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: Thüringen östlich der Saale im Mittelalter

Thüringen östlich der Saale im Mittelalter

Archäologisch, mediävistisch, onomastisch, ethnografisch und philosophisch vergleichende Studie zum früh- und hochmittelalterlichen Landesausbau in Territorien der Germania Slavica Thuringiae

Inhalt

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist eine überarbeitete und aktualisierte Fassung meiner 2013 an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena vorgelegten Habilitations-schrift. Das Habilitationsverfahren wurde 2014 mit dem Habilitationskolloquium und dem Vortrag abgeschlossen. Am 24.06.2014 wurde die Lehrbefähigung erteilt.

Es ist mir ein Bedürfnis, an dieser Stelle den Gutachtern Herrn Prof. Dr. phil. habil. Peter Ettel, FSU Jena, Herrn Prof. em. Dr. phil. habil. Matthias Werner, FSU Jena, und Herrn Prof. Dr. Matthias Hardt, GWZO Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europas, Leipzig, herzlich zu danken.

Die wbg Publishing Services haben dankenswerterweise die Schrift aufgenommen und ver-öffentlicht. Ein besonderer Dank gebührt Herrn Dr. Jan-Pieter Forßmann für die ausgezeich-nete Organisation und Aufbereitung des Prozesses der Publikation und den Damen Svenja Pasche und Sophie Dahmen für die lesens- und ansehenswerte Gestaltung von Text und Ab-bildungen.

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Einführung

Die Arbeit hat zum Ziel, einen theoretisch-methodologischen Beitrag zu leisten zum Heraus-arbeiten interdisziplinärer Grundlagen für die Untersuchung des früh- und hochmittelalter-lichen Landesausbaus in der Germania Slavica in Thüringen. Da der Verfasser – was im Ein-zelnen darzulegen ist – unter der Germania Slavica nach neueren Erkenntnissen die gesamte „germanisch/deutsch-slawische(n) Kontaktzone am westlichen Rand Ostmitteleuropas“1 ver-steht, würde eine solche Herangehensweise eine Untersuchung des gesamten Territoriums des heutigen Freistaates Thüringen umfassen. Das ist selbstverständlich im Rahmen einer einzel-nen Arbeit nicht möglich und erfordert daher territoriale Einschränkungen sowohl aus Grün-den des Umfanges als auch in Bezug auf die Erarbeitung typischer, miteinander vergleichbarer Gebiete, deren Grundlagen auf andere Territorien auch außerhalb Thüringens übertragen wer-den können. Chronologisch umfasst diese Kontaktzone den Zeitraum vom ersten Auftreten von Slawen in Thüringen bis zu ihrer ethnischen Assimilation.2 Das betrifft den Zeitraum vom 8. bis zum 13. Jahrhundert.

Die Arbeit konzentriert sich auf den Landesausbau in den einzelnen zu bearbeitenden Ge-bieten von der Einwanderung der Slawen im 8. Jahrhundert bis zum Ende des 12. bzw. dem Beginn des 13. Jahrhunderts.

Der breite Umfang des auszuwertenden Materials vor allem auf den Gebieten der Archäo-logie, der Mediävistik, der Onomastik und Ethnografie macht es erforderlich, in breitem Maße auf bereits publizierte, zusammengefasste Ergebnisse der Fachwissenschaften bzw. der Fach-wissenschaftler zurückzugreifen, die in einer inter- bzw. multidisziplinären Sicht zusammen-geführt und interpretiert werden sollen, um zu einem Gesamtbild gelangen zu können. Das erfordert an zahlreichen Stellen auch den Blick auf andere Nachbarwissenschaften, die sich mit der Geschichte des Mittelalters befassen.

Die Erkenntnisse stützen sich auf langjährige, vor allem archäologische Studien des Verfas-sers, die er in seiner Tätigkeit als Gebietsreferent des Thüringischen Landesamtes für Denk-malpflege und Archäologie3 machen konnte sowie auf Erfahrungen und Ergebnisse bei der Planung, Vorbereitung, Auswertung und Publikation mehrerer interdisziplinärer Kolloquia, die er seit 2001 durchgeführt hat und die in der Reihe „Beiträge zur Frühgeschichte und zum Mittelalter Ostthüringens“ durch den Verlag Beier & Beran publiziert wurden und werden.4Diese Kolloquia boten Gelegenheit zu einem breiten Meinungsaustausch mit zahlreichen Fachkollegen der verschiedensten Disziplinen, ohne die diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre und denen an dieser Stelle herzlich zu danken ist.

Ein besonderer Dank gilt den dienstlichen Leitern des Landesamtes und Landesarchäologen von Thüringen, PD Dr. habil Sigrid Dusek (bis 2000) und PD Dr. habil Sven Ostritz, die die wissenschaftliche Tätigkeit des Autors gebilligt und unterstützt haben sowie allen Kolleginnen und Kollegen des Amtes, die mit ihren Erfahrungen und ihrem fachlichen Wissen zum Ge-lingen der Arbeit beigetragen haben. Ein besonderer Dank gebührt meinem langjährigen Gra-bungstechniker im Amt, Herrn Diplomrestaurator Thomas Queck, und meinem Kollegen Dr. Wolfgang Timpel, der mir seine reichen Erfahrungen auf dem Gebiet der Mittelalterarchäo-logie vor allem in Westthüringen uneigennützig zur Verfügung gestellt hat.

Bereitwillige Hilfe und Unterstützung erhielt ich jederzeit in der Informations- und Do-kumentationsstelle des Amtes mit ihrer Leiterin, Frau Ilona Nestler, sowie im Zeichenatelier und von der Fotografin, Frau Brigitte Stefan, wofür ich an dieser Stelle allen Kolleginnen und Kollegen herzlich danken möchte.

Dem Leiter des Bereiches für ur- und frühgeschichtliche Archäologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Herrn Prof. Dr. habil Peter Ettel, verdankt es der Autor, dass er seit geraumer Zeit seine Forschungsergebnisse einem breiten Kreis von Studierenden der Friedrich-Schiller-Universität als Lehrbeauftragter bzw. Privatdozent in Lehrveranstaltungen vorlegen und mit ihnen diskutieren konnte.

Ein ganz herzliches Dankeschön gebührt zwei Fachkollegen, die leider nicht mehr unter uns weilen. Grundkenntnisse und Liebe zur Mittelalterarchäologie verdankt der Autor seinem langjährigen universitären Lehrer an der Humboldt-Universität Berlin, Herrn Prof. Dr. habil Paul Grimm, und dem Fachkollegen Herrn Prof. Dr. habil Hans-Jürgen Brachmann.

Museen und Verbände in Thüringen mit Spezialsammlungen auf dem Gebiet der Archäo-logie haben mir sowohl bei der Arbeit als Gebietsreferent als auch darüber hinaus bereitwillig und jederzeit Einblick in ihre Bestände gewährt. Das betrifft vor allem die Geschichts- und Altertumsforschende Gesellschaft des Osterlandes und das Schloss- und Spielkartenmuseum Altenburg mit seiner umfassenden Amende-Sammlung, das Stadtmuseum Gera sowie den Vogtländischen Altertumsforschenden Verein zu Hohenleuben und das Museum Burg Rei-chenfels, die Stadtmuseen in Saalfeld und Eisenberg sowie die Museen Burg Posterstein, Oster-burg in Weida und Schloss Burgk. Dank gebührt auch dem langjährigen Stadtarchäologen von Altenburg, Herrn Michael Mattern, sowie Herrn Dr. Günther Keil, Zeitz, und den Leitern und Mitarbeitern der Unteren Denkmalschutzbehörden der Städte Altenburg, Jena und Gera sowie der Landkreise Altenburger Land, Landkreis Greiz, Saale-Orla-Kreis und Landkreis Saalfeld-Rudolstadt für Hilfe, Unterstützung und Fachdiskussion.

Bereitwillige und umfassende Hilfe bei der publikationsreifen Erarbeitung der Abbildungen erhielt ich von meiner ehemaligen Studentin, der Absolventin der Ur- und Frühgeschichte, Frau Arlette Schubert, die von Frau Dina Kraleva unterstützt wurde. Ihnen gilt ein herzlicher Dank.

Es ist mir nicht zuletzt ein Bedürfnis, meinen Söhnen Sven und Olaf sowie vor allem meiner Lebensgefährtin Ulrike Dost herzlich für das von ihnen aufgebrachte Verständnis für die Zeit, die ich mit der Arbeit verbracht habe, zu danken.

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I Theoretisch-methodologische Grundlagen zum mittelalterlichen Landesausbau in der Germania Slavica in Thüringen

Im Zentrum der Behandlung des früh- und hochmittelalterlichen Landesausbaus ausgewähl-ter Territorien Thüringens in der vorliegenden Arbeit steht der Begriff der Germania Slavica Thuringiae, d. h. der Anwendung dieses Begriffes auf einen Teil Ostthüringens.

Der Begriff der Germania Slavica wurde – was im nächsten Unterkapitel darzustellen ist – in einem länger andauernden Forschungsprozess herausgebildet und präzisiert. Er wird heute – zumindest von einem Teil der mit dieser Problematik beschäftigten Forschergeneration – auf die gesamte Kontaktzone von Germanen/Deutschen und Slawen angewandt. Das betrifft in Bezug auf Thüringen das gesamte Gebiet des heutigen Freistaates bzw. reicht für das Mittel-alter weit darüber hinaus.

Der zweite zentrale Begriff, der in der Arbeit Verwendung findet, ist der Begriff des mittel-alterlichen Landesausbaus in den zu behandelnden Territorien. Warum der Begriff des Lan-desausbaus verwendet wird und nicht alternierende Begriffe wie Kolonisation, deutsche Ost-kolonisation, ostdeutsche Kolonisation oder Deutsche Ostsiedlung, ist darzulegen.

Aus diesen Gründen erschien es erforderlich und zweckmäßig, das Arbeitsgebiet auf drei vergleichbare Territorien Thüringens einzugrenzen. Der Orlagau, der Geragau und das Nörd-liche Vogtland sowie das Pleißenland bilden, was noch zu beweisen ist, drei Kernzonen der Germania Slavica Thüringens.

Geografisch, historisch und administrativ wird aus Zweckmäßigkeitsgründen unter Thü-ringen das Gebiet des heutigen Freistaates Thüringen seit der Neugliederung nach der poli-tischen Wende 1990 verstanden. Dass das aus interdisziplinärer Sicht auf das Mittelalter wie aus der Sicht der einzelnen beteiligten Wissenschaften alles andere als unproblematisch ist, ist dem Autor durchaus bewusst.1 Wird der Begriff Thüringen in Bezug auf das Mittelalter auf das gesamte Territorium des heutigen gleichnamigen Freistaates angewandt, so ist zu bedenken und zu beachten, dass es sich um eine historisch retrospektive Betrachtungsweise handelt, die die Bezeichnung Thüringen auch auf ein Gebiet überträgt, für das zu dieser Zeit diese Bezeich-nung keine Anwendung gefunden hat.

Abb. 1: Das Arbeitsgebiet in Thüringen östlich der Saale in Gesamtthüringen (Sachenbacher) Selbstverständlich war das Territorium des heutigen Freistaates Thüringen weder über den gesamten Zeitraum des Mittelalters noch in seinen Entwicklungsetappen ein einheitliches ad-ministratives Gebilde oder gar ein einheitlicher Landschafts- und Kulturraum. Das trifft auch auf die Grundlagen des Dialektraumes Thüringen zu.2 Vor allem aus Zweckmäßigkeitsgrün-den in Bezug auf die an der interdisziplinären Forschung zum mittelalterlichen Landesaus-bau beteiligten Wissenschaftsdisziplinen wird zwar die gewachsene historische Struktur dort berücksichtigt, wo das notwendig ist, im Wesentlichen wird aber auf die moderne politische Gliederung im Freistaat Thüringen mit ihrer heutigen Kreiseinteilung zurückgegriffen.

I.1 Historisch-methodologische Grundlagen

Im Mittelpunkt der Arbeit stehen, wie bereits ausgeführt, die Begriffe Germania Slavica Thu-ringiae sowie früh- und hochmittelalterlicher Landesausbau.

Der historische Umfang der Arbeit ergibt sich demnach aus der historischen Dauer der Germania Slavica in Thüringen. Diese reicht vom ersten Auftreten der Slawen in Thüringen, allgemein wie in den zu untersuchenden Gebieten im Speziellen, bis zu deren ethnischer As-similation.

Nach dem gegenwärtigen Stand der archäologischen Slawenforschung in Thüringen ist das der Zeitraum vom 8. bis in das beginnende 13. Jahrhundert.

Zur Herausarbeitung von Grundlagen der slawischen Landnahme im Untersuchungsgebiet ist von einer völkerwanderungszeitlichen germanischen Besiedlung im Gebiet Thüringens öst-lich der Saale auszugehen. Das schließt auch die Frage ein, ob und inwieweit es zu möglichen Kontakten zwischen verbliebenen germanischen Bevölkerungsteilen und einwandernden Sla-wen gekommen sein kann. Diese Frage ist in erster Linie auf der Grundlage des Forschungs-standes der Archäologie zu beantworten, da mediävistische Quellen zu dieser Problematik nicht vorhanden sind und namenkundliche Quellen bisher nicht in der Lage sind, dazu exak-tere Angaben zu machen.

Das theoretisch-methodische Grundkonzept der Arbeit wird durch die Anwendung des mo-dernen Begriffs der Germania Slavica auf die Entwicklung des früh- und hochmittelalterlichen Landesausbaus geprägt.

Dieses Konzept, das von einer breiten Kontaktzone von Germanen/Deutschen und Slawen im Prozess des hoch- und spätmittelalterlichen Landesausbaus in einem bestimmten Gebiet, zu dem Thüringen gehört, ausgeht, bietet die Möglichkeit, vor allem den Anteil der Slawen an diesen Entwicklungen exakter herauszuarbeiten. Es hilft zugleich, die starre Trennung des ar-chäologischen Materials – von Siedlungs- und Flurformen sowie anderen Gegebenheiten und Gegenständen in slawisch auf der einen und deutsch auf der anderen Seite – für einen Zeit-punkt zu überwinden, zu dem in dieser engen Kontaktzone Herstellung und Gebrauch von Gegenständen sowie bestimmte Grundlagen nicht mehr von ethnischen Unterschieden, son-dern von funktionalen Eigenschaften sowie wirtschaftlichen Voraussetzungen geprägt waren.

Nicht zuletzt ermöglicht dieses Konzept, Thüringen zum einen im Allgemeinen in seiner

Einheit zu betrachten als auch im Besonderen in der Vielfalt seiner Territorien und Gebiete.

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Dieser Begriff steht ausschließlich für die Erfassung der Beziehungen von Slawen und Ger-manen/Deutschen in einem bestimmten Raum zu einer bestimmten Zeit und kann und will in diesem Sinne keineswegs andere Bezeichnungen ersetzen, die die zu behandelnden Territorien bezeichnen.

Der Begriff der Germania Slavica beinhaltet eine räumliche und eine zeitliche Kompo-nente.

Die Dialektik von Raum und Zeit ist ein entscheidendes Grundgerüst der Geschichte an sich, für die Tätigkeit des Historikers und die Darstellungsweise der Ergebnisse historischer Forschungen. Raum und Zeit sind in Bezug auf Geschichte:

– Die entscheidenden Daseinsbedingungen historischen Geschehens überhaupt, die Hüllen des historischen Prozesses an sich dessen, was sich objektiv vollzieht.

– Die Hüllen der Darstellung historischer Prozesse, die uns die Geschichtswissenschaft gibt, ihrer Subjektivität.

Raum und Zeit sind unendlich. Das menschliche Denken vollzieht sich dagegen in abgegrenz-ten Räumen zu bestimmten Zeiten, die wiederum abgegrenzt sind. Diese Grenzen werden von Menschen gesetzt.

Die Hilfsmittel dafür sind für den Historiker, einschließlich des Archäologen, Chronologie und Chorologie. Wir Archäologen untersuchen unsere Funde und Befunde unter den Aspek-tena. der Datierung, der zeitlichen Einordnung in eine Chronologieb. der räumlichen Einordnung in ein begrenztes Gebiet, das von der Chorologie erfasst wird.Eine wichtige Voraussetzung für die zeitliche und räumliche Einordnung eines begrenzten Gebietes in einer begrenzten Zeit ist der raumübergreifende Vergleich bestimmter historischer Erscheinungen. Das wiederum setzt die Vergleichbarkeit auch über weite Entfernungen auf der Grundlage eines theoretischen, historischen Systems voraus. Ein solches System stellt die kybernetische Systemtheorie dar.

Auf dieser Grundlage wurden z. B. durch Felix Biermann, Jiri Machacek und Franz Schopper die Entwicklungen der von Slawen im frühen und hohen Mittelalter eingenommenen Gebiete im Norden und Süden der Slavica untersucht. „Zu diesem Zweck wurden zwei Siedlungs-Mi-kroregionen im elbslawischen und im mährischen Teil des westslawischen Territoriums mitei-nander verglichen: das Tal der Notte bei Mittenwalde (Teltow) 40 km südlich Berlins, mit dem Hauptfundplatz „Pennigsberg“ als charakteristischem mittelslawischen Kleinrundwall, und das Tal der unteren Dyje (Thaya) nahe Breclaw (Lundenburg), 50 km südlich von Brno, mit

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dem berühmten großmährischen Burgwall Pohansko. Die beiden Arbeitsgebiete liegen rund 500 km entfernt“.3 Auf dieser Basis wurden wesentliche neue Erkenntnisse entwickelt.

Unabdingbare Grundlage solcher kleinräumigen Vergleiche über kleinere und größere Ent-fernungen hinweg ist deren Einordnung in eine chronologische Struktur. Beide Gebiete gehö-ren der slawischen Zeit an und diese wiederum gliedert sich in die Zeit des frühen und hohen Mittelalters ein, die das System prägen. Zum Mittelalter im Allgemeinen und spezifischen Pro-blemen im Besonderen gibt es inzwischen eine nicht mehr überschaubare Literatur. Als Bei-spiel sei hier nur ein modernes Werk von Chris Wickham genannt, das differenziert zahlreiche neue Erkenntnisse zusammenfasst und eine gute Übersicht zur Literatur bietet.4 Ein Werk, das bis heute unübertroffen scheint, ist Die Feudalgesellschaft von Marc Bloch.5 Gerade weil es einen scheinbar veralteten Begriff benutzt und ihn für die moderne Forschung aufarbeitet, bietet es vielfältige Räume für Vergleiche der Gesellschaftsstruktur, ohne die die erläuterte Herangehensweise nicht machbar ist.

Die kybernetische Systemtheorie ist an sich nicht neu, neu hingegen ist ihre Anwendung in den Geschichtswissenschaften einschließlich der Archäologie. Einen guten Überblick zur Li-teratur bietet Machacek in seiner Arbeit über Pohansko 2007.6 Zur allgemeinen Einführung in die kybernetische Systemtheorie in deutscher Sprache eignen sich auch heute noch Gedanken von G. Klaus und H. Liebscher, auch wenn sie sich in vielen Details auf eine untergegangene Gesellschaft beziehen.7

Die Geschichte an sich vollzieht sich bzw. hat sich vollzogen ohne Teilnahme von uns Archäo-logen bzw. Historikern – das trifft nicht nur auf die Ur- und Frühgeschichte zu. Die histori-schen Akteure waren zwar auch Menschen, aber solche in ihrer Zeit und an ihrem Ort.

Wir Archäologen/Historiker untersuchen diese Prozesse nach unseren Möglichkeiten, nach unserer Theorie und Methodik und stellen sie dementsprechend in Publikationen, Vorträgen oder anderen wissenschaftlichen Formaten dar.

Das wiederum geschieht zwar – so sollte es zumindest sein – nach bestem Wissen und Ge-wissen, aber nicht ohne Voraussetzungen, die sich in uns befinden, die wir vorgebildet haben, nach denen wir uns richten. So, wie sich die Geschichte an sich in einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort vollzieht, arbeiten wir Wissenschaftler auch zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. Wir können nur das untersuchen, auswerten und abbilden, was uns subjektiv zur Verfügung steht, wir wählen aus. Und das wird nicht zuletzt vom Wollen und Können der Person des Wissenschaftlers bestimmt. Und das wiederum beeinflusst das Ergeb-nis in nicht unbeträchtlichem Maße.

Daraus könnte man voreilig den Schluss ziehen, alle historische Erkenntnis bzw. Erkenntnis des Historikers einschließlich des Archäologen sei subjektiv und nicht nachprüfbar. Aber genau das ist ebenso falsch: Geschichtswissenschaft ist ein Erkenntnisprozess, in dessen Ergebnis et-was vorgelegt wird, was zwar von einer Person bestimmt wird, was sich aber überprüfen lässt.

Sollte sich dabei ergeben, dass Forschungsergebnisse falsch sind, muss die Bereitschaft zur Korrektur aufgebracht werden. Das bezieht sich selbstverständlich auch auf die Erforschung und Darstellung der Germania Slavica – nicht nur, aber auch – in Thüringen. Ausgehend vom Verlauf des historischen Prozesses in Raum und Zeit ist diese in Chronologie und Chorologie einzuordnen. Die Germania Slavica in Thüringen kann in diesem Sinne räumlich generell in 4 Zonen eingeteilt werden, deren Abgrenzung ineinander übergeht.

Abb. 2: Vier Zonen der Germania Slavica Thuringiae (Sachenbacher)

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I.Das Gebiet östlich der Saale

Hier haben wir es zu tun mit einem Gebiet, das nach den archäologischen Funden bis in das 7.  Jahrhundert von den Germanen der späten Völkerwanderungszeit/Merowingerzeit ver-lassen wurde. Ab dem 8. Jahrhundert wanderten in dieses siedlungsleere Gebiet von Norden Slawen ein, die bis zur Errichtung der deutschen Herrschaft ethnisch selbständig lebten und Landesausbau betrieben. Nach Errichtung der deutschen Herrschaft, die anfangs nur punk-tuell und auf Burgen als Sitze der Herrschaft beschränkt war, wurde der Landesausbau hier anfangs vorrangig von slawischen Siedlern betrieben, zu denen später deutsche Siedler hin-zukamen. Diese Prozesse standen in einer unmittelbaren Wechselwirkung mit der Mission der Slawen und dem Auf- und Ausbau eines dichten Kirchennetzes. Der Landesausbau er-reichte im 13. Jahrhundert seinen Höhepunkt. Ab dem 14. Jahrhundert setzte ein partieller Wüstungsprozess ein, als dessen Ergebnis nahezu die heutige Ortsdichte erreicht wurde. Im Verlauf der Landesausbauprozesse unter deutscher Herrschaft wurden die Slawen integriert und assimiliert.

II.Ein Gebiet westlich der Saale bis westlich von Erfurt

Dieses Gebiet wurde nach 531 allmählich in das Frankenreich integriert. Die ab dem 8. Jahr-hundert von Norden einwandernden Slawen trafen auf ein Territorium, das bereits locker be-siedelt war. Sie errichteten ihre Siedlungen nach unseren gegenwärtigen Erkenntnissen neben den bzw. gemeinsam mit den germanisch/deutschen Bewohnern/Siedlern. Es kam zu einem gemeinsamen Landesausbau unter deutscher Herrschaft. Auch hier wurde der Höhepunkt im 13. Jahrhundert erreicht, dem ein partieller Wüstungsprozess folgte. Die Slawen waren im 12./13. Jahrhundert so weit integriert und assimiliert, dass die archäologischen Funde keine Unterschiede mehr erkennen lassen.

III.Ein Gebiet westlich des Gebietes II. bis zur heutigen Landesgrenze mit Hessen.

In diesem Gebiet ist der Anteil der Slawen am Landesausbau unter deutscher Herrschaft nur noch durch slawische Orts- und Flurnamen zu erfassen. Diese dünnen von Ost nach West aus und lassen sich ganz im Westen vor allem durch Fremdbezeichnungen – wie z. B. Wenden – sowie vergleichsweise Namen fassen. Archäologische Funde, die auf Slawen hinweisen, feh-len nach unseren heutigen Erkenntnissen zumindest bisher weitestgehend. Das könnte darauf hinweisen, dass die Slawen hier erst am Landesausbau beteiligt wurden, als sie kulturell bereits voll integriert waren.

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IV.Das Gebiet südlich des Thüringer Waldes

Dieses Gebiet steht in Bezug auf den hoch- und spätmittelalterlichen Landesausbau, an dem auch Slawen intensiv beteiligt waren, von Anfang an unter südöstlichen und südwestlichen Einflüssen. Die Entwicklung vollzieht sich auf dieser Grundlage vergleichbar zu den Territo-rien I. bis III. Der Anteil der Slawen am Landesausbau ist auch hier vorrangig durch archäo-logische Funde und Orts- bzw. Flurnamen bzw. mediävistische Quellen zu fassen.

Im Kontext der räumlichen ist auch die zeitliche Komponente zu beachten. Chronologisch umfasst der mittelalterliche Landesausbau in der Germania Slavica Thuringiae den Zeitraum vom ersten Auftreten der Slawen in Thüringen bis zu deren Assimilation im Staufferreich.

E. Gringmuth-Dallmer, der in Bezug auf das Siedlungswesen in dieser Zeit zu Recht eine rein ethnische Herangehensweise kritisiert und vorschlägt, diese durch eine umfassendere He-rangehensweise zu ersetzen, schreibt:

In einer schematischen Tabelle vergleicht E. Gringmuth-Dallmer die Entwicklung im Süd-gebiet östlich der Saale, im Südgebiet westlich der Saale, in der Altmark, im mittleren Bran-denburg und im nördlichen Brandenburg, Mecklenburg, miteinander. Die Germania Slavica Thuringiae erfasst er in den Südgebieten westlich und östlich der Saale. Für das Gebiet östlich der Saale, das im Wesentlichen identisch ist mit der Zone eins des Verfassers, sieht er die Pha-se I von ca. 600 bis nach 900, die Phase I/II von nach 900 bis ca. 1150 und die Phase II von ca. 1150 bis nach 1200. Für das Gebiet westlich der Saale, das er nicht unterteilt und das damit die Zonen eins und zwei umfasst, sieht er die Phase I/II von 600 bis 700/750 und die Phase II folgend bis nach 1200.

André Thieme, der sich mit den für den früh- und hochmittelalterlichen Landesausbau ver-wendeten Bezeichnungen kritisch auseinandersetzt, begründet die Verwendung des Begriffes der Kolonisation neu:

Wenngleich es m. E. besser ist, sich unter diesen Umständen ganz vom Kolonisationsbegriff zu lösen und stattdessen besser vom Prozess des früh- und hochmittelalterlichen Landesausbaus zu sprechen, ist in den grundlegenden historischen Argumentationen A. Thieme zu folgen.

So auch seinem zeitlich/chronologischen Ansatz, wenn er der „frühen oder Binnen – Kolo-nisation“ die „hohe Kolonisation“ folgen lässt und in Bezug auf letztere vor allem den Aspekt der „herrschaftlichen Grundlegung“ hervorhebt.

Zur Verdeutlichung von deren idealtypischen Strukturen entwirft er eine Tabelle, in der er diese einander gegenüberstellt.10

Der Vorteil der Unterscheidung von früher und hoher Kolonisation (nach seinen Begriffen) besteht auch darin, dass er dieses Muster auf verschiedene Territorien und Erscheinungen an-wenden kann, ohne sich einem übergreifenden Zeitschema unterordnen zu müssen. Welche Vorteile das u. a. auch für den Aspekt der in der vorliegenden Arbeit zu vergleichenden Terri-torien bringt, ist zu erläutern.

Bereits in seiner Arbeit von 2001 über die Burggrafschaft Altenburg hatte A. Thieme auf interdisziplinärer Grundlage fünf Phasen der „Erschließung und Besiedlung des Altenburger Gebietes“ herausgearbeitet:

Phase I: Inbesitznahme und erste Erweiterung

Phase II: Der Ausbau Ende des 8. und im 9. Jahrhundert

Phase III: Der Ausbau im 10./in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts

Phase IV: Frühkolonisation

Phase V: Übergang zur Hochkolonisation11

Dazu führt er 2008 aus:

Wenn in meiner Arbeit trotzdem nicht der Begriff der bäuerlichen Kolonisation – den A. Thie-me 2009 ausführt – verwendet wird, sondern der Begriff des Landesausbaus, so beruht das vor allem auf zwei Gründen:

Erstens ist m. E. der Begriff „Bäuerliche Kolonisation“ zu einseitig auf den Prozess der agra-rischen Erschließung ausgerichtet. Diese bildet zweifelsohne den Kern des Landesausbaus. Die Gewinnung neuen Landes in seiner Gesamtheit ist aber nur möglich, wenn zu den agrarischen Prozessen weitere ökonomische hinzukommen und Herrschaft als leitendes Element tätig wird und wenn diese Prozesse sich auf einem geistig-kulturellen Boden vollziehen, den primär die Religion bildet. In den Gebieten, wo sich zuerst ein originär slawischer Landesausbau voll-zieht, handelt es sich anfangs um eine vorchristliche Religion, die allerdings vom Christentum bereits beeinflusst ist. Später schaffen die Slawenmission und der Aufbau einer umfassenden Kirchenorganisation auch hier eine Christianisierung des gesamten Territoriums.

Zweitens lehne ich – wie dargelegt – den Begriff der Kolonisation grundsätzlich ab, weil er missverständlich ist und die dahinterstehenden Prozesse nicht richtig widerspiegelt.

Walter Schlesinger begründet in seinem 1957 in der Historischen Zeitschrift veröffentlichten Artikel „Die geschichtliche Stellung der mittelalterlichen deutschen Ostbewegung“ die Not-wendigkeit einer neuen Herangehensweise an die Prozesse der Germania Slavica und schafft so für die Geschichtswissenschaft in der damaligen Bundesrepublik eine gute Grundlage zur Auseinandersetzung mit dem Begriff der Kolonisation.13

Er geht davon aus, dass es notwendig ist, „das überkommene Bild von der Geschichte des deutschen Ostens und insonderheit der mittelalterlichen deutschen Ostbewegung einer Prü-fung zu unterziehen, die so unvoreingenommen ist, wie immer es dem Menschen möglich ist.“14

Der Begriff der Kolonisation wird seiner Meinung nach „dem Wesen der Erscheinung nicht völlig gerecht …“

Auch wendet er sich gegen die Darstellung, es handle sich um Prozesse der „Wiederbesiedlung des ostdeutschen Volksbodens“, da hier germanisch und deutsch historisch unzulässig ver-mengt würden.16

Die Ostsiedlung ist nach seiner Meinung der ausschlaggebende Teil der Ostbewegung. Er hält an diesen Begriffen fest, obwohl er selbst erläutert, dass die Siedlungsbewegung nicht nur in östliche Richtung zielte und dass sie, obwohl sie unter deutscher Herrschaft erfolgte, auch maßgeblich von Slawen getragen wurde. Wenn er richtigerweise ausführt: „Die slawische Be-völkerung ist hier in einem langen Ausgleichs- und Einschmelzungsprozess, in den wir noch keineswegs genügend Einblick haben, vom Deutschtum aufgesogen worden, bis auf geringe Reste in der Lausitz …“17, beachtet diese Darstellung jedoch zu wenig, dass am Ende dieses Assimilationsprozesses etwas völlig Neues zu konstatieren ist.

Er vertieft in seinem Beitrag in den Reichenau-Vorträgen Anfang der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts den Begriff der „Deutschen Ostsiedlung“, den er im positivistischen Sinne ideo-logiefrei verstanden wissen will und geht dabei auch auf E. O. Schulze 1896 ein.18 Zusammen-fassend stellt er fest: „Die Ostsiedlung gehört, so meine ich, in die Geschichte des mittelalter-lichen Landesausbaus, der in erster Linie ein Vorgang der Bevölkerungsgeschichte und der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, sodann aber auch der Verfassungs- und Rechtsgeschichte ist. Er hat alle Länder Europas ergriffen, aber mit zeitlicher Verschiebung …“19

Wichtige methodische Grundlagen für die Begriffe Landnahme, Landesausbau und Landor-ganisation im Hochmittelalter aus archäologischer und mediävistischer Sicht schaffen Walter Jansen und Peter Johanek mit ihren Einführungsvorträgen und Schlussbetrachtungen zum zweiten Teil der Reichenau-Tagungen 1988/89.20

Walter Jansen setzt sich ausführlich mit der Bestimmung des Begriffs der Landnahme ausein-ander und unterscheidet dabei zwischen „Landnahmen in bereits besiedeltem Gebiet“ und „Land-nahmen in unbesiedelten oder siedlungsverdünnten Räumen“. Letztere erfolgen seiner Meinung nach „meist ohne Komplikationen mit vorhandenen Vorbevölkerungen“. Erstere „… beschwören eine Vielzahl von Konflikten herauf. Es gibt bei ihnen friedliche Koexistenz, Duldung, Akkultu-ration, wechselseitige Aufsaugung, aber auch soziale und politische Überschichtung (zum Beispiel bei Awaren und Slawen) bis hin zum Genocid (Weiße und Indianer in Amerika).21

Er führt 36 Belege für die Verwendung des Begriffs der Landnahme als Forschungsthema für die Zeit von 1741 bis 1983 auf und setzt sich mit der Verwendung des Begriffes in der For-schungsgeschichte der Archäologie vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus auseinander.22

In der Folge wendet er sich dem Begriff des Landesausbaus zu. „Zwei Formen von Landes-ausbau sind grundsätzlich zu unterscheiden: der innere Landesausbau und der Landesausbau, der sich aus den Altsiedelgebieten heraus bisher noch nicht besiedelten Gebieten zuwendet.“23Auch hier sucht er nach Belegen für den Gebrauch dieses Begriffs, die er an 10 Stellen von 1911–1913 bis 1988 aufführt.24

Von den Begriffen Landnahme und Landesausbau unterscheidet er den Begriff der Land-organisation. „Unter Landorganisation wollen wir alle jene Tätigkeiten fassen, die nach der tatsächlichen Ankunft einer Gruppe im neuen Siedlungsraum, also nach dem ‚adventus‘“, er-griffen werden, um das neu in Besitz genommene Land siedlungsmäßig und wirtschaftlich zu erschließen. Wir meinen, daß Landnahme einerseits und die Organisation des einmal in Besitz genommenen Gebietes andererseits zwei voneinander zu unterscheidende Phasen des Gesamtverlaufes von Siedlungsprozessen in vor- und frühgeschichtlicher Zeit darstellen.“25Das ist für das frühe Mittelalter sehr wichtig.

Entscheidende Grundlagen für die Herangehensweise an den frühmittelalterlichen Landes-ausbau, denen ich mich im Wesentlichen anschließe, legt Eike Gringmuth-Dallmer: Arten des Landesausbaus, Schema I. äußerer Landesausbau II. innerer Landesausbau ursprüngliches SiedlungsbildErweiterung miträumlichem Kontakt

Erweiterung ohneräumlichen Kontaktursprüngliches SiedlungsbildErweiterung durch

Ortsvergrößerung

Erweiterung durch Anlagevon Tochtersiedlungen

Abb. 3: Arten des Landesausbaus nach Gringmuth-Dallmer (Gringmuth-Dallmer 1985)

Felix Biermann plädiert in seiner 2010 veröffentlichten Arbeit Archäologische Studien zum Dorf der Ostsiedlungszeit , die auf seiner Habilitationsschrift beruht, dafür, den Begriff der „Ostsiedlung“ zu verwenden.27

Er spricht in diesem Zusammenhang von „Landesausbau im Zuge der deutschen Ostsied-lung.“28 Die Ostsiedlung wird von ihm als Teil des Landesausbaus gesehen.

Biermann setzt sich im Folgenden unter dem Titel „Der Begriff der Ostsiedlung“ einge-hend mit parallel verwendeten Begriffen auseinander, die er in der Regel ablehnt.29 Er hält den Begriff des Landesausbaus zwar für prinzipiell richtig aber „deutsche Ostsiedlung“ ist seines Erachtens für die speziellen Prozesse, wie sie sich im Mittelalter im Osten Deutsch-lands und darüber hinaus vollziehen, zutreffender. Den Begriff der Kolonisation lehnt er nicht prinzipiell ab, wenn er im Sinne „des Sich-Ansiedelns“ Verwendung findet.30 Wenn in der vorliegenden Arbeit von „Landesausbau“ gesprochen wird, so steht das nicht im Gegen-satz zur Meinung von F. Biermann, sondern m. E. bietet dieser Terminus günstigere Mög-lichkeiten, gleiche oder ähnliche Prozesse vergleichen zu können und Missverständnisse zu vermeiden.

