theorie und dem Mo-dell der Zentralen Orte beschäftigte sich Oliver Nakoinz. Er modellierte die Verkehrssysteme zwischen ältereisenzeitlichen Zentralorten in Südwestdeutschland als reine Verbindungselemen-te und als Werkzeug für die Siedlungsforschung (Abb. 14, z. B. Nakoinz 2012b, Nakoinz 2013).

Doneus unterstützte mit der Visualisierung von prähistorischen Wegenetzen mithilfe eines 0,5 m digitalen Geländemodells aus LiDAR-Daten das Projekt „Dokumentation und Rekonstruktion archäologischer Siedlungs-, Wirtschafts- und Verkehrsstrukturen in den Ostalpen“ (Doneus 2013).

Die Rekonstruktionen von Wegen im Bereich der archäologischen Wissenschaften sind meist auf römische Fernstraßen beschränkt und versuchen, Wege anhand der Tabula Peutingeriana, dem Itinerarium Antonini, Meilensteinen und Siedlungen zu ermitteln (z. B. Rathmann 2003, Bauer 2007, Nuber 2010). Oft erfolgt ein sehr freier Entwurf des Wegeverlauf, wenn ausschließ-lich und nur wenige archäologische Funde zur Verfügung stehen (Humpert 1995, Pfefferle 2015). Als Besonderheit sei hier die Dissertation von Christof Schuppert erwähnt, der mit GIS-gestützten historisch-geographischen Untersuchungen im Umfeld ausgewählter frühkeltischer Fürstensitze auch Verkehrswege rekonstruierte (Schuppert 2013).

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Abb. 14: Beispiel Forschungsfeld „Rekonstruktion“: Graphen der Wege zwischen den eisenzeitlichen Fürstensitzen Heuneburg, Hohenasperg und Ipf (rote Punkte) mithilfe verschiedener Berechnungsmethoden. 2.3.4 Rekonstruktion von Wegen(etzen) mithilfe der GIS-gestützten Prognose (Predictive Modelling)

Ausgangspunkt dieses Forschungsfeldes ist die Annahme, dass der Mensch sein Verhalten grundsätzlich nach energieökonomischen Gesichtspunkten ausrichtet, u. a. auch die Fortbe-wegung (Surface-Evans et al. 2012). Die Fragestellung lautet also, welcher Weg ist der „kosten-günstigste“, um zu einer bestimmten Zeit durch einen gegebenen Raum von Punkt A nach B zu kommen („Weg des geringsten Widerstands“). Wichtige Parameter sind dabei die Bewe-gungsrichtung, Distanz, Reisedauer oder Barrieren. Vorhandene physische Wege spielen für die Modellierung keine Rolle.

Die Vorgehensweise beruht auf der in der Geoinformatik weit verbreiteten Methode der GIS-gestützten Standortsuche. In den Archäologischen Wissenschaft en wurde dieses Verfahren

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(„Predictive Modelling“) zunächst vor allem in der Suche nach noch unbekannten Siedlun-gen eingesetzt (Münch 2013, Ebersbach 2015). Für das deutschlandweit größte Projekt in Brandenburg zur Rekonstruktion ur- und frühgeschichtlichen Siedlungsverhaltens und an-thropogener Landschaftsgestaltung wurde der Begriff „Archäoprognose“ geprägt (Kunow et al. 2003).

Technisch basiert das Vorgehen auf einer Zuweisung der Kriterien auf Eigenschaften von Ras-terzellen. Der sogenannte „Least-cost Path“ (LCP) ergibt sich aus der Bewegung von einer Ras-terzelle zu der benachbarten mit den geringsten „Kosten“. Vergleichbar mit der Netzwerkanalyse (Kap. 2.3.2) können so die kostengünstige Strecke bzw. ganze Einzugsgebiete berechnet werden. Im Gegensatz zur Netzwerkanalyse mit ihren vorgegebenen Knoten ist mit diesem Methoden-ansatz jede beliebige Rasterzelle im Raum zugänglich.

Ziele sind den Kriterien entsprechende, potenziell benutzte Wegekorridore zwischen bekann-ten Fixpunkten im Raum. Die Bestimmung der exakten Linienführung im Gelände spielt da-bei keine Rolle. Diese Kartierung von archäologischen Verdachtsflächen ist besonders in bisher weitgehend unerforschten Gebieten interessant und kann einen gezielteren Einsatz der Archäo-logischen Denkmalpflege unterstützen (Doneus 2013). In der Forschung werden die ermittelten Wegekorridore oft zum Vergleich mit bereits bekannten Strecken aus der Altstraßenforschung herangezogen (Nakoinz 2012a). Vorgehensweise

Die beschriebene Vorgehensweise basiert im Wesentlichen auf Nakoinz 2012a, Surface-Evans et al. 2012, Münch 2013, Doneus 2013, Kunitz et al. 2017:

• Aufbau eines GIS mit archäologischen Fundstellen, naturräumlichen Geodaten und dem Di-gitalen Geländemodell (DGM)

• Definition der Rastergröße, d. h. räumliche Auflösung von ca. 10–100 m

• Festlegung der Standort- und Ausschlusskriterien:

ₒFaktoren, die vermutlich den Menschen bei der Wahl seiner Wege zu den untersuchten Epochen beeinflusst haben

ₒAuswahl weniger Parameter meist in Abhängigkeit der verfügbaren Geodaten, z. B. Hangneigung, Bodenverhältnisse, Hydrologie, Sonneneinstrahlung, Sichtbeziehun-gen, Höhenlage

ₒDefinition von Ausschlusskriterien wie z.  B. Flüsse als unüberwindbare Barrieren, Meidung von Mooren

• Berechnung von Wegkorridoren zwischen Start- und Endpunkt meist mithilfe der in GIS-Software enthaltenen Algorithmen Dijkstra und A*

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• Ggf. Validierung: in manchen Untersuchungen werden die Verdachtsflächen mit meist aus der Altstraßenforschung bekannten Wegen verglichen und bewertet. Quellen

• Geographische (digitale) Quellen: Digitales Geländemodell, naturräumliche Geodaten

• Archäologische Quellen: Funde und Befunde

• Ggf. Kartographische Quellen: historische bzw. topographische Karten Probleme und Defizite

Least-Cost-Path-Analysen sind heute in den archäologischen Wissenschaften weit verbreitet, werden aber oft unkritisch eingesetzt (Münch 2008). Manchmal ist das Ziel augenscheinlich eher die Ausreizung der technischen Möglichkeiten als die Beantwortung von Forschungsfra-gen. In einigen Untersuchungen wurde das archäologische Problem sozusagen auch „übermo-delliert“ (Surface-Evans et al. 2012).

Das erzielte Ergebnis hängt zunächst von der Größe der Rasterzellen ab. Oft stehen aus Kos-tengründen nur frei zugängliche und deshalb größere Gitterabstände zwischen 50 und 100 m zur Verfügung. Bei großen Untersuchungsgebieten wird oft trotz Verfügbarkeit einer feineren Auflösung eine gröbere verwendet, um die Rechenzeiten nicht übermäßig zu erhöhen (Herzog 2008).

Im Allgemeinen werden verschiedene kommerzielle GIS-Programme zur Berechnung ein-gesetzt. Die Konfigurationseinstellungen sind meist sehr umfangreich und unterscheiden sich häufig von Programm zu Programm (z. B. Berücksichtigung der Bewegungsrichtung oder Bar-rieren). Genaue und transparente Angaben, welche Parameter mit welcher Gewichtung in wel-chem Verfahren und Reihenfolge eingesetzt werden, sind nicht vorhanden. Bei gleicher Model-lierung können so unterschiedliche Ergebnisse erzielt werden (Herzog 2008).

Bei der Auswahl der Kriterien besteht zunächst das grundsätzliche Problem, dass keine Daten für historische oder gar prähistorische Epochen digital vorliegen. Je nach Größe des Untersu-chungsgebietes und der zur Verfügung stehenden Projektressourcen wird mehr oder weniger Aufwand in die Rekonstruktion der früheren, oft stark veränderten Landschaftszustände inves-tiert und dadurch digitale Geodaten für die Modellierung generiert (Beispiel Ebersbach 2015). Üblicherweise werden aber leicht zugängliche rezente Geodaten eingesetzt. Dies wird als An-näherung verstanden (z. B. Breier 2013b, Doneus 2013), bei der konkreten Auswertung der Er-gebnisse spielt diese Einschränkung allerdings oft keine Rolle mehr.

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Surface-Evans beschreibt drei Kategorien von Kriterien: Umwelt/Landschaft, Kultur und Physiologie des Menschen (Surface-Evans et al. 2012). Die Auswahl der Kriterien, deren Form und Kombinationen hängt primär von der Fragestellung ab, meistens aber davon, welche Da-ten zur Verfügung stehen. Aufgrund der eingeschränkten Auswahl an passenden Geodaten wird in der überwiegenden Mehrzahl der Untersuchungen deshalb nur die vom Digitalen Geländemodell abgeleitete Hangneigung als Kriterium eingesetzt, was bereits früh zu Kritik führte (Wheatley et al. 2002). Andererseits sind mögliche Ausschlusskriterien wie heilige Orte oder Grenzen von Territorien nicht tradiert und damit auch nicht mehr rekonstruierbar. Ein transparentes Vorgehen der Standortsuche mit der technischen Umsetzung von ausgewählten Kriterien wurde im Vergleich zu Siedlungen (z. B. Ebersbach 2015) bisher kaum durchgeführt (z. B. Doneus 2013). Beispiele

Die Publikationen im Forschungsbereich „predictive modelling“ mit Fokus Siedlungsfor-schung sind nahezu unüberschaubar, Veröffentlichungen zu Verkehrswegen sind im Verhält-nis dazu relativ selten. Vor allem die niederländischen Forscher Philip Verhagen und Rowin van Lanen prägen seit Jahren dieses Forschungsfeld. Verhagen testete die Methodik und Vor-gehensweise für die Suche nach Wegekorridoren und Erreichbarkeiten und verglich sie mit der bis dahin üblichen Netzwerkanalyse (Verhagen 2010, Verhagen et al. 2013). Van Lanen modellierte z. B. spätantike Wegekorridore in den Niederlanden anhand von verschiedenen naturräumlichen Kriterien im kleinen Maßstab (van Lanen et al. 2015a) bzw. von bekannten römischen Gräbern und Siedlungen unter Berücksichtigung von Wasserwegen (van Lanen et al. 2015b).

Mit der mathematisch orientierten Weiterentwicklung der eingesetzten Methoden beschäftigt sich Irmela Herzog vom LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland seit vielen Jahren: z. B. Anpassungen von Standortkriterien an bekannte Wege (Herzog 2008), kritische Diskussion des üblichen Einsatzes der Hangneigung (Herzog et al. 2011) oder der Einsatz von agenten-basierter Modellierung für die Migration von Jägern und Sammlern in unbekanntem Gelände (Herzog 2016).

In Baden-Württemberg führten Markus und Christoph Steffen im Rahmen des DFG-Pro-jektes „Fürstensitze und Zentralorte der frühen Kelten“ neben der Modellierung von Siedlungs-kammern auch eine erste, landesweite Untersuchung der dazwischen liegenden Kommunikati-ons- und Handelskorridore durch. Eingangsparameter waren die inverse Kerndichteschätzung um Siedlungen, Vermeidung von Flüssen, Hangneigung über Tobler-Algorithmus und das Di-gitale Geländemodell mit 50 m Rasterbreite (Steffen et al. 2010).

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3 Interdisziplinäre Grundlagen und Konzepte

„Zuerst nur ein paar abgebrochene Zweige und niedergetretene Grashalme.

Bald darauf eine Fährte, ein Pfad.

Dann, nach erstaunlich kurzer Zeit, wird aus dem Weg eine Strasse.“

Die Geschichte der Straße (Lay 1994), S. 11

3.1 Fortbewegung und Mobilität

3.1.1 Physiologie und Fortbewegung des Menschen In der wissenschaftlichen Diskussion über Mobilität von der Urgeschichte bis zum Mittelalter stellt Meller fest, dass bereits der Philosoph Immanuel Kant vor über 200 Jahren die Migration als charakteristisches Merkmal der Menschheitsgeschichte erkannt hat. „Wie schon Kant logisch ableitete, ist es der Menschheit unmöglich, Migration zu unterbinden, weil sie ein wesentlicher Bestandteil ihrer selbst ist“ (Meller et al. 2017, S. 10).

Die Mobilität gehört zur Verhaltensbiologie des Homo sapiens und unterscheidet ihn damit in seiner Lebensweise nicht grundsätzlich von der seiner Vorfahren (Parzinger 2016). „In der mehr als drei Millionen Jahre währenden Ära der Jäger und Sammler gehörte Mobilität zum Überle-bensprinzip. Das ständige Umherschweifen und Wandern bildet sozusagen eine Art ‚Urtrieb‘“ (Beier 2009, S. 3). Vorteile dieser aufrechten, zweibeinigen Fortbewegung sind u. a. die energetisch effiziente Überbrückung längerer Wegstrecken (Richter 2018) und der bessere Überblick/Kontrol-le über die Umgebung. Physiologisch ist das Gehen durch die Schwankungen des Körpers bei der Gewichtsverlagerung und somit durch eine nicht vollkommen geradlinige Fortbewegung gekenn-zeichnet (Schenk 1999). Natürlich beeinflussen innere (z. B. Ablenkung) und äußere Störfaktoren (z. B. Unebenheit der Bodenoberfläche, Hindernisse in Kopfhöhe) die geplante Richtung.

Schenk hat in seiner Dissertation die wesentlichen Prinzipien herausgearbeitet, nach denen sich die menschliche Fortbewegung „im Spannungsfeld zwischen Umstandsoptimierung und

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Aufwandsminimierung“ (Schenk 1999, S. 61) orientiert. Diese sind als wichtigste Grundlagen der Fortbewegung, Mobilität und nachfolgender Entwicklung von Wegen anzusehen und wer-den im Folgenden vorgestellt.

Prinzip der Energieökonomie : „Durch die Minimierung des Energieaufwands für die Fortbewegung ist der Mensch in der Lage, seine Körperkräfte mit nur mäßiger Energiezufuhr über lange Zeit zu erhalten oder Kraftreserven für Notfälle zurückzuhalten“ (Schenk 1999, S. 77). Die Geschwindigkeit der Fortbewegung ist deshalb möglichst gleichmäßig und auf ca. 4 km/h („Gehen“) optimiert (Murrieta-Flores 2010). Generell sorgt das Prinzip auch dafür, dass je nach Mobilitätssituation bereits im Vorfeld Entscheidungen zur Wahl eines zur Ver-fügung stehenden Verkehrsmittels, einer bestimmten Route und zum passenden Zeitpunkt getroffen werden (Flade 2013). Im Allgemeinen werden die kürzesten Streckenlängen ausge-wählt. Bei großen Steigungen kann jedoch eine Verlängerung der Wegstrecke zu einer Ener-gieoptimierung führen.

Prinzip der Sicherheit : Natürliche Gefahren wie Steinschlag, Blitz oder Überschwemmun-gen und anthropogen bedingte Bedrohungen (z. B. Kriminalität) beeinflussen die Fortbewe-gung. Wichtige Auswirkungen sind beispielsweise das bevorzugte Reisen bei Tageslicht, die Wahl von über der unmittelbaren Erdoberfläche herausragenden Plätzen zu besserer Über-sichtlichkeit, die Wahl einer Route mit ergänzendem Nahrungsangebot wie Wasserstellen oder das Meiden von steilen bzw. rutschungsgefährdeten Landschaftsbereichen. Auch kann „zur Sicherheit“ die Länge der zurückgelegten Strecken in unbekanntem Gelände kürzer sein als normal.

Prinzip der Konservativität : Das „geführte“ Gehen auf bereits vorhandenen, klar vorgegebe-nen Bahnen von früheren Benutzern erfordert nicht die ständige Aufmerksamkeit der Orientie-rung im Gelände, ist damit energieeffizient und wird deshalb bevorzugt durchgeführt (Murrie-ta-Flores 2010). Diese einmal als optimal erkannten und dauerhaft genutzten Strecken werden sehr lange beibehalten („eingefahrene Wege“). Änderungen von Start- und Zielorten oder von Umweltbedingungen werden oft relativ spät angenommen, selbst dann, wenn sie eine Verkür-zung des etablierten Wegs bedeuten.

Prinzip des Qualitätserhalts : Im Zuge der Fortbewegung werden für den menschlichen Kör-per angenehme Umweltsituationen bevorzugt. „Die Gehfreundlichkeit eines natürlichen oder künstlichen Bodenbelags ist ein wichtiges und überall auftretendes Qualitätsmerkmal zur Be-urteilung einer Spurentscheidung“ (Schenk 1999, S. 80). Es werden deshalb Strecken mit trocke-nem Untergrund und ohne größere Hangneigung bevorzugt. In Mitteleuropa wird beispielweise trockenes und sonniges Wetter als angenehm eingestuft, während in Gebieten mit hoher Son-neneinstrahlung eher schattige Wege gesucht werden.

Prinzip der Neugierde : Neugierde „ist die biologisch angelegte Triebkraft im menschlichen Handeln und bildet den Gegenpol zu seiner konservativen Haltung“ (Schenk 1999, S. 81). Der

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Drang des Homo sapiens zur Entdeckung und Umwelterkundung sorgte für die wiederkehren-den Auswanderungen aus Afrika und die weltweite Ausbreitung der Art (Meller et al. 2017). Sogar die ca. 70  km breite Wasserstraße, die Australien von Südostasien trennte, stellte vor 50 000 Jahren wohl kein größeres Hindernis dar (Parzinger 2016).

„Wir waren davon besessen, die weißen Flecken auf unseren Landkarten zu tilgen, die entlegensten Pole zu erreichen, die tiefsten Tiefen, die höchsten Gipfel. Wir sind in jeden Winkel der Erde gesegelt und schließlich sogar ins Weltall geflogen. […] Ja, wir explo-rieren, um einen besseren Platz zum Leben zu finden oder ein größeres Territorium in Besitz zu nehmen oder um ein Vermögen zu machen. Aber wir explorieren auch, nur um zu sehen, was dort ist“ (Dobbs 2013). „Erlebnishunger und Wissensdurst hören nie auf.“ (Flade 2013, S. 70) 3.1.2 Orientierung und kognitive Karten

Die Wahrnehmung des eigenen Standorts, der umgebenen Landschaft und Distanzschätzungen sind Grundlagen für das räumliche Wissen und der nachfolgenden Mobilität (Murrieta-Flores 2010, Flade 2013). Als weiterer Faktor ist die Sichtbarkeit anzuführen: „Die freie Sicht schließt als Überbegriff die Übersichtlichkeit einer Situation ein und ermöglicht dadurch erst eine vo-rausschauende Fortbewegung“ (Schenk 1999, S. 31). Neben der virtuellen Strukturierung der Landschaft ermöglicht eine große Sichtweite eine visuelle Kontrolle der Umgebung (Murrieta-Flores 2010) und sorgt damit für ein Sicherheitsgefühl („Prinzip der Sicherheit“, Schenk 1999). In der Geoinformatik wird versucht, Sichtbeziehungen zu markanten Objekten oder Siedlungen durch technische Sichtbarkeitsanalysen annäherungsweise zu rekonstruieren. Neben rein opti-schen Faktoren wie Farbe und Form des Objektes spielen vor allem Hindernisse im Sehfeld wie z. B. starke Bewaldung eine wichtige Rolle (Posluschny 2008)

Zur Orientierung im Raum sind bemerkenswerte, auffallende Landschaftsmerkmale („ Landmarken “) erforderlich (Basten 2010). Diese sind ortsfest, meist aus größerer Ent-fernung bereits wahrzunehmen und helfen, räumliche Situationen wiederzuerkennen. „Feh-lende visuelle Merkzeichen machen es dem Menschen unmöglich, sich allein optisch zu orientieren“ (Schenk 1999, S. 39). Als Orientierungsziele finden sich natürliche (z. B. Fels-formationen, Hügel, Flüsse, Einzelbäume) sowie anthropogen bedingte Landmarken (z. B. Burgen, Kirchen). „Dadurch wird die in einer Landschaft vorhandene, praktisch unendlich große Informationsfülle auf das persönlich Wesentliche reduziert.“ (Doneus 2013, S. 318) Die zunehmende Erfahrung und Routine bei der Orientierung (Lernerfolg) führt zur Op-timierung der Fortbewegung gemäß den Prinzipen der Energieökonomie, Sicherheit und Konservativität (Schenk 1999).

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Eine koordinierte und zielgerichtete Bewegung in der Landschaft wird als Navigation be-zeichnet (Basten 2010). Im vertrauten Gelände „hangelt“ sich der Fußgänger vom Startpunkt beginnend von Landmarke zu Landmarke, wobei das Ziel räumlich bekannt und während der Reisedauer fast immer bzw. immer wieder sichtbar ist (Humpert 1995). Häufig sind mit den Landmarken auch neue Richtungsentscheidungen/Bewegungsanweisungen verbunden, wie beispielsweise „am großen Baum links weiter“ (Basten 2010). „Der vorauseilende, die Umweltsi-tuation abtastende Blick ist ein wesentliches Charakteristikum der Fortbewegung, insbesondere bei der Fortbewegung in nicht erschlossenem Gelände“ (Schenk 1999, S. 35). Ist die Umgebung nicht vertraut, erlaubt die räumliche Mobilität die erstmalige Wahrnehmung und Aneignung der Umwelt, das Sammeln von Wissen über optimale Routen oder Hindernisse und das „Ein-prägen“ von Landmarken (Flade 2013).

Eine kognitive Karte („cognitive map“) entsteht durch das Erkennen von Landmarken (Re-ferenzpunkte), die Kenntnis über deren räumlichen Bezug zueinander und das Einprägen der physikalischen Wege dazwischen (Murrieta-Flores 2010, Reinhold et al. 2014). Der Archi-tekt und Stadtplaner Kevin Lynch hat in den 1960er Jahren neben den Landmarken und den eigentlichen Wegen weitere Elemente einer kognitiven Karte in seinem Standardwerk „Das Bild der Stadt“ beschrieben (Lynch 2010): zentrale Plätze und Knotenpunkte (z. B. Straßen-kreuzungen, Bahnhöfe), abgegrenzte Gebiete („Territorien“, Ausschlussbereiche) und Begren-zungselemente (z. B. Hecken, Stadtmauern). Dieses virtuelle Netzwerk stellt das innere Bild der Umwelt und damit das räumliche Wissen dar und ermöglicht erst eine räumliche Orien-tierung und zielgerichtete, d. h. energieoptimierte Fortbewegung (Flade 2013). Im vertrauten Umfeld kann so zudem auf kurzfristige (z. B. Hochwasser) bzw. mittelfristige Änderungen (z. B. Unpassierbarkeit von Bergpässen) flexibel reagiert und eine andere, alternative Route zum Ziel ausgewählt werden.

Wie der Mensch in der Vorgeschichte durch Landschaft navigierte und kognitive Karten anlegte bleibt unbekannt. „Die Raumwahrnehmung prähistorischer Menschen war aber si-cher eine gänzlich andere. Phänomenologische Aspekte waren hier vermutlich ausschlag-gebend […]“ (Reinhold et al. 2014, S. 20). Allgemeine kognitive Studien und Analogien aus der Ethnographie lassen vermuten, dass die im Gegensatz zu heute stark ausgeprägte, natür-liche Mobilität, die wiederholte Umweltaneignung seit der Kindheit, das weitgespannte so-ziale Netzwerk und vor allem die Weitergabe des Wissens über tausende von Generationen umfangreiche Kenntnisse über ein regionales Gebiet hervorbrachten (Abb. 15, Murrieta-Flores 2010).

Eindrucksvoll sind beispielsweise die Beschreibungen über die Polynesier im 18. Jahrhundert: „Cook hatte Tupaia in Tahiti an Bord der ‚Endeavour‘ genommen. Bald darauf versetzte der Polynesier die Crew mit seinen nautischen Fähigkeiten in ungläubiges Staunen: Ohne Kompass, Karte, Uhr oder Sextant navigierte er zu einer etwa 500 Kilometer südlich von Tahiti gelegenen

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Insel, von deren Existenz Cook bis dahin nichts wusste. In den folgenden Wochen verblüfft e Tupaia die Seemänner damit, dass er zu jeder Zeit – ob bei Tag oder Nacht, bei Wolken oder klarem Himmel – exakt die Lage seiner Heimatinsel Tahiti bestimmen konnte.“ (Dobbs 2013) Auch die anthropologischen Studien von Binford zeigten, dass allen Jäger einer Gruppe die Lage und Zusammensetzungen von Horten in einem Gebiet von ungefähr 22 000 km² bekannt waren und nur ein Kulturwechsel oder die Vertreibung der ansässigen Bevölkerung zum „Vergessen“ der Horte führte (Binford 1979, Sommer 1991). Dies kann auch für lang tradierte Wegverbin-dungen angenommen werden.

Abb. 15: Bedolina-Karte, UNESCO-Welterbe Feldritzungen des Valcamonica (Norditalien).

Diese in das 2. Jahrtausend v. Chr. datierte Darstellung zeigt u. a. Linien, die als Wege zwischen

Häusern und landwirtschaft lichen Feldern interpretiert werden. Vielleicht wurde so eine kognitive Karte für die nächsten Generationen dauerhaft erhalten (Casey 2006, S. 192).

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In den archäologischen Wissenschaften wurde die Mobilität prähistorischer Kulturen lange Zeit nahezu ausschließlich aufgrund von Kartierungen von ortsfremden Importfunden bzw. Theorien zur gegenseitigen Beeinflussung in den materiellen Befunden diskutiert (Link et al. 2017). „Solche Karten suggerieren bestimmte Bilder, die sich nicht mit der urgeschichtlichen Realität decken müssen.“ (Prien 2005, S. 322) Neue naturwissenschaftliche Forschungen aus der Paläogenetik und der Isotopenanalyse liefern jedoch überraschend andere Hinweise und Belege. Die Mobilität von Menschen, sei es die Ausbreitung des Homo sapiens in der Alt-steinzeit, Migrationsbewegungen von ganzen Kulturen in der Vorgeschichte oder der regio-nale Ortswechsel von Individuen, ist heute zu einem eigenen, modernen Forschungsgegen-stand von Archäologie und Naturwissenschaft geworden (z. B. Krause et al. 2017, Knipper 2017).

Auch für die Epoche der Neolithischen Revolution „wird das vermeintlich Selbstver-ständliche nun plötzlich fragwürdig“ (Röder 2016, S. 140). Zum einen werden neue Theo-rien und Modelle zu Voraussetzungen, Prozessen und Formen der Mobilität von sesshaf-ten Kulturen unter dem Schlagwort social archaeology diskutiert (Fetsch 2017, Link et al. 2017). Diese lassen auch neue Impulse für die bisher wenig beachteten kulturellen Aspekte von prähistorischen Wegen erwarten. Zum anderen zeigen intensive dendrochronologi-sche Untersuchungen an Pfahlbausiedlungen, dass frühere Annahmen von einheitlichem und statischem Haus- und Siedlungsbau nicht mehr zutreffen (Röder 2016). Kurze Be-legungsdauern und das Wiederbesiedeln zuvor aufgegebener Orte belegen die starke Dy-namik. Im Allgemeinen besteht heute wissenschaftlicher Konsens, dass Kulturen zu allen Epochen mobil waren, unabhängig ob diese sesshaft waren oder nicht (Murrieta-Flores 2010). Formen der Mobilität

Die Jäger-Sammler-Gesellschaften der Alt- und Mittelsteinzeit waren per Definition bereits mobil, d. h. ihr Lebensmittelpunkt war nicht an einen Ort gebunden. Neben den aktiven, jah-reszeitlichen Wanderungen sind auch passive Migrationen durch allmähliche Verlagerung der regionalen Schweifgebiete zu erwarten (Schrenk 2009, Richter 2018).

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In der aktuellen Forschung wird für die ersten sesshaften Kulturen die vollständige Auf-gabe der Mobilität nicht mehr angenommen (Beier 2009). Diskutiert werden kurzlebige Siedlungen und hohe individuelle Mobilität auf lokaler Ebene und gleichzeitige enge Ein-bindung in überregionale stabile soziale Netzwerke (Röder 2016). Diese Lebensweise wird als natürliche Weiterentwicklung aus der Tradition der Jäger-Sammler-Gesellschaften an-gesehen (Beier 2009), die beispielsweise ebenfalls an bereits genutzte, aber für einige Zeit verlassene Lagerplätze wieder zurückkehrten. Ebersbach setzt die Organisation der prä-historischen Gesellschaften mit methodischen Ansätzen zur sozialen Nutzung von Raum in Verbindung (Ebersbach 2010): Gemäß den theoretischen Ansätzen von Hillier/Hanson (1984) sind für die ersten sesshaften Menschen „noncorrespondence systems“ anzuneh-men. Diese umfassen neben den lokalen Personengruppen („Residenzgruppe“) im Schwer-punkt vor allem soziale Gruppen, die nicht an den Raum vor Ort gebunden sind wie Ver-wandtschaften oder Religions- und Kultgemeinschaften. Für das Neolithikum könnten so die weitreichenden Kommunikationsnetzwerke begründet werden. „Eine weitere, wichti-ge Schlussfolgerung aus diesen Thesen ist, dass die hohe Mobilität im Siedlungsbild nicht nur bzw. nicht in erster Linie durch umweltbedingte Faktoren wie schwankende Seespiegel etc. ‚erzwungen‘ ist, sondern eine Lebensform dieser Gesellschaften war, die genauso stark oder stärker durch kulturelle, soziale, politische oder kultische Faktoren bestimmt wurde.“ (Ebersbach 2010, S. 154)

Innerhalb der Mobilität lassen sich zum einen individuelle und gruppenspezifische Mobili-tät unterscheiden (Beier 2009, Schier 2013). Es können Einzelindividuen (z. B. Kundschafter, Prospektoren, Wanderhandwerker), kleine Gruppen (z. B. Händler, Pilger) oder ganze Gesell-schaften mobil sein.

Zum anderen kann Mobilität auf drei Maßstabsebenen abgegrenzt werden: lokaler Bereich im unmittelbaren Umfeld der Siedlungen (z. B. Zugang zu Wirtschaftsflächen), regionale Ebene zwischen benachbarten Orten, aber auch regionale Rohstoffvorkommen und die überregionale Mobilität, die vor allem mit dem Fernhandel, Austausch von Luxusgütern und Migrationen ver-bunden ist (Beier 2009).

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Tab. 5: Verschiedene Arten der Mobilität sesshafter archäologischer Kulturen in Europa.

Für die Nummern 2, 3 und 6 sind nur unscharfe Angaben vorhanden.

Eigene Überlegungen zu Auswirkungen auf das Wegenetz.

Scharl hat verschiedene Studien zur prähistorischen Mobilität und zur Ausbreitung von Inno-vationen in Europa ausgewertet und in einer Übersicht die verschiedenen Arten der Mobilität zusammengefasst (Tab. 5, Scharl 2017). Grundlage ist die soziale Interaktion zwischen Gruppen und ihre zeitlichen und räumlichen Komponenten. Generell werden diskutiert: die Häufigkeit und die Langfristigkeit (über Generationen) der Treffen und ob Güter direkt oder über eine Hand-zu-Hand-Weitergabe transportiert werden. Aufgrund dieser Angaben können Annah-men für den Ausbau von Wegen postuliert werden.

Einen Spezialfall der Mobilität stellt die Migration dar (Schier 2013). Diese Wanderungen sind im Verhältnis zur alltäglichen Mobilität selten und werden üblicherweise mit Bewegun-gen von größeren Menschengruppen über weite Strecken beschrieben. Wichtig ist hierbei, dass nicht mehr zum Ausgangspunkt zurückgekehrt wird (Scharl 2017).

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In der Mobilitätspsychologie wird ein Mensch als mobil definiert, wenn er viele Kilometer und/oder viele Wege zurücklegt (Flade 2013). Wenn er nicht täglich zu seinem Ausgangspunkt zu-rückkehrt, also eine „auswärtige“ Übernachtung anfällt, so wird von einer Reise gesprochen. In der Forschung werden die Voraussetzungen und Bedürfnisse während einer Reise bisher nur selten thematisiert (z. B. Murrieta-Flores 2010). Einerseits bleibt unklar, welche Ressourcen mit-geführt werden oder vor Ort verfügbar sein müssen. Andererseits zeigen die Kleidung und Aus-rüstung der Gletschermumie Ötzi eindrucksvoll, wie sich der prähistorische Mensch auf längere Reisen vorbereitet hat (Putzer et al. 2016).

Einige historische und ethnographische Belege und weitere Überlegungen geben erste Hinweise auf die Fortbewegung vor allem in schwierigem Gelände. Cane beispielsweise beschreibt das Verhalten von Aborigines und ihren Vorfahren in Australien (Cane 2014): Grundsätzlich kennen sie ihre weitere Umgebung sehr gut und wissen, welche Wege an guten Wasserquellen und sicheren (Schutz)höhlen vorbeiführen. Sie nutzen Bergrücken und Berghöhen zur Orientierung und Übersicht und sichern die Lagerplätze mit Feuer vor Wildtieren. Zentraler Punkt der Navigation ist aber die generationsübergreifende Wei-tergabe dieser Informationen mittels mündlich überlieferter spiritueller Erzählungen und Mythen.

Murrieta-Flores nennt neben Lebensmitteln ebenfalls Trinkwasser, Brennholz und Unter-stand als wichtige Ressourcen (Murrieta-Flores 2010). Dabei ist der Umfang der mitgenom-menen Materialien abhängig von den verfügbaren Möglichkeiten vor-Ort, der Reisedauer und Mitnahmemöglichkeiten. Grundsätzlich sind Jagen und Sammeln während der Reise sehr wahrscheinlich.

Fetsch diskutiert die Vergleichbarkeit von michelsbergzeitlichen Erdwerken (ca. 4000 v. Chr.) mit aktuellen, rundlichen Erdwällen in Marokko (Fetsch 2017). Diese dienen heute Nomaden als vorpräparierte Lagerplätze und halten z. B. Mahlsteine vor, damit diese nicht mitgeführt werden müssen. Diese Plätze werden ganz selbstverständlich von jedem Reisenden sauber und von Bewuchs frei gehalten, da sie neben dem Schutzeffekt auch eine Zeitersparnis während der Reise mit sich bringen. Als wichtige Landmarken könnten sie auch als überregionale Treffpunk-te gedient haben.

Im Laufe der (prä)historischen Entwicklung gibt es erst relativ spät archäologische Bele-ge für wegbegleitende Infrastrukturelemente. In Mitteleuropa sorgten beispielsweise in der Römerzeit Meilensteine als Wegweiser, Gasthäuser und Pferdewechselstationen für Reise-erleichterungen. Wann sich aber der Verkehr auf den Wegen endgültig an der extra dafür geschaffenen Verkehrsinfrastruktur orientierte und gebunden wurde, bleibt offen (vgl. Fla-de 2013).

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„Es ist zu beachten. daß der Weg [und damit auch die Fortbewegung] nie Selbstzweck war, sondern zu allen Zeiten Träger des Verkehrs, der sich aus diesem Grunde nur dann entwi-ckeln konnte, wenn ein Verkehrsbedürfnis vorlag. Der Verkehr war wiederum durch eine Verkehrsspannung zwischen zwei Orten bedingt, die dann gegeben war, wenn die Art und Größe des Bedürfnisses mit der Art und Größe der Erzeugung an Ort und Stelle nicht über-einstimmte.“ (Fischer 1943, S. 20) Mobilität ist also immer mit einem Zweck, einem Anlass und einem gewünschten räumlichen Ziel der Reise verbunden (Murrieta-Flores 2010). „Die Befriedigung der diversen Bedürfnisse erfordert Mobilität. Der Mensch bewegt sich fort, weil es für ihn lebenswichtig ist, weil er mit Anforderungen konfrontiert ist, weil er es will, weil seine Absichten nicht ohne Mobilität realisierbar sind und weil er durch die Art und Weise seines Mobilseins etwas über sich selbst zum Ausdruck bringen kann.“ (Flade 2013, S. 70)

Im Allgemeinen können die Motive für alltägliche, dauerhaft angelegte Mobilität deutlich von den Motiven für einmalige Migrationen in entfernte Gebiete unterschieden werden. Für die letztgenannten spielen die sogenannten Push- und Pull-Faktoren eine Rolle. Als Pull-Fak-toren, also Aspekte der Anziehungskraft des neuen Ortes, können beispielsweise für prähis-torische Epochen ein fruchtbarer Boden, Siedlungsplätze in Gewässernähe, gute klimatische Bedingungen und gut zu erschließende Rohmaterialquellen angesehen werden (Prien 2009). Meist entziehen sich die Motive der konkreten vorgeschichtlichen Reisen aber archäologi-schen Analysen. Im Gegensatz zu bisherigen Annahmen gilt die Verbesserung der indivi-duellen wirtschaftlichen Situation als wichtigster Push-Faktor (Prien 2005). Hinzu kommen soziale Konflikte, Überbevölkerung, Erschöpfung der (Nahrungs-)Ressourcen oder langan-haltende Nahrungseinschränkungen durch Klimaschwankungen (Dürre, Eiszeit, nass-kaltes Klima).

Mobilität von archäologischen Kulturen im lokalen und regionalen Maßstab wird durch die alltäglichen Bedürfnisse des Menschen ausgelöst (Tab. 6). Zusätzlich können zwei Sonderfälle beschrieben werden: Zum einen kann das „Umherziehen“ Teil einer grundsätzlichen Lebens-einstellung der Gesellschaft sein (vgl. Beier 2009). Zum anderen bedingt das Prinzip der Neu-gierde (Kap. 3.1.1), dass auch bisher unbekannte Regionen für eine mögliche Nutzung erkundet werden. Statt einem festen räumlichen Zielort muss hier von einem ausgedehnten Zielgebiet ausgegangen werden (Flade 2013).

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Tab. 6: Motive für die Mobilität im lokalen und regionalen Maßstab mit Schwerpunkt auf prähistorischen Epochen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

In sesshaften Kulturen bestimmen die ortsfesten Siedlungen und Wirtschaftsflächen als Start- und Zielpunkte und die Motive für Mobilität als Ausdruck der Verkehrsspannung die Entstehung von Wegen im Sinne von physisch vorhandenen, an den Boden gebundenen und abgrenzbaren Kulturlandschaftselementen (Kap. 2.1.1). Je nach Reiselänge, möglichen Al-ternativrouten, den zu erwartenden topographischen Hindernissen, Umfang bzw. Gewicht des etwaigen Transportgutes oder anderen Zwängen (z. B. Meiden von Tabu-Zonen, Unter-wegs-Ziele) wird zunächst ein Abwägungsprozess und die Auswahl einer geeigneten Strecke bzw. Verkehrsmittel erfolgen (Schenk 1999, Flade 2013). Grundsätzlich wird die Auswahl einer Linie durch die Fortbewegungsprinzipien nach Schenk (Kap. 3.1.1) beeinflusst. Die-se stellt meist einen Kompromiss aus kürzester Laufstrecke, den wenigsten Hindernissen, einem minimalen Kraftaufwand und maximaler Bequemlichkeit dar (Schaur 1992, Helbing et al. 1997).

Wird eine Landschaft erstmalig begangen, also „Neuland betreten“, ist ein hoher Energieauf-wand erforderlich: Die Orientierung und Navigation im unbekannten und ggf. gefährlichen Ge-lände bedingt eine große Aufmerksamkeit (Schenk 1999). Wenn diese Art der Fortbewegung überhaupt sichtbare Spuren hinterlässt, sind diese meist nur temporär. Umwege sind häufig. Neue Wege entstehen nicht nur dort, wo sie bisher fehlten, sondern auch dann, wenn bisherige

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nicht ausreichten, Ziele also auf anderen Wegen einfacher/sicherer/schneller zu erreichen waren (Schaur 1992, Ankowitsch 12.08.2010).

Ein einmal eingeschlagener Weg mit sichtbaren materiellen Relikten übt eine hohe An-ziehungskraft auf nachfolgende Menschen aus (Schenk 1999). Zum einen wird angenommen, dass diese Spur des „Vorgängers“ bereits eine optimal dem Gelände angepasste und vor allem sichere Route darstellt. Zum anderen benötigt das Nachfolgen von Spuren sehr viel weniger Energieaufwand als neue Wege zu gehen. Auch die Bequemlichkeit ist deutlich erhöht (Hel-bing et al. 1997).

„Nicht das einmalige Begehen, sondern die wiederholte Benützung führt schließlich zu der Wegebildung und somit zur Wegesystembildung.“ (Schaur 1992, S. 70) Eine Spur wird also zum Trampelpfad durch eine längerfristige und wiederkehrende Begehung, ver-stärkt dadurch die zukünftige Routenauswahl und zieht wiederum weiteren Verkehr auf sich (Humpert et al. 2007, Doneus 2013, Flade 2013). Solange sich die Wegziele der nach-folgenden Menschen mit den bereits vorhandenen Wegstrecken erreichen lassen, werden diese in Benutzung bleiben. Kleinere Umwege werden ebenfalls noch toleriert. Auch Fuß-gänger mit verschiedenen Zielen erzeugen und nutzen lange gemeinsame Spuren (Helbing et al. 1997).

Falls Hindernisse wie beispielsweise ein umgefallener Baum die direkte Linienführung beein-trächtigen, so wird der Trampelpfad diese grundsätzlich auf kürzestem Weg umgehen, danach aber sofort wieder auf die anvisierte Hauptrichtung zurückkehren (Schenk 1999). Oft bilden sich an diesen Stellen verbreiterte Spuren oder sogar Mehrfach-Spuren aus (Humpert et al. 2007). Bleibt das Hindernis länger bestehen, verfestigt sich die Ausweichsituation. In Großbri-tannien beispielsweise sind heute scheinbar sinnlose Knicke im Wegverlauf oft Reste von längst verschwundenen Hindernissen (Lay 1994). Individuelle Fortbewegung und Selbstbildungsprozess

Im Allgemeinen bedingt die natürliche menschliche Fortbewegung (z.  B. Prinzipien nach Schenk, Kap. 3.1.1) die Ausprägung des Naturwegenetzes mit langen Pfaden und wenigen Ver-bindungsknoten. Abkürzungen kommen nicht vor, da sich diese bereits in der Entwicklung als Hauptweg herausgebildet haben (Humpert et al. 2007). Kreuzungen von Wegen sind nur als Überlagerung von getrennten, unabhängigen Strecken zu sehen (Schenk 1999). Abbiegevorgän-ge an Kreuzungen werden aufgrund des großen Umwegs gemieden. Um von einer zu anderen Route zu gelangen, wird bereits weit im Vorfeld eine Abzweigung gewählt. „Dabei wird die Rich-tung des Hauptwegs solange beibehalten bis das seitliche Ziel in einem Öffnungswinkel von ca. 20–30° zur Haupttrasse steht“ (Schenk 1999, S. 140).

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Neben den Fortbewegungsmustern von einzelnen Individuen ist der dynamische Selbst-bildungsprozess die wichtigste Grundlage für die Entstehung und Entwicklung von Wegen (Schenk 1999). Vergleichbar mit der Entwicklung von ungeplanten Siedlungen können so-ziale Beziehungen, die Organisationsart der sozialen Gruppe, gesellschaftliche Traditionen oder kulturelle Absprachen zu einer kollektiven Planung von Wegen führen (Schaur 1992). „In dieser Weise entsteht beispielsweise ein Wegesystem aus vielen einzelnen Wegeführungen, ohne als Ganzes von jemanden geplant oder angelegt worden zu sein“ (Schaur 1992, S. 24). Das System der selbstorganisierten und sich immer wieder selbstverstärkenden Wege ist da-bei einerseits so dynamisch, dass im Laufe der Zeit immer wieder andere, vermeintlich op-timierte Linienführungen getestet werden. Je nach Änderungen von Wegezielen oder neuen Abwägungsprozessen können sich so neue Abschnitte oder ganze Routen herausbilden. An-dererseits ist das Wegesystem so stabil, dass die einmal festgelegten Strecken selbst nach zeit-weiser Unzugänglichkeit (z. B. durch Überflutung, Erosion) sehr schnell wieder in Nutzung genommen werden (Schenk 1999). Sogar die vermutlich kollektive Unterhaltung selbst von Trampelpfaden weist auf die hohe räumliche Konstanz von Wegen hin. Dabei waren generell nur wenige Pflegemaßnahmen wie das Zurückschneiden von Gehölzen am Wegesrand erfor-derlich. „Die Natur vergisst unnötig gewordene Pfade, während die bewährten Wege bleiben“ (Ankowitsch 12.08.2010). Tradierte Prinzipien und Wege

Eine natürliche, weitgehend unbeeinflusste Entstehung und Entwicklung von Wegen kann vor allem für prähistorische Epochen mit geringer Bevölkerungsdichte angenommen werden. Die Prinzipien der menschlichen Fortbewegung sowie der Selbstbildungsprozess bedingen teilwei-se räumlich großzügige Linienführungen, die sich nur bei fehlenden Landnutzungsansprüchen entfalten können. Wissenschaftliche Untersuchungen konnten zeigen, dass diese grundlegen-den Verhaltensweisen auch heute noch immer gültig sind (Helbing et al. 1997, Schenk 1999, Humpert et al. 2007). Von selbst entstehende Trampelpfade können selbst in modernen Städten mit festgelegten Straßen als ausgeprägte Abkürzungen durch Blumenbeete, Hecken oder Rasen-flächen in Parks und Gärten beobachtet werden.

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Abb. 16: Der Berg Hohentwiel (Gem. Singen, Lk. Konstanz) als Landmarke? Die mittelalterliche

Fernhandelsstraße biegt wie die heutige B34 an dieser Stelle in Gottmadingen (Lk. Konstanz) nach rechts ab, während die linksseitige Häuserflucht eine ältere Linienführung in Richtung des Berges vermuten lässt (Aufnahme 2013).

Können historische Wegeabschnitte über physische Relikte oder andere Methoden als sol-che erkannt werden, repräsentieren sie immer nur einen kleinen Ausschnitt des Wegenetzes und den letzten Stand ihrer zeitlichen Entwicklung. Der ursprüngliche Anlass bleibt meist im Dunkeln, Wegziele sind häufig unbekannt. Manchmal kann aus zeitgleich bestehenden Siedlungen und der räumlichen Lage des Wegabschnittes zu diesen Hypothesen zum Zweck und Mobilitätsart aufgestellt werden. Annahmen zu möglichen Landmarken unterstützen diese Überlegungen (Abb. 16). Im Allgemeinen sind die auffindbaren Wege „[…] das Pro-dukt einer langen Evolution […], in deren Verlauf sich auf der Grundlage von Erfahrungen ganzer Generationen bestimmte Wege etablierten. Dabei sind einmal als praktikabel er-kannte Verbindungen auch später immer weiter tradiert und genutzt worden.“ (Posluschny 2012, S. 117) „Diesem Argument zufolge kann beim Nachmodellieren des Wegenetzes so

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vorgegangen werden, als ob annähernd voll informierte Menschen beteiligt gewesen wären“ (Doneus 2013, S. 319).

3.2 Die Entwicklung von Wegen

3.2.1 Paläo- und Mesolithikum Bedingt durch die globale Abkühlung vor 2,5 Millionen Jahren, die Ausdehnung der Savannen-landschaft und die damit deutlich längere Suche nach Nahrung verließen erste Hominiden vor ca. 1,8 Millionen Jahren Afrika und begannen tropische und gemäßigte Zonen in Eurasien bis nach Indonesien und China zu besiedeln (Bellwood 2015). Das große Inlandeis in Europa er-laubte erst mit der Kulturtechnik des Feuermachens um 600 000 BP die Besiedlung Mitteleuro-pas durch den „Frühmenschen“ Homo heidelbergensis (Parzinger 2016).

In einer dritten Auswanderungswelle aus Afrika („Out-of-Africa-Theorie II“/„Zweiter An-lauf “) folgte der Homo sapiens von 60 000 BP an im „längsten Wanderzug der Geschichte der Menschheit“ (Parzinger 2016, S. 48). Paläogenetische, archäologische, ethnographische und anthropologische Forschungen lassen den Schluss zu, dass er aufgrund seines einzigartigen Laufvermögens, Kreativität und hoher Anpassungsfähigkeit auch unwegsame Landschaften oder starke Bewaldung relativ schnell erschließen konnte (vgl. Kap. 3.1.1, Untersuchungen zur Besiedlung Australien in Cane 2014). Frühe gezielte Eingriffe in die Umwelt wie Feuerma-nagement und planvolle Entnahme von Bäumen für die Vergrößerung der Jagdfläche werden ebenso angenommen wie die Orientierung im Raum bzw. Nutzung des Raumes anhand nutz-barer Wasserstellen. Diskutiert werden auch verschieden große, sozial bedingte Unterteilun-gen des Raums in lokaler Siedlungsort, saisonale Lagerplätze, jährliches Schweifgebiet/Ter-ritorium bzw. bekannte Gebietsgrenzen. Homo sapiens besiedelte nicht nur alle Kontinente, sondern muss bereits über umfangreiche nautische Kenntnisse und Erfahrungen im Bootsbau verfügt haben, da die Pazifischen Inseln und Australien nur über eine Meeresenge erreichbar waren.

Europa wurde ab 40 000 BP erstmals durch den modernen Menschen besiedelt. Die neu-eren genetischen Untersuchungen ergeben zwar ein grobes Bild der Migrationen, genaue Aus-breitungswege und Routen sind aber unbekannt. Es wird vermutet, dass die Migration vom Fruchtbaren Halbmond ausgehend entlang der Meeresküsten im Mittelmeer und den großen Flusstälern wie Donau und Rhône erfolgte (Hiscock 2015, Richter 2018). Die weitgehend vege-tationsfreien Flächen ohne größere Gebirge und die gleichbleibenden Nahrungsressourcen aus Fluss und Meer erlaubten eine hohe Mobilität (Wells 2003).

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Während eines Interstadials innerhalb der Würmeiszeit angekommen, entwickelte und verbreitete sich die erste einheitliche Kulturerscheinung des modernen Menschen in Europa, das Aurignacien , rasch über den gesamten Kontinent (Bolus 2009, Richter 2018). Aufgrund dieser Schnelligkeit, der Gleichartigkeit der materiellen Kultur und der Großflächigkeit der Ausdehnung kann hier bereits ein stabiles soziales und geographisches Kommunikations-netzwerk postuliert werden (vgl. Besiedlung Australiens, Cane 2014: Ausdruck über Höhlen-kunst). Angenommen werden einzelne Gruppen mit weiten Laufdistanzen und definierten Territorien, aber mit sozialen Interaktionen für die Stabilität der Gesellschaft wie Kontakte auch über große Distanzen und gegenseitigem Austausch von Informationen. Die Erschlie-ßung der Landschaft und Mobilität waren zudem durch die Tundravegetation und den teil-weise deutlich niedrigeren Meeresspiegel bis zu 100 m u. NN erleichtert (Ziegler 2009). Die Jäger-Sammler-Gesellschaften mussten sich in der Folge jedoch den stark schwankenden Klimabedingungen der Eiszeit anpassen (Kucera 2009). „Klimaschwankungen von bis zu 20 °C der mittleren Julitemperatur, mächtige Eisschilde, die weite Teile Mitteleuropas be-deckten, von Mammut und Eiszeitjäger besiedelte Kältesteppen oder warm-gemäßigte Laub-wälder – eindrucksvoll und kaum vorstellbar sind die Szenarien und raschen Veränderungen von Lebensräumen und Lebensbedingungen für Pflanze, Tier und Mensch.“ (Kovar-Eder 2009, S. 35)

Die nachfolgende Kultur des Gravettien ca. 30 000 BP spiegelt mit seiner geringen Be-völkerungsdichte die schlechter werdenden umweltklimatischen Bedingungen wider (Moreau 2009, Terberger et al. 2017). Trotzdem umfasst das relativ homogene Siedlungs-gebiet ganz Europa und ist durch sich über mehrere Hundert Quadratmeter erstrecken-de Basislager charakterisiert (Bosinski 2009). Der Austausch von leicht transportierbaren Gütern über große Distanzen von mehr als 200  km kann z.  B. mit zu Schmuckstücken verarbeiteten Schneckenfunden in Rheinhessen belegt werden (Tillmann 2002). Eben-so wie in der älteren Aurignacien-Kultur wird dies als materieller Ausdruck eines groß-flächigen Netzwerkes der Kommunikation angesehen. Dies impliziert, dass die eige-ne Lage im Raum bekannt und Wege zwischen den einzelnen Gruppen und zu lokalen Ressourcen wie Wasserstellen bzw. Steinlagerstätten vorhanden waren. Überregional können die Pfade der Herdentiere während ihrer jahreszeitlichen Wanderungen als erste „echte“ Wege im Sinne einer dauerhaft begangenen Trasse (s. Kap. 2.1.1) angesehen werden (Lay 1994). Diese kann als breiter, gut begehbarer und Jahrtausende lang genutzter Land-schaftskorridor mit Orientierungspunkten vermutet werden.

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Abb. 17: Die Bedeutung der Flüsse als traditionelle Migrationsleitlinien spiegelt die Verbreitung von Schmuckschnecken im Magdalénien (ca. 16 100–12 200 cal BC) wider (rote Punkte: archäologische Fundstellen): Sie stellen die Bezüge zu den Ursprungsorten der Schnecken

(grüne Flächen) her.

Der Höhepunkt der letzten Eiszeit war im Hochglacial um 20  000 BP erreicht (Kucera 2009). Je kälter das Klima wurde, desto weniger Lebensraum stand zur Verfügung und die Jäger-Sammler-Gruppen wurden auf wärmere Gebiete im Süden abgedrängt. Für Mit-teleuropa werden zwar wiederholte regionale Wiederbesiedlungsversuche angenommen, diese Zeit wird aber als siedlungsleer und „bottle neck-Phase für die jungpaläolithische Populationsentwicklung“ (Terberger et al. 2017, S. 92) angesehen. Auch die Langdistanz-Wanderungen und sozialen Verbindungen nach Süden und Osten waren unterbrochen (Richter 2018).

Mit der langsamen Klimaerwärmung ab ca. 16 000 BP beginnt mit der archäologischen Kultur des Magdalénien die erfolgreiche dauerhaft e Rekolonisation von großen Teilen Mitteleuropas (Richter 2018). Ähnlich wie die erste Besiedlung Europas werden auch hier wieder die großen Flüsse als Migrationsleitlinien angenommen (Floss 2009). Indirekte Hinweise lassen zudem den Einsatz von Wasserfahrzeugen vermuten (Terberger et al. 2017). Die großen Jägergruppen wa-ren hoch mobil und folgten den großen Mammut-, Wildpferd- und Rentierherden durch ganz Europa im Rhythmus der Jahreszeiten. Durch die off ene Landschaft im Übergang von Tundra-Vegetation zu lichten Wäldern legten sie dabei Entfernungen von mehreren Hundert Kilome-tern zurück (Kind 2009a, Richter 2018).

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Ferntransporte von Luxusartikeln wie Schmuckschnecken vom Mittelmeer und Atlantik zei-gen die überregionale Vernetzung, die auch zu regelmäßigen, saisonalen Zusammenkünften und den Austausch von Gütern und Menschen führte (Eriksen 2009, Abb. 17). Die Jägergrup-pen hatten hervorragende Kenntnisse ihrer näheren und weiteren Umgebung (Pasda 2009) und errichteten zentrale Basislager in Höhlen- und Freilandstationen, die durch kleinere La-gerplätze an den Wildwechseln und Rohstoffvorkommen im Umkreis versorgt wurden (Floss 2009, Barth 2011).

Die Erwärmung des Klimas setzte sich mit einigen Unterbrechungen und der Zunahme einer waldartigen Vegetation im Spätglazial fort (ca. 12 500 v. Chr., Bosinski 2009). Neue Kulturtech-niken nach dem Magdalénien haben sich vermutlich wie zuvor über die großen Flusssysteme nach Mitteleuropa ausgebreitet. Im Allgemeinen wird von einer Verkleinerung der Territori-en und Schweifgebiete ausgegangen, was allerdings nicht zu erkennbaren Änderungen in den Landschaftskenntnissen führte (Terberger et al. 2017, Pasda 2009).

Wahrscheinlich aufgrund der Bewegungseinschränkungen durch die Waldbedeckung verla-gerten die Menschen im Spätpaläolithikum ihre Siedlungsschwerpunkte in weniger dicht be-waldete Gebiete, vor allem an Seeufern, Inseln und großen Flussläufen (Beutelspacher et al. 2009). Neben der Erschließung von neuen, wassergebundenen Nahrungsquellen eigneten sich diese Standorte ebenfalls hervorragend als Basis für neue Kommunikationswege, auch über kleinere Wasserwege (Parzinger 2016). Vermutet wird der Einsatz von Einbäumen nicht nur in Binnengewässern, sondern z. B. auch entlang der Küsten zu Kolonisation Skandinaviens (Ter-berger et al. 2017). Spätestens in dieser Zeit kann von ersten „baulichen“ Eingriffen in das Land-wegenetz wie Festtreten des Untergrunds bzw. Verbreiterung oder Markierungen ausgegangen werden.

Der sehr rasche Temperaturanstieg ab ca. 9600 v. Chr. bestimmte das Mesolithikum (Kind 2009b). Das „postglaziale Wärmeoptimum“ führte zur Verlandung glazialer Gewässer bzw. Moorbildung, dem Anstieg des Meeresspiegels und Ausbildung eines flächendeckenden, dich-ten Eichenmischwalds (Becker 1982, Gerlach 2006). Durch den Rückgang der Gletscher wur-den neue nutzbare Gebiete in den Alpen zugänglich. Im Wesentlichen blieb die Lebensweise wie im vorangegangenen Spätpaläolithikum: Ausbreitung entlang von Meeresküsten, Basis- und Außenlager vor allem an Fluss- bzw. Seeufern, Einsatz von Wasserfahrzeugen. Weitere Eingriffe in die Landschaft zur Schaffung von Freiflächen zur Jagd oder Nachwachsen essbarer Pflanzen sind wahrscheinlich (Seidel 2016).

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Noch während des „postglazialen Wärmeoptimums“ kam es zu einer erneuten Einwanderungs-welle im Frühneolithikum . Die Neolithische Revolution und der Beginn der Sesshaftwerdung des Menschen in Europa können genetisch mit der Migration der linearbandkeramischen Kul-tur (LBK) aus Anatolien ab 5600 v. Chr. belegt werden (Krause et al. 2017, Terberger et al. 2017). Als Leitlinie wird der traditionelle Wasserweg über die Donau aufwärts angenommen (Abb. 18).

Die LBK wird im Ursprungsgebiet als eine Weiterentwicklung aus mesolithischen Kulturen diskutiert. „Möglicherweise war Migration aber sehr bald nach Entstehung der Linienbandke-ramik ein wichtiger Bestandteil des Verhaltens ihrer Träger. Dies könnte zum einen als direkte Fortsetzung der Mobilität der zuvor praktizierten mesolithischen Lebensweise gesehen werden, bei der das Prinzip der Anlage von räumlich weit von einander getrennten Basislagern weiter-geführt wird, allerdings ohne dass diese auch wieder aufgegeben werden. Vor diesem Hinter-grund wären die frühen Stadien der Linienbandkeramik gewissermaßen als Synthese zwischen mesolithischer und neolithischer Lebensweise zu verstehen.“ (Prien 2009, S. 35) Wie bereits von Migrationen aus der Altsteinzeit bekannt, weisen die rasche und großflächige Ausbreitung in Europa und die Einheitlichkeit der materiellen Kultur auf ein enges und stabiles soziales bzw. geographisches Kommunikationsnetzwerk hin (Krause et al. 2017). Mit den neuen Kulturtech-niken des Neolithikums wie dauerhafte Behausungen, Ackerbau, Viehzucht und Vorratshaltung besiedelten die Bandkeramiker zunächst fast ausschließlich Gebiete mit sehr guten Lössböden. Sie setzten sich aufgrund der besseren Nahrungsversorgung bzw. der folgenden Bevölkerungs-zunahme im Vergleich zu den gleichzeitig vorkommenden mesolithischen Kulturen und der dritten Gruppe der neolithischen La Hoguette-Kultur durch. Letztere war wahrscheinlich über Küstenschifffahrt auf dem Mittelmeer und anschließend über die Rhône aufwärts nach Mittel-europa eingewandert (Schlichtherle 2011, Seidel 2016).

Durch die Migrationsleitlinien der Flüsse und Seen und die Beschränkung des Ackerbaus auf leicht zu bearbeitende Böden können die ersten Siedlungsräume abgegrenzt werden. Als wichtige Ausgangspunkte für die Erschließung dieser Landschaften werden Umschlagsmöglich-keiten von Wasser- auf Landwege und die Endpunkte von schiffbaren Flussläufen angenommen (Lay 1994, Vieweger et al. 2012). Vermutlich wurden in dieser Zeit erste Wege bewusst von Siedlung zu Siedlung bzw. zu den Wirtschaftsflächen „angelegt“, d. h. das Bedürfnis, diese Ziele unabhängig von Wasserwegen zu erreichen, war wichtig und dauerhaft (Lay 1994). Obwohl die Siedlungen nur bedingt ortstreu waren, führten sie zu einer annähernden räumlichen Fixierung der lokalen Wege. Die wiederkehrenden Brandrodungen der noch natürlichen Wälder für die Landwirtschaft sorgten als „Nebenprodukt“ vermutlich zudem für das Freihalten der Wege.

Im Mittelneolithikum kommt es zur weiteren Erschließung des Alpenraums. Alpenpässe werden für den Verkehr und die Hochweiden als Sömmerungsgebiet genutzt (Hafner 2016). Der

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Abbau von Salz und Jade in fast unzugänglichen Bereichen des Hochgebirges setzte vermutlich ersten Handel in Gang (Petrequin 2016, Weller 2016). Prähistorische (Handels-)Wege werden üblicherweise über die Verteilung von exklusiven Objekten rekonstruiert (Vieweger et al. 2012). Werden nur diese Objekte als Handelsgut betrachtet, muss der Handelsumfang als minimal ein-geschätzt werden. Es wird allerdings vermutet, dass vor allem die „nicht nachweisbaren“ Güter wie Salz den weitaus größeren Anteil am Handel ausmachten (Vieweger et al. 2012) und dieser vor allem über Hand-zu-Hand-Weitergabe erfolgte. Kartierungen der „Fremdfunde“ zeigen al-lerdings die weiter bevorzugte Nutzung aller großen Wasserstraßen in ganz Europa (Tillmann 2002). „Wir können davon ausgehen, dass solcher Gütertransport, der insgesamt viele Tonnen Materials umfasste, ohne organisiertes Transportsystem, erprobte Routen, tradierte Erfahrun-gen und geeignete Transportmittel nicht möglich gewesen wäre.“ (Heumüller et al. 2016, S. 392)

Abb. 18: Ausbreitung der neolithischen Lebensweise ab 9000 v. Chr. vom Fruchtbaren Halbmond nach Europa. Off ensichtlich sind die angenommenen Migrationsrouten über Küstenschiff fahrt und Flüsse.

Neben der großräumig verbreiteten Michelsberger-Kultur lebten viele Regionalgruppen im Jungneolithikum ab 4300 v. Chr. in Südwestdeutschland. Bevorzugt waren Siedlungen („Pfahl-bauten“) direkt an See- und Flussufern, die meist jedoch nur wenige Jahrzehnte in Nutzung wa-ren und nach der Aufgabe wohl an andere Plätze abwanderten (Matuschik et al. 2016b). Oft wur-den die früher besiedelten Plätze aber zu späteren Zeitpunkten wieder aufgesucht – das Ergebnis war ein Mosaik von verschiedenen Landnutzungsstadien (Billamboz et al. 2016). Neben den Hauptsiedlungen bestanden, räumlich getrennt, auch kleinere, wirtschaft lich bedingte Plätze

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(z.  B. Flachsanbau, Jagd, Fischfang). Für das Michelsberger Siedlungssystem werden zudem großflächige Erdwerke für zentrale Versammlungen angenommen (Seidel 2016).

Wichtigste Veränderung des Jungneolithikums war die Ausdehnung der landwirtschaftlichen Flächen jenseits der bisher genutzten Lössgebiete und damit auch die Erschließung neuer Gebie-te (Seidel 2016). Zum einen waren die Lössgebiete nach der jahrhundertelangen Nutzung aus-gelaugt und zum anderen mussten die landwirtschaftlichen Techniken aufgrund des erhöhten Bedarfs an Getreide weiterentwickelt und intensiviert werden (Rösch et al. 2008). Ausgedehnte Rodungsflächen, der anschließende Wald-Feldbau mit Abbrennen der Flächen bzw. Brachezeit und die Niederwaldwirtschaft führten zur ersten großflächigen Auflichtung der Landschaft und zu nachfolgenden starken Erosionsprozessen (Gerlach 2007).

Trotz der wenig ortstreuen Siedlungen und der relativ mobilen Landwirtschaft können um-fangreiche Landverkehrswege für die Erschließung neuer Gebiete unabhängig von Wasser-wegen und für den lokalen landwirtschaftlichen Transport angenommen werden. Auch eine pragmatische Pflege der Wege, z. B. das Freihalten der Wege als Nebeneffekt der Brandrodung ist wahrscheinlich. Die prioritär genutzten Wasserwege bildeten allerdings weiterhin die wich-tigsten regionalen und überregionalen Verkehrs- und Handelswege in Europa (Dworsky 2016). Jadebeile wurden beispielsweise vom Atlantik bis ans Schwarze Meer, von Schottland bis nach Malta verbreitet (Petrequin 2016). Auch das neue Material Kupfer wurde bereits über weite Strecken transportiert (Bartelheim 2016a). Das europäische Kommunikationsnetzwerk war bis ca. 3600 v. Chr. flächendeckend auch über die Alpen hinweg aufgebaut (Klimscha 2017) und verband im Gegensatz zu früheren Jahrtausenden viele unterschiedliche, regionale Kulturen.

Das Spätneolithikum begann um 3500 v. Chr. mit einer Klimaverschlechterung, unterbrach kurzfristig das bisherige Besiedlungs- und Landschaftsmuster und führte zu einer starken Wie-derbewaldung (Haack 2016, Rösch 2016). An der Landnutzung änderte sich danach grundsätz-lich nichts, allerdings zeigten die Siedlungen eine deutlich längere Beständigkeit und waren oft an „Dorfstraßen“ ausgerichtet (Matuschik et al. 2016b). Ob die jetzt angelegten Stege zwischen Festland und Pfahlbaudorf aufgrund der eingesetzten Holzkonstruktionen eine natürliche Wei-terentwicklung der Häuserbauweise war, bleibt unklar (vgl. Maier et al. 2016).