Aus Gründen der Vergleichbarkeit wurden in der vorliegenden Arbeit aus der ersten Zone der Germania Slavica Thuringiae, die im Orlagau in die zweite Zone übergeht, der Pleißengau, der Geragau mit dem nördlichen Vogtland sowie der Orlagau zur Untersuchung ausgewählt. Die Untersuchung beschränkt sich deshalb auf diese Gebiete.

Dort, wo es für das Verständnis der Entwicklung in diesen Territorien nötig ist, werden an-dere Gebiete in den Vergleich einbezogen.

Zeitlich betrachtet können in Anlehnung an Thieme und Gringmuth-Dallmer mehrere Pha-sen für den Landesausbau in den drei Territorien herausgearbeitet und diese gegebenenfalls mit angrenzenden Territorien verglichen werden. Das ist Aufgabe der Kapitel II und III dieser Arbeit anhand der unterschiedlichen Entwicklung in den drei zu untersuchenden Territorien.

M. E. benötigt ein raumübergreifender Vergleich, wie er für die Arbeit nötig ist und auch bei einzelnen Erscheinungen erfolgt, die Feststellung einer vergleichbaren Stufe der Entwicklung. Dafür setze ich einen fortschreitenden historischen Prozess in Etappen voraus.

Der große (vielleicht besser größte) bürgerliche deutsche Philosoph, Georg Wilhelm Fried-rich Hegel, der maßgebliche Vertreter der Klassischen Deutschen Philosophie, entwickelt auf der Grundlage der überlieferten Erkenntnisse seiner Zeit in seiner Geschichtsphilosophie ein ebensolches System.

In seinen Berliner Vorlesungen zur Vernunft in der Geschichte ab dem Wintersemester 1822/23 legt er den Progress der Weltgeschichte, ihren „Gang“, in vier Stufen dar, aus denen er die „Vorgeschichte“ ausklammert.

Zu den Grundprinzipien der Stufeneinteilung führt er aus, „… daß jede Stufe als verschie-den von der andern ihr bestimmtes eigentümliches Prinzip hat. Solches Prinzip ist in der Geschichte Bestimmtheit des Geistes eines Volkes. In dieser drückt er als konkret alle Seiten seines Bewußtseins und Wollens, seiner ganzen Wirklichkeit aus; sie ist das gemeinschaftliche Gepräge seiner Religion, seiner politischen Verfassung, seiner Sittlichkeit, auch seiner Wis-senschaft, Kunst und technischer Geschicklichkeit, der Richtung seiner Gewerbstätigkeit“.33Diese Punkte kann man zusammenfassen in den drei modernen Kategorien Politk, Macht und Herrschaft; Religion und geistiges Leben sowie Wirtschaft. Hegel sieht diese Bereiche in einem engen dialektischen Wechselverhältnis. Sie bedingen einander und setzen sich gegen-seitig voraus.

Auf dieser Grundlage der Philosophie Hegels hat dessen Schüler Karl Marx seine Theorie der Gesellschaftsformationen entwickelt. Auch er beginnt, der Urgeschichte folgend, die er nicht ausklammert, mit der Geschichte der orientalischen Welt. Im Vorwort zur „Kritik der politischen Ökonomie“ unterscheidet er „asiatische, antike, feudale und moderne bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation“.34 An-stelle des Hegelschen Weltgeistes legt Marx die Produktionsweise seiner Stufenfolge zugrunde.

Die Stufe, die die Geschichte der Slawen beinhaltet, ist bei Hegel in der vierten Stufe enthal-ten, bei Marx in der feudalen Produktionsweise. Auf die Theorie des Feudalismus, die bei Marc Bloch umfassend ausgearbeitet ist, ist an anderer Stelle zurückzukommen.

Innerhalb der Stufen entwickeln sich Jahre/Jahrzehnte eines besonderen Umbruchs, die den Charakter der Stufen zwar nicht grundsätzlich verändern, aber doch zu entscheidenden Entwicklungen führen. Im untersuchten Zeitraum sind das die Jahre/Jahrzehnte um das Jahr 1000.35

Vor allem in den letzten Jahren wird auch in Bezug auf die Geschichte der Slawen vor allem als Methode der Darstellung und die daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für die Besied-lungsgeschichte die Kerndichteerfassung angewendet.36 Dabei handelt es sich zweifelsohne um eine zukunftsweisende Methode, ohne die künftige archäologische Arbeiten nicht auskommen werden. Trotzdem wurde sie in der vorliegenden Arbeit nicht zur Anwendung gebracht, da sie weiterer Präzisierungen bedarf.

I.2 Forschungsgeschichtliche Grundlagen/ Voraussetzungen des mittelalterlichen Landesausbaus in Thüringen

Ein forschungsgeschichtlicher Rückblick zum früh- und hochmittelalterlichen Landesausbau in vergleichbaren Territorien der Germania Slavica Thüringens östlich der Saale hat sich in erster Linie mit der Herausbildung und Entwicklung des Begriffes der Germania Slavica sowie alternierenden Begriffen des mittelalterlichen Landesausbaus zu beschäftigen.

Der Begriff der Germania Slavica ist gegenüber anderen Begriffen, die den mittelalterlichen Landesausbau charakterisieren, relativ jung. Er wird erst seit dem letzten Drittel des 20. Jahr-hunderts benutzt, wurde aber seitdem präzisiert und grundlegend weiterentwickelt.

Dass er bei der Beschäftigung mit den Slawen und deren Anteil am mittelalterlichen Lan-desausbau in einem Territorium, das sich auf eine germanisch/deutsche Besiedlung bezieht, entstanden ist, kommt bereits im Wort selbst zum Ausdruck. Die Beschäftigung mit seiner Geschichte hat demnach dort anzusetzen, wo die Erkenntnis gereift ist, dass in Thüringen bzw. in Teilen Thüringens in einem bestimmten Zeitraum des Mittelalters Slawen gesiedelt haben, die von Anfang an oder zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt mit Germanen/Deutschen in Kontakt standen.

Das Problem des Ansprechens archäologischer Quellen im ethnischen Kontext – in unserem Fall als slawisch – bedarf einiger grundsätzlicher Bemerkungen. Es hat sich in der ur- und frühgeschichtlichen Forschung eingebürgert, Funde und Befunde mit einem ethnisch ge-prägten Begriff zu versehen, wie z. B. slawische Keramik, slawische Verzierung oder slawische Siedlung und Vergleichbares. Das ist eigentlich erkenntnistheoretisch falsch. Eine ethnische Bezeichnung kommt nur Menschen bzw. Gruppen von Menschen zu. Nicht die Keramik ist slawisch, sondern die Menschen, die sie herstellen, gebrauchen usw. Aus Zweckmäßigkeits-gründen ist es aber berechtigt, anstelle einer umfänglichen Beschreibung eine abkürzende Wortwahl zu benutzen, wenn jeder versteht und richtig einordnet, was damit zum Ausdruck gebracht werden soll. Das eigentliche Problem befindet sich auf einer anderen Ebene.

Seit geraumer Zeit wird das Problem der ethnischen Deutungen in der Archäologie über-haupt wieder kontrovers diskutiert. Initiator dieser Diskussion ist vor allem Sebastian Brather mit seinem Artikel zur ethnischen Deutung mittelalterlicher Sachkultur, veröffentlicht 1996 in der Ethnografisch-archäologischen Zeitschrift .37 Die Diskussion dieser Problematik vor allem in der Auseinandersetzung mit Ansichten von G. Kossinna oder J. Kostrzewski begann schon zu Lebzeiten Kossinnas und ist immer wieder neu entfacht worden.

1979 hat sich Hansjürgen Brachmann „zu einigen methodischen Voraussetzungen der eth-nischen Interpretation archäologischer Funde“ geäußert.38 Er bezeichnet die „Organisation der produzierenden Kollektive“ und die „Klärung des Problems ihrer ethnischen Zugehörigkeit“ mit den Methoden der Archäologie als mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Aber er stellt grundsätzlich dazu fest: „Es kann dennoch kein Zweifel daran bestehen, daß beide Fra-gen zu den Hauptzielen der archäologischen Ur- und Frühgeschichtsforschung gehören. Ein Verzicht auf ihre Lösung wäre gleichbedeutend mit der Aufgabe der Archäologie als histori-scher Disziplin.“39 Dieser Feststellung an sich und der im Folgenden ausgeführten kritischen Sicht auf das Bild, das die Nachbarwissenschaften dazu vermitteln, kann man sich ebenso gut anschließen wie seiner Feststellung im Fazit: „Ethnogenetische Fragen sind Bestandteil des historischen Forschungsziels auch der archäologischen Ur- und Frühgeschichtsforschung. Entsprechend der Komplexität des Gegenstandes und der damit verbundenen Vielzahl von in die Auswertung einzubeziehenden Quellengattungen bedarf ihre Lösung jedoch der inter-disziplinären Zusammenarbeit. Dabei ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es bei diesen Forschungen nicht um das Ethnos schlechthin geht, sondern entsprechend der gesellschaft-lichen Entwicklung stets um konkrete ethnosoziale Organismen.“40 Zahlreiche von ihm dazu aufgeführte Interpretationen sind den Erkenntnissen seiner Zeit geschuldet und eher kritisch zu betrachten.

In seinem Hauptwerk Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie legt Sebastian Brather 2004 seine Ergebnisse zu dieser Problematik in 8 mehr oder weniger um-fangreichen Kapiteln relativ umfassend dar. Er setzt sich vor allem mit den Begriffen Volk, Kultur, Rasse und Sprache auseinander und stellt im abschließenden Kapitel „Zusammen-fassung“ fest:

Brather kann zugestimmt werde, wenn er eine „einseitige Fixierung“ ablehnt. Das darf aber nicht bedeuten, dass auf sie damit völlig verzichtet werden soll. Die Interpretation histori-scher Zusammenhänge in der Frühgeschichte und im Mittelalter verlangt deren ethnische Einordnung, wo das eine interdisziplinäre Herangehensweise möglich macht. Selbstverständ-lich ist es nicht Aufgabe der Archäologie, Ergebnisse der Nachbardisziplinen zu verifizieren. Eigene Fragestellungen und Lösungswege auf der Grundlage der archäologischen Quellen sind ebenso notwendig wie die Berücksichtigung von Fragen, Methoden und Lösungsan-sätzen der Nachbarwissenschaften und deren Zusammenwirken in einer interdisziplinären Herangehensweise.

Ganz in diesem Sinne ist Peter Stadler zuzustimmen, wenn er schreibt: „Es kann nicht die Frage sein, ob es ethnische Gruppen gegeben hat, sondern ob man sie auch mit unseren fach-eigenen Methoden feststellen kann.“42 Und an anderer Stelle: „Ich glaube, dass durch unse-re Untersuchungen entgegen der agnostischen Sichtweise von Sebastian Brather das Bild des Awarenreiches und seiner Westbeziehungen – ganz im Gegenteil – „bunter“ geworden ist, da wir nun imstande sind, Awaren von Bulgaren, eventuell Kutriguren, Gepiden, Sueben, Roma-nen und Slawen zu trennen.“43 Das, was P. Stadler hier zur Awarenforschung ausführt, trifft m.  E. voll auf die Slawenforschung zu. Eine interdisziplinäre Mittelalterforschung verlangt Beschäftigung mit ethnischen Fragestellungen; kann und darf nicht auf sie verzichten.

Bei der Verwendung des Begriffes der Germania Slavica ist stets zu bedenken: Wenn die Ger-mania Slavica interpretiert wird als Raum und Zeit des Kontaktes von Germanen/Deutschen und Slawen, so darf nicht der Eindruck entstehen, dass Germanisch und Deutsch gleichgesetzt und dem Slawischen gegenübergestellt wird. Es existiert kein unmittelbarer Zusammenhang bzw. Übergang zwischen Germanen und Deutschen. Das slawische Element hat einen hohen Anteil an der Ethnogenese des Deutschen.

Es ist nicht beabsichtigt und auch gar nicht möglich, an dieser Stelle eine Forschungsge-schichte zu den Slawen in Thüringen und ihrem Verhältnis zu den Germanen/Deutschen vor-zulegen. Diese ist nach wie vor ein Desiderat der Forschung und damit eine wichtige For-schungsaufgabe.

In diesem Sinne sollen im folgenden Kapitel nur Grundlinien der Forschungsgeschichte dargelegt und kritisch hinterfragt werden. Der Schwerpunkt wird dabei auf die Herausbil-dung der Problematik der Germania Slavica in Thüringen im 19. Jahrhundert bis zur vollen Entwicklung der sogenannten „Kolonisation und Germanisierung“ bis zum ersten Drittel des 20. Jahrhundert gelegt. Auf die Behandlung dieser Problematik in der Geschichtsideologie des Nationalsozialismus bzw. den Weg dahin und auf die Entwicklung danach, vor der Heraus-bildung des Begriffes der Germania Slavica, kann und soll in dieser Arbeit nicht gleicherma-ßen intensiv Rücksicht genommen werden. Das soll späteren Arbeiten vorbehalten bleiben, die dringend erforderlich sind.

In diesem Zusammenhang bezieht sich die Arbeit vor allem auf Grundsatzschriften, die sich mit den Slawen und ihren Beziehungen zu den Germanen/Deutschen in Thüringen befassen. Einzelne dieser Werke zu den Slawen in Thüringen enthalten zumindest Literaturübersichten über vorhergegangene Arbeiten, die mitunter auch einer kritischen Wertung unterzogen wer-den.44

Die erste Etappe der Beschäftigung mit der slawischen Einwanderung, der Rolle der Slawen beim mittelalterlichen Landesausbau in Thüringen einschließlich der historischen Quellen so-wie des Kontaktes mit den Germanen/Deutschen, geht einher mit Vorromantik, Romantik und Aufklärung. Sie reicht bis in das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts, bis zur endgültigen Entwicklung des Begriffes der Kolonisation.

Aufgrund der territorialen Zersplitterung Thüringens erfolgte die Beschäftigung mit den aufgeworfenen Problemen in Thüringen sowohl von Seiten einzelner Personen als auch von Personengruppen innerhalb der Grenzen der Thüringischen Kleinstaaten. Das betrifft für die zu untersuchenden Territorien vor allem die Herzogtümer Sachsen-Altenburg und Sachsen-Meinigen sowie die Fürstentümer Reuß. Es erscheint erforderlich, auf diese Etappe etwas in-tensiver einzugehen als auf die folgenden, da hier entscheidende Grundlagen gelegt werden, die dann modifiziert stets wieder auftreten.

Eine erste, quasi vor- bzw. frühwissenschaftliche Stufe dieses Prozesses ist im Rahmen der romantisierenden Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, der „vaterländischen Al-tertumskunde“ im 18. Jahrhundert, zu verzeichnen. Aufgrund der staatlichen Aufsplitterung Thüringens erfolgte diese vor allem im Rahmen der Hinwendung zur regionalen Geschichte durch Gelehrte an den thüringischen Höfen und fand ihren Niederschlag unmittelbar in deren gelehrten Blättern.

So berichtet die Zeitschrift für das Fürstentum Altenburg 1795 im Zusammenhang mit den Hinterlassenschaften, „wo die alten Sorben Wenden eingedrungen waren“, vom Fund eines „Steinpflaster(s) unweit der Stadt Altenburg, mitten in den nach dem Dorfe Münsa zu gelege-nen Feldern“, das als ein „zum ehemaligen Verbrennen der Leichen bestimmter Platz“ gedeutet wird. Dieser Fund wird eingeordnet in die Ausgrabungen „an vielen Orten Teutzschland(s)“.45Möglicherweise handelt es sich dabei um die nahe der Straße von Altenburg nach Münsa ge-legene slawische Siedlung, die 2001 beim Bau der neuen Umgehungsstraße angeschnitten und in der Folge teilweise ergraben wurde.46

Einzeldarstellungen, die für das Thema von besonderem Interesse sind, existieren – oftmals allerdings relativ schwer zugänglich – bereits aus der Zeit davor. So ist es einem besonders glücklichen Umstand zu verdanken, dass die im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts von Kas-par Sagittarius verfasste Schrift Saalfeldische Historien gedruckt und kommentiert vorliegt. Ihr Verfasser war von 1668 bis 1671 Rektor der Saalfelder Stadtschule, bevor er nach Jena ging, wo er bis zu seinem Tod 1694 als Professor der Geschichte wirkte. Der Thüringer Archivar Ernst Devrient, der von 1900 bis 1902 das Saalfelder Stadtarchiv neu ordnete, unterzog sich der Mühe, die handschriftlich als Kopie in Einzelteilen vorliegende Schrift von Sagittarius zu über-arbeiten und, mit Anmerkungen versehen, 1903/1904 in zwei Teilen gedruckt vorzulegen.47

Der besondere Wert dieser Schrift liegt darin, dass sie anschaulich den Wissensstand zu den Slawen in Mitteldeutschland, vor allem in Thüringen, am Ende des 17. Jahrhunderts aufzeigt. Als wichtige Quellen für seine Darstellungen der Geschichte Saalfelds im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit nennt Sagittarius zeitgenössische Werke, wie z. B. die Chronik des Fredegar oder seiner Schrift vorhergehende Arbeiten, vor allem die „Salfeldographia“ von Sylvester Lieb von 1625. Diese in Latein verfasste Schrift wurde nie vollständig ins Deutsche übertragen und gedruckt publiziert.48

Nachdem sich Sagittarius in den ersten 5 Kapiteln seiner Schrift mit der Entstehung des Namens von Saalfeld und des Namens der Saale sowie mit den an ihr liegenden Orten und Zuflüssen zu ihr beschäftigt und auf die Frage eingeht, wann Saalfeld als Ort entstand, über-schreibt er das 6. Kapitel „Von den Sorben – Wenden“.49

Bereits im vorhergehenden Kapitel hatte er allgemein festgehalten, dass „in dem folgenden siebenten seculo die Sorben an diesen Orten eingenistelt, Saalfeld eingenommen und daselbst ein Schloß erbaut haben.“50 Dabei stützte er sich für Saalfeld ebenso wie für das Vogtland, mit dem er sich auch beschäftigt hat, auf slawische Orts- und Gewässernamen.

Das 7. Kapitel widmet er dann der Saalfelder Burg, dem Hohen Schwarm, den er für eine Burg der Slawen in einer von ihnen bewohnten Stadt hält.51

In den dann folgenden Kapiteln geht er an mehreren Stellen sehr allgemein auf die Slawen ein, die seiner Meinung nach das Gebiet östlich bis zur Saale und relativ geringfügig westlich davon eingenommen hatten, bis dieses Territorium im letzten Drittel des 9. Jahrhunderts wie-der unter fränkische Herrschaft kam.

Sagittarius Schrift ordnet die Slawen in und um Saalfeld den Kenntnissen seiner Zeit ent-sprechend historisch ein, ohne dabei auf archäologische Quellen zurückgreifen zu können. Es ist sein Verdienst wie das anderer gleichzeitiger Autoren, die Slawen überhaupt in das Blickfeld der lokalen Geschichtsschreibung in Ostthüringen gerückt zu haben und dafür neben den Arbeiten zeitgenössischer frühmittelalterlicher Geschichtsschreiber auch onomastische Quel-len anzuführen und auszuwerten.

Bereits im 18. Jahrhundert hatten vor allem äußerlich sichtbare Bodendenkmale auch des Mittelalters, wie Wall- und Wehranlagen, die Aufmerksamkeit von „Schatzgräbern“ geweckt. So wurden – sicher nicht zuletzt durch die reiche Sagenwelt angeregt – bereits um 1700 die ersten „archäologischen Untersuchungen“ im Bereich der Burganlage auf dem Hausberg von Gera – Langenberg – durch den Bergmann Buschner unternommen.52

Aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stammt der Versuch von Karl Gottlob Anton, eine zusammenhängende Darstellung des Erkenntnisstandes zu den Slawen insgesamt vorzu-legen. Er betitelt sie: Erste Linien eines Versuchs über der Alten Slawen Ursprung, Sitten, Ge- bräuche, Meinungen und Kenntnisse und ließ ihr 1789 den zweiten Teil folgen.

Dank eines fotomechanischen Neudrucks nach einem Exemplar der Sächsischen Landes-bibliothek Dresden durch den Domowina-Verlag Bautzen 1976 von Paul Nedo ist diese Schrift gut zugänglich.53

Anton, der 1774 die Leipziger Universität als Doktor der Rechtswissenschaft und Magister philosophiae verlassen hatte und in Görlitz wirkte, hatte sich ausgiebig auch mit Geschichte und Sprachwissenschaften beschäftigt. Allein schon der Titel seiner Schrift verrät, dass er sich einem Unterfangen widmete, das in diesem Umfang schier aussichtslos und unmöglich von einer Person zu bewältigen war.

Trotzdem ist es – im aufklärerischen und humanistischen Geist seiner Zeit geschrieben – ein verdienstvolles Werk, das er, wie er selbst ausführt, vor allem auf die sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse seiner Zeit, gegenwärtige Sitten und Gebräuche slawischer Völker und Historio-grafen des Mittelalters stützt.54 Er bedauert es ausdrücklich, dass ihm keine archäologischen Quellen zu Verfügung stehen: „Hierher würden auch die gefundenen Alterthümer gehören, wenn ihrer nicht zu wenig wären, und man genau wüste, welcher Nazion sie angehörten.“55 Da er nicht auf Thüringen eingeht, sei an dieser Stelle nur vermerkt, dass er die Elbe als Grenze zwischen Germanen und Slawen ansah.56 An anderer Stelle spricht er von einer Grenze mit den Thüringern.57

Im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts erreicht diese erste Etappe der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Rolle der Slawen beim Landesausbau im mittelalterlichen Thüringen eine neue Qualität. Diese entsteht durch das Schaffen von Gesellschaften und Vereinen, die sich auf wissenschaftlicher Grundlage – entsprechend dem Erkenntnisstand der Zeit – mit den verschiedensten Bestandteilen der Heimatgeschichte beschäftigen. In der Regel war die Gründung dieser Vereine und Gesellschaften verbunden mit der Installation von Periodika, in denen regelmäßig – meist alljährlich – über deren Tätigkeit berichtet wurde. Geschrieben zu einer Zeit, als an moderne Dokumentationen von Ausgrabungen noch nicht zu denken war, sind sie oft die einzigen textlichen und bildlichen Schilderungen von Ausgrabungen, von Be-funden und Funden vor allem an äußerlich besonders gut zu erkennenden Bodendenkmalen.58

1825 wurde in Hohenleuben von Heimatfreunden der „Voigtländische Alterthumsforschen-de Verein“ gegründet, der sich in den 1826 beschlossenen „Statuten“ zur „Beförderung der vaterländischen Geschichts- und Alterthumskunde“ im weitesten Sinne bekannte.59 Dazu zählten die Statuten ausdrücklich „geschichtliche Nachforschungen aller Art … durch Nach-grabungen, durch Aufbewahrung alterthümlicher Denkmäler, durch Aufmerksamkeit auf Volkssagen und alterthümliche Gebräuche, und durch Beachtung geschichtlicher Urkun-den …“ Der historische Rahmen war von Anfang an weit gesteckt. Er sollte „bis zum Anfang des dreißigjährigen Kriegs“ reichen und damit Ur- und Frühgeschichte, Mittelalter und Frühe Neuzeit umfassen. Der territoriale Umfang sollte nicht auf das Vogtland beschränkt bleiben, sondern er sollte „auch über benachbarte Gaue seine Thätigkeit verbreitern“.

Besonders wichtig war, dass die Statuten von Anfang an eine interdisziplinäre Herangehens-weise an die Heimatgeschichte verlangten, dass dem „Aufbewahren“ große Aufmerksamkeit gewidmet wurde, das notwendigerweise vom Sammeln zur musealen Präsentation führte, und dass auch „… geeignete( r) Schriften“ gefordert wurden.60 Bereits 1829 erschien der erste Band einer Schriftenreihe des Vereins, die unter wechselndem Namen bis heute publiziert wird.61

Schon vor der Herausgabe des ersten Bandes der Schriftenreihe des Vereins hatte sein Grün-dungsmitglied und erster Vorsitzender, der Arzt Dr. Julius Schmidt, seine „Medicinisch-phy-sikalisch-statistische Topographie der Pflege Reichenfels“ herausgegeben.62 Im Kapitel 2 seiner kleinen Schrift legt er unter dem Titel „Einige geschichtliche Nachrichten über hiesige Ge-gend“63 relativ ausgiebig seine Kenntnisse über die Zeugnisse des mittelalterlichen Landesaus-baus im Gebiet um Reichenfels dar und würdigt dabei ausdrücklich die Tätigkeit der Slawen.

Bereits in der Vorrede erläutert er quasi den Anteil der Slawen an der Ethnogenese im Vogt-land, wenn er schreibt:

Entsprechend dem Erkenntnisstand seiner Zeit rechnet Schmidt mit einer Einwanderung der Slawen „ohne Widerstand“ am Anfang des 6. Jahrhunderts. Er geht davon aus, dass Germanen der Völkerwanderungszeit, die er als Deutsche bezeichnet, im Gebiet verblieben sind. „Die zurückgebliebenen Deutschen mochten sich entweder mit den Slaven vermischen oder was noch wahrscheinlicher ist, unvermischt gewisse Distrikte inne behalten.“ Als Beweis für seine Annahme führt er Ortsnamen an, die er für „altdeutsche(n) Benennungen“ hält.65

Vom 6. bis in das 10. Jahrhundert lebten die Slawen seiner Meinung nach im Vogtland als selbständiges Volk neben den Deutschen, um dann „gänzlich unterdrückt“ zu werden. Dieser Prozess der Unterwerfung dauerte, so meint er, ca. 300 Jahre, denn noch im 13. Jahrhundert lassen sich im Vogtland „Spuren heidnischer Bewohner des Voigtlandes“ nachweisen.66 Da er richtigerweise davon ausgeht, dass die Slawen die Sitte der Körperbestattung ausübten, so deu-tet er die Tatsache des Vorkommens von Urnenbestattungen in seinem Untersuchungsgebiet als Spuren Deutscher, die entweder zuvor oder gleichzeitig mit den Slawen hier wohnten.

Da er die zahlreichen slawischen Ortsnamen historisch undifferenziert als Spuren der „Slavenzeit“ interpretiert, geht er von einer hohen Bevölkerungszahl in dieser Zeit aus und zählt auch die „Ueberbleibsel von Burgen und Hammerwerken“ zu den Zeugnissen slawi-schen Lebens. So rechnet er auch die zu seiner Zeit als Kultstätten gedeuteten Burgen, wie die Wallanlage von Hain, südöstlich von Hohenleuben, die als „Tempel“ bezeichnet wurde, als „Mittelpunkt der Gottesverehrungen, der Verfassung und Volkseigenthümlichkeit der voig-tländischen Slaven“.67

Dieser Meinung verdanken wir auch seine relativ ausführliche Schilderung der zeitgenös-sischen Grabungen an der Burganlage „Tumelle“ von Hohenleuben, OT Brückla, von der er auch eine Zeichnung abbildet sowie die Schilderung der Funde, vor allem der hoch- und spät-mittelalterlichen Keramik, die nach unseren heutigen Kenntnissen natürlich nicht als slawisch bezeichnet werden kann, sowie von Eisenfunden. Dabei versäumt er es auch nicht, zu den auf-geführten Wallanlagen zugehörige Sagen aufzuführen.68

Abb. 4: Die Tumelle von Brückla heute

(Schmidt 1827/Nachdruck 1990 – Foto Sachenbacher 2021)

Burgruinen, wie die von Reichenfels oder Berga a. d. Elster, rechnet er zu den Spuren der Er-richtung der deutschen Herrschaft „etwa um das Jahr 869, zur Behauptung des neueroberten Landes.“69

Als Beispiele dafür führt er im Folgenden z. B. die Klosterruinen von Chronschwitz, Milden-furth und Weida an. Er erwähnt auch die Namen mehrerer Wüstungen, die seiner Meinung nach von Dörfern herrühren, die im Dreißigjährigen Krieg zerstört wurden.71 In mehreren Kapiteln geht er auf Probleme der bäuerlichen Ethnografie seines Untersuchungsgebietes ein. Das 14. Kapitel ist mit „Einige Sitten und Gebräuche“ bezeichnet, das 18. mit dem Titel „Volks-sagen“. Im 17. Kapitel unter dem Titel „Spracheigenthümlichkeiten“ untersucht er die Beson-derheiten des vogtländischen Dialektes. Einige Besonderheiten dieses Dialektes deutet er als „Ueberbleibsel der slavischen Sprache“.72

Mit dieser kleinen Schrift von Julius Schmidt liegt eine erste Schilderung der Entwicklung eines großen Teils der Germania Slavica des nördlichen Vogtlandes vor.

Besonders hervorzuheben ist die Unvoreingenommenheit, mit der Schmidt die Einwande-rung der Slawen und ihren Anteil am mittelalterlichen Landesausbau schildert. Auch benutzt er zur Bezeichnung der Errichtung der deutschen Herrschaft nicht wie spätere Historiker/Ar-chäologen Vokabeln wie „Rückeroberung“. Dass er sie fälschlicherweise als „Vertreibung der Slaven“ bezeichnet, ist dem Umstand geschuldet, dass er davon ausgeht, dass auch im nördli-chen Vogtland um Hohenleuben ab dem 6. Jahrhundert Slawen gesiedelt haben, die im Verlauf des mittelalterlichen Landesausbaus unter deutscher Herrschaft unterdrückt wurden. Dem Stil seiner Zeit entsprechend versucht er, seine Meinung durch interdisziplinäres Herangehen zu begründen. Dass er dabei hoch- und spätmittelalterliche Keramik des Landesausbaus für Keramik slawischer Herkunft hält, ist dem archäologischen Forschungsstand seiner Zeit ge-schuldet.73 Dabei ist allerdings bemerkenswert, dass er 6 verschiedene Arten von Keramik zu unterscheiden weiß.

Der „Topographie“ Schmids folgt unmittelbar bereits 1829 das erste Jahrbuch des Vogtländi-schen Altertumsforschenden Vereins, das bis zu seiner vierten Ausgabe 1837 den Titel Variscia I–IV: Mitteilungen aus dem Archive des Vogtländischen Altertumsforschenden Vereins trägt. Von diesem ersten Heft von 1829 an bis zum aktuellen „Jahrbuch des Museums Reichenfels – Hohenleuben, Heft Nr. 65/2020 – findet sich kaum ein Band, in dem nicht auf aktuelle Ergeb-nisse von Ausgrabungen eingegangen wird. Für eine Zeit, in der moderne Dokumentationen in der Archäologie noch nicht üblich bzw. voll durchgesetzt waren, sind diese kleinen Berichte oft die einzige Möglichkeit, aus damaligen Grabungen magazinierte Funde in Befunde ein-ordnen und in Bezug auf das untersuchte Objekt historisch deuten zu können. Da das Unter-suchungsgebiet des Vogtländischen Altertumsforschenden Vereins entsprechend den Statuten von 1826 nicht auf das Vogtland allein beschränkt war, sondern auch umliegende Gebiete, wie z. B. das Gebiet um Gera oder den Orlagau mit einbezog, trifft diese Feststellung auch auf Funde und Befunde aus diesen Territorien zu.

Eine ähnliche Forschungsgeschichte wie die des Nördlichen Vogtlandes ist auch für die Ent-wicklung der anderen Teile der Germania Slavica Ostthüringens, so auch für den Orlagau und das Altenburger Land, zu verzeichnen. 1832 wurde in Meinigen auf Initiative des durch seine Märchen- und Sagensammlungen bekannten Ludwig Bechstein, damals Herzoglich Sächsischer Bibliothekar in Meiningen, der Hennebergische altertumsforschende Verein zu Meiningen ins Leben gerufen, der sich von Anfang an auch mit der Geschichte Saalfelds und des Orlagaues beschäftigte. Das Fürstentum Saalfeld mit den Ämtern Saalfeld und Gräfenthal gehörte seit 1826 zum Herzogtum Sachsen-Meiningen.74

Der Verein gab sich 1832 seine ersten Statuten, die 1833 gedruckt wurden. Als Sinn des Ver-eins wurde festgehalten: „Der Altertumsforschende Verein in Meiningen hat den Zweck: Be-förderung der vaterländischen Geschichts- und Altertumskunde durch Erforschung und Er-läuterung, sowie durch Erhaltung und Aufbewahrung der Denkmale und Überreste früherer Zeiten“. Zu diesen wurden auch archäologische Funde gerechnet, die als „Antikaglien; irdene Gefäße, Urnen und kleine Metallgeräte“ bezeichnet wurden.

Zu den Rechten der Mitglieder zählten u. a. die „Entgegennahme eines jährlichen Berichtes – damit war auch an die Publikationen gedacht – und zu den Pflichten „die Ablieferung der Gra-bungsausbeute, sofern die Grabungen mit Unterstützung des Vereins unternommen wurden (§ 30)“.76 Damit war von Anfang an auch die Durchführung archäologischer Grabungen ins Auge gefasst worden und die Festlegung, dass deren Ergebnisse abzuliefern seien, damit sie zentral gesammelt werden konnten. Die Berichte geben Zeugnis davon, dass der Durchfüh-rung von Ausgrabungen große Bedeutung beigemessen wurde.

1834 erschien die erste Lieferung der Vereinszeitschrift Beiträge zur Geschichte deutschen Altertums (BGdA), in denen der Hofmaler Friedrich Paul Schellhorn „Über Saalfeld und seine Antiquitäten“ sowie über die Johanniskirche in Saalfeld berichtete.77

In der zweiten Lieferung 1837 berichtete der Regierungsregistrator Christien Kümpel über Ausgrabungen und Ludwig Bechstein beschäftigte sich mit dem „äußeren Basaltring“ der Steinsburg auf dem Kleinen Gleichberg bei Römhild, dem flächenmäßig größten archäologi-schen Denkmal Thüringens.78

Am 29. September 1838 rief der Altenburger Regierungsrat Karl Back zur Gründung eines geschichtsforschenden Vereins auf, dem sich sofort eine Reihe von Interessenten anschlossen. Nach einer einjährigen Vorbereitungszeit konnte der Verein seine erste allgemeine Versamm-lung abhalten, an der bereits über 50 Mitglieder teilnahmen und die Statuten beschlossen.79Die Gesellschaft setzte sich das Ziel der interdisziplinären Erforschung der vaterländischen Ge-schichte und Altertümer sowie der Bewahrung der diesbezüglichen Denkmäler im Osterland und seiner unmittelbaren Umgebung. Dabei wurde von vornherein auch beachtet, dass dafür entsprechende Publikationen zu erstellen sind und eine Sammlung angelegt werden muss.

Besonderer Wert wurde darauf gelegt, dass in regelmäßigen Abständen – vorgesehen war im zweimonatlichen Rhythmus – Hauptsitzungen durchgeführt werden, auf denen schriftliche Arbeiten der Mitglieder vorgetragen werden sollten. Damit wurde der Grundstein dafür ge-legt, dass relativ regelmäßig neue Forschungsergebnisse diskutiert werden konnten, die in der Regel auch publiziert wurden.

Bereits 21 Jahre zuvor war die Naturforschende Gesellschaft des Osterlandes gegründet wor-den, der die meisten Gründer der neuen historischen Gesellschaft angehörten. So war auch die Wahl des Namens wohl nicht schwergefallen. Damit sollte sicher zum Ausdruck gebracht werden, dass man von Anfang an nicht gewillt war, den Tätigkeitsbereich auf die engen Gren-zen eines Herzogtums zu beschränken, sondern das gesamte Gebiet zwischen Saale und Al-tenburger Land unabhängig von sich ändernden kleinstaatlichen Gebilden einbeziehen wollte. Dass man dabei von einem Begriff ausging, der zwar gebräuchlich, aber historisch eigentlich unklar war und ist, hat der Gesellschaft bis heute nicht geschadet.

Zum ersten Vorsteher wurde am 3. November 1839 der später weltberühmte Sprachforscher Hans Conon von der Gabelentz gewählt. Für die Ausrichtung der neuen Geschichtsforschen-den Gesellschaft war wichtig, dass zu ihren Gründungsmitgliedern August Friedrich Karl Wagner gehörte, der sich bereits längere Zeit mit der Geschichte Altenburgs beschäftigt hatte und mit seinen 1814 begonnenen handschriftlichen „Collectanea zur Geschichte des Herzog-tums Altenburg“ eine 30  Folianten umfassende Quellensammlung zur Stadt- und Landes-geschichte schuf.80 Hans Patze würdigt im Vorbericht des von ihm erarbeiteten und heraus-gegebenen Altenburger Urkundenbuches ausdrücklich Wagners Leistungen: „Die Arbeit der Gesellschaft wäre nicht denkbar gewesen ohne den Quellenfonds, den Wagner in einem rast-losen Sammlerleben aus zahlreichen Archiven zusammengetragen hatte …“81

Die Publikation erfolgte anfangs als Jahresberichte und nach Beschluss 1843 als Mitthei- lungen der Gesellschaft . Da die Hefte des ersten Bandes 1841 bis 1844 bald vergriffen waren, wurden sie als „Zweite Ausgabe“ 1891 wieder aufgelegt.