Ein besonderes Schlaglicht auf die Verkehrssituation um 3200 v. Chr. bietet der Fund der Gletschermumie Ötzi. Seine Kleidung war dem hochalpinen Klima und seine Ausrüstung für einen längeren Aufenthalt außerhalb von besiedelten Gebieten entsprechend angepasst (Putzer et al. 2016). Der Fundort in über 3000 m Höhe und Ausrüstungselemente aus Norditalien be-legen, dass auch der Alpenhauptkamm problemlos überwunden werden konnte (Heumüller et al. 2016). Die mitgeführte Rückentrage könnte als einfaches Transportmittel für z. B. Gesteins-proben aus Prospektionen von Lagerstätten gedient haben.

In der Forschung wird vermutet, dass sich aufgrund des bereits vorhandenen großflächigen europäischen Kommunikationsnetzwerkes die Idee von Rad und Wagen bis 3000 v. Chr. sehr

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schnell überregional verbreiten konnte (Matuschik et al. 2016b, Klimscha 2017). Zunächst wurde dem von Rindern gezogenen Fahrzeug wohl keine größere wirtschaftliche Bedeutung zugemessen und dieses vor allem als lokales Transportmittel für die Land- und Forstwirt-schaft eingesetzt (Johannsen et al. 2010, Burmeister 2016b). Im Umfeld der Siedlungen und deren Wirtschaftsflächen sind bereits umfangreiche kleinere Wege zu vermuten. Für Fern-transporte werden als landgebundene Transportmittel Träger oder Saumtiere angenommen (Denecke 2007b).

Nach einer Umbruchsphase um 2900 v. Chr. definiert die Ausbreitung der Kultur der Schnur-keramik den Beginn des Endneolithikums und eines grundlegenden Kulturwandels. Diese letz-te massive Migration, vermutlich aus Osteuropa, umfasste Mittel- und Nordeuropa (Krause et al. 2017, Meller et al. 2017), führte am Bodensee und Zentralschweiz beispielsweise aber nicht zu einem kompletten Abbruch bisheriger Traditionen (Matuschik et al. 2016b). Archäobotani-sche Forschungen belegen erstmalig mehrjähriges gehölzfreies Offenland, was auf eine flächige und periodisch wiederkehrende Landnutzung inklusive offen gehaltener Wege hinweist (Rösch 2016). „Das Ende der natürlichen Umwelt in Mitteleuropa und der Beginn der Kulturlandschaft mit ersten Umweltschäden kann daher bereits in das 3. Jahrtausend v. Chr. datiert werden.“ (Gerlach 2007, S. 21 bzw. Mailänder et al. 2010)

Der Rohstoff Kupfer nahm einen immer größeren Anteil an der Tausch-/Handelsware ein. Abbau, Verarbeitung und Nutzung des Metalls waren ungleich über ganz Europa verteilt, sodass großräumige Handelsnetze angenommen werden können (Matuschik et al. 2016a). Bereits ab dem 3. Jahrtausend v. Chr. sind zwischen dem südlichen Mesopotamien und dem Indus-Tal regelmäßige Handelsbeziehungen dokumentiert. Diese werden in den nachfolgenden Jahrhun-derten zur sog. Seidenstraße vom Mittelmeerraum über Syrien nach China ausgebaut (Manning 2014). In Europa gibt es weitere Hinweise auf real verhandelte Güter wie Feuerstein aus Däne-mark, Salz aus Österreich, Blei und Zinn aus England und Bernstein aus Nordeuropa (Lay 1994). Bohlenwege Bohlenwege stellen die ersten fassbaren baulichen Maßnahmen in Mitteleuropa dar, die vom Menschen bewusst für die Verbesserung der Fortbewegung und zielorientiert mit Hilfsmitteln angelegt wurden. In Niedersachsen reichen die ältesten Belege für hölzerne Wege bis 4550 v. Chr. zurück (Heumüller 2016). Vieweger vermutet, dass das auf Moorlandschaften beschränkte Vor-kommen auch der ursprünglichen Verbreitung entspricht (Vieweger et al. 2012). Durch die An-lage von Siedlungen in Moorgebieten und am Ufer von Seen war es überhaupt erst notwendig geworden, Wege von den Feuchtgebieten bis zu den nahegelegenen Wirtschaftsflächen auf „fes-tem“, mineralischem Boden anzulegen (Heumüller 2002).

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Als ältester straßenbaulicher Nachweis in Baden-Württemberg kann ein schmaler, ebenerdi-ger Prügelweg innerhalb der Siedlung Ehrenstein (Gemeinde Blaustein, Alb-Donau-Kreis) um 3955 v. Chr. angeführt werden (Heumüller 2016). Eine große Anzahl von gut befestigten Zu-gangswegen wurden in den bekannten Pfahlbausiedlungen am Bodensee und Federsee (3700–2700 v. Chr.) entdeckt und gehörten wohl zu den wichtigen Bestandteilen der Siedlungen (Heu-müller 2002). Dabei reichen die baulichen Anlagen von ein- bis dreilagigen Konstruktionen aus quer übereinander geschichteten Hölzern, regelmäßigen Pfostenpaaren zur seitlichen Siche-rung bis zu aufwändig konstruierten Zugangsbrücken aus der mittleren Bronzezeit (Siedlung Forschner) um 1500 v. Chr. (Heumüller 2016). Trotz der Entwicklung von Rad und Wagen ab ca. 3000 v. Chr. blieben die Straßenbauten und die Wegbreite von 2–3 m unverändert (Heumül-ler 2002). Als ältestes sicheres Zeugnis für einen befahrenen Weg gilt der Dorfweg in Seekirch-Stockwiesen (3096–2894 v. Chr.).

Die über viele Epochen archäologisch wohl am besten untersuchte Trasse liegt zwischen der prähistorischen Pfahlbausiedlung auf der Moräneninsel Bad Buchau im ehemaligen Federsee und der 600 m entfernten Moränenlandschaft (Heumüller 2016). Diese kürzeste Verbindung über den Niedermoorstreifen wurde zunächst als abgehobener, ca. 3 m breiter Steg rekonstruiert und endete im Dorf als einfacher Prügelweg aus quer verlegten Rundhölzern auf längs gerichte-ten Unterzügen (3283–3279 v. Chr.). Eine dreiphasige Wegkonstruktion auf 89 m Länge konnte mit einer Nutzungsdauer von 150 Jahren in die Mittelbronzezeit datiert werden (1514/1505–1388 v. Chr.). Für die Hallzeitzeit (634–625 v. Chr.) betrug die belegte Länge 170 m mit einer Breite von 4 m. Die jüngsten Funde um 577 v. Chr. umfassen einen mit Reisig angelegten Weg. 3.2.3 Metallzeiten Spätestens zur Frühbronzezeit ab 2200 v. Chr. waren vermutlich alle Komponenten der Straße entwickelt, wenn auch noch nicht in vollem Umfang:

• Flächig vorkommende Siedlungsstrukturen mit Hauptorten und kleinere, wirtschaftlich be-dingte Siedlungsplätze (Huth 2016). Dass die immer noch „wandernden“, also nicht ortsfesten Siedlungen sich dabei an den räumlich, durch Wald- und Landwirtschaftsflächen fixierten Wegen orientierten, kann vermutet werden. Auch eine räumliche Begrenzung der Migration durch die Territorien der vielen regionalen archäologischen Kulturen ist bereits möglich.

• Bewirtschaftung der Landschaft mit großen Anteilen von andauernd gehölzfreiem Offen-land auch als Grundlage für lokale Wege zu Wirtschaftsflächen in näherer Umgebung (Rösch 2016, Thoma 2017b).

• Lokale Straßenbau- und Unterhaltungsmaßnahmen wie Bohlenwege bzw. das Freihalten der Wegtrasse (Heumüller 2016).

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• Traditionell bekannte und intensiv genutzte regionale und überregionale Kommunikations- und Wegenetze, auch über die Alpen, und die Verknüpfung von Wasser- und Landwegen als Grundlage für ein europäisches Handelsnetzwerk (Abb. 19). Die Nutzung von heute nicht-schiffb aren Flüssen sowie Transport über die Wasserscheiden werden vermutet (Wacker 1993, Mainberger 2017).

• Saumtiere und Wagen bzw. Einbäume als Transportmittel (Lay 1994, Schlichtherle 2010, Mainberger 2016). Die Wasserwege blieben weiterhin die wichtigsten Verkehrsleitlinien (Heumüller et al. 2016).

Abb. 19: Verbreitung der regionalen circumalpinen Kulturgruppen in der Frühbronzezeit

(ca. 2000 v. Chr.). Im Gegensatz zu früheren Jahrtausenden ist die Landschaft jetzt mit sehr unterschiedlichen Kulturen besiedelt. Die Kommunikationswege haben sich allerdings kaum verändert.

„Das 2. Jahrtausend v. Chr. war in Europa und insbesondere im circumalpinen Raum in mannig-facher Hinsicht eine sehr dynamische Periode.“ (Della Casa et al. 2016, S. 212) Trotz Jahrhunder-te langer klimatischer Schwankungen mit teilweiser Wiederbewaldung bzw. großräumiger Bo-denumlagerungen und Hochwasser (Becker 1982, Gerlach 2006, Rösch 2016) intensivierte sich vor allem der überregionale Austausch von Gütern (Bartelheim 2016b). Ursache war die sich ausweitende Nutzung des neuen Werkstoff s Bronze. Durch die sehr ungleiche Verteilung der natürlichen Vorkommen von Kupfer und Zinn in Europa und die zunehmende handwerkliche

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Spezialisierung (Rösch et al. 2008) waren Transporte von Rohmaterialien, Halbfabrikaten oder Fertigprodukten erforderlich. Das Wegesystem entwickelte sich weiter:

• Erschließung und Etablierung neuer Wegeziele wie Rohstofflagerstätten, Bergwerke, Ver-arbeitungsstrukturen, Endverbraucher (Bartelheim 2016a, Della Casa et al. 2016)

• Räumliche Stabilisierung der Wegtrassen durch wiederkehrende Nutzung aufgrund gleich-bleibend hoher Nachfrage

• Ausbau der Umschlagplätze von Wasser- und Landverkehr bedingt durch Größe und Ge-wicht der Güter

• Ausbau und Sicherung der Alpenpässe (Schwarz 1989)

• Steigerung des Handelsvolumens durch den Einsatz von Pferden für den Personen- und Wa-renverkehr (Murrieta-Flores 2010, Burmeister 2016a)

• Erweiterung der Vielfalt und Menge der auf den Wegen transportierten Handelsgüter z. B. Bernstein, Salz (Pollak 2013, Thoma 2017b)

Insgesamt entstand ein enges, europaweites, stabiles, gut funktionierendes und erfolgreiches Wegenetz. „Immerhin findet man Bronzegegenstände bis in der letzten Winkel, und offensicht-lich kam es niemals zu einer länger währenden Versorgungskrise, so dass man zu steinzeitli-chen Verhältnissen hätte zurückkehren müssen.“ (Huth 2016, S. 208) Die großen logistischen Herausforderungen, die wechselseitigen Abhängigkeiten und die ungleich verteilten Profite führten erst nachfolgend zu signifikanten Änderungen der Gesellschafts- und Siedlungsstruk-tur (Pollak 2013, Bartelheim 2016b). Die Wege an sich waren jetzt offensichtlich so bedeutend, dass sie in den berühmten Felsritzungen des Valcamonica in einer Art topographischen Karten festgehalten wurden: „Befestigte Wege wurden anscheinend […] in der Bronzezeit angelegt, als man die ersten Wagen hatte, und Trampelpfade waren noch nicht einzeichnungswürdig“ (Jätzold 1998, S. 66).

In der Mittelbronzezeit entwickelten sich erste befestigte, aber nicht dauerhafte Orte wie die Anlagen „Siedlung Forschner“ und „Wasserburg Buchau“ im Federseegebiet (Heumüller et al. 2016) wie auch viele Höhensiedlungen (Thoma 2017b). Aufgrund der Lage an verkehrsgeogra-phischen Zwangspunkten wird eine erstmalige, fast herrschaftliche Kontrolle über die Verkehrs-ströme angenommen (Huth et al. 2016). Der Handel professionalisierte und intensivierte sich weiter: Erstmals wurden beispielsweise hochtechnologische Untertagebaue zur Salzgewinnung in Hallstatt eingesetzt (Pollak 2013) und spezielle Barren eigens für den Transport hergestellt (Bartelheim 2016b).

Einen Einblick in die Transportlogistik und den Umfang der Wirtschaft im Mittelmeerraum gibt der einmalige Fund eines Wracks eines spätbronzezeitlichen Handelsschiffes, das wohl komplett beladen vor Uluburun (Türkei) gesunken war. Hauptladung waren ca. 10 t in der Um-rissform gespannter Rinderhäute genormte und gestapelte Kupferbarren. Neben vielen lokalen,

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aus dem östlichen Mittelmeer stammenden Gütern sind vor allem die Luxusgüter wie Bernstein von der Ostsee oder Elfenbein aus Afrika Hinweise auf weitläufige Handelsbeziehungen.

Im Gegensatz zu früheren Epochen erreichte die Siedlungsdichte in Mitteleuropa zur spät- bronzezeitlichen Urnenfelderkultur ein deutliches Maximum (Hye 2017). Die meisten Siedlun-gen bestanden in der Jahrtausende langen Tradition an Fluss- und Seeufern, bildeten jetzt aber ein über Jahrzehnte stabiles und ortstreues System (Köninger 2016). Die starke Auflichtung der Landschaft und neue stabilere, aber unflexiblere Fahrzeugtypen (Burmeister 2016b) lassen zu-dem vermuten, dass sich insbesondere das überregionale Wegenetz zu einem leistungsfähigen, räumlich fixierten System von geradlinigen Abschnitten ohne größere Berücksichtigung von Hindernissen entwickelt hat.

Diese Landschaftsentwicklungen setzten sich auch in der frühen Eisenzeit, der Hallstattzeit , fort. Durch weiter andauernde Bevölkerungszunahme und die damit verbundene Verdichtung der Siedlungsstruktur (Wahle 1976) kam es zur Anlage größerer Dörfer im Gegensatz zu frü-heren Einzelhöfen (Bräuning et al. 2011), zur Anlage von ausgedehnten, dauerhaft angelegten Landwirtschaftsflächen (Rösch et al. 2008) und zur Erschließung bisher wenig genutzter Natur-räume wie die Mittelgebirge und damit verbundene Rodungsphasen (Becker 1982). Dazu und zu den neuen Rohstoffabbauflächen (meist regional vorhandene, oberflächige Bohnerzvorkom-men) mussten neue Wege eingerichtet werden. Zeitgleich intensivierte sich der lokale Verkehr durch Ausbildung von zentralen „Fürstensitzen“ („System der Zentralen Orte“).

„Echte“ Nachweise von vorrömischen Wegen durch archäologische Funde außerhalb von Sied-lungen gelingen nur selten. Durch umfangreiche datierbare Wegbegleiter konnte beispielsweise eine 700 m lange Wegtrasse in Ehrwald (Gemeinde Reutte, Tirol, Österreich) der Hallstattzeit zugeordnet werden (Vogt 13.06.2017). Die zahlreichen Stadien einer 400 m langen Sumpfbrücke bei Feldmühle (Gemeinde Rennertshofen, Lkr. Neuburg-Schrobenhausen) zeigen zudem, dass der verkehrsgünstige Platz zwischen Frühbronzezeit und späterer Hallstattzeit dauerhaft genutzt und somit über 1000 Jahre lang von Bedeutung war (Schußmann 2012).

Die Erschließung und Sicherung neuer Landschaften durch Wasser- und Landwege wurde aufgrund der hohen Nachfrage an Gütern notwendig. Phönizier und Griechen beispielsweise bereisten die Küsten von Mittelmeer und Schwarzem Meer, gründeten Handelsstützpunkte an geeigneten Standorten und bauten so „maritime“ Netzwerke auf (Dally et al. 2012). Meist wur-den die neuen Siedlungen an großen Flussmündungen errichtet, um Güter aus dem Hinterland über Flussschifffahrt zu den Meereshäfen zu transportieren und dort umzuschlagen. Die räum-lichen Dimensionen der internationalen Fernwege werden durch die verschiedenen „Bernstein-straßen“ in ganz Europa sowie die Seidenstraße zwischen Europa und Asien (Ende 2. Jahrhun-dert v. Chr. bis Anfang 10. Jahrhundert n. Chr.) deutlich (Lay 1994). Hier wurden Glas, Pelze, Medizin, Gold, Silber, Tee, Trauben, Wein, Pfirsiche, Getreide, Pferde, Wägen, Bronze und Eisen gehandelt (Mair 2014).

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In Mitteleuropa waren die Menschen der späten Eisenzeit, der Latènezeit , weiterhin vor al-lem über die Flüsse und Seen und an deren Ufer liegenden, neu entstehenden, großflächigen, stadtartigen Zentralsiedlungen, den Oppida, an das überregionale Handelsnetz angeschlossen. Diese dienten als wichtige Verkehrsknotenpunkte und Umschlagplätze von Gütern zwischen Wasser- und Landstraßen (Wacker 1993). Im Allgemeinen wird angenommen, dass Siedlungen wie Konstanz, Altenburg/Rheinau, Zürich, Basel, Kirchzarten und Ladenburg auch zur Siche-rung und Kontrolle der Wasserstraße Rhein und seiner Nebenflüsse dienten (Bräuning et al. 2011). Oppida bzw. ländliche Großsiedlungen an natürlichen Zwangspunkten im Landstraßen-verkehr wie der Heidengraben (Gemeinde Grabenstetten, Lkr. Reutlingen) oder bei Welschin-gen (Gemeinde Engen, Lkr. Konstanz) kontrollierten meist günstige Hangaufstiege und damit die „kürzesten und bequemsten Verbindungen zwischen Donau und Rhein“ (Armingeon 2017, S. 80; Hald et al. 2008).

Durch die Ausdehnung des Römischen Reichs kam es um 50 v. Chr. zu einem drastischen Ab-bruch der Siedeltätigkeit: Die meisten Großsiedlungen in Süddeutschland wurden aufgegeben (Kaenel 2017) und in linksrheinische Gebiete verlagert; der Fernhandel ging dadurch ebenfalls stark zurück (Nick 2017). Wieland vermutet allerdings, dass die berühmte „Helvetier-Einöde“ des griechischen Geographen Klaudios Ptolemaios nicht wörtlich zu nehmen ist und wahr-scheinlich einige der keltischen landwirtschaftlichen Gutshöfe („Viereckschanzen“) lange wei-tergenutzt wurden (Wieland 2017). „Dass sich […] auch mehrfach eine unmittelbare Nachbar-schaft von spätkeltischen und römischen Gutshöfen nachweisen ließ, möchte man eher nicht als Zufall sehen, sondern schon im Sinne eines bewussten Anknüpfens an einen bekannten älteren Siedelplatz.“ (Wieland 2017, S. 75) Eine reduzierte, aber kontinuierliche Nutzung der Landwege kann deshalb angenommen werden. 3.2.4 Römerzeit

Reger Handel, Erschließung neuer Gebiete und die Nutzung vorhandener lokaler und überre-gionaler Wegenetze setzten sich auch in römischer Zeit fort (Haverkamp 1997, Kolb 2005, Bauer 2007). „Die Römer standen also nicht, wie dies oftmals unreflektiert unterstellt wird, vor einer terra incognita während der Eroberung neuer Regionen bzw. der darauf folgenden Einrichtung römischer Infrastruktur“ (Vieweger et al. 2012, S. 61ff). Viele indirekte Hinweise, wie vorrömi-sche Wegbegleiter oder die schnelle Eroberung Frankreichs durch Cäsar, belegen, dass schon gut ausgebaute Wege existierten (Lay 1994).

Im Gegensatz zu früheren Wegzielen traten nun vermehrt militärische Gründe in den Vorder-grund (Wacker 1993, Haverkamp 1997). Für die zentral von Rom gesteuerten, schnellen Trup-penverlegungen mussten die Straßen in Umfang und Ausbaugrad angepasst bzw. neu gebaut

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werden (z. B. Herzig 2005). Noch immer bildeten die Wasserwege das Rückgrat der Transporte wie auch für den nachrangigen Handelsverkehr. Gerade in wenig besiedelten Landschaften ohne größere Flüsse bestanden keine oder für die Bedürfnisse der Römer nicht ausreichende Ver-kehrswege (Scheschkewitz 2017). Um neu erworbene Gebiete mit Rom zu verbinden und damit militärisch zu sichern, gingen die Römer im Bereich des Landverkehrs sukzessive, systematisch und mit modernster Technik vor (Vieweger et al. 2012). Von bestehenden Wasserstraßen bzw. Mittelmeerküsten aus wurden Staats- und Heerstraßen als möglichst lineare Hauptachsen in das Landesinnere angelegt, wie das Beispiel Lyon zeigt: beginnend mit dem Umschlagsort Lyon (Wasserweg Rhône) erschließen vier konsequent geradlinige Straßen die Provinz Gallien und gliedern so den großräumigen Verkehr (Kolb 2012). Die dichte Besiedlung auch in ländlichen Regionen wie z.  B. Baden-Württemberg (Planck 1980) lässt zahlreiche lokale und regionale Wege zwischen Kastellen, Zivilsiedlungen („Vicus“) und den vielen Landgütern („villa rustica“) erwarten (Bauer 2007).

Vor allem im technischen Straßenbau der großen Reichsstraßen setzten die Römer neue Maßstäbe (Lay 1994, Blümel 2002, Esch 2011). Die „klassische“ Römerstraße umfasste zum Ersten Verbesserungen des Straßenkörpers, wie einheitliche Wegbreite, mehrschichtiger Aufbau, gewölbte Oberfläche und Steinplattenbelag. Zum Zweiten unterstützten beglei-tende Bauelemente wie Stützmauern, Böschungssicherungen oder beidseitige Entwässe-rungsgräben die Streckenführung. Zum Dritten erlaubten Verkehrsbauten wie Furten, Brü-cken, Rampen, Terrassen, Bohlen oder sogar Tunnel die Erschließung auch topographisch schwieriger Landschaften. Zum Vierten wurden gezielt Infrastrukturelemente für die Reise und den Straßenunterhalt wie Verpflegungs- und Übernachtungsstationen oder Meilen-steine angelegt.

Das teilweise noch stark bewegte Relief, staunasse Böden durch Grundwasseranstieg, stark verzweigte Flussläufe und häufige Überflutungen prägten die Landschaft (Becker 1982, Gerlach 2006), konnten aber durch den technischen Wegebau weitgehend beherrscht werden. Zudem erlaubte eine höhere Jahresmitteltemperatur die weitere Besiedlung und den Straßenausbau über die Alpen bzw. die Verbesserung von Zufahrten zu Bergwerken und Verhüttungsplätzen (Blümel 2002, Pollak 2013). Alpenpässe wie der Große und Kleine St. Bernhard wurden zur „Fahr“ ausgebaut (Herzig 2005).

Neuere Ausgrabungen bezeugen, dass der Ausbaugrad von Römerstraßen je nach zeitlicher Epoche und Bedeutung der Straße stark variierte. „Nachweislich wurde von Seiten des Bau-trupps sehr pragmatisch auf den jeweiligen Untergrund und das zur Verfügung stehende Mate-rial reagiert. Entsprechend kann dieselbe Straße sehr unterschiedlich aufgebaut sein.“ (Schesch-kewitz 2017, S. 80) Fahrspuren in römerzeitlichen, natürlichen Erdwegen belegen auch diesen Straßentyp in Deutschland und den Niederlanden (Vermeulen et al. 2001, Haupt 2013, Kortüm et al. 2018).

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Ab ca. 300 n. Chr. bestimmt das „Pessimum der Völkerwanderungszeit“ mit kühlem und trocke-nem Klima die Landschaft (Blümel 2002) und ist Mitauslöser der Migrationen ganzer Kulturen in Europa. Im starken Gegensatz zur Siedlungskontinuität der klassischen Spätantike in den Nachbarländern Bayern, Schweiz und Frankreich wurde das heutige Baden-Württemberg durch die überwiegende Abwanderung der römischen Bevölkerung bzw. die Einwanderung der Ala-mannen neu strukturiert und besiedelt (Theune-Großkopf 2011, Kretschmer 2017). Durch die Rückverlagerung der römischen Außengrenzen an den Rhein um 300 nahmen die links- und rechtsrheinischen Gebiete deutlich unterschiedliche Entwicklungen.

Zahlreiche neuere archäologische Funde aus Baden-Württemberg weisen darauf hin, dass die Landschaft in der Zeit der Völkerwanderung zunächst weiterhin im Machteinfluss Roms stand und neue Siedlungen noch in Bezug zu den Römerstraßen bzw. in die verlassenen römischen Gutshöfe gebaut wurden (Mayer-Reppert 2002, Thoma 2013, Kretschmer 2017). Diskutiert wird auch, ob ehemalige römische Soldaten dort im Vorfeld der spätrömischen Reichsgrenzen ge-zielt angesiedelt wurden und wenigstens an wichtigen Fernstraßen oder strategisch wichtigen Punkten für eine geringfügige Siedlungskontinuität und Kontrolle sorgten: Beispiel Hüfingen als Handelsumschlagplatz im Schwarzwald (Mayer-Reppert 2002) und die Alblimes-Straße auf der Ostalb (Scheschkewitz 2017).

Die hohe Mobilität der Menschen und damit die ausgeprägte Dynamik der Siedlungsprozesse sind wichtige Randbedingungen für die Entwicklung der Straßen in dieser Zeit (Meller et al. 2017): Die Siedlungen mit römischen Bezugspunkten wurden wieder aufgegeben, neue Sied-lungen gegründet und ganze Orte wanderten vermutlich innerhalb von Kleinterritorien (Schreg 2006, Theune-Großkopf 2011). Zudem kann eine deutliche Aufgabe von landwirtschaftlichen Flächen und eine starke Wiederbewaldung nachgewiesen werden (Becker 1982, Vogt 2016). „Es mag befremdend erscheinen, daß auf den römischen Kunststraßenbau nichts qualitativ Ent-sprechendes, sondern eine Rückkehr zu ‚prähistorischen‘ Verhältnissen erfolgen soll. Doch ent-spricht das den Tatsachen, wie die Überlieferung belehrt.“ (Schwarz 1989, S. 25). Die instabilen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse sorgten dafür, dass wenig Bedarf an Reisen be-stand, keine finanziellen Mittel für die Instandsetzung von Wegen vorhanden war und der größ-te Teil des Landverkehrs wieder zu Fuß erfolgte (Lay 1994, Pollak 2013).

Allgemein wird angenommen, dass die gut ausgebauten Römerstraßen noch lange nach der Römischen Herrschaft in Nutzung waren, obwohl sie durch die geringen Unterhaltungsmaßnah-men stetig verfielen (Würtz 1970, Schiedt 2015, Kortüm 2014). „Und Rom […] baute möglichst geradlinig von Stadt zu Stadt, quer durch über Bergrücken und Flußlinien, denn es baute Stra-ßen, nicht um die eroberten Länder in’s Einzelne zu beleben, sondern um sie allesammt direkt nach Rom zu führen. Darum konnte das individualisirende deutsche Mittelalter die Trümmer

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dieser Heerstraßen der römischen Centralisation größtentheils nicht mehr brauchen, und wo auf unseren deutschen Karten ein Römerweg verzeichnet steht, da läuft seit vielen Jahrhunder-ten häufig nicht einmal ein Fußpfad mehr die gleiche Linie“ (Krünitz et al. 1856).

Die Dauer der römischen Herrschaft und die Bedeutung von Landschaften für die militä-rischen und wirtschaftlichen Bedürfnisse bedingen den Ausbaugrad der römischen Straßen und damit mögliche Nachnutzungen. Auch noch vorhandene Brücken verfielen und ließen den großräumigen Verkehr auf andere Mittel (Fähren) oder natürliche Übergänge wie Furten aus-weichen (Rehbein 1984).

Ab dem 5. Jahrhundert wurden die sogenannten Altsiedelorte gegründet, deren Namen meist auf -ingen enden und von den ehemals römischen Siedlungen räumlich deutlich entfernt sind. Die Eingliederung der Alamannia als Herzogtum in das Frankenreich ab ca. 500 („Merowin-gerzeit“, Theune-Großkopf 2011, Kretschmer 2017) und der fortschreitende Landesausbau mit neuen Siedlungsgründungen führte zu weiteren Verschiebungen von Wegzielen. Die noch sicht-baren Römerstraßen wurden dort weiter genutzt, wo es mit den neuen Zielen vereinbar war, verloren aber ihren Zusammenhang (Schwarz 1989, Haverkamp 1997). Andere Relikte dienten als Steinbruch oder Flur- bzw. Gemarkungsgrenze (Lay 1994).

In der Karolingerzeit ab 750 kamen mit der Gründung von Pfalzen, Klöstern und Mühlen weitere wichtige Wegziele hinzu, die die Landschaft strukturierten und sich stark an überre-gionalen Wegen orientierten (Schreg 2013). Durch die weitere Aufsiedlung des Landes wurden auch weniger produktive Flächen in Besitz genommen (Schwarz 1989) und bisher unbedeuten-de Ortsverbindungen konnten sich zu wichtigen Fernhandelsrouten entwickeln (Bauer 2007). Karl der Große nutzte beispielsweise nicht nur die Flüsse weiterhin als bevorzugte Wege, son-dern ließ erstmals nach der Römerzeit großräumig auch wieder neue Fernstraßen und Brücken erstellen (Denecke 1979, Schwarz 1989). Zudem wagte er sich mit dem Wasserkanal „Fossa Ca-rolina“ an einer Verbindung der europäischen Hauptflüsse Rhein und Donau (Lay 1994, Schreg 2013). Auch der Verkehr mit Fahrzeugen wurde wieder aufgenommen (Denecke 2007b). 3.2.6 Hoch- und Spätmittelalter

Das Hochmittelalter war durch das Mittelalterliche Wärmeoptimum geprägt und ermöglichte einen intensiven Landesausbau auch in klimatisch weniger begünstigte Regionen und dadurch auch die Vergrößerung der landwirtschaftlichen Flächen (Blümel 2002). Selbst entlegene Ge-biete waren durch Wege erschlossen und das Wegenetz durch die jetzt ortstreuen Siedlun-gen festgelegt (Denecke 2007b). Der Waldanteil sank unter 20 %. Diese gesamtflächenhaft „stärkste Entwaldung“ (Rösch et al. 2008, S. 55) und die nachfolgende Bodenerosion lösten drastische Veränderungen der Kulturlandschaft aus (Blümel 2002). Die in den Flusstälern

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abgelagerten Kolluvien führten zudem zu flachen, breiten, stark verzweigten und eher lang-samen fließenden Flüssen (Becker 1982). Die Schifffahrt war dadurch zwar signifikant einge-schränkt, ein Übergang über die zahlreichen Flussinseln oft aber auch ohne Brücken möglich (Gerlach 2006).

Für die stark wachsende Bevölkerung wurden planmäßig neue Siedlungen mit Markt- oder Stadtrecht gegründet, die als „Zentrale Orte“ die Landschaft strukturierten und sich zu neuen wichtigen Zielen des Wegenetzes entwickelten (Denecke 1979, Rösch et al. 2008). Auf lokaler und regionaler Ebene konnten Wassernutzungen wie Wässerwiesen, Mühlenstauungen oder Fischteiche eine Neustrukturierung des Straßennetzes, z. B. Wegeführung über Weiherdamm ebenso den Verlauf von Wegen beeinflussen wie Änderungen der Herrschaftsverhältnisse, Einrichtung von Pfarrbezirken oder Mühlenbann (Schreg 2013). Zudem führten Interessens-konflikte bei der zunehmenden Nutzung von Fließgewässern (Gütertransport vs. Wasserkraft) wahrscheinlich zu einer Verlagerung vom Wasser auf die Straße (Schreg 2013), sodass sich auf-grund der lokalen Bedingungen zunächst auch Fernwege teilweise verlagerten.

Strukturelle Änderungen am Wegenetz waren später kaum noch möglich. Die dichte Besied-lung und kleinräumige Herrschaftsgebiete verhinderten bereits generell die Ausbildung neuer Wege, viele Maßnahmen sorgten zudem für gezielte Einengungen des Straßennetzes und führ-ten „zu einem gefestigten und bevorzugten Fernverkehrsnetz mit großen fernzentralen Han-delsplätzen.“ (Denecke 2007a, S. 66) Die Reise-Infrastruktur wurde durch festgelegte Rastplätze bzw. Unterkünfte für Reisende und Tiere und durch Hinweis-, Gebots- und Verbotsschilder aus-gebaut (Denecke 1969). Klöster, Kapellen und Pilgerstätten entstanden an wichtigen europäi-schen Pilgerwegen (z. B. Romwallfahrt, Jakobsweg). Neue Zwangspunkte des Verkehrs wurden an Umschlagplätzen von Wasser- zu Landwegen, oft in Verbindung mit einer Neuanlage von Brücken, bewusst ausgewählt und fixierten den Wegeverlauf (Denecke 1979).

Der Verkehr nahm drastisch zu (Denecke 1969, Schreg 2013): Gütertransport durch die ge-stiegene Nachfrage, Versorgung von Gebieten mit wenig Landwirtschaft (z. B. Städte, Bergbau-reviere, Glashütten) bzw. Rohstoffen, Personenbeförderung, Reisen zu Markt- und Handels-plätzen (Messen), Gesandte und Boten (komplexere Verwaltung und Nachrichtenbedarf), Individualreisende (Wallfahrer, Handwerker). Eine überregionale Handelsroute im Getreide-handel zwischen Nürnberg und Lyon verband beispielsweise die deutschen Produktionsgebiete mit Märkten und die Kunden in der Schweiz (IVS Dokumentation, Kanton Schaffhausen 2001b).

Die deutschen Kaiser und Könige reisten mit ihrem Hofstaat auf Wasser- und Landstraßen kontinuierlich zwischen Königspfalzen, Eigengütern bzw. durch sie gegründete Klöster und Bi-schofssitze („Reisekönigtum“, Abb. 20) und sorgten so für Präsenz, Herrschaftsausübung und -kontrolle innerhalb des Reiches (Fütterer 2016). Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung wurde die „Straße“ als „Mittel und Objekt des politischen und wirtschaftlichen Handelns“ (Szabó 1994, S. 914) wiederentdeckt und als Machtinstrument eingesetzt. Überregionale Handelswege standen

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jetzt unter dem Schutz des Königs, der dadurch Einnahmen aus Zöllen und Schutz- bzw. Ge-leitbriefen erzielte (Schreg 2013). Ab dem 13. Jahrhundert sorgten einzelne Straßenbaumaß-nahmen sowie der gezielte Ausbau von Alpenpässen zu befahrbaren Wegen (z. B. Gotthard, Simplon) für eine Intensivierung und Ausdehnung der Handelswege über die Alpen, vor allem zu den Mittelmeerhäfen Venedig und Genua (Denecke 2007a, Schreg 2013, Denecke 2013).

Abb. 20: Das Reisekönigtum von Heinrich IV ca. 1065–1106 mit Königspfalzen,

Bischofssitzen und Klöstern. Die direkten Verbindungen bezeugen die Wegstationen, die zeitlich aufeinander besucht wurden.

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Die bereits großen, bedeutenden und etablierten Handelszentren in Europa lagen so weit von einander entfernt, dass sich parallele Straßenführungen durch verschiedene regionale Hoheits-gebiete entwickeln konnten. Jede Herrschaft war nun bemüht, die Verkehrsströme auf kontrol-lierbare Straßenführungen zu konzentrieren, möglichst lange auf eigenem Territorium zu halten und dadurch Einnahmen aus Zöllen aber auch durch Dienstleistungen für die Reisenden zu generieren (Denecke 1996). Als Wegkontrolle dienten neben Siedlungen die zahlreichen Bur-gen (Humpert 1995). Im Wettstreit der Routen wurden alternative Linienführungen z. B. durch Sperrungen, Aufforstungen oder Abbau der Wegoberfläche aktiv verhindert (Denecke 2007a) und der Verkehr gezielt umgelenkt.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel der Umlenkung des Verkehrs ist im Gründungs-mythos der Stadt München verankert (Rädlinger 2008). Auf der alten, bereits in römischer Zeit stark frequentierten Salzstraße Salzburg-Augsburg war bei Oberföhring nordöstlich von München bis 1158 eine Brücke über die Isar vorhanden, die über den erhobenen Brückenzoll dem Lehensherr Bischof von Freising hohe Gewinne erwirtschaftete. Wichtig waren eben-falls die Münze und das Marktrecht für Oberföhring. Um die großen Warenströme zu kon-trollieren, Zolleinnahmen abzuschöpfen und damit seine Herrschaft auszubauen, legte der bayerische Herzog auf seinem eigenen Territorium selbst einen Markt mit Münzrecht ein paar Kilometer südlich mit einer Furt über die Isar an. Am Ende eines längeren Streites um die Zolleinnahmen 1240 war die Brücke in Oberföhring mutwillig zerstört, der Zoll einer neuen Brücke in München dem Bischof zugesprochen, aber die einträglichen Umsätze von Markt und Münze München die wichtigsten Einnahmen für das Herzogtum. Um diese dauerhaft zu sichern, bestätigte Kaiser Ludwig der Bayer, der aus dem bayerischen Herzogshaus stammte, 1332 in einer Urkunde, dass Salz zwischen Landshut und dem Gebirge nur bei München über die Isar gebracht werden dürfe.

Das Spätmittelalter ist durch den Beginn der sogenannten „Kleinen Eiszeit“, einer ca. 500 Jahre andauernden Klimaverschlechterung, charakterisiert (Blümel 2002). Ob diese ursäch-lich für die sogenannte spätmittelalterliche Agrarkrise (Missernten, Hungernöte) und die damit verbundene Aufgabe von Siedlungen („Wüstungen“) und somit auch Wegeführungen verant-wortlich war, ist noch Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. Zusätzlich verschärfte die Ausbreitung der Pest in Europa ab 1346 die allgemeinen Lebensbedingungen: Ein Rückgang der Bevölkerung um ein Drittel bis zum Jahr 1400 wird angenommen (Rösch et al. 2008). 3.2.7 Neuzeit

Die Jahrzehnte zwischen 1500 bis 1800 waren erheblich durch das verschlechterte Klima und die zahlreichen Kriege bestimmt (Blümel 2002). Siedlungen in landwirtschaftlich weniger

102

günstigen Gebieten wurden aufgegeben, es erfolgte eine starke Abwanderung in die Städte oder in andere Staaten. Insgesamt kam es zu einem drastischen Bevölkerungsrückgang um 30–40 %.

Trotz der zahlreichen lokalen Wüstungen von Siedlungen und Wegen intensivierte sich der großräumige Verkehr in Mitteleuropa: Güter aus den zunehmend weltweiten Handelsbeziehun-gen und Produkten der industriellen Revolution, Verlagerungen von Militäreinheiten und die neu etablierte reitende bzw. fahrende Post (Denecke 2001, Denecke 2013). In Baden-Württem-berg „[…] bestimmen dieses von seinen Oberflächenformen abhängige Verkehrsnetz des Lan-des […] zwei Hauptlinien, denen schon von alters her die großen Verkehrsströme gefolgt sind“ (Feyer 1977, S. 12): Nord-Süd-Richtung durch den Oberrheingraben und die West-Ost-Verbin-dung zwischen Karlsruhe und Ulm. Natürlich wurde auch der Rhein weiterhin als Verkehrsweg genutzt.

Der Wagen- bzw. Kutschenverkehr und der Transport vervielfachten sich zwischen 1550 und 1750, wurden aber immer mehr durch die fast unübersichtliche Kleinstaaterei mit ih-ren Zöllen und Abgaben (Klein 1988) und die schlechten Straßenverhältnisse behindert (Lay 1994). Die überwiegend noch aus dem Mittelalter stammenden Naturstraßen waren vor allem dem Verkehr mit Fahrzeugen kaum mehr gewachsen, weshalb auch wieder Saum-tiere eingesetzt wurden (Jänichen 1968). Um eine Verlagerung des lukrativen Handelsver-kehrs in benachbarte Territorien zu vermeiden, wurden ab dem 16. Jahrhundert erste Maß-nahmen der Wegeunterhaltung planmäßig durchgeführt (Fischer 1943, Jänichen 1968). Bis zum 18. Jahrhundert wurden für alle Herrschaftsgebiete Verordnungen zum Unterhalt der Straßen eingeführt, die die Straßen erstmals als „Commercial-, Land-, Heer- und Hochstra-ßen“ bzw. „Vicinalwege“ klassifizierten, Zuständigkeiten und Art des Unterhalts vorsahen und Gebote für den Reiseverkehr erließen, z. B. das Anlegen von Radschuhen (Baer 1878, Schwarz 1989).

Ursprünglich als gezielte Maßnahme zur Wirtschaftsförderung in Frankreich vorgesehen, verbreitete sich die technische Innovation des Chausseebaus im 18. Jahrhundert in ganz Europa (Kessinger 2011). Vorbild für den sogenannten Kunststraßenbau waren die in Frankreich oft noch sichtbaren, gut ausgebauten Römerstraßen (Krünitz et al. 1856). Gemäß deren Erschei-nungsbild wurden deshalb, wo immer möglich, neue, geradlinige Linienführungen ohne Rück-sicht auf Besitzverhältnisse oder Topographie und die Straßenkörper mit festem Unterbau und Deckplatten angelegt (Kessinger 2011). Zunächst bildeten die überregionalen Fernhandelswege und Städteverbindungen den Schwerpunkt des Straßenausbaus (Abb. 21, Denecke 2001), für die spätere Verdichtung des Netzes wurden häufig einfach die vorhandenen Wege „chaussiert“ (Kessinger 2011).

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Abb. 21: Situation der landesübergreifenden Straßenbaumaßnahmen zwischen

Schaffhausen und Munderkingen (Donau) bzw. Donaueschingen und Bodensee 1775 mit projektierten (Doppellinien) und bereits durchgeführten Straßenerneuerungen (gepunktet). Die Karte ist nach Nord-Westen orientiert.

„Die Netzgestalt, die sich im späten Mittelalter herausgebildet hatte, blieb bis zum 18. Jahrhun-dert bestimmend und ist zu einem großen Teil auch beim Ausbau der befestigten Chausseen übernommen worden und so bis heute erhalten.“ (Denecke 1979, S. 457)

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Die durch Napoleon durchgesetzte politische Neuordnung von Europa bedingte den flächen-haften Zugewinn an Herrschaftsgebiet für das Großherzogtum Baden 1810, vor allem aus den ehemals kleineren geistlichen Herrschaften und großen Teilen von Vorderösterreich (Hegau, Breisgau, Ortenau). Alte Straßen und Zollstationen wurden aufgehoben. Aufgrund der großen räumlichen Distanzen, des Schwarzwalds als Verkehrshindernis und der Aufgabe von regiona-len Wegzielen (z. B. ehemalige Herrschaftssitze) mussten große Anstrengungen unternommen werden, alte und neu erworbene Gebiete mit Straßen zu verbinden (Feyer 1977). Mit dem Bei-tritt von Baden, Württemberg und Hohenzollern zum Deutschen Zollverein ab 1834 und dem folgenden wirtschaftlichen Aufschwung wurden umfangreiche Instandhaltungen bzw. Chaus-sierungen von Straßen und Neuanlagen vor allem zu den Binnenhäfen realisiert.

Die technischen Innovationen und neuen Produkte der Industriellen Revolution wirkten sich auch auf die Entwicklung der Verkehrswege und Transportmittel aus. Ehemals frei mäandrie-rende Flüsse wurden reguliert, kanalisiert und zu Wasserstraßen ausgebaut. Die daraus folgen-de, gewünschte Grundwasserabsenkung legte frühere Feuchtgebiete und Auen trocken, sodass dort neue Wege einfacher angelegt werden konnten (Gerlach 2006).

Den größten Einfluss auf das Landwegenetz aber hatte der Bau der Eisenbahnen zwischen ca. 1840 und 1860, der „heute weitestgehend mit dem Aufbruch in die Moderne gleich gesetzt wird“ (Kessinger 2011, S. 58). Vor allem die bereits früh fertiggestellten Strecken Basel-Heidel-berg bzw. Ulm-Stuttgart-Bruchsal ersetzten die wichtigsten, überregionalen, Jahrhunderte alten Fernhandelsstraßen (Feyer 1977). Mit dem weiteren Ausbau des Eisenbahnnetzes verloren ehe-mals stark genutzte Straßen nach und nach ihre Bedeutung oder wurden komplett aufgegeben. Neue Straßen wurden überwiegend nur noch als Zubringer zu den Bahnhöfen gebaut. „Nun war es viel wichtiger, an einer der modernen Eisenbahnlinien als an einer Chaussee zu liegen.“ (Kessinger 2011, S. 68) Auf lokaler Ebene sorgten die umfangreichen Flurbereinigungen in der 2. Hälfte des Jahrhunderts erstmals auch für kartographische Festsetzungen des Flurwegenetzes sowie für spezielle Ausmarkungen von Wegeflächen (Denecke 2013).

Insgesamt bilden die Chausseen des 18. Jahrhunderts und deren Erweiterungen im 19. Jahr-hundert die Grundlage für fast alle heutigen Landverkehrswege in Südwestdeutschland (Egli et al. 2005). Ab den 1950er Jahren wurden im Rahmen von Flurneuordnungen und dem flächen-haften Ausbau von Aussiedlerhöfen auf lokaler Ebene neue Stichstraßen und Verbindungswe-ge gebaut. Drastische, aber regional begrenzte Auswirkungen hatte der Autobahnbau ab den 1930er und insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren in Baden-Württemberg. Die im Ver-gleich mit anderen Bundesländern relativ geringe Dichte von Autobahnen veränderte jedoch kaum das gesamte Altstraßennetz, sodass viele Bundesstraßen auf historische Linienführungen zurückgehen.

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3.3 Wüstungen und archäologische Taphonomie

„[…] und so verschwand bald an Stellen, wo erdige Bestandteile eher hinzukamen als abge-schwemmt wurden, der Straßenkörper unter grundlosem Dreck“ (Hertlein 1924, S. 55). Bereits im Rahmen der Römerstraßenforschung Anfang des 20. Jahrhunderts wurde diskutiert, welche Relikte in welchen Gebieten überhaupt noch sichtbar sind und vor allem welche Faktoren auf deren Überlieferung einwirken. 3.3.1 Wüstungen

In der Altstraßenforschung wird das Thema der aufgelassenen, außer Funktion gekom-menen Wege nur am Rand diskutiert. Denecke weist zwar darauf hin, dass neben der Ent-stehung von Wegen auch der Verlust an Verkehrsspannung bzw. -bedeutung und damit der Rückgang des Verkehrs und die Aufgabe von Verkehrseinrichtungen thematisiert werden muss (Denecke 2001). Wie die Hauptuntersuchungsobjekte, die erhaltenen Relikte der in der Landschaft funktionslos gewordenen Kulturlandschaftselemente („Verkehrswüstun-gen“), entstehen, welchen Einflüssen diese ausgesetzt waren, kommt aber kaum zur Spra-che.

Die Wüstungsforschung, wie die Altstraßenforschung thematisch in der Schnittmenge von Historischer Geographie und Historischer Landeskunde verortet, hat ihren Schwerpunkt in der Suche nach aufgegebenen Kulturlandschaftselementen, der Erfassung der überlieferten Relikte und deren historische Einordnung. Da Quellen und Methoden vor allem aus den Historischen Wissenschaften eingesetzt werden, werden üblicherweise Siedlungen und Flure ab dem Mittel-alter untersucht (Abel 1976, Bergmann 1994).

Für die Untersuchung von Verkehrswüstungen ergeben sich aus Sicht der Altstraßenfor-schung einige Problemstellungen: Zwar gibt es große Mengen an Primärquellen (z. B. Straßen-bauakten), diese wurden jedoch bisher kaum wissenschaftlich aufgearbeitet. Auch die Angaben zum Zustand von Wegen wie „gangbar“, „gebahnt“, „gängig“ oder „beständig“, dann aber auch „überwachsen“ oder „verloren“ lassen viel Raum für Interpretationen (Denecke 2013). Zudem beschränkt sich diese Herangehensweise auf Epochen mit einer großen Vielfalt an verschiede-nen (historischen) Quellen.

In einer der wenigen Forschungen zu Wüstungen von Verkehrswegen hat sich Nagel mit auf-gelassenen Eisenbahnlinien beschäftigt (Nagel 1986). Er überträgt das traditionelle Untersu-chungsschema von Siedlungen auf die Verkehrswege und unterscheidet auch zwischen bebau-ten und unbebauten Flächen (Bahnwärterhaus bzw. Trasse der Schienen). Als Attribute werden erfasst: der Wüstungszeitpunkt (fossil, rezent), der Formenzerfall (relativ, absolut), die Dauer

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(befristet, dauerhaft) bzw. der Umfang (partiell, total) der Nicht-Nutzung und der Funktions-wandel (erhalten, wiederaufgelebt, gewandelt, funktionslos). 3.3.2 Archäologische Quellenkritik

Im Gegensatz zur Altstraßenforschung, die vor allem aus vorhandenen historischen Quel-len auf Relikte schließt, müssen die archäologischen Wissenschaften ihre Rückschlüsse auf frühere Kulturen und Landschaften ausschließlich aus vorhandenen Befunden und Funden ziehen. Diese urgeschichtlichen Quellen können auch als „materialisierte Momentaufnahme“, als „materieller Niederschlag“ historischer Ereignisse gesehen werden (Eggert 2012). Ihnen wird häufig Objektivität als Quelle nachgesagt, obwohl „jede Aussage, die über das rein Stoff-liche der Sachgüter und Befunde hinausgeht, […] strenggenommen bereits in den Bereich der Deutung des konkreten Überrestes“ (Eggert 2012, S. 103) fällt. Grundsätzlich werden die phy-sische Beschaffenheit bzw. die Erscheinungsform des Fundes und der gesamte Fundkontext für eine Bewertung herangezogen (vgl. Kap. 2.1.1: Komponenten von Wegen Straßenkörper, Linienführung, Wegbegleiter).

Bereits in den 1960er Jahren wurde in den archäologischen Wissenschaften diskutiert, in-wieweit die überlieferten Funde und Befunde überhaupt den einstigen Wirklichkeiten ent-sprechen und wie anthropogene und natürliche Faktoren diese Überlieferung urgeschichtlich bzw. rezent beeinflussen. Zudem waren Interpretationen vom jeweiligen Zeitgeist der Ausgrä-ber abhängig. Ursprüngliche Annahmen wie „die Funde sind gleichmäßig verteilt und voll-ständig erfasst“ oder „alle Funde bestehen gleichzeitig“ gelten nicht mehr (Hamond 1980). Heute besteht Konsens, dass die archäologischen Quellen nur ein verzerrtes Bild der frühe-ren Kulturen wiedergeben und somit zu falschen Bewertungen führen können (Eggert 2012). „Nun besteht […] nicht der geringste Zweifel daran, dass eine römische Reichsstraße diesen Pass überschritt. Die Frage lautet jedoch, ob sie mit der heute sichtbaren Spur identisch ist“ (Herzig 2005, S. 235).

Jüngere siedlungsarchäologische Arbeiten setzen sich deshalb mit den zur Verfügung stehen-den archäologischen Quellen und deren abgeleiteten Aussagen kritisch auseinander (z. B. Blöck 2016). Meist erfolgt eine Diskussion einiger Erhaltungs- und Auffindungsbedingungen („Quel-lenfilter“) wie Fundumstände, Durchführender, Flächengröße, Art und Vorgehensweise der archäologischen Untersuchung und Geographie des Untersuchungsgebietes (Hamond 1980). Mischka beschreibt drei Arten von Quellenfiltern, die sich auf die Auffindungsbedingungen auswirken können (Mischka 2007):

• moderner Mensch: Landnutzung, Sammleraktivitäten, Forschungsinteresse, Fundumstände (z. B. Lesefunde, Baumaßnahmen, Ausgrabung, Flurneuordnung, …)

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• prähistorischer Mensch: Befundtiefe/-höhe, Befundanzahl, Fundmenge

• natürliche Faktoren: Erosion, Kolluvien

Eggert unterteilt die Analyse des Quellenwertes in eine Äußere und in eine Innere Quellen-kritik (Eggert 2012). Die Äußere Quellenkritik umfasst die Quellenüberlieferung zwischen dem Zeitpunkt der Bergung bis zur Auswertung und beinhaltet meist die Fundgeschichte, Fundum-stände, Echtheit, Originalität, Erhaltungszustand und die Chancen der Entdeckung im heuti-gen Landschaftsbild. Die Innere Quellenkritik diskutiert den eigentlichen Wert des Fundes, die Quellengattung und den Fundzusammenhang. 3.3.3 Archäologische Taphonomie

„Quellenkritik behandelt vor allem die verzerrenden Faktoren, welche die Auffindung von Funden und Fundstellen beeinflussen, Taphonomie die Faktoren, welche die Erhaltung von Fundstellen bzw. deren Integrität betreffen“ (Sommer 2013, S. 25). Während die Quellenfilter also aktuelle (Auffindungs-)Bedingungen und Einflussfaktoren beschreiben, will die Tapho-nomie die Prozesse diskutieren, die zwischen dem ursprünglichen Siedlungsbild und über-lieferten Befunden stattfinden. Dieses Konzept basiert auf dem paläontologischen Taphono-mie-Verständnis, wobei Vorgänge nach dem Tod eines Lebewesens bis zu seiner Auffindung und Bearbeitung diesen und seine Interpretationsmöglichkeiten beeinflussen und verändern (Sommer 1991).

Die generelle Überlieferung von archäologischen Funden und damit eine mögliche Nach-vollziehbarkeit von taphonomischen Prozessen ist gemäß Sommer (1991) an mehrere Voraus-setzungen verbunden (Tab. 7). Grundsätzlich sieht sie eine Abhängigkeit der Überlieferung von der Haltbarkeit, der Erhaltungsbedingungen und dem Wiederverwendungswert des Ge-genstandes. „Nicht alle Teile des materiellen Inventars einer Kultur haben die gleiche Chance, überliefert zu werden. Die Wahrscheinlichkeit der Erhaltung hängt vom Material des Gegen-standes und von seiner Umwelt ab“ (Sommer 1991, S. 59). Beispielsweise sind bei temporären Lagern von hochmobilen Jäger- und Sammlergruppen nahezu keine archäologischen Funde zu erwarten.

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Tab. 7: Voraussetzungen für die Überlieferung von archäologischen Funden. Eigener Vorschlag zur Modellübertragung auf Landwege (rechte Spalte, vgl. Kap. 3.1.5).

Zur grundlegenden Systematisierung stellt Eggers (Eggers 1986) das Konzept des Dreistufen-modells der Kultur vor (Tab. 8). „Gerade Eggers war sich darüber im Klaren, dass dem Archäo-logen aufgrund der besonderen Natur seiner Quellen bei der Rekonstruktion der ‚lebenden Kul-tur‘ von vornherein enge Grenzen gesetzt sind“ (Eggert 2012, S. 116).

Abb. 22: Lebenszyklus von „dauerhaften Gegenständen“

Schiffer diskutiert den Lebenszyklus von dauerhaften und vergänglichen Gegenständen anhand von Aktivitätseinheiten (Schiffer 1972). Ist ein Gegenstand in Gebrauch, verbleibt er in einem „systemic context“ (vgl. „lebende Kultur“), wird er zu Abfall geht er in den „archaeological con-text“ (vgl. „tote Kultur“) über (Abb. 22). Sommer entwickelt diesen Ansatz weiter und diskutiert die einzelnen Ablaufschritte (Tab. 9, Sommer 1991). Für die Bewertung von Fundsituationen muss weiterhin berücksichtigt werden, dass im Gebrauch zusammengehörende Gegenstände unterschiedliche Lebenszyklen haben können.

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Tab. 8: Dreistufenmodell der Kultur nach Eggers

Tab. 9: Einzelschritte des Lebenszyklus von „dauerhaften Gegenständen“ nach den Modellen von

Schiffer und Sommer. Eigener Vorschlag zur Modellübertragung auf Landwege (zweite Spalte). Neben dem Lebenszyklus ist die Identifizierung und Beschreibung der zahlreichen anthropo-genen und natürlichen Einflussgrößen auf die Gegenstände der zweite Baustein der archäologi-schen Taphonomie (Schiffer 1972). Während sich diese Prozesse im „systemic context“ durch aktives Gegensteuern des Menschen im Normalfall nur wenig auswirken, bestimmen sie im „archaeological context“ über die Zeit, ob und wie sich der Gegenstand in Form, Größe und Material verändert, seine Sicht- und Zugänglichkeit einschränkt wird oder er sich spurlos auf-löst. Im Nachfolgenden werden beispielhaft Faktoren beschrieben, die den Gegenstand „Weg“ in seinem Lebenszyklus beeinflussen.

Zu den natürlichen Prozessen zählen vor allem hydrologische Änderungen, Stofftransport und der Einfluss von Pflanzen und Tieren (Tab. 10). Globale Umweltveränderungen wie Kli-maschwankungen oder Vulkanausbrüche sind oft Auslöser der genannten Prozesse und damit grundlegend für die Jahrtausende lange Entwicklung der Wege verantwortlich (vgl. Kap. 3.2).

Tab. 10: Natürliche Einflüsse auf die Entwicklung von Wegen. Eigener Entwurf zu möglichen Auswirkungen (zweite Spalte, ohne Anspruch auf Vollständigkeit).

Die anthropogenen Eingriffe und dadurch ausgelösten Prozesse umfassen vor allem hydrologische Änderungen, verschiedene Arten der Landnutzung und direkte Änderungen an Wegen (Tab. 11).

Tab. 11: Anthropogene Einflüsse auf die Entwicklung von Wegen. Eigener Entwurf zu möglichen Auswirkungen (zweite Spalte, ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

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4 Methodische Konzeption

4.1 Einleitung

Generell ist das Handeln des Menschen im Raum durch fünf Aspekte bestimmt (erweitert nach Denecke 2001, Schiedt 2015, Bahn et al. 2016):

• Raum: naturräumliche Gegebenheiten wie Geologie, Boden

• Zeit: dynamische natürliche Prozesse wie Klima, Erosion

• Wissen/Technik: verfügbares technisches Wissen, z. B. Straßenbau

• Kultur: anthropogene Einflüsse wie politische Gegebenheiten (Herrschaften, Handel, Krieg), soziale Gesellschaft (Mentalitäten, sakrale Vorstellungen)

• Biologie des Menschen: Optimierungsprinzipien der menschlichen Fortbewegung (energie-ökonomische Bewegung), Neugierde, Flexibilität, Anpassungsfähigkeit

Die vorliegende Untersuchung legt den speziellen Fokus auf vorgeschichtliche Epochen, so-dass zudem die Annahme gilt, „dass kulturelle Reste jeglicher Art nicht zufällig in einer Land-schaft verteilt sind, sondern dass der Mensch zu allen Zeiten bestimmte Landschaften mit ge-wünschten Eigenschaften für bestimmte Zwecke (Siedlungen, Gräber, Verkehrsnetze) gezielt ausgesucht oder bevorzugt hat“ (Ebersbach 2015, S. 213). Münch hat dazu zahlreiche Untersu-chungen zur Siedlungsforschung und Landschaftsarchäologie zusammengefasst (Münch 2008, S. 16, Anmerkung 5).

Welche Aspekte zur jeweiligen Entwicklung und Nutzung von einzelnen (prä-)historischen We-gen konkret beigetragen haben, bleibt naturgemäß unbekannt. Um sich der Fragestellung trotz-dem zu nähern, werden in einem ersten Schritt zunächst Abgrenzungen des Themas definiert:• Das Untersuchungsobjekt ist der Landweg mit seinen drei Komponenten Sohle, Linienfüh-rung und Wegbegleiter; er ist als sichtbares Relikt oder als archäologischer Befund physisch greifbar, unabhängig von der zeitlichen Einordnung oder dem baulichen Zustand.

• Eine räumliche Abgrenzung ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Die weitere Vorgehensweise soll so entwickelt werden, dass eine große Übertragbarkeit auf viele verschiedene Naturräu-me möglich ist.

• Eine zeitliche Abgrenzung ist ebenfalls nicht vorgesehen. Eine grobe Einteilung der archäo-logischen bzw. historischen Epochen wird nach den größeren Entwicklungsumbrüchen vor-genommen (vgl. Kap. 3.2).

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• Im Rahmen der inhaltlichen Abgrenzung wird grundsätzlich der Mensch als Transportmittel angenommen. Ähnliche Anforderungen an Wege können aber auch bei Verwendung von Saumtieren vermutet werden (vgl. Kap. 4.2.3).

Aufgrund der vielfältigen Forschungsmöglichkeiten (Kap. 2.2 bzw. 2.3) muss in einem zweiten Schritt ebenfalls festgelegt werden, was explizit nicht mit der nachfolgenden Vorgehensweise erreicht bzw. berücksichtigt werden soll („ Nicht-Ziele “, Tab. 12).

Tab. 12: Definition von Einschränkungen der nachfolgenden Vorgehensweise („Nicht-Ziele“) Auf Grundlage der langjährigen interdisziplinären Forschungsergebnisse können trotz der na-turgemäß schwierigen Datenlage in einem dritten Schritt zwei neue Ansatzpunkte für die Wei-terentwicklung der Wegeforschung vorgelegt werden:

• Das erkannte Desiderat von bisher fehlenden, einheitlichen und damit vergleichbaren Kri-terien und Vorgehensweisen in der Altstraßenforschung (Kap. 2.2.2) kann durch eine um-fangreiche Literaturanalyse, eine systematische und strukturierte Zusammenfassung und kritische Diskussion bearbeitet werden.

• Die Annäherung der Wegeforschung an prähistorische Epochen ist mithilfe von vier Aspek-ten möglich:

ₒEntwicklung einer möglichst allgemein gültigen Vorgehensweise allein auf Grundlage der menschlichen Fortbewegung, zunächst ohne Berücksichtung von methodischen Einschränkungen. Die Nutzung geeigneter, langjährig bewährter Methoden im An-schluss wird vorausgesetzt.

ₒDie Integration der vielfältigen interdisziplinären Forschungsergebnisse erlaubt eine breitere Sichtweise jenseits der traditionellen, auf das Mittelalter und Neuzeit orien-tierten Altstraßenforschung und vermeidet Zirkelschlüsse.

ₒUnkenntnis oder unscharfe Informationen zu Wegen in der Vorgeschichte sind keine Ausschlusskriterien der Konzeption.

ₒEine kritische Diskussion bzw. transparente und nachvollziehbare Argumente unter-stützen die für die Vorgeschichte erforderlichen Annahmen und können bei einem verbesserten Kenntnisstand aktualisiert werden.

„Aber weder Alter noch Popularität der Forschung entheben uns der Pflicht, die Methoden immer wieder neu zu überdenken“ (Herzig 1983, S. 70). Bereits im Methodikhandbuch des In-ventars Historischer Verkehrswege der Schweiz aus dem Jahr 1999 wird eine kritische Diskus-sion von Untersuchungsergebnissen angemahnt: „Der notorische Mangel an Belegen macht es unvermeidlich, Hypothesen über das Alter, die Persistenz und Verlauf der Strecken und Linien-führungen zu entwickeln […] Hypothesen, die nicht auf einer gewissen Quellengrundlage oder einem aussagekräftigen Geländebefund basieren, sind grundsätzlich sinnlos“ (Bundesamt für Strassen 1999, S. 55). Als vierter Schritt werden in den nachfolgenden Kapiteln 4.2 und 4.3 des-halb die interdisziplinären Konzepte und Erkenntnisse quellen- und methodenkritisch disku-tiert, ob und wie sie zur Untersuchung speziell prähistorischer Wege eingesetzt werden können („ Theoretische Überlegungen “).

Methodische Überlegungen bilden den Schwerpunkt des letzten Schrittes:

• Das Vorgehen wird entlang allgemein gültiger oder bewährter geographischer Modellierun-gen und Methoden wie die Standortanalyse bzw. –suche entwickelt und berücksichtigt dabei immer die speziellen Herausforderungen des Untersuchungsobjektes Weg (Kap. 4.4).

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• Die Suche nach Standortkriterien von Wegen erfolgt in einem zweiten Schritt nachvoll-ziehbar und objektiv. Hier werden die empirischen Kenntnisse der Altstraßenforschung als Grundlage für das nachfolgende predictive modeling beschrieben und diskutiert (Kap. 4.5).

• Der dritte Aspekt umfasst den Einsatz neuzeitlicher Kartenwerke als Grundlage für die Pro-gnose von Wegen. Die aus diesen abgeleiteten, bisher wenig beachteten Aspekte von Wegen, wie der technische Ausbaugrad und Wüstungen, erlauben neue Analyseansätze (Kap. 4.6).

• Grundsätzlich zeigen die eingesetzten und diskutierten Methoden immer wieder Lücken in der Modellierung auf und geben damit Impulse für neue Forschungsansätze.

4.2 Theoretische Überlegungen: Wegeforschung

4.2.1 Altstraßenforschung Rekonstruktion Neben der Suche nach und Beschreibung von Relikten ist die Rekonstruktion alter Wegverläufe Hauptschwerpunkt in der Altstraßenforschung. In der wissenschaftlichen Forschung wird ge-nerell versucht, die Linienführung zwischen bekannten Relikten mithilfe aller verfügbaren geo-graphisch-historischen Quellen diachron und regressiv zu interpolieren. „Der Hauptfehler aller älteren Arbeiten […] besteht darin, dass sie die bis dahin bekannten, verhältnismäßig geringen archäologischen Bodenfunde in willkürlicher Weise zur Rekonstruktion einiger Hauptstraßen-züge verwandten“ (Schumacher 1909, S. 26). Im Wesentlichen ist die Aussage von Schumacher heute noch gültig, obwohl in den letzten 110 Jahren weitere archäologischen Befunde die Stütz-punkte der Rekonstruktion erweiterten und heute auch oberirdische Relikte hinzugezählt wer-den. Beispielhaft sei die wissenschaftliche Diskussion zu Römerstraßen über den Schwarzwald erwähnt (Fingerlin 1984, Humpert 1995, Fingerlin 2009, Maurer 2011):

• Hypothetischen Rekonstruktionsentwürfen folgt keine Validierung im Gelände.

• Weite Strecken bleiben ohne echten belegbaren Nachweis.

• Undatierte Funde und Befunde werden in einen zeitlichen Kontext gestellt.

• Die Vorgehensweise wird selten quellen- oder methodenkritisch diskutiert.