Da in den regelmäßigen Jahresberichten auch stets eine Übersicht über den Zuwachs der Sammlung enthalten war, geben diese auch einen guten Überblick über neu hinzugekommene archäologische Fundstücke.

Großen Wert legte die Gesellschaft auf die stetige Vorlage von schriftlichen Dokumenten zur

Geschichte des Osterlandes, unter denen solche des Mittelalters eine wesentliche Rolle spielten.

Entsprechend der Entwicklung des Altenburger Landes im Mittelalter nahmen mit Beginn der Tätigkeit der Gesellschaft Berichte zu Ausgrabungen, die dem Verhältnis von Germanen/Deutschen und Slawen gewidmet waren, einen wichtigen Platz ein.

Der erste schriftlich vorgelegte Vortrag – gehalten am 18. Dezember 1839 vom Gutsbesitzer Kresse aus Dobraschütz – lautete dementsprechend: „Über Ausgrabungen sorbenwendischer oder germanischer Alterthümer aus einer Grabstätte auf dem Schlepsfelde bei Dobraschitz im Altenburgischen Amtsbezirke“.82

Typisch für die Tätigkeit der Gesellschaft war, dass in folgenden Veranstaltungen zu solchen neuen Ergebnissen weiter diskutiert wurde. V. d. Gabelentz hielt dazu am 19. Februar 1840 einen mündlichen Vortrag „über des Bibliothekars Dr. Klemm in Dresden Gutachten über die bei den Kresse’schen Ausgrabungen im Schlepsfelde gefundenen, vielleicht dem 8. oder 9. Jahr-hundert angehörenden Alterthümer“.83

Der ebenfalls am 18.12.1839 von Karl Back gehaltene Vortrag „Der Frohntanz in Langenberg in der Fürstl. Reußischen Herrschaft Gera“ war die erste größere wissenschaftliche Abhand-lung, die im ersten Band der Mitteilungen ausführlich abgedruckt wurde.84 Beim Frohntanz handelt es sich um einen alten Volksbrauch, der eventuell auf slawisches Brauchtum im Lan-genberger Gebiet im hohen Mittelalter zurückgeht. Er wäre damit ein besonderes ethnografi-sches Zeugnis des Anteils der Slawen am mittelalterlichen Landesausbau im Gebiet um Gera.

Dem Ausgrabungsbericht von Dobraschütz folgten weitere Schilderungen von Ausgrabun-gen. Im Vergleich zu denjenigen des Vogtländischen Vereins fällt auf, dass sie in Bezug auf die schriftliche Dokumentation weniger sorgfältig erarbeitet worden sind. Das zeugt – wie nicht anders zu erwarten – von der unterschiedlichen, subjektiven Herangehensweise ihrer Verfas-ser mangels größerer Erfahrungen.

Ein 12. Bericht von 1843 war dem Thema Wüstungen gewidmet. Der Lehrer Heynke aus Niederwiera berichtete über die „Wüstung Zmesch“.85 Friedrich Wagner machte im folgenden Artikel dazu Bemerkungen.86

Interessant an diesen Beiträgen ist das methodische Herangehen beider an die Wüstungs-forschung, das Prospektion mit Auswertung von Urkunden, Plänen, Karten, Flurnamen und Berichten älterer Einwohner verbindet. Von archäologischen Funden war bis dahin nichts be-kannt.

Am 18. Oktober 1843 berichtet Karl Back über die „Ausgrabungen“ auf dem Kirchberg von Gerstenberg, einem Fund aus dem ersten Drittel des 12. Jahrhunderts, der für den mittelalter-lichen Landesausbau im Altenburger Land bis heute von wesentlicher Bedeutung ist.87

Im September hatte man bei Schachtarbeiten „… etwa 1 ½ Elle tief, 3 Ellen von der Kirche ab, die Urne mit den 800 und mehr Hohlmünzen gefunden.“88 Mehrere leitende Mitglieder der Gesellschaft besichtigten daraufhin am 22. September den Fundplatz, den Kirchberg von Gerstenberg mit den noch heute hohen Wällen und einem tiefen Graben zwischen Haupt- und Vorgelände. K. Back vermutet deshalb zu Recht, dass die Kirche auf dem Gelände einer zuvor dort errichteten Wallanlage gebaut worden ist. Die Münzen, die sich in einer Keramik-flasche befunden hatten, die im Anhang auch abgebildet wurde, wurden in das erste Drittel des 12. Jahrhunderts datiert. Eine ethnische Zuordnung der Keramik, die zwischen Skelett-resten geborgen worden war, erfolgte nicht. Die verbale Dokumentation lässt keine Bestim-mung des stratigrafischen Verhältnisses zwischen den Skeletten des ursprünglichen Fried-hofes der Kirche, der Wallanlage und den Funden zu. Die Münzen ordnen die Deponierung um 1125 ein.89

Die große Aufmerksamkeit, die die Gesellschaft bereits in den ersten Jahrzehnten ihres Wir-kens einer interdisziplinären Herangehensweise an die Probleme des Landesausbaus im Mit-telalter schenkte, kommt auch im Artikel Friedrich Wagners mit dem Titel „Die wüsten Fluren in dem Herzogthume Altenburg“ zum Ausdruck.

Da er das Herzogtum Sachsen-Altenburg insgesamt behandelt, untersucht er die Wüstungen in den damaligen Amtsbezirken Altenburg, Ronneburg, Eisenberg, Roda (heute Stadtroda) und Kahla. Wagner beginnt seinen Aufsatz mit einem Vergleich der Siedlungsdichte des Al-tenburger Landes mit dem Westkreis des Herzogtums und dem benachbarten Sachsen.

Er kann bei diesem Vergleich eine relativ hohe Siedlungsdichte im Altenburger Land kons-tatieren. Das Königreich Sachsen ist nach seiner Aufstellung etwas weniger dicht besiedelt, der westliche Teil des Herzogtums entschieden geringer. Für sein Untersuchungsgebiet geht er von 134 Wüstungen aus, was auf ein Verhältnis von 2 Wüstungen zu sieben bestehenden Dörfern hinweist. Vor Behandlung der einzelnen Wüstungen unternimmt er den Versuch einer Erklärung der Wüstungsursachen, die er in natürliche, zufällige und absichtlich herbei-geführte unterscheidet. Zu den ersteren zählt er die Bauweise der Häuser und die Topografie des Ortes, zu den letzteren „die rohe Kriegsführung des Mittelalters“, die er als Hauptursache sieht.90

Der durch Wüstungsprozesse erfolgte Verlust wurde seiner Meinung nach ausgeglichen durch die Vergrößerung der erhaltenen Orte und die Gründung neuer. Darauf führt er auch die Unterscheidung von Orten in Groß- oder Klein-, Alt- oder Neu-, Ober- oder Unter- zurück.

Im folgenden, umfangreichen Teil untersucht er die einzelnen Wüstungen, gegliedert nach den Amtsbezirken. Er kommt so für Altenburg auf 47, für Ronneburg auf 5, für Eisenberg auf 24, für Roda auf 24 und für Kahla auf 34 Wüstungen. Dabei untersucht er für jede Wüstung die Topografie, die Nennungen, die Flurnamen und die Erstnennung als wüster Ort. Wo ihm bekannt geworden, fügt er auch noch das Auffinden bzw. Ausgraben von Baustrukturen und mögliche Sagen an. Vor allem anhand von Baustrukturen und Flurnamen schließt er auf das ehemalige Bestehen von Burgen bzw. Schlössern, die in seiner Aufstellung der Zahl der wüsten Orte zugeordnet wird. Unter der Nummer 39 führt er im Altenburger Land „Wetthyn, ein Schloß“ auf.91 Dabei handelt es sich um die Paditzer Schanzen, eine slawische Wallanlage, auf die noch speziell einzugehen ist. Unter der Nummer 18 der Wüstungen im Amtsbezirk Roda nennt er „Die Schlösser Lobdeburg“.92 Er bezeichnet sie als mittleres und oberes Schloss. Für das letztere nennt er auch die heute noch sichtbaren Wallgräben, „während das untere Schloß, das Haus Lobeda, nordwestlich des ersteren auf Großherzoglich Weimarischem Boden in dem nahen Städtchen Lobeda liegt“. Dem Erkenntnisstand seiner Zeit folgend, habe die ursprüng-liche Lobdeburg, als die er die mittlere ansieht, „seine Entstehung der Befestigung der Gränze gegen das Sorbenland zu verdanken“.93 Außer den ergrabenen Baustrukturen weiß er nur in ganz wenigen Fällen von archäologischen Funden zu berichten, wie z. B. Hufeisen oder Mün-zen. Keramikscherben sind für ihn nicht bekannt bzw. relevant.

Es muss auch bezweifelt werden, dass er die von ihm aufgeführten Orte alle selbst besucht hat, wenn er einerseits die Gräben der Oberen Lobdeburg anführt, aber die zu dieser Zeit noch deutlich sichtbaren Strukturen der Paditzer Schanzen offensichtlich nicht kennt.

Bereits ein Jahrzehnt vor der Bildung der Altenburger Geschichtsgesellschaft hatte 1829 ihr Mitglied Johannes Ernst Huth, Kandidat der Theologie, seine „Geschichte der Stadt Altenburg“ veröffentlicht.94 Er gibt an, dass seine Arbeit beinahe ausschließlich auf Urkunden beruhe und beruft sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Abschriften A. F. K. Wagners, die ihm dieser zur Verfügung gestellt habe.

Huth beginnt seine eigentliche Darstellung mit der Feststellung, „dass gegen die Mitte des sechsten Jahrhunderts die Sorben, ein Volk slavischer Abkunft, in die Gegenden zwischen der Saale und Elbe einwanderten, und da, wo mehrere Jahrhunderte später die Stadt Altenburg entstand, einen Gau gründeten, den sie nach dem vorzüglichsten Flusse desselben Plisni (Plei-ßen oder Pleißengau) nannten.“95 Er unternimmt auch den Versuch, den Pleißengau in dieser Zeit zu umreißen:

Ein großer Teil dieses Gebietes war seiner Meinung nach noch von Wald bedeckt. Aus slawi-schen und deutschen Ortsnamen schlussfolgert er, dass die Slawen zuerst den Nordwesten be-völkerten. „Die südlichen und östlichen Waldungen wurden großentheils erst im zehnten und elften Jahrhundert einigermaßen gelichtet, als nach endlicher Besiegung der Sorben teutsches Volk in der Nähe derselben sich geltend machen konnte.“97

In Bezug auf das Verhältnis von Deutschen und Sorben im Pleißengau geht er von einem friedlichen Miteinander aus:

Er geht davon aus, dass zu erwarten war, dass sich die Slawen zur Zeit Heinrichs I. „allmälig zu einem teutschen Volke umwandeln würden. Um aber diese Umwandlung desto schleuniger zu bewirken, führte er fränkische, sächsische und hessische Kolonisten in das Land dersel-ben, von denen sie teutsches Leben und teutsche Sitte, vor Allem aber teutsche Sprache lernen könnten …“99

Durch die deutschen Ritter und Kolonisten wurde seiner Meinung nach das Christentum im Pleißengau eingeführt. In diesem Zusammenhang geht er auch auf Altkirchen ein. Die älteste Kirche sucht er „auf der Höhe an dem Wege von Altkirchen nach Gimmel, auf dem sogenann-ten kalten Felde“.100

Im Folgenden schildert er dann die Entwicklung der Stadt Altenburg. Diese sucht er in den Orten Pauritz und Naschhausen: „Von diesen um das Schloß her liegenden, sehr früh gegrün-deten Ansiedlungen, die sich nach und nach bis in die Gegend des Brühls erweiterten, scheinen die ersten Bestandtheile der Stadt Altenburg entnommen zu sein.“101 Von da aus versucht er dann, die Entwicklung Altenburgs darzustellen, geht auf die Geschichte des Schlosses ein und schildert das Verhältnis von Reichsstadt und Pleißengau.

Es ist an dieser Stelle nicht möglich und auch nicht beabsichtigt, auf die weitere Entwicklung der Geschichts- und Altertumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes und einzelne Schrif-ten zu Altenburg einzugehen, da diese sich grundsätzlich einordnen in die Entwicklung der Erkenntnisse über den mittelalterlichen Landesausbau in der Germania Slavica Thüringens vor allem östlich der Saale. Später ist deshalb an entsprechenden Stellen ausführlicher darauf zurückzukommen.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickeln sich aus den größeren Gesellschaften heraus kleinere lokale bzw. städtische Vereine und Gesellschaften, die sich zwar vorrangig um die Geschichte ihrer Stadt bzw. ihres Territoriums bemühen, aber oftmals versuchen, diese in größere Zusammenhänge einzuordnen. Da sie in der Regel aus den größeren Vereinen des Ge-bietes, Territoriums bzw. Herzogtums hervorgegangen waren, finden sich in ihren Publikati-onsorganen auch Darstellungen zum Gebiet des Vereins, aus dem sie sich herausgelöst hatten.

So gründeten sich z. B. auf Vorschlag des Geschäftsführers der Geschichts- und Alterthums-forschenden Gesellschaft des Osterlandes, Karl Back, 1862 in Kahla ein Verein für Geschichts- und Alterthumskunde und 1875 ein solcher Verein in Stadtroda (Roda), die sich 1875 zum Verein für Geschichts- und Alterthumskunde zu Kahla und Roda zusammenschlossen.102 Äu-ßerer Anlass der Kahlaer Gründung war ein 1862 in Löbschütz bei Kahla entdeckter Braktea-tenfund.

Im Vogtländischen Alterthumsforschenden Verein zu Hohenleuben bildete sich in Plauen ein Zweigverein, der 1875 erstmalig Mitteilungen veröffentlichte. 1880, inzwischen als selb-ständiger Alterthumsverein zu Plauen i. V. gegründet, publizierte er die Mittheilungen des Al- terthumsvereins zu Plauen i. V .103 Bereits das erste Heft enthielt einen Artikel zu dem Thema: Urkunden und Urkundenauszüge zur Geschichte Plauens und des Vogtlandes v. J. 1122–1302, I–CXII.104

1877 bildete sich aus dem Hohenleubener Verein heraus der Geschichts- und altertumsfor-schende Verein zu Schleiz, dessen erste Jahresberichte teils als Anhang zu den Hohenleubener Jahresberichten erschienen.105 Der Schleizer Verein wurde wesentlich geprägt durch die Tä-tigkeit von Julius Alberti sowie seines langjährigen Vorsitzenden, des Reußischen Archivars Berthold Schmidt. 1882 gab Alberti im Auftrag des Vereins eine Sammlung von Urkunden zur Stadt Schleiz heraus, die er in Bezug auf die Geschichte von Schleiz im Mittelalter kommen-tierte.106

In der Festschrift des Vereins von 1902 publizierte Schmidt seine Arbeit „Die Herrschaft Schleiz bis zu ihrem Anfall an das Haus Reuss“.107 Im ersten Kapitel dieser Schrift widmet er sich den Problemen der slawischen Besiedlung des Reußischen Oberlandes und dem Landes-ausbau dieses Gebietes durch die Herren von Lobdeburg.108

Besondere Verdienste erwarb sich B. Schmidt durch die von seiner Tätigkeit als Archivar geprägten Veröffentlichungen von Urkunden zur Geschichte des nachmaligen Gebietes der Fürstentümer Reuß sowie der Stadt Schleiz, durch die wichtige Belege zum hoch- und spät-mittelalterlichen Landesausbau dieses Gebietes zugänglich gemacht wurden.109

Dem ersten Band der Geschichte der Stadt Schleiz mit den Urkunden ließ er 1909 den Text-band folgen, in dem er in den ersten Kapiteln, dem damaligen Forschungsstand entsprechend und ihn ausbauend, den slawischen Ursprung von Schleiz, die Rolle der Herren von Lobdeburg und die frühe Geschichte der Burg Schleiz erläuterte.110 Im ersten Kapitel unter der Überschrift „1. Zur Geschichtsschreibung der Stadt Schleiz“ untersucht er kritisch den mediävistischen Forschungsstand bis zu seiner Zeit, beginnend mit dem Jahr 1530.111

Im folgenden Kapitel „2. Das sorbische Schleiz und das Wisentaland“ stützt er sich vor allem in Bezug auf die slawische Besiedlung auf die slawischen Ortsnamen einschließlich des Na-mens von Schleiz und auf Orts- und Flurformen.

1884 bildete sich in Eisenberg der Geschichts- und Altertumsforschende Verein zu Eisenberg, der 1895 zusammenfassend die ersten 10 Hefte seiner Mitteilungen publizierte.113

1893 erfolgte die Gründung eines „Vereins für Greizer Geschichte“ mit dem Ziel: „Geschich-te ist nicht Parteisache, sondern objektive Erforschung und treue Bewahrung der merkwürdi-gen Vergangenheit unserer engeren Heimat!“114

In der ersten Arbeitssitzung des Vereins am 5. Juli 1893 hielt der Erste Vorsitzende des Ver-eins einen Vortrag zum Thema: „Die Herren von Weida bis zu Heinrich dem Reichen oder bis zum Besitzerwerb der Herrschaft Greiz.“115 Mit Themen dieser Art und solchen zu Einzel-fragen der Greizer Geschichte in Mittelalter und Neuzeit war das Programm des Vereins ab-gesteckt, der seine Tätigkeit vor allem auf urkundliche Quellen stützte.

Der 24. Jahresbericht von 1917 enthält das Referat eines Dr. Mendner über „Die Entstehung der Feste Burgk und der nach ihr genannten Herrschaft mit Beilagen ‚Karte der Herrschaft Burgk‘ und ‚Ansicht und Grundriß der Feste Burgk‘ sowie vom gleichen Autor ‚Urkunden und Urkundenaus-züge der Herrschaft Burgk bis zu ihrer Angliederung an das Haus Reuß – Greiz 1596/1619‘“.116

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war auch die Zeit herangereift, einen Verein zu gründen, der sich der Geschichte Thüringens insgesamt widmen sollte.117 Das war nur auf wissenschaft-licher Basis möglich, für welche die Universität in Jena die günstigsten Voraussetzungen bot.

Ende 1851 traf sich hier eine Reihe Gelehrter, vor allem verschiedener historischer Diszipli-nen, zur Vorbereitung der Gründung eines solchen Vereins. Auf dieser Grundlage kam es am 2. Januar 1852 in Jena zur Gründung des „Vereins für thüringische Geschichte und Alterthums-kunde“.118 In den Statuten setzte sich der Verein das Ziel, in erster Linie zu sammeln und zu publizieren und auf dieser Grundlage „die Geschichte Thüringens in allen seinen früheren und jetzigen Bestandtheilen allseitig zu erforschen und zu erweitern“.119 § 10 der Statuten des Vereins regelte die interdisziplinäre Herangehensweise an die Probleme der Thüringischen Geschichte: Die Archäologie war zeitgemäß in der Alterthumskunde enthalten.

In seinen einführenden Bemerkungen über „Die Aufgaben des Vereins im Gebiet der thü-ringischen Denkmälerkunde und Kunstgeschichte“ fällte Prof. B. Stark aus Jena in Bezug auf die Slawen lediglich das vernichtende Urteil, dass „die Denkmale dieser Zeit rasch geschwun-den sind vor den mannichfaltigen Kämpfen und Verwüstungen besonders der über die Saale dringenden Slaven …“121

Der 5. Band der Zeitschrift des Vereins enthält einen umfangreichen Artikel über die mittel-alterlichen Burgen in Thüringen von H. Heß, Baurat in Weimar.122

Diese Arbeit unter dem Titel „Über die mittelalterlichen Burgbauten Thüringens“ ist quasi eine auf ca. 40 Zeitschriftenseiten zusammengefasste Burgenkunde aus interdisziplinärer Sicht auf dem Forschungsstand der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Er behandelt grundsätzliche Probleme, wie die Burg als Sitz des Adels, die Erbauungszeit der thüringischen Burgen, die Gründe für ihre Errichtung, die Unterteilung der Burgen nach Hö-hen- und Niederungsburgen und ihre hauptsächlichen baulichen Elemente, wie Wohn- und Wirtschaftsbauten, Palas und Kemenate, Toranlagen, Kapellen, Zwinger, Bergfried, Brunnen und Zisternen, Wallanlagen mit Gräben usw. Ihr Alter versucht er anhand des Baustils, unter-teilt nach Romanik und Gotik, zu bestimmen. Dabei ist für ihn methodisch Bauforschung identisch mit Archäologie. Der Abhandlung fügt er ein „Verzeichnis der in mehr oder minder bedeutenden Überresten noch erhaltenen vormaligen Burgbauten Thüringens“ bei, das 97 An-lagen umfasst. Er unterteilt diese nach „Burgbauten mit ansehnlicheren älteren Bautheilen“, „Vormalige Burgbauten mit wenigen älteren Bautheilen“ und „Vormalige Burgbauten, welche nur noch in wenigen Gräben und Umwallungen erkenntlich sind“.123

Dieses Verzeichnis gibt auch Auskunft über sein Forschungsgebiet, d. h. seine Auffassung vom Umfang Thüringens im Mittelalter. Mit Ausnahme solcher unmittelbar östlich der Saale gelegener Anlagen bzw. nur wenig davon entfernter, wie Schönburg und Rudelsburg, Lobde-burg, Leuchtenburg, Hausbergburgen von Jena und Tautenburg bei Dornburg, behandelt er ausschließlich Burgen westlich der Saale. Bei der von ihm im Verzeichnis aufgeführten Alten-burg handelt es sich nicht um die Altenburg in Ostthüringen. Aus diesem Grund spielen bei ihm die Burgen linkssaalisch im Orlagau, um Gera und im Vogtland sowie im Altenburger Land keine Rolle.

Bei den Gründen für die Errichtung der ersten Burgen in Thüringen ist für ihn der Schutz der „Saalelinie“ gegen die Slawen die entscheidende Ursache:

Auch die folgenden Hefte der Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altert- humskunde enthalten zahlreiche Artikel, die Bemerkungen zum Verhältnis von Germanen/Deutschen und Slawen einbeziehen. Aber deren grundsätzliche Aussagen ändern sich bis zum letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts kaum. Sie sind weiterhin geprägt von der Herangehens-weise, wie sie uns schon um die Mitte des Jahrhunderts entgegentritt.

Vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildet sich eine neue Qualität der wis-senschaftlichen Beschäftigung mit zahlreichen Problemen auch außerhalb der historischen Gesellschaften und Vereine und vor allem in den Universitäten nahestehenden oder zu ihnen gehörenden Strukturen heraus. In diesem Zusammenhang wird auch eine Reihe von wissen-schaftlichen Monografien zum Thema publiziert.

Unter den um die Mitte des 19. Jahrhunderts zu Thüringen herausgegebenen wissenschaftli-chen Überblicksarbeiten, die sich den Problemen des Verhältnisses von Slawen und Germanen/Deutschen ausführlicher widmeten, zählt an hervorragender Stelle die 1863 in Gotha erschiene-ne Thüringische Geschichte des Georg Waitz-Schülers Theodor Knochenhauer unter dem Titel: Geschichte Thüringens in der karolingischen und sächsischen Zeit .125 Diese Arbeit stützt sich auf ein intensives Auswerten mediävistischer Quellen und auf zeitgenössische historische Literatur zum Thema. Ihr entscheidender Nachteil besteht darin, dass für Knochenhauer die Geschichte allein politische Geschichte, Herrschergeschichte und Geschichte von Personen ist. Er findet keinen Zugang zur Siedlungs- und Kulturgeschichte. Der Grund dafür, dass er mit ganz ge-ringen Ausnahmen seine Darstellung ausschließlich auf schriftliche Quellen gründet und die Archäologie seiner Zeit für das Thema keine Rolle spielt, ist nicht zuletzt im Entwicklungsstand der Mittelalterarchäologie des 19. Jahrhunderts zu suchen. Die Untersuchung von Bodendenk-malen spielt zwar eine relativ bedeutende Rolle in der Tätigkeit lokaler Gesellschaften und Ver-eine, kaum aber in der überregionalen Geschichtsschreibung zum Mittelalter.

Das Verhältnis von Germanen/Deutschen und Slawen erlangt Knochenhauers Meinung nach sowohl in karolingischer als auch in ottonischer Zeit in der Geschichte Thüringens eine bedeutende Stellung. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass er unter Thüringen ein linkssaali-sche Gebiet versteht, das weit über die Grenzen des heutigen Freistaates hinausreicht.

Mit der Gründung der Bistümer Merseburg, Zeitz und Meissen sowie der Errichtung der Markgrafschaften werden die Gebiete der drei neuen Bistümer/Markgrafschaften seiner Mei-nung nach zu „Vorlande(n) Thüringens …, die wir wol als thüringische bezeichnen dürfen“.126Diese Meinung korrigiert er allerdings in seinen späteren Ausführungen zur Kirchengeschich-te: „Von einer Beziehung von Zeitz und Meissen zu Thüringen ist Nichts bekannt geworden.“127

Das Verhältnis von Germanen/Deutschen zu den Slawen hält er in karolingischer Zeit für so bedeutsam, dass er „den Kampf im Osten, die „Grenzvertheidigung gegen die Sorben“ quasi zum Hauptinhalt thüringischer Politik erklärt.128

Den „Stamm der sorbischen Slawen“ sieht er als „Grenznachbarn der Thüringer und eines Theiles der Sachsen. Die Saale schied Thüringer und Sorben, aber wenig genug achteten diese der seit alter Zeit festbestimmten Grenze. Verwüstung, Raub und Brandstiftung trugen sie wiederholt in das thüringische Land …“130

In diese Prozesse ordnet er auch das Diedenhofener Kapitular von 805 ein, an dem ihm be-sonders wichtig erscheint, dass hier seiner Meinung nach erstmals mit Madalgaud ein Mann genannt wird, „der in Thüringen die Stelle eines mit allgemeineren, auf die Grenzverhältnisse bezüglichen Befugnissen ausgestatteten Beamten des Königs einnahm.“131

Mit der Bedeutung des Zeitzer Bischof, „der auch ohne Markgraf wol für die Abwehr etwai-ger Gefahr im Osten sorgen konnte“132, treten für Knochenhauer mit der Urkunde von 976, die er 977 einordnet, auch Altenburg und der Gau Plisni in das Bewusstsein.133

Die links der Saale in den Verzeichnissen der Klöster Hersfeld und Fulda genannten Sla-wen sind für ihn Unfreie. In Bezug auf den Besitz des Klosters Fulda fällt ihm jedoch eine Besonderheit auf, auf die er allerdings nicht weiter eingeht: „Merkwürdig ist, dass die Sla-wen mit je einer Hufe berechnet werden, ohne dass ihrer Abhängigkeit besonders gedacht wird.“134

Das zweite seiner beiden Hauptkapitel überschreibt Knochenhauer mit „Die kirchlichen Gewalten in Thüringen, das Volk unter ihrem Einfluss“.135 Darin geht er auch auf die Chris-tianisierung der Sorben ein. Die beiden hessischen Klöster haben in diesem Zusammenhang seiner Meinung nach keine Rolle gespielt. Diese begann erst 968 mit der Gründung des Erz-bistums Magdeburg und der Bistümer Merseburg, Zeitz und Meissen.136 „Aber leichten Stand hatten die Bischöfe nicht, die Slawen waren allem Anschein nach nichts weniger als empfäng-lich für die neue Lehre.“137 „Noch lange dauerte die Unsicherheit fort: noch bei der Verlegung des Bisthums von Zeitz nach Naumburg wird als Hauptgrund die grössere Sicherheit vor den anstürmenden Barbaren geltend gemacht.“138 Bereits zuvor hatte er aber richtig bemerkt, dass die Verlegung des Bischofssitzes von Zeitz nach Naumburg nicht zuletzt im Streben nach Kon-zentration der Macht der Ekkehardiner wurzelte.139

In den Prozess der Christianisierung der Slawen fügt er auch die Gründung des Saalfelder Petersklosters mit seiner Gründungsurkunde ein, in der die Slawen „roh(e) und in der christ-lichen Religion noch ganz unerfahren(e)“ genannt werden.140

Insgesamt ist zu konstatieren, dass sich für Knochenhauer das Verhältnis von Germanen/Deutschen und Slawen als in jeder Beziehung gegensätzlich zeigte. Ihre Grenze verlief in Thü-ringen im Wesentlichen entlang der Saale, von wo aus sie weiter nach Osten vorgeschoben wurde. Die damit verbundenen Prozesse waren politische, vor allem militärpolitische, Prozes-se, zu denen die Christianisierung der Heiden hinzukam. Bäuerliche Kolonisation oder Lan-desausbau waren für ihn in der Geschichte Thüringens noch keine tragenden Komponenten. Mit dieser Herangehensweise verdichten einzelne Monografien das Bild, das die Tätigkeit der historischen Vereine in Thüringen im 19. Jahrhundert vermittelt.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts beginnt die zweite Etappe der Beschäftigung mit der slawi-schen Einwanderung, der Rolle der Slawen beim mittelalterlichen Landesausbau in Thüringen einschließlich der historischen Quellen sowie des Kontaktes mit den Germanen/Deutschen. Sie reicht bis zum ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. In dieser Zeit gewinnt die Archäologie einen festen Platz im interdisziplinären Herangehen an die Probleme des Mittelalters.

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts erreichen die Wissenschaften, die sich mit dem Ver-hältnis von Germanen/Deutschen und Slawen im Mittelalter Thüringens und Sachsens be-schäftigen, eine neue Qualität bei der Ausarbeitung von Grundlagen dieser Themenkreise, die sich direkt oder mittelbar auch in der Arbeit von Vereinen und Gesellschaften niederschlägt. Diese Tätigkeit erfolgt primär an den Universitäten in Leipzig und Jena bzw. ihrem Umfeld.

Dabei wirkte sich vor allem fruchtbringend aus, dass sich sowohl eine zukunftsweisende Entwicklung einzelner beteiligter Wissenschaften, wie z. B. der Archäologie, der Geografie und der Kulturgeschichte vollzog, als auch eine stärkere Hinwendung zur interdisziplinären Zusammenführung ihrer Methoden, Forschungsrichtungen und Forschungsergebnisse, wie sie vor allem im Rahmen der sächsischen Landesgeschichtsforschung zum Ausdruck kam.141

Die bahnbrechende Arbeit auf dem Gebiet der Germania Slavica in Mitteldeutschland, auch wenn dieser Begriff damals selbstverständlich noch nicht zur Anwendung kommen konnte, ist die 1896 in Leipzig herausgegebene Monografie von Eduard Otto Schulze mit dem Titel Die Kolonisierung und Germanisierung der Gebiete zwischen Saale und Elbe. 142

Im April 1889 hatte die Fürstlich Jablonowski’sche Gesellschaft die Abfassung „eine(r) Ge-schichte der Kolonisation und Germanisierung der Wettinischen Lande“ als Preisfrage aus-gelobt. Schulze stellte im Verlauf der Erarbeitung fest, dass das Gebiet Thüringens – damit meint er Thüringen westlich der Saale – und die Lausitz vom Gebiet zwischen Saale und Elbe in Bezug auf das Thema so verschieden sind, dass sie einer gesonderten Bearbeitung bedürfen, so dass er sie aus seiner vorliegenden Arbeit ausgeklammert hat.

Seine Untersuchungen stützen sich auf eingehendes Literaturstudium, auf ein umfang-reiches Quellenstudium der schriftlichen und kartografischen Quellen und die Namen-kunde, vor allem zu den Ortsnamen. Auf die „archäologisch-prähistorische Forschung“ setzt er für die Zukunft große Hoffnung, hält aber deren Entwicklungsstand für noch nicht ausreichend:

Die in den Anmerkungen aufgeführte archäologische Literatur zeigt aber, dass er sich mit grundsätzlichen archäologischen Werken seiner Zeit zum Thema befasst hat. Er gliedert sein Werk in sieben Kapitel: I. Die Sorbenzeit, II. Die Eroberung des Landes unter Heinrich I. und Otto d. Gr., III. Die Kolonisation, IV. Lage und Schichtung der bäuerlichen Bevölkerung seit dem 12. Jahrhundert, V. Lasten, Abgaben und Dienste der Bauern, VI. Die Burgwardverfas-sung, VII. Die Anfänge der Rittergutsverfassung. Bereits an dieser Untergliederung wird seine breite kultur- und wirtschaftsgeschichtliche Herangehensweise deutlich. Symptomatisch da-für ist auch, dass er ausdrücklich vermerkt, dass er auf Veranlassung von Karl Lamprecht die Kapitel IV. und VII. überarbeitet habe.144

Das erste Kapitel zu den Sorben beginnt er mit deren Einwanderung, die er in die zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts setzt. „Bis dahin in diesen Gegenden von keiner Quelle erwähnt, treten sie Anfang des 7. Jahrh. festansässig und in beträchtlicher Zahl im Sorbenlande und in Böhmen auf.“145 Er setzt sich dazu gründlich mit den Quellen zur Geschichte der Slawen, wie z. B. Fredegar, und mit den Ansichten seiner Zeitgenossen auseinander.

Dabei geht er auch auf die Einwanderung der Slawen im 7. und 8. Jahrhundert in die Gebiete westlich der Saale ein, die seiner Meinung nach spontan erfolgte und wo es zu deren Einglie-derung in das Reich Karls des Großen kam. Das Diedenhofener Kapitular von 805 ist seiner Meinung nach ein Beweis dafür, dass Karl auf eine gesicherte Grenzlinie Wert legte, die er nicht zu überschreiten gedachte.146

Entsprechend seinem Arbeitsgebiet überschreibt er ein ausführliches Unterkapitel mit „Die sorbischen Wenden“147: „Als ungefähre Grenze des gesamten Sorbenlandes dürfen wir im Os-ten den Bober, im Westen die Saale, im Süden die Lausitzer Berge und das Erzgebirge betrach-ten. Unbestimmter ist die Ausdehnung nach Norden …“148

In Bezug auf die Anlage von Siedlungen geht er ausführlich auf die slawischen Ortsnamen ein, warnt jedoch davor, allein aus dem slawischen Namen auf einen slawischen Ort zu schlie-ßen. Als „Beweis“ dafür führt er die Übernahme einheimischer Bezeichnungen durch europäi-sche Siedler in Amerika, Australien und Afrika an.149 Hier erschließt sich m. E. eine interessante Quelle für die Verwendung des Begriffes der Kolonisierung durch Schulze und spätere Auto-ren, der durchaus den Begriffen der Kolonisation und Kolonie entlehnt ist. Ausdrücklich weist Schulze auf den Wert patronymischer Namen für den Nachweis von slawischen Orten hin.150

Im Folgenden geht er auf die soziale Gliederung und Verfassung der Sorben ein, auf die Anlage von Burgen. Dabei äußert er, dass es zwar bei den Sorben nicht zur Ausbildung von Städten kam, „wohl aber entwickelten sich allmählich wirtschaftliche Centren in Anlehnung an die Grods“.151 Er entwickelt hier im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts bereits einen Ge-dankengang, der später anscheinend unterging und erst wesentlich später wieder aufgegriffen wurde.

Als entscheidende Dorfformen der Slawen nennt er Rundlinge und Straßendörfer, wobei seines Erachtens in seinem Arbeitsgebiet die Rundlinge zu finden sind.

Mangels auswertbarer Quellen geht er von Zuständen aus und kann keine Entwicklungen be-rücksichtigen.

Relativ umfassend schildert er den Erkenntnisstand seiner Zeit zur Wirtschaft der Slawen:Mangels archäologischer Quellen beruft er sich dafür vor allem auf Ortsnamen. Ausdrück-lich nennt er auch Fischerei und „Bienenzucht in Waldbeuten“ als Wirtschaftszweige.156 „Der Handel wurde von manchen slawischen Völkerschaften eifrig betrieben …“.157 Dafür verweist er erneut auf das Diedenhofener Kapitular.

Auch Lebensweise, Kultur, Kunst, Religion und Kampfesweise der Slawen versucht er aus den schriftlichen Quellen zu erschließen.158

Mit der Überschrift des Kapitel II „Die Eroberung des Landes unter Heinrich I. und Otto d. Gr.“ will Schulze den Unterschied verdeutlichen zwischen der militärischen Eroberung des slawischen Gebietes östlich der Saale und seiner erst dann folgenden eigentlichen Kolonisa-tion, dem Landesausbau.