„Die Methode der Altwegerekonstruktion geht von der Logik und Kenntnis der Regeln in der menschlichen Bewegung aus.“ (Schenk 1999, S. 141) Die meisten Rekonstruktionsversuche be-ruhen deshalb auf tradierten Annahmen, wie beispielsweise „Altwege folgen einem geradlinigen

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Verlauf“. Als Interpolationsansatz wird hier daher eine direkte Verlängerung eines gesicher-ten Wegabschnitts durchgeführt. Die verwendeten Annahmen können auch als Charakteristi-ka/Kriterien von Wegen bezeichnet werden. Sie werden in den Rekonstruktionen in der Regel großzügig, aber oft nicht mehr nachvollziehbar, unkritisch und ohne weitere Nachweise ein-gesetzt. Bauer beispielsweise überprüft seine hypothetischen Routenführungen von römischen Fernstraßen anhand von „Prämissen römischer Streckenführung“ (Bauer 2007, S. 8), ohne diese jedoch genau zu benennen.

Hinsichtlich der zahlreichen Forschungen zu Römerstraßen muss beobachtet werden, dass meist keine Diskussion darüber erfolgt, ob bei ausgebauten Straßen/Dammwegen eine Chaus-see des 18./19. Jahrhunderts ausgeschlossen werden kann (z. B. Schwarz 1989, Humpert 1995). „Gehörte aber das Studium der römischen Strassenbauten zur Ausbildung der Fachleute [des 18. Jh.], so mag es kaum erstaunen, dass die neuen Strassen einer römischen sehr ähnlich sein konnten. Und diese Möglichkeit zu bedenken, könnte die modernen Forscher immerhin vor Fehlern bewahren!“ (Herzig 1983, S. 73)

Nur wenige Forscher setzen sich kritisch mit den verfügbaren Quellen auseinander. Exem-plarisch wirft Herzig die Frage nach der Notwendigkeit von Boten auf, den linearen Routen aus Itinerarien folgen zu müssen. „Ob jedoch Reisende auch dieser Logik folgten, ist eine andere Frage. Diese können wir zwar nicht beantworten, aber immerhin stellen“ (Herzig 2005, S. 234). Er diskutiert, dass die überlieferten schriftlichen, antiken Quellen „[…] jedoch nichts aussagen über mögliche Abzweigungen und Subverbindungen, die – wenn wir die Orte vernetzen – zei-gen, dass die Römer nicht nur Fernstraßen bauten, sondern damit auch ein Verkehrssystem schufen, das sich recht beliebig nutzen ließ“ (Herzig 2005, S. 234).

Aus den aktuellen Forschungen zu Römerstraßen muss die Dissertation „Die römerzeitliche Besiedlung im rechten südlichen Oberrheingebiet“ erwähnt werden (Blöck 2016). Obwohl für das Untersuchungsgebiet sehr umfangreiche und qualitativ gute archäologische Befunde vorla-gen, sieht Blöck den Aussagewert der Ergebnisse kritisch: „[…] der größte Teil der in den Karten der vorliegenden Arbeit dargestellten Straßen- und Wegetrassen [beruht] letztlich nur auf Ver-mutungen und ist als hypothetisch anzusehen“ (Blöck 2016, S. 183). Kriterien

Bereits in der frühen Altstraßen- bzw. Römerstraßenforschung bestand der Bedarf, Römerstra-ßen von vorrömischen Wegen zu unterscheiden (vgl. Kap. 2.2.1). Im wissenschaftlichen Diskurs beschrieb Schumacher im Jahr 1909 Merkmale vorrömischer Wege: „Die Tracierung hat hin-sichtlich der Energie möglichst gerader Linienführung oft über Berg und Tal hinweg, nament-lich im Vergleich zu den schon etwas bequemeren mittelalterlichen Wegen, manche Ähnlichkeit

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mit derjenigen der Römerstrassen, wenn auch die vorrömischen Wege sich meistens noch etwas mehr dem Terrain anschmiegen und in geschickter Weise die einzelnen Wasserscheiden zu ge-winnen wissen“ (Schumacher 1909, S. 26). Genauere Angaben zu den physischen Ausprägungen bzw. datierbare Belege zu den Aussagen „dem Terrain anschmiegen“ oder „etwas bequemeren mittelalterlichen Wegen“ sind allerdings nicht vorhanden. Auch für nachfolgende Forscher war der geradlinige Verlauf (z. B. Hertlein 1924, Paret 1961) das wichtigste Unterscheidungsmerk-mal zwischen vorrömischen, römischen und mittelalterlichen Wegen.

Bahn diskutiert in den 1960er Jahren „[…] Kennzeichen alter Straßen und Wege überhaupt. Immer wieder stoßen wir in der Literatur auf diesbezügliche Hinweise. Trotzdem scheint auch dabei eine gewisse Systematik zu fehlen. Man kann schlecht von ‚alten‘ Straßen und ihren Kenn-zeichen reden“ (Bahn et al. 2016, S. 19). Trotzdem werden vor allem die Merkmale von Römer-straßen spätestens seit dem Aufsatz von Hertlein „Art, Naturgeschichte und Kennzeichen unse-rer Römerstraßen“ (Hertlein 1924) als belegt angesehen: „Hertleins Aufsatz zeichnet sich aus durch eine bis heute gültige differenzierte und sorgfältige Analyse der aktuellen Erscheinungs-bilder und Erkennungsmerkmale römischer Straßen. Der Linienführung wird bei der Identi-fizierung einer römischen Straße zentrale Bedeutung beigemessen“ (Humpert 1995, S. 21). Viele beschriebene Straßen bleiben jedoch ohne weitere Untersuchungen oder Profile und selbst dar-gestellte Anschnitte sind meist nicht datierbar (vgl. Kap. 2.1)

Aus der wissenschaftlichen Diskussion über spezifische Kennzeichen von Straßen ergeben sich beispielhaft folgende Aussagen:

• „Solche Fortsetzung der ehemaligen [Römer-]Straße ist wegen der Geradlinigkeit nicht in Zweifel zu ziehen“ (Schwarz 1989, S. 30)

• „Und für die mittelalterliche Straße ist natürlich der Hohlweg wichtigstes Kennzeichen“ (Bahn et al. 2016, S. 19)

• „Bis in das hohe Mittelalter hinein suchten die Menschen vornehmlich Höhenwege einzu-schlagen“ (Denecke 1996, S. 214)

• „Auf offenem Gelände konnten die Wege weitaus breiter sein, obwohl die Erfahrung in Nord-amerika deutlich zeigt, daß trotzdem in den meisten Fällen regelrechte Pfade entstanden“ (Lay 1994, S. 20)

• „Eines der wichtigsten Erfordernisse ist größtmögliche Trockenheit“ (Marschalleck 1964, S. 413)

Humpert fasst zusammen: „Gemeinsam können Aussehen und Linienführung schon implizit wichtige Informationen für die Einordnung in ein chronologisches Grobraster liefern. Ge-schichtliche Epochen haben spezifische Erscheinungsformen und charakteristische Strecken-führungen hervorgebracht“ (Humpert 1995, S. 11). „Aus all diesen Merkmalen gewinnt die Altstraßenforschung die Unterscheidungskriterien mit denen aufgefundene Verkehrswege

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nach ihren Kennzeichen sortiert und Hypothesen hinsichtlich ihres Alters und ihrer Funktion erstellt werden können.“ (Humpert 1995, S. 13) Leider fehlen allerdings fast immer nachvoll-ziehbare bzw. datierbare Belege oder theoretische Begründungen zu den meisten tradierten Merkmalsbeschreibungen. Je älter die Beschreibungen, umso mehr müssen sie in Zweifel ge-zogen werden. Datierung und Persistenz

Neben der Diskussion über Kriterien und darauf aufbauende Rekonstruktionen von Altwegen spielt die zeitliche Zuordnung von Kennzeichen und damit von Wegeverläufen eine große Rolle:• „Die kontinuierliche Nutzung [der Wegtrasse] erforderte umfangreiche Kunstbauten, die bis in die Urzeit zurückreichen“ (Pollak 2013, S. 16)

• „Wenn auch alte Wegetrassen heute nahezu durchweg nur noch in wenigen Teilstücken er-halten sind, so gehen doch häufig die Linienführungen heutiger Wege und Straßen weiter in die Geschichte zurück“ (Denecke 2002)

• „Dabei zeigt sich, dass die Grundlage vieler heutiger Trassen bereits sehr alt ist und die-se Trassen in ihrer generellen Linienführung nur wenig verändert werden“ (Humpert et al. 2007, S. 81)

• „Einigkeit besteht hinsichtlich der Kontinuität und des Fortbestandes der Fernverbindun-gen“ (Fütterer 2016, S. 46). Von ihm zitierte aktuelle Veröffentlichungen postulieren zeitliche Zusammenhänge von mittelalterlichen Fernwegen mit neolithischen Erdwerken und gehen „[…] daher von einem in seinen groben Zügen fortdauernden Wegenetz mindestens seit dem Jungneolithikum [aus]“ (Fütterer 2016, S. 46, Anmerkung 261)

• „Große durchgehende Fernrouten und Richtwege, die in dem frühen Mittelalter das tragende weitmaschige Netz des Fernverkehrs bilden sollten, gehen durch archäologische Funde und Befunde belegt an manchen Stellen mit zunehmender Wahrscheinlichkeit als solche in vor-mittelalterliche Zeit zurück“ (Denecke 2007a, S. 54)

• „Hier sind es nur wenige Grabhügelgruppen und Flachgräber, die richtungweisend wirken, aber durch Höhenrücken, Moorübergänge, Burgen ist der der Verlauf einigermaßen gesi-chert“ (Marschalleck 1964, S. 418f)

In der Literatur über mittelalterliche und neuzeitliche Wege wird immer wieder auf die hohe Persistenz der Straßennetze hingewiesen, die also seit spätestens 1800 keine größere Dynamik erwarten lassen: „Die Befunde des Inventars hist. Verkehrswege der Schweiz belegen, dass die lokalen und regionalen Weg- und Strassennetze […] als Teil der Siedlungsstrukturen […] zu den beständigsten Raumelementen überhaupt gehören“ (Schiedt 2015).

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Die rückschreibende, regressive Interpolation von Wegenetzen in noch weiter als Spätmittel-alter zurück liegende Epochen bleibt in der Literatur fast immer ohne nachvollziehbare Belege. Bereits in den 1960er Jahren wurde dieses Defizit thematisiert, was jedoch nicht zu Einschrän-kungen der späteren Interpretationen führte:

„Ist denn aber wirklich so sicher, dass die Straßen im Mittelalter genau (mit Variationsbreite selbstverständlich) den Wegen der Bronzezeit entsprechen? Hier dürfte doch die Methode des zeitlichen lnterpolierens etwas zu weit gespannt sein. Das beruht alles viel zu sehr auf Vermu-tungen, es fehlt die umfangreiche notwendige Kleinarbeit in lokal begrenzten Gebieten und zeitlich begrenzten Epochen“ (Bahn et al. 2016, S. 25). „Im allgemeinen scheinen die Straßen-führung in vorgeschichtlicher Zeit ungefähr die gleichen geblieben zu sein. Allerdings fehlen in den meisten Gegenden für die ersten Jahrhunderte vor und das erste halbe Jahrtausend nach der Zeitenwende die Belege für Ihren Verlauf“ (Marschalleck 1964, S. 425). Wegetypen und Funktionen

„Neben den Fernverkehrswegen existierten lokale Wege, die der Erschließung der Wirtschafts-flächen und Fluren dienten. Von ihnen sind die Nahverkehrswege oder regionalen Wege strikt zu trennen, die miteinander benachbarte Siedlungen verknüpften“ (Fütterer 2016, S. 44). Die Trennung von lokalen und überregionalen Wegen ist neben der Diskussion von Transport-mitteln und der funktionalen Einteilung von Wegen ein wichtiger Baustein der Altstraßenfor-schung (Kap. 2.1.2). Diese beruht im Wesentlichen allerdings auf der historisch-geographischen Perspektive des Mittelalters und der Neuzeit und beschäftigt sich daher mit entsprechenden Fra-gestellungen. Alle genannten Untersuchungen sind grundsätzlich unabhängig vom physischen Objekt „Weg“ mit seinen Komponenten. Selbst eine intensive Nutzung eines Fernweges („über-regionaler Weg“) beispielsweise, der zudem als europäischer Pilgerweg („funktionale Eintei-lung“) gedient hat, mit Karren oder Wagen („Transportmittel“) bedingt nicht notwendigerwei-se einen Ausbau des Straßenkörpers oder der Linienführung. Für die meisten prähistorischen Epochen wird zudem angenommen, dass die Verkehrsfrequenz eher geringer war, mehr zu Fuß oder mit Saumtieren transportiert wurde und Wege grundsätzlich für alle Zwecke begangen wurden – anders als in nachfolgenden Epochen (vgl. Kap. 4.2.3). Tradition

Die Altstraßenforschung besitzt als empirische Wissenschaft eine jahrzehntelange Tradition (Kap. 2.2.2). Viele Generationen von Wissenschaftlern und Laienforschern haben sich mit der

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Suche nach Relikten und vor allem mit der Rekonstruktion von Straßen von der Keltenzeit bis in die Neuzeit beschäftigt. Bezüglich der Römerstraßen im südwestlichen Baden-Württemberg beispielsweise basiert der heutige Wissensstand allerdings immer noch im Wesentlichen auf Be-schreibungen des 19. Jahrhundert (Kap. 2.2.1), die zwischen 1900 und 1930 zusammengefasst und kartographisch dargestellt wurden (Hertlein et al. 1930) und die wiederum als Grundlage für Veröffentlichungen in den 1970er Jahren dienten (Filtzinger et al. 1976, Planck 1980). Im Gegensatz zu den unzähligen wissenschaftlichen archäologischen Untersuchungen von Sied-lungen blieb die Erforschung von Römerstraßen selbst immer ein Randthema. Lange tradierte Annahmen wurden vielleicht deshalb teilweise als Tatsachen verstanden und ohne belastbare datierbare Belege unkritisch übernommen.

Beispiele aus der Schweiz zeigen die Schwierigkeiten der Traditionen insbesondere der Unter-suchung von Römerstraßen. Bolliger belegt in ihrer Dissertation: „Manchmal hat die Toponymie recht, sie wurde aber vor allem im 19. Jahrhundert dazu gebraucht, um ganze Straßenverläufe zu rekonstruieren, die seither als gesicherte Römerstraßen in der Fachliteratur weiterleben, obwohl keinerlei antike Überreste existieren“ (Bolliger 2005b, S. 18). Herzig schreibt in seinem Artikel „Zur Problematik der Erforschung römischer Strassen“ bereits im Jahr 1983, dass viele tradierte Informationen „[…] heute keine Bestätigung mehr finden, […] die moderne Forschung allein auf die ältere Überlieferung angewiesen [ist], und es fragt sich, wie zuverlässig diese gewesen ist“ (Herzig 1983, S. 72).

„Einen weiteren Problemkreis, dessen Bedeutung nicht zu unterschätzen ist, fassen wir […]: die Tradition späterer Jahrhunderte. Die ‚Römerstrasse‘ im Seeland zeigt, dass sich eine Bezeich-nung mit einer Trasse verbinden kann, ohne dass deren Richtigkeit sich heute noch nachweisen liesse. In diesem Falle stehen wir vor einem echten wissenschaftlichen Dilemma, der Frage näm-lich, welche Zuverlässigkeit dieser Tradition zuzubilligen ist“ (Herzig 1983, S. 74). Bewertung

Bahn diskutiert grundlegend, ob sich Altwege aus prähistorischen Epochen überhaupt mit his-torisch-geographischen Methoden erfassen lassen: „Es muss, wurde anfangs festgestellt, seit dem Neolithikum Handel gegeben haben, also bestanden auch Wege. Versuchen wir anhand der Archäologie, diese Wege wieder zu erschließen. Wie weit werden wir dabei kommen, bzw. wie weit dürfen wir gehen? In den voraufgegangenen Ausführungen haben wir verschiedene bedenkliche Äußerungen zitiert. Eine völlige Ablehnung prähistorischer Wege bzw. Ablehnung ihrer Erforschungsmöglichkeit sollte man nicht gelten lassen“ (Bahn et al. 2016, S. 23).

Insgesamt betrachtet müssen nahezu alle Aussagen zu Kriterien von Wegen als nicht belegt, viele Rekonstruktionen als kritisch eingestuft und die Zuordnung zu historischen Epochen als

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fraglich angesehen werden. Die einzelnen Literaturangaben liegen zudem verstreut in unzähli-gen Publikationen vor und wurden bisher nicht systematisch zusammengefasst. Auch detaillier-te Untersuchungen zu einzelnen Eigenschaften fehlen. Trotzdem bietet die Altstraßenforschung aufgrund der langen Tradition und der zahlreichen Untersuchungen aktuell die beste und um-fangreichste Sammlung von tradierten Annahmen und empirischen Daten zu Merkmalen und Rekonstruktionsmöglichkeiten von (prä-)historischen Wegen.

Weitere Vorteile der Altstraßenforschung sind die aktive Unterstützung der Suche nach Relik-ten im Gegensatz zu archäologischen Zufallsfunden, die Berücksichtigung auch von nicht mehr sichtbaren Wegeabschnitten in der Modellierung und mögliche Wiederentdeckungen von oft noch unverbauten Relikten im Zuge der Feldforschung (Denecke 2002). Zudem entwickelten sich die meisten Kriterien aus der Tradition der Suche nach Römerstraßen, legten also ihren Un-tersuchungsschwerpunkt auf die allgemein gültigen Wegkomponenten (Straßenkörper, Linien-führung, Wegbegleiter) und können so direkt auch für prähistorische Wege eingesetzt werden. 4.2.2 Predictive Modeling Voraussetzungen Neben technischen Voraussetzungen wie verfügbare Geodaten werden für die Least-cost Path Modellierungen (LCP) weitere Randbedingungen als gegeben angenommen (nach Branting 2012, Nakoinz 2012b, Coward 2013):

• Den Weg blockieren keine Hindernisse.

• Der Verkehr erfolgt im Allgemeinen zu Fuß.

• Der geplante Weg, alternative Routen und allgemein die Umgebung sind den Fußgängern bekannt.

• Der Mensch wählt immer grundsätzlich die optimalste Route und keine andere.

• Die zeitliche Einordnung des Weges kann nur über die bekannten Start- und Zielpunkte er-folgen. Kriterien

Die Standortsuche hängt im Allgemeinen von verfügbaren Geodaten zu Umweltfaktoren ab (vgl. Kap. 2.3.4). Selten steht bereits ein größerer Pool an vielfältigen und qualitativ hochwertigen Da-ten zur Verfügung, der auch für die Fragstellung sinnvoll eingesetzt werden kann. Beispielhaft

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sind die Kriterien zu niederländischen Altwegen in der Spätantike und im Frühmittelalter (van Lanen et al. 2015a): flächendeckende paläogeographische Rekonstruktion der Landschaftsent-wicklung seit 11 000 BP im „Atlas der Niederlande im Holozän“, Bodenkarte mit Bodenein-heiten, die vor dem Frühmittelalter entstanden, niedrigste und höchste Grundwasserspiegel, Geomorphologische Karte und Geländemodell 5 m.

In der Forschungsliteratur wird der Bereich der kulturellen Faktoren selten thematisiert (z. B. Murrieta-Flores 2010). Verhagen diskutiert beispielsweise, mit welchen Geodaten auch soziale Aspekte berücksichtigt werden können, z. B. archäologische Objekte mit offensichtlich kulti-schem Nutzen, die räumliche Lage von Siedlungen bzgl. Logistik, Handel und Verkehr oder Sichtbeziehungen zwischen Siedlungen und Gräberfeldern (Verhagen 2007). Eine exemplari-sche Umsetzung erfolgt jedoch nicht.

Ein weiteres Manko der Least-cost Path Analysen betrifft den Umgang mit Gewässerläufen. Obwohl diese epochenübergreifend als wichtigste Transportgrundlage anzusehen sind, werden die meisten Untersuchungen an Landwegen durchgeführt und etwaige Flüsse als unüberwind-bare „Grenzen“ mit hohen „Energiekosten“ in die Modellierung integriert (z. B. Herzog 2008). Methodik Nakoinz diskutiert die Vorgehensweise der Least-cost Path Analysen kritisch: „Ob diese [be-rechneten] Wegemodelle der Realität entsprechen, ist meistens unbekannt, da weder ein Ver-gleich mit empirischen Daten durchgeführt wurde, noch für die einzelnen Fallbeispiele empi-risch belegte Parameter verwendet wurden“ (Nakoinz 2012a, S. 448). Nur in wenigen Projekten wird ausdrücklich versucht, durch iterative Veränderungen der Standortfaktoren die bekannten Verläufe möglichst genau nachzuzeichnen (Verhagen et al. 2012, Doneus 2013).

Analog zur Standortsuche nach Siedlungen trifft die quellenkritische Aussage von Ebersbach auch für Wegemodellierung zu: „Die Einschätzung, welche Faktoren und welche Wertebereiche jeweils zu einer ‚besseren‘ Karte führen, ist oft von Erfahrungswerten geleitet und kann dazu führen, dass Potenzialkarten so lange justiert werden, bis sie die bekannten Fundstellen mög-lichst genau abbilden, was natürlich nicht die Grundidee ist. Deshalb ist eine wichtige Frage des Umgangs mit Potenzialkarten die Qualitätskontrolle: Wie kann die Qualität und Güte eines Ergebnisses beurteilt oder gar gemessen werden?“ (Ebersbach 2015, S. 228). Zudem kommt er-schwerend hinzu, dass die meist als Validierung eingesetzten, bekannten Wege vor Jahrzehn-ten im Rahmen von Altstraßenforschungen beschrieben wurden (z.  B. Herzog 2008). Diese beruhen wiederum meistens auf freien Rekonstruktionen basierend auf tradierten Annahmen (Kap. 4.2.1). Die Qualität der über Least-cost Path Analysen modellierten Wege kann aktuell deshalb nicht zufriedenstellend geprüft werden.

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Aufgrund der zwingenden Nutzung von digitalen Geodaten stehen für die Modellierung nur begrenzt sinnvolle Ausgangsdaten zur Verfügung. Diese werden meist aus der empirischen Alt-straßenforschung entliehen, aber, analog zur Altstraßenforschung, häufig nicht quellenkritisch diskutiert. Systematische und detaillierte Beschreibungen der Einzelkriterien bzgl. des Einsatz-zwecks, der betroffenen Epochen, nutzbare Skalenbereiche oder Gewichtung fehlen oft.

Trotz der vielen fachlichen und technischen Voraussetzungen, Vereinfachungen und Ein-schränkungen ist die Least-cost Path Modellierung grundsätzlich aber als Annäherung hinsicht-lich prähistorischer Wege vertretbar. Sie beruht auf der etablierten Methode der GIS-gestützten Standortsuche und kann deshalb in der Theorie systematisch und nachvollziehbar eingesetzt werden. Im Gegensatz zur Suche nach unbekannten Siedlungen auf einer „weißen“ Landkarte werden die Rekonstruktionen von Wegen zudem durch die festen Fixpunkte von bekannten Siedlungen als Start- und Zielpunkte deutlich erleichtert. 4.2.3 Naturwege und Kunststraßen

In der Altstraßenforschung wird häufig auf die „zentrale Bedeutung“ der Unterscheidung zwi-schen Naturwegen und Kunststraßen vor allem hinsichtlich der römerzeitlichen Straßen hin-gewiesen (z.  B. Humpert 1991, Klammer 2012). Es wird angenommen, dass die gewählten Transportmittel und eine gewünschte Route im Gelände den Ausbau eines Weges zu einem Kunstweg bedingten (vgl. Unterscheidung der Begriffe „Weg“ und „Straße“, Kap. 2.1.1). Bereits im Reallexikon der germanischen Altertumskunde wird jedoch daraufhin gewiesen, dass selbst Straßenkörper einer großen römischen via publica auch nur aus Erde bestehen konnten (Kolb 2005). Eindeutige Fahrspuren in römerzeitlich datierten Erdwegen in den Niederlanden belegen zudem die intensive Nutzung mit Fahrzeugen (Vermeulen et al. 2001). In Österreich konnte ein 700 m langer Wegeabschnitt, der ohne Kunstbauten im unwegsamen Gelände direkt über dem natürlich vorkommenden feinen Schotter verlief, in die Hallstattzeit datiert werden (Vogt 13.06.2017).

Aktuelle Ausgrabungen mit detaillierten Auswertungen führen zu neuen Diskussionen inner-halb der über 100 Jahre währenden Römerstraßenforschung. „Nachweislich wurde von Seiten des Bautrupps sehr pragmatisch auf den jeweiligen Untergrund und das zur Verfügung stehen-de Material reagiert. Entsprechend kann dieselbe Straße sehr unterschiedlich aufgebaut sein. So finden sich reine Erddämme, Bohlen- oder Knüppelwege sowie Straßen mit Steinstückung und Schotter- oder Kiesauftrag sowie nur mit Stückung oder Kiesaufschüttung“ (Scheschkewitz 2017, S. 80). Vor allem bei älteren Straßen „kam es offenbar viel mehr auf die grundsätzliche

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Herrichtung eines gangbaren Weges an“ (Kortüm et al. 2018, S. 210). Einer grundsätzlichen Pflasterung der Römerstraßen kann also widersprochen werden. Weitere Ausgrabungen auf der Schwäbischen Alb legen nahe, dass häufig nur die oberflächige Humusdecke entfernt und der natürlich anstehende Kalksteinuntergrund direkt als Laufhorizont genutzt wurde (Thoma 2013, Hye et al. 2017).

Aufgrund der natürlichen Entstehung und zeitlichen Entwicklung von (prä-)historischen Wegen (Kap. 3.1 bzw. 3.2) kann für fast alle Epochen die Ausprägung als „Naturweg“ angenom-men werden. Eine eigene Betrachtung von Kunststraßen ist nur für die Römerzeit und ab dem 18. Jahrhundert notwendig.

Als Eigenschaften der Naturwege sind zu nennen:

• Linienführung grundsätzlich dem Gelände angepasst

• Keine großflächigen Befestigungen von Sohle, Seitenrändern

• Nur Vor-Ort-Materialien für die Sohle

• Kein Straßenbau im flachen Gelände, außer Bohlenwege

• Keine seitliche Begrenzung (z. B. Hohlwegbündel)

Kunststraßen können charakterisiert werden durch:

• Linienführung teilweise nicht dem Gelände angepasst, meist aus geradlinigen Einzelstrecken• Flächige bauliche Sicherung der Sohle

• Vorgegebene Fahrbahnbreite und -richtung

• Bauliche Eingriffe im Umfeld, z. B. Tunnel, Felseinschnitte

• Überregionale Planung, Organisation und stetige Instandhaltung

• Zeitliche Einordnung:

ₒRömerzeit: Haupt- und Überlandstraßen

ₒHochmittelalter: teilweise Fahrwege in Hauptrouten

ₒ18. Jahrhundert: Chausseen (Fahrwege)

Für beide Wegeausprägungen gilt:

• Kleine Wegbesserungen im Umfeld, z. B. Steine zur Seite legen, hereinragende Äste zurück-schneiden

• Räumlich begrenzter Verbau im bewegten Gelände: z. B. Bohlenwege, Brücken, Anstiege 4.2.4 Trasse

Ein Weg entsteht grundsätzlich durch eine Verkehrsspannung zwischen zwei topographisch de-finierten Punkten im Raum und kann je nach Gelände, Wegtyp, Jahreszeit und Nutzungsdau-

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er von einer naturgemäß eher geraden Linienführung abweichen. Obwohl der tatsächliche, zu einem beliebigen Zeitpunkt benutzte Wegverlauf von der Ideallinie meistens abweicht, verbleibt dieser jedoch in einem mehr oder weniger breiten virtuellen Korridor zwischen Start- und Ziel-ort. Ursache hierfür ist die energieoptimierte Mobilität des Menschen und die weiteren Prinzi-pien der Fortbewegung nach Schenk (Kap. 3.1.1).

Für die weitere Analyse des Korridors ist das Skalenniveau wesentlich (Nakoinz 2012b). In groß-räumigen, überregionalen Korridoren können alternativen Routen zwischen beispielsweise Zen-tralen Orten oder großen mittelalterlichen Handelsplätzen wie Nürnberg-Lyon beschrieben wer-den. Auf regionaler Ebene liefern Least-Cost-Path Analysen mögliche, aber unscharfe Vorschläge für Wegtrassen. Durch die eingesetzte Methodik kann hier nur eine grobe Annäherung an poten-ziell nutzbare Landschaftsbereiche erzielt werden. „Alle Modelle, gleich ob mit oder ohne GIS erstellt, zeigen keine realen Wege, sondern Schneisen, die das Potenzial hatten, als Wege genutzt zu werden – unabhängig davon, ob sie dies dann auch tatsächlich waren“ (Posluschny 2012, S. 122).

Auf lokaler Ebene untersucht die Altstraßenforschung alternative Wegführungen, die meist „im Gelände in konkreten Spuren und Wegezügen fassbar sind“ (Denecke 2007a, S. 53). Die Fort-bewegungsprinzipien des Menschen, die stetige Nutzung und die geringen Einschränkungen der Wegauswahl über Jahrtausende bedingen im Rahmen der natürlichen Entwicklung von Wegen ausgeprägte und stark variierende Auffächerungen und die Bildung einer Vielzahl von parallelen Einzelspuren (Kap. 3.1.5). Die überwiegende Anzahl davon ist nicht überliefert. Das Prinzip der Vielspurigkeit kann jedoch an ausgeprägten Hohlwegbündeln eindrucksvoll nachvollzogen wer-den (Abb. 7). Der Weg „erscheint dann wie ein lebendiger Körper, von welchem der Archäologe nur eine einzelne Ader erkennt, nicht aber den ganzen Arm“ (Walser 1983, S. 38). Unscharfe „Leitfläche“

In der wissenschaftlichen Diskussion der Altstraßenforschung wird die starke Dynamik der Li-nienführungen betont: „Nicht alle, aber viele Straßen und Wege […] verändern kontinuierlich ihren Verlauf. So können Kurven geschnitten oder abgekürzt werden, dauerhaft feuchte Stellen in Senken ständig umgangen, das Trassee durch eine mehrmalige Verbreiterung auf einer Seite womöglich in diese Richtung verschoben, der Höhenverlauf durch eine abgeänderte Linien-führung ausgeglichen worden sein.“ (Cranach 2000, S. 38) Bereits 1936 prägte Kahse für diese Ausprägung „den Begriff der Ur-Leitlinie, die von den physischen Verhältnissen bestimmt wird, dann aber durch Ausbilden mehrerer Varianten tatsächlicher Wege einen flächenhaften Charak-ter annimmt“ (Bahn et al. 2016, S. 18, Kahse 1936).

Im Forschungsfeld des Predictive Modeling ist die Suche nach einem, den Kriterien ent-sprechenden, potenziellen Wegkorridor grundsätzlich mit einer unscharfen Fläche verbun-

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den (z. B. Doneus 2013). Darüber hinaus „sind bei der Entscheidung über die Wahl eines Verbindungsweges immer auch persönliche Präferenzen oder für uns heute nicht mehr nachvollziehbare Kriterien von Bedeutung gewesen, sodass – ob mit oder ohne GIS – eine tatsächliche Klärung auf eher theoretischem Wege nur bedingt Aussicht auf Erfolg hat.“ (Posluschny 2012, S. 122)

Archäologische Untersuchungen von Fahrspuren, Hohlwegen und Geleisestraßen zeigen die hohe Vielfalt an parallelen Spuren und Gesamtbreiten. Im flachen Gelände kann die Gesamt-breite bis zu 200 m einnehmen, im bewegten Gelände konnten bis zu 30 Einzelspuren auf einer Breite von 10 m bis 50 m nachgewiesen werden (Schwarz 1989, Vermeulen et al. 2001, Schneider 2005, Scheschkewitz 2017).

Eine im nachfolgenden „Trasse“ genannte Fläche umfasst also ein nur unscharf abgrenzbares Landschaftselement, das einerseits mit seiner Linienführung in potenziell begehbaren Land-schaftskorridoren verläuft und andererseits in seiner Fläche analog zu einer Bounding-Box die meisten tatsächlichen Einzelwege beinhaltet (Beispiel Abb. 24).

Da es praktisch unmöglich ist, prähistorische und teilweise sogar historische Wegeverläufe exakt zu verorten, bietet das Konzept der „Trasse“ eine Annäherung. Es fasst zum einen die natürliche Dynamik der Wege und zum anderen auch das fehlende Wissen über den genauen Verlauf zusammen. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung kann das Konzept der „Tras-se“ zudem die auftretenden Unsicherheiten und Ungenauigkeiten der verwendeten Karten, der Untersuchungsobjekte und der Erfassungsmethoden berücksichtigen.

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Abb. 23: Konzept der Trasse: In einem variablen, der Topographie angepassten Korridor (grau) finden sich rekonstruierte und reale Linienführungen (z. B. gestrichelt: Verlauf um 1848) wieder. Beispielabschnitt der Kreisstraße 6180 nördlich der Stadt Stockach (Lkr. Konstanz).

F (Feuchtgebiet), H (Hangkante), T (Tobel).

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4.3 Theoretische Überlegungen: Interdisziplinäre Konzepte

Aufgrund der in den Kapiteln 2 und 3 dargelegten Grundlagen kann ein erstes Modell des Untersuchungsobjektes „Weg“ mit seinen Komponenten, der zeitlichen Entwicklung, dessen natürliche und anthropogene Einflusskriterien und Ursachen sowie Voraussetzungen skizziert werden (Abb. 24). Der Umfang und die Vielfalt an Faktoren gehen dabei weit über die bisher üblichen Beschreibungen von Altwegen hinaus.

Abb. 24: Modell des Untersuchungsobjektes Weg mit seiner Entstehung, Ursachen,

Voraussetzungen, Einzelkomponenten und der zeitlichen Entwicklung mit natürlichen und anthropogenen Einflusskriterien.

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Aus dem wissenschaftlichen Diskurs der modernen Stadtplanung über die räumliche Orien-tierung und das Verhalten von Fußgängern im urbanen Raum konnten vor allem allgemeine Verhaltensmuster des Menschen herausgearbeitet werden. Die in den „Optimierungsprinzipien der menschlichen Fortbewegung“ (Schenk 1999) zusammengefassten empirischen Erkenntnis-se sind universell gültig und können deshalb als theoretisches Modell eingesetzt werden. Sie sind als wichtigste Grundlage zum Verständnis und zur logischen Prüfung von Wegen und ih-ren Merkmalen einzustufen. „Wenn wir auch davon ausgehen müssen, daß es allgemein gültige Regelhaftigkeiten menschlichen Verhaltens und seiner Veränderungen gibt, und diese auch in der Vergangenheit gültig waren […] so heißt das doch nicht, daß wir uns bei der unmittelba-ren Beschäftigung mit dem Fundmaterial auf der Ebene solcher allgemeiner Gesetzmäßigkeiten bewegen. Was wir im Fundmaterial wahrnehmen, sind die vielfältig gefilterten Auswirkungen solcher Regeln“ (Sommer 1991, S. 53).

Aus der Analyse der Entstehung von ungeplanten Siedlungen nach Schaur (1992) lassen sich weitere Hypothesen auf die Entwicklung von Wegen übertragen: Analog zu Siedlungen ent-stehen auch Wege im Normalfall von selbst, ihr Ausbau erfolgt selbstorganisiert und sie re-agieren dynamisch auf Einflüsse. Als physische Auswirkungen können sichtbare Landmarken als Navigationshilfen identifiziert werden. Aber auch der geringe Ausbaugrad von Wegen ist dem Pragmatismus der selbstorganisierten Unterhaltung geschuldet, die auf das Notwendigste reduziert ist.

Aus der Mobilitätsforschung können wichtige Hinweise auf Motive und damit grundsätzliche Wegziele entnommen werden. Moderne naturwissenschaftliche Methoden wurden entwickelt, um Mobilität vor allem in der Vorgeschichte nachzuweisen, während in den archäologischen Wissenschaften neue Theoriemodelle für die Formen der Mobilität entworfen werden. Die Er-kenntnisse aus dieser Maßstabsebene können aktuell allerdings noch nicht auf Wegenetze her-untergebrochen werden. 4.3.2 Untersuchungsobjekt

Mit den verfügbaren Quellen wie oberirdische Relikte, archäologische Funde oder Karten lassen sich trotz moderner Methoden immer nur kleinere Ausschnitte von Wegenetzen angemessen untersuchen. Trotzdem liefern diese mosaikhaft genügend Hinweise auf den Aufbau, Nutzung und zeitliche Einordnung von Wegen. Das Untersuchungsobjekt „Land-weg“ kann also mit seinen drei Komponenten Sohle, Linienführung und Wegbegleiter hin-reichend definiert werden. Dazu gehört auch, welche verschiedenen Ausprägungen der

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Komponenten möglich sind, ob und in welcher physischen Form sie in der Feldforschung zu erkennen sind und wie sich die Ausprägungen ggf. in den verschiedenen Epochen ver-ändern (z. B. Straßenbau).

Die drei Wege-Komponenten lassen sich grundsätzlich auf die allgemein gültigen Fortbewe-gungsprinzipien (Kap. 3.1.1) zurückführen. Eine Übertragung der Kennzeichen und Merkma-len von Wegen ist deshalb auch auf prähistorische Epochen möglich. 4.3.3 Entwicklung

„Abgesehen von den ungewissen Streifzügen der Menschen im Paläolithikum und Mesolithi-kum beginnt im Neolithikum ein ausgeprägter Handel, der seine Wege gehabt haben muss, so dass damit eine erste Etappe der Wegeentwicklung einsetzt“ (Bahn et al. 2016, S. 7). „Daß in prähistorischen Epochen und im frühen Mittelalter, wo noch kaum funktionale Zentren über-örtlicher Bedeutung entwickelt waren, das Verkehrsnetz weniger an die Struktur der Siedlungs-landschaft als an den vorgegebenen natürlichen Verhältnissen, vor allem dem Relief orientiert war, wird unter anderem auch deutlich in den in der Frühzeit üblichen grundlegenden Wege-bezeichnungen ‚Fastweg‘ und ‚Hellweg‘“ (Denecke 1979, S. 455).

Wege sind bedingt durch Start- und Zielpunkte, die aus Basislagern von Jäger-Sammler-Gruppen, landwirtschaftlichen Nutzflächen der ersten sesshaften Kulturen, keltische Oppi-da und vielen weiteren Plätzen gebildet werden können. Forschungen der archäologischen Wissenschaften belegen keineswegs „ungewisse Streifzüge“ oder „kaum funktionale Zentren überörtlicher Bedeutung“, sondern bereits weit entwickelte, komplexe Siedlungs- und Land-schaftsmuster in der Vorgeschichte. Moderne Untersuchungsmethoden wie Paläogenetik oder Isotopenanalyse dokumentieren zudem indirekt bisher nicht vermutete Eigenschaften des prä-historischen Menschen, wie die sehr frühe Schifffahrt nach Australien („Out-of-Africa Theo-rie“) oder soziale Netzwerke über sehr große Distanzen bereits im Aurignacien. Aus diesen zahlreichen Hinweisen können fundierte Vermutungen zur zeitlichen Entwicklung von Wegen entwickelt werden (Kap. 3.2).

Die zunächst nur „natürliche“ Entstehung und Entwicklung von Wegen gemäß den Prinzi-pien der Fortbewegung (Kap. 3.1) kann in Europa bereits seit der ersten archäologischen Kul-tur (Aurignacien) flächendeckend vorausgesetzt werden. In der weiteren Siedlungsgeschichte kommt es neben den natürlichen Begrenzungen der Landschaftsnutzung durch die Bewaldung nach der Eiszeit auch zu ersten anthropogenen Einschränkungen durch Territorien. Die Um-orientierung nach neuen Zielen bzw. die Verkleinerung von Schweifgebieten beeinflussen die Wegenetze. Der Wechsel zu sesshaften neolithischen Kulturen kann nach neuen wissenschaft-lichen Diskussionen (Ebersbach 2010) als eine lange Übergangszeit mit kurzlebigen Siedlungen

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angesehen werden. Die Möglichkeit einer freien Aufsiedlung und zeitweiligen Siedlungsmobili-tät war gegeben, da Wasserquellen und „geeignetes Land […] relativ gleichmäßig und im Über-fluss in der Landschaft vorhanden [waren], so dass es keine Konkurrenz um knappe Ressourcen gibt“ (Ebersbach 2016, S. 145). Die Hypothese von Ebersbach, dass in prähistorischen Epochen instabile Siedlungen mit stabilen, weitreichenden sozialen Netzwerken einhergehen, kann wahr-scheinlich auf „stabile Wege“ ausgedehnt werden.

Unter weiterer Berücksichtigung der Prinzipien der Fortbewegung, insbesondere Konserva-tivität, Sicherheit und Qualitätserhalt (Kap. 3.1.1), kann epochenübergreifend von grundsätz-lich langlebigen, stabilen Wegenetzen ausgegangen werden. Eine gewissermaßen „natürliche“ Dynamik erhalten die Wege durch in der Geschichte immer wiederkehrende natur- bzw. anth-ropogen bedingte Einflüsse. Starke Naturereignisse wie Klimawandel oder Vulkanaktivität, aber vor allem durch den Menschen ausgelöste Umweltbedingungen wie Bodenauslaugung, Erosion, Krankheiten, Vertreibung der ansässigen Bevölkerung oder Kriege führen in allem Epochen zu Verschiebungen von Wegezielen.

Die allmähliche Verdichtung von Siedlungen und die nachfolgende Ausbildung von Herr-schaftsgebieten setzten auch der „natürlichen“ Entstehung und Entwicklung von Wegen enge Grenzen. Für die Bronzezeit kann die Landschaftsaufsiedlung als erstmalig abgeschlossen ein-geschätzt werden. Sie wird auch als „Das Tor zum Mittelalter“ betrachtet: „Vereinfacht ausge-drückt, beginnt für die Landwirtschaft das Mittelalter in der Bronzezeit“ (Rösch et al. 2008, S. 55). Dies kann im Wesentlichen auch für das Wegenetz angenommen werden, das nur noch der „natürlichen“ Dynamik unterworfen ist, eine freie, „natürliche“ Entwicklung nur noch in wenigen Landschaftsbereichen zulässt und nur noch eine qualitative und quantitative Intensi-vierung des Verkehrs ermöglicht. Insgesamt betrachtet gelten die gleichen Faktoren und Dy-namiken epochenunabhängig, sodass fast alle (prä-)historischen Wege unbekannt bleiben und keine Vollständigkeit der Wege zu erwarten ist. 4.3.4 Archäologische Taphonomie

Die archäologische Quellenkritik und Taphonomie bieten interessante Konzepte zum Lebens-zyklus von Artefakten und den ihn beeinflussenden natürlichen und anthropogenen Prozes-sen. Mit dieser Herangehensweise können wichtige Aspekte der Wegeforschung systematisch und nachvollziehbar, wie im Folgenden beschrieben, diskutiert werden. Durch die umfas-sende Betrachtung aller drei Wegekomponenten (Straßenkörper, Linienführung, Wegbeglei-ter) bilden diese Konzepte somit eine gute Grundlage für die methodischen Überlegungen (Kap. 4.4–Kap. 4.7).

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Als Voraussetzungen für die Überlieferung von Wegen müssen die möglichen Nutzungskon-sequenzen, das Material des Gegenstandes, d. h. die Art und Intensität des Ausbaus, die Um-gebungsbedingungen und die Länge der Überlieferungszeit berücksichtigt werden (vgl. Tab. 7). Für die große Mehrzahl je vom Menschen begangener Spuren, Trampelpfade, Wege oder Stra-ßen kann angenommen werden, dass sie entweder wenig ausgeprägte Nutzungskonsequenzen (z. B. Spurrinnen, Hohlwege) aufwiesen bzw. überhaupt keine materiellen Relikte hinterließen (vgl. Kap. 4.3) oder durch über Jahrtausende währende taphonomische Prozesse im umgeben-den Untergrund aufgingen. Im Ergebnis haben die Kunststraßen deshalb die besten Chancen auf Überlieferung. Diese bewirkten durch die Größe der eingenommenen Oberfläche und die Quantität und technische Qualität des Straßenkörpers meist längere stabile Bodenverhältnisse (Nuber 2010). Im Allgemeinen wird allerdings die starke Abhängigkeit der anthropogenen Ein-flüsse von den natürlichen Untergrundverhältnissen wie die Beschaffenheit oder Standfestigkeit des Bodens kaum thematisiert (Schwarz 1989, Fütterer 2016). Nach- und Sekundärnutzung

Ein wichtiger Aspekt für die Wegeforschung ist die sogenannte Nachnutzung („Wiederver-wertung“, Tab. 9), also die wiederholte Nutzung des Weges, meist nach einer gewissen Zeit der Nicht-Nutzung. Die Wahrnehmung und Bedeutung von Landschaftselementen in nachfolgen-den Kulturen ist allerdings nachträglich fast unmöglich zu bestimmen: „Ob ein Bodendenkmal als Steinhaufen, Hünengrab, Wohnort von Hexen oder Weltkulturerbe wahrgenommen wur-de, bestimmte seine Erhaltungs-/Überlebenswahrscheinlichkeit oft wesentlich“ (Sommer 2013, S. 24). Das für die Wegeforschung klassische Beispiel stellen die keltischen Hügelgräber dar: Wurden sie an bereits vorhandenen Wegen angelegt oder orientierten sich Wege in späteren Jahrhunderten einfach nur an diesen Landmarken? (vgl. Haupt 2013) Generell können Wege aus früheren Epochen nur dann weitergenutzt werden, wenn sie als solche noch sichtbar und noch nutzbar ohne größere Beschädigungen sind. Ein geringer Zwischenzeitraum reduziert zu-dem die Häufigkeit und Intensität der taphonomischen Prozesse.

Im Gegensatz zu anderen archäologischen Objekten wird der Weg gemäß den Prinzipien der Energieökonomie und Konservativität (Kap. 3.1.1) zwangsläufig immer wieder aufgesucht wer-den, wenn neue Wegziele ähnliche Richtungen aufweisen wie die Vorgänger. Eine häufige Nach-nutzung ist also vor allem in räumlich eingeschränkt nutzbaren Landschaften wahrscheinlich. In der Forschung wird über epochenübergreifende Nutzungskontinuitäten diskutiert und oft „rückschreibend“ argumentiert (Burgard et al. 1997, Szabó 2009, Fischer et al. 2013):

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• Späte Keltenzeit – Römerzeit (s. Kap. 3.2.3, Kap. 3.2.4)

• Römerzeit – Frühmittelalter (s. Kap. 3.2.5)

• Hochmittelalter – Neuzeit (s. Kap. 3.2.6, Kap. 3.2.7)

Die sogenannte Sekundärnutzung („Recycling“, Tab. 9), d. h. die Zweckentfremdung der Wege-komponenten in nachfolgenden Epochen, ist ebenfalls ein wichtiger Baustein für die Suche nach und Einordnung von Relikten. Viele Wege wurden nicht nur einfach aufgelassen, sondern dien-ten mit ihren materiellen und strukturellen Eigenschaften anderen Zwecken. Tabelle 13 zeigt beispielhaft Merkmale von Wegen, die sich typischerweise aus der Nach- bzw. Sekundärnutzung ergeben. Eines der interessantesten und häufig tradierten Merkmale ist die Nutzung der ehe-maligen Linienführung als Flurstücksgrenze (z. B. Haupt 2013). Zum einen wird beispielsweise angenommen, dass funktionslose gewordene, meist geradlinige Römerstraßen aufgrund ihres ausgeprägten Erscheinungsbildes als „natürliche“ Grenze wahrgenommen und so weiter genutzt wurden bis zur endgültigen physischen Festlegung durch Grenzsteine. Zum anderen wurden ab dem Spätmittelalter größere Wege als eigene, durch Grenzsteine abgegrenzte Bodenflächen „ausgemarkt“. Diese waren aus der landwirtschaftlichen Nutzung genommen und nur dem Ver-kehr gewidmet. Nach der Aufgabe der Wegenutzung wurden die bis dahin fest etablierten Flur-stücke oft noch lange Zeit als Weide genutzt oder blieben als Ödland ohne Funktion.

Tab. 13: Kennzeichen von Wegen aus der Nach- bzw. Sekundärnutzung (Bedingung: gleiche

Zielorientierung in der nachfolgenden Epoche)

Die konkrete Fundsituation und alle Einflüsse zum Zeitpunkt der Entdeckung bis zur Aus-wertung werden unter den sogenannten Auffindungsbedingungen zusammengefasst. Für die Wegeforschung kommen hier neben den archäologischen, ursprünglich nicht mehr sichtbaren Funden die sichtbaren Relikte hinzu. Obwohl die taphonomischen Prozesse oft sehr lange auf die Wegekomponenten einwirken konnten, sind noch heute vielfältige Hinweise auf Wege oder sogar Spuren zu finden.

Sommer betont, dass sich das entdeckte Objekt zur Zeit der Auffindung in einem beliebigen „Entwicklungsstadium“ (vgl. Lebenszyklus, Kap. 3.3.3) befindet, abhängig von seiner ursprüng-lichen Beschaffenheit und den für die Fundsituation möglichen taphonomischen Prozessen (Sommer 2013). Allein die Betrachtung des Naturraums kann allerdings bereits im Vorfeld zu Vermutungen über die zu erwartenden Relikte führen. Beispielsweise können für stark bewegtes Gelände umfangreiche Materialumlagerungen durch Erosion bzw. Akkumulation angenommen werden (Mischka 2007, Vogt 2016). Hier sind entweder Wege längst verloren gegangen oder durch mächtige Kolluvien einem direkten Zugang entzogen. Auch hangparallele, geomorpho-logisch hervorstehende Kanten können Folge einer Überdeckung und damit ein Relikt eines Hangweges sein. Sommer weist weiterhin auf Schwierigkeiten bei der Interpretation von zusam-men gefundenen Gegenständen, also exemplarisch Wegesohle und Wegbegleiter hin: „Fast nie reicht die Genauigkeit unserer Datierungsmethoden für den Beweis absoluter Gleichzeitigkeit von Funden aus“ (Sommer 1991, S. 77).

Aus der Auswahl von archäologischen Quellenfiltern (Kap. 3.3.2) kann die rezente Landnut- zung als wichtigster Faktor für die Auffindungsmöglichkeiten von Wegen eingestuft werden. Sie zählt im Grunde genommen ebenfalls zu den taphonomischen Prozessen und bezieht sich auf einen noch laufenden, anthropogen bedingten Prozess (vgl. Tab. 11). Alle Arten der Land-bewirtschaftung, auch die ohne größere anthropogene Wirksamkeit, beeinflussen natürlich den weiteren Lebenszyklus von Wegen. „In Waldgebieten sind Bodendenkmäler [aber] besser unter einer schützenden Vegetationsdecke konserviert als in wiederholt gepflügten Äckern“ (Mischka 2007, S. 226). Massive Eingriffe in die Landschaft z. B. durch Flurneuordnung, Siedlungsbau, Rohstoffabbau oder andere Sondernutzungen wie Golf- oder Truppenübungsplätze führten so-gar erst in der jüngsten Vergangenheit oft zu Verlust von Wegen.

Die Chancen der Auffindung von Relikten und archäologischen Funden hängen nicht nur von den als Quellenfiltern bezeichneten Faktoren ab (Kap.  3.3.2). Auch die Größe, Form, Material, Quantität und räumliche Verteilung des Objektes spielen eine Rolle („sta-tistische Entdeckungswahrscheinlichkeiten“). So sind Kleinfunde wie Münzen als Wegbe-gleiter zwar häufig und gut verteilt, aber oft zu klein als dass nach ihnen konkret gesucht werden könnte.

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Das Modell des Lebenszyklus von „dauerhaften Gegenständen“ (Schiffer 1972) erlaubt eine erst-malige, strukturierte Beschreibung von verschiedenen Stadien der Wegeentwicklung (Tab. 9). Diese schließt inhaltlich an die Diskussion zur Entstehung von Wegen (Kap. 3.1.5) an, wobei diese wiederum annähernd den Aktivitätseinheiten „Beschaffung“ und „Herstellung“ entspre-chen (Abb. 22). Der Lebenszyklus bezieht sich grundsätzlich auf die Kombination der drei We-gekomponenten, allerdings können diese teilweise auch sehr unterschiedliche und zeitversetzte Lebensdauern aufweisen.

Eine detaillierte Analyse des Lebenszyklus eines einzelnen Weges ist aufgrund fehlender oder lückenhafter Quellenüberlieferung im Wesentlichen unmöglich. Voraussetzung wäre eine umfassende archäologische Ausgrabung über eine größere Lauflänge, datierbare und zu-ordenbare Funde und geowissenschaftliche Untersuchungen zum näheren Umfeld. Ein selte-nes Beispiel ist daher die Untersuchung eines Hohlweges bei Langenenslingen (Lkr. Biberach) in der Nähe der bekannten keltischen Höhensiedlung „Alte Burg“ (Böhm et al. 2012). Dieser Weg durchzieht geradlinig auf 75 m mit einer leichten Steigung eine Siedlung der jüngeren Latènezeit, die durch hochwertige Funde und eine verkehrsgünstige Lage charakterisiert ist. „Einschwemmungen, Erosion, wenigstens drei Kies- und Schotterschichten der Fahrbahnbe-festigung und partielle Ausbesserungen zeichnen ein komplexes Bild. Offenkundig wurde auf den Straßenunterhalt große Mühe und Sorgfalt verwendet“ (Böhm et al. 2012, S. 123). Aus den untersten Schichten stammen Funde mit Datierungshinweisen auf Späthallstatt bis Spätlatène. Der darüber liegende, römerzeitliche Horizont weist eine Steinsetzung als Hangbefestigung auf, der Weg hatte sich aber bereits durch Kolluvien zu einer nur noch leichten Grabenmulde entwickelt. Im Frühmittelalter war der Weg vollkommen eingeebnet und die Besiedlung ging ohne Berücksichtigung des Verlaufes darüber hinweg. In diesem lokalen Wegeausschnitt kann also der Lebenszyklus bis zur Ausgrabung fast nahtlos nachvollzogen werden. Trotzdem sind die Entstehung des Weges und ein ursächlicher Zusammenhang mit der keltischen Siedlung unklar. „Für den Zeitraum der Entstehung des Hohlwegs, seiner Befestigung und Nutzung sowie seiner späteren Verschüttung sind damit allerdings keine zwingenden Anhaltspunkte gewonnen. Sein tatsächliches Alter lässt sich daraus nicht ableiten.“ (Böhm et al. 2012, S. 124) Durch später großflächig durchgeführte geomagnetische Messungen konnten mehrere lineare Strukturen als Verlängerung des Hohlwegs nachgewiesen werden, die bis unterhalb der Hö-hensiedlung „Alte Burg“ führen (Hansen et al. 2015). Möglicherweise kann hier letztlich ein erstes Wegeziel erfasst werden.

139

4.4 Methodische Überlegungen: Standortsuche

Die räumliche Suche nach Objekten erfolgt in der Geoinformatik üblicherweise über die GIS-gestützte Standortsuche („site selection“), wie sie auch für die least-cost path Modellierung ein-gesetzt wird. Diese Methodik ist allerdings nur ein Teil des wissenschaftlichen Modellierungs-schemas (Abb. 25) wie Verhagen et al. diskutieren (2012).

Abb. 25: Modellierungsschema in der wissenschaftlichen Forschung

Im Normalfall liegen am Anfang strukturierte Daten für einen Untersuchungsraum vor, die zum einen das zu untersuchende Objekt charakterisieren (z. B. Relikte oder archäologische Be-funde von Wegen) und zum anderen das naturräumliche Umfeld kennzeichnen (z. B. Hang-neigung, Bodeneinheiten, Grundwasserstand). In der sogenannten Standortanalyse werden die einzelnen Untersuchungsobjekte mit den potenziell geeigneten Umweltfaktoren räumlich ver-schnitten und ein individueller „Umweltsteckbrief“ ermittelt. Aufgrund der Analyseergebnisse kann eine Hypothese entwickelt werden, welche Faktoren das Untersuchungsobjekt signifikant

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auszeichnen. Die Kategorisierung, Bewertung und Gewichtung der Umweltfaktoren führt zur Theorie, mit welchen Kriterien in welcher Form und welcher Zusammensetzung das Untersu-chungsobjekt grundsätzlich auch in bisher nicht untersuchten Regionen gefunden werden kann. Diese Vorhersage wird technisch in der Standortsuche („predictive modeling“) durchgeführt. Als Ergebnis werden Flächen ausgewiesen, die mit signifikant höherer Wahrscheinlichkeit Un-tersuchungsobjekte beinhalten könnten („Verdachtsflächen“). Diese werden im letzten Schritt meist getestet bzw. mit Feldforschungen validiert. Somit kann auch die aufgestellte Hypothese überprüft oder verworfen werden.

In archäologischen Wissenschaften wird die Standortanalyse teilweise bei größeren Untersu-chungen eingesetzt, wobei der Schwerpunkt eindeutig auf der Fundgattung „Siedlung“ liegt (z. B. Mischka 2007). Analysen von Wegen sind selten (z. B. Kunitz et al. 2017). Aufgrund der zeit- und arbeitsintensiven Auswahl, Prüfung und ggf. Neuerfassung von Ausgangsdaten erfolgt meist keine weitere Modellierung. Genau umgekehrt verhält es sich beim Einsatz von „predictive modeling“-Ansätzen: Hier geht der Suche im Normalfall keine Analyse voraus (vgl. Kap. 2.3.4). Nur in we-nigen Fällen wird der gesamte, sehr aufwendige Modellierungsablauf vollständig durchgeführt.

„Viel wichtiger als das Ergebnis ist aber der Weg dorthin, der dazu führt, dass die vorhandenen archäologischen Grundlagen bewertet, eingeordnet und gewichtet werden, und der außerdem zu einem viel bewussteren und differenzierten Umgang mit Landschaft, Relief, Naturgefahren und den einzelnen, diversen Regionen […] führt“ (Ebersbach 2015, S. 230f). Im nachfolgenden Kapitel werden deshalb die wichtigsten Einzelschritte der Modellierung analog zu den Untersu-chungen von Siedlungen von Ebersbach (2015) und Münch (2008) beschrieben und der Einsatz in der Wegeforschung diskutiert. 4.4.1 Standortanalyse Ausgangsdaten

„Das Ergebnis ist nur so gut wie die formulierte Fragestellung und das hineingeflossene Wis-sen, das verschiedenste Ebenen umfasst. Auf der archäologischen Ebene muss zunächst gefragt werden, welches Potenzial berechnet werden soll“ (Ebersbach 2015, S. 231). Im Vorfeld einer Standortanalyse muss deshalb zunächst festgelegt werden, welcher archäologische Fundtyp in welchem Untersuchungsgebiet und für welche Fragestellung untersucht werden soll. Alle nach-folgenden Prognosemodelle beruhen letztlich auf diesen Randbedingungen und beschränken die Aussagen immer auf diese raum-zeitliche Fragestellung. „Eine zentrale Annahme in der Archäologie ist, dass die Lage von Fundplätzen unterschiedlicher Funktion und Zeitstellung

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jeweils einen unterschiedlichen Situationskontext widerspiegeln. So ist auch ein differenzierter Bezug zur umgebenden Umwelt anzunehmen. Es ist demnach wichtig, für spezifische Arten von archäologischen Fundplätzen nach Möglichkeit unterschiedliche Modelle zu entwickeln“ (Münch 2008, S. 60). Beispielsweise muss für die Fundtypen „neolithischer Pfahlbau“, „kelti-sches Hügelgrab“ oder „Römerstraße“ jeweils individuell überlegt werden, welche Umweltfakto-ren diese wahrscheinlich am meisten beeinflussen und wie viele Faktoren davon berücksichtigt werden sollen.

Einer der wichtigen Kritikpunkte an der least-cost Modellierung ist die Nicht-Berücksich-tigung von sozialen Aspekten. Murrieta-Flores (2010) diskutiert, welche Faktoren hier sinnvoll sind und unterscheidet vom einzelnen Individuum unabhängige, universelle Variablen (z. B. Geländetopographie, Umwelteinflüsse, allgemeine Physiologie des Menschen) und soziale Fak-toren wie Herrschaftsgebiete, kulturelle Wahrnehmungen von Landschaft (z. B. sakrale Orte) so-wie Handel und Beziehungen zu anderen Gruppen. Zudem sind die Variablen davon abhängig, welche Möglichkeiten von Aktionen in einer Landschaft im Allgemeinen, durch den Einzelnen dort im Speziellen und in deren Kombination möglich sind. Als unabhängige Variablen wer-den die menschliche Physiologie, Topographie, Transportgüter, Zugänglichkeit von Ressourcen während der Reise und das Wissen über die Landschaft genannt. Soziale Variablen umfassen kognitive Karten, Territorialität, soziale Netzwerke und die Sichtbarkeit. Einerseits lassen sich für vorgeschichtliche Kulturen viele Faktoren nicht mehr exakt ermitteln (z. B. Wissen über die Landschaft), andererseits könnten einige anhand bestimmter archäologischer Befunde zumin-dest indirekt vermutet werden (z. B. Herrschaftsgebiete, sakrale Orte). In der Regel werden fast ausschließlich nur Umweltfaktoren für die Modellierung herangezogen. Für die Suche nach rö-mischen Gutshöfen setzt Ebersbach (2015) beispielsweise allerdings auch den Abstand zwischen den Höfen als Faktor ein.

Standortanalysen für den Fundtyp „Weg/Straße“ sind selten. Kunitz beispielsweise untersucht mit den Umweltfaktoren Distanz, Höhenprofil, Gefälle, Exposition, Sichtbarkeit und Bodentyp eine bekannte prähistorische Straße in Amerika (Kunitz et al. 2017). Für Südwestdeutschland liegen vereinzelt Untersuchungen zu Römerstraßen vor (z. B. Trumm 2002, Meyer 2010, Blöck 2016), die im Rahmen der Siedlungsforschung erstellt wurden. Es „fehlt bisher für den südwest-deutschen Raum eine sorgfältige Bestandsaufnahme aller Verkehrszüge, wie sie beispielhaft für Südbayern vorliegt“ (Humpert 1995, S. 21, Anmerkung 1). Trotz langer Forschungstradition der Altstraßenforschung gilt diese Aussage heute immer noch. Eine Auswertung der wenigen, gemeldeten Wegeabschnitte aus der Datenbank der staatlichen archäologischen Denkmalpflege wäre arbeits- und zeitintensiv.

142

Die Qualität der Prognosemodelle hängt im Wesentlichen von der Qualität der Ausgangs-daten ab. Tabelle 14 stellt wichtige Parameter und Qualitätsmerkmale für Siedlungen dar und beschreibt eine mögliche Übertragung auf Wege.

Tab. 14: Diskussion der Ausgangsdaten für die Standortanalyse von Siedlungen. Eigener Vorschlag zur Modellübertragung auf Landwege (rechte Spalte).

„Eine Herausforderung bei der Erstellung einer archäologischen Potenzialkarte ist die Fra-ge, wie stark sich die Landschaft in historischer und prähistorischer Zeit verändert hat und wie dies die Bewertung von Standortfaktoren beeinflusst“ (Ebersbach 2015, S. 214). Häufig werden deshalb aktuelle Geodaten auf Grundlage historischer Karten und Luftbilder regres-siv überarbeitet. Vor allem das Gewässernetz hat sich während der letzten 200 Jahre stark verändert und spiegelt heute nicht mehr die frühere Landschaftssituation wider. Allerdings ist diese Vorgehensweise vor allem in großen Flusstälern mit Fehlern behaftet: „auf einer Terrasse, die erst im Mittelalter entstanden ist, braucht man keine römischen Fundplätze zu suchen“ (Gerlach 2006, S. 92). Die Berücksichtigung von historischen Landschaftszuständen ist in der Wegeforschung aus Zeitgründen selten. Van Lanen et al. (2015a) beispielsweise standen für ihre Untersuchungen bereits eine flächendeckende paläogeographische Rekon-struktion der Landschaftsentwicklung seit 11 000 BP im „Atlas der Niederlande im Holozän“ zur Verfügung.

Aufgrund der technischen Notwendigkeit, nur den Geometrietyp „Fläche“ als Grundla-ge für die räumliche Verschneidung zu verwenden, müssen die Ausgangsdaten ggf. mithilfe eines Puffers in Flächen überführt werden. Dies betrifft neben Fließgewässern als linienhafte Elemente auch die Wege, solange diese nicht auf einer großen Maßstabsebene und damit be-reits als Fläche untersucht werden. Die eigentliche räumliche Verschneidung erfolgt für Sied-lungen wie auch für Wege durch GIS-Werkzeuge. Analog dazu erfolgt üblicherweise ebenfalls eine Bearbeitung der Quellen- bzw. Überlieferungsfilter mit Definition und gewichtende Be-urteilung der rezenten Landnutzung und von Geodaten für die Erosions- und Akkumula-tionsprozesse.

145

Für jeden Fundstellentyp und dessen bekannte Fundstellen werden zunächst die Ergebnisse einzeln für alle gewählten Faktoren statistische Kennziffern wie Mittelwert, Standardabwei-chung und Häufigkeitsbereiche ausgerechnet. Anschließend erfolgt die Bewertung der Aus-gangsdaten: Indifferente Faktoren, die keinen bevorzugten Wertebereich erkennen lassen, werden verworfen und in der weiteren Modellierung nicht eingesetzt. Alle anderen werden auf Relevanz und gegenseitige Abhängigkeiten geprüft. Die Auswertung führt letztlich zum Ergebnis, welche Standortfaktoren signifikant von einer zufälligen durchschnittlichen Ver-teilung im betrachteten Naturraum abweichen und deshalb eine vermutlich gezielte Auswahl anzeigen.

Für die Wegeforschung in Südwestdeutschland fehlt eine exemplarische, systematische Aus-wertung von Standortfaktoren. Kunitz beschreibt innerhalb seiner Standortanalyse zwar die Ergebnisse der untersuchten Faktoren, statistische Auswertungen oder Diskussionen zur Rele-vanz liegen aber nicht vor (Kunitz et al. 2017). 4.4.2 Theorie Kriterien

Im Idealfall werden für einen einzelnen Fundtyp mehrere Standortanalysen in unterschied-lichen Naturräumen durchgeführt. Die am besten geeigneten Standortfaktoren werden nach Kategorien klassifiziert, mögliche naturräumliche Abhängigkeiten beschrieben und hinsichtlich ihrer Eignung gewichtet. Auch die Kombinationen bzw. Abhängigkeiten der Faktoren unter-einander müssen bei der Theorie der Prognose berücksichtigt werden. Als Vorbereitung für die nachfolgende Standortsuche müssen zudem „alle Kriterien einen räumlichen Bezug haben, also auf der Karte mit einer Ausdehnung und Gewichtung und Klassifizierung dargestellt werden können“ (Ebersbach 2015, S. 221).

Ziel ist ein möglichst spezifischer Kriterienkatalog für jede Objektart, der neben den genannten Informationen auch Begründungen für die Auswahl, Bewertung und Gewich-tung beinhaltet, d.  h. „weshalb welche Wertebereiche aus diesen Karten von prähistori-schen Bevölkerungen für die Besiedlung bevorzugt ausgewählt worden sein könnten. Die Argumente können aus den Daten selbst kommen (z. B. in welchen Höhen die meisten römischen Gutshöfe im Kantonsgebiet liegen), sie können aus dem allgemeinen archäolo-gischen Grundlagenwissen stammen (durchschnittliche Höhenlagen römischer Gutshöfe in der Voralpenregion) oder sie können durch aktualistische Vergleiche definiert werden, falls keine zufriedenstellenden archäologischen Daten vorhanden sind“ (Ebersbach 2015, S. 221).

146

Für die Wegeforschung liegen aktuell keine nachweislich signifikanten Standortfaktoren aus der Forschung vor, aus denen Kriterien für die Prognose entwickelt werden können. Dies begründet auch den Einsatz von nur wenigen Kriterien in der least-cost path-Modellierung (Kap. 4.2.2), die sich zudem fast ausschließlich aus der digitalen Verfügbarkeit ergeben, meist keine Wertebereiche oder Gewichtung berücksichtigen und unzureichende Argumente für den Einsatz darlegen (vgl. van Lanen et al. 2015a).

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird vorgeschlagen, tradierte Eigenschaften und Kennzeichen aus der Altstraßenforschung als Kriterien für die nachfolgende Standortsuche im Sinne einer Annäherung einzusetzen. Einerseits lassen die tradierten empirischen Daten gute Prognosen erwarten, andererseits sind aufgrund der fehlenden Prüfungen in der Stand-ortanalyse auch zahlreiche indifferente Kriterien zu vermuten. Diese Kriterien werden erst-mals zusammengefasst, in einem Katalog strukturiert und bezüglich der Einsatzmöglichkei-ten beschrieben. 4.4.3 Standortsuche

„Das Finden von geeigneten Standorten auf der Grundlage von bestimmten Kriterien ist eine der wichtigsten Analysemöglichkeiten von Geografischen Informationssystemen […]“ (Ebers-bach 2015, S. 221). Hiermit wird versucht, „das vorhandene Wissen über archäologische Fund-stellen auf diejenigen Regionen und Epochen zu übertragen, die weniger gut bekannt und erforscht sind“ (Ebersbach 2015, S. 212). Die Suche erfolgt durch eine kartographische Darstel-lung der Einzelkriterien mit ihren Prognosewertebereichen und der nachfolgenden Verschnei-dung, Gewichtung und Summierung gemäß der Theorie der Kriterien (Kap. 4.4.2) zu einer Gesamt-Potenzialkarte. Hier fließen ebenfalls die gewichteten Quellenfilter mit ein. Danach beginnt ein iterativer Prozess, in dem die Gewichtung und Kombination der Kriterien leicht geändert werden und je eine neue Potenzialkarte erstellt wird. Manche zunächst vermuteten si-gnifikanten Kriterien können so als indifferent eingestuft und vernachlässigt werden. Im Ideal-fall schließen sich Qualitätskontrollen durch technische Messindikatoren oder Überprüfungen durch Begehungen bzw. Nutzung anderer Quellen an. Wichtig ist die Berücksichtigung auch von Negativbefunden.

In der Wegeforschung ist die least-cost path-Modellierung (LCP) die übliche Vorgehensweise (Kap. 2.3.4 bzw. 4.2.2), wobei im Vergleich mit der Siedlungsforschung der Einsatz von Werte-bereichen, Gewichtungen und Quellenfiltern meist fehlt. Grundlagen sind hierbei immer räum-lich lokalisierte und datierte Fixpunkte.

Als alternative Methode wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit zum einen der Einsatz von empirisch geprüften Kriterien von Wegen aus dem entwickelten Kriterienkatalog statt der

147

üblicherweise methodisch erforderlichen Start- und Zielpunkte vorgeschlagen. Zum anderen sollen neuzeitliche Kartenwerke das traditionelle „predictive modeling“ so modifizieren, dass statt einer „weißen“ Landkarte das digitale neuzeitliche Wegenetz als Grundlage dient. Dies be-ruht auf der Annahme, dass historische Wege um 1800 noch „Reste“ vorgeschichtlicher Wege beinhalten können und bereits optimale Routen innerhalb des Untersuchungsgebietes darstel-len (vgl. Kap. 3.1 bzw. 3.2).

4.5 Methodische Überlegungen: Kriterienkatalog

4.5.1 Entwicklung von Standortkriterien Quellen Wichtige Forschungsliteratur aus der Historischen Geographie und Landschaftsarchäo-logie bildet die Grundlage für die Auswahl der Kriterien. Die kritische Durchsicht und Zusammenfassung von Veröffentlichungen aus der klassischen und archäologischen Alt-straßenforschung (Kap.  2.2.2 bzw. Kap.  4.2.1) liefert eine große Anzahl empirischer An-nahmen. Die Auswertung der Entstehung und Entwicklung von Wegen (Kap. 3.1.5 bzw. 3.2) bestätigt viele der ermittelten Kriterien und ergänzt diese um einige Ausprägungen. Die strukturellen Modelle der archäologischen Quellenfilter und Taphonomie können für die Beschreibung der Kriterien eingesetzt werden (Kap. 3.3 bzw. 4.3.4). Aspekte aus der Land-schafts- und Städteplanung bzw. Verkehrspsychologie liefern abschließend gute Erklärun-gen für viele Annahmen (Kap. 3.1). Schwerpunkte der Auswertung waren die Publikationen von Denecke, Humpert, Lay, Schenk, Schwarz und des Archäologischen Landesmuseums Baden-Württemberg. Auswahl

Kriterien, die sich aus Standortanalysen entwickeln lassen, sind gut geprüft, liegen aber in gerin-ger Anzahl vor. Für die vorliegende Arbeit werden im Gegensatz dazu möglichst viele Aspekte von Wegen ähnlich wie bei der Bearbeitung von Standortfaktoren ausgewählt. Im Ergebnis kön-nen deshalb auch einige indifferente Kriterien erwartet werden. Die Auswahl erhebt außerdem keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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Grundsätzlich werden alle Kriterien eingesetzt, die logisch nachvollziehbar und/oder archäo-logisch nachweisbar sind und sich im Wesentlichen an den Prinzipien der Fortbewegung des Menschen orientieren. Aufgrund der bisherigen Forschungslage kann keine Gewichtung vor-genommen werden. Die einzelnen Kriterien sollten folgenden Grundsätzen entsprechen:

• Die Kriterien sollen möglichst allgemein oder über einen langen Zeitraum inkl. der vorge-schichtlichen Epochen gültig sein.

• Die Kriterien müssen im ausreichenden Maß in der Landschaft vorkommen und regelmäßig bzw. repräsentativ als Aspekte von bzw. an Wegen vorhanden sein.

• Prinzipiell werden die Kriterien nach den drei Wegekomponenten Straßenkörper, Linien-führung, Wegbegleiter eingeteilt und mit ihren verschiedenen Ausprägungen beschrieben.• Die Kriterien müssen sich fachlich und zeitlich gut voneinander unterscheiden lassen.

• Die Kriterien sollen möglichst einen räumlichen Bezug besitzen.

• Grundsätzlich erfolgt die Einteilung in Kriterien, die für einen Verkehrsweg sprechen (Stand-ortkriterien) oder die gegen einen Landweg sprechen (Ausschlusskriterien)

• Für die Auswahl ist es unerheblich, ob und wie sich die Kriterien zeitlich und räumlich nach-weisen lassen. 4.5.2 Kriterienkatalog

Die ausgewählten Kriterien werden in einem Katalog zusammengefasst und stehen so für wei-tere Analysen zur Verfügung (Tab. 15, Anhang Kriterienkatalog). Für jedes Kriterium werden zahlreiche Eigenschaften in einem einheitlichen Format beschrieben, das im Nachfolgenden er-läutert wird. Die Auswahl der Metadaten/Parameter basiert im Wesentlichen auf dem Projekt-ziel einer möglichst breiten Übertragbarkeit der Methode. Schwerpunkte sind daher räumliche und technische Einschränkungen und Überlieferungs- bzw. Auffindungsprobleme. Einteilung

Die Gliederung basiert auf den drei Wegekomponenten und möglichen Nachnutzungen (Kap. 3.3.3 Lebenszyklus):

• Straßenkörper: Boden/Untergrund, Straßenbau

• Linienführung: einfache Topographie (z. B. geradliniger Verlauf, Höhenlinien folgend), be-wegte Topographie (z. B. Lage im Hang, auf Höhen verlaufend)

• Wegbegleiter: Infrastrukturelemente, Ziele und Fixpunkte

• Nach- und Sekundärnutzung

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Zunächst wird die Form des Kriteriums benannt (punktuell, linear, flächig in der Landschaft vorhanden), das Einfluss auf die Auffindungswahrscheinlichkeit haben könnte. Danach erfolgt die Frage nach der naturräumlichen Verbreitung oder ob bestimmte Landschaften bevorzugt werden. Etwaige Abhängigkeiten zu naturräumlichen oder anthropogenen Elementen bilden den Abschluss. Überlieferung

Im Bereich Überlieferung werden die Erhaltungsbedingungen für das Kriterium eingeschätzt. Dazu werden die materiellen Voraussetzungen berücksichtigt und welche natürlichen und an-thropogenen Prozesse (Kap. 3.3.3) je nach Naturraum zu erwarten sind und das Kriterium am meisten betreffen, z. B. natürliche Überprägung, Wüstfallen, Nachnutzung und anthropogene Überprägung bzw. Sekundärnutzung. Auffindungssituation

Hier werden die aktuellen Entdeckungschancen bzw. Auffindungsbedingungen des Kriteriums bewertet (vgl. Kap. 4.3.4). Neben dem Quellenfilter „Rezente Landnutzung“ sind vor allem die statistischen Entdeckungswahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit von Größe, Form, Material, Quantität und räumlicher Verteilung („Zufallsfunde“) zu nennen. Auch eine mögliche Verlage-rung oder ein vollständiger Abgang müssen berücksichtigt werden. Nachweismöglichkeiten

Je nach Kriterium können verschiedene Quellen der geographischen und archäologischen Alt-straßenforschung als Nachweis eingesetzt werden, wie historisch-geographische Geländeauf-nahme, historische Karten, schriftliche Quellen, Flur und Wegenamen, archäologische Aus-grabungen, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten, geophysikalische und weitere naturwissenschaftliche Untersuchungen.

150

Hier erfolgt eine Abschätzung, ob das Kriterium mit GIS abgebildet werden kann.

• Die Einsatzmöglichkeit ist gut, wenn digitale Geodaten vorhanden und direkt nutzbar sind, z. B. archäologische Fundstellen in der Datenbank der Denkmalpflege.

• Eine mögliche Umsetzung bedingt einen höheren Aufwand, wenn die Informationen erst recherchiert und digital erfasst werden müssen, z. B. historische Gemarkungsgrenzen.

• Als schwierig wird die Realisierbarkeit geschätzt, wenn epochenspezifische Daten fehlen oder nicht mehr nachvollzogen werden können, z. B. Wasserquellen der Vorgeschichte.

Meist sind nur Annäherungen an das eigentliche Kriterium möglich wie beispielsweise die Ver-wendung von rezenten Geodaten. (Prä-)historische Epochen

Die Zuordnung der Kriterien zu archäologischen und historischen Kulturepochen erfolgt nach den größeren Umbrüchen der Entwicklung (Kap. 3.2) in Vorgeschichte, Römerzeit, Frühmittel-alter, Hochmittelalter, Spätmittelalter und Neuzeit, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert. Wegetypen

Die Kriterien werden innerhalb der Kulturepochen und wenn möglich, auch nach ihrer Aus-prägung als Natur- oder Kunstweg unterschieden (Kap. 4.2.3). Literatur

Im Bereich Literatur werden ausgewählte Veröffentlichungen mit einer möglichst hohen zeitlichen und vielfältigen Bandbreite als wissenschaftliche Belegsammlung zusammenge-tragen.

151

Tab. 15: Katalog der entwickelten Kriterien. Epochen: Vorgeschichte (VG), Römerzeit

(RZ), Frühmittelalter (FrühMA), Hochmittelalter (HochMA), Spätmittelalter und Neuzeit, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert

Kriterium Ausprägung Epochen Wegetypen Technisch umsetzbar Straßenkörper

Trockener Unter-grund

Trockener UntergrundAlleNatur- und

Kunstwege

Möglich

Vermeiden von FeuchtgebietenAlleNatur- und

Kunstwege

SchwierigKürzeste Übergänge über Feucht-gebiete

AlleNatur- und

Kunstwege

Schwierig

WegbreitePfade bis 2,5 mAlleNatur- und

Kunstwege

Schwierig Fahrwege 4–7 mAlle

RZ

NaturwegeKunstwege

Möglich

Ausgebaute Fahrwege bis 15 mRZ (Fernstraße)KunstwegeMöglichBaumaterial Gewachsener standorttypischer

Boden

Alle

RZ (Nebenstraße)

NaturwegeKunstwege

Schwierig

HolzkonstruktionenAlleNatur- und

Kunstwege

Schwierig Künstlich aufgetragener Straßen-körper

RZ, ab NeuzeitKunstwegeMöglichBegleitende Stra-

ßenbauelemente

GrabenRZ, ab 18. Jh.Natur- und

Kunstwege

MöglichMaterialentnahmeAb HochMA

RZ, ab 18. Jh.

NaturwegeKunstwege

MöglichBegrenzungenAlle

RZ, ab 18. Jh.

NaturwegeKunstwege

Möglich

Verkehrsbauten BrückenAlleNatur- und

Kunstwege

MöglichSohlen- und Böschungsbefes-tigung

AlleNatur- und

Kunstwege

Schwierig

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Linienführung – Einfache Topographie

Geradliniger Ver-lauf

Leicht schlängelnd, dem Gelände folgend

AlleNaturwegeMöglichZusammengesetzt aus geraden

Strecken

RZ, 18. Jh.KunstwegeMöglichAm Hangfuß entlang

Alle

RZ, 18. Jh.

Naturwege

Kunstwege

MöglichHöhenlinien folgend

AlleNatur- und

Kunstwege

MöglichWitterungsabhän-gige Linienführung

Bis NeuzeitNaturwegeSchwierigForm der Verbin-dungsknoten

Dreiarmig mit < 30°Bis 18. Jh.NaturwegeMöglichDreiarmig mit > 30°RZ, ab HochMANatur- und

Kunstwege

MöglichViele parallele

Strecken

Bis 18. Jh.NaturwegeMöglichÜbergänge über

Gewässer

Kürzeste Strecke senkrecht zum

Gewässer

AlleNatur- und

Kunstwege

Schwierig Nutzung von Untiefen und

Inseln

AlleNatur- und

Kunstwege

SchwierigHindernisse eng umgehend

Alle

RZ

Naturwege

Kunstwege

MöglichLange auf Herr-schaftsgebiet bleibend

Ab HochMANatur- und

Kunstwege

Möglich Linienführung – Bewegte Topographie

Höhenwege Höhenwege/Wasserscheiden Bis HochMANaturwege MöglichDammwegeRZ, ab 18. Jh.KunstwegeMöglichMoränenrückenAlleNatur- und

Kunstwege

MöglichHochterrasseAlleNatur- und

Kunstwege

MöglichLage am HangHalbe HanghöheHochMA bis NeuzeitNatur- und

Kunstwege

MöglichExposition nach SüdenAlleNatur- und

Kunstwege

Möglich

153

Nicht bei Gefälle

> 25 %

Fahrwege bis 15 %Bis 18. Jh.Natur- und

Kunstwege

Möglich

Fußwege bis 25 %AlleNaturwegeSchwierig Direkter bzw. schräger Hangauf-stieg

Direkter HangaufstiegBis HochMANaturwegeSchwierig Schräger HangaufstiegAlleNatur- und

Kunstwege

Schwierig

Natürliche AufstiegshilfeAlleNatur- und

Kunstwege

Möglich

Künstliche AufstiegshilfeRZ, ab 18. Jh.KunstwegeMöglichHohlwege, Geleise-spuren

HohlwegeBis 19. Jh.NaturwegeMöglichSpurrillenAlleNatur- und

Kunstwege

Möglich

GeleiseRZ, ab HochMAKunstwegeMöglich Wegbegleiter – Infrastrukturelemente

Sakrale Einrich-tungen

GrabanlagenBis FrühMA

RZ

NaturwegeKunstwege

Möglich

Gedenk- und OpferplätzeAlleNatur- und

Kunstwege

MöglichKirchliche und karitative Ein-richtungen

Ab HochMA

Ab 18. Jh.

NaturwegeKunstwege

MöglichReise-Infrastruktur Wegweiser (z. B. Meilen- oder

Stundensteine)

RZ, ab 18. Jh.Natur- und

Kunstwege

Schwierig

Rast- und Gasthäuser RZ, ab HochMANatur- und

Kunstwege

Möglich

Quellen/BrunnenAlleNatur- und

Kunstwege

SchwierigHistorische Objekte (z. B. Post-amt, Badstube)

Ab HochMANatur- und

Kunstwege

MöglichHerrschafts-

Infrastruktur

BefestigungsanlagenAlleNatur- und

Kunstwege

MöglichGerichts- und Richtplätze (z. B.

Galgen)

Bis 18. Jh.Natur- und

Kunstwege

MöglichHistorische Objekte (z. B. Weg-sperren, Zoll)

Ab HochMANatur- und

Kunstwege

Möglich

154

Wegbegleiter – Ziele und Fixpunkte

Natürliche Zwangs-punkte

Niedrige Bergpässe AlleNatur- und

Kunstwege

MöglichDynamische Zwangspunkte

(Furten)

Bis NeuzeitNatur- und

Kunstwege

SchwierigSichtbeziehungen/

Landmarken

Fernsichtbeziehung zu natür-lichen Objekten

Bis 18. Jh.Natur- und

Kunstwege

MöglichFernsichtbeziehung zu anthropo-genen Objekten

RZ, ab HochMANatur- und

Kunstwege

MöglichNatürliche Landmarken Bis 18. Jh.NaturwegeSchwierigAnthropogene Landmarken RZ, ab HochMANatur- und

Kunstwege

MöglichArchäologische

Einzelfunde

AlleNatur- und

Kunstwege

Schwierig

Siedlungen Orte als ZwischenzieleAlleNatur- und

Kunstwege

MöglichOrte als Endpunkte von Sack-gassen

AlleNatur- und

Kunstwege

MöglichSiedlungsabstand in maximal einer Tagesreise

RZ, ab HochMANatur- und

Kunstwege

MöglichLange Strecken ohne Zwischen-ziele

Bis HochMANaturwegeMöglich

Wirtschaftsflächen Land- und ForstwirtschaftAlleNaturwegeSchwierig Rohstoffabbau AlleNaturwegeMöglichVerarbeitungsplätze (z. B. Meiler,

Mühle)

AlleNaturwegeSchwierig

Fluss- und SeefischereiAlleNaturwegeSchwierig Nachnutzung und Aufgabe

Flur- und Gemar-kungsgrenzen

GemarkungsgrenzenRZKunstwegeMöglichWeg als FlurstückAb HochMA

RZ, ab 18. Jh.

NaturwegeKunstwege

MöglichNutzung und

Orientierung vor-maliger Trassen

Nachnutzung älterer Straßen-körpers

AlleNatur- und

Kunstwege

MöglichOrientierung von nachfolgenden

Objekten

RZ bis 18. Jh.Natur- und

KunstwegeSchwierig

155

4.6 Methodische Überlegungen: Neuzeitliche Kartenwerke

„Große durchgehende Fernrouten und Richtwege, die in dem frühen Mittelalter das tragende weit-maschige Netz des Fernverkehrs bilden sollten, gehen durch archäologische Funde und Befunde belegt an manchen Stellen mit zunehmender Wahrscheinlichkeit als solche in vormittelalterliche Zeit zurück“ (Denecke 2007a, S. 54). Auf Grundlage des Prinzips der Konservativität (Schenk 1999) ist ein langlebiges Wegenetz zu vermuten (Kap. 4.3.3), was auch eine kartographische Darstellung grundsätzlich ermöglicht. Der Einsatz von neuzeitlichen Wegen im Gegensatz zur üblichen „wei-ßen“ Landkarte als Grundlage für die Prognose wird als ebenso problematisch wie eine least-cost path Modellierung (vgl. Kap. 4.2.2) eingeschätzt und kann deshalb als Alternative zum least-cost path angesehen werden. Vorteil der Kartennutzung kann die bewusste Nicht-Nutzung von archäo-logischen Fundstellen für die Modellierung sein. Zum einen können so allgemein gültige Kriterien ermittelt und zum anderen die archäologischen Funde später zur Validierung eingesetzt werden.

In der Historischen Geographie sind Untersuchungen zum Wandel und Dynamik von Kul-turlandschaften meist mit Analysen von Altkarten und der darauf basierenden Rekonstruktion vergangener Landschaftszustände verbunden (Fehn 1988). Die digitale Erfassung von Objek-ten aus historischen Karten mit GIS ist seit vielen Jahren eine üblich eingesetzte und bewähr-te Methode in der Kulturlandschaftsforschung (Schumacher 2006, Schuppert et al. 2007). Das Scannen der alten Karten, das Georeferenzieren mithilfe von modernen Referenzkarten und das anschließende Digitalisieren der Landschaftselemente auf Grundlage der gescannten Karten sind die wichtigsten Arbeitsschritte (Krek et al. 2009, Bender et al. 2005, Neubert et al. 2002). In manchen Fällen schließen sich Qualitätsbewertungen der Karten und der digitalen Ergebnisse an. Die Kombination mit weiteren digitalen Informationen (z. B. aus Archivalien) und eine gute Quellenkritik helfen zusätzlich, die inhaltlichen, räumlichen und zeitlichen Änderungen der untersuchten Elemente einzuordnen, deren Ursachen zu bestimmen und die Aussagekraft ein-zuschätzen (Domaas et al. 2009).

Als Grundlage für die Suche nach (prä-)historischen Wegen wird im Rahmen der vorliegen-den Arbeit die Nutzung von zwei historischen Kartenwerken vorgeschlagen, die für das jeweils untersuchte Gebiet flächendeckend vorliegen sowie erkennbare Signaturen für Wege besitzen und diese auf aktuellen Karten räumlich nachvollziehbar sind. Von Vorteil sind zudem ein möglichst gleicher Maßstab und eine hohe Wegedichte. Die ältere Karte sollte noch aus dem 18. Jahrhundert stammen, vor der räumlichen Neuordnung der politischen Landkarte Europas. Es wird angenommen, dass sich das grundsätzliche Wegenetz mindestens seit dem Hochmittel-alter aufgrund der ortsfesten Siedlungen im Verlauf kaum geändert hat (Kap. 3.2.6). Das zweite Kartenwerk sollte aus dem 19. Jahrhundert, aber noch vor dem Bau der Eisenbahn stammen und spiegelt die veränderten Rahmenbedingungen mit massiven anthropogenen Eingriffen und

156

neuen Wegzielen wider (Kap. 3.2.8), sodass signifikante Unterschiede in der Auswertung der Einzelkriterien und Wegverläufe zu erwarten sind. Eine weitere, häufig tradierte Hypothese ist das zumindest partielle Weiterleben von Römerstraßen bis in das Hochmittelalter. Deshalb kön-nen auch Teile der neuzeitlichen Wege auf diesen beruhen.

Die Nutzung von zwei Kartenwerken erlaubt die Generierung und Nutzung von zusätzlichen Informationen, die über die räumliche Lage hinausgehen. Zum einen kann der Ausbaugrad von Wegeabschnitten über die jeweilige Wegekategorie erfasst werden. Ausgebaute Landstra-ßen weisen beispielsweise auf eine längere Nutzungsdauer hin, Fußwege entsprechen einer eher natürlichen Entwicklung von Linienführungen. Zum anderen können bisher in der Forschung nicht berücksichtige Wegewüstungen über Anomalien im Wegenetz (z. B. Knicke, Sackgassen) bzw. zwischen den Kartenwerken aufgelassene Strecken ermittelt werden werden. Zudem sind vor der Kartenerstellung im 18. Jahrhundert abgegangene Abschnitte mit größerer Wahrschein-lichkeit zumindest als mittelalterlich einzuschätzen. Voraussetzung für diese Vorgehensweise ist die vollständige und flächendeckende Erfassung aller, auf den Karten sichtbaren Wege.

Im Gegensatz zur üblichen Methodik in der Kulturlandschaftsforschung ist für die beschriebe-ne Zielsetzung eine möglichst exakte Erfassung und räumliche Lokalisierung der Objekte nicht notwendig. Flächen, auf denen archäologische Funde zu erwarten sind, können grundsätzlich nie lagegenau und scharf abgegrenzt werden und sind immer von Ungenauigkeiten geprägt. Es ist auch von vorne herein klar, dass nie alle historischen Wege erfasst werden können. Die hier eingesetzte Vorgehensweise will jedoch mittels „Trassen“-Konzept (Kap. 4.2.4) eine möglichst weitgehende Rekonstruktion von Verkehrswegen, auch mit unscharfen Daten, aufzeigen.

4.7 Methodische Überlegungen: Umsetzung

Grundsätzlich wird die Suche und Identifizierung von (prä-)historischen Wegen im Einzelfall durch die jeweilige naturräumliche und zeitliche Fragestellung bestimmt. Hierzu können, je nach Vorkommen/Verbreitung und Epoche, in einem ersten Schritt diejenigen Kriterien aus dem umfangreichen Kriterienkatalog ausgewählt werden, die die Suche nach Wegeabschnit-ten unterstützen oder ausschließen. Diese sollten möglichst unterschiedliche und unabhängi-ge Datengrundlagen besitzen, um sie in einem zweiten Schritt miteinander kombinierten zu können.

In einem zweiten Schritt müssen die Chancen der Überlieferung und die Möglichkeiten der Auffindbarkeit geprüft werden. Viele Kriterien werden deshalb bereits aus der Auswahl heraus-fallen.

Da eine weitere Verarbeitung nur durch digitale Einzelobjekte möglich ist, sind für den drit-ten Schritt folgende Punkte zu berücksichtigen:

157

• Mit welchen digitalen Objekten kann das Kriterium repräsentiert werden?

Hier ist eine nachvollziehbare, transparente Begründung auf Grundlage der Fortbewegungs-prinzipien notwendig, da spätere Aussagen auf dieser Zuordnung beruhen. Möglich sind auch verschiedene Objekttypen für ein Kriterium, die sich ergänzend einsetzen lassen. Das Kriterium „Trockener Untergrund“ kann beispielsweise in Annäherung über entsprechende rezente bodenkundliche Einheiten abgebildet werden.

• Welche Quellen liegen in genügender Quantität und Qualität für diese Objekte vor und kön-nen für die Fragestellung eingesetzt werden?

Die je Kriterium beschriebenen Nachweismöglichkeiten aus dem Kriterienkatalog bieten Vorschläge, welche Quellen eingesetzt werden können. Je nach Fragestellung müssen die Ver-fügbarkeit berücksichtigt und die Qualität (nach Caspary 1993) geprüft werden.

• Können die gewünschten Objekte direkt in einem Geographischen Informationssystem be-arbeitet werden?

Auch hierzu bieten die Metainformationen aus dem Kriterienkatalog eine erste Einschät-zung. Je nach Objekt ist der Einsatz von vorhandenen Geodaten möglich (z. B. staatliches Denkmalkataster), können diese indirekt über digitale Auswertungen generiert werden (z. B. Hangneigung aus Digitalem Geländemodell) oder sie müssen aufwändig durch Digitalisieren erzeugt werden (z. B. historische Wegbegleiter).

Die für die Kriterien repräsentativen digitalen Objekte werden im vierten Schritt mit dem We- genetz der historischen Karten verschnitten. Je mehr Kriterien einem neuzeitlichen Wegab-schnitt zugewiesen werden können, desto höher sind die Chancen, dass dieser den zeitlichen Anforderungen der Fragestellung entspricht.

Zum Schluss können die identifizierten Abschnitte mithilfe von archäologischen Funden ve-rifiziert werden und mit zeitgleichen Siedlungen als Grundlage für eine erste Rekonstruktion des (prä-)historischen Wegenetzes dienen.

Quellen- und methodenkritische Diskussionen werden bei der vorgeschlagenen Vorgehens-weise als selbstverständlich angesehen.

158

5 Studie „Westlicher Bodensee/Hegau“

5.1 Untersuchungsgebiet

Für die Studie wird beispielhaft eine große, beliebig abgegrenzte Fläche in Südwestdeutsch-land ausgewählt. Diese soll möglichst gleichmäßig verteilte Wege beinhalten und groß ge-nug sein, um statistische Fehler zu vermeiden bzw. um überhaupt Abschnitte zu identifizie-ren. Das Untersuchungsgebiet (1057 km²) liegt im Südwesten Deutschlands, am westlichen Rand des Bodensees und umfasst im Wesentlichen den Landkreis Konstanz (Abb. 26). Zwi-schen dem Bodensee im Osten, dem Rhein im Süden, den Ausläufern der Schwäbischen Alb im Westen und der Donau im Norden gelegen gehört das Gebiet zu einer der ältesten und abwechslungsreichsten Kulturlandschaften Baden-Württembergs. Der Umriss des Ge-bietes definiert sich durch die einfache Schnittmenge der verwendeten Kartenblätter der Deutschen Grundkarte, des Topographischen Atlas über das Großherzogtum Baden und dem Kreisgebiet. Wenn nicht anders angegeben, liegen die im Nachfolgenden genannten Orte im Landkreis Konstanz. 5.1.1 Naturraum

Die anschließenden Erläuterungen beruhen, wenn nicht anders angegeben, auf folgenden Li-teraturangaben: Naturraum (Landesarchiv Baden-Württemberg o. J. b., Landesanstalt für Um-welt 2006, Geyer 2011, Ministerium Ländlicher Raum Baden-Württemberg 2000b, Ministerium Ländlicher Raum Baden-Württemberg 2000a, Ministerium Ländlicher Raum Baden-Württem-berg 2000c), Geologie (Schreiner 1968, Regierungspräsidium Freiburg, Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau 2014), Boden (Regierungspräsidium Freiburg, Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau 2016), Wasserhaushalt (Schreiner et al. 1968).

Das Gebiet mit Höhenlagen von 392  m ü. NN (Hochrhein bei Büsingen) bis Neuhewen (867 m ü. NN) hat Anteile an drei Naturräumen. Der größte und zentrale Bereich wird nach dem frühmittelalterlichen Gau als Hegau bezeichnet. An diesen schließen sich die westlich gele-genen Ausläufer der Schwäbischen Alb (Randen, Hegaualb) und die im Nordosten beginnende Donau-Iller-Lech-Platte (Donau-Ablach-Platte) an.

159

Die Hegaualb umfasst das Gebiet zwischen Tengen im Südwesten und Liptingen (Lk. Tuttlin-gen) im Nordosten und ist durch überwiegend Liegende Bankkalk-, Zementmergel- und Han-gende Bankkalk-Formation des Jura, tertiäre Jüngere Juranagelfluh und quartäre Riß-Moränen-sedimente charakterisiert. Die flachwellige Albhochfläche steigt vom Süden von 600 bis etwa 800 m Meereshöhe im Norden an und ist durch ein dichtes Netz tief eingeschnittener und steil-wandiger (Trocken-)Täler unterteilt.

Auf den Höhen der Hegaualb verläuft die Europäische Wasserscheide. Bemerkenswert sind die herausragenden weiten Ausblicke von dort zum Bodenseebecken und den Hegaubergen.

Der Anteil des Untersuchungsgebiets an den Donau-Ablach-Platten ist ebenfalls durch die Europäische Wasserscheide bestimmt. In der überwiegend reliefarmen bis hügeligen Altmorä-nenlandschaft finden sich häufig große Feuchtgebiete und Moore am Oberlauf der nach Nor-den entwässernden Ablach. Zwischen den stark ländlich geprägten Gemeinden Hohenfels bzw. Mühlingen und Boll (Lk. Sigmaringen) verläuft auch die Landkreisgrenze.

Der Naturraum Hegau gehört zur Großlandschaft des voralpinen Hügel- und Moorlandes und damit zu einer Beckenlandschaft, die von den letzten Eiszeiten stark überformt wurde. Er kann wiederum in vier Landschaftseinheiten unterteilt werden. Das Bodenseebecken umfasst im Wesentlichen die Ufer der beiden Zweigbecken (Untersee, Überlinger bzw. Obersee) mit den Inseln Reichenau und Mainau und, insbesondere am Untersee, ausgedehnte Flachwasserzo-nen. Die beiden großen Halbinseln „Bodanrück“ zwischen Konstanz und Radolfzell und „Höri“ mit dem Schiener Berg südlich von Radolfzell gehören ebenfalls zum Gebiet. Beide ragen etwa 200–300 m über das Seeniveau hinaus und sind durch überwiegend moränenbedeckte Molas-serücken mit Moränenwällen, Drumlins, Toteisseen, Niedermooren und tiefen Bachtobeln cha-rakterisiert.

Westlich anschließend liegt die Landschaft des Zentralen Hegaus zwischen Engen, Aach, Sin-gen und Radolfzell. Sie umfasst das Gebiet um die breite Überschwemmungsaue der Radolf-zeller Aach, die, von der größten Quelle Deutschlands in Aach kommend, nach 32 km in den Untersee mündet. Nördlich einer Engtalstrecke der Aach zwischen dem Hohentwiel und der Singener Endmoräne ist das nordwestliche Hegaubecken bestimmt durch Talauen, würmeiszeit-liche Schotterfluren mit kleinen Seen und Mooren und einem Anteil an flachwelligen bis kuppi-gen Jungmoränenlandschaft. Im Süden der natürlichen Teilung der Singener Niederung sind die würmeiszeitlichen Schotterfluren vorherrschend und gehen räumlich in das große Mündungs-gebiet der Aach in den Bodensee über.

160

Ab b. 26: U nt er su ch un gs ge bi et W es tli ch er B od ens ee/H ega u: n at ur um lic he E in hei ten u nd H au pt fli es sge wäs ser .

161

Der Westliche Hegau ist durch die von Nord nach Süd ziehende vulkanische Bergkette mit einem extrem steilen Anstieg von 200–250 m vom Zentralen Hegau getrennt („Hegauer Ke-gelbergland“). Das von Engen bis Gailingen am Hochrhein reichende Jungmoränenhügelland wird durch die zahlreichen Kegel- und Tafelberge des Hegaus bestimmt wie beispielsweise die Basaltberge Hohenstoffeln (845 m ü. NN) und Hohenhewen (848 m) oder die bekannten Pho-nolithberge Hohentwiel (689 m), Hohenkrähen (642 m) und Mägdeberg (654 m). Die sich um den Hohen stoffeln ausbreitende Hochebene auf 500 bis 600 m ü. NN ist durch die Hänge der Vulkanberge und die hügelige bis kuppige Jungmoränenlandschaft charakterisiert. Im Süden schließen sich weitere West-Ost verlaufende Hügelketten an. Im Gebiet sind ebenfalls einige feuchte und vermoorte Talauen verbreitet.

Der Nördliche Hegau umfasst die flachwellige bis hügelige Jungmoränenlandschaft rund um Stockach. Das Gebiet steigt vom Bodensee (396 m) auf 670 m im Nordosten langsam an. Der Fluss Stockacher Aach mit seinen zahlreichen Zuläufen, den feuchten Talauen und dem Mün-dungsbereich in den Obersee bestimmt das Landschaftsbild. Steile Molassehänge, auch in den Bachtobeln und kleine Toteisseen finden sich ebenfalls. Hydrologische Verhältnisse

Alle Fließgewässer im Untersuchungsgebiet sind Zuläufe des Rheins/Bodensees. Die Radolf-zeller Aach als größter Fluss ist von der relativ gleichmäßigen Schüttung des maßgeblich von Donauversickerungswasser gespeisten Karstwasserquelltopfes und weniger von seinen kleine-ren Zuläufen bestimmt und besitzt einen mittleren Abfluss von 9,2 m³/s. Die Stockacher Aach entwässert ein größeres Einzugsgebiet (221 km²) nach 29 km in den Obersee bei Bodman und besitzt einen mittleren Abfluss von 1,28 m³/s. Das Untersuchungsgebiet umfasst auch Anteile des Einzugsgebiets der Biber, einem kleinen Fluss, der in Hemishofen (Schweiz) in den Hoch-rhein mündet. Hinzukommt eine größere Anzahl von kleinen Bächen, die vom Bodanrück oder Schiener Berg direkt in den Rhein fließen.

In den großflächigen quartären Hochwassersedimenten entlang der zahlreichen Fließgewäs-ser und den Mündungsgebieten von Radolfzeller und Stockacher Aach liegen große tiefgründi-ge Grundwasservorkommen vor. Zahlreiche größere und kleinere natürliche Seen und Nieder-moore befinden sich verstreut im Gebiet.

162

Der Naturraum Hegau ist durch mittlere Niederschläge (800 bis 900 mm pro Jahr) und hohe Jahresdurchschnittstemperaturen (z. B. Konstanz 9,2 °C, 443 m ü. NN, http://www.klimadia-gramme.de) gekennzeichnet. Vor allem in den Niederungsbereichen, Flusstälern und Uferbe-reichen des Untersees herrscht eine hohe Wärmebelastung. Der Alpenföhn und Temperaturaus-gleich des Bodensees ermöglichen den intensiven Anbau von Sonderkulturen wie Obst, Gemüse und Wein am Hohentwiel bis 500 m ü. NN.

Die angrenzenden Naturräume Hegaualb und Donau-Ablach-Platte müssen als klimatisch ungünstiger angesehen werden: die Jahresdurchschnittstemperaturen liegen zwischen 7 und 8 °C, die Niederschlagsmengen zwischen 700 und 800 mm pro Jahr. 5.1.2 Prähistorische Entwicklung

In den folgenden Kapiteln werden Besonderheiten der Besiedlungs- und Verkehrsgeschichte im Untersuchungsgebiet thematisiert, die über die allgemeinen Entwicklungen im Südwesten Deutschlands hinausgehen oder diese präzisieren (Kap. 3.2). Aufgrund der höheren Anzahl an archäologischen Funden oder schriftlichen Belegen wird der Naturraum Hegau dabei überwie-gend mit dem Untersuchungsgebiet gleich gesetzt. Steinzeit

Wie im übrigen Mitteleuropa lassen sich auch im Hegau zur Zeit des Magdalénien regel-mäßige, mehrere Wochen dauernde Basislager von Jäger-Sammler-Gruppen nachweisen (Barth 2011). In den neuen eisfreien Zonen entlang der Altmoränen zwischen den späteren Flüssen Rhein und Donau nutzten diese zwischen 14 000 und 11 500 v. Chr. immer wieder die zahlreichen Höhlen als Jagdstationen wie beispielsweise den bekannten Petersfels (Gem. Engen).

Im Mesolithikum mit seinen erstmals weitgehend geschlossenen Wäldern fanden sich um-fangreiche Siedlungsplätze vor allem entlang der damaligen Uferlinie des Bodensees. Die Mün-dungsbereiche der Radolfzeller und Stockacher Aach waren über Jahrtausende ideale Stand-orte von Basis- und Außenlagern und dienten zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich bereits als Stationen des Wasserwegs Bodensee. Ob auch die Flüsse zur Schifffahrt genutzt wurden, muss offen bleiben. Kleinere Einbäume könnten allerdings zumindest die Radolfzeller Aach befah-ren haben.

163

Die bäuerliche Besiedlung begann im Hegau mit der frühesten Kultur in Mitteleuropa (Line-arbandkeramik) ab 5500 v. Chr. mit kleineren Dörfern auf besonders fruchtbaren Vulkanböden in der Umgebung des Hohentwiels (Schlichtherle 2011). Eine intensive Rodung und Landnut-zung kann spätestens ab 4300 v. Chr. durch Pollenprofile nachgewiesen werden (Bofinger et al. 2014). In der Jungsteinzeit lagen „Bodensee und Oberschwaben […] in einem kulturellen Span-nungsfeld zwischen donauländischen und westeuropäischen Kulturtraditionen“ (Matuschik et al. 2016b, S. 68). Wie auch in anderen Regionen waren die Kontakte weitläufig: Beilimporte aus dem Elsass, Feuersteinklingen aus dem Maasgebiet, Plattenfeuersteine von der Franken-alb, Feuerstein aus den Veronesischen Alpen sowie Schmuckschnecken aus dem Mittelmeer (Schlichtherle 2011). Metallzeiten

Bei der Neubesiedlung des Hegaus in der frühen Bronzezeit zeigt sich wiederum die wohl be-vorzugte Lage am Hohentwiel: Das größte bekannte Gräberfeld aus dieser Zeit in Baden-Würt-temberg liegt auf der Singener Endmoräne gegenüber dem Vulkanberg (Seidel et al. 2011). Aufgrund der hohen Kulturstufe und räumlichen Lage kann vermutet werden, dass, analog zu späteren Kulturepochen, der Übergang über die Radolfzeller Aach von West nach Ost im heu-tigen Stadtgebiet Singen für eine Handelssiedlung ideale Voraussetzungen bot. Zudem könnte auch ein Umschlagsplatz vom Fluss auf einen Landweg in nördlicher Richtung postuliert wer-den. Generell bietet sich der zentrale Hegau als kürzester Landweg zwischen den großen Han-delsströmen auf Rhein und Donau an.

Aufgrund der reichen Grabausstattungen der nachfolgenden Kulturen (Seidel et al. 2011) kann für das Untersuchungsgebiet auf rege Handelstätigkeiten und die Einbindung in die europäischen Kommunikations- und Wegenetze geschlossen werden. Die großflächige Aufsiedlung ist in der älteren Eisenzeit durch die sehr zahlreichen Hügelgräber belegt. Viele davon liegen an verkehrs-topographisch günstigen Stellen und einige fast direkt an rezenten Wegen (s. Abb. 8, S. 38).

Die Sicherung von wichtigen Verkehrswegen ist auch für das latènezeitliche Oppidum Kons-tanz anzunehmen (Bräuning et al. 2011). Neben der Kontrolle der Rheinschifffahrt am Ausfluss des Bodensees in den Rhein war die Lage ebenfalls als Umschlagsplatz von Wasser- zu Land-wegen z. B. zum Oppidum Zürich geeignet. Die erst in jüngerer Zeit entdeckte ländliche, aber eingefriedete Großsiedlung am Hohenhewen (Gem. Engen) mit mehr als 65 ha Ausdehnung könnte im Gegensatz dazu den Landweg über den niedrigen und kürzesten Pass über die Euro-päische Wasserscheide zwischen Engen und Geisingen (Lk. Tuttlingen) gesichert haben.

In der Forschung werden Funde der fast schon normierten Spitzbarren aus Eisen als Hinweise auf spätkeltische Handelswege angesehen. Die meist als kleines Depot niedergelegten Eisenbarren

164

können für den Hegau zwar an drei Standorten nachgewiesen werden, diese sind heute aber sehr abseits gelegen (Bräuning et al. 2011). Römerzeit

Die großräumige, zunächst militärische Erschließung des Hegaus erfolgte entlang des Rheins zwischen den Kastellen in Konstanz und dem schweizerischen Eschenz (Kanton Thurgau) bis zu den Kastellen an der Donau (Hüfingen/Lk. Schwarzwald-Baar-Kreis, Tuttlingen/Lk. Tuttlingen, Mengen/Lk. Sigmaringen). Analog zu Zürich wird auch für Konstanz eine überregionale Be-deutung als See- und Flusshafen und als Handelsplatz für den regionalen Markt angenommen (IVS Dokumentation, Kanton Schaffhausen 2001a, Herzig 2005).

„Die zivile Erschließung des Hegaus setzte relativ spät zu einer Zeit ein, als bereits das obere Neckarland und die Westalb fest in römischer Hand waren“ (Heiligmann 2011, S. 150). Walser be-nennt als Grund den ausschließlichen Transitwert des Landes zwischen oberer Donau und Alpen (Walser 1983). Wichtig waren möglichst kurze, West-Ost verlaufende Wege als Zubringer für die wichtigen Nord-Süd-Hauptrouten Basel-Mainz bzw. Chur-Augsburg. Allerdings liegt die längste Route, die sogenannte Donausüdstraße am Kastell Hüfingen beginnend und der Donau folgend, nicht im Untersuchungsgebiet. „So müssen wir den Hegau als etwas abseits der großen Verkehrs-wege und des römischen Weltgeschehens betrachten – er lag im toten Winkel zwischen dem Bo-densee und der wichtigen Heerstraße auf der Baar und im Donautal.“ (Tesdorpf 1972, S. 63)

Im Hegau konnte bislang nur in Konstanz und in Orsingen ein Vicus als größere Zivilsiedlung bestätigt werden. Es ist wahrscheinlich, dass diese als lokale Zentren mit den zahlreichen Land-gütern („villa rustica“) über Wege verbunden waren. Durch archäologische Funde belegte, aus-gebaute Römerstraßen fehlen im Untersuchungsgebiet. „Als gesichert gilt, dass auch den Hegau nach der Eingliederung in das Römische Reich im 1. Jh. n. Chr. feste Straßen durchzogen. Offen jedoch bleibt, wo genau diese Straßen verliefen […] So kann bis heute über den Verlauf der Rö-merstraßen im Hegau weitgehend nur spekuliert werden“ (Kessinger 2011). 5.1.3 Historische Entwicklung Mittelalter

Trotz der politisch turbulenten Epoche der Völkerwanderungszeit und des Frühmittelalters kön-nen auch für den Hegau Siedlungskontinuitäten und weiterhin ausgezeichnete überregionale

165

Kontakte vor allem durch reich ausgestattete Gräber belegt werden (Theune-Großkopf 2011). Bis zum 7. Jahrhundert wurden auch im Altsiedelland Hegau meisten der heutigen „-ingen“-Or-te gegründet. Die räumliche Dynamik der Siedlungen kann im Hegau ebenfalls nachgewiesen werden: Die räumliche Lage der frühmittelalterlichen Siedlungen ist meist wenige hundert Me-ter vom heutigen Ortskern entfernt.

Die „Wasserstraße“ Bodensee lieferte weiterhin die wichtigsten Verkehrsverbindungen (Jä-nichen 1968). Zum Ersten wurde bereits um 600 in Konstanz das gleichnamige Bistum mit einer räumlichen Ausdehnung zwischen Breisach und Kempten im Allgäu bzw. dem schwei-zerischen Thunersee bis Stuttgart gegründet. Dieser Bischofssitz entwickelte sich als Brü-cken-, Zoll- und Umschlagplatz zum wichtigsten Handelszentrum am westlichen Bodensee (IVS Dokumentation, Kanton Thurgau 1995). Zum Zweiten lag der bedeutende königliche Wirtschaftshof, die spätere Pfalz Bodman, ebenfalls am See. Der topographisch gut geschütz-te Standort war Aufenthaltsort von mehreren Königen zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert (Jenisch 2011). Zum Dritten wurden die ersten Klosterzellen im 8. bis 10. Jahrhundert eben-falls mit Seezugang angelegt (Reichenau, Radolfzell, Öhningen, Landesarchiv Baden-Würt-temberg o. J. a.).

Hinweise auf Landwege sind selten. Vor allem die Verkehrsanbindung über den nördlichen Hegau an die ehemals römische Donausüdstraße und den wichtigen römischen und frühmit-telalterlichen Fixpunkt Mengen (Lk. Sigmaringen) bleibt offen. Trotzdem sind ausgebaute und frequentierte Wege zu erwarten, wie die Gründung der Zelle in Hoppetenzell (Gem. Stockach) im Jahr 768 und ein Aufenthalt von Kaiser Karl III im Jahr 883 in der Pfalz Mindersdorf (Gem. Hohenfels) zeigen (Landesarchiv Baden-Württemberg o. J. a., Maurer 2004).

Im Hochmittelalter war die Verkehrsstruktur im Hegau vor allem durch drei Aspekte cha-rakterisiert: Zum Ersten waren lokale Wege der zahlreichen Klöster zu ihren umfangreichen, räumlich verteilten Grundbesitzen erforderlich. Zum Zweiten ist durch den Ausbau der Fern-verbindung zwischen den beiden Königspfalzen Ulm und Zürich ein reger überregionaler Verkehr durch den Hegau zwischen den nordöstlichen Gebieten bei Hohenfels und dem süd-westlichen Bereich bei Schaffhausen (Kanton Schaffhausen, Schweiz) am Hochrhein zu er-warten. Zum Dritten musste die sich herausbildende Grafschaft Nellenburg, benannt nach der gleichnamigen Burg, bei der späteren Stadt Stockach noch nicht vergebene Rechte und Einnahmen sichern. Die Grafen kontrollierten wichtige Brücken über die beiden Flüsse bei Stockach und Singen (Jänichen 1968, Jenisch 2011) und gründeten Stadt und Kloster Schaff-hausen zur Kontrolle des Umschlagsplatzes beim Rheinfall (Landesarchiv Baden-Württem-berg o. J. a.). Sie bauten den ehemaligen Wirtschaftshof der Nellenburg vermutlich zur Stadt Stockach aus und legten wahrscheinlich einen Seehafen in Ludwigshafen an. Nun flossen Wa-ren aus dem nördlichen Donauraum und über den Bodensee transportierte Güter über den Zoll in Stockach.

166

Die Verkehrsverbindung zwischen Zürich und Ulm („Cannstatter Straße“ bzw. „Ulmer Straße“) entwickelte sich zum über Jahrhunderte wichtigsten Handelsweg durch den Hegau (IVS Dokumentation, Kanton Schaffhausen 2001b). Sie wurde durch Verlängerungen nach Nürnberg und Lyon weiter ausgebaut und die Linienführung lokal fixiert z. B. durch Klos-tergründungen in Wald ab 1212 und Mengen ab 1231 (alle Lk. Sigmaringen, Landesarchiv Baden-Württemberg o. J. a.). Vorderösterreich

Im Jahr 1465 wurde die Landgrafschaft Nellenburg an das Herzogtum Österreich verkauft und bildete bis 1805 mit anderen habsburgerischen Besitzungen im Breisgau, rund um Rottenburg, Altdorf, Tettnang, den Donaustädten Mengen bis Günzburg und dem Amt in Bregenz die soge-nannten Vorlande bzw. Vorderösterreich (Klein 1988). Der Hegau war jedoch kein zusammen-hängendes Herrschaftsgebiet. Lokale, bereits etablierte geistliche und weltliche Herrschaften waren räumlich zersplittert, und so konnte sich kein übergeordneter, zentraler Herrschaftssitz mit Hofhaltung herausbilden (Quarthal 1999). Die vorderösterreichische Verwaltung wechselte ab 1415 von Innsbruck nach Ensisheim und später nach Freiburg, was sich aber nicht auf die lange bereits ortsfesten Wege auswirkte.

„Vorderösterreich stellte für Habsburg im 18. Jh. nicht so sehr einen Wert an sich dar, sondern es wurde wegen seiner geopolitischen Lage geschätzt“ (Quarthal 1999, S. 22). Gerade der Hegau, jetzt Oberamt Stockach, kann als klassisches Durchgangsland zwischen den Herrschaftsgebieten an der Donau und dem westlich des Schwarzwalds gelegenen Breisgau angesehen werden. Als zentraler Verkehrsknotenpunkt fungierte Stockach, wo von der bereits genannten „Ulmer Stra-ße“ die Verbindung nach Freiburg über Engen und Donaueschingen („Dauphinestraße“), eine Straße nach Konstanz und eine über Tuttlingen zu den Besitzungen am Neckar abzweigte (Lan-desvermessungsamt Baden-Württemberg 1987). Ein Strang der wichtige Nord-Süd-Verbindung („Cannstatter Straße“ bzw. „Schweizerstraße“) von Cannstatt nach Schaffhausen querte auch den Hegau über Engen und Hilzingen. In dünn besiedelten Bereichen erfolgte die Fixierung des Wegenetzes vor allem über Gasthäuser und Kapellen.

Ähnlich wie in anderen Landschaften sind auch im Hegau seit dem Hochmittalter keine sig-nifikanten Änderungen des Landwegenetzes bis heute zu beobachten. Zwar sorgten vor allem die zahlreichen kriegerischen Ereignisse für einen zeitweisen Bevölkerungsrückgang und einige Einzelhöfe wurden sogar aufgegeben, grundsätzlich blieben jedoch alle größeren Siedlungen und damit die Hauptziele der Wege konstant.

167

Der Naturraum Hegau bzw. die ehemalige Landgrafschaft Nellenburg wurde 1810 dem neu etablierten Großherzogtum Baden zugeschlagen. Die nachfolgenden Jahrzehnte waren durch einen starken Ausbau der bestehenden Wege, durch Verbesserungen in der Infrastruktur (z. B. Erneuerungen von Hafenanlagen) und vor allem durch umfangreiche Neubauten von Straßen gekennzeichnet (Jänichen 1968). Selbst Linienführungen größerer Wege wurden teilweise ver-lagert, um Hindernisse einfacher zu umgehen oder die Längsneigung zu verringern. Auf lange tradierte Verkehrsbeziehungen wurde dabei meist keine Rücksicht genommen. Dies zeigt sich beispielsweise bei dem Bau des Dammes zur Insel Reichenau zwischen 1838 und 1858. Alle Fährbeziehungen zu den gegenüber liegenden ehemaligen Besitzungen in Allensbach wurden damit eingestellt.

Mit dem Bau der Eisenbahnen zwischen 1863 und 1895 verschob sich das Verkehrsgeschehen auch im Hegau weg von den Landstraßen und mit dem Bau der Uferbahnen auch weg von der Schifffahrt auf Bodensee und Rhein (Jänichen 1968, Feyer 1972). Gerade im dicht besiedelten Hegau war die Projektierung von neuen Linienführungen sicherlich eine Herausforderung. Es gibt Hinweise, dass sich diese an älteren Landwegen orientierten, die teilweise für vermeintlich bessere Verläufe Anfang des 19. Jahrhunderts aufgegeben wurden.

Das Problem der verdichteten Landschaft vor allem im zentralen Hegau wurde auch in den 1970er Jahren offensichtlich, als die Autobahn von Stuttgart über Geisingen (Lk. Tuttlingen) in den Hegau gebaut wurde (Feyer 1977). Einerseits folgt die aktuelle Verkehrsführung wohl (prä-)historischen Wegen, wie zahlreiche archäologische Funde innerhalb der Trasse belegen. Ande-rerseits wurde das Landschaftsbild großflächig überprägt und dadurch wurden auch ältere Wege zerschnitten (Rodat 2014). 5.1.5 Bewertung

„Insgesamt betrachtet bestimmen dieses von seinen Oberflächenformen abhängige Verkehrs-netz des Landes Baden-Württemberg zwei Hauptlinien, denen schon von alters her die großen Verkehrsströme gefolgt sind“ (Feyer 1977, S. 12). So werden die größeren Flüsse und leicht be-gehbare, tiefer liegende Landschaften üblicherweise mit den natürlich vorgegebenen Kommuni-kationsachsen gleichgesetzt. Im Südwesten sind dies das Oberrheintal und die West-Ost-Verbin-dung zwischen Karlsruhe und Ulm. Aus historischer Sicht spielten jahrtausendelang jedoch vor allem die Wasserwege und die kürzesten, wenn auch steilen Landwege zu Rohstoffvorkommen oder besten Böden die wichtigste Rolle. Das Untersuchungsgebiet Hegau belegt, dass selbst durch heute abseits gelegene Landschaften historisch bedeutende internationale Verkehrswege zogen.

168

Angelehnt an Sick (1996) können für den Hegau folgende geographischen Voraussetzungen für die Verkehrsentwicklung beschrieben werden:

• Geologische und geomorphologische Struktur:

ₒDer grundsätzliche Anstieg des Geländes vom Bodensee in alle Richtungen, teilweise sehr steile Geländekanten und die niedrigen Bergpässe über die Europäische Wasser-scheide stellen keine größeren Hindernisse dar.

ₒDie zahlreichen Seen, Feuchtgebiete, Moore und tiefe Bachtobel führen zu lokalen Ausweichrouten.

ₒDie vielfältige Hügellandschaft erlaubt weite Ausblicke und damit eine gute Übersicht der Landschaft.

ₒDie überwiegend von Moränen geprägte, aus Kies und Sanden bestehende Bodenland-schaft begünstigt eine gute Begehbarkeit.

• Hydrologische Voraussetzungen: Der Bodensee ist natürlich als Wasserweg prädestiniert, größere schiffbare Flüsse fehlen allerdings. Die Radolfzeller Aach kann mit ihrer mittleren, meist ausgeglichenen Wasserführung wahrscheinlich mit kleinen Booten befahren werden.

• Klimatische Voraussetzungen: Das milde Klima vor allem im zentralen Hegaubecken und am Bodensee und das teilweise raue Klima der Hegaualb bedingen keine grundlegenden Ver-kehrsanpassungen. Allerdings ist eine höhere Wegedichte für den Naturraum Hegau zu er-warten.

Im Bereich der taphonomischen Prozesse muss für den Hegau vor allem die frühe und andau-ernde Besiedlung genannt werden. Die Wege im Altsiedelland wurden durch die Jahrtausende lange Überprägung immer wieder verlagert, nach- oder sekundärgenutzt oder beispielweise zu Chausseen ausgebaut. Als natürliche Prozesse sind im Untersuchungsgebiet zunächst star-ke Einflüsse durch fluviale Erosion, Akkumulation, Bergrutsche und Steinschlag zu nennen. Entlang der beiden Flüsse besteht die Gefahr lokaler Überschwemmungen: Die ursprünglich natürlich fließende Radolfzeller Aach beeinflusste aufgrund ihrer Abflussmenge und der flachen Talaue große Flächen und bildete kleinere Flussschlingen aus. Die Stockacher Aach und ihre Nebenbäche führen bei Hochwasser aufgrund des starken Gefälles größere Mengen an Treibgut mit. Auch die Verlandung von Seen, die Moorbildung und die Wasserstandsschwankungen des Bodensees müssen erwähnt werden.

Im Vergleich mit anderen Landschaften können die Auffindungsmöglichkeiten von his-torischen Wegen im Hegau als gut eingestuft werden. Einerseits schränken die natürlichen und anthropogenen Einflüsse die Suche zwar deutlich ein. Andererseits blieb das ländlich geprägte Gebiet aber ohne wirklich sehr großflächige Veränderungen (z. B. Siedlungs- und Infrastrukturelemente, Rohstoffabbau). Viele Elemente der historischen Kulturlandschaft blieben zudem aufgrund fehlender finanzieller Mittel nach ihrer Stilllegung meist noch lange erhalten und sichtbar. Die langjährigen Untersuchungen, Ausgrabungen und Begleitung von

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Bauprojekten durch die Kreisarchäologie des Landkreises Konstanz, die vor Ort Präsenz der staatlichen Denkmalpflege in Konstanz und Hemmenhofen, die wissenschaftliche Aufberei-tung durch das Archäologische Landesmuseum Baden-Württemberg in Konstanz und das Engagement der zahlreichen ehrenamtlichen Beauftragten und Vereine machen den Hegau zudem „[…] zu den archäologisch am besten erforschten Regionen unseres Landes.“ (Häm-merle 2011, S. 4)

5.2 Material und Methoden

5.2.1 Neuzeitliche Kartenwerke Schumacher hat die für den südwestdeutschen Raum verfügbaren historischen Kartenwerke hinsichtlich der Einsatzmöglichkeiten in der Kulturlandschaftsforschung ausführlich unter-sucht (Schumacher 2006). Da eine maximale Übertragbarkeit der hier gezeigten Vorgehens-weise auf andere Untersuchungsgebiete angestrebt wird, kommen aus seiner Auswahl nur die „Schmitt’sche Karte von Südwestdeutschland 1:57 600“ aus dem Jahr 1797 (im Folgenden SK1797 genannt) und der „Topographische Atlas über das Grossherzogtum Baden 1:50 000“ aus dem Jahr 1848 (im Folgenden TA1848 genannt) in Frage. Diese beiden Kartenwerke wurden je-weils nach weitgehend einheitlichen Kriterien flächendeckend für ein großes Gebiet aufgenom-men, zeichnen sich durch jeweils weitgehend einheitliche Signaturen über alle Kartenblätter aus und besitzen einen ähnlichen Maßstab. Als moderne Vergleichskarte wurde die Deutsche Grundkarte 1:5000 (im Weiteren DGK5 genannt) eingesetzt und der amtlich georeferenzierte Rasterdatensatz der Topographischen Karte 1:25 000 des LGL von 2006 für die Georeferenzie-rung verwendet (im weiteren TK25 genannt). 5.2.2 Kriterien

Für das Untersuchungsgebiet wurden sieben Kriterien stichprobenhaft ausgewählt. Im Gegen-satz zu Ergebnissen aus einer Standortanalyse fehlen für die Studie Eignungs- und Qualitäts-kontrollen. Deshalb wurden neben den räumlichen Verschneidungen der Ausgangsdaten mit den Wegflächen auch jeweils Analysen des gesamten Untersuchungsgebietes durchgeführt. Aufgrund der erfassten Wegkategorien konnten ebenfalls Abhängigkeiten der Kriterien von der Ausbauart der Wege entsprechend ausgewertet werden. Dadurch soll eine erste Beurteilung der Kriterien annäherungsweise möglich sein.

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Die Auswahl der Kriterien erfolgte zum ersten in Anlehnung an die least-cost Path Model-lierungen und predictive modeling-Ansätze für Siedlungen. Die Parameter sollten zum zweiten möglichst unterschiedliche Datengrundlagen besitzen, um sie in einem zweiten Schritt mitei-nander kombinierten zu können. Zum dritten wurden leicht zugängliche Quellen im Hinblick auf eine hohe Übertragbarkeit der Methode ausgewählt. Zum vierten sollten die Möglichkeiten der neuzeitlichen Kartenwerke genutzt werden, sodass der Schwerpunkt der Auswertung auf abgegangene Wegeabschnitte gesetzt wurde. Kriterium „Trockener Untergrund“

Das wichtigste Kriterium für die Wegkomponente „Sohle“ ist ein möglichst fester und trocke-ner Boden (z. B. Marschalleck 1964, Murrieta-Flores 2010). Theoretische Grundlage bilden die Prinzipien der Energieökonomie („Bewegungskosten abhängig von Untergrund“) und des Qualitätserhalts, also die Bevorzugung angenehmer Fortbewegungssituationen (Schenk 1999). „Die Gehfreundlichkeit eines natürlichen oder künstlichen Bodenbelags ist ein wichtiges und überall auftretendes Qualitätsmerkmal zur Beurteilung einer Spurentscheidung“ (Schenk 1999, S. 80).

Als Schlussfolgerung müssen Böden in Feuchtgebieten oder Mooren grundsätzlich gemieden werden (z. B. Schwarz 1989, Lay 1994). In der least-cost path Modellierung wird das Kriterium mit einem hohen Widerstand angesetzt (z. B. Herzog 2016), Nakoinz sieht die Vermeidung von Mooren als relevanter Parameter, aber mit geringem Einfluss (Nakoinz 2012a).

Im Allgemeinen können Böden mit einer guten Wasserdurchlässigkeit als Standortfaktor, feuchte bis nasse Böden aus Feucht- und Überschwemmungsgebieten bzw. Moore als Aus-schlusskriterium angesehen werden. Die für die Studie eingesetzte rezente Bodenkarte ist als gute Annäherung an einen historischen Zustand einzuschätzen. Die ausgewählten Bodenein-heiten sind bodenkundlich nachweislich aus einer natürlichen Entwicklung entstanden und über Jahrhunderte nicht anthropogen überprägt. Kriterium „Lage im Hang/Halbe Hanghöhe“

In der Altstraßenforschung wird angenommen, dass sich die Linienführungen von Höhen/Scheitelbereichen (Vorgeschichte) über halbe Hanghöhen/Mittelhang (Mittelalter, Neuzeit) bis zu den aktuellen Talwegen (ab 18. Jahrhundert) entwickelten (z. B. Leise 1986, Lay 1994). Dies gilt nur für Naturwege. Es wird vermutet, dass sich die Verläufe des (Früh-)Mittelalters zwar an

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den vorhergehenden „Altwegen“ orientierten, sich aber vermehrt durch Abkürzungen über die Hangmitte auszeichnen.

Als generelle Begründung kann zum einen das Prinzip des Qualitätserhalts, d. h. die Bevor-zugung angenehmer Fortbewegungssituationen für Fußgänger herangezogen werden (Schenk 1999). Der Weg auf halber Hanghöhe verläuft oberhalb von eher feuchten Talauen und ist gleichzeitig flexibler in der Linienführung als Höhenwege. Zum anderen war die Verschiebung der Hangposition im Lauf der Wegeentwicklung vermutlich auch aus energieökonomischen Gründen notwendig. Die starke Zunahme des Verkehrsbedarfs und der transportierten Gü-ter bedingten eine hohe Frequenz an schwer beladenen Gespannen. Der Mittelhang bot einen Kompromiss zwischen schlechten Straßenverhältnissen im Tal und Höhenwegen, die aber erst über starke Steigungen erreicht werden konnten.

Hanglagen sind grundsätzlich durch meist starke Erosion beeinflusst. Die Berechnung der Hangposition aus dem aktuellen Digitalen Geländemodell für die vorliegende Studie kann da-her nur als erste Annäherung verstanden werden. Kriterium „Lage im Hang/Exposition“

Ähnlich wie die Hangposition ist auch die Exposition von Wegen als Kriterium in der Altstra-ßenforschung üblich. Im Allgemeinen wird eine deutliche Bevorzugung nach Süden angenom-men (z. B. Rasbach 2010, Vieweger et al. 2012). Als Begründung kann das Prinzip des Qualitäts-erhalts (Schenk 1999) eingesetzt werden: Klimatisch begünstigte Südhänge sind aufgrund der verstärkten Sonneneinstrahlung im Durchschnitt weniger feucht und sie trockenen vor allem im Winter schneller ab. Dies gilt insbesondere für Wege, die jahreszeitlich unabhängig genutzt werden sollten.