Er spricht in diesem Zusammenhang, auch nach dem Geist seiner Zeit. von „Wiedergewinnung der altdeutschen Gebiete an Elbe und Oder für deutsche Herrschaft nicht bloss, sondern auch für deutsches Wesen und Leben.“159 Das 10. Jahrhundert ist für ihn die Zeit der Abwehr feindlicher Einfälle und des Baues von Wehranlagen auch gegen die Slawen. Typisch für diese Zeit war das Einrichten von Bezirken, den Burgwarden, mit einer Burg oder einem befestigten Ort als Mittel-punkt, „nicht nur in militärischer, sondern auch in rechtlicher, kirchlicher und wirtschaftlicher Beziehung.“160 „Nicht als Colonisator und Mehrer des Reiches gen Osten kann also König Hein-rich gelten. Aber auf seine Einrichtungen und Erfolge geht die spätere Entwicklung zurück.“161

Ausführlich geht Schulze dann auf die Ostpolitik unter Otto I. ein. „In diese Zeit (Mitte d. 10.  Jahrhunderts) wird die Ueberführung des Landes in deutsche Verwaltung zu setzen sein, die 968 in dem Bestehen der drei Marken Merseburg, Zeitz und Meissen zum Ausdruck kommt.“162

Thüringen spielt dabei seiner Meinung nach eine entscheidende Rolle: „Wir setzen also den Beginn der Germanisierung des Sorbenlandes zwischen Saale und Elbe in die Zeit um 950 und nehmen als Ausgangspunkt derselben Thüringen an.“163 Das Gebiet zwischen unterer Saale, Elbe und Mulde, das er auch zu Thüringen zählt, nimmt er aus seiner Feststellung heraus, da dieses Gebiet zuvor schon unter deutsche Herrschaft gebracht worden war.

Er geht dann ausführlicher auf die territoriale Gliederung des Landes in die drei Marken ein. Die Mark Zeitz bezeichnet er auch als „thüringische Mark“. Er unternimmt den Versuch, sie zu begrenzen, und nennt die Gaue Orla, Dobna, Zwicowe, Strupenice, Weitaha, Geraha, Puonzowa, Tuchurini und Plisni mit Altenburg als zu ihr gehörig, die sich aus Burgwarden zu-sammensetzten.164 Diese Burgwarde versucht er in einzelnen Landschaften herauszuarbeiten. Dabei allerdings geht er nicht auf Altenburg und das heutige Ostthüringen ein.

Der Hauptteil von E. O. Schulzes Arbeit beginnt mit dem III. Kapitel „Die Kolonisation“. Diese teilt er chronologisch ein in eine I. Periode „Begründung und Organisation der deut-schen Herrschaft“, die bis zum Ende des 11. Jahrhunderts reicht und die „II. Periode der Kolo-nisation (seit dem Jahre 1100); die Germanisierung des Landes“. Die erste Periode wird „cha-rakterisiert durch die Festsetzung deutscher Herren und Ritter. Die zweite, – vom Beginn des 12. bis ins 14. Jahrh. reichend, – ist die Periode der eigentlichen Germanisierung des Landes durch deutsche Bauern und Bürger.“165

Die Untersuchung der ersten Periode der Kolonisation unterteilt er in die Abschnitte: Die Herren im Lande, Die niedere Bevölkerung und Wirtschaftsverfassung. Der Adel ist seiner Meinung nach ausschließlich deutschen Ursprungs. Trägt er slawische Namen, so rührt das daher, dass er sich nach dem slawischen Ort seines Sitzes benennt.

In Bezug auf die „niedere Bevölkerung“ führt er aus, dass es zwar damals noch keine Städte und Bürger gab. „… nur die Grundlagen für die spätere Entwicklung waren vorhanden in denjenigen Orten, die irgendwie zu wirtschaftlichen Mittelpunkten ihrer Umgebung gewor-den waren. Dies gilt natürlich in erster Linie von den Burgorten …“166 Damit äußert er einen richtungsweisenden Gedanken, der nach wie vor einen Weg hin zur mittelalterlichen Stadt in Thüringen weist.

Anschließend geht er auf die Entwicklung von Handel und Gewerbe in diesen zentralen Orten ein und die Herausbildung eines zentralen Straßennetzes sowie seine Bedeutung für die Herausbildung von Zentren. Er betont dabei die Bedeutung eines Bündels von Ursachen für die Entwicklung, die zu den Städten hinführt: „Da fast alle solche Orte seit ältester Zeit auch Burgorte waren, trafen bei ihnen mehrere für die Entwicklung von Städten günstige Momente zusammen.“167 In der Folge arbeitet er dann die besondere Bedeutung des Marktes in diesem Prozess heraus.

Er stellte aber ausdrücklich fest, dass der deutschen Herrschaft eine in der Masse Land-wirtschaft treibende Bevölkerung gegenüberstand, die sich in der Regel aus Slawen zusam-mensetzte, die in ihren alten Orten saßen, aber, wie er meint, seit der deutschen Herrschaft durchgehend Unfreie waren: „Diese ländliche Bevölkerung nun bestand in ihrer Hauptmasse aus den unterworfenen Sorben, die im allgemeinen als Unfreie gegen Zins und Dienste auf ihren Äckern belassen wurden. Deutsche finden sich, wenn wir von den Knechten und dem unmittelbaren Hausgesinde der Herren absehen, nur ganz vereinzelt; am häufigsten wohl noch im Westen, der Saale zu.“168

„Von der Masse der unfreien sorbischen Grundholden hoben sich ab nach oben hin … die Wethenici, Withasen und Supane, nach unten hin die Smurden.“170 In den Supanen sieht er „Vorsteher der wendischen Ortschaften“. Sie hatten neben ihren rechtlichen Funktionen vor allem auch Aufgaben auf dem Gebiet des Abgabewesens. Zu ihrem Amt gehörten eine oder mehrere Hufen Landes. Eine ähnliche Stellung kam den Wethenici bzw. Withasen zu.

Schulze sieht in den Wethenici, Withasen und Supanen keine Lokatoren, die im Auftrag der deutschen Herrschaft Orte gegründet haben, sondern Angehörige ehemaliger sorbischer Häuptlingsfamilien. In den Smurden sieht er Angehörige des niederen Gesindes, wie z. B. Hof-knechte, die aber später die Möglichkeit hatten, sich aus dieser Stellung zu befreien. Er führt sie zurück auf ehemalige Unfreie der Sorben. In dieser ersten Periode sieht er keinen Grund zur Neugründung von Orten auf der Grundlage von Rodungen, sondern nur eine Erweiterung des Siedlungslandes in angrenzendes Gebiet. Als typische Flurform zu den slawischen Orten sieht er die Blockflur171: „Die Einwanderung und Niederlassung der deutschen Bauern bildet den Inhalt der zweiten Periode der Kolonisation.“172

Ausgangspunkt für seine Darstellung dieser Periode ist die Lage im 11. Jahrhundert, wie er sie im vorhergehenden Kapitel dargestellt hatte. Diese änderte sich seiner Meinung nach in den ersten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts, als die neuen Kolonisten vor allem aus Sachsen, Thüringen und Franken ins Land kamen. Diese Herkunft der Siedler erschließt sich ihm aus den „historischen Beziehungen … Mundart und Sagenwelt, Recht und Sitte, Brauch und Ein-richtung.“173 „Ein hochbedeutsames Element in dieser Völkermischung bildeten die Nieder-länder, besonders die Vlamingen.“174 In diesem Zusammenhang behandelt er auch die Frage nach der „Vermischung“ von Slawen und Deutschen: „Am zahlreichsten und längsten schei-nen die Sorben sich in einigen Teilen der Zeitzer Mark, auch im Altenburgischen, in der Süd-westgegend des Serimunt, und besonders um Meissen erhalten zu haben.“175 Eine bedeutende „Vermischung“ und „Assimilation“ bezweifelt er allerdings, weil er meint, dass die Gegensätze zu groß waren und sogar mit der Zeit zunahmen, wofür er Belege erbringt.

Die Leitung der Kolonisation lag in den Händen der Herrschaft auf den verschiedenen Ebe-nen.

Er sieht ihre Wirksamkeit vor allem durch eigene Rodung und Kultivierung, durch das Bei-spiel eines rationellen Wirtschaftsbetriebes und die Verwaltung. „Überschätzt wird dagegen gewöhnlich ihre Thätigkeit auf dem Gebiete der eigentlichen Kolonisation, wenn man unter letzterer das Heranziehen und Ansetzen selbständiger bäuerlicher Besitzer versteht.“177

Als entscheidend sieht er die Kolonisationstätigkeit der kleinen Grundherren an, deren Leis-tungen er vor allem in zwei Richtungen sieht:

Von den Besitzern der Dörfer wurden die Slawen in den Prozess der Kolonisation integriert, indem sie entweder als Hörige für die Erweiterung des Herrenbesitzes herangezogen wurden oder indem ihnen Land zur Bewirtschaftung gegen „Ertragsquote“ übertragen wurde. Auf dieser Grundlage wurden sie später aus dem Hörigkeitsverhältnis entlassen, verblieben aber in der Pflicht zum Dienst an den herrschaftlichen Äckern. Das machte sie teils für den Herren interessanter als die völlig freien deutschen Siedler.

Eingebettet in diese Problematik behandelt er auch die Frage nach der Ursache der Klein- und Groß-, der Wenigen- und Wenden-Dörfer, usw. Im Gegensatz zu Martin Waehler von 1929, des-sen Arbeit vielschichtig in spätere Abhandlungen eingegangen ist, sieht er in den Klein- und We-nigen-Dörfern interessanterweise den ursprünglichen Ort, in dem auch der Grundherr seinen Sitz gehabt habe und zu dem erst später der neue Gross- bzw. Deutsch- Ort hinzugekommen sei.179

Im letzten Unterkapitel des III. Kapitels, das er „Die Ansetzung der Kolonisten“ überschreibt, geht Schulze vor allem auf rechtliche Grundlagen der Dorfgründungen ein. Er will darstellen, „in welcher Weise und unter welchen Bedingungen die Ansiedlungen der deutschen Kolonisten in den Wendenländern ins Leben traten.“180 Dabei unterscheidet er zwischen der unmittelbaren Einrichtung des neuen Ortes durch den Grundherrn und der Vermittlung durch einen „locator“. Vor allem die größeren Grundherren bedienten sich eines solchen, den sie entweder nur mit der Errichtung des neuen Ortes betrauten und ihm das Schulzenamt übertrugen, der ihnen aber ansonsten direkt unterstellt blieb, oder sie übergaben den Ort dem Lokator zu Lehen. Vor der Ansiedlung wurde das Land vermessen und in Hufen aufgeteilt. Dies erfolgte in Gewannen oder in Streifen. Der Lokator erhielt einige abgabenfrei als erbliches Lehen. „Eine oder zwei weitere abgabenfreie Hufen wurden der Kirche, die sich in fast jedem grösseren Kolonistendorf erhob, als ‚dos‘ überwiesen. Die übrigen Hufen wurden mit Bauern besetzt.“181 Ausführlicher behandelt er in diesem Zusammenhang auch die richtungsweisende Urkunde von 1154 zu Kühren (Coryn).182

Auffällig an der Darstellung von Schulze ist, dass er anhand weniger durch Urkunden be-legter Beispiele vor allem den singulären Akt betrachtet und weniger den länger andauernden Prozess.

Im anschließenden IV. Kapitel „Lage und Schichtung der bäuerlichen Bevölkerung seit dem 12. Jahrhundert“ geht er auf den raschen Aufschwung des Landesausbaus im 12. und 13. Jahr-hundert unter den für die Siedler günstigen Bedingungen ein und schildert die Ursachen für den Niedergang mit Beginn des 15. Jahrhunderts, dessen Gründe er vor allem im wirtschaft-lichen, rechtlichen und sozialen Bereich sieht.

In diese Vorgänge sieht er ausdrücklich auch die ansässigen sowie neu hinzugezogenen Sor-ben einbezogen. Dabei gab man aber den deutschen Siedlern den Vorzug und ließ die Sorben frei abwandern, um sich andernorts Land zu suchen. Er behandelt in diesem Kapitel primär rechtliche Probleme der Siedler, Fragen von Abgaben, der Abhängigkeit und Bindung.

Abschließend geht er auch auf Probleme der Wüstungsprozesse im 14. und 15. Jahrhundert ein, deren Ursachen er im Gegensatz zur Grundmeinung seiner Zeit richtigerweise u. a. darin sucht, dass man im „Kolonisteneifer“ auch Land urbar gemacht habe, das wirtschaftlich nicht geeignet war bzw. dass man Raubbau betrieben habe.183

Mit dieser Darstellungsweise, die ausdrücklich wirtschaftliche Ursachen für die Wüstungs-prozesse des späten Mittelalters heranzieht, ist er für seine Wirkungszeit sehr modern.

Das V. Kapitel widmet Schulze den „Lasten, Abgaben und Dienste(n) der Bauern“. „Die Las-ten und Beschwerungen der Bauern setzen sich zusammen aus: Landesherrlichen Leistungen und Steuern, grund- und gutsherrlichen Abgaben und Diensten, kirchlichen Lasten.“184 Auf diese Probleme soll an dieser Stelle aber nicht näher eingegangen werden.

Da sich in der Arbeit von Schulze kein gesondertes Kapitel zur Entwicklung der Kirchen-organisation im Prozess des Landesausbaus befindet, sind zur Feststellung seiner Auffassung dazu die Ausführungen heranzuziehen, die er im Unterkapitel V.3. „Kirchliche Lasten“ dazu niederschreibt.185 Er nennt in diesem Zusammenhang auch die bedeutsame Urkunde von 1140 zu Altkirchen, auf die später ausführlich einzugehen ist.186 Wichtig ist auch sein richtungswei-sender methodischer Hinweis, dass aus der Größe des Zehnten eines Ortes auf die Größe des Ortes bzw. die Hufenzahl geschlossen werden kann.187

Das VI. Kapitel überschreibt er: „Die Burgwardverfassung“.

Er geht dabei auch auf alternierend zum Begriff Burgward verwendete Bezeichnungen ein, wie z. B. pagus, und nennt in diesem Zusammenhang ausdrücklich Plisni: „… selbst Plisni beschränkte sich anfangs auf das Gebiet der Burg Altenburg.“189

Der Burgort gewann kirchliche, rechtliche, verkehrstechnische und wirtschaftliche Zentral-funktion, hier konzentrierten sich Handwerk und Handel.192 Mit dieser zentralörtlichen Funk-tion und dem Zusammenhang mit slawischen Siedlungen verweist Schulze auf einen wich-tigen Ausgangspunkt späterer Stadtbildungsprozesse in diesem Raum, ohne dass er darauf näher eingeht.

Das abschließende VII. Kapitel „Die Anfänge der Rittergutsverfassung“ ist insofern für den hochmittelalterlichen Landesausbau von besonderer Bedeutung, als er die Herrengüter als wirtschaftliche Grundlage der Rittergüter herausarbeitet und diese auch auf Prozesse des Lan-desausbaus im sorbischen Gebiet zurückführt. Dabei geht er auch auf das Problem der kleinen Burgen, ihre Rolle in Orten mit slawischen Ortsnamen und die Flurverfassung ein.193

Dem Kapitel fügt er eine Beilage zur Vorwerks- und Gutswirtschaft an.

Den Kapiteln folgen 6 „Excurse“, von denen vor allem dem ersten, „Die Occupation der Elbländer durch die Slawen und der Zug der Heruler“, größere Bedeutung für das Verhältnis von Slawen zu Germanen/Deutschen zukommt.195 Hier beschäftigt er sich mit zeitgenössischer Literatur zur Herkunft der Slawen und ihrer Einwanderung.

Insgesamt ist zum Werk E. O. Schulzes festzustellen, dass es einen Durchbruch darstellt und eine neue Qualitätsstufe bei der Behandlung von Problemen der Germania Slavica in Mitteldeutschland einleitet. Auf dem sicheren Fundament der Kenntnis der Arbeiten zum Thema bis zu seiner Zeit und einem ausführlichen Quellenstudium vor allem der mediävis-tischen Quellen gelangt er zu neuen Erkenntnissen, die mitunter äußerst modern anmuten und in zahlreichen Belangen seiner Zeit weit voraus sind. Kritisch zu vermerken an seiner Herangehensweise ist vor allem sein vollständiges Ablehnen der Ergebnisse der Archäologie zum Thema.

Eine wichtige Ergänzung zu seiner Arbeit ist sein Aufsatz von 1900 mit dem Titel „Verlauf und Formen der Besiedlung des Landes“ sowie des Kapitels „Die Grundlagen des Volkslebens“ aus der Sächsische(n) Volkskunde von Robert Wuttke.196

Schulzes Aufsatz setzt sich aus drei Teilen zusammen. Die ersten beiden Teile, „Die sorbische Besiedelung des Landes“ und „Die deutsche Besiedelung des Landes“, sind eine Zusammen-fassung der entsprechenden Teile seines Werkes von 1896, die er mit dem 3. Teil „Dorf- und Fluranlage“ fortführt. Wie bereits aus der Überschrift zu entnehmen ist, behandelt er die Dorf- und Flurformen im Prozess des Landesausbaus in Sachsen. Die dort von ihm getroffenen Fest-stellungen können auch auf Thüringen östlich der Saale übertragen werden. Schulze belegt seine Ausführungen mit zahlreichen Beispielen und Abbildungen.

Zukunftsweisend sind zwei methodische Grundsätze, die er seinen Darlegungen zugrunde legt. Das betrifft erstens die Feststellung, dass Dorf- und Flurformen keine gegebene, sondern eine gewachsene Erscheinung sind und dass zweitens wirtschaftliche Erscheinungen sich nicht aus nationalen Eigenschaften ergeben, sondern „aus den Bedingungen und Forderungen des Wirtschaftens selbst“.197 Er fügt seinem kleinen Aufsatz ein Literaturverzeichnis bei, in dem er die wichtigsten Arbeiten zum Thema auflistet.198

Die Universität in Leipzig entwickelte sich zum Ende des 19.  Jahrhunderts hin immer mehr zum Zentrum der Beschäftigung mit Fragen der Landesgeschichte und damit auch zu Problemen der Germania Slavica in Mitteldeutschland. 1906 wurde an der Leipziger Uni-versität auf Initiative Karl Lamprechts das „Seminar für Landesgeschichte und Siedlungs-kunde“ gegründet, von dem diesbezüglich entscheidende Impulse weit über Sachsen hinaus ausgingen. Zu dessen Direktor wurde Rudolf Kötzschke berufen, mit dessen Wirken bis zu seinem Tode 1949 nicht nur die sächsische Landesgeschichte im Mittelalter aufs engste ver-bunden war.199

Im gleichen Jahr wie die Sächsische Volkskunde mit dem Aufsatz E.O. Schulzes erscheint in der Reihe Leipziger Studien aus dem Gebiet der Geschichte die Arbeit von Heinrich Leo: „Unter-suchungen zur Besiedlungs- und Wirtschaftsgeschichte des Thüringischen Osterlandes in der Zeit des frühen Mittelalters.“ Die Herausgeber sind G. Buchholz, K. Lamprecht, E. Marcks und G. Seeliger.200 Die Arbeit Leos ist aus dem damals unter Lamprecht stehenden Historischen Seminar der Universität Leipzig hervorgegangen.

Leo versteht unter dem Osterland ein Gebiet, das sich schwer fassen lässt:

Mit dieser räumlichen Definition Leos umfasst das Osterland auch die drei dieser Arbeit zu-grunde liegenden Territorien Orlagau, Geragau sowie Thüringer Vogtland und Pleißenland: „Das Osterland war Kolonialland, und insofern wiesen seine Beziehungen nach der Mark Mei-ßen hin, aber es berührte sich andererseits in der ganzen Länge seiner Westfront unmittelbar mit dem thüringischen Mutterlande.“202 Er schafft damit die Möglichkeit, dieses Gebiet, das politisch oder geografisch nie eine Einheit darstellte und darstellt, für das frühe und hohe Mittelalter zusammenhängend historisch zu untersuchen und inhaltliche Grundlinien her-auszuarbeiten. Diese zeigen sich in seinen vier Kapitelüberschriften sehr anschaulich: I. Vor-geschichte. Slavische Besiedlung.; II. Eroberung. Eingliederung in die Reichsverwaltung.; III. Unmittelbare Folgen der Besitzergreifung. Deutsch – slavische Grundherrschaften.; IV. Fort-schritte des Anbaues und der Besiedlung.

Im Sinne der der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegten Einteilung der Germania Slavica Thuringiae umfasst das Osterland territorial das gesamte Gebiet der Zone I und reicht im Or-lagau in die Zone II hinein. Mit der Kapiteleinteilung wird der gesamte Umfang des früh- und hochmittelalterlichen Landesausbaus erfasst.

Die entscheidenden Begriffe sind für Leo dementsprechend Kolonisierung und Germanisie-rung. Eroberung und Besitzergreifung stehen für ihn grundsätzlich anstelle solcher Begriffe wie Rückeroberung oder Wiedergewinnung, die er allerdings, seinem Grundkonzept eigent-lich widersprechend, mehrmals verwendet. Für die seiner Meinung nach zweite Periode der deutschen Dorfgründungen, die er vom 5. bis in das 8. Jahrhundert rechnet,203 vermischt er die ethnischen Bezeichnungen germanisch und deutsch.

Da er dem Erkenntnisstand seiner Zeit entsprechend seine Aussagen auf Ortsnamen und nicht auf archäologische Funde stützt, findet er keine Spuren einer germanischen Siedlung rechts der Saale und vermag auch nicht zu sagen, „wann die deutschen Bewohner das Grenz-gebiet geräumt haben und in welcher Weise das Nachrücken der slavischen Einwanderer sich vollzogen hat.“204

Sie wanderten seiner Meinung nach in ein kaum mehr besiedeltes Gebiet rechts der Saale ein. Das Vorkommen slawischer Ortsnamen links der Saale deutet seiner Meinung nach dar-auf hin, dass es sich dabei nicht um freie Siedler gehandelt haben kann: „Die Entstehung der slavischen Orte jenseits der Völkerscheide ist dann nur so zu erklären, daß ihre Bewohner als Kriegsgefangene oder erkaufte Unfreie von deutschen Besitzern auf grundherrlichem Boden angesetzt worden sind.“205 Damit folgt er dem allgemeinen Deutungsmuster seiner Zeit, wobei er sich mehrfach auf die Arbeit E. O. Schulzes bezieht.

Da er die „Deutsche Eroberung“ in das 10. Jahrhundert setzt, ergibt sich daraus rechnerisch, dass er die slawische Einwanderung spätestens im 7. Jahrhundert beginnen lässt.

Als zusammenhängend besiedelte slawische Gebiete nennt er den Orlagau, das Gebiet der Elster um Plauen, Greiz, Gera sowie das Gebiet der Pleiße. Diese Gebiete waren seiner Mei-nung nach bis auf den nördlichen Teil des Osterlandes von dichten Wäldern umgeben, die sie voneinander abgrenzten.207

In Bezug auf Wirtschaft und Verfassung der Slawen lehnt sich Leo weitestgehend an E. O. Schulze an. Er sieht die wirtschaftlichen Grundlagen richtigerweise in Ackerbau, Waldnut-zung und Viehzucht.208

Die Arbeit Leos ist die erste einer Reihe von historischen Arbeiten, geschrieben an den Universitäten Leipzig und später auch Jena, die sich mit spezifischen Problemen der Germania Slavica im Pleißengau, Vogtland und Orlagau beschäftigen. Die Jenaer Arbei-ten sind vor allem verbunden mit dem Wirken von Alexander Cartellieri und Friedrich Schneider.

Nach der Arbeit Leos in Leipzig erscheinen 1911 und 1915 Arbeiten von Alfred Wandsleb und Otto H. Brandt in Jena, von Johannes Leipoldt 1927 in Plauen, Hans Großkopf 1929 in Neustadt a. d. Orla und Werner Ronneberger in Jena 1932.209

Auf diese Arbeiten ist an den entsprechenden Stellen des Kapitels III im Einzelnen einzuge-hen, da sie auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sie einen Forschungsstand enthal-ten, der weit zurückliegt, nach wie vor wichtige Grundlagen der Beschäftigung mit dem hoch-mittelalterlichen Landesausbau in der Germania Slavica im östlichen Thüringen darstellen. Deshalb sollen sie an dieser Stelle lediglich im historischen Kontext erwähnt werden.

In diese zweite Etappe der Beschäftigung mit der Germania Slavica Thüringens fällt auch ein eher eigenständiger Anteil der Archäologie. Obwohl die Archäologie insgesamt noch in den Anfängen zur Herausbildung als selbständige, wissenschaftliche, historische Disziplin steckte, widmete sie sich auch damals bereits im Rahmen ihrer Beschäftigung mit den Proble-men der Frühgeschichte Fragen der Archäologie des Mittelalters. Es wurden Grundlagen ge-schaffen, die schon bald zur bahnbrechenden ersten Arbeit über ein mitteldeutsches Problem führten, die zu den Sternstunden der Herausbildung der selbständigen Mittelalterarchäologie in Deutschland zu zählen ist. Es handelt sich um die Arbeit von Paul Grimm Hohenrode, eine mittelalterliche Siedlung im Südharz .210

1923 veröffentlicht Christoph Albrecht in der Mannus-Bibliothek seine Schrift mit dem Titel Beitrag zur Kenntnis der slawischen Keramik auf Grund der Burgwallforschung im mittleren Saalegebiet .211 Wenngleich Albrecht das Gebiet des heutigen Freistaates aus seiner Untersu-chung der Burgwälle ausklammert, geht er mehrfach auf thüringisches Gebiet ein und legt die Grundlagen für seine Schrift über Thüringen von 1925.212

Diese Arbeit ist zwar vorrangig der archäologischen Slawenforschung in Mitteldeutschland und speziell der Keramik der Burgwälle gewidmet, stützt sich aber auch auf Aussagen der me-diävistischen und onomastischen Forschung.

Einleitend geht Albrecht kurz auf Probleme der Forschungsgeschichte der Archäologie zu den Slawen ein, die er bis zu Rudolf Virchow in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu-rückverfolgt. Er geht insgesamt von Hinterlassenschaften der Slawen von 5–6 Jahrhunderten vom Ende des 5. Jahrhunderts bis zur, wie er sagt, „Regermanisierung“ aus.213

Das I. Kapitel „Die slawische Besiedlung des Saalegebietes nach den bisherigen Forschungs-ergebnissen“ gliedert er in die Unterkapitel:

– Die Besiedlung nach der geschichtlichen Überlieferung

– Beitrag der Sprachforschung zur slawischen Siedlungsforschung im Saalegebiet

– Beitrag der Vorgeschichte zur slawischen Siedlungsforschung im Saalegebiet214

Für das Saalegebiet rechnet er ab dem 7. Jahrhundert mit slawischen Funden. Da seiner Mei-nung nach nur die Keramikreste Hinweise auf eine chronologische Einordnung geben, diese aber nicht in Gräbern vorkommen und Siedlungen nicht erforscht sind, beschränkt er sich bei seiner Untersuchung, wie auch der Titel zeigt, auf die Keramik der Burgwälle.

Sämtliche ihm bekannten slawischen Burgwälle führt er einzeln auf, zeichnet teilweise Lage-skizzen und bildet slawische Keramik ab.

Der Keramik der Burgwälle widmet er sein III. Kapitel.216 Grundlage seiner Gliederung des keramischen Materials ist die Typologie der Randformen und der Verzierungen. Er schließt dabei in seinen Untersuchungen an Götzes Einteilung in früh-, mittel- und spätslawisch an und kommt zu dem Schluss, dass auf den Burgwällen des Saalegebietes nur die ersten beiden Perioden vorkommen, während sich das Material der dritten Periode ab 1000 auf die Siedlun-gen und Gräberfelder beschränkt.

Auf dieser Grundlage kommt er zur Einteilung von zwei Perioden der Burgwallkeramik: „Wir kommen also zu dem Schluß, daß die erste slawische Periode im Saalegebiet von 600 bis zum Ausgang des 8. Jahrhunderts reicht, die zweite Periode kurz vor 800 einsetzt und das 9. und 10. Jahrhundert umfaßt.“217 Seine Stilgruppen bildet er auf Typentafeln ab.218

Ein wichtiges Ergebnis seiner Untersuchung ist darüber hinaus die Feststellung, dass die Keramik der Siedlungen westlich der Saale in die Zeit nach 1000 bzw. die letzten beiden Jahr-hunderte des 1. Jahrtausends gehört.

Als programmatisch für die dritte Periode können seine Schlussworte gelten: „Aus dem Ergeb-nis können wir wiederum ersehen, daß zur genauen Kenntnis der Frühgeschichte unbedingt die Vorgeschichtsforschung notwendig ist. Möge die Arbeit auch zur Verbreitung dieser Er-kenntnis beitragen.“220

Diese Einschätzung Albrechts zählt zwar die archäologische Forschung des Mittelalters noch zur Frühgeschichtsforschung, steht aber an der Schwelle der Erkenntnis der Notwen-digkeit einer selbständigen Archäologie des Mittelalters als einer interdisziplinär arbeitenden Wissenschaft.

Eine bis heute unübertroffene Arbeit, in der das gesamte archäologische Material bis zum Mittelalter für das Arbeitsgebiet vorgelegt wird, ist die Schrift des damaligen Geraer Muse-umsdirektors Alfred Auerbach unter dem Titel Die vor- und frühgeschichtlichen Altertümer Ostthüringens .221

Da das 1909 erschienene Werk von Götze, Höfer und Zschiesche Die vor- und frühgeschicht- lichen Altertümer Thüringens in seinen Grundzügen parallel erarbeitet wurde, kommt es teil-weise zu Überschneidungen, die auch das Arbeitsgebiet betreffen.223

Auerbach gliedert seine Materialvorlage nach den politischen Kreisen seiner Zeit und in-nerhalb dieser Ordnung alphabetisch nach Orten. Zu den Orten führt er die ihm bekannten archäologischen Denkmale, Fundstellen und Einzelfunde auf und gibt deren chronologische Einordnung an. Zu den einzelnen Fundstellen nennt er umfassend die ihm vorliegende Lite-ratur, aus der im Einzelnen auch die Forschungsgeschichte hervorgeht. Zu zahlreichen Aus-grabungen und Bodendenkmalen bringt er Abbildungen. Einzelne, bedeutende Funde werden auf 10 Tafeln vorgestellt, die er chronologisch gliedert. Ein umfassendes Ortsverzeichnis und ein Sachverzeichnis vereinfachen die Arbeit mit diesem Werk.

Wenngleich Auerbachs Schrift 80 Jahre zurückliegt, so ist sie bis heute ein unentbehrliches Werk nicht nur für die Forschungsgeschichte, sondern auch für die Beschäftigung mit der Germania Slavica in Ostthüringen. Sein besonderer Wert liegt nicht zuletzt darin, dass es Be-schreibungen und Abbildungen von Objekten vorlegt, die so nicht mehr existieren und Funde aufführt, die verschollen sind sowie Grabungsberichte nennt und auch ausführt, die oftmals bis heute mangels moderner Dokumentationen die einzige Quelle zur Beschäftigung mit dem Objekt oder den Funden darstellen.

Die erste zusammenfassende Arbeit zu den Slawen in Thüringen, in denen archäologische, mediävistische und namenkundliche Quellen gleichberechtigt herangezogen werden, ist der umfassende Artikel von Christoph Albrecht aus der Jahresschrift für die Vorgeschichte der sächsisch-thüringischen Länder von 1925 über „Die Slawen in Thüringen“.224

Diese Arbeit ist in engem Zusammenhang zu seiner Keramik-Arbeit von 1923 zu sehen, die auf seiner Untersuchung der Burgwälle im heutigen Sachsen-Anhalt fußt.

Dabei versteht Albrecht unter Thüringen im frühen Mittelalter „das Gebiet, das auf Grund der historischen Forschung im Norden von dem nördlich der Ohre (Grenzfluß der Altmark) gelegenen Ödland, im Süden von dem Thüringer Wald, im Osten von der Saale und Elbe be-grenzt wird“.225

Deshalb bezieht er die Gebiete östlich der Saale im heutigen Thüringen nicht in seine Be-trachtungen mit ein. Von slawischen Funden aus dem Orlagau westlich der Saale aus Saalfeld hat er noch keine Kenntnis. Dem Orlagau am nächsten liegend behandelt er slawische Funde aus Engerda, Geilsdorf, Geunitz, Kahla, Röbschütz und Sundremda.226

Die Arbeit Albrechts, deren großes Verdienst in der interdisziplinären Betrachtung der Quel-len und dem Versuch besteht, das archäologische Material in Thüringen erstmals zu gliedern, gehört ihrer grundlegenden politischen Herangehensweise nach eher in die nächste Periode der Beschäftigung mit der Germania Slavica in Thüringen zur Zeit des Nationalsozialismus. Ganz in diesem Sinne spricht er von der slawischen Kultur als einer „primitiven Kultur“ und sieht seine Arbeit insgesamt vor allem als einen Beitrag „für den Aufbau des gegenwärtigen deutschen Staates und für die weitere völkische und kulturelle Entwicklung der Deutschen … in Deutschland selbst kann sie zur Lösung der heute oft behandelten Rassenfragen vieles bei-tragen.“227

Er gliedert seinen Aufsatz nach Einleitung und einem Kapitel über die Methode in die Kapitel II. „Die historischen Nachrichten über die Slawen in Thüringen“, III. „Die slawi-schen Sprachreste auf thüringischem Boden“ und IV. „Die materielle Kulturhinterlassen-schaft der Slawen auf thüringischem Boden“. Dieses IV. Kapitel beinhaltet a) Allgemeines über die Funde, b) Keramik, c) Schmuckgegenstände, d) Werkgeräte und e) Bedeutung der Funde.228

Im Unterkapitel a) legt er dar, dass es sich bei den typisch slawischen Funden vor allem um Keramik und Schläfenringe handelt. „Diese Funde selber stammen aus Gräbern und Woh-nungen. Slawische Burgwälle, die auf allen sonst von Slawen in den gleichen Jahrhunderten besiedelten Gebieten vorkommen, finden sich nicht in Thüringen.“229

Die Bestattungen der Slawen in Thüringen sind Körperbestattungen, die er auf das Chris-tentum zurückführt. Er führt aber auch an, dass zuvor bei den Slawen Brandbestattungen vorherrschten. Daraus schlussfolgert er: „Demnach müßten wir in allen unseren Grabfunden Kulturreste von schon christianisierten oder unter christlichem Einfluß stehenden Slawen se-hen.“230

Nach der Darstellung der Anlage der Gräber geht er auf die Siedlungsfunde ein:

Dann geht er näher auf die Keramik ein. Er schildert Herstellungsart, Form und Verzierungen (Gefäßornamentik). Aufgrund typologischer Merkmale unternimmt er den Versuch, die Ke-ramik chronologisch in drei Perioden einzuordnen. Dabei stützt er sich vor allem auf die Glie-derungen von Beltz, Goetze und Schuchhardt für die nordslawische Keramik.232 Er schildert deren Einteilung in eine frühslawische Periode von 600 bis 800, eine mittelslawische Periode von etwa 800 bis 1000 und eine spätslawische Periode nach 1000 bis 1200233:

Damit vergleicht er das keramische Material aus Thüringen und stellt fest, „daß die Gefäß-formen und Ornamente … mit den aufgestellten typologischen Reihen der Burgwallkeramik sich decken … Die steilwandigen Gefäße der ältesten slawischen Keramik finden sich nicht in Thüringen.“235

Als slawischen Schmuck behandelt er Schläfenringe, Ohrringe, Fingerringe und Perlen-ketten. Den Schläfenringen, die er als typisch slawisch darstellt, widmet er besondere Auf-merksamkeit. Im weiträumigen Vergleich gliedert er diese nach verschiedenen Merkmalen. Sie kommen seiner Meinung nach in früh- und spätslawischer Zeit vor, aber eignen sich nicht für eine Datierung. Dementsprechend ist deren Größe für ihn kein Datierungskriterium. Die äl-testen Schläfenringe kommen seiner Meinung nach in Thüringen erst im 8. Jahrhundert vor.236

An „Werkgeräten“ unterscheidet er „Gegenstände aus Metall, Knochen und Stein“. Die Ei-sengeräte, nämlich Messer, Sicheln und Eimerbeschläge, sind seiner Meinung nach von den Slawen importiert, da „die Slawen in der Zeit von 600 bis 1000 die Kunst der Eisenbearbeitung nicht kannten“. Als Beweis dafür führt er auch das Diedenhofener Kapitular an, da dieses den Verkauf von Waffen an die Slawen verbot.

An Knochengeräten bei den Slawen in Thüringen nennt er Pfrieme, Nadeln, Schlittknochen und Kämme zum Anbringen der Wellenverzierung auf den Gefäßen. Steingeräte unterteilt er in „Kornquetschen, Reibsteine und Reibeplatten, die zum Zerreiben der Getreidekörner dien-ten und Netzbeschwerer zur Verankerung von Fischnetzen“.

Weiterhin führt er Spinnwirtel auf und untergliedert diese nach Form und Material. Als Bei-spiel für gewebte Kleidung führt er Funde vom Gräberfeld auf dem Leubinger Hügel an. Seiner Meinung nach beherrschten die Slawen auch die Kunst der Holzschnitzerei.237

Zur Besiedlungsgeschichte Thüringens durch Slawen stellt er, seinen damaligen Erkenntnis-stand zusammenfassend, fest: „die slawischen Siedlungen südlich der Unstrut können bereits etwa im Laufe des 7. Jahrhunderts, diejenigen nördlich der Unstrut erst um 800 entstanden sein, und in beiden Gebieten muß die slawische Kultur im Laufe des 10. Jahrhunderts ver-schwunden sein.“239 Das bezieht er auch auf die Orte mit slawischen Ortsnamen.

Aus dem Fehlen slawischer Burgen westlich der Saale schlussfolgert er, dass diese hier zwar in ihrer eigenen Kultur, aber nicht politisch selbständig gelebt haben. Gleichzeitig wider-spricht er aber der Meinung mancher seiner Zeitgenossen, dass die Slawen als Kriegsgefangene hierhergekommen seien. Das nimmt er allerdings für die Slawen „westlich von der Ilm und westlich der Linie Burgscheidungen a. U. Querfurt, Eisleben, Aschersleben, Staßfurt, Neuhal-densleben“ an.240 Die Tatsache, dass die Slawen vor allem in Gewässernähe siedelten, deutet er dahingehend, dass sie keine Ackerbauern, sondern Fischer gewesen seien.

Wenngleich die Arbeit Albrechts von Rassenideologie und Geringschätzung des Slawischen gegenüber dem Germanischen durchdrungen ist, leistet er dennoch in Bezug auf die slawische Besiedlung Thüringens Pionierarbeit. Das betrifft sowohl seine interdisziplinäre Herangehens-weise, die Mediävistik, Namenkunde und Archäologie gleichberechtigt einbezieht, als auch die erste umfassende Auswertung der archäologischen Quellen.

Dem Textteil folgt eine umfassende Materialvorlage mit Quellenangaben und Abbil-dungen, Karten und zusammenfassenden Tafeln. Damit wird – entsprechend dem For-schungsstand seiner Zeit – für die Archäologie der Slawen in Thüringen eine neue Qualität erreicht, die in Bezug auf eine zusammenfassende Darstellung der Geschichte der Slawen in Thüringen jahrzehntelang nicht überholt wird. Diese Errungenschaft wird auch nicht dadurch geschmälert, dass er die Gebiete östlich der Saale nicht in seine Untersuchung einbezieht.

Da er die mediävistischen und sprachhistorischen Quellen primär in Bezug auf die politi-sche Geschichte auswertet und für die Siedlungs- und Wirtschaftsgeschichte die archäologi-schen Quellen heranzieht und noch nicht zu unterscheiden vermag zwischen primären slawi-schen Siedlungen und Orten mit slawischen Ortsnamen sowie sämtliche Quellen auf die Zeit vom 7. bis 10. Jahrhundert einschränkt, ist es ihm entsprechend seinem Forschungsstand noch nicht möglich, den Anteil der Slawen am früh- und hochmittelalterlichen Landesausbau in Thüringen westlich der Saale herauszuarbeiten.

Mit der Arbeit Albrechts wird ein fließender Übergang geschaffen zur dritten Etappe der Beschäftigung mit der Germania Slavica Thuringiae. Die dritte Etappe der Beschäftigung mit der slawischen Einwanderung, der Rolle der Slawen beim mittelalterlichen Landesausbau in Thüringen sowie des Kontaktes mit den Germanen/Deutschen umfasst generell die Zeit von 1933 bis 1945.

Obwohl die Masse der Arbeiten aus diesem Zeitraum, die sich mit dem Verhältnis von Sla-wen und Germanen/Deutschen beschäftigen, von der nationalsozialistischen Rassenideologie bestimmt werden und die Problematik vorrangig unter „völkischem“ Aspekt behandeln, ent-stehen in dieser Zeit auf einzelnen Gebieten der Namenkunde, Mediävistik und Archäologie hervorragende Einzeldarstellungen, wie z. B. in Jena auf dem Gebiet der Dialektologie und ih-rer Einordnung in die Siedlungsgeschichte sowie der Archäologie oder der Siedlungsgeschich-te an der Universität Leipzig. Gerade auf diesen Gebieten wird ein Forschungsstand erreicht, der heute seinesgleichen sucht.

Es ist nicht Aufgabe der vorliegenden Arbeit, sich mit den theoretisch-methodologischen Auffassungen in Geschichte, Archäologie und Namenkunde in dieser Zeit kritisch auseinan-derzusetzen. Dazu gibt es moderne Arbeiten, auf die zurückgegriffen werden kann.241

Einzelne Arbeiten sollen vor allem für die zu untersuchenden Gebiete herangezogen und ausgewertet werden. Aus diesem Grund erfolgt an dieser Stelle nur eine überblicksartige, kur-ze Behandlung weniger, besonders bedeutender Arbeiten auf den Gebieten der Ethnologie, der Namenkunde, der Siedlungsforschung und der Archäologie.

1940 veröffentlicht Martin Wähler seine Thüringische Volkskunde .242 Seine Auffassun-gen über Inhalt, Quellen, Umfang und Ziel der Volkskunde sowie seine politisch-ideo-logischen Grundlagen kommen prägnant in den ersten Worten des Vorwortes zum Aus-druck:

Was er unter den Grenzen Thüringens versteht, fasst er in einer Karte zusammen, auf der er die politische Grenze seiner Zeit in Beziehung zur „Kulturgrenze“, zur „Sprachgrenze der Thür. Mundart i. e. S. nach Hertel-Kürsten“ und der „Stammesgrenze um 1000 n. d. Z.“244 stellt. Trotz einiger Abweichungen bezieht er im Wesentlichen das Gebiet des heutigen Freistaates in seine Betrachtung ein.

Die Einführung in das Vorwort zeigt zugleich seine umfassende, interdisziplinäre Heran-gehensweise an die Volkskunde und macht seine politisch-ideologischen Grenzen anschau-lich deutlich. Er verfolgt ahistorisch moderne Erscheinungen über das Mittelalter bis in die urgeschichtliche Zeit. Dabei erfasst er aber auch richtigerweise zugleich Entwicklungslinien bestimmter gesellschaftlicher Erscheinungen vom Mittelalter bis in die Neuzeit.

In vierzehn Kapiteln erläutert Wähler das, was er, wie in der Einleitung ausgeführt, unter Volksleben in seiner Gesamtheit versteht. Diese Gesamtsicht bietet die Möglichkeit, einzel-ne Erscheinungen, von der Wohn- und Siedlungsweise bis zu den Sitten und Bräuchen, in die Siedlungsgeschichte insgesamt einzuordnen. Das führt aber gleichzeitig zu den genannten Mängeln.

Kr. Weimar

Kr. Arnstadt

Kr. Gotha Kr. Eisenach

Langensalza Kr.

Kr. Sondershausen

Kr. Gera

Kr. Zeitz

Kr. Weißenfels

Kr. Greiz

Kr. Hildburghsn.

Kr. Rudolstadt

Kr. Stadtroda

Kr. Worbis

Kr. Gr. Hohenstein

Nordhsn. Kr. Sangershsn.

Allstedt

Kr. Querfurt

Kr.

Altenburg

Kr.

Mühlhausen Kr.

Weißensee

Kr.

Meiningen

Kr.

Schleusingen

Kr.

Schmalkalden

Kr. Ziegenrück

Kr. Schleiz

Saalfeld

Kr.

Kr.

Sonneberg

Kr. Coburg

Kr.

Eckartsberga

Kr. Saa

Heiligenstadt

Abb. 5: Die Thüringen-Karte von Martin Wähler (Wähler 1940)

Mit seiner Arbeit steht Wähler in der guten Tradition der Herangehensweise an diese Pro-blematik in der vorhergehenden Etappe, wie sie prägnant in der Sächsischen Volkskunde zum Ausdruck kommt, wobei gleichzeitig deren Grenzen übernommen werden.245

Mangels moderner Bearbeitung auch vieler Details muss Wählers Thüringische Volkskunde bei ausreichender Beachtung ihrer ideologischen Voraussetzungen, ihrer inhaltlichen Mängel und Grenzen weiterhin als nie wieder erreichte Übersicht gelten. Das betrifft auch viele Einzel-heiten, die bis heute nicht mehr so in die Siedlungsgeschichte eingeordnet wurden.

Wichtige Arbeiten auf dem Gebiet der Namenkunde, die das Arbeitsgebiet betreffen, ent-stehen in dieser Periode an den Universitäten in Jena und Leipzig. An der Universität Leipzig ist es insbesondere das Wirken von Theodor Frings am Germanischen Seminar, an dem unter seiner Leitung bedeutende Arbeiten zur Namenkunde und Dialektologie erarbeitet werden.

1933 wird die 1932 vorgelegte Dissertation von Friedrich Barthel mit dem Titel „Der vogt-ländisch-westerzgebirgische Sprachraum“ publiziert.246 Diese Schrift tangiert das Arbeitsge-biet allerdings nur im Raum Greiz/Elsterberg. Barthel stellt sich in der Arbeit das Ziel, „… das v.-we. Grenzproblem besonders von sprachlicher Seite aus aufzurollen.“247

Dabei spielt die Untersuchung der Besiedlungsgeschichte eine entscheidende Rolle, die er auf folgende Quellen zurückführt: „Als solche kommen im wesentlichen in Betracht: Urkunden, soweit sie sich auf Besiedlungsvorgänge direkt beziehen oder auf solche schließen lassen, Orts- und Flurformen, Mundart, Flur- und Ortsnamen sowie die Genealogie einzelner führender Geschlechter.“248

Die Archäologie spielt für ihn keine wichtige Rolle. Großen Wert legt er dagegen auf die Orts- und Flurformen. Dabei kann er sich auf die Arbeit von Johannes Leipoldt stützen.249 Der Anteil der Slawen am Landesausbau, der seiner Meinung nach in Blockfluren und Rundlingen zum Ausdruck kommt, wird nur beiläufig erwähnt.250

Zusammenfassend stellt er grundlegend fest, „… daß im Rahmen des v.-we. Fächers geo-graphische, siedlungsgeschichtliche, territoriale und sprachliche Linien in engem Verhältnis zueinander stehen“. Das fasst er in der Gleichung zusammen: „Geographischer Raum = Sied-lungseinheit = Herrschaftsbereich = Sprachlandschaft.“251

In Bezug auf das Ziel der Arbeit, das Grenzproblem einer Lösung zuzuführen, konstatiert er: „Wir wollen und können nicht von einer v.-we. Sprachgrenze schlechthin, sondern nur von einem v.-we. Sprachraum sprechen. Die spezifischen Sprachgrenzen des Westerzgebir-gischen und des Vogtländischen liegen im Allgemeinen auf der Bergbau- und der Ackerbau-barriere.“252

Barthels Arbeit gewinnt durch zahlreiche Karten. Diese unterteilen sich in eine Grundkarte mit den Orten, fünf übergreifende Karten – Geologische Übersichtkarte, Topografische Über-sichtskarte, Wegekarte um 1500, Verbreitung des Fl.-N. Knock und Territoriale Entwicklung – sowie 28 Mundartkarten. Diese Karten sind sehr nutzerfreundlich dem Stil der Publikationen der Zeit entsprechend als transparente Pausen erarbeitet, so dass beliebige Karten zum Ver-gleich übereinandergelegt werden können.

1933 erscheint ebenfalls am Germanischen Seminar der Universität Leipzig unter der Lei-tung von Theodor Frings die Dissertation von Käthe Gleissner „Urkunde und Mundart auf Grund der Urkundensprache der Vögte von Weida, Gera und Plauen“.253 Käthe Gleissner ver-gleicht in ihrer Arbeit die Urkundensprache in den Urkunden der Vögte von Weida, Gera und Plauen sowie ihrer Kanzleien aus dem 14. Jahrhundert mit der modernen Mundart. Die Unter-suchung der Urkundensprache stützt sich auf die Arbeit von Willy Flach von 1930.254

Aus dem Vergleich der Urkundensprache im Land der Vögte des 14. Jahrhunderts mit der modernen Mundart kommt K. Gleissner zu interessanten historischen Aussagen vor allem zum Alter der Sprachlandschaft:

Diese Feststellung von K. Gleissner ist im Vergleich mit anderen Arbeiten zu Mundart und Besiedlungsgeschichte von großer Bedeutung.

Auch dieser Arbeit sind interessante Karten mit einer Grundkarte und weiteren 16 Einzel-karten beigefügt, die sich in ihrer Ausführung als transparente Kopien gut vergleichen lassen. Vor allem die Karte 2 „Leitlinien für die mundartliche Sprachraumbildung“ zeigt interessante Zusammenhänge zwischen Mundart und Zentren des hochmittelalterlichen Landesausbaus im Geragau und nördlichen Vogtland, auf die an gegebener Stelle im dritten Kapitel der Arbeit zurückzukommen ist.

Einen guten und schnellen Überblick über die Behandlung der Probleme des mittelalterli-chen Landesausbaus an der Universität Leipzig in dieser Zeit erhält man in der Schrift Kultur- räume und Kulturströmungen im mitteldeutschen Osten , die 1936 erscheint.257

Auch wenn diese Arbeit auf der Grundlage der nationalsozialistischen Ideologie aufgebaut ist, legen die beteiligten Autoren wesentliche Erkenntnisse dar zu den Fragen der, wie sie es ausdrücken, Kolonisation des Ostens, die den mittelalterlichen Landesausbau in „Mittel-deutschland“ beinhaltet.

Von der Anstalt für geschichtliche Landeskunde an der Friedrich-Schiller-Universität Jena werden 1938 zwei dialektologische Arbeiten herausgegeben, welche die Bände 1 und 2 der Ar-beiten zur Landes- und Volksforschung bilden. Sie stammen aus der Feder von Heinz Rosen-kranz und Gerda Glück.258

Mit diesen beiden Publikationen und ihrer theoretisch-methodologischen Grundlage wird eine neue Qualität einer interdisziplinären Herangehensweise an Probleme der Namenkunde, Dialektologie und Siedlungsforschung erreicht, wie sie seitdem ihresgleichen sucht. Sie werden angeregt durch die Landesstelle für Thüringische Mundartforschung an der Friedrich-Schil-ler-Universität Jena.

Die Arbeit von Heinz Rosenkranz umfasst große Teile der heutigen Landkreise Saalfeld-Rudolstadt und des Saale-Orla-Kreises zwischen Saalfeld und Ziegenrück im Norden bis zum Rennsteig im Süden, von Gräfenthal im Westen bis kurz über die Grenze zum sächsischen Vogtland im Osten. Damit wird ein großer Teil des Orlagaues vor allem in seiner südlichen und westlichen Ausdehnung erfasst.259 „Das Kernstück des Gebiets bilden das „Reußische Oberland“ südlich von Schleiz und die Flussgebiete der Sorbitz und Loquitz.“260

Da die Kapiteleinteilung die methodische Herangehensweise in ihrer Interdisziplinarität deutlich aufzeigt und anschaulich darstellt, wie Rosenkranz den Zusammenhang von Mund-art und Besiedlungsgeschichte versteht, sei sie an dieser Stelle genannt:261

I. Methodische Vorbetrachtungen

II. Geographische und historische Grundlagen

III. Der statische Aufbau des Sprachraums

IV. Geschichtliche Erklärung der sprachlichen Grenzen und Räume

V. Das dynamische Bild des Sprachraums

VI. Die kulturgeographische Aufgabe

VII. Ergebnisse (1.  Dialektgeographische Ergebnisse, 2.  Siedlungsgeographische Ergeb-nisse, 3. Kulturgeographische Ergebnisse)

Wie die genannten sächsischen Werke beinhaltet auch die Arbeit von Heinz Rosenkranz ein umfangreiches Kartenwerk, das aus einer Grundkarte und 44 Einzelkarten besteht. Die Grundkarte ist auch als transparente Pause beigelegt, die dem Betrachter eine schnelle Sicht auf das betreffende Gebiet ermöglicht.

Eine tiefgründigere Analyse erübrigt sich an dieser Stelle, da auf die siedlungsgeschicht-lichen Ergebnisse der Arbeit von Heinz Rosenkranz bei der Behandlung des Orlagaues im Einzelnen einzugehen ist.

Die Arbeit von Gerda Glück ist vergleichbar gestaltet. Aufbau, Herangehensweise, Dar-stellungen und Ergebnisse korrespondieren eng miteinander. Sie behandelt das östlich an das von H. Rosenkranz anschließende Gebiet bis zur Weißen Elster im Osten einschließlich des Territoriums bis nahe der Linie Stadtroda – Münchenbernsdorf – Weida im Norden. Das Gebiet wurde so ausgewählt, dass der Hauptteil im „thüringischen“ Sprachbereich liegt, wenn man mit Gerbet262 das „Vogtländische“ erst etwa im Sächsischen Vogtland beginnen läßt“.263

Mit den Arbeiten von H. Rosenkranz und G. Glück werden im Sinne des Arbeitsgebietes der gesamte historische Orlagau sowie große Teile des nördlichen Vogtlandes (außer dem Gebiet um Gera) erfasst.

Was das weitere Eingehen auf die Arbeit von Gerda Glück betrifft, so trifft hier das Gleiche zu bei Heinz Rosenkranz.

Mit den Arbeiten von Heinz Rosenkranz und Gerda Glück von 1938 liegt eine Herangehens-weise in Einheit von Sprachforschung, Mediävistik, Siedlungsforschung und Ethnologie vor, die zu grundlegenden Schlussfolgerungen für die Besiedlungsgeschichte führt. Beide vermö-gen nicht, das archäologische Material in diesem Kontext mit zu beachten. Das liegt natürlich auch an der ihnen nicht zur Verfügung stehenden, für das Thema aufgearbeiteten Zusammen-fassung der archäologischen Forschung zur Germania Slavica in diesem Raum sowie am For-schungsstand zu dieser Problematik in dieser Zeit insgesamt.

Die an der Universität Leipzig in dieser dritten Etappe vorangetriebenen Arbeiten auf dem Gebiet der Siedlungsforschung sind auf das engste verbunden mit dem Wirken von Rudolf Kötzschke am Seminar für Landesgeschichte und Siedlungskunde bis 1935 – danach Institut für Deutsche Landes- und Volksgeschichte.264

Kötzschkes Wirken, das bereits vor 1933 mit wichtigen Arbeiten besonders zur sächsischen Landesgeschichte, speziell zum mittelalterlichen Landesausbau in Sachsen beginnt, schlägt eine Brücke zur dritten Etappe. Anlässlich seines 60. Geburtstages hatten ihm 1927 Schüler und Freunde eine Festschrift gewidmet, in der dieser fließende Übergang von der zweiten zur dritten Etappe deutlich sichtbar wird.265 Die Aufsätze dieses Bandes bringen anschaulich die interdisziplinären Auffassungen der Leipziger Schule allgemein und Kötzschkes im Besonde-ren zum Landesausbau in dieser Zeit zum Ausdruck.

In einem einleitenden Beitrag legt Walter Uhlemann Stand und Aufgaben der Siedlungs-forschungen grundsätzlich dar.266

Es schließen sich Beiträge von Rudolf Martiny zur morphologischen Siedlungsforschung, von Friedrich Walter zur Bodenproblematik, von Walter Frenzel zu archäologischen Grund-lagen, von Fritz Krause zur Volks- und Völkerkunde, von Hans Beschorner und Heinrich Felix Schmid zu namenkundlichen Problemen, von Helmuth Kröger zur Stadt Meißen und anderen Autoren zu weiteren Einzelproblemen bzw. Persönlichkeiten an.267

Den fließenden Übergang von der zweiten zur dritten Etappe zeigt auch eine Arbeit Kötz-schkes von 1930 aus der Festschrift für Armin Tille zu dessen 60. Geburtstag unter dem Titel „Thüringen in der deutschen Siedelungsgeschichte“.268 Aus diesem Grund soll sie an dieser Stelle vorgestellt werden.

Im Zentrum dieses Aufsatzes steht die siedlungsgeschichtliche Entwicklung von Thüringen westlich der Saale von der Urgeschichte bis zum Mittelalter. Er unternimmt hier als erster den Versuch, einen Überblick zu dem von ihm behandelten Gebiet aus Sicht der Mediävis-tik, Archäologie, Namen- und Landeskunde zu schaffen. Leider ist diese verdienstvolle Arbeit durchdrungen von einer Herangehensweise, wie sie für die Zeit nach 1933 typisch ist.

Ausgangspunkt seiner Betrachtungsweise ist die Feststellung, dass es sich bei Thüringen westlich der Saale um ein siedlungsgünstiges Territorium handelt, „die schon bei wenig entwickelter Kultur von Menschen genutzt werden konnten und darum leicht der Besiedlung zugänglich waren …“269

Wortgewaltig schildert er Bewegungen in der Völkerwanderungszeit, an deren Ende er die Einwanderung der Slawen in das Gebiet östlich der Saale setzt:

Die Karolingerzeit gilt für ihn als Zeit „gedeihlichen Kulturfortschritts“, als eine Zeit des in-neren Landesausbaus. „Otto der Große vollendete dies Werk mit der Festigung geordneter Marken des Reiches im Osten: die Wacht an der Saale war an die Elbe verlegt.“272

Die Siedlungsentwicklung Thüringens in frühgeschichtlicher Zeit und im Mittelalter teilt er in vier „große Kulturepochen“ ein: „Die Zeiten frühgermanischer (hermundurischer) Nieder-lassung, die neuen Grund legende altthüringische Stammeszeit, die Zeit des fränkisch-thü-ringischen Siedelungsfortschritts, die Abschlußzeit des mittelalterlichen Landesausbaues und die Frühzeit des im Landschaftsbild und Kulturleben bedeutsam hervortretenden Städtewe-sens.“273

Diese Entwicklung versucht er im Folgenden durch die Entwicklung des thüringischen Namengutes zu untermauern. Dabei stützt er sich vor allem auf Berg- und Waldnamen, Flussnamen, Gaunamen, Orts- und Flurnamen. Slawische Namen erwähnt er dabei nur bei-läufig.274

Der Untersuchung der Namen lässt er eine Analyse „der Art und Weise der Siedelung, der Siedelungsformen,“ folgen.275

Hier berücksichtigt er auch die, wie er es nennt, „Grenzlandlage nach dem zeitweilig sla-wisch besiedelten Osten“. So mischen sich in das Siedlungsbild einst von Slawen bewohnte kleine Orte: Nebensiedlungen neben großen deutschen Dörfern, im östlichsten Thüringen auch Dörfchen gruppenweise beieinander, teils lockere Weiler, teils eigentliche „Rundlinge“ von festgeprägter Art, was für die Erkenntnis alter slawischer Siedelweise bedeutsam ist, wie auch der Umstand, dass in den von Slawen bewohnten Orten nach Aufzeichnungen aus ka-rolingischer Zeit nicht die Zahl dortiger Bauernstellen oder Familien, vielmehr nur die ganze Ortschaft nebst Gesamtzahl der Hufen angegeben zu werden pflegt.“276

Zur Stellung Thüringens in der deutschen Siedlungsgeschichte fasst er zusammen:

1935 legt Rudolf Kötzschke zusammen mit dem Archivar Hellmut Kretzschmar eine Sächsi- sche Geschichte vor.278 Dieses Werk ist die erste Landesgeschichte Sachsen, in der zumindest für die Frühzeit auch die archäologischen Quellen einen festen Platz gefunden haben. Slawen, Deutsche und Landesausbau = Kolonisation spielen für das frühe und hohe Mittelalter eine nicht unwesentliche Rolle.

Den ersten Teil „Vorgeschichtliche Zeit“ gliedert Kötzschke in drei Abschnitte: „Die An-fänge bodenständiger Kultur“, „Ein Jahrtausend germanischer Besiedlung“ und „Slawen im Lande“. Der Abschnitt „Slawen im Lande“ enthält nach einer allgemeinen Betrachtung zur Ge-schichte der Slawen eine gedrängte Darstellung slawischen Lebens in Sachsen, in der die Sied-lungs- und Wirtschaftsweise eine wichtige Rolle spielt. Er zieht dazu vor allem mediävistische Quellen heran, verzichtet aber nicht völlig auf archäologische Quellen, wenngleich diese in der Darstellung eine untergeordnete Rolle spielen. Gegenüber der Wirtschaftsweise der Germanen hält er Wirtschaft und Kultur der Slawen für gering entwickelt. Landesausbau spiele bei ihnen keine Rolle. Dieser sei das Werk der deutschen Kolonisation.

Landesausbau/Kolonisation, die er in den folgenden Abschnitten schildert, untergliedert er in:

– Die Ostmarkenzeit der mittelelbischen Lande

– Das Zeitalter der ostdeutschen Kolonisation. Die Stauferzeit in der deutschen Ge-schichte

Das Verdienst dieser Schrift besteht darin, auf den Erkenntnissen der Zeit fußend eine knappe, zusammenfassende Darstellung des frühen und hohen Mittelalters gegeben zu haben, in der die Probleme der Germania Slavica Sachsens mitbehandelt werden.

Im Sinne der vorherrschenden nationalsozialistischen Ideologie achtet Kötzschke in sei-ner 1935 im Mannus publizierten Schrift Die Verkehrslage des Saale-Mulde-Gebietes in der Hermunduren- und Slawenzeit das Wirken der Slawen gering. Das Ziel dieses Artikels sieht er darin, zu beweisen „… wie nachteilig die über drei Jahrhunderte dauernde Trennung der Elster-Mulde-Landschaft vom germanischen Mutterland auf ihre Teilnahme am Weltverkehr eingewirkt hat und wie diese Benachteiligung erst in dem Augenblick schwand, als die Verbin-dung mit dem Westen wiederhergestellt wurde.“279 Die slawische Besiedlung „… brachte nur Isolierung und wirtschaftliche Verkümmerung.280

1937 veröffentlicht Kötzschke zusammen mit seinem Schüler Wolfgang Ebert die „Geschich-te der ostdeutschen Kolonisation“.281 Er selbst ist Verfasser des zentralen 2. Kapitels: „Land-nahme und Siedlung auf ostdeutschem Volksboden in ihrem geschichtlichen Werden und Wachsen“.

Diese Arbeit ist durchdrungen von unwissenschaftlichem, ahistorischem nationalso-zialistischem Gedankengut einschließlich einer Geringschätzung der Slawen. Sie bringt leider trotz intensiver Forschungsarbeit in Leipzig auch in dieser Zeit und durch Rudolf Kötzschke, die sich in anderen Arbeiten wiederfindet, keinen Fortschritt auf dem Gebiet der Siedlungsgeschichte im Prozess des mittelalterlichen Landesausbaus in Mitteldeutsch-land.282

Eine wichtige Rolle im Schaffen Kötzschkes in dieser Zeit spielte seine Arbeit am „Sächsi-schen Flurkartenatlas“, der Aufarbeitung der Flurkarten als historischer Quelle. Diese Arbeit wurde unmittelbar nach Fertigstellung 1943 ein Opfer des Krieges. Nach dem Krieg hat er einen Teil dieser Arbeit zu Ende geführt. Herbert Helbig hat diesen Teil aus seinem Nachlass überarbeitet, ergänzt und 1953 schließlich publiziert.283

Nach einer zusammenfassenden Schilderung der Geschichte des Flurbuch- und Flurkarten-wesens in Sachsen legt Kötzschke die Bedeutung der Orts- und Flurformen als historische Quelle zur Besiedlungsgeschichte dar. In einer kurzen Übersicht zu den „Epochen der Sied-lungsgeschichte“ äußert er sich auch zur Besiedlungsgeschichte Sachsens durch die Slawen und versucht dabei, archäologische Quellen in seine Darstellung einzubeziehen.284

Dem Erkenntnisstand seiner Zeit folgend, ordnet er archäologische Funde und Befunde zur slawischen Besiedlung auf gleiche Weise ein wie slawische Orts- und Flurnamen.

Dieses Zitat zeigt, dass Kötzschke einen eigenen Beitrag der Slawen am Landesausbau unter deutscher Herrschaft nicht erkennen will. Das zeigt auch seine Meinung, dass die deutschen Ortsnamen bei Weitem überwiegen würden, was so z. B. für große Teile Ostthüringens nicht richtig ist.

Im Folgenden unterscheidet Kötzschke Ortschaftsanlagen vom Flurbild.

Grundformen ländlicher Ortschaften gliedert er nach

I. Einzelsiedlungen,

II. Siedelplätzen mit einer Mehrzahl von Wohn- und Wirtschaftseinheiten (Gemein-schaftssiedlung; mehrzeilige Siedlungen),

III. Komplexformen.

Zu I gehören Einzelhäuser und Einzelgehöfte.

Zu II zählt er

A. Kleingruppensiedlungen, zu denen die Weiler gehören, und das echte HaufendorfB. Das Platz bzw. Angerdorf, das Gassendorf, das Straßendorf

C. Die Wegzeile auf offenem Raum

D. Die reihenförmigen Siedlungen

E. Die Streusiedlungen

F. Die Werksiedlungen.

Nach den Ortschaftsanlagen gliedert Kötzschke die Flurformen. Dabei unterscheidet er:A. Lage der Kulturarten

B. Gliederung nach Besitzerparzellen

I. Flurformen mit Blocktyp

II. Gewannfluren

III. Fluren mit Gelängetyp

IV. Fluren in Hufenreihen (Waldhufen)

V. Haus- und Hofparzellenfluren.

Aus den Orts- und Flurformen ergibt sich die Siedlungsform.287

In diesem Sinne ordnet er den Weiler mit Block- und Streifengemenge vor allem den Slawen zu, wobei der bäuerliche Weiler eine Form frühen deutschen Landesausbaus sei. Die gassen-dorfartigen Anlagen weisen in ihrer Entstehung auf altslawische Zeit, seien aber in ihrer ge-genwärtigen Form auf deutsche Herrschaft zurückzuführen. Die Dörfer im Rundbau sind als slawische, in manchen Gegenden auch als frühdeutsche Anlagen anzusehen. Die großen Run-dangerdörfer sind eine Erscheinung des Landesausbaus. Sie wurden ursprünglich von Slawen bewohnt, seien in ihrer entwickelten Form aber in deutscher Zeit entstanden. Die planmäßigen Angerdörfer mit Gewannfluren gehören in die Zeit der deutschen Siedlungsbewegung, auch wenn sie slawische Namen tragen, was auf ihren Ursprung hinweist. Anger- und Straßendörfer tragen einen allgemeinen kolonialen Charakter. Ihre Einführung gehe auf flämischen Einfluss zurück. Die Angerdörfer mit Gelängefluren kommen von Thüringen her. Sie sind als Schöp-fung deutscher Kolonisation anzusehen. Die Reihendörfer mit den charakteristischen Wald-hufen sind eine Form der deutschen Rodungssiedlungen. Sie sind fränkischen Ursprungs.

Zusammenfassend führt er aus:

Dem Buch sind 40 Abbildungen beigefügt mit typischen Beispielen für Blockfluren, Gewann-fluren, Gelängefluren, Fluren mit Hufenreihen (Waldhufenfluren), Haus- und Hofparzellen-fluren und wüsten Marken.

Wenngleich auch entscheidende Schlussfolgerungen Kötzschkes über die ethnischen und histo-rischen Herkünfte der Siedlungstypen heute so nicht mehr zu halten sind, stellt diese Arbeit nach wie vor ein ausgezeichnetes Handbuch zur Siedlungsgeschichte in der Germania Slavica nicht nur Sachsens dar, das ausbaufähig ist und mehrfach moderne Überarbeitungen erfahren hat.

Einen besonders wichtigen Beitrag vermochte in dieser dritten Etappe die Archäologie zu leisten, wenngleich deren Forschungsergebnisse noch ungenügend in die Beiträge der anderen beteiligten Wissenschaften eingeflossen sind. Das liegt wohl hauptsächlich darin begründet, dass eine wirkliche interdisziplinäre Forschung zum frühen und hohen Mittelalter unter Be-teiligung der Archäologie in dieser Zeit noch nicht ausgeprägt war, zumal sich eine selbständi-ge Archäologie des Mittelalters gerade erst zu entwickeln begann.

Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur selbständigen Mittelalterarchäologie war die Arbeit von Paul Grimm über die Wüstung Hohenrode am Harz im heutigen Sachsen-Anhalt nahe der thüringischen Grenze, im alten thüringischen Gebiet gelegen.290

Grimms Ausgrabung in Hohenrode 1935 bis 1937 war weit mehr als eine für die damali-ge Zeit einmalige Wüstungsgrabung. Grabung und Publikation haben als eine der Geburts-urkunden der modernen Mittelalterarchäologie überhaupt zu gelten. Mit ihren Funden und Befunden vermag sie auch heute noch einen wichtigen Beitrag zu leisten zum Problem der Germania Slavica in Mitteldeutschland. Paul Grimm gelang es, in einem Waldstück eine Wüs-tung zu lokalisieren und auszugraben, die sich auf einem geneigten Hang halbkreisförmig um einen Brunnen (eine Quelle) gruppierte.

Nördlich über dem Brunnen befanden sich auf dem leicht nach Süden geneigten Hang die Spuren der älteren Siedlung des 10. bis 12. Jahrhunderts. Darüber und westlich sowie südwest-lich des Brunnens konnte er die Steinunterbauten der jüngeren Siedlung des 12. bis 14. Jahr-hunderts fassen.

Nördlich des Brunnens befanden sich die Spuren der älteren Siedlung stratigrafisch unter denen der jüngeren. Die ältere Siedlung konnte er aufgrund der örtlichen Verhältnisse nicht vollständig graben. Der archäologisch datierte Beginn der Siedlung wird gestützt durch die Nennung eines Hohenrode im Hersfelder Zehntverzeichnis, das hier vermutet werden kann.

Die weitere Datierung erfolgt anhand des Fundmaterials vor allem nach der Keramik. Dazu nutzt er seine Arbeit zur Keramik des Harzgebietes sowie die Arbeiten von Knorr und Schir-mer, auf die noch eingegangen wird.291 Auf dieser Grundlage teilt er die Keramik der älteren Siedlung in deutsche und slawische Ware ein. Die Keramik der jüngeren Siedlung ist bis auf wenige Importstücke einheimisch. Besonders wichtige Schlüsse aus der Grabung konnte P. Grimm für die Entwicklung der Häuser und Gehöftgruppen der jüngeren Siedlung ziehen.

Insgesamt stellt sich für ihn die Entwicklung folgendermaßen dar: Ende des 9./Anfang des 10. Jahrhunderts beginnt in diesem Territorium die mittelalterliche Besiedlung des Harzrau-mes durch Rodung.

Den Anteil der Slawen am mittelalterlichen Landesausbau in der Germania Slavica westlich der Saale sieht er in zwei unterschiedlichen Etappen:

In das Gebiet unmittelbar westlich der Saale sind Slawen im 7. Jahrhundert frei eingewan-dert und haben sich dort – persönlich, aber nicht politisch frei – angesiedelt. In das übrige Ge-biet sind sie später grundherrlich angesiedelt worden. „Für unsere Siedlung, die von deutschen Neusiedlern im Waldland angelegt ist, ist es selbstverständlich, daß nur die zweite Art, die der Ansetzung höriger Slawen, in Frage kommt.“293

Aus heutiger Sicht stellt sich uns die Teilnahme der Slawen am Landesausbau am südlichen Rand des Harzes in Hohenroda als gleichberechtigt mit der deutschen Bevölkerung dar. Gera-de in dieser Hinsicht ist es zu bedauern, dass damals die ältere Siedlung von Hohenrode nicht vollständig gegraben werden konnte. Das beträfe auch den sicher nahe gelegenen Bestattungs-platz, von dem man diesbezügliche Aussagen erwarten könnte.

Dass Grimm im 12. Jahrhundert in Hohenrode keine slawische Keramik mehr fassen kann, hat sicher keine ethnischen Gründe. Die dann übliche Keramik ist eine Ware des hochmittel-alterlichen Landesausbaus, die keine ethnischen Unterschiede mehr zeigt.