Für die Studie wird angenommen, dass sich die Hangexposition seit der letzten Eiszeit nicht grundlegend geändert hat. Als gute Annäherung wird die Exposition aus dem aktuellen Digita-len Geländemodell berechnet und eingesetzt. Kriterium „Hangneigung bis 25 %“

In der least-cost path Modellierung bildet die Hangneigung den mit Abstand wichtigsten Faktor für die Berechnungen von optimalen Wegverläufen (z. B. Herzog 2008, Nakoinz 2012a). Die eingesetzten Algorithmen beschreiben die Abhängigkeit der Laufgeschwindigkeit von der Neigung des Geländes.

In der Altstraßenforschung werden folgende Neigungen für die unterschiedlichen Transport-mittel angenommen (Literaturhinweise s. Anhang Kriterienkatalog):

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• Fußgänger: bei direkter Linie bis 25 %, darüber Ausbildung von Serpentinen

• Wagen: maximal bis 15 %

• Durchschnittlich bis 18. Jahrhundert: 8–12 %

• Durchschnittlich ab 18. Jahrhundert: 2–6 %

Grundsätzlich gelten die dargelegten Werte nur für einen direkten Hangaufstieg und nicht aus-gebaute Wege. Im Allgemeinen wurde versucht, eine möglichst geringe bzw. gleichmäßige Nei-gung zu halten, auch wenn dadurch die Wegstrecke etwas länger wurde als die direkte Route (Kunitz et al. 2017). Bei stark genutzten Wegen bildeten sich oft parallele Linienführungen für Fahrzeuge, Saumtiere und Fußgänger aus (Denecke 1969).

Ähnlich wie bei der Hangposition ist die Verringerung der maximal möglichen Neigung im Laufe der Wegeentwicklung auf die stark ansteigende Frequenz an schwer beladenen Ge-spannen zurückzuführen. Hier muss auch auf die gleichzeitige Ausbildung der Straßeninfra-struktur hingewiesen werden. Als theoretische Grundlage können die Prinzipien der Energie-ökonomie und des Qualitätserhalts (Schenk 1999) genannt werden. Analog zur Hangposition ist auch die Hangneigung durch starke Erosion beeinflusst und wurde als erste Annäherung aus dem aktuellen Digitalen Geländemodell für die vorliegende Studie berechnet. Durch die erfassten Wegkategorien konnte eine differenzierte Auswertung für Fuß- und Fahrwege er-folgen. Kriterium „Geradliniger Verlauf“ („Knicke“)

Das wichtigste, epochenübergreifende Kriterium für die Linienführung von Wegen ist ihre Geradlinigkeit. Nachgewiesene Wege, die von einer direkten, leicht schlängelnden Trasse stark abweichen, bilden somit eine Anomalie im Wegenetz (Posluschny 2012). „Die englische Land-schaft liefert viele Beispiele alter Wege, die die Jahrtausende als häufig benutzte Routen fast un-verändert überlebten. Scheinbar sinnlose Knicke in diesen Wegen sind oft die Reste eines längst verschwundenen Hindernisses, vielleicht nur eines umgefallenen Baumes.“ (Lay 1994, S. 25)

Knicke im Wegeverlauf können grundsätzlich in zwei Situationen beobachtet werden:

1. Kurze Querung von Engpässen oder Flussübergängen, um nach dem Hindernis wieder auf die ursprüngliche Linienführung einzuschwenken und das Hindernis rechtwinklig, d. h. in kürzester Linie zu überwinden.

Aufgrund der Langlebigkeit von geomorphologischen Strukturen sind die Ursachen oft heute noch eindeutig erkennbar.

2. Aufgabe eines Wegabschnitts an einem bestimmten räumlichen Punkt und zu einem frü-heren Zeitpunkt. Die Neuorientierung auf ein neues Ziel bedingt dann eine andere Linien-führung.

173

Obwohl in Situation zwei nur die Knicke und die jüngeren Ziele aus den Kartenwerken nach-gewiesen werden können, können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden:

• Die ursprüngliche Wegeführung war lange Zeit in Gebrauch und hat sich verfestigt, z. B. auch mit Straßenausbau (Kap. 3.3.3 Voraussetzungen).

• Obwohl sich das Ziel geändert hat, wurde der ursprüngliche Weg auf großer Länge so lange wie möglich genutzt (Prinzip der Konservativität bzw. des Qualitätserhalts, Schenk 1999)

• Es gab keine Notwendigkeit, die neue Linienführung mit Knick zu verändern. Die Vorteile dieser Trasse überwogen einen kompletten Neubau.

Im Rahmen der vorliegenden Studie können die Landstraßen der Schmitt’schen Karte als Bei-spiel herangezogen werden, in deren Verlauf Knicke eindeutig nachvollziehbar sind. Es ist an-zunehmen, dass diese Straßen aufgrund ihrer Bedeutung als Überlandrouten sehr gut ausgebaut und deshalb ein höheres Maß an physischer Beständigkeit besitzen und relativ sicher bis zum Hochmittelalter zurückdatiert werden können. Kriterium „Ziele“ (Sackgassen)

Bekannte Start- und Zielpunkte sind die wichtigsten Ausgangspunkte für die Rekonstruktion von Wegen. In einem Wegenetz sind diese Knoten üblicherweise mindestens dreiarmig aus-geprägt. Zielorte, die nur über einen Weg zugänglich sind, bilden die Ausnahme (Sackgassen) und sind meist durch besondere geographische Lagen bzw. Funktionen gekennzeichnet: z. B. Herrschaftssitze auf Anhöhen, Mühlen außerhalb von Ortschaften oder Rohstoffabbauflächen. Auch Wege zu größeren land- und forstwirtschaftlichen Flächen enden oft im „Nichts“. Im westlichen Bodenseegebiet sind zudem die Zugänge zum See und zu anderen natürlichen Seen zu nennen.

Sackgassen ohne eigentliches, erkennbares Ziel können jedoch auch Relikte aufgelassener Wege darstellen. Ist der Zielort wüst gefallen, kann die dahin führende Trasse gemäß den Prin-zipien der Konservativität bzw. des Qualitätserhalts (Schenk 1999) weiterhin noch längere Zeit in Benutzung sein. Dies trifft vor allem auf ursprünglich gut wegsame bzw. ausgebaute Strecken zu. Eventuell wurden auch neue Ziele im Wegverlauf gesetzt.

Für die Studie wurden die Sackgassen beider Kartenwerke erfasst, wobei der weitere Schwer-punkt auf der Auswertung der Schmitt’schen Karte lag.

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Die Nutzung vormaliger Trassen kann im Idealfall über stratigraphische Differenzierung von datierbaren Wegerelikten dokumentiert oder durch Orientierung nachfolgender Objekte ver-mutet werden (z.  B. merowingerzeitliche Gebäude an Römerstraßen). Ohne archäologische Ausgrabungen ist der Nachweis jedoch kaum möglich. Im Gegenteil dazu bieten zwischen zwei Zeitepochen wüstgefallene Wege gute Hinweise auf die Nicht-Nutzung vormaliger Routen, d. h. sie datieren eindeutig in die ältere Epoche. „Häufiger auf längeren Strecken nicht überbaut sind alte Höhenwege oder Querungen von Mittelgebirgszügen, die besonders seit der frühen Neuzeit wie auch mit dem Chausseebau weitgehend aufgegeben worden sind. Diese verlassenen Ver-bindungen, die in der prähistorischen Zeit und im Mittelalter oft von überregionaler Bedeutung waren, sollten in der Altstraßenforschung besondere Beachtung finden“ (Denecke 2002, S. 7).

Die Nutzung von Kartenwerken aus zwei Zeitscheiben und die Erfassung der jeweiligen Wegkategorien bzw. der Weganomalien ermöglichen eine vielfältige Auswertung von Wege-wüstungen. Schwerpunkt der Untersuchung ist die Schmitt’sche Karte SK1797 und die An-nahme, dass sich wesentliche Abschnitte bis in das Hochmittelalter zurückverfolgen lassen (Kap. 4.6). Dieses Kartenwerk umfasst kartenbedingt allerdings nur wenige Wegstrecken (vgl. Kap. 5.3.1). Alle wüst gefallenen Wege aus dem 18. Jahrhundert können deshalb nicht voll-ständig ermittelt werden. Zwischen 1797 und 1848 abgegangene Wege („Totale Wüstungen“)

Die zwischen 1797 und 1848 abgegangenen Straßen sind das Ergebnis einer starken Umstruktu-rierung des Straßensystems zwischen dem Ancien Régime und dem neu gegründeten Großher-zogtum Baden. Um die neu hinzu gewonnenen Landesteile, vor allem den weit entfernten He-gau, an die bestehenden anzugliedern und so den Verkehr und den Handel zu fördern, wurden bereits 1810 einheitliche Richtlinien zur Anlage und Unterhaltung der Straßen festgelegt (Fey-er 1977). Die Chausseeordnung für Baden definierte die Kategorien Staatsstraßen (Land- und Kommerzialstraßen) und Gemeinde-/Vicinalwege mit jeweils unterschiedlichem Ausbaugrad. Nach dem wirtschaftlichen Aufschwung ab 1835 wurden zudem bestehende Strecken saniert bzw. ausgebaut und zahlreiche neue Verbindungsstraßen zu neuen Zielen (z. B. Flussübergän-ge, Häfen, Eisenbahnhaltepunkte) erstellt. „Die Abkürzung mancher Straßenrouten zeigte sich notwendig, um der ‚drohenden Ablenkung des Durchgangsverkehrs auf Gebiete außerhalb der Zollgrenzen vorzubeugen‘“ (Feyer 1977, S. 1).

Kleinräumig spielten im Hegau auch die Nachwirkungen der Reformen von Kaiser Joseph II ab ca. 1770 eine Rolle. Wegstrecken, die seit ca. dem 16. Jh. über die zahlreichen Weiherdäm-

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me geführt waren, wurden durch die Auflassung der Fischteiche oft aufgegeben oder sanken in der Bedeutung herab. Das Nachleben des Weges am größten Fischweiher im Hegau ist gut dokumentiert: „daß dieser Weg ohne den mindesten Nachtheil eingehen kann, da der Vici-nalweg von Stockach nach Rorgenwies, der früher über diesen Damm führte, schon längst aufgegeben und über Guggenhausen geleitet worden ist, als Feldweg ist er nicht nöthig und wird als solcher auch nicht benutzt, da die umliegenden Felder geeinödet sind […] und end-lich als Waldweg soll ihn, dem Vernehmen nach, die Gr. Forst Inspektion Überlingen nicht gerne gehabt, weil er auf eine zu lange Strecke durch die Waldungen führt und durchaus schlecht unterhalten ist.“ (Staatsarchiv Freiburg 379 Zug 1908/84/205) Der Waldwirtschafts-weg ist heute immer noch vorhanden. Rekonstruktionen an Knicken und Sackgassen

Die untersuchten Weganomalien (Knicke, Sackgassen) ermöglichen weitere Analysen. Es wird angenommen, dass, um den ursprünglichen Weg zu rekonstruieren, die Linienführung am Knick bzw. Sackgassenende einfach virtuell geradlinig verlängert, d. h. interpoliert wer-den kann. Hierbei wird das Kriterium „Geradliniger Verlauf “ zur Rekonstruktion angewendet (Kap. 5.2.2).

Aufgrund der geringen Anzahl der Objekte und der pragmatischen Vorgehensweise kann die digitale Erfassung der Verlängerungen für die vorliegende Studie nur als erster Test angese-hen werden. Denecke mahnt bereits 1979 eine sorgfältige Dokumentation der Quellenbelege einer Streckenrekonstruktion an, die allerdings im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden konnte. Durch die Beschränkung auf nur ein Kriterium kann aber eine grundlegende Aussage zur Sinnhaftigkeit der Methode erwartet werden. An dieser Stelle sei noch auf die allgemein kritische Nutzung von Rekonstruktionen hingewiesen (Kap. 4.2.1). Entstehung von Sackgassen

Die Entwicklung von Sackgassen bietet noch eine Möglichkeit, aufgelassene Abschnitte zu er-mitteln (Abb. 27).

SK1797-Sackgassen können im Verhältnis der späteren TA1848 zum ersten vollständig ab-gehen. Diese Fälle können generell über die gesamten aufgelassenen Abschnitte erfasst werden. Zum zweiten kann die Sackgasse als Sackgasse „weiterleben“ oder sich erweitern und in das Wegenetz integrieren. Zum dritten kann sich aber auch erst zwischen den Zeitscheiben eine Sackgasse entwickeln. Reduziert sich die Weglänge eines normalen Wegeabschnitts aus der älte-

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ren Karte zu einer Sackgasse in der jüngeren, so wurde das ursprüngliche Ziel aufgegeben. Ein Teil des früheren Weges verbleibt also in der Nutzung, wie dies auch bei den Knicken beobachtet werden kann.

Abb. 27: Mögliche Änderungen von Sackgassen der SK1797 im Verhältnis mit dem Wegenetz zwischen den zwei untersuchten Zeitscheiben: vollständige Aufgabe (a), Nachnutzung als

Sackgasse (b), Reduktion eines normalen Abschnitts zu einer Sackgasse (c), Erweiterung der

Sackgasse und Integration in das Wegenetz (d).

Analog zu den Rekonstruktionen muss auch diese Vorgehensweise als erster Test zur Suche nach abgegangenen Abschnitten verstanden werden. Allerdings sind hier durch die bereits erfolgte räumliche Zuordnung bei der Digitalisierung bessere Ergebnisse zu erwarten. 5.2.4 Hilfsmittel zur Rekonstruktion

„Wenn auch alte Wegetrassen heute nahezu durchweg nur noch in wenigen Teilstücken er-halten sind, so gehen doch häufig die Linienführungen heutiger Wege und Straßen weiter in die Geschichte zurück. Diese retrospektive Feststellung auf der Grundlage retrogressiver Belege ist ebenfalls ein wichtiger Teil einer Altstraßeninventarisation und Rekonstruktion, vor allem da hiermit der beachtliche Teil der zwar überbauten, aber doch noch vorhande-nen Wegstrecken zum Bild des einstigen Naturwegenetzes ergänzt werden kann“ (Denecke 2002, S. 7).

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Verlängerung Flurstücksgrenze

Geländekante Freier Entwurf

Abb. 28: Beispieldarstellungen für die eingesetzten Hilfsmittel; die Reihenfolge entspricht der

Qualitätseinstufung von sehr gut zu schlecht (gestrichelte Linie: betroffener Wegabschnitt).

Fortsetzung nächste Seite.

178

TK25 Höhenlinie

Unscharfer Entwurf

179

Auch für diese Studie mussten Ergänzungen im Wegenetz vorgenommen werden. Da im Gegensatz zur üblichen Vorgehensweise alle auf den historischen Karten sichtbaren Wege erfasst werden sollten, einige davon aber auf rezenten Referenzkarten nicht mehr vorhanden waren, wurden modern über-prägte Bereiche ohne weitere Beobachtungsmöglichkeiten durch Interpolieren überbrückt. Um eine transparente Nachvollziehbarkeit der Rekonstruktionen zu erhalten (vgl. Kap. 4.2.1), wurden aus dem Kriterienkatalog sinnvolle Ausprägungen für die benötigten Abschnitte und Situationen (Abb. 28) ausgewählt und eine Bewertung nach ihrer Zuverlässigkeit vorgenommen (Tab. 16). Für jeden Ab-schnitt wurde individuell das qualitativ höchste Hilfsmittel eingesetzt und als Attribut festgehalten.

Tab. 16: Eingesetzte Hilfsmittel zur Rekonstruktion von abgegangen Wegeabschnitten und ihre Qualitätsbewertung (DGK5 = Deutsche Grundkarte 1:5000).

Für die Studie wurden zwei historische Kartenwerke eingesetzt, diese mithilfe der Deutschen Grundkarte sowie der Topographischen Karte 1:25 000 bearbeitet und die neuzeitlichen Wege

181

daraus digital erfasst (Kap. 5.3). Als Vorbereitung für die nachfolgenden Analysen wurden die-se mithilfe eines beidseitigen Puffers von je 15 m in den Geometrietyp Fläche (im Folgenden Wegflächen genannt) umgewandelt. Theoretische Grundlage bildet das Konzept der Trasse (Kap. 4.2.4). Für diese Studie stellt die Breite von insgesamt 30 m einen Kompromiss zwischen dem Mittelwert bekannter Trassen und der ungefähren Breite der digitalisierten, überzeichne-ten Wege aus den kleinmaßstäbigen Karten dar (Kap. 5.3.1).

Die Bodenkarte von Baden-Württemberg liegt als blattschnittfreier Vektordatensatz des Lan-desamtes für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) im Regierungspräsidium Freiburg flä-chendeckend im Maßstab 1:50 000 vor.

Die 284 im Hegau vorkommenden bodenkundlichen Einheiten wurden für die Fragestellung durch Expertenwissen des LGRB (Referat Landesbodenkunde) klassifiziert (Anhang Boden-kundliche Einheiten) und lassen sich als Standortfaktoren, Ausschlusskriterien und Quellen-filter einsetzen (Abfrage vom 20.06.2018, Stand der Daten Dezember 2016).

Das Digitale Geländemodell Baden-Württemberg (DGM) des LGL liegt im LGRB als kor-rigierte Arbeitsversion vor, wobei das ursprüngliche 1 m Raster auf 10 m generalisiert und Grundrauschen bzw. sehr kleinräumige anthropogene Strukturen bereinigt wurden. Für die Studie wurden je nach Fragestellung (Neigung, Exposition, Position) eigene Datensätze durch Fachexperten des LGRB angelegt, nach den vorgegebenen Wertebereichen klassi-fiziert und in Vektorformat umgewandelt (Abfrage vom 20.06.2018, Stand der Daten De-zember 2012).

Ein Auszug der aktuellen archäologischen Fundstellen aus der offiziellen Datenbank ADAB-web wurde durch das Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart für das Untersuchungsgebiet bereitgestellt (Abfrage/Stand vom 14. Mai 2019). Zudem konnten einzelne analoge Ortsakten im Dienstsitz Freiburg eingesehen werden. Vorgehen

Zunächst wurden alle sichtbaren Wege aus den historischen Kartenwerken auf Grundlage der Deutschen Grundkarte flächendeckend mit dem Geographischen Informationssystem ArcGIS der Firma ESRI digital erfasst (Kap. 5.3.2). Während der Erfassung wurden für jeden Abschnitt neben den jeweiligen Wegkategorien (Landstraße, Ortsverbindung, Fußweg) bzw. Anomalien im Wegenetz auch Schwierigkeiten bei der Digitalisierung als Attribut (Erkennbarkeit, Rekons-truktionshilfsmittel) festgehalten.

Durch den Einsatz der Bodenkarte konnten im nächsten Schritt zum einen Zuordnungen zu zerstörten, umgelagerten und wieder versiegelten, also anthropogen überprägten Flächen wie Siedlungen oder Rohstoffabbau vorgenommen werden. Zum anderen wurden durch Erosion

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und Akkumulation gestörten Flächen ebenfalls als Ausschlusskriterien definiert. Aussagen zu historischen Bodenverhältnissen sind hier nicht mehr möglich. Im dritten Arbeitsschritt wur-den die ausgewählten Kriterien entsprechend ihren Quellen und Methoden einzeln bearbeitet und ausgewertet (Tab. 17, Kap. 5.4).

Für eine abschließende qualitative Abschätzung der ausgewählten Kriterien wurden im letz-ten Arbeitsschritt die neuzeitlichen Wegeanomalien und Wüstungen mithilfe der naturräum-lichen Kriterien in Kombination analysiert.

Tab. 17: Untersuchte Kriterien und eingesetzte Methodik für die Studie Westlicher

Bodensee/Hegau

5.3 Kartographische Analyse

5.3.1 Neuzeitliche Kartenwerke Schmitt’sche Karte von Südwestdeutschland 1:57 600 (1797) Im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen Österreichs mit Frankreich entstand in den Jahren 1797 und 1798 dieses für militärische Zwecke ausgerichtete, nicht öffentliche Karten-werk, das mit 198 Kartenblättern den Großteil Südwestdeutschlands abdeckt (Landesvermes-sungsamt Baden-Württemberg 1987). Aufgrund der kurzen Bearbeitungszeit und des großen Aufnahmegebietes ist es nicht verwunderlich, dass z. T. hohe Streckenfehler, starke Verzerrun-gen innerhalb einzelner Blätter und Farbänderungen zwischen den Blättern auftreten (Finster-walder 1974).

Aufgrund der Nutzung als Kriegskarte wurde auf militärisch wichtige Angaben wie die Eig-nung des Geländes für militärische Operationen oder Truppenbewegungen Wert gelegt (Fins-terwalder 1974). Deshalb kann auch eine relativ gute Lagegenauigkeit angenommen werden. Neben Landschaftselementen wie Berge, Siedlungen, Wald- und Feuchtgebieten, Gewässern und Einzelsignaturen z. B. Kirchen, Mühlen, Wegkreuze, Brücken, Kapellen, tritt das Straßen-netz raumgreifend hervor. Häuserzeilen innerhalb von Siedlungen sind schematisch dargestellt, die innerörtlichen Straßen manchmal schlecht zu erkennen. Die Wege sind kartographisch vier Kategorien zugeordnet (Tab. 18).

Tab. 18: Wegekategorien der Schmitt’schen Karte von Südwestdeutschland 1797

Für das vorliegende Projekt wurden die Kartenblätter 39 (Villingen), 56 (Tuttlingen), 58 (Konstanz) und 59 (Sigmaringen) direkt als Nachdrucke beim LGL erworben. Die Blätter 38

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(Schaffhausen) und 57 (Stein am Rhein) konnten auf Nachfrage durch das LGL als Diapositive bereitgestellt werden. Vermutlich durch die fehlende Nachbearbeitung seitens des LGL sind diese Karten durch unterschiedliche Farbgebung charakterisiert. Die analogen Blätter wurden blattweise mit einem großformatigen Einzugsscanner gescannt, die Diapositive mit einem Durchlichtscanner erfasst. Dieses Kartenwerk wurde nicht georeferenziert. Die Verschieden-artigkeit der Blätter hinsichtlich Inhalts- und Lagegenauigkeit und farblicher Darstellung und die grundsätzliche Orientierung nach Westen lassen bei einer Georeferenzierung starke Ver-zerrungen erwarten (vgl. Finsterwalder 1974, Stigloher 1984, Schumacher 2006, Schuppert et al. 2009). Wichtige Orientierungspunkte oder die Kategorie der Wege waren bei einem Test nicht mehr erkennbar. Das Testergebnis wurde deshalb als nicht ausreichend genau genug angesehen. Topographischer Atlas über das Großherzogtum Baden 1:50 000 (1848)

Diesem Kartenwerk liegt die erste amtliche, mit modernen Vermessungstechniken durchge-führte, flächendeckende Aufnahme des neuen Großherzogtums in 55 Blättern aus den Jahren 1824–1844 zugrunde (Landesvermessungsamt Baden-Württemberg 1985). Die gute, obgleich nur monochromatische Darstellung, die Vielfalt an Signaturen und die räumliche Genauigkeit machen diesen Atlas zu einem der wichtigsten Grundlagen für die Landeskunde und Kultur-landschaftsforschung im Südwesten. Seiner Bedeutung entsprechend wurde dieses Kartenwerk im Rahmen des Projektes „Historische Kartenbestände des Oberrheins“ der Bibliotheken des EUCOR-Verbundes und des Generallandesarchivs Karlsruhe digital erfasst und ist kostenfrei über das Internet zugänglich (https://www.ub.uni-freiburg.de/fileadmin/ub/eucor/karten/, ab-gerufen 01.07.2019). Eine Besonderheit des Kartenwerks im Untersuchungsraum ist die unmit-telbare Übernahme der nahezu zeitgleich laufenden topographischen Originalaufnahmen aus dem schweizerischen Kanton Schaffhausen (Beck 1996).

Das Verkehrsnetz wurde bei der Erstellung bewusst überzeichnet: „Nächst den bewohnten Orten muss das Fluss- und Straßennetz deutlich in die Augen fallen und leicht und über-sichtlich zu verfolgen sein. Landstraßen erscheinen daher manchmal ausser dem wirkliche Maasverhältnis die sich in der Ebene durch kräftige Conturen […] auszeichnen […] und zugleich den Eindruck der Anschauung derselben in der Natur erzeugen.“ (Großherzoglich badischer Generalstab 1839, S. 1) Innerorts wurden Einzelgebäude zu Häuserreihen zusam-mengefasst. Auf eine detaillierte Darstellung der Ortsbebauung inklusive Straßen wurde auf-grund des verwendeten Maßstabs verzichtet. Die Wege sind kartographisch fünf Kategorien zugeordnet (Tab. 19).

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Für das Projektgebiet wurden die vier Kartenblätter „Engen“, „Stockach“, „Gailingen“ und „Constanz“ über das LGL erworben, blattweise mit einem großformatigen Einzugsscanner ge-scannt und die Blattränder mithilfe eines Bildbearbeitungsprogramms entfernt. Eine grobe Geo-referenzierung erfolgte mit ca. 20 Punkten je Blatt, wobei die TK25 als Referenz diente und vor allem Vermessungspunkte verwendet wurden.

Tab. 19: Wegkategorien im Topographischen Atlas über das Großherzogtum Baden 1848

Die seit 1940 als amtliches Kartenwerk der Bundesrepublik Deutschland herausgegebene Grundkarte zeigt „das Gelände und die mit ihm verbundenen Gegenstände in großen […] Maßstäben mit maßstabsbedingter Vollständigkeit und Genauigkeit“ (Hake 1982, S. 243) und

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ist daher weitgehend objektiv. Die Darstellung beruht auf grundrisstreuen Grundstücksgren-zen aus Flurkarten und Geländesignaturen aus Höhenlinien, die über Tachymetrie aus Feld-aufnahmen oder Bildmessung bestimmt wurden. Die Genauigkeit der räumlichen Lage und Höhe und der hohe Detaillierungsgrad der Geländeformen machen dieses Kartenwerk zur wichtigsten modernen Vergleichskarte der Kulturlandschaftsforschung. Es wird allerdings seit ca. 1985 nicht mehr fortgeführt, was für archäologische Fragestellungen jedoch keine Rolle spielt.

Das Straßennetz wird, ebenso wie Gebäude, maßstabsgetreu ohne Überzeichnung oder Sig-naturen auch innerhalb von Siedlungen dargestellt. Wichtige topographische Objekte, z. B. her-vorragende Bäume, kulturhistorische Denkmäler, Hecken und Zäune, werden durch besondere Signaturen hervorgehoben.

Um eine Flächendeckung des Landkreises zu erreichen, wurden 279 Blätter aus Beständen der Landesdenkmalpflege blattweise mit einem großformatigen Einzugsscanner gescannt und die Blattränder mithilfe eines Bildbearbeitungsprogramms entfernt. Das Scannen wurde sorg-sam durchgeführt, sodass durch das Scannen selbst bereits eine möglichst optimale Nord-Süd-Orientierung erzielt werden konnte. Die Georeferenzierung konnte danach durch eine manuelle Erstellung des jeweiligen World-Files (Textdateiformat mit Georeferenzdaten, Firma ESRI) ein-fach ohne Passpunkte durchgeführt werden. Aufgrund der Kompaktheit und Fehlerfortpflan-zung der in 22 Spalten und 18 Reihen angeordneten Karten ergaben sich einige Blätter, die nicht exakt eingepasst werden konnten. Diese wurden per „Feintuning“ im World-File bestmöglich an die TK25 angepasst. 5.3.2 Digitale Erfassung

In der Tradition der klassischen Altstraßenforschung wird auch für das vorliegende Pro-jekt das Verfahren der rückschreibenden, regressiven Vorgehensweise eingesetzt (vgl. Dos-wald 2003, Schumacher 2006, Flury 2009). Als Ausgangspunkt wird, wie z. B. im GIS-Du-four (Egli et al. 2005), das älteste amtliche Kartenwerk verwendet, das flächendeckend mit moderner Vermessungstechnik für ein großes Gebiet aufgenommen wurde und eine gute kartografische Darstellung besitzt (TA1848). Obgleich nicht so genau wie die späteren Ge-markungspläne 1:10 000 (1863–1887), gibt dieses Kartenwerk die bestmögliche Darstellung des Wegenetzes noch vor dem Bau der Eisenbahn und umfangreicher Flurneuordnungen des 19. Jh. wieder. Im Gegensatz zum Projekt IVS, das aufgrund des wesentlich größeren Untersuchungsraumes eine Vorauswahl der aufzunehmenden Strecken treffen musste, wur-den für dieses Projekt flächendeckend alle auf den Altkarten sichtbaren Wege erfasst. Der Ablauf der einzelnen nachfolgenden Arbeitsschritte gibt Abbildung 29 wieder. Bei der Er-

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fassung wurde das Konzept der „least common geometry“ (Ott et al. 2001) angewendet. Änderte sich die Kategorie eines Zeitschnittes, wurden neue Abschnitte mit eindeutigen Attributen eingeführt. Inhaltliche Redundanzen und topologische Fehler können so ver-mieden werden. Arbeitsschritte TA1848

Gängige Praxis ist die bestmögliche Georeferenzierung der Altkarten und die digitale Erfassung der Landschaftselemente auf deren Grundlage. Im Gegensatz dazu wurden hier die Start- und Endpunkte, z. B. Siedlungskern, Einzelgebäude, Weggabelung oder Übergänge über Fließge-wässer, jeder einzelnen Strecke aus dem grob georeferenzierten TA1848 visuell am Bildschirm auf die TK25 übertragen und der Wegverlauf bei Maßstäben von ca. 1:20 000 grob digitalisiert. Auf Grundlage der DGK5 erfolgte dann in einem weiteren Schritt die eigentliche Erfassung und Anpassung im Maßstab 1:3000. Im Zweifelsfall, also wenn sich die Ansprache schwierig gestaltete, wurde die TA1848-Ausgabe aus den „Historischen Kartenbestände des Oberrheins“ als Vergleich herangezogen. Als Attribut für diese Strecken wurde die historische Wegkategorie festgehalten.

Selten werden in der Literatur Probleme und/oder deren Lösungswege bei der digitalen Erfas-sung thematisiert (z. B. in Vuorela et al. 2002). Oft werden deshalb nur Hauptrouten registriert, die eindeutig und gut erkennbar sind.

Das Ziel, alle im TA1848 vorhandenen Wege zu erfassen sowie die kartografische Darstel-lung des verwendeten Kartenwerks brachten jedoch einige Schwierigkeiten, die Linienführung und Wegkategorie insbesondere im oft unruhigen Relief des Untersuchungsgebietes eindeutig zuzuordnen (Abb. 30). Um die Informationen über Erfassungsschwierigkeiten für spätere Aus-wertungen und deren Qualitätsprüfungen zu erhalten, wurde den betroffenen Abschnitten das Attribut „Schlechte Qualität“ zugewiesen.

Ein weiteres Problem der vorgestellten Vorgehensweise war, dass für 19,7 % der digitalisierten Wegabschnitte aus dem TA1848 keine Entsprechungen auf der DGK5 gefunden werden konnten. Als wichtigstes Prinzip für die Erfassung und Rekonstruktion von Verkehrswegen aus Altkarten mahnt Cranach an, jeden einzelnen Abschnitt individuell zu betrachten und primär zu prüfen, ob die bezeugte Linienführung topografisch überhaupt Sinn macht (Cranach 2000). Dies wurde für alle Wege durchgeführt und der eigentliche Wegverlauf dann anhand von Wegbegleitern (z. B. Brücken, Kapellen, Wegkreuze, Einzelgehöfte), natürlichen Zwangspunkten (z. B. Bergrücken, Feuchtgebiete), Wegmerkmalen (Kreuzungen, Gabelungen), Landschaftselementen (z. B. Täler, Berge, Gewässer) und/oder durch eine relative Position dazu zunächst grob fixiert. Im Bearbei-tungsmaßstab wurden die grob erfassten Strecken vorhandenen Wegen in der DGK5 zugeordnet.

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Abb. 29: Erfassung und Rekonstruktion der historischen Wege: Arbeitsablauf im GIS

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Abb. 30: Schwierigkeiten bei der Digitalisierung aus dem TA1848 (gestrichelte Linie: betroffener Wegabschnitt)

A: Starke Schraffen im Bereich steilerer

Böschungen: kleinere Fahr- und Fußwege sind teilweise nicht von den Schraffen zu unterscheiden

B: Legendensymbol der Gemarkungsgrenzen: starke Ähnlichkeit der Symbole für

Gemarkungsgrenzen sowie Fußwege

C: Abgrenzungen von Landnutzungen: eine

ähnliche Strichstärke von Fahrwegen und

Waldabgrenzungen macht die Unterscheidung schwierig

D: Legendensymbol der Fließgewässer: bachbegleitende Fahrwege können in schmalen Tälern kaum von den Gewässern unterschieden werden

E: Siedlungen: innerörtliche Wege werden oft schematisch dargestellt, kleinere Gassen im

Vergleich zur DGK5 weggelassen

F: Kleinmaßstäbige Beschriftungen: die im Digitalisierungsmaßstab

übergroßen Beschriftungen verdecken die darunterliegenden Karteninhalte

War dies aus den oben genannten Gründen nicht möglich, bietet der große Maßstab der DGK5 die Möglichkeit, weitere Landschaftselemente zur Orientierung und Fixierung heranzuziehen. Sieben Hilfsmittel wurden erarbeitet (Kap. 5.2.4) und für die Rekonstruktion der unscharfen Abschnitte dann das jeweils am besten geeignete Hilfsmittel eingesetzt. Arbeitsschritte SK1797

Als einziger rückgeschriebener Zeitschnitt wurde das Verkehrsnetz aus der SK1797 erfasst. Das jeweilige Kartenblatt wurde in einem Bildbearbeitungsprogramm geöffnet und genordet. Alle sichtbaren Wege wurden visuell den bereits digitalisierten Objekten aus dem TA1848 zu-geordnet, die neuen Wegkategorien als Attribute hinzugefügt und ggf. neue Abschnitte dafür generiert.

Im Vergleich mit dem TA1848 fällt die starke Ausdünnung des Verkehrsnetzes sofort ins Auge. Vor allem Straßenanbindungen von Einzelgehöften wurden wohl weggelassen, da diese nicht als militärisch relevant eingestuft wurden.

191

Abb. 31: Beispiel der visuellen Zuordnung von Elementen für den gleichen Ausschnitt aus

TA1848 (links), SK1797 (mitte) und TK25 (rechts): Wegabschnitte in TK25: seit 1797 vorhanden (schwarze Linie), seit 1848 vorhanden (helle Linie), zwischen 1797 und 1848 abgegangen

(gestrichelte Linie). Im Gegensatz zur Bearbeitung des TA1848 konnten hier alle Strecken aufgrund ihrer farbigen Darstellung erkannt und den Wegkategorien zugeordnet werden.

Allerdings liegen auch hier die innerörtlichen Wege nur schematisch vor.

Die aus der Literatur bekannten Lageungenauigkeiten und Verzerrungen (Abb. 31) verlang-ten hohe Zugeständnisse bei der Digitalisierungstoleranz. Zum Beispiel wurde ein Abschnitt auch dann dem Verlauf im TA1848 zugeordnet, wenn dieser eine deutlich sichtbar stärker geschwungene Linienführung aufwies. Einige wenige Wege mussten jedoch trotz großer Be-mühungen als nicht logisch konsistent eingestuft werden. Diese konnten deshalb nicht erfasst werden.

Einer der wichtigsten Punkte für die vorliegende Studie ist die Digitalisierung derjenigen Wege, die nicht im TA1848 dargestellt sind. Die also zwischen 1797 und 1848 abgegangenen Straßen sind für die archäologische Denkmalpfl ege besonders interessant, stellten aber auch die größte Herausforderung bei der digitalen Erfassung dar. Diese wurden ebenfalls nach den oben beschriebenen Prinzipien verarbeitet, wobei die DGK5 jetzt als erstes Hilfsmittel einge-setzt wurde. Trotz der großen absoluten Lageungenauigkeiten konnten die meisten Strecken durch die relativen Positionen von Bergen, Wald, Gewässern und Orten überraschend gut ein-gepasst werden.

192

Für die Interpolation wurden, je nach Situation, zunächst, wenn möglich, untergeordnete Wege in einer geradlinigen Flucht als Verlängerung verwendet. War dies nicht möglich, wurden ein-fache, gerade Linien großzügig eingesetzt. Die Rekonstruktion sollte dabei eine möglichst lange Strecke einnehmen. Die Verlängerung wurde bis zum nächsten Kreuzungspunkt mit anderen Wegen, Hindernisse wie Hügeln oder bis zum Erreichen eines entfernten, aber in der Flucht liegenden Abschnitts durchgeführt. 5.3.3 Analyse der Wegenetze

Der erstellte Datensatz weist eine Gesamtlänge von 3223 km auf und umfasst 11279 Einzel-abschnitte (Abb. 32). Im Allgemeinen deckt das Wegenetz alle Bereiche des Untersuchungs-gebietes ab. Wie zu erwarten war, liegt die Wegedichte im nördlichen Hegau mit 39 m/ha am höchsten, da Stockach jahrhundertelang bis 1805 das politische Zentrum des Hegaus war. Die geringste Anzahl an Wegen (29  m/ha) ist im westlichen Teil zu finden. Dieser Landschaftsteil ist durch die 15  km lange Kette der Hegauberge und deren großflächige steile Berghänge mit z.  T. anschließenden Feuchtgebieten charakterisiert und kann des-halb verkehrstechnisch schlechter erschlossen werden. Aber auch in anderen Bereichen des Untersuchungsgebietes sind diese Landschaftselemente Ursachen für größere „Lücken“ im Wegenetz.

Für die bessere Vergleichbarkeit der Ergebnisse wurden die Wegkategorien der einzelnen Kar-tenwerke zusammengefasst (Tab. 20). Weitere Attribute der Abschnitte waren die Qualität der Ansprache, die Sichtbarkeit auf der DGK5, das ggf. eingesetzte Rekonstruktionshilfsmittel und bei Sackgassen das vermutete Ziel.

193

Ab b. 32: D ig ita l er fas ste s n euz eit lic he s W egen etz. W ege n ur i n S K1797 (g n), n ur i n T A1848 (b la u) o der i n b eid en K ar ten wer ken vo rh an den (r ot), U nt er su ch un gs ge bi et (l ila).

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Tab. 20: Harmonisierte Wegkategorien

Allgemein konnten 97,4 % der Abschnitte mit einer guten Qualität über beide Kartenwerke erfasst werden (Abb. 33). Wie zu erwarten lag die Anzahl der qualitativ schlechten Strecken aus SK1797 höher als die Anzahl aus TA1848 (4,2 % bzw. 0,3 %). Nur ca. 100 m Weg musste mit hoher Unschärfe von beiden Karten visualisiert werden.

Die ungleichmäßige Verteilung der absoluten Streckenlängen auf die Wegekategorien ent-spricht den Erwartungen: In beiden Karten überwiegen die Ortsstraßen, deutlich geringer ist die Anzahl der überregionalen Landstraßen. Die Fußwege der SK1797 wurden wohl als nicht kriegswichtig erachtet und umfassen insgesamt nur 11,6 km. Durch die pragmatische Vor-gehensweise konnten überraschend viele Abschnitte mit guter Kartenqualität erfasst werden: Nur 4,1 % der Strecken in der SK1797, vorwiegend in den Ortsstraßen, mussten als „schlechte Qualität“ kartiert werden. Im TA1848 waren es aufgrund der besseren Kartendarstellung nur noch 0,3 %.

Für beide Kartenwerke ergab sich ein ähnliches Bild bei den prozentualen Anteilen an ein-gesetzten Rekonstruktionshilfsmitteln (Abb.  34). Der „freie unscharfe Entwurf“ mit 28,0  % (TA1848) bzw. 26,4 % (SK1797) wurde am häufigsten verwendet, gefolgt von „Verlängerung“ mit 27,7 % (TA1848) bzw. 24,2 % (SK1797) und „Freier Entwurf“ mit 23,5 % (TA1848) bzw. 24,1 % (SK1797). Am wenigsten kam in beiden Rekonstruktionen das Hilfsmittel „Gelände-kante“ zum Einsatz. Auffällig ist der deutlich erhöhte Anteil der „Höhenlinie“ im SK1797. Bei der Erfassung vor allem der zwischen 1797 und 1848 abgegangenen Wege wurde versucht, noch möglichst viele anhand der Höhenlinien statt über den „Unscharfen Entwurf“ zu rekonstruie-ren. Insgesamt wurden 558 km (=19,3 % der Gesamtlänge in TA1848) bzw. 346 km (=19,9 % der Gesamtlänge in SK1797) mit Hilfsmitteln rekonstruiert. Davon konnten 44,5 % (TA1848) bzw. 39,1 % (SK1797) mit sehr guten Hilfsmitteln und weitere 25,3 % (TA1848) bzw. 26,3 % (SK1797) immerhin noch mit guter Qualität erfasst werden.

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Abb. 33: Summe der absoluten Streckenlängen je nach Wegekategorie: SK1797 (links) mit insgesamt 1725 km, TA1848 (rechts) mit insgesamt 2883 km; Abschnitte mit schlechter

Kartenqualität in rot.

Abb. 34: Prozentualer Anteil der einzelnen Hilfsmittel mit ihrer Qualitätseinstufung für SK1797 (links) und TA1848 (rechts), berechnet anhand der Abschnittslängen (grün: sehr gut, gelb: gut, rot: schlecht). Die prozentuale Verteilung der Hilfsmittel auf die Wegkategorien des TA1848 konnte so erwar-tet werden (Abb. 35). Je höher die Kategorie, desto länger war die Strecke wahrscheinlich in Ge-brauch, desto häufiger und umfangreicher wurde ausgebaut und desto mehr Spuren verbleiben nach der Aufgabe.

In der SK1797 fällt die ungewöhnliche Verteilung bei den Fußwegen auf: Über 50 % die-ser Kategorie können mit sehr guten Hilfsmittel rekonstruiert werden, während es im TA1848 dort nur 39 % sind. Vermutlich erlaubt die geringe Streckenlänge der SK1797-Fußwege von nur 11,6 km (= 0,7 % der Gesamtlänge in SK1797) jedoch keine repräsentativen Aussagen.

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Abb. 35: Prozentualer Anteil der Hilfsmittel je Wegekategorie: SK1797 (links), TA1848 (rechts), berechnet anhand der Abschnittslängen; Zusammenfassung der Qualitätseinstufung: sehr gut (grün), gut (gelb), schlecht (rot).

5.4 Untersuchung ausgewählter Kriterien

5.4.1 Ausschlusskriterien Material und Methoden Für die Beurteilung der Ausschlusskriterien „Überlieferung“ und „Auffindungssituation“ konn-ten aus den im Hegau vorkommenden 284 Bodeneinheiten der Bodenkarte 1:50 000 von Baden-Württemberg folgende Einstufungen vorgenommen werden (Tab. 21).

Die Vektordaten der Bodenkarte wurden mit den „Wegflächen“ verschnitten. Für eine Ein-schätzung, ob die eingesetzten Einheiten als Ausschlusskriterien signifikante Ergebnisse liefern, wurde die Verschneidung auch mit dem gesamten Untersuchungsgebiet bzw. Einzelauswertun-gen der jeweiligen Karten und Wegkategorien durchgeführt. Die Ergebnisse des Hegaus werden dabei als Mittelwert angesehen. Die ermittelten Prozentanteile beziehen sich auf die jeweilige Gesamtfläche.

197

Das Untersuchungsgebiet ist durch einen hohen Anteil an neutralen Böden (37,0 %), 8,6 % Sied-lungsflächen und nur 2,2 % sonstigem, anthropogenen überprägten Untergrund charakterisiert (Abb. 36). Die Land- und Ortsstraßen der SK1797 befinden sich überwiegend wie zu erwarten in Siedlungsgebieten (31,7 bzw. 15,9 % statt 8,6 %). Die Ortsstraßen und Fußwege verlaufen mit 37,3 bzw. 19,7 % mehrheitlich auf neutralen Böden. Auch in der TA1848 überwiegen die Sied-lungsbereiche für die Landstraßen erwartungsgemäß mit 32,4 %. Die Ortsstraßen und Fußwege liegen mit 38,3 bzw. 30,5 % ebenfalls auf neutralen Böden. Alle Wegkategorien beider Karten-werke sind nur im geringen Maß anthropogen überprägt.

Tab. 21: Beschreibung der Bodeneinheiten für die Überlieferung und Auffindungssituation

(Ausschlusskriterien)

Der Hegau hat einen hohen Anteil an Bodeneinheiten, die auf Erosion (stark 15,7 sowie schwach 7,4 %) und Akkumulation (5,1 %) schließen lassen (Abb. 36). Die SK1797-Landstra-ßen liegen deutlich weniger in erosionsgefährdeten Gebieten (insgesamt 15,5 statt 28,1 %), während die Ortsstraßen dem Mittelwert entsprechen und die Fußwege mit über 70 % über-wiegend auf stark erodierten Böden verlaufen. Die TA1848 zeigt ein ähnliches Bild abgesehen von den Fußwegen, die sich nun ebenfalls nur mit einem geringen Anteil an erodierten Böden präsentieren (29,8 %). Alle Wegekategorien beider Kartenwerke liegen mit ihren Anteilen an Böden mit Kolluvien im Mittel. Diskussion

Der Hegau präsentiert sich erwartungsgemäß als ländlich geprägtes Hügelland, das in der Flä-che von Erosionsgeschehen, aber nur relativ wenig von anthropogenen Einflüssen geprägt ist. Die Landwege der beiden untersuchten neuzeitlichen Kartenwerke zeichnen grundsätzlich ein ähnliches Bild. Damit bieten sich einerseits generell gute Auffindungschancen, andererseits gibt es bei über 20 % der Gesamtfläche keine guten Überlieferungsbedingungen.

Die überregionalen Landstraßen liegen ebenfalls erwartungsgemäß vor allem in Sied-lungsbereichen. Als Begründung kann angeführt werden, dass der Verkehr auf diesen großen Handelsrouten seit dem Mittelalter möglichst lange innerhalb der Orte gehalten werden sollte, um Dienstleistungen anzubieten und damit die lokalen Einnahmen zu erhö-hen. Die Landstraßen wurden auch deutlich außerhalb von erosionsgefährdeten Gebieten angelegt, was auf eine gezielte Auswahl der Linienführungen hinweist (Abb. 37). Ebenfalls als bewusste Entscheidung kann der Verlauf vor allem der SK1797-Fußwege über die stark erodierten Bereiche angesehen werden. Diese Abschnitte waren wohl einfache Wege über Berge hinweg, die eine schnelle und flexible Fortbewegung, vermutlich als Abkürzung, er-möglichten. Kurios ist die aktuelle Landnutzung als Gewässer: Manche Abschnitte verlau-fen direkt entlang von Seen oder Weihern. Die Auflösung der Trasse von 30  m und die Verschneidung mit ebenfalls groben Flächenabgrenzungen der Bodenkarte ergeben kleine Flächen der Landnutzung „Gewässer“, z. B. bei den Hardtseen (Gem. Gottmadingen) oder Segete (Gem. Gaienhofen). Interessant ist auch die Überprägung der Altwege mit modern angelegten Baggerseen am Ziegeleiweiher Rickelshausen (Gem. Radolfzell) und in Schoren (Gem. Stockach).

199

Abb. 36: Rezente Bodeneinheiten für die Ausschlusskriterien „Überlieferung“ und

„Auffindungssituation“. Vergleich der Wegekategorien SK1797 (oben) und TA1848 (unten) mit den Mittelwerten des Hegau.

200

Abb. 37: Ausschlusskriterium „Erosion“. Die SK1797-Landstraße zwischen Stockach und Zoznegg

(Gem. Mühlingen, Lk. Konstanz) umgeht zwei Bereiche mit schwacher Erosion (hellrot) bedingt durch steile Hänge. Rot: starke Erosion, grün: Akkumulation. Wege: orange: Landstraßen, gelb: Ortsverbindungswege, gestrichelt: Fußwege.

201

Für die Beurteilung des Kriteriums „trockener Untergrund“ konnten aus den vorkommenden 284 Bodeneinheiten einerseits „gut geeignete“ Böden und andererseits vier Ausprägungen des Ausschlusskriteriums „Vermeiden von Feuchtgebieten“ bestimmt werden (Tab. 22).

Tab. 22: Beschreibung der Bodeneinheiten für die Kriterien „Trockener Untergrund“ bzw.

„Vermeiden von Feuchtgebieten“

Die Vektordaten der Bodenkarte wurden mit den „Wegflächen“ verschnitten. Um zu prüfen, ob die vorhandenen Bodeneinheiten für die beiden Kriterien sinnvoll eingesetzt werden können, wurde daneben auch eine Verschneidung mit dem gesamten Untersuchungsgebiet bzw. Einzel-auswertungen nach den jeweiligen Karten und Wegekategorien durchgeführt. Die Ergebnisse des Hegaus werden dabei als Mittelwert angesehen. Die ermittelten Prozentanteile beziehen sich auf die jeweilige Gesamtfläche. Ergebnisse

Im Untersuchungsgebiet können nur 7,8 % der Gesamtfläche durch die geprüften Bodeneinhei-ten als „gut geeignet“, d. h. mit einer guten Wasserdurchlässigkeit eingestuft werden (Abb. 38). Feuchte Böden bis Moore sind mit insgesamt 14,6 % in erheblicher Flächenausdehnung vor-handen.

Die SK1797-Landstraßen bevorzugen mit 12,0 statt 7,8 % die „gut geeigneten“ Böden, lie-gen aber auch noch in „feuchten“ Böden über dem Mittelwert. Mit zunehmendem Feuchte-

202

anteil reduzieren sich die Anteile aller Wegkategorien. Bemerkenswert ist die sehr geringe Anzahl an Fußwegen, die auf „gut geeigneten“ Böden verlaufen (0,9 %). Grundsätzlich zeigt der TA1848 ein ähnliches Bild. Interessant sind deutlich erhöhte Prozentanteile der Fußwe-ge in allen feuchten Bodeneinheiten mit insgesamt 20,5 % statt 14,5 % (Hegau) bzw. 1,9 % (SK1797). Diskussion

Die untersuchten Landstraßen beider Kartenwerke liegen im Verhältnis zum Hegau vermehrt auf „gut geeigneten“ Böden, was grundsätzlich die Ausgangshypothese bestätigt. Allerdings sind davon nur 7,8 (Hegau), 12,0 (SK1797) bzw. 12,3 % (TA1848) der Gesamtfläche betroffen. Zudem muss offen bleiben, ob sich die Flächenanteile wirklich statistisch signifikant unter-scheiden.

Das Untersuchungsgebiet besitzt im Durchschnitt einen hohen Anteil an feuchten Böden, die nach dem Kriterium „Vermeiden von Feuchtgebieten“ umgangen werden sollten. Durch den hohen Detailierungsgrad in drei Ausprägungen kann generell eine deutliche Vermeidung erst auf Böden mit einem geringen Grundwasserflurabstand, also dauerfeucht (Feuchtgebiete und Moore) beobachtet werden. Die TA1848-Fußwege zeigen eine deutliche Unempfindlichkeit gegenüber der Landschaft, sie verlassen teilweise die guten Standorte und verlaufen vermehrt auch über Feuchtgebiete und sogar Moore. Dies könnte auf eine Trockenlegung dieser Bereiche hinweisen oder sich mit der Technikgläubigkeit des 19. Jahrhunderts und der postulierten tech-nischen Beherrschung der Natur erklären lassen.

Das Kriterium „Trockener Untergrund“ kann auf Grundlage der eingesetzten klassifizier-ten Bodenkarte als wahrscheinlich geeignet für frequentierte historische Überlandstraßen mit Schwerlastverkehr eingestuft werden. Als grundsätzlich für alle Wegekategorien geeignet ist das Kriterium „Vermeiden von Feuchtgebieten“ (Abb. 39).

203

02468101214

MooreHangschuttgut geeignetfeuchter Boden Feuchtgebiete

Hegau Prozentanteil Fläche [%

]

LandstraßenOrtsstraßenFußwege02468101214

MooreHangschuttgut geeignetfeuchter Boden Feuchtgebiete

Hegau Prozentanteil Fläche [%

]

LandstraßenOrtsstraßenFußwege

Abb. 38: Rezente Bodeneinheiten für die Kriterien „trockener Untergrund“ und „Vermeiden von Feuchtgebieten“. Vergleich der Wegkategorien SK1797 (oben) und TA1848 (unten) mit den

Mittelwerten des Hegaus.

204

Abb. 39: Kriterien „Trockener Untergrund“ und „Vermeiden von Feuchtgebieten“. Das gesamte neuzeitliche Wegenetz (rot) zwischen Mühlhausen und Aach (beide Lk. Konstanz) zeigt deutliche

Vermeidung der feuchten Bereiche (Verlauf feuchte Böden bis Moor in blau) und Linienführung auf gut geeigneten (grün) bzw. neutralen Böden (grau). Blaue Symbole: punkthafte archäologische Fundstellen. 5.4.3 Kriterium „Lage im Hang/Hangposition“ Material und Methoden

Die Berechnung und Definition der Hangposition erfolgte durch das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau im Regierungspräsidium Freiburg (Referat Landesbodenkunde) als re-lative vertikale Position zwischen Tiefenlinie (0.0) und Kulminationslinie (1.0) nach dem Index von Kothe 2007 (Tab. 23):relative Hangposition = HTL/(HTL + HKL)mit HTL = „Höhe über Tiefenlinie“ [m], HKL = „Höhe unter Kulminationslinie“ [m]

205

Tab. 23: Definition der Hangposition nach dem Reliefindex

Die eigens berechneten Vektordaten (Kap. 5.2.5) wurden mit den „Wegflächen“ verschnitten. Für eine Einschätzung, ob die Bereiche der Hangposition signifikante Ergebnisse liefern, wurde die Verschneidung auch mit dem gesamten Untersuchungsgebiet bzw. Einzelauswertungen nach den jeweiligen Karten und Wegekategorien durchgeführt. Die Ergebnisse des Hegaus werden dabei als Mittelwert angesehen. Die ermittelten Prozentanteile beziehen sich auf die jeweilige Gesamtfläche. Ergebnisse

Das Untersuchungsgebiet ist als flaches Hügelland erwartungsgemäß mit 51,8 % Unterhang/Tal-lagen und je ca. 16 % in den steileren Hang- bzw. Scheitelbereichen charakterisiert.

Die Landstraßen verlaufen überwiegend im ebenen Gelände und sind mit 65,1 % (SK1797) sowie 69,1 % (TA1848) deutlich höher als der Durchschnitt (Abb. 40). Dementsprechend liegen sie im Gegensatz zu den nachrangigen Wegekategorien in den steileren Bereichen unterhalb des Mittelwerts.

Die Ortsstraßen liegen in allen Hangpositionen um den jeweiligen Durchschnittswert. Be-merkenswert ist die Verteilung der SK1797-Fußwege: Diese finden sich mit nur 33,9 % im Tal und bevorzugen die mittleren Hanglagen mit zusammen 52,7 % deutlich mehr als der Durch-schnitt (30,7 %).

206

Abb. 40: Auswertung Kriterium „Halbe Hanghöhe“. Vergleich der Wegekategorien SK1797 (oben) und TA1848 (unten) mit den Mittelwerten des Hegaus. 0 10 20 30 40 50 60 70 UnterhangMittelhangOberhangHöhe Hegau Prozentanteil Fläche [% ] Landstraßen Ortsstraßen Fußwege 10 20 30 40 50 60 70 UnterhangMittelhangOberhangHöhe Hegau Prozentanteil Fläche [% ] Landstraßen Ortsstraßen Fußwege 20 30 40 50 60 70 UnterhangMittelhangOberhangHöhe Hegau Prozentanteil Fläche [% ] Landstraßen Ortsstraßen Fußwege 30 40 50 60 70 UnterhangMittelhangOberhangHöhe Hegau Prozentanteil Fläche [% ] Landstraßen Ortsstraßen Fußwege 40 50 60 70 UnterhangMittelhangOberhangHöhe Hegau Prozentanteil Fläche [% ] Landstraßen Ortsstraßen Fußwege 50 60 70 UnterhangMittelhangOberhangHöhe Hegau Prozentanteil Fläche [% ] Landstraßen Ortsstraßen Fußwege 60 70 UnterhangMittelhangOberhangHöhe Hegau Prozentanteil Fläche [% ] Landstraßen Ortsstraßen Fußwege 70 UnterhangMittelhangOberhangHöhe Hegau Prozentanteil Fläche [% ] Landstraßen Ortsstraßen Fußwege Hegau Prozentanteil Fläche [% ] Landstraßen Ortsstraßen Fußwege ] Landstraßen Ortsstraßen Fußwege Landstraßen Ortsstraßen Fußwege

207

Abb. 41: Beispiel Hangposition: SK1797-Wegflächen zwischen Binningen und Weiterdingen

(beide Gem. Hilzingen, Lk. Konstanz) entlang des Nordhangs des Hohenstoffeln. Hangposition: Unterhang (dunkelgrün), Mittelhang (hellgrün), Oberhang (gelb), Scheitelbereich (rot). Diskussion

Die Annahme, dass historische Wege vor allem im Mittelhang verlaufen, konnte mit der einge-setzten Vorgehensweise nicht bestätigt werden. Änderungen der Linienführung weg von mittel-alterlichen Höhenwegen hin zu modernen Talwegen über die Ausprägung „Mittelhang“ kön-nen jedoch bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt erfolgt sein, sodass selbst das Wegenetz der SK1797 den modernen Zustand darstellt. Eine gezielte Auswahl von Tallagen für Landstraßen ist aufgrund der großen Menge an schweren Gespannen der Neuzeit nachvollziehbar. Die An-stiege der Überlandwege wurden möglichst kurz gehalten.

Theoretisch bilden die SK1797-Fußwege in etwa die Erwartungen ab (Abb. 41). Diese wur-den bis 1848 wahrscheinlich modernisiert, d. h. ebenfalls in den Unterhang verlegt. Allerdings müssen alle Ergebnisse dieser Fußwege aufgrund der geringen Stichprobengröße als unsicher eingestuft werden.

208

Für die Untersuchung der Exposition wurden folgende Werteklassen definiert: 0–135 ° (N bis O), 135–225 ° (Süd) und 225–360 ° (W bis N). Die eigens berechneten Vektordaten (Kap. 5.2.5) wurden mit den „Wegflächen“ verschnitten. Für eine Einschätzung, ob die Bereiche der Exposi-tion signifikante Ergebnisse liefern, wurde die Verschneidung auch mit dem gesamten Untersu-chungsgebiet bzw. Einzelauswertungen nach den jeweiligen Karten und Wegkategorien durch-geführt. Die Ergebnisse des Hegaus werden dabei als Mittelwert angesehen. Die ermittelten Prozentanteile beziehen sich auf die jeweilige Gesamtfläche. Ergebnisse

Der Hegau umfasst alle drei Expositionen mit zwischen 31,3 und 35,4 %, was vermutlich unge-fähr die natürliche Streubreite definiert. Die ermittelten Expositionen der Wege aus beiden Kar-tenwerken inklusive der Aufteilung in Wegekategorien zeigen grundsätzlich keine signifikanten Unterschiede (Abb. 42). Die TA1848-Landstraßen sind jedoch leicht weniger auf N-O-Hängen zu finden als der Durchschnitt (29,1 statt 35,4 %). Interessant ist die Nicht-Bevorzugung der südlichen Ausrichtung der SK1797-Fußwege: Mit 25 % liegt der Prozentanteil deutlich unter-halb der Land- und Ortsstraßen mit jeweils 36 %.

209

05101520253035404550

N - OSüdW - N

Hegau Prozentanteil Fläche [%

]

LandstraßenOrtsstraßenFußwege05101520253035404550

N - OSüdW - N

Hegau Prozentanteil Fläche [%

]

LandstraßenOrtsstraßenFußwege

Abb. 42: Auswertung Kriterium „Exposition“. Vergleich der Wegekategorien SK1797 (oben) und

TA1848 (unten) mit den Mittelwerten des Hegaus.

210

Abb. 43: Beispiel Exposition: SK1797-Fußweg zwischen Binningen und Weiterdingen (beide

Gem. Hilzingen, Lk. Konstanz) entlang des Nordhangs des Hohenstoffeln. Expositionen: Nord

(blau), Ost (grün), Süd (rot), West (gelb). Wege: orange: Landstraßen, gelb: Ortsverbindungswege, gestrichelt: Fußwege. Diskussion

Entgegen der Annahme, dass historische Wege zu einer Exposition nach Süden tendieren, muss das Kriterium der durchgeführten Analyse zufolge als indifferent angesehen werden (Abb. 43). Vielleicht sind die klimatischen Bedingungen des Hegaus generell zu „gut“ und es war nicht notwendig, klimatische begünstigte Südhänge konsequent zu bevorzugen. 5.4.5 Kriterium „Hangneigung bis 25 %“ Material und Methoden

Für die Untersuchung der Hangneigung wurden folgende Werteklassen definiert: <15 %, 15–25 %, >25 %. Die eigens berechneten Vektordaten (Kap. 5.2.5) wurden mit den „Wegflächen“

211

verschnitten. Für eine Einschätzung, ob die Werte der Hangneigung signifikante Ergebnisse liefern, wurde die Verschneidung auch mit dem gesamten Untersuchungsgebiet bzw. Einzelaus-wertungen nach den jeweiligen Karten und Wegekategorien durchgeführt. Die Ergebnisse des Hegaus werden dabei als Mittelwert angesehen. Die ermittelten Prozentanteile beziehen sich auf die jeweilige Gesamtfläche. Ergebnisse

Das Untersuchungsgebiet ist zum großen Teil durch Hangneigungen <15  % charakterisiert (74,7 % des Gesamtfläche). Diese umfassen die Tallagen der Fließgewässer und Hochlagen des nördlichen und westlichen Hegaus. Höhere Neigungen sind mit 13,4 % (15–25 %) bzw. 11,9 % (>25 %) deutlich weniger vorhanden.

Alle Land- und Ortsstraßen liegen erwartungsgemäß überwiegend in den flachen Berei-chen und mit 84,3 %/77,6 % (SK1797) bzw. 83,5 %/77,6 % (TA1848) über den Mittelwerten (Abb. 44). In den steileren Lagen kommen beide Wegekategorien allerdings auch in nachweis-barer Menge vor.

Hier sind die Landstraßen eher geringer als der Durchschnitt, die Ortsstraßen streuen ungefähr um den Mittelwert des Untersuchungsgebietes. Interessant sind die SK1797-Fuß-wege, die mit 22,6 % bzw. 18,1 % in den steilen Neigungen deutlich über dem Durchschnitt liegen. Diskussion

In dieser ersten Analyse wurden die Angaben zu Neigungen aus offiziellen Schriftquellen des 18. Jahrhunderts von ca. 2–6 % je nach Bedeutung der Fahrwege nicht berücksichtigt.

Die üblicherweise in der Literatur angegebenen Grenzen von 15  % (Fahrzeuge) und bis 25  % (Fußwege) konnten nicht exakt nachgewiesen werden. Immerhin liegen 15,7  % (SK1797) und 16,5 % (TA1848) der Landstraßen über 15 % Hangneigung und zudem auch in Bereichen >25 %, die eigentlich nicht für Fahrzeuge geeignet sind (Abb. 45). Leider müs-sen auch hier die Ergebnisse der SK1797-Fußwege aufgrund der geringen Lauflänge kritisch gesehen werden.

212

0102030405060708090

<15 %15 - 25 %>25 %

Hegau Prozentanteil Fläche [%

]

LandstraßenOrtsstraßenFußwege

0102030405060708090

<15 %15 - 25 %>25 %

Hegau Prozentanteil Fläche [%

]

LandstraßenOrtsstraßenFußwege

Abb. 44: Auswertung Kriterium „Hangneigung“. Vergleich der Wegekategorien SK1797 (oben) und TA1848 (unten) mit den Mittelwerten des Hegaus.

213

Abb. 45: Beispiel Hangneigung: SK1797-Landstraße nördlich der Talmühle (Biesendorf, Gem.

Engen) entlang der steilen Hangkanten der Hegaualb. Hangneigung im Farbverlauf von flach (grün) nach steil (lila). Wege: orange: Landstraße, gelb: Ortsverbindungswege. 5.4.6 Kriterium „Geradliniger Verlauf“ („Knicke“) Material und Methoden

Die Landstraßen der SK1797 wurden visuell auf Knicke untersucht und 36 deutliche Abzwei-gungen beispielhaft ausgewählt (Abb. 46). Ergebnisse

Im Verhältnis zu allen SK1797-Landstraßen mit 285 Abschnitten und 175,3 km besitzt die Teil-menge der Knicke nur 36 Abschnitte mit 13,3 km (7,6 %).

214

Abb. 46: Abweichungen von Kriterium „Geradliniger Verlauf“: Beispiele von Knicken im Verlauf der SK1797-Landstraßen westlich und östlich von Radolfzell im Verhältnis zu archäologischen

Fundstellen. Orange: Landstraßen, gelb: Ortsverbindungswege, blau: punkt- bzw. flächenhafte archäologische Fundstellen. Diskussion

Die Auswahl der Knicke erfolgte nach pragmatischen Gesichtspunkten, d. h. eine Berechnung des Winkels des abbiegenden Weges und nachfolgende spezifische Auswahlkriterien wurden nicht durchgeführt. Für eine grobe Abschätzung des Kriteriums „Knicke“ wird die Vorgehens-weise als ausreichend angesehen.

Die Identifizierung von Knicken im Verlauf der Landstraßen könnte bereits allein als Kri-terium dienen (s. Kap. 5.2.2). Leider müssen weitere Untersuchungen aufgrund der geringen Lauflänge als problematisch angesehen werden. Ursächlich ist dies auf die Erfassungsmethode „least common geometry“ (s. Kap. 5.3.2) zurückzuführen. Die Ergebnisse wurden trotzdem zur weiteren Beurteilung der darauf beruhenden Rekonstruktionen verwendet.

215

In einem ersten Schritt wurden die Sackgassen im Rahmen der allgemeinen Erfassung des We-genetzes aus den Karten SK1797 und TA1848 (s. Kap. 5.3.2) digitalisiert. Die Wegziele waren in beiden Kartenwerken nachvollziehbar, eindeutig erkennbar und wurden mithilfe von 14 Nut-zungsklassen und vier Kategorien als eigene Attribute erfasst (Tab. 24).

Tab. 24: Nutzungsklassen der Sackgassen

Als Entscheidungsgrundlage für die weitere Bearbeitung wurden die Sackgassen aus den einzel-nen Karten in einem zweiten Schritt miteinander verglichen. Dabei stand die zeitliche Reihen-folge von An- und Abwesenheit im Vordergrund.