Wie bereits genannt, hatte sich Paul Grimm bereits vor 1933 der mittelalterlichen Keramik im Harzgebiet zugewandt und sich dabei einer wichtigen Fundgattung im Gebiet der Germa-nia Slavica westlich der Saale gewidmet.295 Für das nördliche Harzvorland arbeitet er 7 Grup-pen von 500–1500 heraus. Auf einer Abbildung stellt er ausgewählte Beispiele im Foto dar und zeigt in einer Übersicht auf einer Tafel „Das Auftreten der Randprofile der mittelalterlichen Keramik im Harzvorland“.296

Zusammenfassend stellt er zu den Quellen fest: „Belegt und größtenteils bewiesen wird diese Entwicklung durch datierbare Grabfunde, Gründungs- und Zerstörungsdaten von Bur-gen und Siedelungen, weiteres historisches und kunstgeschichtliches Vergleichsmaterial, eine technisch-typologische Gliederung an sich, und Zusammenfunde mit slawischer Keramik.2971933 legt er seine Ansichten ausführlicher dar.298

1937 wird Heinz A. Knorrs Arbeit Die slawische Keramik zwischen Elbe und Oder publiziert. Sie basiert auf seinen Materialstudien von 1931 bis 1933 und lag bereits 1934 an der Universität Berlin als Dissertation vor.

Mit dem Gebiet zwischen Elbe und Oder bearbeitet Knorr dem Forschungsstand seiner Zeit entsprechend ein Arbeitsgebiet, das so aus heutiger Sicht nicht mehr zu bewältigen wäre.

Obwohl diese Arbeit Thüringen nicht berührt und gleichzeitig die Arbeiten von Albrecht vorliegen,299 ist Knorrs Herangehensweise für das Arbeitsgebiet nicht unwichtig. Es ist an die-ser Stelle nicht möglich, Knorrs Arbeit zu kommentieren, gar zu revidieren. Es ist lediglich festzustellen, dass sie für ihre Zeit eine einmalige Übersicht darstellt, auf der auch in anderen Gebieten, wie in Ostthüringen, aufgebaut werden konnte.

In bewährter Weise teilt er die slawische Keramik typologisch in drei Stilarten ein, bevor er sich der anschließenden, wie er sagt, „deutschkolonisationszeitlichen“ Keramik zuwendet. Stil eins reicht von 700 bis 850, Stil zwei von 850 bis 1000, Stil drei von 1000 bis 1200.300 Das ent-spricht seiner Einteilung der Keramik in frühslawisch, mittelslawisch und spätslawisch, wie sie mit Abweichungen noch heute üblich ist.

Dieses Schema wendet er auch auf die Auswertung der Grabung auf der Dornburg am heutigen rechten Ufer der Elbe südlich von Magdeburg an.301 Die Grabung war der Klärung der Frage gewidmet, ob es sich bei dieser Dornburg um die Ottonische Kaiserpfalz handelt. Diese Frage entschied Knorr nach der Grabung zugunsten von Dornburg an der Saale in Thüringen, da die Anlage des 10. Jahrhunderts seiner Meinung nach eine unbefestigte slawi-sche Siedlung war. Seine Beweisführung ist meines Erachtens allerdings allein so noch nicht zwingend. Dazu bedarf es weiterer moderner Ausgrabungen auf der Thüringer Dornburg, wie sie in letzter Zeit gelaufen sind.302 Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es 1933 nicht möglich war, die durch slawische Keramik gekennzeichnete frühe Anlage vollständig zu graben. Seine Ansicht zur geografischen Lage der Dornburg ist m. E. aber so nach wie vor überzeugend.

Das Ergebnis der Grabung teilt er ein in die unbefestigte slawische Anlage mit früh- und mittelslawischer Keramik und die „Deutsche Burganlage“ vom 12. Jahrhundert bis 1436. Da-mit umfasst die Anlage die gesamte Zeit der Germania Slavica in Mitteldeutschland.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch seine Deutung der Tatsache, dass auf der Burg-anlage des 12. Jahrhunderts „spätslawische“ mit „frühdeutscher“ Keramik gemeinsam im Be-fund auftritt:

Abgesehen von seiner Reverenz an die Wortwahl seiner Zeit formuliert Knorr hier Erkenntnis-se in Bezug auf die Germania Slavica in Mitteldeutschland, die, obwohl er das im letzten Satz so behauptet, zu dieser Zeit alles andere als selbstverständlich waren. Dabei wird aber auch deutlich, dass die auch von ihm so vorgenommene strenge ethnische Einteilung des Materials in spätslawisch und frühdeutsch so nicht mehr den tatsächlichen politischen und wirtschaftli-chen Bedingungen der Zeit entsprach und besser durch den Begriff der „hochmittelalterlichen Ware des Landesausbaus“ ersetzt werden sollte.

Wichtige Erkenntnisse zur Siedlungsgeschichte, zum Hausbau und vor allem zum Burgen-bau in der Germania Slavica in Westsachsen und Ostthüringen leistete in dieser Zeit Werner Radig. Seit 1929 als Mitglied der 1927 gegründeten „Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der nord- und ostdeutschen vor- und frühgeschichtlichen Wall- und Wehranlagen“ hat er sich speziell der Betrachtung dieser archäologischen Denkmalgruppe gewidmet.

1937 legt er als Band 14 der Führer zur Urgeschichte seine Schrift Heinrich I. Der Burgen-bauer und Reichsgründer304 vor. Nach einer kurzen Einführung, die er Widukind von Corvey und Thietmar von Merseburg widmet, behandelt Radig in dieser Schrift entsprechend seinem Forschungsschwerpunkt einzelne Burgen, die er in die Zeit Heinrich I. datiert. Die frühmittel-alterlichen Anlagen in der Germania Slavica an der Saale bzw. rechts von Saale und Elbe fasst er unter dem Begriff „Ostlandburgen“ zusammen.305

Das Verdienst von Radigs Arbeit besteht darin, einzelne Burgen in Bezug auf die Germania Slavica nicht nur aufzuführen, sondern sie durch vor allem archäologische Quellen zu belegen. Dabei bildet er auch vielfach slawische Keramik ab, zeigt Grabungsfotos, wie z. B. Wallschnitte und Ansichten verschiedener Anlagen, und nennt zu den Burgen die ihm bekannte Literatur.

1940 erscheint innerhalb der Arbeit von Werner Hülle zur Westausbreitung und Wehranla- gen der Slawen in Mitteldeutschland der selbständige Beitrag Werner Radigs „Die sorbischen Burgen Westsachsens und Ostthüringens“.306 Hülle gibt eine Übersicht zu „Mitteldeutsch-land“, geht aus von der germanischen Besiedlung in der späten Völkerwanderungszeit und schildert im Folgenden die Besiedlungsgeschichte durch die Slawen. In einem Anhang führt er die Burgwälle mit slawischen Funden auf und geht auf drei Probegrabungen in Grimschle-ben, Schraplau und Landsberg ein.307 Am Schluss des Bandes befindet sich eine von Hülle und Radig erarbeitete Übersichtskarte zum Thema des Bandes.

Da Radig anschließend auf die spezifischen Fragen im Arbeitsgebiet in Ostthüringen speziell eingeht, wird an dieser Stelle auf die von Hülle erörterten grundsätzlichen Probleme verzich-tet. Radigs Arbeit stützt sich auf eine umfassende, herkömmliche Prospektion der Anlagen, auf das Studium der vorhandenen archäologischen, mediävistischen und namenkundlichen Quellen.

Da zahlreiche slawische Burgen auf bronzezeitliche Anlagen zurückgehen – eine Feststel-lung, die auch für das Arbeitsgebiet zutrifft – geht er bei der Einteilung auch auf diese ein. Er unterscheidet in Westsachsen und Ostthüringen Abschnittsburgen mit mindestens einem Abschnittswall und Abschnittsgraben von Ringburgen auf der Höhe und in der Niederung. Turmhügel bzw. Bühle ordnet er der frühdeutschen Zeit zu. Als Datierungshilfe benutzt auch er die Keramik. „Die Hauptmasse sorbischer Tonware gehört der sog. mittelslawischen Stufe (nach Schema von 800–1000) an, die bei uns wahrscheinlich von 700–900 n. Chr. Geb. anzu-setzen ist.“308 Als Beispiel für mittelslawische Ware führt er hochschultrige Töpfe mit vielzügi-gen Wellenbändern von den Paditzer Schanzen bei Altenburg an.309

Als späte Form nennt er die münzdatierte Flasche vom Kirchberg in Gerstenberg nördl. von Altenburg. „Dieser spätslawische Münztopf muß um 1150 in die Erde gelangt sein. Er schließt den Zeitraum spätslawischer Keramik vom 10. bis 12. Jahrhundert ab.“311

Das 4. Kapitel überschreibt er „Die Burgen-Gaue“, die er auch als „Burgwall-Landschaften“ bezeichnet.312 Für das Arbeitsgebiet führt er den Gau Plisni mit dem Kirchberg von Gersten-berg, dem Schloßberg von Altenburg und den Paditzer Schanzen an.

Slawische Keramik von Osterstein war ihm offensichtlich damals noch nicht bekannt.

Dem Textteil folgt ein ausführliches „Verzeichnis der sorbischen Wehranlagen in Westsach-sen und Ostthüringen“, das 94 Anlagen enthält.314 Zum Ort führt er den, bzw. die, Flurnamen an, das jeweilige Messtischblatt (Topografische Karte 1:25 000), Lage und Typ der Anlage, deren Schilderung und Zustand und zugehörige Funde mit dem Bewahrort. Dem schließt sich ein Literaturverzeichnis zur Anlage an.

Dem Verzeichnis der Anlagen fügt er kleingedruckt bei:

Mit den im Stadt- und Landkreis Altenburg angeführten Anlagen beschreibt er – abgesehen von Gerstenberg – einen bis heute unveränderten Stand. Auf den Gerstenberger Kirchberg, der durch die Münzen in das 12. Jahrhundert datiert wird, ist noch zurückzukommen.

Für das Gelände des Schlosses Osterstein über Gera gibt es heute zahlreiche slawische Kera-mikfunde auch aus modernen Grabungen. Die anderen bei Gera genannten Anlagen sind keine genuin slawischen Burgen. Zum Johannisberg von Jena liegt eine moderne Bearbeitung vor.318

Die Arbeit Radigs bietet insgesamt auch heute noch eine gute Übersicht zu den slawischen Anlagen in Ostthüringen. Sie bedarf natürlich nach 70 Jahren neuer Forschungen einer Über-arbeitung und Ergänzung, was im Einzelnen bereits geschehen ist. Radig selbst hat, worauf zurückzukommen ist, nach 1945 vor allem im Thüringer Vogtland selbst gegraben und eine Übersicht kleiner Burganlagen vorgelegt.319

Von nach wie vor großer Bedeutung für die Forschungen zum hohen und späten Mittelalter in Thüringen ist die Aufarbeitung der Keramik durch Erwin Schirmer, vorgelegt als Disserta-tionsschrift bei Gotthard Neumann in Jena 1938.320 Mit dieser Arbeit schuf Schirmer wichtige Grundlagen für die Gliederung und Terminologie der mittelalterlichen Keramik, ihre Gliede-rung nach dem Formenschatz und den Verzierungen, die im Wesentlichen noch heute Gültig-keit besitzt.

Natürlich entsprechen die Verbreitungskarten heute bei Weitem nicht mehr dem aktuellen Stand. Das kann nach beinahe einem Drittel Jahrhundert auch nicht anders sein, zumal gerade nach der politischen Wende in Mitteldeutschland die Mittelalterarchäologie durch Umbau-ten in den Städten, Grabungen in Dörfern, Wüstungen, Kirchen und Burgen einen bedeu-tenden Aufschwung genommen hat, der auch das keramische Fundmaterial überdimensional anwachsen ließ. Das hat sich selbstverständlich auch in den wissenschaftlichen Arbeiten zur mittelalterlichen Keramik niedergeschlagen.

Einen wichtigen Bezugspunkt zum Thema der vorliegenden Arbeit bildet die von Schirmer so bezeichnete „Kolonisationsware“, eine typische Erscheinung der Germania Slavica.

Dem folgt bei Schirmer der Versuch, durch einen kurzen historischen Überblick die Entwick-lung in Mitteldeutschland ab dem 7. Jahrhundert aufzuzeigen. In diese Prozesse versucht er die Keramik einzuordnen.

Schirmer begründet im Prinzip bereits 1938, dass im Prozess des mittelalterlichen Landesausbaus eine Keramik typisch wird, die nicht mehr mit ethnischen Charakteristika zu fassen ist, auch wenn er diesen letzten Schritt nicht geht und die Kolonisationsware, wie er diese nennt, noch als deutsch bezeichnet. Diesen Schritt konsequent weiterzugehen bedeutet, diesen Keramiktyp als Ware des hochmittelalterlichen Landesausbaus in der Germania Slavica zu bezeichnen.

Es ist an dieser Stelle nicht möglich und auch nicht beabsichtigt, gleichermaßen auf die Fort-schritte auf dem Gebiet der Mediävistik in Bezug auf die Germania Slavica in dieser dritten Etappe einzugehen. Diese sind vor allem mit dem Wirken von Walter Schlesinger verbunden, das in die nächste Etappe führt.324 In den nächsten Kapiteln ist mehrfach auf W. Schlesinger zurückzukommen. Auf das Wirken von Rudolf Kötzschke an der Universität Leipzig, dessen Schüler Walter Schlesinger ist, wurde bereits kurz eingegangen.

Die vierte Etappe der Beschäftigung mit der slawischen Einwanderung, der Rolle der Slawen beim mittelalterlichen Landesausbau in Thüringen sowie des Kontaktes mit den Germanen/Deutschen umfasst die Zeit von 1945 bis zum Anschluss der ehemaligen DDR an die Bun-desrepublik Deutschland nach 1989. Diese Etappe wird geprägt von der unterschiedlichen Entwicklung in den beiden deutschen Staaten (bis 1949 Besatzungszonen) nach dem Zweiten Weltkrieg.

Es soll an dieser Stelle nicht explizit auf diese Entwicklung eingegangen werden, da sie im Einzelnen Gegenstand der Darstellung bei der Behandlung der Probleme des mittelalterlichen Landesausbaus in den drei zu behandelnden Gebieten ist. Gute Überblicke zur Slawenfor-schung in der alten Bundesrepublik mit wichtigen Literaturangaben finden sich bei Herbert Jankuhn 1980 und Thomas Wünsch 2008.325 In der ehemaligen DDR stellte die Slawenfor-schung einen Schwerpunkt in Archäologie und Namenkunde dar. Ein Überblick mit den wichtigsten Literaturangaben findet sich im Handbuch Die Slawen in Deutschland , hrsg. von Joachim Herrmann 1985. Dort kommen die bedeutendsten Slawenforscher in der DDR selbst zu Wort bzw. sind in den umfassenden Literaturangaben vertreten.326

Da der Begriff der Germania Slavica im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht, soll nur auf dessen Entstehung und Präzisierung hingewiesen werden.

Er entstand offensichtlich im Umfeld von Walter Schlesinger in Anlehnung z. B. an den Be-griff der Germania-Francia327 und wurde durch Wolfgang H. Fritze in einer interdisziplinären Arbeitsgruppe am Fachbereich Geschichtswissenschaften der FU Berlin institutionalisiert.

Verbunden mit der Bildung der gleichnamigen Arbeitsgruppe war der Beginn einer Publi-kationsreihe im Rahmen der Berliner Historischen Studien mit deren erstem Band Germania Slavica I von 1980.328

In diesem Band erläutert Wolfgang H. Fritze „Zielsetzung und Arbeitsprogramm einer in-terdisziplinären Arbeitsgruppe“.329 Er legte dar, warum das Erreichen der Zielstellung nur im Rahmen einer interdisziplinären Herangehensweise möglich ist, und setzt sich kritisch mit dem bisherigen Forschungsstand auseinander. Als Zielstellung legt er vier Punkte fest:

Wolfgang H. Fritze stellt dann selbst fest, dass es sich um ein Programm handelt, das in seinem Ehrgeiz so hoch gesteckt ist, dass sich die Arbeitsgruppe dem Ziel nur annähern kann ohne es vollständig erreichen zu können. Dabei ist natürlich auch zu beachten, dass diese Zielstellung unter den Bedingungen des Bestehens zweier deutscher Staaten und der damit verbundenen Unwägbarkeit einer engen Zusammenarbeit formuliert wurde, zumal sich große Teile der ehe-mals von Slawen besiedelten Landstriche auf dem Boden der DDR befanden.

Einen Höhepunkt in der Tätigkeit der Arbeitsgruppe und ihrer Ergebnisse stellte der Band V der Germania Slavica-Publikationen unter dem Titel Das Havelland im Mittelalter dar.331 Hier wurde erfolgreich der Versuch unternommen, gemäß der von Wolfgang H. Fritze formulierten Zielstellung ein ausgewähltes Gebiet möglichst interdisziplinär zu untersuchen und die Ergeb-nisse sowohl textlich als auch in zahlreichen Karten und Plänen vorzulegen.

Dieses Werk kann zurecht als neue Herangehensweise an die Germania Slavica-Problematik angesehen werden, der dann unter neuen Bedingungen nach 1989/90 zahlreiche Publikationen folgten. Besonders hervorgehoben werden soll hierbei der Anteil von Winfried Schich, der sie später in seiner Tätigkeit an der Humboldt-Universität-Berlin fortsetzte. Winfried Schich war es auch, der sich nicht nur eingehend mit der Anwendung des Begriffs auseinandersetzte, son-dern auch auf seine Entstehung im Umfeld von Walter Schlesinger einging.332

In der ehemaligen DDR war es parallel dazu die Arbeit der Leipziger Schule der Sprachwis-senschaftler auf dem Gebiet der deutsch-slawischen Forschungen mit unzähligen Publikatio-nen und die Arbeit des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR unter Leitung von Joachim Herrmann.333 Eine Zusammenfassung dieser Arbeit erfolgte im Band „Die Slawen in Deutschland“, der in mehreren Auflagen die Forschungen auf diesem Gebiet durch mehrere Autoren interdisziplinär zusammenfasste.334

Die fünfte Etappe der Beschäftigung mit der slawischen Einwanderung, der Rolle der Slawen beim mittelalterlichen Landesausbau in Thüringen sowie des Kontaktes mit den Germanen/Deutschen begann nach 1989/90. Sie dauert bis heute an. In dieser Etappe konnten die For-schungen, die bisher in den beiden deutschen Staaten getrennt verlaufen waren, vereint wer-den.

Am Arbeitsbereich „Germania Slavica“ am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas in Leipzig werden wie an einzelnen Universitäten Deutschlands Forschungen zur Germania Slavica-Problematik koordiniert.335 Die Ergebnisse archäologi-scher Forschungen der Landesämter auf dem Gebiet der Archäologie und der betreffenden Universitätsinstitute erbrachten vielfältiges neues archäologisches Quellenmaterial zur Prob-lematik, auf das im Einzelnen einzugehen ist.

Die dabei erreichten Ergebnisse bilden im Folgenden eine wesentliche Grundlage der He-rangehensweise an den mittelalterlichen Landesausbau im Pleißengau, Geragau/Nördlichen Vogtland und Orlagau.

97

II Die slawische Besiedlung und der slawische Landesausbau im Orlagau, Geragau/Nördlichem Vogtland und Pleißenland

II.1 Die Völkerwanderungs- und Merowingerzeit in Thüringen östlich der Saale als Ausgangspunkt der slawischen Besiedlung und des mittelalterlichen Landesausbaus

Es soll nicht Anliegen und Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein, in die zurzeit in Gang gekom-mene neue Diskussion zu Problemen der Völkerwanderungs- und Merowingerzeit in Mittel-deutschland einzugreifen. Das folgende, sehr kurz gehaltene Unterkapitel dient lediglich der Darstellung der Situation, welche die im 8. Jahrhundert hier eingewanderten Slawen antrafen.

Der moderne Forschungsstand wird vor allem in zwei neueren Arbeiten von Jan Bemmann dargestellt.1 2009 konstatiert Bemmann zu Recht: „Um die archäologische Forschung der Thüringer ist es nicht zum Besten bestellt. Die Interpretation der Quellen verharrt auf einem Stand aus den 70er Jahren …“2 Die von ihm an gleicher Stelle angedeutete Besserung vor al-lem bei der modernen Vorlage des Materials, deren erste Ergebnisse in Kürze zu erwarten sind, darf deshalb mit Optimismus erhofft werden.

Bis neue Materialpublikationen vorliegen ist es weiterhin nötig von einem Forschungsstand auszugehen, der sich auf die verdienstvollen Arbeiten von Berthold Schmidt aus dem letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts stützt.3

Dazu kommt, dass es trotz intensiver bodendenkmalpflegerischer Arbeiten in den letzten Jahrzehnten kaum gelungen ist, zu Ostthüringen neue völkerwanderungs- bzw. merowinger-zeitliche Funde und Befunde vorzustellen. Das liegt zum einen an der Besiedlungsdichte in Thüringen östlich der Saale in diesem Zeitraum und ist andererseits wohl der Tatsache ge-schuldet, dass beim Fehlen von Metallfunden aus dieser Zeit allein Funde von Gebrauchskera-mik bei Rettungsgrabungen und Notbergungen sowie Prospektion chronologisch schwer ein-zuordnen sind und deshalb wohl öfter übersehen werden. Der gegenwärtige Forschungsstand lässt aber sicher die Feststellung zu, dass selbst bei modernen Aufarbeitungen das vorliegende Bild zwar präzisiert, aber kaum grundlegend verändert werden dürfte.

Berthold Schmidt verzeichnet für die damaligen Stadt- und Landkreise Gera zwei Fundstel-len, für den Altkreis Pößneck 3, für den Altkreis Altenburg 5 (6?).

Die Geraer Funde vom Ostfriedhof und aus Reichstädt, jeweils eine Schale, gehören in seine Gruppe II und werden damit von ihm in die Zeit vor 525 datiert.

Bei den Funden aus dem Kreis Pößneck handelt es sich um ein Körpergrab von Köstitz aus dem Übergang von Gruppe I zu Gruppe II, einen Einzelfund eines Skramasaxes der Gruppe IV von Neustadt/Orla und einen Bronzeschlüssel der Gruppe II/III. Gruppe III datiert er bis 600. Die Altenburger Funde stellt er in seine Gruppen I bis IIIa, somit in die Zeit vor 560.4Lediglich der Einzelfund des Skramasaxes von Neustadt/Orla wird von ihm in seine Gruppe IV und damit in das 7. Jahrhundert eingeordnet.

Das Gräberfeld von Rositz, das Schmidt in seine Gruppen IIb/IIIa (480 bis 560) datiert, ist die bedeutendste Fundstelle im späteren Pleißen- oder Gera- bzw. Orlagau. Es hat einem Bügel-fibeltyp seinen Namen gegeben. J. Bemmann fasst die neuen Erkenntnisse zu den Bügelfibeln vom Typ Rositz zusammen und stellt eine Karte vor, auf der sich Verbreitungsschwerpunkte zwischen Mulde und Unstrut und in Südwestdeutschland abzeichnen.5 Von B. Schmidt we-sentlich abweichende Datierungsansätze kann man dabei nicht konstatieren.

Die sehr lockere Besiedlung in der Völkerwanderungs- bzw. Merowingerzeit im Arbeits-gebiet kann nicht im Sinne eines regelrechten Landesausbaus interpretiert werden. Nach der Landnahme folgte lediglich eine erste Landorganisation.

Insgesamt ist damit festzustellen, dass nach dem gegenwärtigen Forschungsstand das ge-samte Territorium im 7. Jahrhundert abgesehen von einem Einzelfund, der eher ein Durch-zugsgebiet als eine Besiedlung dokumentiert, von den Germanen verlassen worden ist.

Die im 8. Jahrhundert folgenden Slawen dürften damit östlich der Saale kaum auf noch hier siedelnde Germanen gestoßen sein. Ihre Landnahme erfolgte in einem siedlungsleeren Gebiet. Damit kann auch keine direkte Weitergabe des hier vorkommenden alteuropäischen Namen-gutes, wie z. B. der Namen der größeren Fließgewässer, von den Germanen an die Slawen vor Ort erfolgt sein. Das Weiterleben der alteuropäischen Gewässernamen wird oft beim gleichzei-tigen Fehlen von archäologischen Funden als „indirekter Beweis“ dafür angeführt, dass es im Arbeitsgebiet solche Kontakte gegeben haben muss. Hierbei handelt es sich offensichtlich um ein Forschungsproblem, das eine weitere intensive Bearbeitung auf interdisziplinärer Grund-lage erfordert.

II.2 Slawische Landnahme und slawischer Landesausbau in Thüringen östlich der Saale vom 8. bis 10. Jahrhundert

Nach unserem heutigen Erkenntnisstand erfolgte die Landnahme der Slawen in Thüringen östlich der Saale, worauf im Einzelnen einzugehen ist, nicht vor dem 8. Jahrhundert. Auch westlich der Saale sind keine Spuren einer slawischen Besiedlung vor dem 8. Jahrhundert fest-stellbar.

Während die Einwanderung der Slawen in das Gebiet östlich der Saale – wie bereits dar-gestellt – in ein zumindest relativ siedlungsleeres Territorium erfolgte, wanderten die Slawen westlich der Saale in ein Gebiet ein, das von den Germanen kontinuierlich, wenn auch nur locker, weiter besiedelt worden war. Die Slawen trafen hier auf Germanen, mit denen sie in Kontakt kamen.

Allein schon daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Germania Slavica Thuringiae östlich und westlich der Saale voneinander zu unterscheiden.6 Da sich im Orlagau beide Zonen in-direkt überschneiden, ergibt sich hier eine besonders interessante Konstellation des Kontaktes von Germanen/Deutschen und Slawen.

Die Einwanderung der Slawen erfolgte offensichtlich in beiden Zonen von Norden her ent-lang der großen Fließgewässer. In angrenzenden Territorien der heutigen Länder Sachsen-An-halt und Sachsen nördlich des Freistaates Thüringen ist eine frühere Landnahme der Slawen vor allem durch Fundstellen mit Keramik vom Prager Typ belegt. Keramik vom Prager Typ und slawische Brandbestattungen fehlen bisher in Thüringen überhaupt.

Nach den Angaben des sog. Fredegar gibt es in Thüringen allerdings bereits im 7. Jahr-hundert Slawen.7 Das hat in der bisherigen Darstellung zur slawischen Besiedlung Thü-ringens dazu geführt, dass davon ausgegangen wurde, dass das heutige Thüringen bereits im 7. Jahrhundert von Slawen besiedelt worden ist. Als Beleg dafür wurde auch angeb-liche Keramik vom Prager Typ aus der Umgebung Geras (Schwaara) angeführt.8 Knorr hatte diese Keramik als früh eingestuft. Nach heutiger Erkenntnis handelt es sich bei der Keramik von Schwaara allerdings nicht um solche vom Prager Typ. Sie ist m. E. anders strukturiert und jünger.9 Diese Keramik ist wohl eher westsaalisch-fränkische Ware des 9. Jahrhunderts.

Die Darstellung des Fredegar widerspricht ganz offensichtlich dem gegenwärtigen Stand der Erforschung der archäologischen Quellen. Gehen wir davon aus, dass wir an den An-gaben des Fredegar an sich nicht zu zweifeln haben – denn dafür gibt es m. E. keinen aus-reichenden Grund –, haben wir nach einer anderen Möglichkeit der Auflösung dieses Wi-derspruchs zu suchen. Am ehesten ist wohl davon auszugehen, dass Fredegar mit seiner Bezeichnung nicht das Gebiet des heutigen Freistaates Thüringen meint. Er bezieht sich wohl auf einen überkommenen Thüringen-Begriff, der außerhalb des heutigen Thüringens gele-gene Territorien einschließt. Da nördlich des heutigen Thüringens Slawen bereits vor dem 8. Jahrhundert nachgewiesen werden können, kommen damit Gebiete der heutigen Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt in Betracht. Es muss aber auch – nach neuen Erkenntnissen wohl sogar eher – die Möglichkeit beachtet werden, dass Fredegar Gebiete südlich des Thü-ringer Waldes gemeint haben könnte. Nach neueren Forschungen in der Oberpfalz sowie in Ober- und Unterfranken müssen wir davon ausgehen, dass hier eine ältere Einwanderung von Slawen aus Böhmen (Egerland) bis nach Thüringen südlich des Thüringer Waldes er-folgte. Deshalb stellt m. E. auch das Territorium Thüringens südlich des Thüringer Waldes eine gesonderte Zone der Germania Slavica Thuringiae dar.10 Die slawische Besiedlung und der slawische Landesausbau des südlichen Thüringens sind leider bislang als Desiderat der Forschung einzuordnen.

In den folgenden Unterkapiteln werden die slawische Landnahme und der Landesausbau durch Slawen vom 8. bis 10. Jahrhundert im Pleißenland, Geragau und Orlagau gesondert dar-gestellt. Die Reihenfolge der Darstellung ist ausschließlich nach geografischen – von Ost nach West folgend – und nicht nach historischen Gesichtspunkten bzw. nach der Einwanderungs-richtung geordnet.

Unter slawischer Landnahme und slawischem Landesausbau wird in der Arbeit im Sinne der Germania Slavica der Landesausbau durch Slawen bis zur Errichtung der deutschen Herr-schaft und des Wirkens deutschrechtlicher Verhältnisse in der Zone I verstanden. Der hohe Anteil der Slawen am Landesausbau unter deutscher Herrschaft stellt – wie es im nächsten Kapitel zu beweisen gilt – m. E. eine grundsätzlich neue historische Erscheinung dar. Diese Unterscheidung ist ein kennzeichnendes Merkmal des früh- und hochmittelalterlichen Lan-desausbaus in der Germania Slavica im Arbeitsgebiet.

101
II.3 Die slawische Besiedlung des Pleißenlandes

Schmölln

Städte eigenständige

Gemeinde

Ve rwaltungs- gemeinschaften

Langenleuba-Niederhain Altenburg

Gößnitz VG Oberes Sprottental

VG Rositz

Lucka

Meuselwitz GöpfersdorfPonitzHeyersdorfJonaswaldeThonhausenVollmershainLöbichauPostersteinGollnitzDobitschenMehnaMonstabStarkenbergLödlaGöhrenKriebitzschHaselbachGerstenbergWindischleubaFockendorfTreben

Nobitz Das Altenburger Land

VG Pleißenaue Stand 01.01.2019HeukewaldeRositz

Abb. 6: Die territoriale Gliederung Thüringens – Das Altenburger Land

(Übersichtskarte 1:250 000 – Thüringer Landesvermessungsamt 1999) Forschungsgeschichtlicher Rückblick

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der slawischen Landnahme und dem Landesausbau durch bzw. mit den Slawen hat im heutigen Landkreis Altenburger Land – wie das bereits im einleitenden Kapitel zur Forschungsgeschichte dargelegt wurde – eine bis an das Ende des 19. und den Beginn des 20. Jahrhunderts zurückreichende Tradition. Sie setzt ein, als zur Aus-wertung der mediävistischen und sprachhistorischen Quellen diejenigen der Archäologie auf gesicherterer Grundlage hinzukamen.

102

Diese Entwicklung ist bezogen auf die gesamte Ur- und Frühgeschichtsforschung eng ver-bunden – worauf noch zurückzukommen ist – mit dem Wirken des Altenburger Gymnasial-professors Ernst Amende. Seine Beschäftigung mit den archäologischen Grundlagen seines Heimatgebietes erfolgte im Rahmen seines Wirkens in der Geschichts- und Altertumsfor-schenden Gesellschaft des Osterlandes und in diesem Zusammenhang mit dem Aufbau einer vorgeschichtlichen Sammlung des Altenburger Heimatmuseums. Sie fand einen Höhepunkt in der Publikation einer Vorgeschichte des Altenburger Landes 1922.11

In dieser Schrift fasst er auch die bis dahin bekannten Befunde und Funde aus der, wie er es nennt, „Slawenzeit“ zusammen.12 Da er unter dem Altenburger Land das Herzogtum Sach-sen-Altenburg versteht, werden hier wie in der damaligen Ausstellung des Museums die sla-wischen Funde aus dem Herzogtum vom heutigen Landkreis Altenburger Land bis zu seinen Gebieten westlich der Saale dargestellt.

„Die Slawenzeit“ reicht seiner Meinung nach von „600 bis gegen 1100“. Sie wird abgelöst durch „Die frühdeutsche Zeit. Von 1100 bis 1500“. An Befunden unterscheidet er solche aus Wohnstätten, Abfallgruben, Grabfunden und Rundwällen. „Eigentliche Wohnstätten sind bis jetzt im Altenburgischen nirgends erkannt worden, wohl nur darum nicht, weil man nicht genügend auf sie geachtet hat. Dagegen sind Abfallgruben bei Molbitz und Stünzhain aufge-funden worden. … Diese Abfallgruben entsprechen etwa unsern heutigen Aschengruben und müssen unmittelbar neben der Wohnung gelegen haben.“13

Für Grabfunde nennt er den Friedhof in Schleps. In diesem Zusammenhang führt er die Schläfenringe an: „Diese Ringe kommen nur in ehemals von Slawen bewohnten Gebieten vor.“14 Dann geht er auf die slawischen Burgwälle ein, die er als „Rundwälle“ aufführt. „Einige sind daselbst schon in vorchristlicher Zeit von Germanen errichtet, die meisten jedoch sind slawischen Ursprungs“.15 Einen solchen vermutet er für den Altenburger Schlossberg. „Erhal-ten haben sich bis in die Gegenwart nur 2 Rundwälle, der auf dem Burgberge bei Stünzhain, bekannter unter dem Namen „Paditzer Schanzen“, und der Wall bei Naulitz bei Ronneburg.“16

Auf die Paditzer Schanzen, ihre Anlage und bisherigen Funde geht er näher ein, ohne auf re-guläre Ausgrabungen zurückgreifen zu können. Diesen Umstand bedauerte er bereits 1907 in einem kleinen Aufsatz in den Mitteilungen , in dem er relativ umfassend den Forschungsstand zu den Paditzer Schanzen darlegt und dabei auch Quellen nennt. In diesem Artikel werden unter den Fundstücken auch Drehmühlen erwähnt. „Die große Anzahl der aufgefundenen Mühlsteine nötigt zu dem Schlusse, daß dieselben an Ort und Stelle handwerksmäßig herge-stellt und von hier aus vertrieben worden sind.“17

Seinen Schilderungen ist zu entnehmen, dass diese Drehmühlen in Gruben zusammen mit slawischen Scherben aufgefunden wurden. Da es dazu keine Dokumentationen gibt, muss es ohne neue Funde und Befunde eine allerdings als relativ sicher geltende Annahme bleiben, dass auch diese Drehmühlen slawischen Ursprungs sind, ohne sie bislang hier archäologisch genau datieren zu können. Es können aber Parallelfunde herangezogen werden, so dass ihre zeitliche Einordnung als relativ sicher gelten kann.

Insgesamt ordnet er die Paditzer Schanzen nach der slawischen Keramik in die Zeit vom 6. bis 10. Jahrhundert ein. „Wir werden kaum fehlgehen, wenn wir auch in dem Stünzhainer Rundwall eine heidnische Kultusstätte aus der Slawenzeit erblicken.“18 Diese Meinung relati-viert er 1922: „Sie (die Rundwälle) dienten in der Regel als Wohnsitze für die Häuptlinge, zu-gleich aber auch als Zufluchtsstätten im Kriege, wohl auch zu Kultuszwecken.“19

Die slawischen Funde aus dem Altenburger Land, die von ihm in der Ausstellung des Mu-seums in einem Schrank gezeigt wurden, unterteilt er in „Tongefäße und Schmucksachen“. Da es sich bei seiner kleinen Schrift 1922 um einen Museumsführer handelt, nennt er zu seinen Erläuterungen keinerlei wissenschaftliche Quellen. Auf den seiner Darstellung bei-gefügten Tafeln bildet er slawische Gefäße und Keramikscherben sowie Perlen und Schlä-fenringe ab.20

In den Mitteilungen der Geschichts- und Altertumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes berichtet er laufend von neuen slawischen Funden.21

1931 fasst er nochmals in einer Darstellung zu den Paditzer Schanzen seine Meinung zur slawischen Besiedlung des Altenburger Landes zusammen:

1936 publiziert der Meuselwitzer Lehrer Ernst Frauendorf, der sich um die Ur- und Früh-geschichtsforschung im Altenburger Land und vor allem ihre Darstellung große Verdienst erworben hat, seine Vorgeschichte des Stadt- und Landkreises Altenburg/Thür. , in der er im Kapitel VI „Die Kultur der Slawen“ behandelt.23

Diese Schrift Ernst Frauendorfs ist eine für ihre Zeit sehr gelungene Verbindung der Darstel-lung des Forschungsstandes seiner Zeit mit Quellenangaben und Abbildungen sowie Verbrei-tungskarten und Tabellen, verbunden mit einer populären Herangehensweise. Da der damali-ge Stadt- und Landkreis Altenburg im Wesentlichen identisch ist mit dem heutigen Landkreis Altenburger Land, bietet die Schrift eine gute Übersicht.