216

Wie erwartet bilden die Sackgassen mit 69,7 km (4 % der SK17971-Wege) bzw. 249,1 km (8,6 % der TA1848-Wege) nur einen kleinen Anteil am gesamten Wegenetz. Die überwiegende Anzahl endet im Wald (SK1797: 41,6 %, TA1848: 42,6 %).

SK1797 zeigt daneben mit 31,9 % einen hohen Anteil an Einzelgebäuden wie Burg, Mühle oder Einzelhof (Abb. 47). Deren Lage wurde wohl bei der Kartenerstellung im Gegensatz zu den nicht vorkommenden Rohstoffabbauflächen als mögliche Depots oder Verstecke und damit als kriegswichtig erachtet. Fast alle betroffenen Abschnitte gehören zu den Ortsverbindungsstraßen (98,8 % der Sackgassen-Länge).

Landwirtschaftliche Flächen sind das zweiwichtigste Ziel in der TA1848 (12,9 %), dicht gefolgt von Einzelgebäuden (11,4 %) und Riedgebiete (10,6 %). Generell bietet diese Karte eine höhere Vielfalt an Zieltypen. Die meisten Abschnitte gehören auch hier zu den Ortsverbindungsstraßen (88,7 % der Sackgassen-Länge).

Abb. 47: Abweichungen von Kriterium „Ziele“: Beispiele von Sackgassen der SK1797 rund um Hausen an der Aach (Gem. Singen) im Verhältnis zu archäologischen Fundstellen. Gelb:

Ortsverbindungswege, blau: punkt- bzw. flächenhafte archäologische Fundstellen.

217

Im Vergleich mit der 50 Jahre jüngeren Karte TA1848 finden sich 73,6 % der Weglängen der SK1797-Sackgassen wieder (51,3 km). Davon wurde der überwiegende Teil von 36,9 km in das Wegenetz TA1848 integriert, d. h. die ehemaligen Ziele der Sackgassen wurden zu normalen mehrarmigen Knoten. Das generelle Ziel blieb also konstant. Im Gegensatz dazu sind 26,4 % der SK1797-Sackgassen abgegangen, das ursprüngliche Ziel also wüst gefallen:

• In TA1848 vorhanden: 202 Abschnitte/51,3 km

• Nicht in TA1848 vorhanden : 75 Abschnitte/18,4 km Diskussion

Naturgemäß endeten einige Sackgassen im Untersuchungsgebiet am Bodensee oder an anderen natürlichen Seen. Für die vorliegende Studie werden diese nicht weiter berücksichtigt, könnten aber bei weiteren Untersuchungen zu Wasserwegen oder Umschlagsplätzen eingesetzt werden. Auch die nach 1800 neu angelegten Abschnitte der TA1848 sind für die Suche nach (prä-)histo-rischen Wegen nicht geeignet.

Die Sackgassen der SK1797, die später in das Wegenetz integriert wurden, können grundsätz-lich auch auf mittelalterliche Entstehung hinweisen. Durch die großen Umbrüche in der Ver-kehrswegeentwicklung nach 1810 lag der Schwerpunkt aber auf neuen Zielen und modernem Straßenbau ohne Berücksichtigung der traditionellen Linienführungen. Die Wahrscheinlichkeit des mindestens mittelalterlichen Ursprungs wird deshalb für die in der TA1848 abgegangenen Sackgassen höher eingeschätzt.

Die alleinige, weitere Betrachtung der abgegangenen Sackgassen muss aufgrund der gerin-gen Lauflänge von 18,4  km als problematisch angesehen werden. Zur weiteren Auswertung (Kap. 5.4.9) werden deshalb alle SK1797-Sackgassen verwendet. 5.4.8 Kriterium „Nutzung vormaliger Trassen“ (Wüstungen) Material und Methoden

Die zwischen 1797 und 1848 abgegangenen Straßen („Totale Wüstungen“) wurden aus dem all-gemeinen digitalisierten Datensatz des Wegenetzes der Karten SK1797 und TA1848 extrahiert (Kap. 5.3.2). Für die virtuelle Rekonstruktion abgegangener Abschnitte wurden die ausgewähl-

218

ten Knicke (Kap. 5.4.6) bzw. Sackgassen (Kap. 5.4.7) großzügig ab dem Ansatzpunkt interpoliert (Kap.  5.3.2). Für die Verlängerungen der Sackgassen wurden alle Abschnitte verwendet, die nicht an den Bodensee führen. Für die Ermittlung der „neuen Sackgassen“ wurden diejenigen normalen Abschnitte der SK1797 aus dem allgemeinen Datensatz bestimmt, die in der TA1848 als Sackgassen eingestuft werden. Ergebnisse – Totale Wüstungen

1080 Abschnitte (19,5 %) der SK1797 sind bis 1848 wüstgefallen. Mit 96,6 % stellen die Ortsstra-ßen die meisten Abschnitte. Immerhin wurden auch 17 Abschnitte (7,8 km) der Landstraßen aufgegeben. Ergebnisse – Verlängerungen Knicke

Im Vergleich mit der Ausgangslänge von 13,3 km (36 Abschnitte) konnten 98,8 km als Verlän-gerungen rekonstruiert werden. Ergebnisse – Verlängerungen Sackgassen

Im Vergleich mit der Ausgangslänge von 20,3 km (63 Abschnitte) konnten 57,6 km als Verlän-gerungen rekonstruiert werden. Ergebnisse – Neue Sackgassen

Im Vergleich mit der 50 Jahre jüngeren Karte TA1848 finden sich 130 Abschnitte der SK1797 (35,5 km), überwiegend Ortsstraßen als Sackgassen wieder (Tab. 25). Zum Vergleich: Komplett neue Sackgassen wurden in der TA1848 mit 667 Abschnitte und insgesamt 199,3 km angelegt. Diese spielen für die Suche nach älteren Abschnitten jedoch keine Rolle. Der größte Anteil ent-fällt auf Abschnitte, die im Wald oder Feld enden (Tab. 26).

219

Totale Wüstungen von Abschnitten der SK1797 verteilen sich über das gesamte Untersuchungs-gebiet. Häufig wurden steile Strecken (z. B. Abb. 48) oder Wege entlang von Feuchtgebieten auf-gegeben. Dies war bei vielen Abschnitten nur möglich, wenn eine neue Linienführung in der Nähe angelegt werden konnte.

Tab. 25: Neu entstandene Sackgassen in TA1848, aus normalen Abschnitten der SK1797.

Tab. 26: Landnutzungsklassen der neu entstandenen Sackgassen in TA1848. Die virtuellen Verlängerungen an Knicken umfassen teilweise Strecken von mehreren Hundert bis mehreren Tausend Metern. Der längste Abschnitt von 8 km zwischen Raithaslach (Gem. Stockach, Lk. Konstanz) und Liptingen (Lk. Tuttlingen) zeigt beispielsweise einerseits, wie die

220

Linienführung der SK1797-Landstraße vermutlich den steileren Anstieg über die „Homburg“ umgeht und durch die Rekonstruktion deutlich abkürzt wird. Andererseits verläuft die Verlän-gerung überwiegend auf vorhandenen, untergeordneten Wegen, sodass eine noch ältere Linien-führung angenommen werden kann (Abb. 49).

Auch die Verlängerungen an Sackgassen liefern indifferente Ergebnisse. Einerseits rekons-truieren sie beispielsweise Wege in unbewohnten Gebieten oder verbinden innerorts isolierte Abschnitte. Andererseits finden sich auch zahlreiche Beispiele, die die ursprüngliche Annahme von aufgegebenen Wegen eindrucksvoll bestätigen. Das Beispiel Hofgut Storzeln (Abb. 50) im-pliziert, dass erst durch die Rekonstruktion einige archäologische Fundstellen ihren räumlichen Zusammenhang erkennen lassen. Die Vorgehensweise der Rekonstruktion bietet neue Aspekte zu abgegangenen Wegen, muss allerdings noch als unsicher eingestuft werden (vgl. Kap. 5.2.3), da ein nachvollziehbarer, standardisierter Ablauf fehlt.

Abb. 48: Totale Wüstung der SK1797 am Beispiel „Mainauwald“ (Gem. Konstanz, Lk. Konstanz). Die Linienführung der SK1797-Landstraße (links) durch das Waldgebiet wurde bis 1848 großzügig verlegt (rechts). Heute verläuft die L219 auf der älteren SK1797-Trasse, die Chaussee des 19. Jahrhunderts am Seeufer entlang wurde aufgrund des Naturschutzgebietes „Nördliches Mainauried“ zurückgebaut. Orange: Landstraßen, gelb: Ortsverbindungswege, gestrichelt:

Fußwege, blau: punkt- bzw. flächenhafte archäologische Fundstellen.

221

Abb. 49: Wegerekonstruktion an Knicken im Verlauf der SK1797-Landstraßen. Längstes

Rekonstruktionsbeispiel zwischen Raithaslach (Gem. Stockach, Lk. Konstanz) und Liptingen

(Lk. Tuttlingen). Rot: Rekonstruktion an Knick südlich von Liptingen, orange: Landstraßen, gelb: Ortsverbindungswege, gestrichelt: Fußwege.

222

Abb. 50: Wegerekonstruktion an Sackgassen der SK1797-Ortsstraßen, am Beispiel Zufahrt Hofgut

Storzeln (Gem. Hilzingen, Lk. Konstanz, blaue Linie). Rot: Rekonstruktion, gelb: Ortsverbindungswege, blau: punkt- bzw. flächenhafte archäologische Fundstellen, rosa: Grenze Untersuchungsgebiet.

Abb. 51: Neu entstandene Sackgassen in der TA1848. Beispiel südlich von Hattingen (Lk.

Tuttlingen). Orange: Landstraßen, gelb: Ortsverbindungswege, gestrichelt: Fußwege. blau: punkt- bzw. flächenhafte archäologische Fundstellen, rosa: Gebietsgrenze.

223

Neu entstandene Sackgassen beschränken sich überwiegend auf Ortsstraßen. Dies war zu er-warten, da diese die Mehrheit aller Wege stellen, Landstraßen eher komplett abgehen und Fuß-wege in zu geringer Anzahl vorhanden sind. Als Ursachen können Wegeverkürzungen aufgrund einer expliziten Umorientierung des Wegenetzes z. B. an der Schweizer Grenze, vor allem aber die Aufgabe ehemals steiler Strecken z. B. auf Burghügel oder an den Hängen der Hegaualb be-obachtet werden (Abb. 51). 5.4.9 Kombinationen von Kriterien Material und Methoden

In einem zweiten Analyseschritt wurden die ausgewählten Knicke/Sackgassen und die unter-suchten aufgegebenen Abschnitte mit den naturräumlichen Kriterien „Trockener Boden“, „Hangneigung“, „Hangposition“, „Exposition“ und den Ausschlusskriterien verschnitten. In der Auswertung werden die Ergebnisse mit dem Mittelwert des Hegaus und dem jeweiligen Ver-gleichswert dargestellt. Ergebnisse – Totale Wüstungen

Im Vergleich mit der SK1797 sind mehr Ortstraßen und Fußwege auf „neutralem Boden“ (43,8 bzw. 47,0 statt 37,3 bzw. 19,7 %) und weniger Landstraßen in Siedlungsgebieten abgegangen (Abb. 52). Die wüst gefallenen Fußwege liegen nicht in Bereichen mit Erosionsgefährdung (38,8 statt 70,5 %). Drastisch ist der Verlust an Landstraßen auf „gut geeigneten“ Böden mit 44,8 % der Gesamtfläche gegenüber 12,0 % in der SK1797. Aufgrund der geringen Gesamtstichproben-anzahl betrifft dies allerdings nur 7 Abschnitte, der längste mit 1,9 km befindet sich östlich von Singen.

Die Exposition nach Nord-Ost ist für die Landstraßen und vor allem für Fußwege deutlich erhöht (45,9 bzw. 73,1 statt 32,5 % bzw. 39,0 %). Im Süden wurden die wenigsten Abschnitte aufgegeben (Abb. 56). Die Fußwege in Hangneigungen >25 % wurden ebenfalls im Vergleich mit der SK1797 vermehrt aus der Nutzung genommen (34,0 statt 18,1 %). Landstraßen gingen überwiegend im Unterhang/Tallagen verloren (82,0 statt 65,1 %, Abb. 53). Die Ergebnisse aller weiteren Untersuchungen zeigen keine besonderen Auffälligkeiten.

224

05101520253035404550

MooreHangschuttgut geeignetfeuchter Boden Feuchtgebiete

Hegau Prozentanteil Fläche [%

]

LandstraßenOrtsstraßenFußwege

Abb. 52: Auswertung „Totale Wüstungen“: rezente Bodeneinheiten für die Ausschlusskriterien

„Überlieferung“ bzw. „Auffindungssituation“ (oben) und die Kriterien „trockener Untergrund“ und „Vermeiden von Feuchtgebieten“ (unten). Vergleich der Wegekategorien mit den Mittelwerten des Hegaus.

225

0102030405060708090

UnterhangMittelhangOberhangHöhe

Hegau Prozentanteil Fläche [%

]

LandstraßenOrtsstraßenFußwege

01020304050607080

N - OSüdW - N

Hegau Prozentanteil Fläche [%

]

LandstraßenOrtsstraßenFußwege

Abb. 53: Auswertung „Totale Wüstungen“: Kriterien „Halbe Hanghöhe“ (oben) und „Exposition“

(unten). Vergleich der Wegekategorien mit den Mittelwerten des Hegaus.

226

0102030405060708090

<15 %15 - 25 %>25 %

Hegau Prozentanteil Fläche [%

]

LandstraßenOrtsstraßenFußwege

Abb. 54: Auswertung „Totale Wüstungen“: Kriterium „Hangneigung“. Vergleich der

Wegekategorien mit den Mittelwerten des Hegaus. Ergebnisse – Knicke Die Knicke der SK1797-Landstraßen weisen mit 41,2 % einen überraschend deutlich höheren Bezug zu neutralen Böden gegenüber der Gesamtheit aller Landstraßen (28,9 %) auf. Die unter-suchten Abschnitte sind nur wenig mehr durch Erosion beeinflusst als die Referenzwerte (13,5 statt 7,1 %). Unterschiede zur Gesamtheit aller Landstraßen ergeben sich aus den Wegkriterien: Knicke sind weniger auf „gut geeigneten“ und „feuchten“ Böden sowie in Feuchtgebieten vor-handen. Allerdings ist nur die erstgenannte Differenz mit 3,2 statt 12,0 % deutlich. Die Exposi-tion nach Nord-Ost ist für die Knicke deutlich erhöht (45,7 statt 32,5 %). Auch die Hanglage unterscheidet sich deutlich von der Gesamtheit: 54,5 statt 65,1 % liegen in Tallagen. Ergebnisse – Verlängerungen Knicke Die rekonstruierten Abschnitte sind deutlich weniger durch Siedlungen überprägt als die Ge-samtheit der SK1797-Landstraßen (22,5 statt 31,7 %), aber durch eine leicht erhöhte Erosions -

227

HegauSK1797-LandstraßenKnickeRekonstruktionen

Abb. 55: Auswertung Knicke und ihre Verlängerungen: rezente Bodeneinheiten für die

Ausschlusskriterien „Überlieferung“ bzw. „Auffindungssituation“ (oben) und die Kriterien

„trockener Untergrund“ und „Vermeiden von Feuchtgebieten“ (unten). Vergleich mit den SK1797-

Landstraßen und Mittelwerten des Hegaus.

228

010203040506070

UnterhangMittelhangOberhangHöhe Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-LandstraßenKnickeRekonstruktionen05101520253035404550

N - OSüdW - N Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-LandstraßenKnickeRekonstruktionen

Abb. 56: Auswertung Knicke und ihre Verlängerungen: Kriterien „Halbe Hanghöhe“ (oben) und

„Exposition“ (unten). Vergleich mit den SK1797-Landstraßen und Mittelwerten des Hegaus.

229

0102030405060708090

<15 %15 - 25 %>25 % Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-LandstraßenKnickeRekonstruktionen

Abb. 57: Auswertung Knicke und ihre Verlängerungen: Kriterium „Hangneigung“. Vergleich mit den SK1797-Landstraßen und Mittelwerten des Hegaus. gefährdung (11,5 statt 7,1 %) charakterisiert (Abb. 55). Sie verlaufen eher auf „gut geeigneten“ Böden und liegen gegenüber der Vergleichsgruppe aber auch noch in Feuchtgebieten und Mooren vor. Die rekonstruierten Abschnitte sind weniger nach Nord-Ost orientiert (26,7 statt 32,5 %), lie-gen bevorzugt in Tallagen (65,4 %) und besitzen eine Neigung von <15 % (88,9 %, Abb. 57). Ergebnisse – Sackgassen Die untersuchten Sackgassen sind weniger durch Siedlungen überprägt als die Gesamtheit der SK1797-Ortstraßen (10,2 % statt 15,9 %). Dies war zu erwarten, da sich Sackgassen deutlich außerhalb von Ortschaften befinden. Die Parameter „anthropogen überprägt“ und „neutraler Boden“ liegen im Mittel (Abb. 58). Die untersuchten Abschnitte sind nur wenig mehr durch Erosion beeinflusst als die Referenzwerte (18,8 statt 13,7 %). Sie umfassen überwiegend „gut geeignete“ und „feuchte Böden“, allerdings nur mit geringen absoluten Werten (11,6 bzw. 9,3 %).

Die ausgewählten Sackgassen weisen für Exposition, Hangneigung und Hangposition ähn-liche Werte wie die Gesamtheit der SK1797-Ortstraßen bzw. des Hegaus aus (Abb. 60).

230

051015202530354045 Pr oze nt an te il Fl äc he

[%]

HegauSK1797-OrtsstraßenSackgassenRekonstruktionen

Abb. 58: Auswertung Sackgassen und ihre Verlängerungen: rezente Bodeneinheiten für die

Ausschlusskriterien „Überlieferung“ bzw. „Auffindungssituation“ (oben) und die Kriterien

„trockener Untergrund“ und „Vermeiden von Feuchtgebieten“ (unten). Vergleich mit den SK1797-

Ortsstraßen und Mittelwerten des Hegaus.

231

010203040506070

UnterhangMittelhangOberhangHöhe Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-OrtsstraßenSackgassenRekonstruktionen05101520253035404550

N - OSüdW - N Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-OrtsstraßenSackgassenRekonstruktionen

Abb. 59: Auswertung Sackgassen und ihre Verlängerungen: Kriterien „Halbe Hanghöhe“ (oben) und „Exposition“ (unten). Vergleich mit den SK1797-Ortsstraßen und Mittelwerten des Hegaus.

232

0102030405060708090

<15 %15 - 25 %>25 % Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-OrtsstraßenSackgassenRekonstruktionen

Abb. 60: Auswertung Sackgassen und ihre Verlängerungen: Kriterium „Hangneigung“. Vergleich mit den SK1797-Ortsstraßen und Mittelwerten des Hegaus. Die rekonstruierten Abschnitte aus Sackgassen liegen eher nicht in „gut geeigneten“ und „feuchten Bö-den“, sondern im Verhältnis zu den Ausgangswegen mit 9,9 statt 2,5 % mehr in „Feuchtgebieten“ und „Mooren“. Die Ergebnisse aller weiteren Untersuchungen zeigen keine besonderen Auffälligkeiten. Ergebnisse – Neue Sackgassen Die ermittelten Sackgassen sind mehr durch Siedlungen überprägt als die Gesamtheit der SK1797-Ortstraßen (20,1  % statt 15,9  %), laufen weniger auf neutralen Böden (29,7  % statt 37,3 %) aber mehr auf „gut geeigneten“ Böden (9,9 % statt 7,8 %, Abb. 61). Dies könnte auf eine Reduktion der Streckenlänge in der Nähe von Siedlungen hinweisen. Die Abschnitte der neu-en Sackgassen sind durch eine leicht höhere Erosionsgefährdung (17,9 %) charakterisiert und liegen deutlich mehr im Tal als die Vergleichsgruppe (61,4 % statt 54,8 %). Interessant ist die erhöhte Exposition nach Süden (37,5 % statt 33,3 % im Hegau, Abb. 62).

233

024681012

MooreHangschuttgut geeignetfeuchter Boden Feuchtgebiete Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-OrtsstraßenNeue Sackgassen

Abb. 61: Auswertung Neue Sackgassen: rezente Bodeneinheiten für die Ausschlusskriterien

„Überlieferung“ bzw. „Auffindungssituation“ (oben) und die Kriterien „trockener Untergrund“ und „Vermeiden von Feuchtgebieten“ (unten). Vergleich mit den SK1797-Ortsstraßen und

Mittelwerten des Hegaus.

234

010203040506070

UnterhangMittelhangOberhangHöhe Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-OrtsstraßenNeue Sackgassen051015202530354045

N - OSüdW - N Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-OrtsstraßenNeue Sackgassen

Abb. 62: Auswertung Neue Sackgassen: Kriterien „Halbe Hanghöhe“ (oben) und „Exposition“

(unten). Vergleich mit den SK1797-Ortsstraßen und Mittelwerten des Hegaus.

235

0102030405060708090

<15 %15 - 25 %>25 % Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-OrtsstraßenNeue Sackgassen

Abb. 63: Auswertung Neue Sackgassen: Kriterium „Hangneigung“. Vergleich mit den SK1797-

Ortsstraßen und Mittelwerten des Hegaus. Diskussion Auch die naturräumlichen Untersuchungen der Knicke erhärten die Annahme, dass die geringe Lauflänge zu Problemen der Interpretation führt. Als Bestandteil der Gesamtmenge an SK1797-Wegen wären ähnliche Ergebnisse zu erwarten. Ob die Unterschiede in den bodenkundlichen Einheiten, der Lage im Hang oder die Exposition Hinweise auf wirkliche Differenzen darstellen, kann nicht abschließend geklärt werden.

Die Sackgassen der SK1797 bieten grundsätzlich ein ähnliches Bild wie die Gesamtheit der Ortsstraßen. Der im Vergleich erhöhte Anteil an „feuchten Böden“ könnte auf den Zugang zu noch feuchteren Landschaftselementen (See, Ried) hinweisen, ebenso wie Bereiche mit starker Erosion auf Wegziele im Berg (z. B. Einzelhöfe, Waldgebiete) deuten.

Wichtiges Ziel der vorliegenden Untersuchung ist die Suche nach Wüstungen von Wegeab-schnitten vor und von der SK1797. Strecken, die bereits vor der Schmitt’schen Karte abgingen (Verlängerungen Knicke und Sackgassen) liegen im Vergleich mit den jeweiligen Vergleichs-kategorien eher in feuchten Bodeneinheiten. Alle anderen Kriterien liefern allerdings keine

236

signifikanten Unterschiede. Aufgelassene Abschnitte der SK1797 (neue Sackgasse, totale Wüs-tungen) finden sich bevorzugt auf „gut geeigneten“ oder „neutralen“ Böden in Tallagen, Fuß-wege teilweise in steileren Hängen und in N-O-Orientierung.

45Hegau Pr oze nt an te il Fl äc he [%] nt an te il Fl äc he [%] te il Fl äc he [%] LandstraßenOrtsstraßenFußwege 0 5 10 15 20 25 30 35 40 5 10 15 20 25 30 35 40 10 15 20 25 30 35 40 15 20 25 30 35 40 20 25 30 35 40 25 30 35 40 30 35 40 35 40 40

45Hegau Pr oze nt an te il Fl äc he [%] nt an te il Fl äc he [%] LandstraßenOrtsstraßenFußwege

(beide Gem. Hilzingen, Lk. Konstanz) entlang des Nordhangs des Hohenstoffeln. Hangposition: Unterhang (dunkelgrün), Mittelhang (hellgrün), Oberhang (gelb), Scheitelbereich (rot). Diskussion

Die Annahme, dass historische Wege vor allem im Mittelhang verlaufen, konnte mit der einge-setzten Vorgehensweise nicht bestätigt werden. Änderungen der Linienführung weg von mittel-alterlichen Höhenwegen hin zu modernen Talwegen über die Ausprägung „Mittelhang“ kön-nen jedoch bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt erfolgt sein, sodass selbst das Wegenetz der SK1797 den modernen Zustand darstellt. Eine gezielte Auswahl von Tallagen für Landstraßen ist aufgrund der großen Menge an schweren Gespannen der Neuzeit nachvollziehbar. Die An-stiege der Überlandwege wurden möglichst kurz gehalten.

Theoretisch bilden die SK1797-Fußwege in etwa die Erwartungen ab (Abb. 41). Diese wur-den bis 1848 wahrscheinlich modernisiert, d. h. ebenfalls in den Unterhang verlegt. Allerdings müssen alle Ergebnisse dieser Fußwege aufgrund der geringen Stichprobengröße als unsicher eingestuft werden.

208

Für die Untersuchung der Exposition wurden folgende Werteklassen definiert: 0–135 ° (N bis O), 135–225 ° (Süd) und 225–360 ° (W bis N). Die eigens berechneten Vektordaten (Kap. 5.2.5) wurden mit den „Wegflächen“ verschnitten. Für eine Einschätzung, ob die Bereiche der Exposi-tion signifikante Ergebnisse liefern, wurde die Verschneidung auch mit dem gesamten Untersu-chungsgebiet bzw. Einzelauswertungen nach den jeweiligen Karten und Wegkategorien durch-geführt. Die Ergebnisse des Hegaus werden dabei als Mittelwert angesehen. Die ermittelten Prozentanteile beziehen sich auf die jeweilige Gesamtfläche. Ergebnisse

Der Hegau umfasst alle drei Expositionen mit zwischen 31,3 und 35,4 %, was vermutlich unge-fähr die natürliche Streubreite definiert. Die ermittelten Expositionen der Wege aus beiden Kar-tenwerken inklusive der Aufteilung in Wegekategorien zeigen grundsätzlich keine signifikanten Unterschiede (Abb. 42). Die TA1848-Landstraßen sind jedoch leicht weniger auf N-O-Hängen zu finden als der Durchschnitt (29,1 statt 35,4 %). Interessant ist die Nicht-Bevorzugung der südlichen Ausrichtung der SK1797-Fußwege: Mit 25 % liegt der Prozentanteil deutlich unter-halb der Land- und Ortsstraßen mit jeweils 36 %.

209

05101520253035404550

N - OSüdW - N

Hegau Prozentanteil Fläche [%

]

LandstraßenOrtsstraßenFußwege05101520253035404550

N - OSüdW - N

Hegau Prozentanteil Fläche [%

]

LandstraßenOrtsstraßenFußwege

Abb. 42: Auswertung Kriterium „Exposition“. Vergleich der Wegekategorien SK1797 (oben) und

TA1848 (unten) mit den Mittelwerten des Hegaus.

210

Abb. 43: Beispiel Exposition: SK1797-Fußweg zwischen Binningen und Weiterdingen (beide

Gem. Hilzingen, Lk. Konstanz) entlang des Nordhangs des Hohenstoffeln. Expositionen: Nord

(blau), Ost (grün), Süd (rot), West (gelb). Wege: orange: Landstraßen, gelb: Ortsverbindungswege, gestrichelt: Fußwege. Diskussion

Entgegen der Annahme, dass historische Wege zu einer Exposition nach Süden tendieren, muss das Kriterium der durchgeführten Analyse zufolge als indifferent angesehen werden (Abb. 43). Vielleicht sind die klimatischen Bedingungen des Hegaus generell zu „gut“ und es war nicht notwendig, klimatische begünstigte Südhänge konsequent zu bevorzugen. 5.4.5 Kriterium „Hangneigung bis 25 %“ Material und Methoden

Für die Untersuchung der Hangneigung wurden folgende Werteklassen definiert: <15 %, 15–25 %, >25 %. Die eigens berechneten Vektordaten (Kap. 5.2.5) wurden mit den „Wegflächen“

211

verschnitten. Für eine Einschätzung, ob die Werte der Hangneigung signifikante Ergebnisse liefern, wurde die Verschneidung auch mit dem gesamten Untersuchungsgebiet bzw. Einzelaus-wertungen nach den jeweiligen Karten und Wegekategorien durchgeführt. Die Ergebnisse des Hegaus werden dabei als Mittelwert angesehen. Die ermittelten Prozentanteile beziehen sich auf die jeweilige Gesamtfläche. Ergebnisse

Das Untersuchungsgebiet ist zum großen Teil durch Hangneigungen <15  % charakterisiert (74,7 % des Gesamtfläche). Diese umfassen die Tallagen der Fließgewässer und Hochlagen des nördlichen und westlichen Hegaus. Höhere Neigungen sind mit 13,4 % (15–25 %) bzw. 11,9 % (>25 %) deutlich weniger vorhanden.

Alle Land- und Ortsstraßen liegen erwartungsgemäß überwiegend in den flachen Berei-chen und mit 84,3 %/77,6 % (SK1797) bzw. 83,5 %/77,6 % (TA1848) über den Mittelwerten (Abb. 44). In den steileren Lagen kommen beide Wegekategorien allerdings auch in nachweis-barer Menge vor.

Hier sind die Landstraßen eher geringer als der Durchschnitt, die Ortsstraßen streuen ungefähr um den Mittelwert des Untersuchungsgebietes. Interessant sind die SK1797-Fuß-wege, die mit 22,6 % bzw. 18,1 % in den steilen Neigungen deutlich über dem Durchschnitt liegen. Diskussion

In dieser ersten Analyse wurden die Angaben zu Neigungen aus offiziellen Schriftquellen des 18. Jahrhunderts von ca. 2–6 % je nach Bedeutung der Fahrwege nicht berücksichtigt.

Die üblicherweise in der Literatur angegebenen Grenzen von 15  % (Fahrzeuge) und bis 25  % (Fußwege) konnten nicht exakt nachgewiesen werden. Immerhin liegen 15,7  % (SK1797) und 16,5 % (TA1848) der Landstraßen über 15 % Hangneigung und zudem auch in Bereichen >25 %, die eigentlich nicht für Fahrzeuge geeignet sind (Abb. 45). Leider müs-sen auch hier die Ergebnisse der SK1797-Fußwege aufgrund der geringen Lauflänge kritisch gesehen werden.

212

0102030405060708090

<15 %15 - 25 %>25 %

Hegau Prozentanteil Fläche [%

]

LandstraßenOrtsstraßenFußwege

0102030405060708090

<15 %15 - 25 %>25 %

Hegau Prozentanteil Fläche [%

]

LandstraßenOrtsstraßenFußwege

Abb. 44: Auswertung Kriterium „Hangneigung“. Vergleich der Wegekategorien SK1797 (oben) und TA1848 (unten) mit den Mittelwerten des Hegaus.

213

Abb. 45: Beispiel Hangneigung: SK1797-Landstraße nördlich der Talmühle (Biesendorf, Gem.

Engen) entlang der steilen Hangkanten der Hegaualb. Hangneigung im Farbverlauf von flach (grün) nach steil (lila). Wege: orange: Landstraße, gelb: Ortsverbindungswege. 5.4.6 Kriterium „Geradliniger Verlauf“ („Knicke“) Material und Methoden

Die Landstraßen der SK1797 wurden visuell auf Knicke untersucht und 36 deutliche Abzwei-gungen beispielhaft ausgewählt (Abb. 46). Ergebnisse

Im Verhältnis zu allen SK1797-Landstraßen mit 285 Abschnitten und 175,3 km besitzt die Teil-menge der Knicke nur 36 Abschnitte mit 13,3 km (7,6 %).

214

Abb. 46: Abweichungen von Kriterium „Geradliniger Verlauf“: Beispiele von Knicken im Verlauf der SK1797-Landstraßen westlich und östlich von Radolfzell im Verhältnis zu archäologischen

Fundstellen. Orange: Landstraßen, gelb: Ortsverbindungswege, blau: punkt- bzw. flächenhafte archäologische Fundstellen. Diskussion

Die Auswahl der Knicke erfolgte nach pragmatischen Gesichtspunkten, d. h. eine Berechnung des Winkels des abbiegenden Weges und nachfolgende spezifische Auswahlkriterien wurden nicht durchgeführt. Für eine grobe Abschätzung des Kriteriums „Knicke“ wird die Vorgehens-weise als ausreichend angesehen.

Die Identifizierung von Knicken im Verlauf der Landstraßen könnte bereits allein als Kri-terium dienen (s. Kap. 5.2.2). Leider müssen weitere Untersuchungen aufgrund der geringen Lauflänge als problematisch angesehen werden. Ursächlich ist dies auf die Erfassungsmethode „least common geometry“ (s. Kap. 5.3.2) zurückzuführen. Die Ergebnisse wurden trotzdem zur weiteren Beurteilung der darauf beruhenden Rekonstruktionen verwendet.

215

In einem ersten Schritt wurden die Sackgassen im Rahmen der allgemeinen Erfassung des We-genetzes aus den Karten SK1797 und TA1848 (s. Kap. 5.3.2) digitalisiert. Die Wegziele waren in beiden Kartenwerken nachvollziehbar, eindeutig erkennbar und wurden mithilfe von 14 Nut-zungsklassen und vier Kategorien als eigene Attribute erfasst (Tab. 24).

Tab. 24: Nutzungsklassen der Sackgassen

Als Entscheidungsgrundlage für die weitere Bearbeitung wurden die Sackgassen aus den einzel-nen Karten in einem zweiten Schritt miteinander verglichen. Dabei stand die zeitliche Reihen-folge von An- und Abwesenheit im Vordergrund.

216

Wie erwartet bilden die Sackgassen mit 69,7 km (4 % der SK17971-Wege) bzw. 249,1 km (8,6 % der TA1848-Wege) nur einen kleinen Anteil am gesamten Wegenetz. Die überwiegende Anzahl endet im Wald (SK1797: 41,6 %, TA1848: 42,6 %).

SK1797 zeigt daneben mit 31,9 % einen hohen Anteil an Einzelgebäuden wie Burg, Mühle oder Einzelhof (Abb. 47). Deren Lage wurde wohl bei der Kartenerstellung im Gegensatz zu den nicht vorkommenden Rohstoffabbauflächen als mögliche Depots oder Verstecke und damit als kriegswichtig erachtet. Fast alle betroffenen Abschnitte gehören zu den Ortsverbindungsstraßen (98,8 % der Sackgassen-Länge).

Landwirtschaftliche Flächen sind das zweiwichtigste Ziel in der TA1848 (12,9 %), dicht gefolgt von Einzelgebäuden (11,4 %) und Riedgebiete (10,6 %). Generell bietet diese Karte eine höhere Vielfalt an Zieltypen. Die meisten Abschnitte gehören auch hier zu den Ortsverbindungsstraßen (88,7 % der Sackgassen-Länge).

Abb. 47: Abweichungen von Kriterium „Ziele“: Beispiele von Sackgassen der SK1797 rund um Hausen an der Aach (Gem. Singen) im Verhältnis zu archäologischen Fundstellen. Gelb:

Ortsverbindungswege, blau: punkt- bzw. flächenhafte archäologische Fundstellen.

217

Im Vergleich mit der 50 Jahre jüngeren Karte TA1848 finden sich 73,6 % der Weglängen der SK1797-Sackgassen wieder (51,3 km). Davon wurde der überwiegende Teil von 36,9 km in das Wegenetz TA1848 integriert, d. h. die ehemaligen Ziele der Sackgassen wurden zu normalen mehrarmigen Knoten. Das generelle Ziel blieb also konstant. Im Gegensatz dazu sind 26,4 % der SK1797-Sackgassen abgegangen, das ursprüngliche Ziel also wüst gefallen:

• In TA1848 vorhanden: 202 Abschnitte/51,3 km

• Nicht in TA1848 vorhanden : 75 Abschnitte/18,4 km Diskussion

Naturgemäß endeten einige Sackgassen im Untersuchungsgebiet am Bodensee oder an anderen natürlichen Seen. Für die vorliegende Studie werden diese nicht weiter berücksichtigt, könnten aber bei weiteren Untersuchungen zu Wasserwegen oder Umschlagsplätzen eingesetzt werden. Auch die nach 1800 neu angelegten Abschnitte der TA1848 sind für die Suche nach (prä-)histo-rischen Wegen nicht geeignet.

Die Sackgassen der SK1797, die später in das Wegenetz integriert wurden, können grundsätz-lich auch auf mittelalterliche Entstehung hinweisen. Durch die großen Umbrüche in der Ver-kehrswegeentwicklung nach 1810 lag der Schwerpunkt aber auf neuen Zielen und modernem Straßenbau ohne Berücksichtigung der traditionellen Linienführungen. Die Wahrscheinlichkeit des mindestens mittelalterlichen Ursprungs wird deshalb für die in der TA1848 abgegangenen Sackgassen höher eingeschätzt.

Die alleinige, weitere Betrachtung der abgegangenen Sackgassen muss aufgrund der gerin-gen Lauflänge von 18,4  km als problematisch angesehen werden. Zur weiteren Auswertung (Kap. 5.4.9) werden deshalb alle SK1797-Sackgassen verwendet. 5.4.8 Kriterium „Nutzung vormaliger Trassen“ (Wüstungen) Material und Methoden

Die zwischen 1797 und 1848 abgegangenen Straßen („Totale Wüstungen“) wurden aus dem all-gemeinen digitalisierten Datensatz des Wegenetzes der Karten SK1797 und TA1848 extrahiert (Kap. 5.3.2). Für die virtuelle Rekonstruktion abgegangener Abschnitte wurden die ausgewähl-

218

ten Knicke (Kap. 5.4.6) bzw. Sackgassen (Kap. 5.4.7) großzügig ab dem Ansatzpunkt interpoliert (Kap.  5.3.2). Für die Verlängerungen der Sackgassen wurden alle Abschnitte verwendet, die nicht an den Bodensee führen. Für die Ermittlung der „neuen Sackgassen“ wurden diejenigen normalen Abschnitte der SK1797 aus dem allgemeinen Datensatz bestimmt, die in der TA1848 als Sackgassen eingestuft werden. Ergebnisse – Totale Wüstungen

1080 Abschnitte (19,5 %) der SK1797 sind bis 1848 wüstgefallen. Mit 96,6 % stellen die Ortsstra-ßen die meisten Abschnitte. Immerhin wurden auch 17 Abschnitte (7,8 km) der Landstraßen aufgegeben. Ergebnisse – Verlängerungen Knicke

Im Vergleich mit der Ausgangslänge von 13,3 km (36 Abschnitte) konnten 98,8 km als Verlän-gerungen rekonstruiert werden. Ergebnisse – Verlängerungen Sackgassen

Im Vergleich mit der Ausgangslänge von 20,3 km (63 Abschnitte) konnten 57,6 km als Verlän-gerungen rekonstruiert werden. Ergebnisse – Neue Sackgassen

Im Vergleich mit der 50 Jahre jüngeren Karte TA1848 finden sich 130 Abschnitte der SK1797 (35,5 km), überwiegend Ortsstraßen als Sackgassen wieder (Tab. 25). Zum Vergleich: Komplett neue Sackgassen wurden in der TA1848 mit 667 Abschnitte und insgesamt 199,3 km angelegt. Diese spielen für die Suche nach älteren Abschnitten jedoch keine Rolle. Der größte Anteil ent-fällt auf Abschnitte, die im Wald oder Feld enden (Tab. 26).

219

Totale Wüstungen von Abschnitten der SK1797 verteilen sich über das gesamte Untersuchungs-gebiet. Häufig wurden steile Strecken (z. B. Abb. 48) oder Wege entlang von Feuchtgebieten auf-gegeben. Dies war bei vielen Abschnitten nur möglich, wenn eine neue Linienführung in der Nähe angelegt werden konnte.

Tab. 25: Neu entstandene Sackgassen in TA1848, aus normalen Abschnitten der SK1797.

Tab. 26: Landnutzungsklassen der neu entstandenen Sackgassen in TA1848. Die virtuellen Verlängerungen an Knicken umfassen teilweise Strecken von mehreren Hundert bis mehreren Tausend Metern. Der längste Abschnitt von 8 km zwischen Raithaslach (Gem. Stockach, Lk. Konstanz) und Liptingen (Lk. Tuttlingen) zeigt beispielsweise einerseits, wie die

220

Linienführung der SK1797-Landstraße vermutlich den steileren Anstieg über die „Homburg“ umgeht und durch die Rekonstruktion deutlich abkürzt wird. Andererseits verläuft die Verlän-gerung überwiegend auf vorhandenen, untergeordneten Wegen, sodass eine noch ältere Linien-führung angenommen werden kann (Abb. 49).

Auch die Verlängerungen an Sackgassen liefern indifferente Ergebnisse. Einerseits rekons-truieren sie beispielsweise Wege in unbewohnten Gebieten oder verbinden innerorts isolierte Abschnitte. Andererseits finden sich auch zahlreiche Beispiele, die die ursprüngliche Annahme von aufgegebenen Wegen eindrucksvoll bestätigen. Das Beispiel Hofgut Storzeln (Abb. 50) im-pliziert, dass erst durch die Rekonstruktion einige archäologische Fundstellen ihren räumlichen Zusammenhang erkennen lassen. Die Vorgehensweise der Rekonstruktion bietet neue Aspekte zu abgegangenen Wegen, muss allerdings noch als unsicher eingestuft werden (vgl. Kap. 5.2.3), da ein nachvollziehbarer, standardisierter Ablauf fehlt.

Abb. 48: Totale Wüstung der SK1797 am Beispiel „Mainauwald“ (Gem. Konstanz, Lk. Konstanz). Die Linienführung der SK1797-Landstraße (links) durch das Waldgebiet wurde bis 1848 großzügig verlegt (rechts). Heute verläuft die L219 auf der älteren SK1797-Trasse, die Chaussee des 19. Jahrhunderts am Seeufer entlang wurde aufgrund des Naturschutzgebietes „Nördliches Mainauried“ zurückgebaut. Orange: Landstraßen, gelb: Ortsverbindungswege, gestrichelt:

Fußwege, blau: punkt- bzw. flächenhafte archäologische Fundstellen.

221

Abb. 49: Wegerekonstruktion an Knicken im Verlauf der SK1797-Landstraßen. Längstes

Rekonstruktionsbeispiel zwischen Raithaslach (Gem. Stockach, Lk. Konstanz) und Liptingen

(Lk. Tuttlingen). Rot: Rekonstruktion an Knick südlich von Liptingen, orange: Landstraßen, gelb: Ortsverbindungswege, gestrichelt: Fußwege.

222

Abb. 50: Wegerekonstruktion an Sackgassen der SK1797-Ortsstraßen, am Beispiel Zufahrt Hofgut

Storzeln (Gem. Hilzingen, Lk. Konstanz, blaue Linie). Rot: Rekonstruktion, gelb: Ortsverbindungswege, blau: punkt- bzw. flächenhafte archäologische Fundstellen, rosa: Grenze Untersuchungsgebiet.

Abb. 51: Neu entstandene Sackgassen in der TA1848. Beispiel südlich von Hattingen (Lk.

Tuttlingen). Orange: Landstraßen, gelb: Ortsverbindungswege, gestrichelt: Fußwege. blau: punkt- bzw. flächenhafte archäologische Fundstellen, rosa: Gebietsgrenze.

223

Neu entstandene Sackgassen beschränken sich überwiegend auf Ortsstraßen. Dies war zu er-warten, da diese die Mehrheit aller Wege stellen, Landstraßen eher komplett abgehen und Fuß-wege in zu geringer Anzahl vorhanden sind. Als Ursachen können Wegeverkürzungen aufgrund einer expliziten Umorientierung des Wegenetzes z. B. an der Schweizer Grenze, vor allem aber die Aufgabe ehemals steiler Strecken z. B. auf Burghügel oder an den Hängen der Hegaualb be-obachtet werden (Abb. 51). 5.4.9 Kombinationen von Kriterien Material und Methoden

In einem zweiten Analyseschritt wurden die ausgewählten Knicke/Sackgassen und die unter-suchten aufgegebenen Abschnitte mit den naturräumlichen Kriterien „Trockener Boden“, „Hangneigung“, „Hangposition“, „Exposition“ und den Ausschlusskriterien verschnitten. In der Auswertung werden die Ergebnisse mit dem Mittelwert des Hegaus und dem jeweiligen Ver-gleichswert dargestellt. Ergebnisse – Totale Wüstungen

Im Vergleich mit der SK1797 sind mehr Ortstraßen und Fußwege auf „neutralem Boden“ (43,8 bzw. 47,0 statt 37,3 bzw. 19,7 %) und weniger Landstraßen in Siedlungsgebieten abgegangen (Abb. 52). Die wüst gefallenen Fußwege liegen nicht in Bereichen mit Erosionsgefährdung (38,8 statt 70,5 %). Drastisch ist der Verlust an Landstraßen auf „gut geeigneten“ Böden mit 44,8 % der Gesamtfläche gegenüber 12,0 % in der SK1797. Aufgrund der geringen Gesamtstichproben-anzahl betrifft dies allerdings nur 7 Abschnitte, der längste mit 1,9 km befindet sich östlich von Singen.

Die Exposition nach Nord-Ost ist für die Landstraßen und vor allem für Fußwege deutlich erhöht (45,9 bzw. 73,1 statt 32,5 % bzw. 39,0 %). Im Süden wurden die wenigsten Abschnitte aufgegeben (Abb. 56). Die Fußwege in Hangneigungen >25 % wurden ebenfalls im Vergleich mit der SK1797 vermehrt aus der Nutzung genommen (34,0 statt 18,1 %). Landstraßen gingen überwiegend im Unterhang/Tallagen verloren (82,0 statt 65,1 %, Abb. 53). Die Ergebnisse aller weiteren Untersuchungen zeigen keine besonderen Auffälligkeiten.

224

60Hegau Pr oze nt an te il Fl äc he [%] nt an te il Fl äc he [%] LandstraßenOrtsstraßenFußwege

05101520253035404550

MooreHangschuttgut geeignetfeuchter Boden Feuchtgebiete

Hegau Prozentanteil Fläche [%

]

LandstraßenOrtsstraßenFußwege

Abb. 52: Auswertung „Totale Wüstungen“: rezente Bodeneinheiten für die Ausschlusskriterien

„Überlieferung“ bzw. „Auffindungssituation“ (oben) und die Kriterien „trockener Untergrund“ und „Vermeiden von Feuchtgebieten“ (unten). Vergleich der Wegekategorien mit den Mittelwerten des Hegaus.

225

0102030405060708090

UnterhangMittelhangOberhangHöhe

Hegau Prozentanteil Fläche [%

]

LandstraßenOrtsstraßenFußwege

01020304050607080

N - OSüdW - N

Hegau Prozentanteil Fläche [%

]

LandstraßenOrtsstraßenFußwege

Abb. 53: Auswertung „Totale Wüstungen“: Kriterien „Halbe Hanghöhe“ (oben) und „Exposition“

(unten). Vergleich der Wegekategorien mit den Mittelwerten des Hegaus.

226

0102030405060708090

<15 %15 - 25 %>25 %

Hegau Prozentanteil Fläche [%

]

LandstraßenOrtsstraßenFußwege

Abb. 54: Auswertung „Totale Wüstungen“: Kriterium „Hangneigung“. Vergleich der

Wegekategorien mit den Mittelwerten des Hegaus. Ergebnisse – Knicke Die Knicke der SK1797-Landstraßen weisen mit 41,2 % einen überraschend deutlich höheren Bezug zu neutralen Böden gegenüber der Gesamtheit aller Landstraßen (28,9 %) auf. Die unter-suchten Abschnitte sind nur wenig mehr durch Erosion beeinflusst als die Referenzwerte (13,5 statt 7,1 %). Unterschiede zur Gesamtheit aller Landstraßen ergeben sich aus den Wegkriterien: Knicke sind weniger auf „gut geeigneten“ und „feuchten“ Böden sowie in Feuchtgebieten vor-handen. Allerdings ist nur die erstgenannte Differenz mit 3,2 statt 12,0 % deutlich. Die Exposi-tion nach Nord-Ost ist für die Knicke deutlich erhöht (45,7 statt 32,5 %). Auch die Hanglage unterscheidet sich deutlich von der Gesamtheit: 54,5 statt 65,1 % liegen in Tallagen. Ergebnisse – Verlängerungen Knicke Die rekonstruierten Abschnitte sind deutlich weniger durch Siedlungen überprägt als die Ge-samtheit der SK1797-Landstraßen (22,5 statt 31,7 %), aber durch eine leicht erhöhte Erosions -

227

HegauSK1797-LandstraßenKnickeRekonstruktionen

Abb. 55: Auswertung Knicke und ihre Verlängerungen: rezente Bodeneinheiten für die

Ausschlusskriterien „Überlieferung“ bzw. „Auffindungssituation“ (oben) und die Kriterien

„trockener Untergrund“ und „Vermeiden von Feuchtgebieten“ (unten). Vergleich mit den SK1797-

Landstraßen und Mittelwerten des Hegaus.

228

010203040506070

UnterhangMittelhangOberhangHöhe Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-LandstraßenKnickeRekonstruktionen05101520253035404550

N - OSüdW - N Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-LandstraßenKnickeRekonstruktionen

Abb. 56: Auswertung Knicke und ihre Verlängerungen: Kriterien „Halbe Hanghöhe“ (oben) und

„Exposition“ (unten). Vergleich mit den SK1797-Landstraßen und Mittelwerten des Hegaus.

229

0102030405060708090

<15 %15 - 25 %>25 % Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-LandstraßenKnickeRekonstruktionen

Abb. 57: Auswertung Knicke und ihre Verlängerungen: Kriterium „Hangneigung“. Vergleich mit den SK1797-Landstraßen und Mittelwerten des Hegaus. gefährdung (11,5 statt 7,1 %) charakterisiert (Abb. 55). Sie verlaufen eher auf „gut geeigneten“ Böden und liegen gegenüber der Vergleichsgruppe aber auch noch in Feuchtgebieten und Mooren vor. Die rekonstruierten Abschnitte sind weniger nach Nord-Ost orientiert (26,7 statt 32,5 %), lie-gen bevorzugt in Tallagen (65,4 %) und besitzen eine Neigung von <15 % (88,9 %, Abb. 57). Ergebnisse – Sackgassen Die untersuchten Sackgassen sind weniger durch Siedlungen überprägt als die Gesamtheit der SK1797-Ortstraßen (10,2 % statt 15,9 %). Dies war zu erwarten, da sich Sackgassen deutlich außerhalb von Ortschaften befinden. Die Parameter „anthropogen überprägt“ und „neutraler Boden“ liegen im Mittel (Abb. 58). Die untersuchten Abschnitte sind nur wenig mehr durch Erosion beeinflusst als die Referenzwerte (18,8 statt 13,7 %). Sie umfassen überwiegend „gut geeignete“ und „feuchte Böden“, allerdings nur mit geringen absoluten Werten (11,6 bzw. 9,3 %).

Die ausgewählten Sackgassen weisen für Exposition, Hangneigung und Hangposition ähn-liche Werte wie die Gesamtheit der SK1797-Ortstraßen bzw. des Hegaus aus (Abb. 60).

230

051015202530354045 Pr oze nt an te il Fl äc he

[%]

HegauSK1797-OrtsstraßenSackgassenRekonstruktionen

Abb. 58: Auswertung Sackgassen und ihre Verlängerungen: rezente Bodeneinheiten für die

Ausschlusskriterien „Überlieferung“ bzw. „Auffindungssituation“ (oben) und die Kriterien

„trockener Untergrund“ und „Vermeiden von Feuchtgebieten“ (unten). Vergleich mit den SK1797-

Ortsstraßen und Mittelwerten des Hegaus.

231

010203040506070

UnterhangMittelhangOberhangHöhe Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-OrtsstraßenSackgassenRekonstruktionen05101520253035404550

N - OSüdW - N Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-OrtsstraßenSackgassenRekonstruktionen

Abb. 59: Auswertung Sackgassen und ihre Verlängerungen: Kriterien „Halbe Hanghöhe“ (oben) und „Exposition“ (unten). Vergleich mit den SK1797-Ortsstraßen und Mittelwerten des Hegaus.

232

0102030405060708090

<15 %15 - 25 %>25 % Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-OrtsstraßenSackgassenRekonstruktionen

Abb. 60: Auswertung Sackgassen und ihre Verlängerungen: Kriterium „Hangneigung“. Vergleich mit den SK1797-Ortsstraßen und Mittelwerten des Hegaus. Die rekonstruierten Abschnitte aus Sackgassen liegen eher nicht in „gut geeigneten“ und „feuchten Bö-den“, sondern im Verhältnis zu den Ausgangswegen mit 9,9 statt 2,5 % mehr in „Feuchtgebieten“ und „Mooren“. Die Ergebnisse aller weiteren Untersuchungen zeigen keine besonderen Auffälligkeiten. Ergebnisse – Neue Sackgassen Die ermittelten Sackgassen sind mehr durch Siedlungen überprägt als die Gesamtheit der SK1797-Ortstraßen (20,1  % statt 15,9  %), laufen weniger auf neutralen Böden (29,7  % statt 37,3 %) aber mehr auf „gut geeigneten“ Böden (9,9 % statt 7,8 %, Abb. 61). Dies könnte auf eine Reduktion der Streckenlänge in der Nähe von Siedlungen hinweisen. Die Abschnitte der neu-en Sackgassen sind durch eine leicht höhere Erosionsgefährdung (17,9 %) charakterisiert und liegen deutlich mehr im Tal als die Vergleichsgruppe (61,4 % statt 54,8 %). Interessant ist die erhöhte Exposition nach Süden (37,5 % statt 33,3 % im Hegau, Abb. 62).

233

024681012

0 2 4 6 8 10 12

MooreHangschuttgut geeignetfeuchter Boden Feuchtgebiete Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-OrtsstraßenNeue Sackgassen

Abb. 61: Auswertung Neue Sackgassen: rezente Bodeneinheiten für die Ausschlusskriterien

„Überlieferung“ bzw. „Auffindungssituation“ (oben) und die Kriterien „trockener Untergrund“ und „Vermeiden von Feuchtgebieten“ (unten). Vergleich mit den SK1797-Ortsstraßen und

Mittelwerten des Hegaus.

234

010203040506070

UnterhangMittelhangOberhangHöhe Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-OrtsstraßenNeue Sackgassen051015202530354045

N - OSüdW - N Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-OrtsstraßenNeue Sackgassen

Abb. 62: Auswertung Neue Sackgassen: Kriterien „Halbe Hanghöhe“ (oben) und „Exposition“

(unten). Vergleich mit den SK1797-Ortsstraßen und Mittelwerten des Hegaus.

235

0102030405060708090

<15 %15 - 25 %>25 % Prozentanteil Fläche [%

]

HegauSK1797-OrtsstraßenNeue Sackgassen

Abb. 63: Auswertung Neue Sackgassen: Kriterium „Hangneigung“. Vergleich mit den SK1797-

Ortsstraßen und Mittelwerten des Hegaus. Diskussion Auch die naturräumlichen Untersuchungen der Knicke erhärten die Annahme, dass die geringe Lauflänge zu Problemen der Interpretation führt. Als Bestandteil der Gesamtmenge an SK1797-Wegen wären ähnliche Ergebnisse zu erwarten. Ob die Unterschiede in den bodenkundlichen Einheiten, der Lage im Hang oder die Exposition Hinweise auf wirkliche Differenzen darstellen, kann nicht abschließend geklärt werden.

Die Sackgassen der SK1797 bieten grundsätzlich ein ähnliches Bild wie die Gesamtheit der Ortsstraßen. Der im Vergleich erhöhte Anteil an „feuchten Böden“ könnte auf den Zugang zu noch feuchteren Landschaftselementen (See, Ried) hinweisen, ebenso wie Bereiche mit starker Erosion auf Wegziele im Berg (z. B. Einzelhöfe, Waldgebiete) deuten.

Wichtiges Ziel der vorliegenden Untersuchung ist die Suche nach Wüstungen von Wegeab-schnitten vor und von der SK1797. Strecken, die bereits vor der Schmitt’schen Karte abgingen (Verlängerungen Knicke und Sackgassen) liegen im Vergleich mit den jeweiligen Vergleichs-kategorien eher in feuchten Bodeneinheiten. Alle anderen Kriterien liefern allerdings keine

236

signifikanten Unterschiede. Aufgelassene Abschnitte der SK1797 (neue Sackgasse, totale Wüs-tungen) finden sich bevorzugt auf „gut geeigneten“ oder „neutralen“ Böden in Tallagen, Fuß-wege teilweise in steileren Hängen und in N-O-Orientierung.

237

6 Diskussion

6.1 Ergebnisse

6.1.1 Fachliche Inhalte Für den Kriterienkatalog konnten 71 Faktoren bestimmt werden. Die überwiegende Zahl steht in der Tradition der Altstraßenforschung und umfasst deshalb Charakteristika aus dem Mittel-alter und Neuzeit wie „Lange auf Herrschaftsgebiet bleibend“. Der zweite größere Block bezieht sich, wie erwartet auf die Römerstraßen mit Merkmalen wie z. B. „Künstlich aufgetragener Stra-ßenkörper“ oder „Dammwege“. Insgesamt konnten 48 Kriterien beschrieben werden, die auch oder nur für die vorgeschichtlichen Epochen eingesetzt werden können (z. B. „Grabanlagen“). Wichtig war auch die Berücksichtigung von Merkmalen, die bisher selten erwähnt wurden wie „Hindernisse eng umgehend“, keine Rolle spielten („Form der Verbindungsknoten“) oder wahr-scheinlich als so selbstverständlich gelten, dass sie nicht extra aufgenommen wurden („Quellen/Brunnen“).

Die Ergebnisse der für die Studie verwendeten Einzelkriterien ergeben ein sehr heterogenes Bild, wie es auch zu erwarten war (vgl. Kap. 5.2.2): Merkmale, die

• eher als indifferent eingestuft werden müssen (Exposition)

• mit den verwendeten Kartenwerken zeitlich nicht mehr erfasst werden konnten (Hang-position)

• nach anderen Wertebereichen und bzgl. der Wegkategorien differenzierter analysiert werden müssen (Hangneigung, Knicke, Sackgassen, Bodentypen)

• ggf. auch mit anderen Kriterien zufriedenstellend untersucht werden könnten (Hangposi-tion, Hangneigung)

• eher als gut geeignet angesehen werden können (Bodentypen für Kriterium „Trockener Un-tergrund“ in Kombination mit Wegkategorie „Landstraße“)

• eher als sehr gut geeignet eingeschätzt werden können (Bodentypen für Kriterium „Ver-meiden von Feuchtgebieten“ bzw. Ausschlusskriterien „Überlieferung“ und „Auffindungs-situation“)

238

Abb. 64: Totale Wüstung der SK1797 am Beispiel „Großer Tannenwald“ (Gem. Singen, Lk.

Konstanz). Die Linienführung der SK1797-Landstraße (rot) durch das große Waldgebiet wurde bis 1848 großzügig verlegt. Die ältere Trasse liegt deutlich näher am großen Grabhügelfeld.

TA1848-Wege: orange: Landstraßen, gelb: Ortsverbindungswege, gestrichelt: Fußwege, blau: punkt- bzw. flächenhafte archäologische Fundstellen.

Die vielfältigen Möglichkeiten und interessanten Ergebnisse der Wegewüstungen sind das überraschende Resultat der Untersuchungen. Die Rekonstruktionen an Knicken und Sackgas-sen können als wichtiges Element bei der Suche nach historischen Wegen eingesetzt werden, insbesondere nach Abschnitten, die bereits vor dem Erstellungsdatum der Schmitt’schen Karte aufgelassen wurden. Hierzu muss eine standardisierte, praktische Vorgehensweise entwickelt werden, die beispielsweise die Länge der Rekonstruktion, Anpassungen an das Gelände und die Nutzung vorhandener Abschnitte berücksichtigt. Aufgelassene Strecken der SK1797 (totale Wüstungen, neue Sackgassen) sollten ebenfalls herangezogen werden. Mit folgenden Untersu-chungen könnten weitergehende Erkenntnisse gewonnen werden:

• Analyse der SK1797-Ortsstraßen, die anhand der naturräumlichen Kriterien besonders gut den Erwartungen entsprechen

• Auswertung der Knicke an SK1797-Ortstraßen

• Reduktion der Wegkategorie von SK1797-Ortsstraßen zu TA1848-Fußwege

• Naturräumliche Analyse der Ursachen für das Wüstfallen

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Abb. 65: Wegerekonstruktion an Knicken im Verlauf der SK1797-Landstraßen. Herausragendes Beispiel westlich von Orsingen: die virtuelle Verlängerung (rot) durchläuft fast exakt durch den römischen vicus. Orange: Landstraßen, gelb: Ortsverbindungswege, blau: punkt- bzw. flächenhafte archäologische Fundstellen.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass mit den eingesetzten Quellen und Methoden eine erste Übersicht und Bewertung der Kriterien möglich ist, auch als Vorbereitung für eine zukünftige Standortana-lyse. Obwohl noch keine endgültige, automatische Identifizierung von prähistorischen Wegen vor-genommen werden kann, konnten bereits in der Stichprobe bemerkenswerte Abschnitte vor allem von Wüstungen gefunden werden, wie die nachfolgenden Kartenausschnitte zeigen (Abb. 64–67).

Ein Wegeabschnitt der SK1797-Landstraße zwischen Singen und Steißlingen (Abschnitt X, Abb. 64) wurde bis 1848 großräumig verlegt und der ältere Verlauf komplett aufgegeben („totale Wüstung“). Dieser ist im Vergleich zur TA1848 600 m kürzer („Geradliniger Verlauf“), verläuft knapp südlich des 20 m höheren Buchberg vorbei („Hindernisse eng umgehend“, Ziffer A) und folgt im Westen im Wesentlichen der alten Landesgrenze Baden-Württemberg („Gemarkungs-grenzen“, Ziffer B). Mehrere, im LiDAR sichtbare, lineare Objekte begleiten den Abschnitt („Vie-le parallele Strecken“). Beide Linienführungen verlaufen auf dem gleichen, gut wasserdurchläs-sigen Bodentyp („Trockener Untergrund“) und erfordern aufgrund des flachen Geländes keine straßenbaulichen Eingriffe. Vielleicht erfolgte die Verlegung, um zukünftige Grenzstreitigkeiten an der wichtigen Handelsstraße „Ulmer Straße“ zu vermeiden („Lange auf Herrschaftsgebiet bleibend“). Auffällig aus archäologischer Sicht ist die deutlichere Nähe der älteren Trasse zum großen Grabhügelfeld im Nordwesten (Ziffer C).

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Abb. 66: Wegerekonstruktion an Sackgassen der SK1797-Ortsstraßen, am Beispiel Wachenholz westlich von Orsingen. Die virtuelle Verlängerung (rot) durchläuft ein Grabhügelfeld und schließt an eine zweite Sackgasse an. Orange: Landstraßen, gelb: Ortsverbindungswege, blau: punkt- bzw. flächenhafte archäologische Fundstellen.

Ein herausragendes Beispiel für das Aufspüren von vorneuzeitlichen Abschnitten anhand von Verlängerungen an Knicken (Kriterium „Geradliniger Verlauf“) bietet sich westlich von Orsingen (Abb. 65). Grundsätzlich ist für den Ort eine sehr frühe (Wieder-)Besiedlung nach der Römerzeit anzunehmen („ingen“-Ort). Analog zu anderen Siedlungen im Hegau ist auch eine räumliche Verlagerung des Ortskerns zwischen Früh- und Hochmittelalter möglich (s. Kap. 5.1.3, Mittelalter). Die Straßenführung der SK1797-Landstraße durch den Ort bietet vier, jeweils fast 90°-Kurven, obwohl von Süden kommend ein früher Abzweig in direkter Rich-tung in den mittelalterlichen Ortskern um die Kirche St. Peter und Paul („Geradliniger Verlauf“, Ziffer A) führt. Diese Ortsstraße durchläuft am Rand des heutigen Ortes ebenfalls ein großes frühmittelalterliches Gräberfeld (Ziffer B), ist nur halb so lang wie die Landstraße, jedoch deut-lich steiler. Der Vorteil einer flacheren und besser ausgebauten Linienführung überwog offen-sichtlich die größere Weglänge. Eine entsprechende frühmittelalterliche Siedlung konnte bisher nicht lokalisiert werden. Wird die Landstraße am ersten markanten Knick virtuell verlängert (Ziffer X), durchschneidet der konstruierte Weg zwar moderne Straßen, verläuft aber mitten durch den direkt nördlich angrenzenden römischen Vicus Orsingen. Aufgrund von archäolo-gischen Funden und Befunden aus LiDAR-Daten kann vermutet werden, dass der konstruierte Weg zumindest auf ca. 600 m der Hauptstraße des Vicus entspricht. Umgekehrt kann auch für

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den südlichen Verlauf der SK1797-Landstraße ein römischer Ursprung postuliert werden. Eine bereits frühere Nutzung der Wegtrasse ist aufgrund von Siedlungsbefunden aus der Hallstattzeit ebenfalls möglich (Ziffer C).

Ebenfalls westlich von Orsingen zeigt sich ein typisches Beispiel, wie Sackgassen mithilfe von „geradlinigen Verlängerungen“ wieder mit anderen Sackgassen verbunden werden können (Zif-fer X, Abb. 66). Das Umfeld dieses Abschnittes wirft bereits die Frage auf, warum sich drei, fast parallel verlaufende Wege vom Ortszentrum Orsingen in westlicher Richtung zur Kreisstraße 6119 erstrecken (Ziffer A, B, X). Alle verlaufen auf demselben Bodentyp und besitzen vergleich-bare Hangneigungen. Unterschiedliche Ziele der Linienführungen sind nicht erkennbar. Nur der mittlere Weg ist im Verlauf unterbrochen, und zwar dort, wo ein Grabhügelfeld durchquert wird. Obwohl der rekonstruierte Abschnitt bereits vor der SK1797 abgegangen und auch in den folgenden Kartenwerken nicht mehr vorhanden ist, kann eine frühere Verbindung aufgrund kurzer Wegstücke im LiDAR vermutet werden. Ein Zusammenhang mit dem Grabhügelfeld könnte diskutiert werden.

Abb. 67: Neue Sackgassen der TA1848. Herausragendes Beispiel zwischen Mühlhausen und

Neuhausen (Gem. Engen, beide Lk. Konstanz). Der ursprüngliche SK1797-Ortsweg (rot) durchläuft eines der größten Grabhügelfelder im Hegau, siehe auch Abb. 6. Orange: Landstraßen,

Gelb: Ortsverbindungswege, gestrichelt: Fußwege, blau: punkt- bzw. flächenhafte archäologische Fundstellen.