Im Gegensatz zu zahlreichen älteren und auch jüngeren Darstellungen geht er richtigerweise davon aus, dass die Slawen sehr zeitig im 8. Jahrhundert in das Altenburger Gebiet einwan-derten, nachdem das Gebiet im Laufe des 6. Jahrhunderts siedlungsleer geworden war. „In das nahezu unbesiedelte Land drangen frühestens um 700, vielleicht erst um 800 n. Chr. die Slawen ein.“24

Auf das Ende bzw. das Ausklingen der slawischen Besiedlung, das er in die Zeit zwischen dem 10. und 13./14. Jahrhundert setzt, ist im nächsten Kapitel zurückzukommen.25 In den Slawen erkennt er Bauern, die auf den besten Lößböden siedeln. In den Burgwällen sieht er „die Sitze der slawischen Gauverwaltungen.“26 Zurecht bedauert er, dass bis zu seiner Zeit im Altenburger Land nur ein slawischer Friedhof – derjenige im Flurteil Schleps bei Dobra-schütz – ergraben worden ist. Dieser hatte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 8 Gräber erbracht und muss deshalb bis heute als nur zu einem geringen Teil gegraben gelten. Als cha-rakteristische Beigaben nennt er Schläfenringe und Quarzperlen.27

Dem Geist der Zeit der Entstehung seiner kleinen Schrift folgend, beginnt er das nächste Ka-pitel – „VII. Die Kultur der Deutschen“ mit den Sätzen: „Die Slawen bildeten das letzte fremde Volkstum in unserem engeren Heimatlande. Wohl schon im 9., spätestens im 10. Jahrhundert wurde unser Land von diesem fremden Einfluß befreit.“28

Insgesamt beziehen sich zahlreiche seiner Darstellungen auf die genannten Publikationen von Ernst Amende zur slawischen Besiedlung des Altenburger Landes, aus denen er teilwei-se auch größere Passagen zitiert. Das Literaturverzeichnis zur Slawenzeit, das er dem Heft beifügt, enthält 12 Titel, von denen 10 von Ernst Amende stammen. 1938 legt Frauendorf in der Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Geschichts- und Altertumsforschenden Ge-sellschaft des Osterlandes zusammenfassend die „Slawische(n) Bodenfunde aus dem Kreise Altenburg (Thüringen)“ dar.29

Unmittelbar an die Arbeit von Amende knüpft der Berufsschullehrer Hans Höckner an, der, basierend auf seinen Untersuchungen zur ur- und frühgeschichtlichen Besiedlung des Altenburger Landes, zahlreiche Aufsätze zur slawischen Zeit publiziert. Höckners Darstel-lungen beziehen sich neben der Auswertung bereits dargelegter Quellen auch auf eigene Ausgrabungen, von denen diejenigen im Altenburger Schlossgelände besonders hervorzu-heben sind.30

Höckners Wirken umfasst die Zeit von den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts bis in die Zeit nach 1945. In der Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Geschichts- und Altertumsforschen- den Gesellschaft des Osterlandes zu Altenburg 1938 veröffentlicht Hans Höckner einen Artikel unter dem Titel „Die Entwicklung der Altenburger Burganlage vom slawischen Rundwall zum Fürstenschloß“.31 Da ihm damals die urnenfelderzeitliche Anlage noch nicht bekannt war, lau-tet das erste Kapitel seiner Arbeit: „Der slawische Rundwall“.32

Nach allgemeinen Aussagen zur slawischen Besiedlung im Altenburger Land, die er richti-gerweise entgegen dem Trend seiner Zeit erst ab dem 8. Jahrhundert ansetzt, führt er die slawi-schen Burgwälle an, zu denen er völlig zu Recht nur die Anlage auf dem Altenburger Burgberg und die Paditzer Schanzen rechnet.

Aus der Nähe beider Wallanlagen zieht er den Schluss, dass sie eine unterschiedliche Funk-tion gehabt haben müssen. Das bedeutet für ihn für den Altenburger Wall:

1932 wurde im „Agnesgarten“ des Altenburger Schlosshofes bei der Errichtung eines Denk-mals eine kleine Fläche von 4x4 m freigelegt und 1935 im Zwinger östlich des Hausmannstur-mes ein 1,50 m breiter Schnitt quer durch den Zwinger gelegt.

Dabei wurde im „Agnesgarten“ eine in die über der slawischen Kulturschicht gelegene Schicht eingetiefte Trockenmauer erfasst, auf die zurückzukommen ist. Sie kann, wenn die Zeichnung exakt angefertigt ist, nicht, wie Höckner meint, slawischen Ursprungs sein. Im Zwinger wurde ein Wall mit darauf befindlicher Trockenmauer angetroffen. Nach der Zeich-nung handelt es sich hierbei nicht um eine dem Wall vorgeblendete Trockenmauer, sondern um eine Mauerkonstruktion, die auf dem Wall aufsitzt. Die Grabungsumstände lassen m. E. keine eindeutige zeitliche Zuordnung zu.

Insgesamt schlussfolgert Höckner über die slawische Anlage auf dem Altenburger Burgberg:Der in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts von Amende, Auerbach, Frauendorf und Höckner vorgestellte Forschungsstand blieb für die nächsten Jahrzehnte repräsentativ.

Als Heinrich Rempel 1966 die „Reihengräberfriedhöfe des 8. bis 11.  Jahrhunderts“ vor-stellt, kann er den Funden von Kriebitzsch „Kohlenbahnhof“ und Naundorf, OT Dobraschütz „Schlöps“, keine neuen hinzufügen.35 Das hat sich bis zum Erscheinen des Corpus archäo- logischer Quellen zur Frühgeschichte auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik (7. bis 12.  Jahrhundert) 1985 auch nicht grundlegend geändert.36 Da der heutige Landkreis Altenburger Land damals mit den Kreisen Altenburg und Schmölln zum Bezirk Leipzig ge-hörte, erschienen diese Kreise im Band, der die Bezirke Cottbus, Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig erfasste. Den Textband begleitete ein umfassender Tafelteil. Bearbeiter der Kreise Altenburg und Schmölln war Heinz-Joachim Vogt, Dresden.

Der Corpus verzeichnet im Kreis Altenburg 39 und im Kreis Schmölln 6 slawische Fundstel-len. Bei deren absoluter Mehrheit handelt es sich um die bereits bekannten. Durch die Kontrol-le der Altenburger Museumsbestände, Bauarbeiten und traditionelle Prospektion waren 8 neue Fundstellen hinzugekommen. Diese stützten sich jedoch nicht auf gezielte neue Grabungen.

1988–1990 vom damaligen Landesmuseum für Vorgeschichte Dresden durchgeführte kleinere Untersuchungen im Stadtgebiet und auf dem Gelände des Schlosses (Junkerei und Flasche) erbrach-ten keine neuen Erkenntnisse zur slawischen Besiedlung. Das betraf auch den Bereich der Pauritzer Straße, wo bislang das 976 genannte Podegrodici erwartet worden war. Die Ausgrabungen in der „Flasche“, wo ein Profil bis auf den gewachsenen Boden angelegt werden konnte, erbrachten wich-tige Erkenntnisse zum Alter dieses Wohnturmes. Die älteste Keramik datiert um 1100.37

Erst infolge der intensiven Bautätigkeit nach der politischen Wende, die mehr oder weniger umfassende Grabungsmaßnahmen erforderlich machte, kam es zur Aufdeckung zahlreicher neuer Fundstellen, Funde und Befunde zur Geschichte der Slawen auch im Altenburger Land. Das betrifft vor allem Ausgrabungen auf dem Altenburger Schlossgelände, an verschiedenen Orten der Stadt Altenburg, beim Anlegen größerer Trassen für Leitungen und Straßen sowie beim Bau von Wohnsiedlungen. Deren Ergebnisse sollen im Folgenden im Kontext mit den bisherigen archäologischen Untersuchungen zu den Slawen im Altenburger Land ausgewertet werden. Die Unterkapitel sind gegliedert nach den drei Lebensbereichen Burgen/Wehranla-gen, Friedhöfe/Gräber und Siedlungen. II.3.1 Slawische Burgen/Wehranlagen im Altenburger Land

Die im Prozess der Forschungsgeschichte herausgearbeitete Ansicht, dass es im Altenburger Land lediglich zwei eindeutig von ihrer Herkunft her als slawisch zu bezeichnende Burgan-lagen gibt, wurde auch durch neuere Ausgrabungen bestätigt. Bei weiteren Anlagen muss es bis zur Durchführung aussagekräftiger archäologischer Untersuchungen als zwar theoretisch möglich, aber wohl weniger wahrscheinlich gelten, dass sich unter jüngeren Anlagen eine ur-sprünglich slawische Wehranlage befinden könnte.

Abb. 7: Der Altenburger Schlossberg und die Paditzer Schanzen – Altenburger Schlossberg 1,

Paditzer Schanzen 2, Fundstelle bei Münsa 3, Fundstelle bei Kosma/Kürbitz 4, Kirchberg von Gerstenberg 5, Ehrenhain 6 (Karte L5140 Thüringer Landesvermessungsamt 2003)

Die von Ernst Amende, Ernst Frauendorf, Hans Höckner und anderen aufgrund vor allem slawischer Keramikfunde herausgearbeitete Feststellung, dass der bronzezeitlichen Burg auf dem Altenburger Schlossberg nach einem größeren Hiatus eine slawische Anlage folgte, hat sich bestätigt.

Die Tatsache, die auch an anderen Anlagen in Ostthüringen zu verzeichnen ist, dass auf dem Gelände spätbronzezeitlicher Burganlagen später slawische Burgen errichtet wurden, ist in der Vergangenheit mitunter auch im Sinne eines historischen Zusammenhanges von Bronzezeit und Slawen fehlinterpretiert worden. Da das aus heutiger Sicht als falsch erkannt ist, müssen andere Gründe für diese Tatsache herangezogen werden. Diese sind am ehesten in der topo-grafischen Anlage solcher Wehranlagen zu suchen.

109

Der Porphyrfelsen östlich von Altenburg über dem Fließgewässer Blaue Flut mit seinem nach drei Seiten relativ steil abfallenden Gelände und der Möglichkeit, die dritte Seite an einer schmalen Stelle durch Wälle und Gräben vom übrigen Berg abzutrennen, bot sich für eine Burganlage als topografisch besonders günstig an.

Die Ersterwähnung der Anlage als „civitas Altenburg“ erfolgt 976, als die slawische Burg bereits zum Mittelpunkt eines deutschen Burgwards weiterentwickelt worden war.38 Wenn diese Anlage 976 als eine „alte Burg“ bezeichnet wird, kann daraus geschlossen werden, dass sie schon erheblich früher existiert haben muss. Da es keine Anhaltspunkte dafür gibt, den deutschen Burgwardmit-telpunkt anstelle der slawischen Burg schon erheblich früher einzuordnen, kann angenommen werden, dass sich die Bezeichnung „alte Burg“ auf die slawische Burganlage bezieht.

Für ihre Errichtung gibt es keinen chronologisch eindeutigen archäologischen Beweis. Das keramische Material, das für das 8. Jahrhundert in Anspruch genommen wird, ist relativ lang-lebig und kann auch noch in das neunte Jahrhundert hineinreichen.

Wenn wir heute zu Recht anhand der Funde davon ausgehen, dass das Altenburger Land im 8. Jahrhundert von den Slawen erreicht wurde, könnte die Altenburger Burg noch im gleichen Jahrhundert bzw. kurz danach gebaut worden sein. In Bezug auf die Fundstellen des 8./9. Jahr-hunderts befindet sie sich relativ weit östlich und nicht im Tal der Pleiße, sondern im Tal eines Nebengewässers. Das Tal der Blauen Flut mit seiner siedlungsgünstigen Umgebung bot an dieser Stelle offensichtlich weitaus günstigere Bedingungen, als es das Tal der Pleiße geboten hätte. Dabei gehen wir allerdings davon aus, dass die slawische Anlage an der Pleiße bei Stünz-hain, die Paditzer Schanzen, nicht wesentlich früher und aus anderem Grund dort errichtet wurde, worauf zurückzukommen ist.

Wenn diese Burg in nicht allzu großem zeitlichen Abstand nach Errichtung der ersten sla-wischen Siedlungen nötig wurde, so sollten dafür nicht allein fortifikatorische Gründe den Ausschlag gegeben haben.

Die Lage der Altenburger Anlage mit den sie umgebenden slawischen Siedlungen in einer von Wäldern umgebenen Siedlungskammer lässt den Schluss zu, dass sie als Herrschaftszent-rum eines slawischen Burgbezirkes fungiert hat. Seit 1993 wurden in größeren Abständen im Bereich des Altenburger Burgberges/Schlosses Bauarbeiten durchgeführt, die mit dem Aus-heben von Gräben verbunden waren. Dabei traten regelmäßig Befunde und Funde zutage, die Rettungsgrabungen erforderten.39 Alle diese Grabungsarbeiten erbrachten, verstreut über das gesamte Schlossgelände von der Ostfront des Hauptgebäudes bis zum Zwingergelände, zahl-reiche, vor allem in jüngeren Schichten umgelagerte mittelslawische Scherben, aber keine ein-deutig dazugehörigen Befunde

Abb. 8: Slawische Keramik vom Altenburger Schlosshof (Sachenbacher)

111

Diese erhärten die Annahme einer slawischen Burganlage auf dem gesamten Gelände des Burgberges. Da aber keine aussagekräftigen Befunde angetroffen wurden, muss das Bild dieser Burg weiterhin offenbleiben. Die Annahme, dass es sich um eine Rundwallanlage auf dem Territorium des Agnesgarten und des Gebietes um den Hausmannsturms gehandelt hat, kann auch weiterhin nicht völlig ausgeschlossen werden.

Abb. 9: So stellte sich Hans Höckner 1938 die slawische Burg auf dem

Altenburger Schlossberg vor (Höckner 1938)

Zusammen mit den Ausgrabungen Hans Höckners, auf die bereits hingewiesen wurde, und auf-grund der Tatsache, dass slawische Keramik des 8./9. bis 10. Jahrhunderts in gestörten Schichten über das gesamte Schlossgelände verteilt ist, ist die Wahrscheinlichkeit wohl größer, dass es eine Anlage mit Abschnittswällen und -gräben war, die das gesamte Gelände des Berges westlich des Hauptgrabens eingenommen hat. Sie war offensichtlich von ihrem Umfang her im Wesentlichen

112

identisch mit der spätbronzezeitlichen Anlage. Nicht auszuschließen ist aber auch die Möglich-keit, dass eine ursprünglich größere slawische Burganlage später zu einem Rundwall verkleinert wurde. Ein endgültiges Urteil könnten hier nur neue Ausgrabungen erbringen, bei denen ent-sprechende Befunde angetroffen werden. Diese Möglichkeit ist zwar nicht ganz ausgeschlossen, aber aufgrund der jahrhundertelangen Baumaßnahmen auf diesem Gelände nicht sehr wahr-scheinlich. Leider ist auch die Wahrscheinlichkeit nicht sehr hoch, dass im Bereich der slawi-schen Anlage Hölzer gefunden werden könnten, die eine eindeutige Dendrodatierung erlauben.

Der bei Bauarbeiten ab 1993 im inneren Schlosshof aufgedeckte Friedhof mit wenigen ty-pisch slawischen Beigaben ist wohl in die Zeit des deutschen Burgwards zu datieren und damit im nächsten Kapitel zu behandeln. Das wird erhärtet durch mehrere slawische Scherben des 9./10. Jahrhunderts, die verstreut in den Gräbern angetroffen wurden und offensichtlich zu einem slawischen Horizont gehören, der bei Anlage der Gräber zerstört wurde.

Eine weiterhin offene Frage ergibt sich aus der Nennung eines zur civitas Altenburg 976 ge-hörigen Ortes Podegrodici. Bei solchen Orten handelt es sich dem Namen nach sicher um zur Burg gehörige Siedlungen von Dienstmannen. Beim gegenwärtigen Forschungsstand muss al-lerdings offenbleiben, ob sich die Bezeichnung Podegrodici erst auf den deutschen Burgward-mittelpunkt oder bereits auf den slawischen Burgbezirksmittelpunkt bezieht.

Bisher wurde dieser Ort aus namenkundlichen Gründen als identisch mit dem Ortsteil Pau-ritz im Bereich der Pauritzer Straße angesehen und dort gesucht. Trotz intensiverer Untersu-chungen konnte er bisher aber dort nicht lokalisiert werden. H.-J. Vogt äußerte 1992 die An-sicht, der ich mich anschließe, dass dieser Ort näher zur Burg gelegen, auf siedlungsgünstigem, nicht hochwassergefährdetem Platz direkt nordöstlich unter ihr zu suchen ist.40

Die zweite, von ihrem Ursprung her als sicher slawisch zu identifizierende Anlage sind die sogenannten Paditzer Schanzen über der Pleiße und dem Ort Stünzhain.

Abb. 10: Ansicht der Paditzer Schanzen 1907 (nach Schubert 2008) nach Paditznach Paditz

Eisenbahn

SteinbruchSteinbruchInnenwall

S t e i n b r u c hAußenwall

B u r g b e r gFelderFelderAußenwall

I n ne nwa ll

Wehr

Pleiße

Pleiße

Abb. 11: Die Paditzer Schanzen auf historischen Zeichnungen (Frauendorf 1938)

Auch hier handelt es sich um einen Porphyrfelsen, der ursprünglich nach drei Seiten hin rela-tiv steil abfiel. Die vierte Seite ist durch zwei Abschnittswälle mit Gräben, deren Spuren noch heute gut zu erkennen sind, gesichert. Das ursprüngliche Bild der Burganlage ist allerdings weitgehend zerstört. Zur Pleiße hin wurde ein Teil des Berges beim Bau einer Eisenbahnlinie ab 1841 abgetragen. Die größere Zerstörung erfolgte durch den Porphyrabbau mittels Stein-bruch 1879 bis 1905.

Auf dem Gelände der Anlage haben bis heute keine nach modernen Gesichtspunkten durch-geführten archäologischen Untersuchungen stattgefunden. Das bisher geborgene Fundmate-rial und die Beschreibung von Gruben mit Funden beziehen sich auf Sammeltätigkeit und kleinere Untersuchungen ab dem Eisenbahnbau, vor allem dann ab 1906, u. a. durch Ernst Amende.

Von diesen „archäologischen Untersuchungen“ existieren der Zeit entsprechend keine mo-dernen Dokumentationen, sondern Beschreibungen, aus denen hervorgeht, dass das Fundma-terial u. a. aus Gruben stammte und dass Verfärbungen beobachtet wurden.

Bei den Funden, die sich in der Amende-Sammlung des Altenburger Schlossmuseums be-finden, handelt es sich um alt- und jungslawische Scherben, Schleifsteine, mehr als 20 Dreh-mühlensteine aus dem anstehenden Porphyr, Eisenschlacken und Tierknochen.41 Die zahlrei-chen Drehmühlensteine mit und ohne Bohrung weisen darauf hin, dass sie an Ort und Stelle produziert wurden.

Abb. 12: Funde von den Paditzer Schanzen (Schubert 2008)

Die Schilderungen deuten darauf hin, dass zumindest ein Teil von ihnen zusammen mit slawischer Keramik in Gruben gefunden wurde, die zwar keinen geschlossenen Fund dar-stellen, aber auf eine Gleichzeitigkeit hinweisen. Sowohl diese Tatsache als auch die Form und der Typ der Mühlsteine lassen den Schluss zu, dass sich auf der Wallanlage eine Dreh-mühlenproduktion befunden hat. Auch die Eisenschlacken deuten auf handwerkliche Pro-duktion hin.42

Die Tatsache, dass sich zwei slawische Burgen gleichzeitig so relativ nah beieinander befan-den, könnte, wie bereits früher angenommen, in ihrer unterschiedlichen Funktion begründet sein. Nur ist diejenige der Paditzer Schanzen nicht, wie auch angenommen wurde, in einer Funktion als Fluchtburg, sondern eher als geschützter Produktionsort zu suchen.

Auch auf den Paditzer Schanzen befand sich zuvor eine spätbronzezeitliche Burganlage. Mangels gezielter Ausgrabungen lässt sich leider noch nicht feststellen, welche der Wälle und Gräben aus welcher Periode stammen oder ob sie alle in der späten Bronzezeit errichtet und von den Slawen als Zentrum einer überörtlichen Produktionsstätte nachgenutzt wurden.

Im Gegensatz zur Anlage auf dem Altenburger Burgberg wurden die Paditzer Schanzen in spätslawischer Zeit aufgegeben. Die jüngere Burg einer kleinen deutschen Herrschaft befindet sich in Sichtweite im Ort Ehrenberg. Auch das ist ein Indiz für einen anderen Charakter der Anlage auf den Paditzer Schanzen im Vergleich zur Altenburger Burg.43

Auf zwei weiteren Anlagen im Altenburger Land, die aber offensichtlich keine ursprünglich slawischen Burganlagen darstellen, wurden keramische Hinweise gefunden, die auf das Vor-handensein von Slawen deuten. Es handelt sich dabei um die Anlage auf dem Kirchberg von Gerstenberg über dem Gerstenbach nördlich von Altenburg und um den Pfefferberg nördlich über der Sprotte bei Schmölln.

Abb. 13: Die Anlagen auf dem Gerstenberger Michaelsberg (Schubert)

Auf einem vom über dem Gerstenbach gelegenen Höhenrücken durch hohen Halbkreiswall und tiefen Graben abgeschnittenen Bergvorsprung befindet sich die kleine, 1227 als Kapelle erwähnte Michaelskirche von Gerstenberg.44

Vom gleichen Zeitpunkt an – gleiche Urkunde – werden auch Herren von Gerstenberg er-wähnt. Eine Deutung des Verhältnisses der Kapelle zur Burg als möglichem Sitz der Herren von Gerstenberg ist schwierig. Das Gelände zeigt sich heute als kleines Hauptburggelände mit der Michaelskirche und größerer Vorburg – heute Friedhof –, das durch einen topografisch nachvollziehbaren Wall vom übrigen Gelände abgetrennt ist.

1843 wurde bei Grabungsarbeiten vor dem Kirchenfenster ein Münzschatz in einem Kera-mikgefäß geborgen.45 Zu den Funden zählen 800 silberne Brakteaten, ein flaschenförmiges Gefäß mit Stichgruppen sowie einzelne Randscherben der Kohrener-Gruppe.46 Der Schatz muss um 1125 in den Boden gelangt sein.

Abb. 14: Die Flasche, in der sich die Münzen 1834 fanden

(Mitteilungen GAGO, erster Band 1841–1844)

H.-J. Vogt deutet das Gelände als einen „später von Kirche überbaute(n) Turmhügel“.47 Die Funde stammen aus einer Zeit, als das Gebiet bereits unter deutscher Herrschaft stand. Seine Behandlung gehört deshalb eigentlich in das nächste Kapitel der Arbeit. Da aber hier noch kei-ne Ausgrabungen stattgefunden haben, muss offenbleiben, ob der Berg zuvor von den Slawen als Wehranlage genutzt wurde, auch wenn diese Möglichkeit nicht als sehr wahrscheinlich zu gelten hat. Bis zur endgültigen Klärung ist deshalb hier nur sehr vorsichtig von der Möglich-keit einer ursprünglich slawischen Burg auszugehen.

Auf der Hochfläche nördlich über Schmölln und dem Tal der Sprotte befindet sich der Pfef-ferberg. Der Name ist eine Verballhornung des Begriffes „Berg der Pfaffen“. Hier wurde wohl noch vor 1066 das erste Kloster östlich der Saale und außerhalb der ottonischen Bischofssitze gegründet.48 Darauf ist im nächsten Kapitel zurückzukommen.

Im Gelände zeigen sich noch heute wenige Wallreste. Auf älteren Plänen sind zahlreiche Wälle eingezeichnet, die auf eine ursprüngliche Burganlage hindeuten. Es ist allerdings auch nicht auszuschließen, dass sie zu einer Bewehrung des sehr früh errichteten Klosters gehört haben könnten.

Aus diesem Bereich stammen mehrere slawische Scherben, die aufgrund ihrer Größe und ihres Charakters schwer datiert werden können. Sie gehören am ehesten dem 10./11. Jahrhun-dert an. Da auch hier noch keine regulären Ausgrabungen stattgefunden haben und das Ge-lände auch durch neuzeitliche Bauarbeiten stark gestört ist, muss offenbleiben, ob der Anlage des Klosters eine slawische Wehranlage vorhergegangen ist.

Insgesamt ist deshalb von zwei slawischen Burganlagen im Altenburger Land auszugehen. Die Burg auf dem Altenburger Burgberg und die Wallanlage „Paditzer Schanzen“ bei Stünz-hain, die beide annähernd gleich datiert werden können, unterscheiden sich offensichtlich in ihrer Funktionalität. Während die Altenburger Burg den Mittelpunkt eines slawischen Burg-bezirkes mit mehreren zugehörigen Siedlungen markierte, beherbergten die „Paditzer Schan-zen“ eine überörtlich bedeutsame Produktionsstätte von Drehmühlen. Aus diesem Grund gehe ich davon aus, dass die Burg auf den Paditzer Schanzen keine eigenständige Burganlage darstellt, sondern es sich um die wirtschaftliche Anlage der Altenburger Burg handelt, die hier an günstiger Stelle hinzugefügt wurde.

Die Anlage auf dem Altenburger Burgberg ist mit derjenigen von Gera-Untermhaus zu ver-gleichen. Beide Anlagen befinden sich auf einem Bergsporn und sind auf ein darunter befind-liches Fließgewässer ausgerichtet. Sie nehmen ein Gelände ein, das schräg in das Tal abfällt, durch Wälle und Gräben gesichert wird und mehrmals untergliedert ist. Keramik und weitere Funde deuten darauf hin, dass beide slawischen Burganlagen dauerhaft bewohnt waren und Wohnbauten enthalten haben müssen.

Abb. 15: Die Wälle auf dem Schmöllner Pfefferberg 1800

(Museum Burg Posterstein, modifiziert)

Ihr Charakter als bewehrtes Machtzentrum und als wirtschaftliches Zentrum (im Falle von Altenburg auf einem benachbarten Burgberg) wird durch zahlreiche umliegende Siedlungen hervorgehoben. Die Wahrscheinlichkeit, dass beide slawische Burgen auch geistig-kulturelle Mittelpunktfunktionen besessen haben ist zwar hoch, aber durch spätere Überbauungen nur schwer zu beweisen.

119

II.3.2 Slawische Friedhöfe/Grabanlagen im Altenburger Land

An der Bemerkung von Ernst Frauendorf von 1938 zu den slawischen Grabfunden – „Diese spärlichen Reste slawischer Grabfunde stehen im schroffen Gegensatz zu anderen Gegenden“ – hat sich bis heute nichts geändert.49 Diese Schlussfolgerung zieht er aus der Tatsache, dass es bis zu seiner Zeit nur einen gegrabenen Friedhof bei Dobraschütz, ein vermutliches Einzelgrab bei Kriebitzsch und ein vermeintliches Grab bei Rasephas zu verzeichnen gab. Rempel führt das Einzelgrab (Flachgrab) von Kriebitzsch und den Friedhof von Naundorf, Ortst. Dobraschütz, an.50

Heinz-Joachim Vogt hat in den Corpus 1985 das Gräberfeld von Dobraschütz, OT von Naundorf, und das Grab von Kriebitzsch aufgenommen. Darüber hinaus vermerkt er den Fund eines Gefäßes von Mockern „Steinberg“ als „Urne aus Brandgrab (?)“ mit der Datierung 8.–9. Jahrhundert. Zu einem Gefäßfund von Rasephas schreibt er: „Unsicher, jedoch Grabfund vermutet“ mit der Datierung 9.–10. Jahrhundert Und zu einem Fund von Untermolbitz ver-merkt er: „Vermutl. Körpergrab“ mit der Datierung 9.–10. Jahrhundert.

Frauendorf 1938 hatte die Funde von Mockern und Untermolbitz als Siedlungsfunde be-zeichnet. Zu Rasephas hatte er beigefügt, dass Amende diesen Fund als Grab gedeutet habe.

Aufgrund der Datierung ist der Fund von Mockern schwerlich als Urne zu bezeichnen. Auch bei den Funden von Rasephas und Untermolbitz ist eher an einen Siedlungsfund zu denken.

Damit verbleiben für das Altenburger Land bislang zwei Funde von Grabstätten. Auch die umfassenden Bauarbeiten nach der politischen Wende haben daran nichts geändert. Das ist umso verwunderlicher, als nach 1990 mehrere Siedlungsfunde gemacht wurden. Auch man-gelnde Prospektion kann kaum ein Grund dafür sein, da im Altenburger Land seit Langem zahlreiche Bodendenkmalpfleger tätig sind.

Den Fund von Kriebitzsch, der 1874 beim Bau zutage trat und der sich lediglich durch zwei menschliche Zähne als Körpergrab erwies, datiert Vogt aufgrund des Bruchstücks einer eiser-nen Bügelschere und der Glasperlen in das 8. bis 11. Jahrhundert. Die Fundstücke lassen keine eindeutigere Datierung zu. So bleibt bis heute das Körpergräberfeld von Dobraschütz einziges slawisches Gräberfeld im Altenburger Land.

Am Fußweg von Dobraschütz nach Zweitschen auf der Flur „Schlöps“/„Schleps“ wurden 1806 beim Anlegen von Teichen „Menschengerippe“ gefunden.

1836/37 wurden hier durch den Bauern Zacharias Kresse 8 Skelette ausgegraben, die zu ei-nem Körpergräberfriedhof/Reihengräberfriedhof gehören. 1887 wurden weitere sechs Skelette ausgegraben.

Abb. 16: Das slawische Gräberfeld von Dobraschütz (Kraleva BKG TopPlusOpen)

Bei den Plänen von D. Kraleva ist stets die gleiche Quelle benutzt und angegeben. Deshalb wird bei den folgend von ihr angefertigten Abbildungen auf deren Angabe verzichtet.

Zu dieser Flur existieren Sagen, die von einem Gefecht zwischen unbekannten Kriegern be-richtet, die hier begraben sind. Auch heißt es, dass hier ein Dorf lag, dessen Bewohner ermor-det wurden. In der Gegend wird von „Spuk“ erzählt.

Amende berichtet über den Fund der Skelette 1836/37 – teilweise Kresse zitierend –:

121

H.-J. Vogt führt im Corpus 1985 folgende Beigaben auf, die sich in der Amende-Sammlung des Altenburger Schlossmuseums befinden:

Das Messer ist verloren gegangen.

Anhand der Beigaben datiert Vogt das Gräberfeld in das 8. bis 11. Jahrhundert. Das ist für ein Gräberfeld mit so wenigen Bestattungen natürlich eine sehr grobe chronologische Ein-ordnung, wenn man nicht annimmt, dass es sich bei den erfassten Gräbern nur um einen sehr geringen Teil des ursprünglichen Gesamtumfanges handelt, was wahrscheinlich ist.

Aufgrund der Schläfenringe sollte eine Einordnung der erfassten Gräber in den Beginn des 11. Jahrhunderts möglich sein. Damit gehören die Gräber zwar schon in die Zeit nach Beginn der deutschen Herrschaft, doch ist diese zu diesem Zeitpunkt eher als stützpunktmäßig denn als flächendeckend anzusehen. Wenn wir davon ausgehen, dass die Masse der slawischen Sied-lungen zu diesem Zeitpunkt aufgegeben worden war und die jüngeren Orte, wie sie in der Re-gel noch heute bestehen, in der Nähe neu errichtet wurden, sind bis zur Möglichkeit einer mo-derneren, flächendeckenden Ausgrabung zwei Deutungsmöglichkeiten vorhanden: zum einen könnte es sich um den Friedhof einer bisher nicht bekannten slawischen Siedlung handeln, die sich in der Nähe befand, und zum anderen könnte es sich um den Friedhof des von Slawen ge-gründeten Ortes Dobraschütz handeln, der später in den Bereich der Kirche verlagert wurde. Abb. 17: Auswahl von Funden vom Gräberfeld Dobraschütz (Frauendorf 1938)

Generelle Aussagen zur Bestattungssitte bei den Slawen im Altenburger Land sind auf dieser spärlichen Grundlage nicht zu treffen. Es handelt sich hierbei um eine Forschungslücke, die nur durch künftige Grabungen und weiträumige Vergleiche geschlossen werden kann. II.3.3 Slawische Siedlungen und Wirtschaft

Ernst Frauendorf führt 1938 in seinem Kapitel „III. Die Siedlungsfunde“ 23 Orte mit sla-wischen Siedlungsfunden auf.53 Zur Flur Ölsen bei Meuselwitz vermerkt er: „(preuß.)“, da sich der Ort jenseits der Kreisgrenze befindet – heute Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt. Die Zuordnung zum Altenburger Land ist aber berechtigt, denn eine benachbart gelegene Wüstung aus dem Bosauer Zehntverzeichnis zählt im hohen Mittelalter zum Altenburger Land.

In der Regel handelt es sich um Einzelfunde slawischer Keramik, die auf eine Siedlung hinweisen. Auch der umfassendste Siedlungsfund, den Frauendorf verzeichnen kann, der von Rositz-Fichtenhainichen, stammt nicht aus einer regulären Ausgrabung mit Dokumen-tation.

Abb. 18: Die slawische Siedlung von Fichtenhainichen (Kraleva)

124

Heinz-Joachim Vogt bezeichnet von ihrem Charakter her von den 45 Fundstellen der dama-ligen Kreise Altenburg und Schmölln 8 sicher als Siedlungen, bei 6 hält er eine Siedlung für wahrscheinlich, bei 14 vermutet er eine Siedlung und bei 7 Fundstellen spricht er aufgrund der wenigen Keramikfunde keine Deutung aus.54

Beim Anlegen eines Tagebaus ab 1903 fand man zwischen Fichtenhainichen und Obermol-bitz Spuren einer slawischen Siedlung.

Frauendorf schreibt, dass „zylindrische Gruben von 70 bis 100 cm Tiefe und 40 cm Quer-durchmesser gefunden“ wurden. Es wird von mindestens einem Dutzend solcher Stellen be-richtet, die „Je acht bis zehn Schritte voneinander entfernt“ waren.“55

Neben Tierknochen und zwei Mühlsteinen (aus Porphyrit und Sandstein) fand man vor al-lem zahlreiche Scherben, die sich mehrheitlich in der Amende-Sammlung des Altenburger Schlossmuseums befinden.

1932 wurde ein annähernd quadratisches, eingetieftes Haus – wohl ein Grubenhaus – an-geschnitten, das Frauendorf als Wohnstätte bezeichnet:

Leider stammen bislang alle Befunde und Funde aus unsystematischen Untersuchungen. Moderne Ausgrabungen, die stratigrafische Befunde erbringen könnten, haben auch seit-dem nicht stattgefunden. So muss offenbleiben, welche Ausdehnung die Siedlung mit den eingetieften Häusern mit Herdstellen und zugehörigen Gruben zu welchem Zeitpunkt ge-habt hat.

Abb. 19: Auswahl von Funden aus der Siedlung von Fichtenhainichen (Höckner 1938)

Vogt datiert das reichhaltige Fundmaterial in das 7.–12. Jahrhundert.57 Auch wenn wir die Datierung, die nicht in das 7. Jahrhundert reicht, weiter einengen, kommen wir noch auf einen beträchtlichen Zeitraum vom frühen bis zum hohen Mittelalter. Diese Siedlung, besser sollte man wohl von Siedlungen sprechen, decken wie keine andere Fundstelle im Altenburger Land einen großen Zeitraum ab. Eine endgültige Klärung könnten auch hier nur systematische, mo-derne Grabungen bringen.

In der Flur Windischleuba fanden sich neben Scherben gebrannter Lehm und Rinderzähne als Zeugnis einer Siedlung. Befunde wurden nicht erkannt.58

Am Rande der steilen Felswand eines eingegangenen Porphyrbruchs unmittelbar hinter dem Böhmeschen Bauernhofe wurde 1925 eine slawische „Herdstelle“ entdeckt. Die Herdstelle war eine flachkesselige Vertiefung von 50 cm Durchmesser, die von hartgebranntem Lehm ausgekleidet war. Die ganze Fundstelle war 1,5 m lang und 1 m breit. Sie ist ursprünglich grö-ßer gewesen, durch den Steinbruchbetrieb ist ihr östlicher Teil abgetragen worden.“59

Es handelt sich dabei offensichtlich um eine technische Einrichtung in einer Siedlung.