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Auch die zwischen den Kartenwerken entstandenen Sackgassen und ihre Erweiterungen durch Verlängerungen können auf besondere Wegewüstungen hinweisen. Ein besonderes Beispiel bie-tet eine Sackgasse westlich von Ehingen (Abb. 67): Ein Weg der TA1848 endet nach ca. 200 m ohne erkennbares Ziel auf einer flachen Moräneninsel im Überschwemmungsgebiet des Hep-baches (Ziffer X). In der SK1797 zeigt sich der weitere, fast geradlinige Verlauf (Flurname „Wel-schinger Fußweg“) mit einem Flussübergang und Anschluss an einen Weg südlich von Neu-hausen (Ziffer A). Obwohl aktuell keine obertägigen Befunde mehr zu erkennen sind, kann die Wegewüstung mit LiDAR- und Luftbild-Daten vor allem auf der Moräneninsel deutlich nach-gewiesen werden. Der Weg durchläuft ein größeres Grabhügelfeld, das sich mehr oder weniger entlang der Wegtrasse ausbreitet (Ziffer B, s. Abbildung Titelbild). Detaillierte Auswertungen zur genauen räumlichen Beziehung zwischen Weg und Grabhügel könnten weitere Hinweise zum Alter des Weges aufdecken. 6.1.2 Wissenschaftliche Einordnung Altstraßenforschung

Denecke hat sich in seinen zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen mit sehr vielfältigen Aspekten von Altstraßen beschäftigt (vor allem Denecke 1979, Denecke 2001, Denecke 2002). Nachfolgende Wissenschaftler erweiterten die Forschungslandschaft auf unterschiedliche Dis-ziplinen (vgl. Kap. 2.3). Auf dem Gebiet der Historischen Geographie blieb der Schwerpunkt jedoch nahezu ausschließlich auf der klassischen Suche, Erfassung und Bewertung von Relikten. Zudem wurden selten auch prähistorische Wege untersucht.

Die vorliegende Arbeit knüpft direkt an die Forschungen Deneckes an, diskutiert und ent-wickelt diese im Rahmen des aktuellen Forschungsstands weiter. So konnten die Motive für Mobilität mit Forschungsergebnissen der Verkehrspsychologie und der archäologischen Migra-tionsuntersuchungen genauer ausgeführt werden. Auch die Entstehung von Wegen war bisher eher nur mit der Entwicklung des Verkehrs verknüpft, nicht aber mit dem physischen Objekt selbst. Hier zeigten die Arbeiten aus der Städteplanung zum Verhalten von Fußgängern wichtige Grundlagen zum Verständnis der Entstehung und Entwicklung von Wegen auf. Auch bei De-necke nur am Rand bemerkt ist die Aufgabe von Wegen. Wegewüstungen sind, wie die Heraus-bildung von Wegen, für die seit Jahrtausenden andauernde Dynamik von Straßenkörpern und Linienführungen verantwortlich, wurden bislang allerdings kaum thematisiert. Diese bilden deshalb einen Schwerpunkt in der vorliegenden Arbeit.

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Nach den Konzepten der archäologischen Taphonomie konnten erstmals der Lebenszyklus, die taphonomischen Prozesse und die Entwicklung von Relikten beschrieben werden, die sich nahtlos an das rezente Untersuchungsobjekt der Historischen Geographie anschließen. Die Li-teraturrecherchen zeigten, dass trotz der langen Forschungstradition, der umfangreichen Veröf-fentlichungen zum Thema und dem vielfachen Einsatz in der least-cost path Modellierung keine strukturierte und kritisch kommentierte Zusammenstellung der Merkmale von Wegen vorlag. Dies war insofern überraschend, da sich alle Literaturangaben eindeutig den drei Wege-Kompo-nenten zuordnen lassen. Der entwickelte Kriterienkatalog und die beispielhafte Anwendung in der Studie „Westlicher Bodensee“ zeigten aber auch die Grenzen der Methodik auf. Qualitätsvolle Kriterien mit theoretischer Begründung, sorgfältige Auswahl, vielfältigen Quellen bzw. technische Einschränkungen können nur mit einem hohen zeitlichen und methodischen Aufwand erzielt werden. Dies gilt ebenso für die Überprüfung der empirisch bestimmten Kriterien (vgl. Kap. 4.2.1 Tradition). Nur wenige Forschungen werfen diese Problematik allerdings überhaupt auf. Landschaftsarchäologie

„Letztendlich interessieren in der Wegeforschung zwei Fragen: (1) welche Wegführungen wur-den vom prähistorischen Menschen gewählt? Und (2) können wir die relevanten Faktoren für die Wegführung ausfindig machen?“ (Doneus 2013, S. 331) Diese „relevanten Faktoren“ für die least-cost path Modellierungen könnten neben der üblichen Methodik (iterative Anpassung von Standortfaktoren an ungeprüfte, empirische Wegrekonstruktionen, vgl. Kap. 4.2.2) theoretisch auch durch Standortanalysen von archäologisch belegten Wegen ermittelt werden. In der For-schungsliteratur konnte dieser Aspekt nicht gefunden werden. Einerseits kann natürlich auch die Frage diskutiert werden, ob eine Standortanalyse von linearen Objekten überhaupt hinrei-chende Erkenntnisse liefern kann. Wege verlaufen per Definition lange Strecken über teils sehr verschiedene Naturräume und lassen deshalb unterschiedliche Standortkriterien erwarten. An-dererseits werden trotz dieser räumlichen Unschärfe einzelne Kriterien für die Prognose von We-gen über LCP großflächig eingesetzt, obwohl aus dem deutschsprachigen Raum keine Erkennt-nisse über Validierungen von Merkmalen vorliegen. Beide Ansätze beruhen auf dem Prinzip, dass sich die Ausprägungen von Kriterien mit dem Verlauf des Weges ändern: Ist der erste Ab-schnitt noch durch flaches Gelände geprägt, verläuft der nächste Abschnitt aufgrund steiler Hangneigung in einer anderen Linie. Das Objekt „Weg“ passt sich in den einzelnen Abschnitten der jeweiligen Landschaft an. Aus diesem Grund muss die Diskussion der GIS-gestützten Stand-ortanalyse als wichtiger Beitrag für weitere Untersuchungen angesehen werden.

Auch eine klassische Standortsuche nur anhand von Ausschlusskriterien ist analog zur Sied-lungsforschung (Mischka 2007, Ebersbach 2015) theoretisch denkbar. Die potenziell geeigneten

244

Bereiche wie steile Berge oder Tobel sind allerdings einerseits noch ungenügend wissenschaft-lich validiert. Andererseits liegen in den meisten Betrachtungsräumen im Allgemeinen natur-raumbedingt nur wenige „echte“ Ausschlussflächen vor, was den potenziellen Raum für Wege kaum signifikant verkleinert und so in den meisten Landschaften die Suche wenig unterstützt.

Sowohl die Historische Geographie als auch die archäologischen Wissenschaften gehen im Grundsatz davon aus, dass sich rezente Landschaftsrelikte bzw. Befunde ursächlich auf natür-liche oder anthropogene Prozesse zu einem früheren Zeitpunkt zurückführen lassen und diese Landschaften „rekonstruiert“ bzw. Landschaftselemente wie Siedlungen über predictive mode-ling aufgefunden werden können. Meist, wie auch in der vorliegenden Arbeit, stellt einerseits „die große zeitliche Lücke […] eine methodische Herausforderung dar, der mit möglichst weit zurückreichenden und möglichst vielfältigen Quellen begegnet werden muss“ (Schuppert 2013, S. 15). Andererseits weist Münch oft geäußerte Kritik am Einsatz von Vorhersagemodellen in der Siedlungsforschung zurück, „gegen deren oft unkritische Anwendung und dagegen, dass sie auf fehlerhaften archäologischen Datensätzen beruht, Umweltfaktoren eine zu hohe Bedeutung bei-messen, rezente Umweltfaktoren verwenden, von einer Kontinuität der kulturellen Landschaft ausgehen und kulturelle Faktoren nicht berücksichtigen. Dass all diese Kritikpunkte in Bezug auf die Archäoprognose als unbegründet betrachtet werden können, wurde in dieser Studie nach-gewiesen“ (Münch 2008, S. 288). Insgesamt muss jedoch festgehalten werden, dass „möglichst vielfältige Quellen“ und „Nachweise“ aus einer einzigen Untersuchung nicht für abschließende Aussagen ausreichen. Diese Vorgehensweise muss, ebenso wie beispielsweise der entwickelte Kri-terienkatalog und die Nutzung von rezenten Geodaten, nur als Annäherung verstanden werden. Interdisziplinäre Diskussion Die Prognose von möglichen (prä-)historischen Wegen in Form von archäologischen Fund-stellen ist eine wichtige Methodik für zielgerichtete Untersuchungen der Denkmalpflege. Aus-gangsfaktoren sind grundsätzlich verschiedene Quellen, das Wissen über Wege, Mobilität, Fort-bewegung und eine geeignete Vorgehensweise, die die genannten Punkte in optimaler Weise verbindet.

Trotz der beschriebenen Einschränkungen von Altstraßenforschung und least-cost path Mo-dellierung kann die systematische und transparente Kombination beider Verfahren neue me-thodische Ansätze der Wegeforschung ermöglichen. Die Altstraßenforschung liefert einerseits die passenden, theoretisch begründeten Kriterien für die LCP-Suche, andererseits können die technischen Möglichkeiten der LCP insbesondere in schwierigem und unbekanntem Gelände einen schnellen Überblick über mögliche Wegekorridore aufzeigen. Die Altstraßenforschung kann also als Archäoprognose eingesetzt werden.

245

Zusammenfassend können je nach zu untersuchender Zeitepoche verschiedene Ansätze zur Suche und Identifizierung von Wegen vorgeschlagen werden:

• Neuzeit, mit Rückschreibungen ins Hochmittelalter, teilweise bis Frühmittelalter und Römer-zeit (Beispiel Studie „Westlicher Bodensee“)

ₒSuche: über eingesetzte Methodik möglich

ₒAusgangspunkt: sehr großes Wegenetz aus neuzeitlichen Karten

ₒVorgehen über Reduktion der vorhandenen Abschnitte aufgrund vieler verschiedener

Kriterien aus Katalog, Unterstützung durch Wegeanomalien aus neuzeitlichen Karten ₒValidierung über (archäologische) Befunde Weg und Wegbegleiter

• Vorgeschichte:

ₒSuche: durch vorgeschlagene Vorgehensweise nicht möglich

ₒAusgangspunkt: bekannte Fixpunkte aus archäologisch nachweisbaren SiedlungenₒVorgehen über klassische LCP-Modellierung mit möglichst vielen verschiedenen Suchkriterien aus Katalog

ₒValidierung nur über Wegfunde möglich

Ein weiterer Diskussionspunkt ist die Rolle und Nutzung von bekannten archäologischen Fundstellen für die Wegeforschung. Natürlich werden archäologische Funde und Befunde im Rahmen der vorliegenden Vorgehensweise als wichtige Fixpunkte von Wegen angesehen. Im predictive modeling bilden Fundstellen als Start- und Zielpunkte die Basis der Modellierung. Es wird in der Forschung allerdings wenig thematisiert, dass diese Ausgangspunkte meist nur zufällig entdeckt wurden. Je nach Weglänge können deshalb zwischen Start- und Zielpunkt be-liebig viele weitere Fixpunkte erwartet werden. Mit der gleichen Wahrscheinlichkeit können umgekehrt die Fundstellen als Validierungspunkte von prognostizierten Wegen vorgeschlagen werden. Im Rahmen von least-cost-path-modeling wird die Überprüfung von ermittelten Ver-läufen selten thematisiert (Kap. 4.2.2). Vermutlich liegt dies an einer fehlenden Methodik, wie sie sich auch aus den Erfahrungen der Studie „Westlicher Bodensee“ zeigte. Zum Ersten muss die „Einflusszone“ des Weges für die archäologischen Fundstellentypen theoretisch begründet entwickelt werden: „in welchem Abstand zum Weg liegt ein Hügelgrab noch am Weg?“ Zum Zweiten ist zu prüfen, welche Methoden der räumlichen Analyse wie Abstand, Puffer oder Sicht-barkeit mit welchen Gültigkeitsbereichen je nach Fundtyp eingesetzt werden kann. Zum Dritten ist zu diskutieren, wie weit der einzelne Fixpunkt im Verlauf des Weges als Validierung aus-reicht. Je länger die prognostizierten Wegstrecken ohne Fixpunkte, desto ungenauer die mög-liche Linienführung.

246

6.2 Quellen- und Methodenkritik

Eine kritische Betrachtung der eingesetzten Quellen und Methoden ist für die Studie „West-licher Bodensee“ erforderlich. Insbesondere die unübliche Bearbeitung und digitale Erfassung aus den historischen Kartenwerken bedarf einer Diskussion aus der Sicht der Historischen Geographie. 6.2.1 Quellen

Als Ausgangsbasis wurden das neuzeitliche Wegenetz, die Bodenkarte 1:50 000 und das Digita-le Geländemodell eingesetzt und dafür bereits vor der Verwendung deutlich generalisiert. Die Linien der Wege wurden gemäß dem Konzept der Trasse zu Flächen erweitert, Bodeneinheiten für die Fragestellung klassifiziert und das DGM in der bearbeiteten Form mit 10-Meter-Raster verwendet (Kap. 5.2.5). Auf eine Prüfung auf fehlerhafte Daten oder Datenlücken im Original-bestand konnte deshalb verzichtet werden.

Die Auswertungen der Kriterien für SK1797-Fußwege zeigen, dass diese aufgrund der gerin-gen Anzahl und der geringen Streckenlänge nur als Vermutungen verstanden werden können (Kap. 5.3.3). Gesicherte Aussagen sind nicht möglich.

Die Diskussion zum Einsatz von rezenten Geodaten für historische Fragestellungen erfolgte im Kapitel 5.2.2. 6.2.2 Methoden

Räumliche Verschneidungen von Geoobjekten sind eine der weit verbreiteten Analysemetho-den der Geoinformatik. Grundlegende Herausforderungen dieser Methode zeigten sich auch im Rahmen dieser Studie.

Je nach Fragestellung kann der Einsatz von Polyline-Polygon-Verschneidungen sinnvoll sein, meist werden jedoch Polygon-Polygon-Verschneidungen verwendet. Grundannahme ist dabei, dass ein lineares Untersuchungsobjekt immer eine gewisse Ausdehnung besitzt, die bei kleineren Maßstäben visuell zu Linien generalisiert wird. Die untersuchten historischen Wege nehmen naturgemäß eine bestimmte Breite ein, die einerseits nicht mehr rekonstruierbar ist und andererseits gemäß dem Konzept der Trasse nur einen kleinen Teil einer Linienführung darstellt. Die Erweiterung der Wege über einen beidseitigen Puffer zu Wegflächen kann daher als geeignete Methode eingestuft werden. Für die Qualitätseinschätzung der Methode könnten weitere Auswertungen mit verschiedenen Pufferbreiten durchgeführt werden.

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„Bei der Verschneidung nicht ganz deckungsgleicher Flächen, die z. B. aufgrund ungenauer Er-fassung der Geoobjekte oder aufgrund stärkerer Generalisierung […] vorliegen, können kleine Restpolygone oder ‚Schnipselflächen‘ (engl. Sliver-polygons) entstehen“ (Lange 2013, S. 364). Üb-licherweise werden diese in nachfolgenden Schritten automatisch bzw. manuell entfernt oder über Algorithmen benachbarten Flächen zugeordnet. Die Verschneidungsergebnisse der Studie um-fassen ebenfalls zahlreiche Kleinstflächen, die jedoch in die statistische Auswertung übernommen wurden. Eine topologische Anpassung der Wegflächen im Vorfeld der Analysen an beispielsweise die Bodenkarte wäre denkbar, allerdings kann der Aufwand entlang 3223 km Gesamtlänge und den umfangreichen sowie kleinräumigen Flächen der Bodeneinheiten als sehr hoch eingeschätzt werden. Zudem wurden die Ergebnisflächen nur wenigen Klassen zugeordnet und nicht zu weite-ren räumlichen Analysen oder kartographischen Darstellungen verwendet. Die einfache Flächen-bilanz der Untersuchungsergebnisse kann deshalb als hinreichend genau angesehen werden.

Für die durchgeführte Untersuchung wurde auf eine detaillierte statistische Auswertung und damit Absicherung der Ergebnisse verzichtet. Die zahlreichen Ergebnisvergleiche, insbesondere mit den Daten des gesamten Untersuchungsgebiets zeigten, dass Abweichungen von 5–6 % als noch nicht sig-nifikant eingestuft werden konnten. Da die Studie als erste Übersicht und Abschätzung der Kriterien für beispielsweise Standortanalysen dient, war eine umfangreiche Auswertung nicht erforderlich.

Die Nutzung einzelner Wegeabschnitte als Sackgassen oder Knicke und deren räumliche Ana-lysen führten zu nicht zufriedenstellenden Ergebnissen. Als Teilmenge einer Wegekategorie wä-ren deutliche Übereinstimmungen mit diesen zu erwarten. Die Unterschiede in den Flächenbi-lanzen können vermutlich auf eine zu kleine Stichprobe sowie die geringen Lauflängen aufgrund der Erfassungsmethode „least common geometry“ zurückgeführt werden. 6.2.3 Karten Methodik

„[…] the [digital] result cannot be claimed to represent an all together precise landscape around 1800, but an interpreted, constructed image showing the essential features, which were also in-terpreted by the map surveyor around 1800. […] But there is not much possibility of controlling [the digital result] with landscape around 1800“ (Domaas et al. 2009, S. 155). Es ist also einer-seits aufgrund der aktuellen Quellenlage zurzeit unmöglich, digital erfasste historische Straßen aus Altkarten nach über 200 Jahren exakt zu lokalisieren und zeitlich einzuordnen. Anderer-seits können Untersuchungen zum Landschaftswandel und zum zeitlichen Vergleich von Land-

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schaftselementen nicht ohne Altkarten durchgeführt werden. Eine Interpretation muss also die inhaltliche und räumliche Unschärfe der Informationen berücksichtigen (Vuorela et al. 2002). Kartografische Darstellung Allein die kartografische Darstellung der Wege auf den verwendeten Altkarten ist ein großer Faktor für die Unschärfe der erfassten Daten (s. Kap. 5.3.1). Beck ermittelte, dass die Haupt-straßen im TA1848 Wege mit ca. 7–9 m Breite repräsentieren, ihre Darstellung im Kartenbild jedoch einer wirklichen Breite von ca. 50 m entspricht (Beck 1996). Für die SK1797 liegen dazu keine Aussagen vor. Aufgrund der schlechteren Kartenqualität ist jedoch von einer ähnlichen, wenn nicht größeren, Generalisierungsbreite auszugehen. Während für TA1848 die vom Kar-tenersteller bewusste Überzeichnung überliefert ist, kann dies für die Kriegskarte SK1797 nur angenommen werden. Die dargestellten Signaturen der Altkarten können deshalb bereits an sich als „Trasse“ im Sinne der vorgestellten Vorgehensweise angesehen werden. Digitale Erfassung

Um Landschaftselemente wie Verkehrswege aus historischen Karten für die Kulturlandschafts-forschung digital zu erfassen, werden die Altkarten üblicherweise gescannt und im GIS geore-ferenziert (z. B. Schumacher 2006, Kressner 2008). Letzteres erfolgt meist über Passpunkte, die sowohl in den historischen als auch in den modernen Referenzkarten vorhanden sein müssen. Schwierigkeiten ergeben sich hier durch eine ungenügende Anzahl an persistenten, lagetreu-en und gleichmäßig verteilten Vergleichspunkten, die oft fehlende räumliche und thematische Genauigkeit der Altkarten und einem manchmal schlechten Zustand der historischen Karten (Vuorela et al. 2002, Schuppert et al. 2009). In einem Vergleich verschiedener Studien ermittelt Domaas, dass die Referenzkarten grundsätzlich einen kleineren Maßstab als die Altkarten be-sitzen und die weitere Bearbeitung auch in diesem Maßstab erfolgt (Domaas et al. 2009, S. 159). Durch diese automatische Generalisierung können die durch Georeferenzierung entstehenden Positionsfehler vermindert werden. Allerdings verbleiben mittlere Punktfehler von z. B. 16–60 m (bei 1:12 000, Walz et al. 2011) oder 2,5 km (SK1797, Stigloher 1984).

Als Passpunkte werden neben Gewässerverläufen und Siedlungen oft auch Verkehrswege eingesetzt: „Neben der einfachen Lokalisierung bieten gerade Straßen und Wege den Vorteil, dass ihre Lage in der Regel über Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte weitgehend unverändert bleibt.“ (Kressner 2008, S. 133) Diese Aussage wurde bereits durch andere Autoren kritisch gesehen: „Unbefriedigend bleibt die Lösung des Problems der Lageabweichung von Straßen und We-

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gen auf den Karten, trotz einer weitgehenden Persistenz der Wegestrukturen […] Infolge der Generalisierung wird das Wegenetz in unterschiedlichem Umfang und mit Lageabweichungen dargestellt“ (Schumacher 2006, S.114). Viele Studien beschränken sich daher auf die Erfassung von Hauptstraßen, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts als weitgehend lagetreue Kunststraßen bis heute existieren. Deutsche Grundkarte

Im IVS-Projekt wurden Wege aus älteren, nicht maßstabtreuen Karten den räumlich genauen Straßen aus der Ausgangskarte um 1880 und später auch auf eine heutige Karte mit ähnlichem Maßstab und einen großmaßstäbigen Übersichtsplan 1:5000 zugeordnet (vgl. Kap. 2.2.3, Stromer et al. 2003). „Durch den systematischen Kartenvergleich, der mit der Kartenrückschreibung ver-bunden ist, können sich auch aus topographisch ‚ungenauen‘ Altkarten Hinweise auf abgegangene Verlaufslinien ergeben, die im Gelände dann zumindest gesucht, öfters aber auch nachgewiesen werden können.“ (Doswald 2003, S. 6) Die hier vorgestellte Erfassung lehnt sich im Wesentlichen an diese IVS-Methodik an (Bundesamt für Strassen 1999). Aus Zeit- und finanziellen Gründen wird das Vorgehen aber gekürzt und detaillierte Aufnahmen im Gelände nicht durchgeführt.

Um die Ergebnisse unter den gegebenen Voraussetzungen (großes Untersuchungsgebiet, leicht zugängliche Datenquellen) zu optimieren, wurden als Digitalisierungsgrundlage die Deutsche Grundkarte 1:5000 verwendet.

Nur durch die Verwendung dieses Kartenwerks ist die vorgestellte Methodik überhaupt einsetz-bar. Die hohe räumliche Genauigkeit und die morphologisch richtige Wiedergabe auch kleiner Geländeformen machen Überprüfungen im Gelände fast überflüssig. Hilfreiche moderne digitale Kartierungen von z. B. Fließgewässern und Feuchtbiotopen, die meist auch auf diesem Maßstab erstellt wurden, können einfach hinzugefügt werden. Die Karte liefert ebenfalls auf einen Blick weitere Angaben zur Rekonstruktion der Wege und lässt Fixpunkte im Gelände besser lokalisie-ren. Zudem liegen viele Kartenblätter in bereits älteren Ausgaben vor, worin moderne Flurbereini-gungen oder Straßenbauten noch fehlen. Teilweise können isolierte Wegstücke gefunden werden, deren eigentlicher Wegverlauf bereits aufgelassen wurde. Oft sind alte Linienführungen noch auf den Blättern vorhanden, durch Signaturen jedoch als „veraltet“ gekennzeichnet. Qualitätsmerkmale

Einerseits ist bei der Nutzung von historischen Karten eine Diskussion über die Verwendbarkeit der Karten im Sinne einer Quellenkritik erforderlich (Cranach 2000, Schumacher 2003, Jenny et

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al. 2009). Andererseits sollen bei der Datengewinnung für Geographische Informationssysteme Qualitätskriterien für den eigentlichen Datenbestand und den Erfassungsprozess beschrieben und berücksichtigt werden. Die für beide Aspekte wichtigen Qualitätsmerkmale sind heute in der ISO Norm 19113 (Qualitätsgrundsätze von Geodaten) verankert und werden im Folgenden anhand der Aufzählung von Caspary (Caspary 1993) für den erstellten Datensatz diskutiert. Herkunft der Daten

Cranach weist zu Recht darauf hin, dass die Nutzbarkeit von Karten für die jeweilige Frage-stellung oft nicht hinterfragt wird und die auf den Karten dargestellten Inhalte als für die Ent-stehungszeit aktuelle Informationen ungeprüft übernommen werden (Cranach 2000). Inwieweit Interessen, Weltbilder oder Herrschaftsvorstellungen die Herstellung der Karte beeinflusst ha-ben und welche Ziele damit verbunden waren, ist oft weniger wichtig als die zeitgenössischen Vermessungs- und Druckverfahren. „[…] wenn nun in solchen Karten ein bestimmter Weg nicht verzeichnet ist, so bedeutet das deshalb nicht mit Sicherheit, dass dieser Weg zum Zeit-punkt der Kartenaufnahme nicht existierte. Der Weg kann vom Kartenautor auch weggelassen worden sein, weil ihm keine strategische Bedeutung zukam“ (Cranach 2000, S. 31). Letztere Vorgehensweise kann in der vorliegenden Studie für SK1797 angenommen werden, was sich in der drastisch reduzierten Gesamtobjektanzahl und im überwiegenden Fehlen von Sackgassen widerspiegelt. Der TA1848 dagegen bietet als erste Gesamtschau des neuen Verkehrsnetzes im neu gebildeten Großherzogtum Baden nicht nur für den benutzten Maßstab fast die maximal darstellbare Straßenanzahl, sondern auch zahlreiche Wegkategorien und eine bewusste karto-graphische Überzeichnung. Für die vorliegende Studie wurde, ähnlich vergleichbarer Untersu-chungen, das tradierte Verkehrsnetz beider Zeitschnitte als zeitgenössisch vorhanden betrachtet.

Ein wichtiges Ziel der vorliegenden Studie ist eine gute Übertragbarkeit der Quellen und Me-thodik auf andere Landesgebiete. Die gleichbleibende Qualität der durch das LGL vertriebenen Produkte wird deshalb mehr Relevanz zugeordnet als die Verwendung möglichst alter Karten-werke, die womöglich noch über unterschiedliche Landesarchive umständlich bezogen werden müssten. Schwierigkeiten traten nur bei den zusätzlich bestellten Blättern der SK1797 auf, die aufgrund der kleinen Ausgabeformate und darauf abgestimmter Scanverfahren eine schlechtere Qualität lieferten.

Verzerrungen durch Papierverzug beim Scannen von Karten sind bei der eingesetzten Me-thode ebenso wie den anderen üblichen Vorgehensweisen nicht vermeidbar. Durch die Verwen-dung der TK25 als Hauptreferenz für alle Altkarten und die manuelle Georeferenzierung der wichtigen DGK5 konnten diese jedoch minimiert werden. Umfangreiche digitale Restaurierun-gen der Altkarten mussten nicht vorgenommen werden (vgl. Kressner 2008).

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Die Angabe des mittleren Punktfehlers oder quadratischen Mittelwerts (RMS) ist das häufigste und meistens auch als einzige Qualitätsmaß bei der digitalen Erfassung von Objekten aus Alt-karten (z. B. Domaas et al. 2009, Jenny et al. 2009). Durch diese Prüfung der planimetrischen Genauigkeit, der Zuverlässigkeit der absoluten Position und die Lage der einzelnen Kartenele-mente zueinander wird der vorangegangene Arbeitsschritt der Georeferenzierung und Trans-formation beurteilt. Für eine umfangreiche Analyse von Altkarten und deren geometrische Ge-nauigkeiten kann heute die Open-Source-Software MapAnalyst eingesetzt werden (Jenny et al. 2007). Gemäß Jenny erübrigt sich allerdings eine geometrische Analyse bei Kartenelementen, die durch Überhöhung betont wurden (Jenny et al. 2009). Werden die trotz bestmöglicher Geo-referenzierung verbleibenden Punktfehler auf digitalisierte Weglinien angewendet, ergibt sich ein flächenhafter Bereich, in dem sich digitalisierte und reale Positionen wiederfinden. Dies ent-spricht im Wesentlichen dem Konzept „Trasse“. Deshalb konnte in der vorliegenden Studie auf die übliche Erfassungsmethode und umfangreiche Untersuchungen zur absoluten Genauigkeit der Straßen verzichtet werden. Attributgenauigkeit

Die Bewertung der Karteninhalte umfasst auch die Untersuchung der kartographischen Dar-stellung hinsichtlich Geometrietyp und Unschärfen der Geometriegrenzen (Vuorela et al. 2002). Die aus den verwendeten Altkarten digitalisierten Verkehrswege sind als Linienelemente darge-stellt und als solche meist deutlich erkennbar (vgl. Probleme der Zuordnung Kapitel 5.3.2). Alle Linien konnten, z. T. mit Unsicherheiten, den jeweiligen Wegkategorien zugewiesen werden und blieben über alle Kartenblätter thematisch konsistent. Ob die Abgrenzung der Kategorien im Gelände sinnvoll erfolgte und bei der Kartenerstellung exakt übernommen wurde, kann nach 200 Jahren nur angenommen werden. Die genaue Klassifizierung spielt für die Suche nach ar-chäologischen Verdachtsflächen zudem nur eine untergeordnete Rolle. Logische Konsistenz

Trotz größter Anstrengungen mussten manche Strecken aus der SK1797 als nicht lagerichtig angesehen werden und konnten deshalb nicht erfasst werden. Bei einigen Abschnitten dieses Kartenwerks war die topographische Einordnung schwierig. Hier wurde die „schlechte“ Quali-tät als Attribut gespeichert.

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Nach Jenny lässt sich die topographische Vollständigkeit nur basierend auf dem Hintergrund-wissen zum Entstehungszweck der Karte abschätzen (Jenny et al. 2009). Aufgrund der Zielset-zung bei der Herstellung des TA1848 und der Überzeichnung der Verkehrswege kann eine hohe Vollständigkeit der erfassten Objekte angenommen werden. Im Gegensatz zu Studien zur Land-nutzung, wo eine komplett abdeckende, flächenhafte, also vollständige Darstellung zwingend erforderlich ist, sind fehlende Altstraßen, insbesondere für die vorliegende Zielsetzung, jedoch nicht von großer Bedeutung. Es liegt in der Natur der Untersuchungsobjekte (s. Kap. 2.1.1), dass sich diese ständig nach den aktuellen Anforderungen verändern und, wenn überhaupt, nur schematisch auf alten Karten visualisiert wurden. Von einer Vollständigkeit der Verkehrswege, vor allem in Karten vor 1800, kann grundsätzlich nicht ausgegangen werden. Aktualität

Ebenso wie die Vollständigkeit kann die chronometrische Genauigkeit, also der Zeitzustand der Karteninformation, nur durch kartenhistorisches bzw. –bibliographisches Wissen einge-schätzt werden (Jenny et al. 2009). Im Gegensatz zu anderen Kartenwerken wurden beide ver-wendeten Altkarten eigens für ihren Verwendungszweck durch Vermessung hergestellt, sind also keine Kopien früherer Karten, wurden zeitnah gedruckt und danach nicht fortgeführt. Aufgrund wissenschaftlicher Auswertungen kann der Zeitraum der Geländeaufnahmen für die SK1797 auf 1792 bis 1797 und für den TA1848 auf 1825 bis 1844 relativ genau eingegrenzt werden (Finsterwalder 1974, Beck 1996). Obwohl gut bekannt spielt die Datierung des Karten-inhalts für die Zielsetzung des Projektes keine große Rolle. Beide Zeitabschnitte sind durch eine hohe Dynamik der Verkehrswege charakterisiert (Bau von Chausseen, verkehrspolitische Neuorientierung), sodass die Kartendarstellungen hier nur eine Momentaufnahme widerspie-geln können. Fazit

Für die Studie konnten nahezu alle Wege um 1797 bzw. 1848 in einem GIS erfasst werden. Neben der räumlichen Lage wurden Hinweise zu den zu erwartenden Strukturen (Wegkategorien) und zur Qualität jeder einzelnen digitalisierten Strecke (Kartenqualität, Rekonstruktionsmethode, Hilfsmit-tel) festgehalten. Diese detaillierten Informationen können bei nachfolgenden Auswertungen (z. B. „archäologischen Verdachtsflächen“) über die Zuverlässigkeit der Ergebnisse aussagen.

253

Der erstellte Datensatz der historischen Verkehrswege am westlichen Bodensee wurde entge-gen den mittleren Maßstäben der Altkarten auf Grundlage der DGK5 im Maßstab 1:3000 erfasst und impliziert dadurch eine hohe Genauigkeit und exakte Lokalisierung der Linienführung. Dies ist aufgrund der eingesetzten Methodik natürlich nicht möglich. Die durch die vorgestell-te Vorgehensweise ermittelten Strecken können jedoch als Anhaltspunkte für die historischen Wegverläufe dienen.

Durch die eingesetzte Methodik konnten 90,3 % der Weglänge direkt über die moderne Refe-renzkarte oder indirekt über Hilfsmittel mit mittlerer bzw. hoher Qualität rekonstruiert werden. Für die Fragestellung und aufgrund der Rahmenbedingungen kann die beschriebene Methode deshalb als hinreichend genau angesehen werden.

6.3 Ausblick

Die entwickelte Vorgehensweise bietet die Möglichkeit, Wegeforschung mit neuen Datenquellen und methodischen Konzepten zu erproben. Viele Ideen für weitergehende Forschungsansätze sind im Folgenden zusammengefasst. 6.3.1 Quellen und Methoden

Um die Quantität und Qualität der Ausgangsdaten zu verbessern, können folgende Datenquel- len als Ergänzung sowie zum Vergleich vorgeschlagen werden:

• Luftbild- und LiDAR-Auswertungen

• Gemarkungspläne aus dem 19. Jahrhundert bzw. wenn möglich bereits aus dem 18. Jahrhun-dert und/oder frühere Ausgaben der DGK5

• Trassen aus dem Generalwildwegeplan Baden-Württemberg der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt

• Weitere, speziell für archäologische Fragestellungen durchgeführte Auswertungen der ver-wendeten Bodenkarte

• Daten des Digitalen Landschaftsmodells Baden-Württemberg. Dieses „Basis-DLM“ wird nach ähnlichen Kriterien wie die DGK5 erstellt und kann als digitaler Nachfolger gesehen werden.

• Streckenbeschreibungen aus der Dokumentation Inventar Historischer Verkehrswege der Schweiz IVS

• Ethnographische Mobilitätsforschung

• Archäologische Mobilitätsforschung von steinzeitlichen Jäger-Sammler-Gruppen

254

• Weitere Auswertungen der Fußwege der Schmitt’schen Karte aus anderen Landschaften zur besseren Absicherung der Ergebnisse

Für eine methodische Weiterentwicklung der allgemeinen Wegeforschung sollten folgende Maßnahmen prioritär verfolgt werden:

• Transparente Diskussion von theoretischen Modellen der einzelnen Kriterien aus dem ent-wickelten Kriterienkatalog, wie sie beispielhaft für die in der Studie eingesetzten Parameter durchgeführt wurden (Kap. 5.2.2)

• Test bzw. Überprüfung der vorgeschlagenen Vorgehensweise für die Prognose vorgeschicht-licher Wege (Kap.  6.1.1 „Interdisziplinäre Diskussion“) anhand neuzeitlicher oder mittel-alterlicher Wege und verbesserter Validierungsmöglichkeiten durch zusätzliche Quellen wie Kartenwerke oder LiDAR-Daten

• Theoretisch begründete, nachvollziehbare Vorgehensweise für die Validierung von ermittel-ten Wegverläufen mithilfe archäologischer Fundstellen

Methodisch hilfreich wäre die Entwicklung bzw. der Einsatz von Algorithmen für die auto- matische Erkennung von Kriterien z. B. Identifizierung von Höhenwegen („die beidseitigen Böschungen zeigen nach unten“), Hohlwegen („die beidseitigen Böschungen zeigen nach oben“) oder Form der Verbindungsknoten bzw. Knicke („Winkel zwischen den Kanten“). Wichtig wäre ebenfalls der genaue Methodenvergleich mit den GIS-gestützten Standortanalysen von Siedlun-gen, vor allem mit den statistischen Auswertungen. Interessant ist auch der Einsatz der agenten-basierten Modellierung für die Suche, wie sie für das least-cost path Verfahren bereits angewen-det wird.

Weitere Ansatzpunkte ergeben sich aus dem digitalisierten Wegenetz („ Netzwerkanalyse “). Um die energetisch günstigsten Wegeführungen und damit auch die potenziell besten an die Topographie angepassten Routen zu ermitteln, können in Anlehnung an Schaur (1992) folgende Netzuntersuchungen vorgenommen werden:

• Durchläufe von allen Start- zu allen Zielpunkten zeigen die am häufigsten genutzten Knoten und Kanten und damit Engstellen oder Zwangspunkte an.

• Das Minimalgerüst des Netzes wird durch eine Ausdünnung erreicht. Hierbei werden alle Start- mit allen Zielpunkten über die geringstmögliche Menge von Wegen miteinander ver-bunden. Alle wegfallenden Abschnitte könnten auf andere, ältere Ziele hinweisen.

Können archäologische Funde mit gleicher Zeitstellung eingesetzt werden oder liegen na-türliche Fixpunkte auch außerhalb des Betrachtungsraumes vor, können gezielte Analysen von diesen Start- und Zielpunkten aus durchgeführt werden. Beispielhaft seien für das Untersuchungsgebiet die Übergänge über die Donau, der Rheinfall bei Schaffhausen und die Pässe über den westlich gelegenen Randen (Ausläufer der Schwäbischen Alb) genannt. Interessant wäre zudem die räumliche Lage von traditionellen Rohstoffabbaugebieten (z. B. Rothenhöfer 2013).

255

„Genauso notwendig […] ist das Wissen über die naturräumlichen Gegebenheiten und deren anthropogene Veränderung über die Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende“ (Ebersbach 2015, S. 231). „Accurate landscape reconstructions and spatial models can be created only if the pro-cesses behind landscape and cultural changes are understood“ (van Lanen et al. 2015a, S. 201). Diese grundlegende Forderung betrifft natürlich alle archäologischen Fragestellungen, die Wege als raumgreifende Landschaftselemente allerdings besonders. Umfangreiche Standortanalysen, wie sie Ebersbach vorlegt, sind aufgrund des hohen Aufwands selten.

Für die Rekonstruktion früherer Landschaften muss vor allem, individuell je nach unter-suchter Kulturepoche, ein Modell der Landschaftsoberfläche mit Hindernissen und damit der natürlichen Korridore und die naturräumliche Wegsamkeit bestimmt werden (van Lanen et al. 2015a). Neben den klassischen Reliefparametern sind natürliche und anthropogene Än-derungen des Wasserhaushalts, beispielsweise Grundwasserabsenkungen oder die Größe von Feuchtgebieten relevant. Interessant wären auch Auswertungen der verwendeten Bodenkarte und anderer Bodenkartierungen (z. B. Bodenschätzungskarte) aus dem Blickwinkel der Geo-archäologie (vgl. Gerlach 2007). Natürlich müssen auch Schwankungen und Auswirkungen des Klimas auf die Siedlungs- und damit auch Wegeentwicklung für den Betrachtungszeitraum be-rücksichtigt werden (z. B. Kap. 3.2).

Für die vorliegende Arbeit wurden die Wasserwege explizit ausgenommen, diese spielen in der Mobilitätsgeschichte des Menschen jedoch eine deutlich größere Rolle (vgl. Kap. 3.2). Aus Sicht der Landwege muss „eine besondere Beachtung im Rahmen gerade des frühen Verkehrs-netzes […] der Verknüpfung des Landverkehrs mit dem Wasserverkehr auf Flüssen [und Seen] geschenkt werden“ (Denecke 2007b, S. 640). Zum einen könnten potenzielle Anlande- und Um-schlagsstellen über die untersuchten Sackgassen, historisch überlieferte Hafenanlagen und die archäologischen Siedlungsfunde an See- und Flussufern erste Hinweise liefern. Zum anderen sind die früheren Flussübergänge von Interesse, die allerdings aufgrund der natürlichen Flussdy-namik noch schwieriger zu untersuchen sind. Bemerkenswert ist der Vorschlag von van Lanen, Verkehrswege zunächst getrennt in Wasser- und Landwege zu modellieren und dadurch bereits Synergien zu erhalten (van Lanen et al. 2015a). 6.3.3 Untersuchungsgebiet

Aus der Sicht der lokalen Maßstabsebene des Untersuchungsgebiets ist die Erweiterung des Raumes bis an die Donau und nach Schaffhausen sinnvoll. Hier können die zusätzlichen natür-

256

lichen Fixpunkte die Modellbildung erleichtern. In diesem regionalen Betrachtungsraum sollten die bekannten Straßenrelikte aus dem Informationssystem der Landesdenkmalpflege zunächst aufbereitet und eine erste Standortanalyse durchgeführt werden. Wichtig sind hierbei auch die Negativbefunde, insbesondere der Römerstraßen.

Es fehlt außerdem eine detaillierte Zusammenstellung der Klima-, Wald- und Siedlungsent-wicklung für die Vorgeschichte, obwohl umfangreiche Untersuchungen bereits vorliegen (z. B. Rösch 1987, Rösch 2016). Der Abgleich des Digitalen Geländemodells mit den Bodeneinheiten der Ausschlusskriterien könnte eine Vereinfachung der Kriterien erlauben und die Aussagekraft erhöhen.

Eine spannende Weiterentwicklung wäre die Rekonstruktion der Landschaft für das frühe Mittelalter. Bereits die kartographische Darstellung der vielfältigen neuzeitlichen Wege gibt Hinweise auf besondere Standorte, vor allem deutliche Knotenpunkte außerhalb von größeren Siedlungen (z. B. Stockach, Engen). Analog zu anderen Städtegründungen können auch hier Vorgängersiedlungen vermutet werden (vgl. Schreg 2006). Neben den genannten regionalen, natürlichen Fixpunkten können die „-ingen“-Orte, archäologische Fundstellen und schriftliche Quellen eingesetzt werden. Anhand von Kriterien dieser Epoche könnte ein erstes Wegenetz entworfen werden. 6.3.4 Fazit

„Vor allem für prähistorische Epochen werden […] Handelsbeziehungen und Transportrouten rekonstruiert, die sich nur schwer auf bestimmte Linienführungen festlegen lassen. Es bleibt bei räumlichen Beziehungen und der Annahme von Verkehrsrouten, aber immerhin doch bei dem Nachweis eines Ferntransports“ (Denecke 2013, S. 178). Wie in der Einleitung diskutiert, bleibt die Suche und Identifizierung von (prä-)historischen Landwegen noch immer eine He-rausforderung, auch wenn Transportaktivitäten nachgewiesen werden können. Es ist wissen-schaftlicher Konsens, dass aufgrund der natürlichen raumzeitlichen Dynamik von Wegen nie alle historischen Abschnitte erfasst werden können und für die große Mehrzahl je vom Men-schen begangener Wege keine materiellen Relikte zu erwarten sind. Welche Kriterien für die jeweiligen archäologischen Kulturen wichtig waren, bleibt ebenso offen.

Aus Sicht der Altstraßenforschung finden sich jedoch immer wieder archäologische Entde-ckungen und darauf basierende Modelle und Konzepte, die das Untersuchungsobjekt so span-nend machen, wie aktuelle Ausgrabungen zeigen: „[…] sind nun ganz unterschiedliche Straßen-kategorien [der Römerstraßen] zutage gekommen, die wichtige Ergänzungen zum bisherigen Kenntnisstand darstellen, aber auch ganz neue Forschungsperspektiven eröffnen“ (Scheschke-witz 2017, S. 78). Viele indirekte Hinweise aus der Siedlungsarchäologie, Dendrochronologie,

257

Paläobotanik, Paläogenetik und Isotopenanalyse zeigen die frühe und vielfältige Mobilität des Menschen, seiner sozialen Kontakte und die seiner Güter und Wohnhäuser.

Allein in den Entwicklungsjahren der vorliegenden Arbeit haben sich viele Bausteine für die Wegeforschung entwickelt, die neue Ansätze ermöglichen. Einerseits sind wichtige Quellen heu-te kostenfrei online verfügbar wie die beiden verwendeten Kartenwerke, umfangreiche neue Digitalisate des Landesarchivs Baden-Württemberg zu historischen Karten oder Findmitteln, Zugang zu vielfältigen historischen Karten über das Projekt „Old Maps Online“ oder die speziell initiierte Auswertung der Reliefparameter aus der Bodenkarte Baden-Württemberg als Web-dienst. Andererseits erweitern sich Methoden der (Geo-)Informatik auch für archäologische Fragestellungen (Verhagen 2018), wie beispielsweise das (raumzeitliche) data mining, das „com-putergestützt und algorithmisch nach Mustern, Regeln und Beziehungen [sucht], die allgemein gültig, neu aber nicht trivial, sowie nützlich und verständlich sind“ (Laube 2011, S. 50). Hier könnten die entwickelten Kriterien beispielsweise als fachliche Regeln eingesetzt werden.

Die interdisziplinären Forschungsergebnisse haben wesentlich zum Erreichen des vorliegen-den Untersuchungsziels beigetragen. Neben der systematischen und strukturierten Zusammen-fassung von Grundlagen der Altstraßenforschung ist vor allem die Erweiterung der Wegefor-schung in vorgeschichtliche Epochen mit den entwickelten theoretischen und methodischen Ansätzen möglich. Mit dem Kriterienkatalog steht nun ein umfangreicher, flexibler Werkzeug-kasten zur Verfügung, der je nach raumzeitlicher Fragestellung eingesetzt und angepasst werden kann. Die Übertragbarkeit auf andere Gebiete wird damit grundsätzlich vereinfacht. Viele neue aufgezeigte Fragestellungen und Forschungsimpulse unterstützen zudem die methodische Wei-terentwicklung der Wegeforschung.

„Die Altwegeforschung ist zu einem beträchtlichen Teil ein auf der Kompilation von Beob-achtungen, Daten und Belegen beruhender Forschungszweig. Die Veröffentlichung der Unter-suchungsergebnisse erfordert größte Genauigkeit und Vollständigkeit, da sie zunächst als In-ventarisation den Charakter einer Quellenpublikation hat. […] Material- und Forschungslücken sollten aus jeder Quellenzusammenstellung hervorgehen, so daß eine Beurteilung und Fort-führung der Arbeiten durch andere möglich ist“ (Denecke 1979, S. 442). Diese Forderung kann durch die vorliegende Arbeit, den Kriterienkatalog und die transparente Herleitung der Quellen und Methoden erfüllt werden. Die „Archäoprognose“ von (prä-)historischen Wegen steht aller-dings erst am Anfang.

258

7 Quellen- und Literaturverzeichnis

Ungedruckte Quellen

Karten, Geodaten, Geodatendienste

Literaturverzeichnis

285

8 Abbildungs- und Tabellennachweis

Abbildungsnachweis

1–4; 8; 16; 24; 27, 29, 33–36, 38, 40, 42, 44, 52–63: Verf.

5: © Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart/Jan König – 6: © Lan-desamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart/Foto: Otto Braasch, L8118-007-05_549-28_SW – 7: Gross et al. 2010, S. 67 – 9: Universitätsbibliothek Freiburg i. Br./Historische Sammlungen (Signatur S 7641,m), Beilage zu Naeher 1888  – 10: Denecke 1969 (Beilage)  – 11: Kartenausschnitt https://map.geo.admin.ch, reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA200034)  – 12: Postrouten (Postcourse) in Baden-Württemberg 1490 bis 1803, bearbeitet von Walter Leibbrand (1979), aus: Historischer Atlas von Baden-Württemberg, herausgegeben von der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landesvermessungsamt Baden-Württemberg, Stuttgart 1972–1988, Karte X,2 (Aus-schnitt)  – Copyright Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg und Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg, 05.2020, Az.: 2851.2-A/1061 – 13: Flury 2009, S. 98 – 14: Nakoinz 2012b, S. 77 – 15: Casey 2006, S. 192 – 17: Terberger et al. 2017, Abb. 7 – 18: Rösch et al. 2008, Abb. 26 – 19: Köninger 2016, Abb. 302 – 20: Königsitinerar Heinrich IV., bearbeitet von Hansmartin Schwarzmaier, in: Ders., Beiwort zur Karte V,2: Das Königsgut in karolingischer, ottonischer und salischer Zeit, aus: Histori-scher Atlas von Baden-Württemberg. Erläuterungen, herausgegeben von der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Stuttgart 1976, S. 8 – 21: Generallandes-archiv Karlsruhe Síg. 79 P 10 Nr. 73 a K 1 (s. Veröffentlichungs- und Vervielfältigungsrechte des Landesarchivs Baden-Württemberg) – 22: nach Schiffer 1972 – 23: TK25 – 25: modifiziert nach Verhagen et al. 2012, Abb. 3 – 26: Thema Naturraum (Grundlage: Daten aus dem Umweltinfor-mationssystem (UIS) der LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg, Stand der Da-ten: 2006), TK200 – 28: DGK5, TK25 – 30: TA1848 – 31: TA1848, SK1797, TK25 – 32: TK200 – 37: BK50, TK50 – 39: BK50, ADAB, TK50 – 41: BK50, WMS Dienst Reliefparameter (Höhe über Tiefenlinie), TK25 – 43: WMS Dienst Reliefparameter (Exposition), TK25 – 45: WMS Dienst Reliefparameter (Hangneigung), TK25 – 46–47: ADAB, TK50 – 48: ADAB, TK25 – 49: TK200 – 50–51, 64–67: ADAB, TK25

286

Tabellennachweis

1; 3; 4, 14, 15, 16, 19, 23–25: Verf.

2: verkürzt aus Denecke 1979, S. 437 – 5: gekürzt und ergänzt nach Scharl 2017, S. 22 – 6: nach Denecke 2001, Schliephake et al. 2005, Murrieta-Flores 2010, Flade 2013, Fetsch 2017, Meller et al. 2017 – 7: ergänzt nach Sommer 1991, S. 59ff – 8: Eggert 2012, S. 115 – 9: zusammengefasst und gekürzt nach Schiffer 1972, Sommer 1991 – 10a: nach Becker 1982, Gerlach 2007, Haack 2016, Köninger 2016 – 10b: nach Bork et al. 1998, Gerlach 2007, Blöck 2016, Scheschkewitz 2017 – 10c: nach Hertlein 1924 – 11a: nach Gerlach 2007 – 11b: nach Gerlach 2007, Schreg 2013, Haupt 2013 – 11c: nach Haupt 2013 – 12: zusammengefasst nach Hertlein 1924, Schreg 2013, Fütterer 2016, Blöck 2016 – 13: nach Münch 2008, Ebersbach 2015 – 17: nach Stigloher 1984 – 18: nach Großherzoglich badischer Generalstab 1839 – 20, 21: zusammengefasst durch Exper-tenwissen des Regierungspräsidiums Freiburg, Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau, Referat 93 Landesbodenkunde, nach BK50 – 22: nach Kothe 2007 – Anhang Bodenkundliche Einheiten: Verwendete Einheiten nach BK50 (Stand Dezember 2016), Bewertung durch Exper-tenwissen des Regierungspräsidiums Freiburg, Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau, Referat 93 Landesbodenkunde

Abkürzungen:

288

Anhang Kriterienkatalog

Straßenkörper

Trockener Untergrund Trockener Untergrund Ausprägun g Trockener Untergrund Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume, Bevorzugung von wasserdurchlässigen Bodentypen Überlieferung mittel, z. B.• in ländlichen Gebieten nahezu ungestörte Bodenentwicklung• natürliche Überprägungen durch Erosion, Akkumulation, Vernässung• anthropogene Überprägungen durch Überbauung, Landnutzung Auffindungssituation gut, bei geringer Überprägung und sichtbaren Relikten Nachweismöglichkeiten naturwissenschaftliche Karten, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten, historische Karten Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch rezente Bodeneinheiten Bemerkung geringe Orientierung in technisch orientierten Epochen Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitX(X)FrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX(X)19. JahrhundertX(X) Literatur

Landau 1856, Marschalleck 1964, Denecke 1969, Schwarz 1989, Schenk 1999, Denecke 2007b, Murrieta-Flores 2010, Vieweger et al. 2012, Schreg 2013

290

Ausprägung Vermeiden von Feuchtgebieten Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume, Vorkommen je nach natürlichen Bodenverhältnissen Überlieferung schlecht,• „Umgebungs-“wege meist nicht den originären Feuchtgebieten zuordenbar • natürliche Überprägung durch veränderte hydrologische Bedingungen• starke anthropogene Überprägung durch Trockenlegung

Auffindungssituation mittel, wenn neuzeitliche Wege zeitlich vor größeren anthropogenen Eingriffen nachweislich Feuchtgebiete umgehen, kann dort evtl. eine vorgeschichtliche Wegführung angenommen werden

Nachweismöglichkeiten naturwissenschaftliche Karten und Untersuchungen, Auswertung von Luft-bildern und LiDAR-Daten, historische Karten

Umsetzung mit GIS schwierig• Voraussetzung ist die Rekonstruktion historischer Landschaftszustände• eine Annährung mit rezenten Feuchtgebieten muss als kritisch angesehen werden.

• digitale Erfassung erforderlich

Bemerkung geringe Orientierung am Ausschlusskriterium in technisch orientierten Epo-chen. Vermeidung von Mooren als wichtiger Faktor für least-cost Path Modelle Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitX(X)FrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX(X)19. Jahrhundert(X)(X) Literatur

Marschalleck 1964, Leise 1986, Schwarz 1989, Lay 1994, Humpert 1995, Jäger 1996, Nakoinz 2012a, Herzog 2016

291

Ausprägung Kürzeste Übergänge über Feuchtgebiete Vorkommen und Verbreitung linear, alle Naturräume, bei großen Feuchtgebieten, für die ein Umweg nicht energieökonomisch wäre

Überlieferung mittel, • Sohle meist mit baulichen Maßnahmen gesichert z. B. Bohlen, Stege• Wüstfallen häufig• starke natürliche Überprägung durch Überwuchern• starke anthropogene Überprägung durch Trockenlegung

Auffindungssituation mittel, • nur wenn Start- und Zielpunkte bekannt sind und Ausgrabungen erfolgen• schwierige Zugänglichkeit falls Feuchtgebiete noch vorhanden• rezente Bodeneinheiten geben nur bedingt die früheren Verhältnisse wieder (Abgrenzung historischer Feuchtgebiete): schwierige räumliche Eingrenzung der Übergänge

• meist nicht an der Oberfläche sichtbar

Nachweismöglichkeiten naturwissenschaftliche Karten und Untersuchungen, Auswertung von Luftbil-dern und LiDAR-Daten, historische Karten, archäologische Ausgrabungen

Umsetzung mit GIS schwierig• Voraussetzung ist die Rekonstruktion historischer Landschaftszustände• eine Annährung mit rezenten Feuchtgebieten muss als kritisch angesehen werden.

• digitale Erfassung erforderlich Bemerkung geringe Orientierung in technisch orientierten Epochen. Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitX(X)FrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX(X)19. Jahrhundert(X)(X) Literatur

Schwarz 1989, Lay 1994, Johannsen et al. 2010

292

Ausprägung Pfade bis 2,5 m Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume Überlieferung schlecht,• Wüstfallen häufig• starke natürliche Überprägung durch Überwuchern, Erosion, Akkumulation• anthropogene Überprägung durch Nachnutzung, Wegbesserungsmaßnah-men, Flurneuordnung

Auffindungssituation schlecht • am originären Standort • nicht an der Oberfläche sichtbar• oft Zufallsfunde (geringe Objektgröße)• schwierige Abgrenzung zum umgebenden Boden

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, archäologische

Ausgrabungen, geophysikalische Untersuchungen Umsetzung mit GIS schwierig, da keine räumlichen Daten vorhanden Bemerkung Fuß- und Saumwege: Pfade, Steigen Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX19. Jahrhundert

Literatur

Casson 1976, Denecke 1979, Gaitzsch 1988, Grewe 2000b, Vermeulen et al. 2001, Blöck 2016

293

Ausprägung Fahrwege 4–7 m

Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume

Überlieferung mittel,

• häufig lang andauernde Instandhaltung• natürliche Überprägung durch Überwuchern, Erosion und Akkumulation• starke anthropogene Überprägung durch Nach- und Sekundärnutzung, Flur-neuordnung, Wege- und Siedlungsbau Auffindungssituation mittel,

• am originären Standort

• schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen• mittelalterliche bis neuzeitliche Abschnitte im rezenten Straßenbild häufig• als „abgehängte“ Linienführung (z. B. Wirtschaftsweg) oft noch vorhanden

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, archäologische

Ausgrabungen, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch

• digitale Daten der rezenten Ortsstraßen• manuelle Erfassung der Wege aus historischen Karten Bemerkung Fernstraßen (Naturwege), zweispurige Nebenstraßen (Kunstweg) Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteX

RömerzeitXXFrühmittelalterX

HochmittelalterX

Spätmittelalter und NeuzeitX

18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Paret 1961, Casson 1976, Struck 1976, Denecke 1979, Schallmayer 1986, Gaitzsch 1988, Humpert 1991, Lay 1994, Humpert 1995, Grewe 2000b, Vermeulen et al. 2001, Bolliger 2005b, Bofinger et al. 2011, Thoma 2013, Bollacher et al. 2014, Feigel 2015, Blöck 2016

294

Ausprägung Ausgebaute Fahrwege bis 15 m Vorkommen und Verbreitung linear, alle Naturräume, nur in Landschaften mit längerer ehemals römischer

Besiedlung Überlieferung gut,

• Persistenz durch bauliche Strukturen und lange Nutzungsdauer• natürliche Überprägung durch Überwuchern• starke anthropogene Überprägung durch Nach- und Sekundärnutzung, Flur-neuordnung, Wegebau Auffindungssituation gut,

• am originären Standort• häufig Nachweise über schriftliche Quellen und Fernerkundung• Linienführung oft im rezenten Straßenbild

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, archäologische

Ausgrabungen, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten

Umsetzung mit GIS möglich,• manuelle oder automatische Interpretation aus LiDAR-Daten• ggf. manuelle Erfassung aus historischen Karten erforderlich• ggf. als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden Bemerkung „Klassische Römerstraße“ (Fernstraße) Epoche Naturweg Kunstweg Vorgeschichte

RömerzeitXFrühmittelalter

Hochmittelalter

Spätmittelalter und Neuzeit

18. Jahrhundert

19. Jahrhundert

Literatur

Denecke 1979, Schwarz 1989, Kortüm 2014, Kunitz et al. 2017

295

Ausprägung Gewachsener standorttypischer Boden Vorkommen und Verbreitung Flächig, alle Naturräume Überlieferung schlecht,

• starke natürliche Überprägung (Überwuchern, Erosion, Akkumulation, Ver-nässung)

• starke anthropogene Überprägung durch Nach- und Sekundärnutzung, Flur-neuordnung, Wege- und Siedlungsbau, Zerschneidung Landschaft

Auffindungssituation schlecht,• keine Befunde möglich, da kein Unterschied zum umgebenden Boden• schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen• häufig durch moderne Landwirtschaft eingeebnet

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, Flur und

Wegenamen, schriftliche Quellen, archäologische Ausgrabungen

Umsetzung mit GIS schwierig, • Voraussetzung ist die Rekonstruktion historischer Landschaftszustände• manuelle Erfassung aus historischen Karten Bemerkung

Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX(X)19. JahrhundertX(X) Literatur

Vieweger et al. 2012, Pollak 2013, Thoma 2013, Scheschkewitz 2017, Vogt 13.06.2017

296

Ausprägung Holzkonstruktionen Vorkommen und Verbreitung linear, alle Naturräume, in Landschaftsbereichen mit überwiegend feuchtem

Untergrund

Überlieferung mittel,• Persistenz durch bauliche Strukturen• Wüstfallen häufig• starke natürliche Überprägung durch Überwuchern• anthropogene Überprägung durch Trockenlegung, Erosion, Akkumulation

Auffindungssituation mittel,• meist am originären Standort • meist nicht an der Oberfläche sichtbar • meist Zufallsfunde (geringe Objektgröße, Ungleichverteilung, geringe Quan-tität)

Nachweismöglichkeiten Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten, archäologische Ausgrabungen, geophysikalische Messmethoden, historische Karten

Umsetzung mit GIS schwierig,• keine räumlichen Daten vorhanden • ggf. digitale Erfassung erforderlich• ggf. bereits als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden Bemerkung Bohlenwege, Pfähle Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Casson 1976, Denecke 2002, Bolliger 2005b, Denecke 2007b, Bofinger et al. 2011, Scheschkewitz 2017

297

Ausprägung Künstlich aufgetragener Straßenkörper Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume, in ehemals römisch besetzten Gebieten bzw. an neu-zeitlichen Fernstraßen

Überlieferung mittel,

• erst ab Mittelalter angelegt

• natürliche Überprägung (Erosion, Akkumulation) • starke anthropogene Überprägung durch Nach- und Sekundärnutzung, Flur-neuordnung, Wege- und Siedlungsbau, Zerschneidung Landschaft Auffindungssituation gut,

• mittelalterliche bis neuzeitliche Abschnitte im rezenten Straßenbild häufig• ausreichende Form und Größe

• Lokalisierung über historische Karten oft möglich

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten, historische Karten, archäologische Ausgrabungen, geophysikali-sche Untersuchungen

Umsetzung mit GIS möglich,

• manuelle oder automatische Interpretation aus LiDAR-Daten • ggf. manuelle Erfassung aus historischen Karten erforderlich• ggf. als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden

Bemerkung meist Lehm-Kies-Lagen, Pflästerung, wichtiges Suchkriterium für römerzeit-liche Wege

Epoche Naturweg Kunstweg Vorgeschichte

Römerzeit(X)XFrühmittelalter

Hochmittelalter

Spätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX19. JahrhundertX Literatur

Casson 1976, Struck 1976, Schallmayer 1986, Gaitzsch 1988, Grewe 2000b, Vermeulen et al. 2001, Bolliger 2005b, Bofinger et al. 2011, Kolb 2012, Vieweger et al. 2012, Pollak 2013, Blöck 2016, Scheschkewitz 2017Pflästerungen: Casson 1976, Humpert 1991, Kolb 2012, Schußmann 2012, Bollacher et al. 2014, Feigel 2015

298

Ausprägung Gräben

Vorkommen und Verbreitung linear, Flachland, meist in Landschaften mit längerer ehemals römischer Be-siedlung an größeren Straßen

Überlieferung schlecht,

• sehr starke natürliche Überprägung (Überwuchern, Akkumulation) • starke anthropogene Überprägung durch Flurneuordnung, Wegebau, Zer-schneidung Landschaft

Auffindungssituation mittel,

• am originären Standort

• meist Zufallsfunde (geringe Objektgröße, Ungleichverteilung, geringe Quan-tität)

• lokalisierbar an neuzeitlichen Wegen• häufig durch moderne Landwirtschaft eingeebnet

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von Luftbildern und

LiDAR-Daten, archäologische Ausgrabungen, geophysikalische Untersuchungen Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch

• manuelle oder automatische Interpretation aus Luftbildern und LiDAR-Daten Bemerkung Wasserabzugsgräben entlang größerer Straßen Epoche Naturweg Kunstweg Vorgeschichte

RömerzeitXFrühmittelalter

Hochmittelalter

Spätmittelalter und Neuzeit(X)

18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Struck 1976, Humpert 1995, Grewe 2000b, Vermeulen et al. 2001, Bolliger 2005b, Bofinger et al. 2011, Blöck 2016

299

Ausprägung Materialentnahme

Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, an frequentierten Wegen mit häufigem Ausbesse-rungsbedarf (z. B. Steilstrecken, Dammwege)

Überlieferung schlecht,

• sehr starke natürliche Überprägung (Überwuchern, Akkumulation)

• starke anthropogene Überprägung durch Flurneuordnung, Wegebau, Zer-schneidung Landschaft

Auffindungssituation schlecht,

• am originären Standort

• meist Zufallsfunde (geringe Objektgröße, Ungleichverteilung, geringe Quan-tität)

• lokalisierbar an neuzeitlichen Wegen

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten, archäologische Ausgrabungen, geophysikalische Untersuchun-gen

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch

• manuelle oder automatische Interpretation aus Luftbildern und LiDAR-Daten

Bemerkung z. B. Kiesgruben oder kleine Steinbrüche

Epoche Naturweg Kunstweg

Vorgeschichte

RömerzeitX

Frühmittelalter

HochmittelalterX

Spätmittelalter und NeuzeitX

18. JahrhundertXX

19. JahrhundertXX

Literatur

Schallmayer 1986, Blöck 2016

300

Ausprägung Begrenzungen Vorkommen und Verbreitung linear, alle Naturräume Überlieferung mittel, • häufig lang andauernde Instandhaltung • natürliche Überprägung durch Erosion • anthropogene Überprägung durch Nach- und Sekundärnutzung, Flurneu-ordnung, Wege- und Siedlungsbau

Auffindungssituation mittel,• am originären Standort • schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen• neuzeitliche Abschnitte im rezenten Straßenbild häufig

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, archäologische

Ausgrabungen, geophysikalische Untersuchungen

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung• durch digitale Daten der rezenten Ortsstraßen• manuelle Erfassung der Wege aus historischen Karten• ggf. als Objekt in den Datenbanken der Denkmalpflege/Naturschutz vorhan-den Bemerkung z. B. Baumalleen, Mauern, Zäune Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Lay 1994, Bundesamt für Strassen 1999, Bolliger 2005b, Denecke 2013

301

Ausprägung Brücken Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, an Übergängen über Flüssen oder Feuchtgebieten Überlieferung mittel, • Persistenz durch bauliche Strukturen• Datiermöglichkeiten durch Begleitfunde, Dendrochronologie• häufig natürliche Überprägung durch Überschwemmung, Erosion • anthropogene Überprägung durch Nachnutzung, Wegbesserungsmaßnah-men, Gewässerregulierungen

Auffindungssituation mittel, • ausreichende Form und Größe• am originären Standort • meist Zufallsfunde (geringe Objektgröße, Ungleichverteilung, geringe Quantität)

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von LiDAR-Daten, historische Karten, archäologische Ausgrabungen, schriftliche Quellen, geo-physikalische Untersuchungen, Flur und Wegenamen

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch• rezente Standorte• ggf. als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden • ggf. digitale Erfassung erforderlich Bemerkung Holz- und Steinbrücken Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Casson 1976, Denecke 1979, Rehbein 1984, Humpert 1995, Grewe 2000a, Denecke 2002, Bolliger 2005b, Denecke 2007a, Denecke 2007b, Schußmann 2012, Vieweger et al. 2012, Kortüm 2014

302

Ausprägung Sohlen- und Böschungsbefestigung Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, nur bei frequentierten Straßen, an Hangaufstiegen, auf schwierigem Untergrund, Furten

Überlieferung mittel, • häufig lang andauernde Instandhaltung • starke natürliche Überprägung durch Erosion • starke anthropogene Überprägung durch Nach- und Sekundärnutzung, Flur-neuordnung, Wege- und Siedlungsbau

Auffindungssituation schlecht,• am originären Standort • kaum Befunde möglich, da kein Unterschied zum umgebenden Boden• meist Zufallsfunde (geringe Objektgröße, Ungleichverteilung, geringe Quan-tität)

• schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von LiDAR-Daten, historische Karten, archäologische Ausgrabungen, geophysikalische Untersu-chungen

Umsetzung mit GIS schwierig, • Voraussetzung ist die Rekonstruktion historischer Landschaftszustände• selbst der Einsatz von DGK5 muss als kritisch angesehen werden.

Bemerkung lokaler, kleinräumiger ingenieurbiologischer Verbau wie Rampen, Hangsiche-rung, Trittplatten, Faschinen, Flechtzaun Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Humpert 1995, Grewe 2004, Bolliger 2005b, Denecke 2007a

303

Linienführung – Einfache Topographie

Geradliniger Verlauf Leicht schlängelnd, dem Gelände folgend Ausprägung Leicht schlängelnd, dem Gelände folgend Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume, vor allem Flach- und Hügelland Überlieferung schlecht,• Wüstfallen häufig, da meist wenig materielle Substanz• natürliche Überprägung durch Erosion, Vernässung und Überwuchern• anthropogene Überprägung durch aktuelle Landnutzung, Siedlungsbau,

Flurneuordnung

Auffindungssituation mittel, • wenn Start- und Zielpunkt bekannt• meist keine Befunde, da kein Unterschied zum umgebenden Boden• meist nicht an der Oberfläche sichtbar

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, archäologische

Ausgrabungen

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung:

• wenn Start- und Zielpunkt bekannt durch manuelle Erfassung aus Karten Bemerkung wichtigstes Suchkriterium für natürlich belassene Wege Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX19. JahrhundertX Literatur

Krünitz et al. 1856, Denecke 1969, Casson 1976, Schwarz 1989, Schaur 1992, Denecke 1996, Schenk 1999, Hum-pert 1995, Grewe 2000b, Grewe 2004, Bauer 2007, Humpert et al. 2007, Nakoinz 2012b, Posluschny 2012, Kunitz et al. 2017

304

Ausprägung Zusammengesetzt aus geraden Strecken Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume, meist in flacheren Bereichen Überlieferung mittel

• meist stark ausgebaute Abschnitte, daher längere Lebensdauer • natürliche Überprägung (Erosion, Akkumulation)• Wüstfallen häufig

• Sekundärnutzung möglich (Steinbruch) Auffindungssituation gut

• ausreichende Form und Größe

• meist am originären Standort

• oft mit Methoden der Fernerkundung erkennbar

Nachweismöglichkeiten Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten, archäologische Ausgrabungen, geophysikalische Messmethoden, historische Karten Umsetzung mit GIS möglich, aber

• digitale Erfassung erforderlich

• ggf. bereits als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden

Bemerkung zwischen den zusammengesetzten Strecken befinden sich Wegeknoten mit deutlichem Richtungswechsel

Epoche Naturweg Kunstweg Vorgeschichte

RömerzeitXFrühmittelalter

Hochmittelalter

Spätmittelalter und Neuzeit

18. JahrhundertX19. JahrhundertX Literatur

Hertlein 1924, Filtzinger, Philipp 1979, Rehbein 1984, Schwarz 1989, Humpert 1991, Kolb 2012

305

Ausprägung Am Hangfuß entlang Vorkommen und Verbreitung linear, Hügel- und Bergland Überlieferung schlecht, • Wüstfallen häufig • sehr starke natürliche Überprägung durch Akkumulation, Erosion, Vernäs-sung

• anthropogene Überprägungen durch Überbauung, Landnutzung

Auffindungssituation schlecht, • kaum Befunde möglich, da kein Unterschied zum umgebenden Boden • schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen• häufig durch moderne Landwirtschaft eingeebnet

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, Flur und Wegenamen, schriftliche Quellen, archäologische Ausgrabungen, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten

Umsetzung mit GIS möglich, als Annäherung durch • Abschätzung Digitalem Geländemodell• manuelle Erfassung über Höhenlinien Bemerkung

Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. Jahrhundert

Literatur

Marschalleck 1964, Casson 1976, Schenk 1999, Denecke 1969, Denecke 1979, Denecke 1996, Denecke 2007a, Murrieta-Flores 2010

306

Ausprägung Höhenlinien folgend Vorkommen und Verbreitung flächig, Hügel- und Bergland Überlieferung schlecht, • Wüstfallen häufig bei Hangaufstiege• starke natürliche Überprägung durch Überwuchern, Erosion, Akkumulation• starke anthropogene Überprägung durch Nachnutzung, Wegbesserungs-maßnahmen, Flurneuordnung

Auffindungssituation schlecht, • keine Befunde möglich, da kein Unterschied zum umgebenden Boden• schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen• ggf. aufgelassene Hohlwege in Waldflächen

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, Auswertung von LiDAR-Daten

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch • Abschätzung aus dem Digitalen Geländemodell• ggf. Manuelle Erfassung der Höhenlinien erforderlich Bemerkung sowohl senkrecht zu Höhenlinien als auch auf einer Höhe bleibend Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Marschalleck 1964, Humpert 1995, Denecke 1996, Denecke 2007a, Nakoinz 2012b

307

Ausprägung Witterungsabhängige Linienführung Vorkommen und Verbreitung flächig, Naturräume mit schwierigen Bodenverhältnissen Überlieferung schlecht, z. B.• Wüstfallen häufig, da wenig materielle Substanz und wenig Nutzung• natürliche Überprägung je nach Hangposition und Bodenverhältnissen• meist generelle anthropogene Überprägung

Auffindungssituation schlecht, • erst durch schriftliche Quellen belegbar, aber schwierige Lokalisierung• meist keine baulichen Relikte, kein Unterschied zum umgebenden Boden• Sachgesamtheiten nicht erkennbar

Nachweismöglichkeiten schriftliche Quellen, historisch-geographische Geländeaufnahme, historische

Karten Umsetzung mit GIS schwierig, da keine räumlichen Daten vorhanden Bemerkung großräumige alternative Routen Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. Jahrhundert

19. Jahrhundert

Literatur

Schenk 1999, Humpert 1995, Denecke 2007b, Nakoinz 2012b, Posluschny 2012, Denecke 2013, Pollak 2013

308

Ausprägung Dreiarmig mit < 30° Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume, je nach Siedlungs- bzw. Wegdichte und ungestörten

Entwicklungsmöglichkeiten

Überlieferung mittel,• Wüstfallen nur bei kulturellen Umbrüchen• in späteren Epochen oft ausgebaut (Festigung der Linienführung)• anthropogene Überprägung durch Neuanlage von Wegen (andersgelagerte neue Zuwege, moderne T-Kreuzungen, Flurneuordnung)

Auffindungssituation mittel,• mittelalterliche bis neuzeitliche Abschnitte im rezenten Straßenbild häufig• als „abgehängte“ Linienführung (z. B. Wirtschaftsweg) oft noch vorhanden

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten, geophysikalische Untersuchungen

Umsetzung mit GIS möglich,

• digitale Erfassung erforderlich bzw. automatische Berechnungen der Winkel zwischen zwei Abschnitten über Datenbankprogramme Bemerkung Suchkriterium für natürlich entstandene Wege Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX19. Jahrhundert

Literatur

Schwarz 1989, Schaur 1992, Schenk 1999, Humpert 1995, Ankowitsch 12.08.2010, Humpert et al. 2007, Beck et al. 2007, Kortüm et al. 2018

309

Ausprägung Dreiarmig mit > 30°

Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume, je nach Siedlungs- bzw. Wegdichte Überlieferung gut,

• meist erst ab Hochmittelalter künstlich angelegt • in späteren Epochen oft ausgebaut (Festigung der Linienführung)• anthropogene Überprägung durch Neuanlage von Wegen z. B. Flurneuord-nung

Auffindungssituation gut,

• mittelalterliche bis neuzeitliche Abschnitte im rezenten Straßenbild häufig• T-Kreuzungen als solche erkennbar

• Lokalisierung über historische Karten oft möglich

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten, geophysikalische Untersuchungen Umsetzung mit GIS möglich,

• digitale Erfassung erforderlich bzw. automatische Berechnungen der Winkel zwischen zwei Abschnitten über Datenbankprogramme Bemerkung

Epoche Naturweg Kunstweg Vorgeschichte

RömerzeitXFrühmittelalter

HochmittelalterX

Spätmittelalter und NeuzeitX

18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Schwarz 1989, Schaur 1992, Schenk 1999, Humpert 1995, Ankowitsch 12.08.2010, Humpert et al. 2007, Beck et al. 2007, Kortüm et al. 2018

310

Ausprägung Viele parallele Strecken Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume, nur in naturbelassenen Linienführungen Überlieferung schlecht,• Wüstfallen häufig, da wenig materielle Substanz und wenig Nutzung• starke natürliche Überprägung durch Überwuchern, Erosion, Akkumulation• starke anthropogene Überprägung durch Nachnutzung, Wegbesserungs-maßnahmen, Flurneuordnung, Siedlungsbau

Auffindungssituation mittel,

• in Hanglagen als Hohlwege mit Spurbündel, sonst keine Sachgesamtheiten erkennbar• kaum Befunde möglich, da kein Unterschied zum umgebenden Boden• schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, archäologische

Ausgrabungen, Auswertung von LiDAR-Daten

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung,• manuelle oder automatische Interpretation aus LiDAR-Daten für Hohlwege • ggf. manuelle Erfassung aus historischen Karten erforderlich • ggf. keine räumlichen Daten vorhanden Bemerkung zeitlich bis zur Fixierung der Linienführungen im 18. und 19. Jahrhundert Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitX(X)FrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX19. Jahrhundert

Literatur

Marschalleck 1964, Denecke 1979, Lay 1994, Denecke 1996, Bundesamt für Strassen 1999, Schenk 1999, Denecke 2007b, Johannsen et al. 2010, Fütterer 2016

311

Ausprägung Kürzeste Strecke senkrecht zum Gewässer Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume mit überquerbaren Gewässern Überlieferung schlecht, • Wüstfallen häufig, außer bei materieller Substanz• sehr starke natürliche Überprägung durch Überschwemmungen, Erosion • starke anthropogene Überprägung durch Nachnutzung, Wege- und Brü-ckenbau, Gewässerregulierungen

Auffindungssituation schlecht, • schwierige Lokalisierung und nicht am originären Standort• keine Befunde möglich, da kein Unterschied zum umgebenden Boden

Nachweismöglichkeiten naturwissenschaftliche Karten und Untersuchungen, Auswertung von Luftbil-dern und LiDAR-Daten, historische Karten, archäologische Ausgrabungen

Umsetzung mit GIS schwierig, • hoher Aufwand für Recherche bei frühen Epochen• Voraussetzung ist die Rekonstruktion historischer Landschaftszustände• Eine Annährung mit rezenten Übergängen muss als kritisch angesehen werden. Bemerkung wechselnde Standorte an überwiegend unregulierten Fliessgewässern Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Marschalleck 1964, Leise 1986, Lay 1994, Schenk 1999, Humpert et al. 2007, Murrieta-Flores 2012, Posluschny 2012, Schreg 2013

312

Ausprägung Nutzung von Untiefen und Inseln

Vorkommen und Verbreitung linear, alle Naturräume mit überquerbaren Gewässern Überlieferung schlecht,

• Wüstfallen häufig

• sehr starke natürliche Überprägung durch Überschwemmungen, Erosion • starke anthropogene Überprägung durch Nachnutzung, Wege- und Brü-ckenbau, Gewässerregulierungen

Auffindungssituation schlecht,

• oft schwierige Lokalisierung und nicht am originären Standort• keine Befunde möglich, da kein Unterschied zum umgebenden Boden• Nachweise ab Hochmittelalter über schriftliche Quellen und historische Kar-ten möglich

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, schriftliche Quel-len, Flur und Wegenamen, Auswertung von Luftbildern und LIDAR-Daten Umsetzung mit GIS schwierig,

• hoher Aufwand für Recherche bei frühen Epochen• Voraussetzung ist die Rekonstruktion historischer Landschaftszustände• eine Annährung mit rezenten Übergängen muss als kritisch angesehen werden.

Bemerkung wechselnde Transsekte an überwiegend unregulierten Fließgewässern mit breiten Flussbetten

Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteX

RömerzeitXXFrühmittelalterX

HochmittelalterX

Spätmittelalter und NeuzeitX

18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Marschalleck 1964, Denecke 1969, Leise 1986, Lay 1994, Schenk 1999, Denecke 2007a, Denecke 2007b, Johann-sen et al. 2010

313

Ausprägung Hindernisse eng umgehend Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, meist entlang von Tobel/Schluchten, Felswände Überlieferung mittel,• keine grundlegende Veränderung des Oberflächenreliefs seit Jahrtausenden• natürliche Überprägung durch Überwuchern, Erosion • sehr starke anthropogene Überprägung durch Nachnutzung, Flurneuord-nung, Wegebau

Auffindungssituation gut,• am originären Standort• mittelalterliche bis neuzeitliche Abschnitte im rezenten Straßenbild häufig• als „abgehängte“ Linienführung (z. B. Wirtschaftsweg) oft noch vorhanden • schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, Flur und

Wegenamen, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung, • manuelle oder automatische Interpretation aus LiDAR-Daten • ggf. manuelle Erfassung aus historischen Karten erforderlich Bemerkung

Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX19. JahrhundertX Literatur

Schenk 1999, Humpert et al. 2007

314

Ausprägung Lange auf Herrschaftsgebiet bleibend

Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume

Überlieferung mittel,

• oft Persistenz durch lange Nutzungsdauer• natürliche Überprägung durch Überwuchern, Erosion• anthropogene Überprägung durch Nachnutzung, Wegbesserungsmaßnah-men

• unbekannte Abgrenzungen der ersten Herrschaftsgebiete im Mittelalter Auffindungssituation mittel,

• am originären Standort

• schwierige zeitliche Zuordnung

• erst durch schriftliche Quellen belegbar, aber schwierige Lokalisierung

Nachweismöglichkeiten schriftliche Quellen, historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch

• digitale Daten der rezenten Gemarkungsgrenzen• manuelle Erfassung der Gemarkungsgrenzen aus historischen Karten Bemerkung

Epoche Naturweg Kunstweg Vorgeschichte

Römerzeit

Frühmittelalter

HochmittelalterX

Spätmittelalter und NeuzeitX

18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Fischer 1943, Feyer 1977, Kessinger 2011, Nakoinz 2012b, Denecke 2013

315

Linienführung – Bewegte Topographie

Höhenwege Höhenwege/Wasserscheiden Ausprägung Höhenwege/Wasserscheiden

Vorkommen und Verbreitung flächig, Hügel- und Bergland, abseits von Siedlungen

Überlieferung mittel,

• keine grundlegende Veränderung der Scheitelbereiche seit Jahrtausenden • Wüstfallen häufig

• natürliche Überprägung durch Erosion und Überwuchern

• anthropogene Überprägung durch aktuelle Landnutzung

Auffindungssituation mittel,

• Lokalisierung durch rezente Wasserscheiden möglich

• meist keine Befunde, da kein Unterschied zum umgebenden Boden

• meist nicht an der Oberfläche sichtbar

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von LiDAR-Daten, historische Karten, archäologische Ausgrabungen, Flur und Wegenamen

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch

• Abschätzung der Scheitelbereiche aus Digitalem Geländemodell

• ggf. manuelle Erfassung über Höhenlinien

Bemerkung bevorzugtes Suchkriterium für vorgeschichtliche Wege, über längere Strecken auf Wasserscheiden

Epoche Naturweg Kunstweg

VorgeschichteX

RömerzeitX(X)

FrühmittelalterX

HochmittelalterX

Spätmittelalter und Neuzeit

18. Jahrhundert

19. Jahrhundert

Literatur

Landau 1856, Schumacher 1909, Fischer 1943, Marschalleck 1964, Denecke 1969, Denecke 1979, Leise 1986, Humpert 1991, Humpert 1995, Denecke 1996, Schenk 1999, Denecke 2007a, Denecke 2007b, Posluschny 2012, Schreg 2013, Fütterer 2016

316

Ausprägung Dammwege

Vorkommen und Verbreitung flächig, Naturräume mit feuchten Talböden, Staunässe oder Überschwem-mungsgefahren

Überlieferung mittel,

• hohe Persistenz durch meist massive bauliche Strukturen• oft Datiermöglichkeiten durch Begleitfunde • natürliche Überprägung durch Erosion und Überwuchern• anthropogene Überprägung durch aktuelle Landnutzung, Flurneuordnung,

Zerschneidung Landschaft, Sekundärnutzung Auffindungssituation mittel,

• ausreichende Form und Größe

• in Waldgebieten oft an der Oberfläche sichtbar• selten im Offenland

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten, historische Karten, archäologische Ausgrabungen, Flur und Wegenamen, Geophysikalische Untersuchungen Umsetzung mit GIS möglich,

• manuelle oder automatische Interpretation aus LiDAR-Daten• ggf. bereits als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden Bemerkung bevorzugtes Suchkriterium für römerzeitliche Wege Epoche Naturweg Kunstweg Vorgeschichte

RömerzeitXFrühmittelalter

Hochmittelalter

Spätmittelalter und Neuzeit

18. JahrhundertX19. JahrhundertX Literatur

Paret 1961, Casson 1976, Fingerlin 1976, Schwarz 1989, Humpert 1991, Lay 1994, Schenk 1999, Grewe 2000b, Denecke 2007b, Kolb 2012, Blöck 2016

317

Ausprägung Moränenrücken Vorkommen und Verbreitung flächig, Naturräume mit breiten Tälern, meist auf nicht überschwemmbaren

Grundmoränen

Überlieferung schlecht, • Wüstfallen häufig• starke natürliche Überprägung durch Verlagerung von Gewässern, Vernäs-sung und Überwuchern

• anthropogene Überprägung durch Gewässerregulierung, aktuelle Landnut-zung

Auffindungssituation schlecht, • meist keine Befunde, da kein Unterschied zum umgebenden Boden• meist nicht an der Oberfläche sichtbar• häufig durch Landwirtschaft eingeebnet

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von LiDAR-Daten, historische Karten, archäologische Ausgrabungen, Flur und Wegenamen, geo-physikalische Untersuchungen

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch Abgrenzung von trockenen Bereichen (Boden-karte) Bemerkung

Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. Jahrhundert

Literatur

Marschalleck 1964, Denecke 1969, Schenk 1999, Denecke 2007b

318

Ausprägung Hochterrasse Vorkommen und Verbreitung flächig, Naturräume mit breiten Tälern und deutlich abgesetzten, höher liegen-den hochwasserfreien Schotterterrassen

Überlieferung schlecht,

• natürliche Überprägung durch Erosion, Verlagerung von Gewässern, Ver-nässung und Überwuchern

• starke anthropogene Überprägung durch Gewässerregulierung, Siedlungs- und Straßenbau

Auffindungssituation schlecht, • oft Landschaftskorridor aus der Geomorphologie bekannt• meist keine Befunde, da kein Unterschied zum umgebenden Boden• meist nicht an der Oberfläche sichtbar

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von LiDAR-Daten, historische Karten, archäologische Ausgrabungen, Flur und Wegenamen, geo-physikalische Untersuchungen

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch • Abgrenzung von trockenen Bereichen (Bodenkarte)• digitale Erfassung der Terrassenbreite Bemerkung

Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Landau 1856, Marschalleck 1964, Schwarz 1989, Schenk 1999, Denecke 2007b

319

Ausprägung Halbe Hanghöhe Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume, meist in Landschaften ohne größere Erosionsgefahr und umfangreichen feuchten Talauen

Überlieferung mittel, • erst ab Hochmittelalter angelegt• häufig natürliche Überprägung (Erosion, Akkumulation) nach Aufgabe• Veränderung durch Flurneuordnung Auffindungssituation gut, häufig noch genutzte Wirtschaftswege Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von Luftbildern und

LiDAR-Daten, historische Karten

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch • Abschätzung der Hangposition aus Digitalem Geländemodell• manuelle Erfassung über Höhenlinien

Bemerkung Zwischenstadium zwischen vorgeschichtlichen Höhenwegen und neuzeitlichen

Talwegen Epoche Naturweg Kunstweg Vorgeschichte

Römerzeit

Frühmittelalter

HochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. Jahrhundert

19. Jahrhundert

Literatur

Marschalleck 1964, Leise 1986

320

Ausprägung Exposition nach Süden Vorkommen und Verbreitung flächig, in Hanglagen, alle Naturräume in Mittel- und Nordeuropa Überlieferung mittel, • keine grundlegende Veränderung der Hangorientierung seit Jahrtausenden • häufig natürliche Überprägung durch Erosion • anthropogene Überprägung durch aktuelle Landnutzung

Auffindungssituation schlecht,

• moderne Landnutzung und Wegesysteme meist unabhängig von Exposi-tion

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von Luftbildern und

LiDAR-Daten, historische Karten

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch

• Abschätzung der Exposition aus Digitalem Geländemodell Bemerkung in technisch orientierten Epochen weniger häufig Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitX(X)FrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX(X)19. Jahrhundert(X)(X) Literatur

Krünitz et al. 1856, Lay 1994, Schenk 1999, Bundesamt für Strassen 1999, Rasbach 2010, Vieweger et al. 2012

321

Ausprägung Fahrwege bis 15 % Vorkommen und Verbreitung flächig, Naturräume mit starkem Relief und keiner Möglichkeit der Umgehung, z. B. Aufstiege zu Bergpässen

Überlieferung schlecht,• zeitlicher Schwerpunkt bis Hochmittelalter• Naturwege nur mit lokaler Wegsicherung• starke natürliche Überprägung durch Erosion• Aufgabe häufig in nachfolgenden Epochen

Auffindungssituation schlecht,• ggf. aufgelassene Hohlwege in Waldflächen• schwierige Zuordnung zu Fuß- oder Fahrwegen bei Naturwegen

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch• Abschätzung Digitalem Geländemodell• manuelle Erfassung über Höhenlinien

Bemerkung gilt für den direkten Aufstieg; ab dem Spätmittelalter Nutzung von Serpentinen bei bereits geringeren Neigungen (zu steil für Verkehrsaufkommen) Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX (5–10 %)18. JahrhundertX (5–10 %)X (5–10 %)19. JahrhundertX (2–6 %) Literatur

Krünitz et al. 1856, Landau 1856, Fischer 1943, Casson 1976, Feyer 1977, Schwarz 1989, Lay 1994, Grewe 2004, Herzog 2008, Nakoinz 2012a, Vieweger et al. 2012, Doneus 2013, Herzog 2016

322

Ausprägung Fußwege bis 25 % Vorkommen und Verbreitung punktuell nur kurze Strecken, Naturräume mit starkem Relief und keiner Mög-lichkeit der Umgehung, z. B. Aufstiege zu Bergpässen

Überlieferung mittel,• Naturwege auch mit lokaler Wegsicherung, z. B. Steigen• starke natürliche Überprägung durch Erosion• Aufgabe häufig in nachfolgenden Epochen

Auffindungssituation mittel,• starke räumliche Begrenzung auf wenige Abschnitte• Relikte je nach Intensität des Straßenbaus• aufgelassene Abschnitte in Waldgebieten

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten

Umsetzung mit GIS schwierig, • unzureichende Auflösung im Digitalem Geländemodell• manuelle Erfassung über Höhenlinien• ggf. keine Unterscheidung von Fuß- und Fahrwegen in Karten Bemerkung gilt für den direkten Aufstieg; wichtigster Faktor für least-cost Path Modelle Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXX FrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX19. JahrhundertX Literatur

Denecke 1969, Schneider 2005, Herzog 2008, Murrieta-Flores 2010

323

Ausprägung Direkter Hangaufstieg Vorkommen und Verbreitung flächig, Hügel- und Bergland Überlieferung schlecht,• zeitlicher Schwerpunkt bis Hochmittelalter• Aufgabe häufig in nachfolgenden Epochen• sehr starke natürliche Überprägung durch Erosion

Auffindungssituation schlecht,• kaum Befunde möglich, da kein Unterschied zum umgebenden Boden• ggf. aufgelassene Hohlwege in Waldflächen

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, Auswertung von LiDAR-Daten

Umsetzung mit GIS schwierig, ggf. als Annäherung durch • Abschätzung Digitalem Geländemodell• manuelle Erfassung über Höhenlinien Bemerkung Suchkriterium für vorgeschichtliche Fußwege Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitX(X)FrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und Neuzeit

18. Jahrhundert

19. Jahrhundert

Literatur

Denecke 1969, Denecke 1979, Humpert 1995, Denecke 1996, Schenk 1999, Grewe 2000a, Denecke 2007a, Dene-cke 2007b

324

Ausprägung Schräger Hangaufstieg Vorkommen und Verbreitung flächig, Hügel- und Bergland, an frequentierten Straßen mit Wagenverkehr Überlieferung mittel,• Persistenz häufig durch lokale, bauliche Strukturen• starke natürliche Überprägung durch Erosion • anthropogene Überprägung durch Nachnutzung und Ausbau

Auffindungssituation mittel,• am originären Standort • häufig Böschungskanten als Relikte • mittelalterliche bis neuzeitliche Abschnitte im rezenten Straßenbild möglich• Lokalisierung über historische Karten oft möglich

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, Auswertung von LiDAR-Daten, archäologische Ausgrabungen

Umsetzung mit GIS schwierig, ggf. als Annäherung durch• Abschätzung aus Digitalem Geländemodell• manuelle Erfassung über Höhenlinien Bemerkung überwiegend für sehr steile Abschnitte oder Fahrwege Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Fischer 1943, Denecke 1969, Schwarz 1989, Humpert 1991, Denecke 1996, Grewe 2000a, Denecke 2002, Grewe 2004, Denecke 2007a

325

Ausprägung Natürliche Aufstiegshilfe

Vorkommen und Verbreitung punktuell, Hügel- und Bergland

Überlieferung mittel,

• meist stark ausgeprägte Morphologie• häufig lang andauernde Instandhaltung• natürliche Überprägung durch Erosion• anthropogene Überprägung durch starke Nachnutzung, Flurneuordnung, Wegebau

Auffindungssituation mittel,

• am originären Standort

• mittelalterliche bis neuzeitliche Abschnitte im rezenten Straßenbild häufig• als „abgehängte“ Linienführung (z. B. Wirtschaftsweg) oft noch vorhanden• schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, Flur und Wegenamen, schriftliche Quellen, archäologische Ausgrabungen, naturwissen-schaftliche Karten

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch

• Recherche aus topographischen und historischen Karten• Vergleich mit Linienführungen von Eisenbahn und Autobahn • manuelle Erfassung

Bemerkung langsam ansteigende Geländevorsprünge, Mulden Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteX

RömerzeitXXFrühmittelalterX

HochmittelalterX

Spätmittelalter und NeuzeitX

18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Schumacher 1909, Denecke 1969, Denecke 1979, Schwarz 1989, Denecke 1996, Grewe 2004, Denecke 2007a, Denecke 2007b

326

Ausprägung Künstliche Aufstiegshilfe

Vorkommen und Verbreitung punktuell, Hügel- und Bergland

Überlieferung gut,

• hohe Persistenz durch meist massive bauliche Strukturen • häufig lang andauernde Instandhaltung• natürliche Überprägung durch Erosion • anthropogene Überprägung durch starke Nachnutzung, Flurneuordnung, Wegebau

Auffindungssituation gut,

• am originären Standort

• mittelalterliche bis neuzeitliche Abschnitte im rezenten Straßenbild häufig• als „abgehängte“ Linienführung (z. B. Wirtschaftsweg) oft noch vorhanden • schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten, schriftliche Quellen, archäologische Aus-grabungen

Umsetzung mit GIS möglich,

• manuelle oder automatische Interpretation aus LiDAR-Daten• ggf. manuelle Erfassung aus historischen Karten erforderlich• ggf. als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden Bemerkung lokale Verbauung, z. B. künstliche Terrassierungen, Rampen, Serpentinen Epoche Naturweg Kunstweg Vorgeschichte(X)

Römerzeit(X)XFrühmittelalter

Hochmittelalter

Spätmittelalter und Neuzeit(X)

18. Jahrhundert(X)X19. JahrhundertX Literatur

Denecke 1969, Humpert 1991, Humpert 1995, Denecke 2002

327

Ausprägung Hohlwege Vorkommen und Verbreitung flächig, Naturräume mit geeigneten Bodenverhältnissen, nur bei langzeitlich stark frequentierten bzw. stark beanspruchten Routen

Überlieferung mittel,• starke natürliche Überprägung (Überwuchern, Erosion, Akkumulation) • starke anthropogene Überprägung durch Nach- und Sekundärnutzung, Flur-neuordnung, Wege- und Siedlungsbau, Zerschneidung Landschaft

Auffindungssituation mittel,• keine Befunde möglich, da kein Unterschied zum umgebenden Boden• schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen• Nachweise ab Spätmittelalter über schriftliche Quellen möglich, meist schwierige Lokalisierung

• häufig durch moderne Landwirtschaft eingeebnet

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, schriftliche Quellen, Flur und Wegenamen, archäologische Ausgrabungen, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten

Umsetzung mit GIS möglich (neuzeitliche Abschnitte),• manuelle oder automatische Interpretation aus LiDAR-Daten • ggf. manuelle Erfassung aus historischen Karten erforderlich• ggf. digital als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege oder als Biotop vorhanden Bemerkung wichtiges Suchkriterium für neuzeitliche Wege Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX19. Jahrhundert

Literatur

Marschalleck 1964, Schwarz 1989, Lay 1994, Humpert 1995, Bundesamt für Strassen 1999, Johannsen et al. 2010, Blöck 2016, Fütterer 2016

328

Ausprägung Spurrillen Vorkommen und Verbreitung punktuell, Naturräume mit geeigneten Bodenverhältnissen, nur bei langzeitlich stark frequentierten bzw. stark beanspruchten Routen

Überlieferung schlecht,• starke natürliche Überprägung (Überwuchern, Erosion, Akkumulation) • anthropogene Überprägung durch Nachnutzung, Flurneuordnung, Wege- und Siedlungsbau

Auffindungssituation schlecht,• keine Befunde möglich, da kein Unterschied zum umgebenden Boden• nicht an der Oberfläche sichtbar• meist Zufallsfunde (geringe Objektgröße, Ungleichverteilung, geringe Quan-tität) Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, archäologische Ausgrabungen Umsetzung mit GIS möglich,• hoher Aufwand für Recherche• digitale Erfassung erforderlich• ggf. als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden Bemerkung

Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Marschalleck 1964, Gaitzsch 1988, Vermeulen et al. 2001, Bolliger 2005b, Blöck 2016, Fütterer 2016

329

Ausprägung Geleise

Vorkommen und Verbreitung punktuell, Naturräume mit geeigneten Bodenverhältnissen, meist an Steigun-gen, nur bei langzeitlich stark frequentierten bzw. stark beanspruchten Routen Überlieferung mittel,

• Persistenz durch bauliche Strukturen• natürliche Überprägung (Erosion, Akkumulation, Überwuchern) • anthropogene Überprägung durch Nachnutzung, Flurneuordnung, Verfül-lung

Auffindungssituation mittel,

• ausreichende Form und Größe

• am originären Standort

• meist Zufallsfunde (Ungleichverteilung, geringe Quantität)

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, archäologische Ausgrabungen, geophysikalische Untersuchungen

Umsetzung mit GIS möglich,

• hoher Aufwand für Recherche

• digitale Erfassung erforderlich

• ggf. als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden Bemerkung

Epoche Naturweg Kunstweg Vorgeschichte

RömerzeitXFrühmittelalter

HochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX19. Jahrhundert

Literatur

Schwarz 1989, Schneider 2002

330

Wegbegleiter – Infrastrukturelemente

Sakrale Einrichtungen Grabanlagen Ausprägung Grabanlagen

Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume, meist in der Nähe von Siedlungen

Überlieferung mittel,

• Wüstfallen häufig, da wenig materielle Substanz

• Sekundärnutzung (z. B. Römische Grabsteine sekundär verbaut)

• natürliche Überprägung (Erosion, Akkumulation)

• anthropogene Überprägung durch Siedlungsbau, Wegbesserungsmaßnah-men, Landwirtschaft

Auffindungssituation mittel,

• Hügelgräber meist nur noch im Wald

• meist Zufallsfunde (geringe Objektgröße, Ungleichverteilung, geringe Quan-tität)

• meist nicht an der Oberfläche sichtbar

• oft schwierige Lokalisierung

Nachweismöglichkeiten archäologische Ausgrabungen, historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, schriftliche Quellen, Auswertung von Luftbildern und

LiDAR-Daten, geophysikalische Untersuchungen

Umsetzung mit GIS möglich vor allem für Grabhügel, sonst schwierig,

• hoher Aufwand für Recherche bei frühen Epochen

• meist digitale Erfassung erforderlich

• ggf. als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden

Bemerkung z. B. Urnenfelder, Grabhügel, römischer Grabstein, alemannisches Gräberfeld

Grabhügel als bevorzugtes Suchkriterium für vorgeschichtliche Wege

331

Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalter

Spätmittelalter und Neuzeit

18. Jahrhundert

19. Jahrhundert

Literatur

Schumacher 1909, Marschalleck 1964, Denecke 1969, Gaitzsch 1988, Humpert 1991, Humpert 1995, Bolliger 2005b, Herzig 2005, Beck et al. 2007, Denecke 2007a, Denecke 2007b, Thrane 2009, Johannsen et al. 2010, Mur-rieta-Flores 2012, Nakoinz 2012a, Nakoinz 2012b, Posluschny 2012, Doneus 2013, König 2014, Fütterer 2016, König et al. 2017, Link et al. 2017

332

Ausprägung Gedenk- und Opferplätze Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, nur an frequentierten Straßen, vor allem in Sied-lungen, außerhalb von Siedlungen an längeren Wegstrecken

Überlieferung mittel,• Wüstfallen häufig, außer bei materieller Substanz• Identifizierung, räumlich und zeitliche Einordnung in vorgeschichtlichen

Epochen schwierig

• anthropogene Überprägung durch Siedlungsbau, Flurneuordnung, Wegbes-serungsmaßnahmen

Auffindungssituation schlecht (gut für materielle Relikte),• oft schwierige Lokalisierung• oft nicht mehr an der Oberfläche sichtbar• meist Zufallsfunde (geringe Objektgröße, Ungleichverteilung, geringe Quan-tität)

Nachweismöglichkeiten archäologische Ausgrabungen, historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, schriftliche Quellen, Geophysikalische Untersuchungen

Umsetzung mit GIS möglich, aber• hoher Aufwand für Recherche bei frühen Epochen• meist digitale Erfassung erforderlich• ggf. als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden Bemerkung z. B. Kultische Deponierung, Opferplatz, Weihestein, Feldkreuze, Wallfahrtsorte Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Denecke 1969, Walser 1983, Lay 1994, Bundesamt für Strassen 1999, Denecke 2013, Pollak 2013

333

Ausprägung Karitative Einrichtungen

Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, nur an frequentierten Straßen, vor allem in Sied-lungen, außerhalb von Siedlungen an längeren Wegstrecken Überlieferung gut,

• meist erst ab Hochmittelalter angelegt • Sekundärnutzung häufig z. B. Umnutzung zu Wohngebäuden Auffindungssituation gut,

• ausreichende Form und Größe

• meist am originären Standort

• Lokalisierung von Objekten aus schriftlichen Quellen

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, schriftliche Quellen, archäologische Ausgrabungen

Umsetzung mit GIS möglich, aber

• meist digitale Erfassung erforderlich• ggf. als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden Bemerkung z. B. Kirchen, Kapellen, Klausen, Siechenhäuser, Pilgerherbergen Epoche Naturweg Kunstweg Vorgeschichte

Römerzeit

Frühmittelalter

HochmittelalterX

Spätmittelalter und NeuzeitX

18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Marschalleck 1964, Denecke 1969, Denecke 1996, Bundesamt für Strassen 1999

334

Ausprägung Wegweiser

Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, nur an frequentierten Straßen Überlieferung schlecht,

• anthropogene Überprägung durch Flurneuordnung, Siedlungsbau, Wegbes-serungsmaßnahmen

• Sekundärnutzung (z. B. Römische Meilensteine in Kirchen sekundär verbaut)• zeitliche Einordnung oft schwierig

Auffindungssituation schlecht,

• häufig nicht mehr am originären Standort• meist nur durch indirekte Hinweise aus Quellen möglich• schwierige Lokalisierung von Objekten aus schriftlichen Quellen

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, schriftliche Quellen, Flur und Wegenamen

Umsetzung mit GIS schwierig,

• hoher Aufwand für Recherche

• digitale Erfassung erforderlich

Bemerkung z. B. Stundensteine, Hinweistafeln, römische Meilensteine Epoche Naturweg Kunstweg Vorgeschichte

RömerzeitXXFrühmittelalter

Hochmittelalter

Spätmittelalter und Neuzeit

18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Denecke 1969, Denecke 2002, Bolliger 2005b, Herzig 2005

335

Ausprägung Rast- und Gasthäuser

Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, nur an frequentierten Straßen, vor allem in Sied-lungen, außerhalb von Siedlungen an längeren Wegstrecken Überlieferung mittel,

• meist erst ab Hochmittelalter angelegt • Wüstfallen und Sekundärnutzung häufig z. B. Umnutzung zu Wohngebäuden• Identifizierung als Gasthäuser und zeitliche Einordnung vor allem der römi-schen Gebäude oft schwierig

Auffindungssituation gut,

• ausreichende Form und Größe

• meist am originären Standort

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, schriftliche Quellen, archäologische Ausgrabungen

Umsetzung mit GIS möglich, aber

• meist digitale Erfassung erforderlich• ggf. als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden

Bemerkung ausgehend von der Annahme, dass in den meisten frühen Kulturepochen unter freiem Himmel übernachtet wurde

Epoche Naturweg Kunstweg Vorgeschichte

RömerzeitXXFrühmittelalter

HochmittelalterX

Spätmittelalter und NeuzeitX

18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Marschalleck 1964, Denecke 1969, Walser 1983, Rehbein 1984, Denecke 2002, Fetsch 2017

336

Ausprägung Wasserquellen/Brunnen Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, vor allem in Siedlungen, außerhalb von Siedlungen an längeren Wegstrecken ohne größere Infrastruktur

Überlieferung mittel,• gefasste Quellen ab Neolithikum, Brunnen aus Stein ab Hochmittelalter• Wüstfallen häufig• natürlicher oder anthropogener Einfluss auf die hydrologischen Verhältnisse

Auffindungssituation mittel,• meist Zufallsfunde in Siedlungen• oft nicht mehr am originären Standort (Brunnen)

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, archäologische

Ausgrabungen, schriftliche Quellen

Umsetzung mit GIS schwierig,• Voraussetzung ist die Rekonstruktion historischer Landschaftszustände• der Einsatz rezenter hydrologischer Geodaten (Grundwasser, natürliche

Quellen) muss als kritisch angesehen werden

• digitale Erfassung erforderlich Bemerkung vorgeschichtliche Wasserquellen außerhalb von Siedlungen nicht erforscht Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

337

Ausprägung Historische Objekte

Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, meist nur an frequentierten Straßen

Überlieferung gut,

• erst ab Hochmittelalter angelegt

• Wüstfallen und Sekundärnutzung häufig z. B. Umnutzung zu Wohngebäuden• Identifizierung und zeitliche Einordnung manchmal schwierig

Auffindungssituation gut,

• ausreichende Form und Größe

• meist am originären Standort

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, schriftliche

Quellen

Umsetzung mit GIS möglich, aber

• meist digitale Erfassung erforderlich

• ggf. als Klein- oder Baudenkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vor-handen

Bemerkung z. B. Badstuben, Post- und Pferdewechselstationen, Vorspanndienste, Schmied, Stellmacher, Seiler

Epoche Naturweg Kunstweg

Vorgeschichte

Römerzeit

Frühmittelalter

HochmittelalterX

Spätmittelalter und NeuzeitX

18. JahrhundertXX

19. JahrhundertXX

Literatur

Denecke 1996

338

Ausprägung Befestigungsanlagen Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, meist nur an frequentierten Straßen, wichtige

Zwangs- oder Umschlagspunkte

Überlieferung gut, • hohe Persistenz durch meist massive bauliche Strukturen• oft gute Datiermöglichkeiten durch Begleitfunde• häufig natürliche Überprägung (Erosion, Akkumulation) • anthropogene Überprägung durch Sekundärnutzung, Flurneuordnung

Auffindungssituation gut, • ausreichende Form und Größe• meist am originären Standort • häufig auf markanten Hügeln

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten, historische Karten, archäologische Ausgrabungen, schriftliche Quellen

Umsetzung mit GIS möglich, • meist als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden • ggf. digitale Erfassung erforderlich Bemerkung z. B. Höhensiedlungen, Fürstensitze, Kastelle, Burgen, Schanzen Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Marschalleck 1964, Denecke 2007a, Denecke 2007b, Nakoinz 2012b, Schußmann 2012, Pollak 2013, Bahn et al. 2016, Della Casa et al. 2016, Huth et al. 2016, Armingeon 2017

339

Ausprägung Gerichts- und Richtplätze Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, meist nur an frequentierten Straßen, in der Nähe von Siedlungen

Überlieferung schlecht, • Wüstfallen häufig, da wenig materielle Substanz• anthropogene Überprägung durch Siedlungsbau, Flurneuordnung• jüngere Objekte evtl. durch Flurnamen oder schriftliche Quellen lokalisier-bar

Auffindungssituation schwierig,

• meist Zufallsfunde (geringe Objektgröße, Ungleichverteilung, geringe Quan-tität)• häufig keine Befunde möglich, da kein Unterschied zum umgebenden Boden• häufig nicht lokalisierbar

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, archäologische

Ausgrabungen, schriftliche Quellen, Flur und Wegenamen

Umsetzung mit GIS möglich, aber • aufwendige Recherche erforderlich• digitale Erfassung erforderlich • vereinzelt als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden Bemerkung z. B. Galgen, Thingplatz Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. Jahrhundert

Literatur

Denecke 2002

340

Ausprägung Historische Objekte

Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, meist nur an frequentierten Straßen, wichtige Zwangs- oder Umschlagspunkte, oft an Herrschaftsgrenzen

Überlieferung mittel,

• Persistenz durch meist bauliche Strukturen

• häufig natürliche Überprägung (Erosion, Akkumulation)

• anthropogene Überprägung durch Sekundärnutzung, Flurneuordnung Auffindungssituation gut,

• meist erst ab Hochmittelalter angelegt

• ausreichende Form und Größe

• meist am originären Standort

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, archäologische Ausgrabungen, schriftliche Quellen

Umsetzung mit GIS möglich, aber

• vereinzelt als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden • aufwendige Recherche erforderlich

• digitale Erfassung erforderlich

Bemerkung z. B. Wegsperren, Landwehre, Zollstellen

Epoche Naturweg Kunstweg

Vorgeschichte

Römerzeit

Frühmittelalter

HochmittelalterX

Spätmittelalter und NeuzeitX

18. JahrhundertXX

19. JahrhundertXX

Literatur

Denecke 1969, Denecke 2002, Vieweger et al. 2012

341

Wegbegleiter – Ziele und Fixpunkte

Natürliche Zwangspunkte Niedrige Bergpässe Ausprägung Niedrige Bergpässe Vorkommen und Verbreitung punktuell, in großflächigen Berglandschaften, für die ein Umweg nicht energie-

ökonomisch wäre

Überlieferung gut, • keine grundlegende Veränderung der Morphologie seit Jahrtausenden • Persistenz häufig durch lokale, bauliche Strukturen• natürliche Überprägung durch Erosion • anthropogene Überprägung durch starke Nachnutzung, Flurneuordnung,

Wegebau

Auffindungssituation gut, • am originären Standort • häufig Nachweise über schriftliche Quellen• häufig noch in aktueller Nutzung

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, Flur und

Wegenamen, schriftliche Quellen, archäologische Ausgrabungen

Umsetzung mit GIS möglich, • digitale Daten zu Einzugsgebieten von Fließgewässern• Abschätzung aus Digitalem Geländemodell Bemerkung

Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Marschalleck 1964, Lay 1994, Schenk 1999, Denecke 2007b, Armingeon 2017

342

Ausprägung Dynamische Zwangspunkte (Furten) Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume mit dynamischen Gewässersystemen, an besonde-ren Flachstellen

Überlieferung schlecht, • Wüstfallen häufig, außer bei materieller Substanz• sehr starke natürliche Überprägung durch Überschwemmungen, Erosion • starke anthropogene Überprägung durch Nachnutzung, Wege- und Brü-ckenbau, Gewässerregulierungen

Auffindungssituation schlecht, • oft schwierige Lokalisierung und nicht am originären Standort• keine Befunde möglich, da kein Unterschied zum umgebenden Boden• ggf. Zufallsfunde (geringe Objektgröße, Ungleichverteilung, geringe Quanti-tät)

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, schriftliche

Quellen, Flur und Wegenamen

Umsetzung mit GIS schwierig, • hoher Aufwand für Recherche bei frühen Epochen• Voraussetzung ist die Rekonstruktion historischer Landschaftszustände• eine Annährung mit rezenten Übergängen muss als kritisch angesehen werden• meist digitale Erfassung erforderlich Bemerkung

Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. Jahrhundert

19. Jahrhundert

Literatur

Denecke 1979, Denecke 1996, Denecke 2001, Denecke 2007a, Denecke 2007b, Johannsen et al. 2010, Fütterer 2016

343

Ausprägung Fernsichtbeziehung zu natürlichen Objekten Vorkommen und Verbreitung punktuell, vor allem im Hügel- und Bergland Überlieferung mittel,

• meist keine grundlegende Landschaftsveränderung von erhöhten Plätzen seit Jahrtausenden

• natürliche Überprägung durch Erosion• anthropogene Überprägung durch intensive Landnutzung, z. B. Rohstoffabbau Auffindungssituation mittel,

• ausreichende Form und Größe

• am originären Standort

• meist keine Hinweise auf funktionalen Zusammenhang zwischen Weg und Objekt

• keine Hinweise auf kulturelle oder sakrale Bedeutung und zeitlicher Zuord-nung vor allem für vorgeschichtliche Objekte möglich

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von Luftbildern und

LiDAR-Daten, historische Karten, archäologische Ausgrabungen

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch Abschätzung durch Sichtbarkeitsanalyse aus Digitalem Geländemodell

Bemerkung z. B. markante Bergspitzen, Felsen, morphologische Besonderheiten Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteX

RömerzeitXXFrühmittelalterX

HochmittelalterX

Spätmittelalter und NeuzeitXX18. JahrhundertXX19. Jahrhundert

Literatur

Humpert 1995, Schenk 1999, Posluschny 2008, Murrieta-Flores 2010, Rasbach 2010, Vieweger et al. 2012, Seidel 2016

344

Ausprägung Fernsichtbeziehung zu anthropogenen Objekten Vorkommen und Verbreitung punktuell, vor allem im Hügel- und Bergland Überlieferung mittel,

• hohe Persistenz durch meist massive bauliche Strukturen• oft gute Datiermöglichkeiten durch Begleitfunde• natürliche Überprägung durch Erosion• anthropogene Überprägung durch direkte Zerstörung oder intensive Land-nutzung, z. B. Rohstoffabbau

Auffindungssituation mittel,

• ausreichende Form und Größe

• meist am originären Standort

• häufig nicht an der Oberfläche sichtbar• häufig wenig Hinweise auf funktionalem Zusammenhang zwischen Weg und Objekt

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von Luftbildern und

LiDAR-Daten, historische Karten, archäologische Ausgrabungen Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch

• Abschätzung durch Sichtbarkeitsanalyse aus Digitalem Geländemodell• ggf. als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden Bemerkung z. B. Burgen, Kirchturmspitzen, Bauernwacht Epoche Naturweg Kunstweg Vorgeschichte

RömerzeitXXFrühmittelalter

HochmittelalterX

Spätmittelalter und NeuzeitX

18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Schenk 1999, Denecke 2002, Posluschny 2008, Nakoinz 2012a, Reinhold et al. 2014

345

Ausprägung Natürliche Landmarken Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, an frequentierten Straßen Überlieferung schlecht,• meist intentional gepflegte Naturobjekte• starke natürliche Überprägung durch Überwuchern, Erosion, Akkumulation• starke anthropogene Überprägung durch Wegbesserungsmaßnahmen, Flur-neuordnung, Siedlungsbau

Auffindungssituation schlecht,

• meist Zufallsfunde (geringe Objektgröße, Ungleichverteilung, geringe Quan-tität)• keine Befunde möglich, da kein Unterschied zum umgebenden Boden• schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen• keine Hinweise auf kulturelle oder sakrale Bedeutung und zeitliche Zuord-nung vor allem für vorgeschichtliche Objekte möglich

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, schriftliche

Quellen, archäologische Ausgrabungen, Flur und Wegenamen Umsetzung mit GIS schwierig, da meist keine räumlichen Daten vorhanden Bemerkung freistehende, markante, oft singulär vorkommende Objekte, z. B. Einzelbäume Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX19. Jahrhundert

Literatur

Schenk 1999, Murrieta-Flores 2010, Flade 2013

346

Ausprägung Anthropogene Landmarken

Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, nur an frequentierten Straßen Überlieferung mittel,

• erst ab Hochmittelalter angelegt

• hohe Persistenz durch meist bauliche Strukturen• natürliche Überprägung durch Überwuchern, Erosion, Akkumulation• anthropogene Überprägung durch Wegbesserungsmaßnahmen, Flurneuord-nung, Siedlungsbau, Sekundärnutzung Auffindungssituation mittel,

• ausreichende Form und Größe

• meist am originären Standort

• häufig durch schriftliche Quellen belegbar, manchmal schwierige Lokalisie-rung

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, schriftliche

Quellen, archäologische Ausgrabungen, Flur und Wegenamen Umsetzung mit GIS möglich,

• hoher Aufwand für Recherche

• digitale Erfassung erforderlich

• ggf. als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden Bemerkung meist neuzeitliche Wegbegleiter

Epoche Naturweg Kunstweg Vorgeschichte

RömerzeitXXFrühmittelalter

HochmittelalterX

Spätmittelalter und NeuzeitX

18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Krünitz et al. 1856, Timpe et al. 1989, Schenk 1999, Klug-Treppe 2000, Dally et al. 2012, Fetsch 2017

347

Ausprägung Archäologische Einzelfunde Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, je nach Wegdichte Überlieferung schlecht,• sehr starke natürliche Überprägung durch Überwuchern, Erosion, Akkumulation• starke anthropogene Überprägung durch Flurneuordnung, Siedlungsbau, Wegbes-serungsmaßnahmen

Auffindungssituation schlecht• oft am originären Standort • meist nicht an der Oberfläche sichtbar • meist Zufallsfunde (geringe Objektgröße, Ungleichverteilung, geringe Quantität)

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, archäologische Ausgrabungen, geophysi-kalische Untersuchungen (Sondengänger)

Umsetzung mit GIS schwierig,

• vereinzelt als Objekt in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden Bemerkung Verlustobjekte, wichtige Datiermöglichkeit, z. B. Hufeisen, Schuhnägel, Münzen Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Herzig 2005, Beck et al. 2007, Denecke 2007b, Pollak 2013, Blöck 2016, Fütterer 2016, Scheschkewitz 2017

348

Ausprägung Orte als Zwischenziele Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume Überlieferung mittel,• Wüstfallen häufig durch Neuorientierung von Wegen• natürliche Überprägung (Überwuchern, Erosion, Akkumulation)• anthropogene Überprägung durch Nachnutzung, Siedlungsbau, Wegbesse-rungsmaßnahmen, Flurneuordnung

Auffindungssituation mittel,• wenn zeitgleiche Start- und Zielpunkte bekannt• Nachweis ab Hochmittelalter über schriftliche Quellen möglich• mittelalterliche bis neuzeitliche Abschnitte im rezenten Straßenbild möglich• schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, archäologische Ausgrabungen, historische Karten, schriftliche Quellen, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten

Umsetzung mit GIS möglich• manuelle Erfassung aus historischen Karten bzw. Wüstungsforschung• ggf. Siedlungen bereits als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden Bemerkung wichtigstes Suchkriterium: zwischen zeitgleichen Start- und Zielpunkten Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Schaur 1992, Herzog 2008, Hauser 2012, Nakoinz 2012a, Denecke 2013, König 2014, Blöck 2016

349

Ausprägung Orte als Endpunkte von Sackgassen Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, besonders exponierte Siedlungen, die nur einen einzigen Zugang erfordern oder ermöglichen

Überlieferung mittel,• Wüstfallen der Siedlungen führt zu Wüstfallen der Wege• natürliche Überprägung (Überwuchern, Erosion, Akkumulation)• anthropogene Überprägung durch Wegbesserungsmaßnahmen, Siedlungs-bau, Flurneuordnung

Auffindungssituation mittel,

• meist Zufallsfunde (geringe Objektgröße, Ungleichverteilung, geringe Quan-tität)

• Nachweis ab Hochmittelalter über schriftliche Quellen und historische Kar-ten möglich

• schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen

Nachweismöglichkeiten archäologische Ausgrabungen, historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, schriftliche Quellen, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung• manuelle Erfassung aus historischen Karten bzw. Wüstungsforschung• ggf. Siedlungen bereits als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden Bemerkung

Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Schaur 1992, Trumm 2002, Beck et al. 2007, Rothenhöfer 2013, Ebersbach 2015, Huth 2016, Seidel 2016

350

Ausprägung Siedlungsabstand in maximal einer Tagesreise Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume

Überlieferung mittel,

• Wüstfallen der Siedlungen führt zu Wüstfallen der Wege• natürliche Überprägung (Überwuchern, Erosion, Akkumulation)• anthropogene Überprägung durch Nachnutzung, Siedlungsbau, Wegbesse-rungsmaßnahmen, Flurneuordnung Auffindungssituation gut,

• wenn zeitgleiche Start- und Zielpunkte bekannt• Nachweis ab Hochmittelalter über schriftliche Quellen möglich• mittelalterliche bis neuzeitliche Abschnitte im rezenten Straßenbild möglich

Nachweismöglichkeiten archäologische Ausgrabungen, historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, schriftliche Quellen, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten

Umsetzung mit GIS möglich

• manuelle Erfassung aus historischen Karten bzw. Wüstungsforschung• ggf. Siedlungen bereits als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden

Bemerkung nach Fixierung des Wegenetzes, Siedlungsdichte abhängig von Relief, Über-nachtungen in Siedlungen

Epoche Naturweg Kunstweg Vorgeschichte

RömerzeitXXFrühmittelalter

HochmittelalterX

Spätmittelalter und NeuzeitX

18. JahrhundertXX19. JahrhundertXX Literatur

Fingerlin 1976, Timpe et al. 1989, Denecke 1996, Huth et al. 2016

351

Ausprägung Lange Strecken ohne Zwischenziele Vorkommen und Verbreitung linear, alle Naturräume, meist in Landschaften ohne größere Wasserwege Überlieferung schlecht, • Wüstfallen häufig durch Neuorientierung von Wegen• natürliche Überprägung durch Überwuchern und Erosion • starke anthropogene Überprägung durch Nachnutzung, Flurneuordnung,

Wegebau

Auffindungssituation schlecht, • möglich, wenn zeitgleiche Start- und Zielpunkte bekannt• meist keine Befunde, da kein Unterschied zum umgebenden Boden• schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, archäologische

Ausgrabungen

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung,

• wenn Start- und Zielpunkt bekannt durch manuelle Erfassung aus Karten Bemerkung Annahme: Übernachtung unter freiem Himmel Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und Neuzeit

18. Jahrhundert

19. Jahrhundert

Literatur

Krünitz et al. 1856, Landau 1856, Schwarz 1989, Timpe et al. 1989, Denecke 1996, Denecke 2007b, Fütterer 2016

352

Ausprägung Land- und forstwirtschaftliche Flächen Vorkommen und Verbreitung flächig, Naturräume mit Eignung für Land- bzw. Forstwirtschaft, meist in der

Nähe von Siedlungen

Überlieferung schlecht,

• starke natürliche Überprägung (Überwuchern, Erosion, Akkumulation, Vernäs-sung)

• starke anthropogene Überprägung durch intensive Landnutzung, Entwal-dung und Erosion, Flurneuordnung, Siedlungsbau, Grundwasserabsenkung, Zerschneidung Landschaft

Auffindungssituation schlecht, • keine Befunde möglich, da kein Unterschied zum umgebenden Boden• schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen• Nachweise ab Hochmittelalter über schriftliche Quellen möglich, meist schwierige Lokalisierung

• häufig durch moderne Landwirtschaft eingeebnet

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von LiDAR-Daten, historische Karten, Flur und Wegenamen, schriftliche Quellen

Umsetzung mit GIS schwierig, • Voraussetzung ist die Rekonstruktion historischer Landschaftszustände• der Einsatz rezenter Geodaten (Waldbedeckung) muss als kritisch angesehen werden

• manuelle Erfassung aus historischen Karten Bemerkung

Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitX(X)FrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX(X)19. JahrhundertX(X) Literatur

Denecke 2013, Billamboz et al. 2016, Huth et al. 2016, Matuschik et al. 2016b

353

Ausprägung Rohstoffabbau Vorkommen und Verbreitung punktuell, Naturräume mit zugänglichen und abbauwürdigen Rohstoffen Überlieferung mittel, • Persistenz durch meist bauliche Strukturen• häufig natürliche Überprägung (Erosion, Überwuchern) • anthropogene Überprägung durch Nach- und Sekundärnutzung, Flurneu-ordnung, Verfüllung

Auffindungssituation mittel, • ausreichende Form und Größe• am originären Standort • schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen• Nachweis ab Hochmittelalter über schriftliche Quellen möglich

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von LiDAR-Daten, historische Karten, Flur und Wegenamen, schriftliche Quellen, archäologische Ausgrabungen

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch • manuelle oder automatische Interpretation aus LiDAR-Daten • manuelle Erfassung aus historischen Karten• Vergleich mit rezenten Geodaten der Rohstoffnutzung Bemerkung Erzgruben, Steinbruch, Silexbergbau Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitX(X)FrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX(X)19. JahrhundertX(X) Literatur

Denecke 2007a, Scharl 2010, Denecke 2013, Pollak 2013, Rothenhöfer 2013, Fütterer 2016, Limmer 2016, Petre-quin 2016, Gassmann et al. 2017, Thoma 2017a

354

Ausprägung Verarbeitungsplätze Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, in der Nähe der Rohstoffquellen, Siedlungen oder anderen benötigten Hilfsmitteln (z. B. Wasserkraft, Seen)

Überlieferung mittel, • oft Persistenz durch bauliche Strukturen • starke natürliche Überprägung (Erosion, Überwuchern) • anthropogene Überprägung durch Flurneuordnung, Wege- und Siedlungs-bau

Auffindungssituation mittel,

• meist Zufallsfunde (geringe Objektgröße, Ungleichverteilung, geringe Quan-tität)• am originären Standort • schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen• Nachweis ab Hochmittelalter über schriftliche Quellen möglich

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von LiDAR-Daten, historische Karten, Flur und Wegenamen, schriftliche Quellen, archäologische Ausgrabungen

Umsetzung mit GIS schwierig, • meist keine räumlichen Daten vorhanden• ggf. digitale Erfassung erforderlich• ggf. bereits als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden Bemerkung Meiler, Mühle, Silexabschlagsplätze, Flachsbreche Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX19. JahrhundertX Literatur

Denecke 2013, Hafner et al. 2016b, Gassmann et al. 2017, Thoma 2017a

355

Ausprägung Fluss- und Seefischerei Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume mit zugänglichen größeren Flüssen und Seen Überlieferung mittel,

• starke natürliche Überprägung (dynamisches Abflussregime, Überwuchern,

Vernässung)

• starke anthropogene Überprägung durch intensive Landnutzung, Entwal-dung und Erosion, Grundwasserabsenkung, Gewässerregulierungen

Auffindungssituation schlecht, • meist viele natürliche Anlandeplätze für kleine Boote • keine Befunde möglich, da kein Unterschied zum umgebenden Boden, ggf. bauliche Eingriffe wie Steganlagen• meist Zufallsfunde (geringe Objektgröße, Ungleichverteilung, geringe Quantität)• schwierige Zuordnung zu vorgeschichtlichen Epochen• Nachweise ab Hochmittelalter über schriftliche Quellen möglich, meist schwierige Lokalisierung

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, Flur und

Wegenamen, schriftliche Quellen, archäologische Ausgrabungen

Umsetzung mit GIS schwierig, • meist keine räumlichen Daten vorhanden• ggf. digitale Erfassung erforderlich• ggf. bereits als Denkmal in der Datenbank der Denkmalpflege vorhanden Bemerkung Anlandeplätze Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX19. JahrhundertX Literatur

356

Nach- und Sekundärnutzungen

Flur- und Gemarkungsgrenzen Gemarkungsgrenze Ausprägung Gemarkungsgrenze

Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume, nur in Landschaften mit längerer ehemals römischer Besiedlung

Überlieferung mittel,

• oft Persistenz durch lokale bauliche Strukturen und lange Nutzungsdauer

• natürliche Überprägung durch Überwuchern, Erosion

• anthropogene Überprägung durch Nach- und Sekundärnutzung, Wegbesse-rungsmaßnahmen

• unbekannte Orientierung der ersten Gemarkungsgrenzen im Mittelalter

Auffindungssituation mittel,

• am originären Standort

• Abschnitte oft noch als genutzte, geradlinige Wirtschaftswege vorhanden

• schwierige zeitliche Zuordnung

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten, historische Karten

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch

• digitale Daten der rezenten Gemarkungsgrenzen

• manuelle Erfassung der Gemarkungsgrenzen aus den historischen Gemar-kungsatlanten 19. Jahrhundert

Bemerkung wichtiges Kriterium für Römerstraßen

Epoche Naturweg Kunstweg

Vorgeschichte

RömerzeitX

Frühmittelalter

Hochmittelalter

Spätmittelalter und Neuzeit

18. Jahrhundert

19. Jahrhundert

Literatur

Hertlein 1924, Schwarz 1989, Lay 1994, Grewe 2000a, Klug-Treppe 2000, Marti 2000, Denecke 2007a, Denecke 2013, Bahn et al. 2016, Blöck 2016

357

Ausprägung Weg als Flurstück

Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume, nur bei langzeitlich stark frequentierten Routen Überlieferung mittel,

• vermutlich ab Spätmittelalter angelegt („Aussonderung aus der Landschaft“)• oft Persistenz durch lokale bauliche Strukturen und lange Nutzungsdauer• Verengung der Breite neue Wegführung• häufig Wüstfallen durch Flurneuordnung Auffindungssituation mittel, aber selten

• am originären Standort

• längliche Flurstücke in der Nähe von aktuellen Überlandstraßen• Nachweise über historische Karten und schriftliche Quellen möglich

Nachweismöglichkeiten historische Karten, Flur und Wegenamen, schriftliche Quellen, Auswertung von Luftbildern und LiDAR-Daten

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch

• digitale Daten der rezenten Gemarkungsgrenzen• manuelle Erfassung der Gemarkungsgrenzen aus den historischen Gemar-kungsatlanten 19. Jahrhundert

Bemerkung

Epoche Naturweg Kunstweg Vorgeschichte

RömerzeitXFrühmittelalter

HochmittelalterX

Spätmittelalter und NeuzeitX

18. JahrhundertXX19. JahrhundertX Literatur

Schwarz 1989

358

Ausprägung Nachnutzung älterer Straßenkörper Vorkommen und Verbreitung flächig, alle Naturräume Überlieferung mittel,

• Relikte erst ab Hochmittelalter mit Fixierung der Linienführungen und nachfolgender, langzeitlicher Nutzung

• starke anthropogene Überprägung durch Nachnutzung, Wegbesserungs-maßnahmen, Flurneuordnung

Auffindungssituation schlecht• am originären Standort• oft Zufallsfunde (kleiner Wegabschnitt mit möglicher zeitlicher Zuordnung)• kaum Befunde möglich, da kein Unterschied zum umgebenden Boden

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, Auswertung von Luftbildern und

LiDAR-Daten, historische Karten, archäologische Ausgrabungen

Umsetzung mit GIS möglich als Annäherung durch • digitale Daten des rezenten Straßennetzes• manuelle Erfassung von Wegen aus historischen Karten Bemerkung wichtiger Ansatz zur Interpolation zwischen bekannten historischen Abschnitten Epoche Naturweg Kunstweg VorgeschichteXRömerzeitX(X)FrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX(X)19. JahrhundertX Literatur

Struck 1976, Walser 1983, Gaitzsch 1988, Schwarz 1989, Grewe 2000a, Denecke 2002, Denecke 2007a, Denecke 2007b, Humpert et al. 2007, Thrane 2009, Johannsen et al. 2010, Schußmann 2012, Schreg 2013, Bollacher et al. 2014, Blöck 2016, Hafner 2016, Köninger 2016, Armingeon 2017, Kortüm et al. 2018

359

Ausprägung Orientierung von nachfolgenden Objekten/Wegbegleitern Vorkommen und Verbreitung punktuell, alle Naturräume, an epochenübergreifend frequentierten Straßen, vor allem außerhalb von Siedlungen

Überlieferung mittel, • häufig lang andauernde Instandhaltung• Wüstfallen nur bei kulturellen Umbrüchen• in späteren Epochen oft ausgebaut (Festigung der Linienführung)• starke anthropogene Überprägung durch Nach- und Sekundärnutzung, Flur-neuordnung, Wegebau

Auffindungssituation schlecht,• meist am originären Standort • meist nicht an der Oberfläche sichtbar • meist Zufallsfunde (geringe Objektgröße, Ungleichverteilung, geringe Quan-tität)

• schwierige Zuordnung bei vorgeschichtlichen Epochen

Nachweismöglichkeiten historisch-geographische Geländeaufnahme, historische Karten, schriftliche

Quellen, Flur und Wegenamen, archäologische Ausgrabungen

Umsetzung mit GIS schwierig

• hoher Aufwand für Recherche, da hohe Dynamik des Wegenetzes und nur anhand von Ausgrabungen möglich

• digitale Erfassung erforderlich Bemerkung beispielsweise merowingerzeitlicher Hof an Römerstraße Epoche Naturweg Kunstweg Vorgeschichte

RömerzeitXXFrühmittelalterXHochmittelalterXSpätmittelalter und NeuzeitX18. JahrhundertX19. Jahrhundert

Literatur

Schwarz 1989, Beck et al. 2007, Blöck 2016, Hafner et al. 2016b, Scheschkewitz 2017, Thiel et al. 2017, Wieland 2017

360

Anhang Bodenkundliche Einheiten