In der Flur Ölsen (s. o.) wurden 1927 vierzehn „dunkle Erdstellen“ in Abständen von 5 bis 6 m in „Kessel- und Rechteckform“ bis 1,5 m tief entdeckt. Sie gehören offensichtlich zu einer slawischen Siedlung. Da keine Maßangaben vorliegen, ist eine Deutung schwer möglich.

Die anderen als Siedlungsfunde gedeuteten Fundstellen bestehen aus Keramikfunden ohne Befunde.

H.-J. Vogt gibt im Corpus für Heukendorf, Ot. von Wintersdorf, an, dass dort 1938 63 „Ab-fallgruben“ gefunden wurden. Bei den Fundstücken handelt es sich um band- und schnur-keramische sowie altslawische Gegenstände. Welche Funde zu welchen Gruben gehören, ist offensichtlich nicht bekannt.60

1970 wurden in Knau, Ot. von Zetscha, bei einer Exkursion durch den damaligen Leiter des Altenburger Museums, den Archäologen Peter Weise, rechteckige Grubenverfärbungen in Leitungsgräben erkannt. Sie waren diagonal geschnitten und hatten eine Seitenlänge von 1,7 m und eine Tiefe von 0,5 m. Daneben waren mehrere Gruben. Dabei handelt es sich offensichtlich um slawische Hausbefunde, die Vogt in das 10.–11. Jahrhundert datiert.61

1992 wurde, beginnend nordöstlich von Altenburg, eine Trasse in südlicher Richtung quer durch das Altenburger Land vorangetrieben, bei der mehrere archäologische Fundstellen an-geschnitten wurden. Westlich von Altenburg querte diese Trasse die Blaue Flut nahe der Orts-lage Kosma-Kürbitz, heute zur Stadt Altenburg gehörig. Dort liegt nördlich über dem Bach ein leicht nach Süden hin zum Bach geneigter Hang. Unmittelbar östlich anschließend befindet sich ein kleiner Nebenbach, der zumindest heute einen kleinen Teich bildet. Auf dieser Fläche wurde durch die Trasse eine slawische Fundstelle angeschnitten, die allerdings nur im Tras-senbereich untersucht werden konnte.62

Die geborgene Keramik datiert die Siedlung hauptsächlich in das 10. Jahrhundert. Ein Be-ginn im 9. Jahrhundert ist möglich, das 11. Jahrhundert wird kaum erreicht worden sein. Im Trassengraben zeigte sich ein eingetieftes Haus, das so weit zerstört war, dass seine Maße nicht mehr vollständig rekonstruiert werden konnten. Anschließende mehrfache Prospektion der Fundstelle, bei der keramische Oberflächenfunde erkannt werden konnten, die das Ausmaß der Siedlung zumindest nach drei Seiten aufzeigen, lassen einen kleinen Weiler erkennen.63Dieser wurde spätestens zu Beginn des 11. Jahrhunderts aufgegeben. Der folgende Ort Kür-bitz befindet sich wenige hundert Meter bachabwärts. Im Bosauer Zehntverzeichnis 1181/1214 wird in Curbiz ein „dominicale domini regis“ genannt.64 Nach Lage, keramischem Material und möglichem Ausmaß ist diese slawische Siedlung mit der im Folgenden zu behandelnden, wenige Kilometer bachaufwärts gelegenen von Altkirchen zu vergleichen.

1995 wurde im Ort Altkirchen begonnen, das Gelände für eine Wohnsiedlung vorzuberei-ten. Bei einer Prospektion wurden Verfärbungen und slawische Keramik gefunden.

Die 1996/97 erfolgte archäologische Untersuchung erbrachte eine slawische Siedlung, deren Rand auf drei Seiten erreicht wurde. Lediglich in östlicher Richtung konnte das Ende nicht er-fasst werden, da sich hier ein bebautes Gelände befindet. Zwischen den slawischen Funden und Befunden lagen auch urgeschichtliche.

Auch diese Siedlung befindet sich auf einem leicht nach Süden geneigten Gelände über ei-nem Bach zwischen diesem und der Einmündung eines zu ihm entwässernden Nebenbaches.

Die keramischen Funde weisen auch hier auf einen Schwerpunkt im 10. Jahrhundert hin. Der Beginn liegt wohl schon im 9. Jahrhundert, das 11. wird in seinem Beginn erreicht.

Die später unter deutscher Herrschaft errichteten Orte mit slawischen Ortsnamen, die heute zum Ort Altkirchen zusammengefasst sind, liegen unweit der slawischen Siedlung. Auf Alt-kirchen ist im nächsten Kapitel ausführlich zurückzukommen.

Die Befunde und Funde befinden sich insgesamt noch in der Auswertung. Zwei Hausbefun-de mit dem zugehörigen Fundmaterial wurden in einer studentischen Arbeit an der Friedrich-Schiller-Universität vorgestellt.65

Abb. 20: Die Fundstelle von Altkirchen (Kraleva)

Neben der Keramik gehören zu den Funden Bruchstücke der Lehmwände mit Abdrücken, Steine von Herdstellen, zahlreiche Tierknochen und wenige Knochenwerkzeuge. Metall und Holz, für deren Erhalt der Boden schlecht geeignet ist, konnten nicht gefunden werden. Die Befunde hoben sich relativ gut im Boden ab.

Ein Teil der Befunde kann als Häuser mit Herdstellen und zugehörigen technischen Gruben interpretiert werden. Die Hausbefunde gehören zu verschiedenen Haustypen. Obwohl keine Stratigrafie herausgearbeitet werden konnte, zeigen diese das gleichzeitige Nebeneinander un-terschiedlicher Haustypen. Gehöftstrukturen zeichnen sich nicht ab.

129

Es muss davon ausgegangen werden, dass es sich um einen kleinen Weiler mit Einzelhäusern gehandelt hat, zu denen weitere wirtschaftlich-technische Anlagen gehörten. Die Funde wei-sen auf landwirtschaftliche Produktion mit Ackerbau und Viehhaltung hin.

Da im Umfeld nicht gegraben werden konnte, zeichneten sich keine Objekte für die von den Bächen unabhängige Wasserversorgung der Siedlung ab. Auch hier wurde der zur Siedlung gehörige Bestattungsplatz, der weitere detaillierte Aufschlüsse zur Siedlung erbringen würde, noch nicht gefunden.

Bei der seit dem Jahr 2000 gebauten Ortsumgehung von Altenburg wurde 2001 am östli-chen Stadtrand nahe der Ortschaft Münsa eine slawische Siedlung erfasst, die durch die Stadt-archäologie Altenburg archäologisch untersucht werden konnte.

Noch heute befindet sich hier eine gefasste Quelle, deren Rohrleitungen in ein Gehöft von Münsa führen. Die Auswertung der Funde und Befunde der Ausgrabung befindet sich auch hier noch in Arbeit.

Im Gegensatz zur Mehrheit der slawischen Siedlungen im Altenburger Land endet diese offen-sichtlich nicht abrupt zum Ende des 10. Jahrhunderts. Das keramische Material ist spätslawisch und weist bis in das 11. Jahrhundert. Neben der Keramik wurden auch hier zahlreiche Tierkno-chen geborgen, die noch nicht untersucht werden konnten. Sie deuten auf Landwirtschaft hin.

Auch diese Siedlung befand sich auf einem leicht nach Südosten geneigten Hang. Sie lag offensichtlich ursprünglich oberhalb eines kleinen Feuchtgebietes oder Sees. Herausragendes Objekt war eine in Holzverschalung gefasste Quelle, die als Wasserentnahmestelle genutzt wurde. Ein klassischer Brunnen war hier nicht nötig, da die heute noch vorhandene Quelle auch weiterhin reichlich sprudelt.

Karlheinz Hengst untersucht im Zusammenhang mit einer soziologischen Auswertung des Namengutes des Bosauer Zehntverzeichnisses von um 1200, auf das noch ausführlicher zu-rückzukommen ist, das Alter der hier genannten slawischen Ortsnamen und damit der Sied-lungen. Er stellt anhand von Natur- und Kulturnamen eine Kernzone der slawischen Besied-lung fest:

Slaw. Siedlung – spät, 10.–12.Jh.Slaw. Siedlung – früh, 8.–9.Jh.

Einzelfunde, wohl Siedlung

Burg, 8.–11.Jh.

Burg, vermutlich

Einzelfunde, wohl Siedlung

Grenzziehung Lkr. Altenburger LandZusammenhängende WälderGraphik: Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie nach Vorlage P. Sachenbacher. Karte derslawischen Besiedlung des Altenburger Landes Altenburg Abb. 21: Die slawische Besiedlung des Altenburger Landes

(modifiziert nach Sachenbacher)

Die zweite Etappe setzt er in das „9./10. Jhd.?“, die dritte Etappe sieht er „in Verbindung mit der deutschen Siedel- und Rodungstätigkeit“. Die Etappen können im Wesentlichen in Übereinstimmung gebracht werden mit der zeitlichen Einordnung slawischer Fund-stellen.

Wenn aber gleichzeitig zu konstatieren ist, dass die meisten slawischen Siedlungen abrupt gegen Ende des 10. bzw. zu Beginn des 11. Jahrhunderts abbrechen, was in ganz offensichtlichem Zusammenhang zu der deutschen Landnahme steht, und dass die im Bosauer Zehntverzeichnis aufgeführten Orte, die noch heute bestehen, in der Nachbar-schaft der slawischen Siedlungen liegen, erlaubt das einen interessanten Schluss. Wenn wir den Feststellungen von Karlheinz Hengst zum Alter der Ortsnamen folgen, muss das bedeuten, dass es sich zumindest bei einer bestimmten Anzahl von Ortsnamen um Namen ursprünglicher slawischer Siedlungen handeln muss, die dann auf die „Neugründungen“ übertragen wurden.

Eine Lösung dieses Problems könnten nur großflächige archäologische Untersuchungen von Wüstungen mit slawischen Ortsnamen in den von K. Hengst herausgearbeiteten ersten zwei Etappen bringen.

II.4 Die slawische Besiedlung Geras und des nördlichen Vogtlandes

Die ersten wissenschaftlichen Beschäftigungen mit der slawischen Besiedlung des heutigen Geras und des nördlichen Vogtlandes beginnen bereits im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Sie sind verbunden mit der Tätigkeit des Vogtländischen Altertumsforschenden Vereins zu Hohenleuben und der Arbeit von Julius Schmidt. Der Verein hat sich von Anfang an auch mit der Geschichte der Slawen in seinem Arbeitsgebiet und den archäologischen Zeugnissen der slawischen Besiedlung beschäftigt. Vor allem aber waren es die Ortsnamen des Gebietes, die die Aufmerksamkeit auf die Existenz von Slawen lenkten.

Die Bodendenkmalpfleger und Heimatforscher Robert Eisel und Bruno Brause legten in Ar-tikeln, Berichten und Manuskripten ihre Erkenntnisse zur slawischen Besiedlung Geras und des nördlichen Vogtlandes dar.

In den zusammenhängenden Publikationen zur Stadtgeschichte aus der Feder von Ferdi-nand Hahn (1855) und Ernst Kretzschmer (1925) wird auch auf die slawische Besiedlung ein-gegangen.67

Der ehemalige Geraer Museumsdirektor Alfred Auerbach, der zuvor schon in Artikeln ein-zelne Fundplätze, Funde und Befunde auch zu den Slawen vorgelegt hat, veröffentlicht 1930 sein Hauptwerk Die vor- und frühgeschichtlichen Altertümer Ostthüringens .68

Gegliedert nach den damaligen Kreisen legt er die bis dahin bekannten Fundstellen und archäologischen Denkmale dar und belegt diese mit Literaturangaben. Seine „Karte V. Slavi-sche Zeit“ gibt einen anschaulichen Überblick über das damals bekannte Wissen.

WeißenfelsZeitzCamburg

Naumburg

Apolda

WeimarEisenberg

GeraJena

Altenburg

Ronneburg

Glauchau

WeidaRoda Saale Elste r Mu lde Pl eiß e Roda Orl a Au ma We ida Saal e Göltz sch W eiss e Elste r P R E U S S E N

Meerape

Zwickau

Greiz

Reichenbach

Plauen

ZeulenrodaSchleiz

Kahla

Rudolstadt

Lobenstein

Rößneck

Saalfeld SACHSEN Ilm Slawische Funde in Ostthüringen Entworfen von Alfred Auerbach.57494644553413182317192831242138414239585122432745305054473225810965111226 144373629154053525648333526a2016203127GrabfundeAnsiedlungs-und Einzelfunde

Abb. 22: Slawische Funde in Ostthüringen nach Auerbach

(Auerbach 1930, Karte V) Auf der dem Werk beigegebenen Fototafel IX stellt er „Slavische Scherben von Gera-Unterm-haus, Schafwiesen“ als besonders markante Funde vor.

Abb. 23: Gera-Untermhaus mit 1 Osterstein, 2 Häselburg in Gera,

3 Siedlung Schafwiesen (Kraleva)

Für den damaligen Stadt- und Landkreis Gera führt er 33 Fundstellen auf, von denen drei heute außerhalb des Stadtgebietes im Landkreis Greiz, allerdings nahe der Kreisgrenze liegen.Diese Fundstellen umfassen:

– 18 Grabfunde/Gräberfelder

134

– 7 Siedlungsfunde

– 6 Einzelfunde, die in zwei Fällen einen Siedlungsfund wahrscheinlich machen. (zwei angeblich slawische Fundstellen wurden nicht in die Gliederung aufgenommen)Die Fundstellen sind den Erkenntnissen der Zeit gemäß allerdings oft nur durch Indizien, die auf Slawen hinweisen könnten, belegt. Das trifft vor allem auf die zahlreichen Grabfunde zu.

Damit zeichnet Auerbach 1930 ein vom Altenburger Land völlig verschiedenes Bild des Ver-hältnisses von slawischen Grab- zu Siedlungsfunden.

Die Fundstelle Wünschendorf – ein Grabfund – ist die südlichste von Auerbach verzeichnete slawische im Arbeitsgebiet – heute im Landkreis Greiz gelegen. An diesem Bild hat sich bis heute nichts geändert.

1932 veröffentlicht Alfred Auerbach in den Hohenleubener Jahresberichten seine „Übersicht über die Vor- und Frühgeschichte Ostthüringens … auch aus der Erwägung heraus, daß die unaufhaltsam fortschreitende Vorgeschichtsforschung unablässig neue Funde zu Tage fördert und auf sie gestützt, neue Probleme zur Lösung stellt …“69

Er gliedert seine Arbeit nach Zeitstufen. Die „Slawenzeit“ rechnet er von 600 bis 1100. Die-sem Kapitel lässt er eine allgemeine Übersicht „Burgwälle“ folgen, bevor er zum Kapitel „Früh-deutsche Zeit. Von 1100 bis 1350 n. Ch.“ kommt.70

Nach einer Übersicht zu den Slawen im Allgemeinen und in Ostthüringen zwischen dem Altenburger Land und der Saale im Speziellen schildert er aus seiner Sicht deren Siedlungs-weise und Wirtschaft, die er für weniger entwickelt als diejenige der Germanen erachtet. Dabei stützt er sich im Wesentlichen auf die Fundplätze aus seinem Übersichtswerk von 1930.

Zusammenfassend schreibt er zur Archäologie der Slawen in Ostthüringen vorsichtig:Im Kapitel „Burgwälle“, in dem er sowohl die urgeschichtlichen als auch die mittelalterlichen Anlagen behandelt und das an dieser Stelle chronologisch deplatziert erscheint, geht er auch ganz allgemein und vorsichtig auf die Anlagen ein, die er den Slawen zuschreibt. Ihre Funk-tion sieht er vielfältig: Er erkennt in ihnen Verteidigungs- und Kultobjekte sowie Anlagen zur Sicherung von Straßen.

Die ihm bekannten Anlagen – seiner Meinung nach sind es in Ostthüringen 151 – ordnet er nach Abschnitts- und Rundwällen. Unter diesem Aspekt führt er zahlreiche Anlagen auf, ohne im Einzelnen auf deren Chronologie einzugehen.

Heinrich Rempel führt in seiner Übersicht zu den Reihengräberfriedhöfen 1966 im Stadt- und Landkreis Gera 12 Friedhöfe/Grabfunde auf.73

Gegenüber Auerbach 1930 sind bis dahin zwei neue Fundstellen hinzugekommen. 3 Fund-stellen von Auerbach gliedert er mit der Bemerkung „Friedhöfe mit nicht näher bestimmba-ren Beigaben“ aus, eine mit der Bemerkung „Friedhöfe mit Funden fraglicher Zugehörigkeit“, eine mit „Friedhöfe mit jüngerem Inventar“, eine mit „Angebliche Grabfunde, als solche nicht nachweisbar“ und eine weitere mit „Friedhöfe ohne Beigaben“.74

1936 untersucht Gotthard Neumann (Jena) beim Verlegen der Straße von Gera nach Lan-genberg einen Friedhof mit 18 Gräbern und Spuren von 2 weiteren.75

Wichtige neue Erkenntnisse zu den Slawen im Gebiet um Gera – vor allem zu ihrem Haus-bau – erbringt erst wieder eine Grabung von Sigrid Dusek 1963/64 in Gera-Tinz, als dort eine größere Zahl kaiserzeitlicher Rennöfen zutage tritt. Auf dem Gelände befand sich eine slawi-sche Siedlung, die dabei angeschnitten wurde.76 Auch die zahlreichen archäologischen Unter-suchungen im Zusammenhang mit mehr oder weniger großen Bauvorhaben nach 1989 zeitig-ten keine größeren slawischen Fundstellen. Lediglich Untersuchungen auf Schloss Osterstein über der Weißen Elster im Stadtteil Gera-Untermhaus erbrachten in den jeweils untersten Schichten slawische Keramik.

Karlheinz Hengst legt 2010 eine Studie unter dem Titel „Gera-Gau und nördliches Vogtland aus sprachhistorischer Sicht“ vor, die auf einem 2007 gehaltenen Vortrag beruht.77 Anhand einer Analyse der slawischen Ortsnamen im Gera-Gau unternimmt er den Versuch, diese in zeitlich unterschiedliche Gruppen einzuteilen. Dabei kommt er zu dem Schluss: „Direkte zeit-liche Angaben zum Zeitraum der Bildung der slaw. ON lassen sich nur bedingt formulieren. Doch eine gewisse chronologische Abfolge mit groben zeitlichen Zuordnungen ist durchaus möglich … So lassen sich etwa vier Etappen herausschälen.“78

Eine erste Gruppe, die seiner Meinung nach spätestens im 8. Jahrhundert beginnt, befindet sich im Tal der Weißen Elster. Eine zweite Gruppe schließt sich in westlicher und östlicher Richtung an das Elstertal bis in Höhenlagen von ca. 250m an. Diese Gruppe kann nach Hengst im 8. Jahrhundert eingesetzt haben, „aber auch erst im 9. bis 10. Jh. erfolgt sein“. Eine dritte Gruppe, die sich vor allem in östliche Richtung anschließt, erfasst vom 9. bis 11. Jahrhundert die Höhen über 250m. Eine vierte Gruppe mit Mischnamen gehört schließlich in das 12. Jahr-hundert.

Diese von Karlheinz Hengst erarbeiteten, eine chronologische Abfolge markierenden Grup-pen von Ortsnamen bieten die Möglichkeit eines interessanten Vergleichs mit den archäo-logisch erfassten slawischen Fundstellen. Die erste Gruppe, die K. Hengst als älteste heraus-gearbeitet hat, deckt sich in ihrer Verbreitung weitgehend mit den slawischen Fundstellen, die nach unseren neuen Erkenntnissen frühestens im 8. Jahrhundert beginnen.

Die weiteren Gruppen können mit Ausnahme eines slawischen Friedhofes bei Collis nicht mehr durch slawische Fundstellen belegt werden. Selbst wenn man bedenken muss, dass es sich um geschlossene Ortslagen handelt, wo archäologische Fundstellen nur bedingt aufge-deckt werden, weist der Vergleich mit den benachbarten Gebieten darauf hin, dass diese sla-wischen Orte wohl eher aus der Zeit des Landesausbaus unter deutscher Herrschaft ab dem Ende des 10. Jahrhunderts stammen. Ungeachtet dessen bietet der Ansatz von K. Hengst die Möglichkeit einer chronologischen Einordnung des Voranschreitens des Landesausbaus im Geragau bei Korrektur des zeitlichen Ansatzes nach oben.

In der Folge widmet sich Karlheinz Hengst den slawischen Ortsnamen im nördlichen Vogt-land zwischen Wünschendorf und Greiz. Er stellt fest: „Die Anzahl der slaw. ON mit Hin-weis auf frühe slaw. Ansiedlungen ist deutlich geringer als im Gera-Gau … Offensichtlich sind zahlreiche slaw. Namen erst in der Zeit des deutsch-herrschaftlich geleiteten Landesausbaus von Slawen gebildet worden.“79 Diese anhand der Ortsnamen getroffene Feststellung von K. Hengst deckt sich auffällig mit den Erkenntnissen der Archäologie. Auf seine weiteren Aus-führungen ist im nächsten Kapitel einzugehen, da sie sich auf slawische Orts- und Flurnamen unter deutscher Herrschaft beziehen. II.4.1 Slawische Burgen/Wehranlagen um Gera und im nördlichen Vogtland

Bei mehreren Burgen/Wallanlagen um Gera wird vor allem von der Heimatforschung bzw. von ehrenamtlichen Bodendenkmalpflegern auch von Funden slawischer Keramik be-richtet, so z. B. von der Naulitzer und Dornaer Schanze, von Schloss Osterstein oder der sogenannten „Häselburg“ im Südwesten der mittelalterlichen Stadtanlage von Gera. Das archäologische Material dieser Fundstellen befindet sich im Magazin des Geraer Stadtmu-seums.

Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand ist lediglich von einer ursprünglichen slawischen

Burganlage auszugehen, die sich auf dem Gelände des späteren Schlosses Osterstein befand.

Bei der Häselburg ist es wahrscheinlicher – darauf ist zurückzukommen –, dass sich hier eine slawische Siedlung befand, die aufgrund ihrer Nähe zur späteren Stadtburg als Burg be-zeichnet wurde.

Kleinere Anlagen, wie die Naulitzer Schanze, wurden zu einer Zeit errichtet, als das Gebiet um Gera bereits unter deutscher Herrschaft stand. Die slawische Keramik ist hier als Zeugnis für den Anteil der Slawen am deutschrechtlichen Landesausbau, von dem auch der Ortsname stammt, anzusehen.

Hahn 1855 geht generell davon aus, dass Gera und seine nächste Umgebung, die während der Völkerwanderungszeit von den Germanen verlassen worden waren, ab dem Anfang des 6. Jahrhunderts von Ackerbau betreibenden Slawen besiedelt wurden. Davon zeugen seiner Meinung nach die slawischen Ortsnamen um Gera. Gera leitet er nach seinem Kenntnisstand vom slawischen Gora-Berg ab. Eine slawische Burg vermutet er auf dem Gelände der „Häsel-burg“.80 Der Hainberg trug seiner Meinung nach eine slawische Kultstätte.81

Die Häselburg soll, wie eine Reihe anderer Burgen zwischen Elster und Saale (u. a. Weida, Greiz, Schleiz), im 9. Jahrhundert von den Franken zerstört worden sein. Im 10. Jahrhundert wurde dann von den Vögten ein neues Schloss erbaut.

Die Entstehung von Osterstein, mit dessen ältester Geschichte sich Hahn in seinem Werk beschäftigt, setzt er nicht in slawische Zeit.82

Ernst Paul Kretschmer vermutet in seiner „Geschichte der Stadt Gera und ihrer nächsten Umgebung“ 1926 zwar „in der Wallburg des Ostersteins eine der ältesten Befestigungsanlagen unserer Gegend aus vorgeschichtlicher Zeit“, aber keine slawische Burg.83

Auch Auerbach, der die Wallanlagen von Osterstein schildert, hat 1930 noch keine Kenntnis von slawischen Funden. Ihm sind lediglich „kleine Hufeisen, eine Eisenaxt … und einmal auch auf einer Schloßterrasse Brakteaten“ bekannt.84

Schon ab Ende der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts aber wurde vom Gelände des Schlosses Osterstein durch Lesefunde neben spätbronzezeitlicher auch slawische Keramik geborgen, die sich im Magazin des Stadtmuseums befindet. Sie kann grob in das 9. bis 11. Jahrhundert datiert werden.

1938 berichtet der verdienstvolle Geraer Heimatforscher und Bodendenkmalpfleger Bruno Brause von Funden slawischer Keramik auf dem Gelände von Osterstein und vom Osthang des Berges.85 Er ist allerdings der Meinung, dass diese Keramik nicht von einer Burg der Slawen zeugt. „Wohl aber sind diese es gewesen, die unter dem Befehl der frühdeutschen Kriegsman-nen diese Wallburgen erbauen mußten und mit zu verteidigen halfen.“86

Gerhard Mildenberger, der offensichtlich eine spätbronzezeitliche und slawische Burganlage auf dem Hainberg vermutet, drückt sich allerdings vorsichtig aus: „Die Wallanlage dürfte in ihrer letzten Form hochma. sein; ob ihre Anfänge in slawische oder gar in vorgesch. Zeit zu-rückgehen, läßt sich ohne Grabungen nicht entscheiden.“87

Grabungen, die seit 1997 in mehr oder weniger großen Abständen und unterschiedlichem Umfang auf dem Schlossgelände durchgeführt werden, erbrachten in dem dem Schloss nörd-lich vorgelagerten Lustgarten auf dem gewachsenen Boden in ca. 4 m Tiefe und im Unteren Schlosshof ebenfalls über dem gewachsenen Boden in ca. 6 m Tiefe wenige, auch slawische Keramikscherben. Die Grabungsbedingungen erlaubten es nicht, in dieser Tiefe ein größeres Gelände freizulegen, so dass zu der Keramik keine Befunde aufgedeckt werden konnten.88

Die Topografie der Anlage, weitere Lesefunde und schließlich mehrere Wall- und Graben-anlagen lassen den eindeutigen Schluss zu, dass die Vermutung, dass sich hier bereits in slawi-scher Zeit eine Burganlage befunden hat, den Tatsachen entspricht. Leider wurden im Bereich der sich südlich der späteren Schlossanlage befindlichen Wälle und Gräben noch keine syste-matischen archäologischen Untersuchungen durchgeführt. So kann bis heute nicht entschie-den werden, welche der Wälle und Gräben aus welcher Zeit stammen bzw. zu welcher Zeit sie im Einzelnen errichtet oder ausgebaut wurden.

Abb. 24: Schema der möglichen Struktur der slawischen Burg auf dem Osterstein.

Nach dem Plan von B. Brause 1937 – Brause/Sachenbacher

Das gilt auch für die Größe der Anlage insgesamt. Da aber von den weit südlich befindlichen Wällen bis zur Nordspitze der Anlage inzwischen slawische Keramikfunde vorliegen, ist an-zunehmen, dass die slawische Burganlage dieses gesamte Gelände einschloss und mehrfach gegliedert war. Es handelte sich wohl um eine Hauptburg mit einer oder mehreren Vorburg-anlagen.

So, wie auch bei den slawischen Anlagen auf dem Altenburger Schlossberg und den Paditzer Schanzen, gehen den mittelalterlichen Burganlagen Befestigungen der Urnenfelderzeit vor-aus.89

Ob zur Burganlage auf dem Hainberg eine Siedlung unterhalb der Burg gehörte, kann nach dem gegenwärtigen Forschungsstand noch nicht geklärt werden.

Die Lage der Burg und der gleichzeitig bestehenden Siedlungen und Bestattungsplätze im Tal der Weißen Elster und ihren Seitentälern lässt den Schluss zu, dass es sich auch bei dieser Anlage wie derjenigen auf dem Altenburger Schlossberg um den Mittelpunkt einer slawischen Siedlungskammer/eines slawischen Burgbezirkes gehandelt hat. II.4.2 Slawische Friedhöfe/Grabanlagen um Gera und im nördlichen Vogtland

Die letzte zusammenhängende Aufnahme und Bearbeitung der slawischen Friedhöfe/Grab-anlagen im Gebiet um Gera und im nördlichen Vogtland erfolgte nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts durch Heinrich Rempel.90 Rempel vermerkt von der nördlichen Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt bis Wünschendorf  – wenig südlich der heutigen Geraer Stadtgrenze  – 12 Fundstellen mit Bestattungen. Bei den zu Zeiten von H. Rempel außerhalb des Geraer Stadt-gebietes gelegenen 3 Bestattungsstellen handelt es sich um die von Köstritz, OT Pohlis – heute unmittelbar an der Stadtgrenze gelegen – und von Collis, heute eingemeindet von Wünschen-dorf, wenige Kilometer südwestlich des Stadtgebietes. Sie können aus diesen Gründen dem Arbeitsgebiet zugerechnet werden.

Insgesamt ist also festzustellen, dass die Fundplätze mit slawischen bzw. wahrscheinlich slawischen Bestattungen vom Norden des Geraer Stadtgebietes bis lediglich wenig außerhalb seiner südlichen Grenze reichen. Mit dieser einen unsicheren Ausnahme existieren im gesam-ten nördlichen Vogtland zwischen Wünschendorf und südlich Greiz keine slawischen Bestat-tungsplätze.

Bei den Fundplätzen handelt es sich um 3 mit nur einer und 3 mit zwei festgestellten Bestat-tungen. An zwei Fundplätzen wurden 4 bzw. 9 Bestattungen geborgen. Hier ist von mehreren nicht geborgenen Gräbern auszugehen. Es handelt sich also in der Regel um Reihengräber-friedhöfe mit mehr als 10 Bestatteten.

Die Mehrheit der Bestattungen weisen Beigaben auf. Dort, wo es sich nur um einen bzw. wenige Tote handelt, wurden diese ausschließlich aufgrund der Lage und einzelner Beigaben als slawisch eingeordnet. Diese Vorgehensweise, die nur wenige Bestattungen betrifft, schließt im Einzelfall die Möglichkeit ethnischer Fehlinterpretation ein.

Das betrifft auch das Grab von Wünschendorf, das nur einen Fingerring als Beigabe ent-hält. Bauarbeiten in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts in der Nähe der Fundstelle, die archäologisch prospektiert wurden, erbrachten keine weiteren Gräber. Bis zu einer möglichen endgültigen Klärung kann diese Fundstelle nicht als klarer Beweis für eine slawische Besied-lung herangezogen werden. Es ist also davon auszugehen, dass die durch Grabfunde markierte slawische Besiedlung südlich nicht über das Geraer Stadtgebiet hinausreicht.

Die Mehrheit der als slawisch erkannten Friedhöfe/Gräber weist kleine Schläfenringe mit einem Durchmesser von ca. 1,5 cm als Beigaben auf. Das Spektrum der übrigen Beigaben, wie Messer und Schmuck, entspricht der Norm.

Das von G. Neumann 1936 ergrabene Grab 14 des Bestattungsplatzes Gera-Tinz enthielt eine Ge-fäßbeigabe. Der kleine, handgearbeitete Topf mit abgedrehtem Rand und einer Wellenlinie auf der Schulter „stand etwa 20 cm südwestlich von der rechten Ferse eines schlecht erhaltenen mensch-lichen Skelettes, das von Westen (Kopf) nach Osten ausgestreckt etwa 45 cm unter der Oberfläche auf dem Rücken lag und nach Süden schaute. Seine Geschlechtsbestimmung steht noch aus.“91

Neumann datiert dieses Gefäß an das Ende der mittelslawischen Zeit, die er von 700 bis 1000 rechnet. Auch die kleinen Schläfenringe von weiteren Friedhöfen datieren die Mehrzahl der in ihnen vorhandenen Bestattungen nicht vor das Ende des 9., eher in das 10. bis 11./12. Jahrhun-dert. Das ist als Indiz dafür zu werten, dass die slawische Besiedlung, die im 8./9. Jahrhundert beginnt, bis zum 11./12. Jahrhundert deutlich zunimmt.

Da eine wissenschaftliche Auswertung der slawischen Bestattungen von Gera auf moder-ner Grundlage aussteht, sind weitere siedlungsgeschichtliche Schlüsse bislang kaum möglich. Dazu kommt, dass die absolute Mehrzahl der Bestattungen nicht durch reguläre archäologi-sche Forschungen geborgen wurde. Lediglich das Gräberfeld von Gera-Tinz wurde, wie aus-geführt, durch Gotthard Neumann ausgegraben. Aber auch hier handelte es sich um eine Ret-tungs-, und nicht um eine Forschungsgrabung.

Von den 18 Gräbern enthielten 10 keine erkannten Beigaben. Dabei ist allerdings zu be-rücksichtigen, dass die Gräber relativ flach lagen und diejenigen, die keine Beigaben erkennen ließen, fünf defekte bzw. sehr defekte Skelette aufwiesen. 2 Gräber waren lediglich 30 cm ein-getieft, 9 lagen 40 bzw. 45 cm tief, die übrigen 50–60 cm. Die Tiefe von zwei von Laien geborge-nen Gräbern wurde nicht registriert. Diese enthielten auch keine Beigaben. Es konnten Spuren von weiteren 2 Gräbern erkannt werden, so dass sich die Gesamtzahl auf ca. 20 Gräber beläuft.

2 Gräber wiesen teilweise Steinpackungen auf. Bei einem Kindergrab wurde eine 86x44x25 cm betragende „Einfassung“ erkannt. Ob es sich dabei um einen hölzernen Sarg oder eine andere Konstruktion handelt, wurde nicht vermerkt.

Die Gräber enthielten in 4 Fällen Schmuck, 2 Eisenbruchstücke, 3 Messer und ein Gefäß.

Eines der Gräber mit Steinpackung enthielt Beigaben, das Grab mit „Einfassung“ keine. 3 Gräber wurden als Kindergräber erkannt. Eine Geschlechtsbestimmung der Erwachsenen-gräber ist allein anhand der Beigaben schwer möglich. Das Skelettmaterial wurde nicht anth-ropologisch bestimmt.

Abb. 25: Gefäß aus Grab 14 von Gera-Tinz (Rempel 1966, Tafel 77)

Das wahrscheinlich 24 Gräber enthaltende Gräberfeld von Gera-Pforten wurde so geborgen, dass exakte Schlussfolgerungen nicht möglich sind. Auch hier wurden Steinpackungen ver-merkt. Bei den registrierten Beigaben handelt es sich um die üblichen Schmuckgegenstände und Messer. Bei Grab 20 werden zusätzlich Eierschalenreste, „2 rohe Scherben“, „Rollstein-chen“, „Holzkohlenreste“ und „Brandknöchelchen“ aufgeführt.92 II.4.3 Slawische Siedlungen und Wirtschaft

Die bei Auerbach 1930 aufgeführten 7 slawischen Siedlungsfunde und weitere 2 Einzelfun-de, die auf Siedlungen schließen lassen, wurden unter Umständen erkannt bzw. geborgen, die keine wissenschaftliche Auswertung in Bezug auf Größe, Struktur und andere Faktoren der Siedlungen zulassen.

In den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden beim Bau der zeitgenössischen Sied-lung Schafwiesen im Stadtteil Gera-Untermhaus nördlich von Schloss Osterstein Spuren einer slawischen Siedlung entdeckt. Die Fundstelle befindet sich unweit des heutigen westlichen Ufers der Elster im Elsterkies in der Flussniederung.

Auerbach schildert 1932 Fundumstände, Funde und wenige Befunde folgendermaßen:

In seinem Überblickswerk bildet er auf Tafel IX einen Teil der Keramikscherben ab. Diese reichen von mittelslawischer Ware des 10./11. Jahrhunderts bis zu solcher des hochmittelalter-lichen Landesausbaus des 13. Jahrhunderts. Die Fundumstände lassen keine Schlussfolgerun-gen darauf zu, ob es sich hier ausnahmsweise um eine längere, kontinuierliche Besiedlung oder, was wahrscheinlicher ist, um mindestens zwei zeitlich folgende Siedlungen handelt.

Die Schilderung kann so gedeutet werden, dass es sich bei den slawischen Hausbauten um eingetiefte Häuser mit Flechtwerkwänden gehandelt hat. Bei den Tierknochen handelt es sich um Speiseabfälle, die Mühlsteinreste weisen auf haushandwerkliche Verarbeitung von Getrei-de hin.

1963 wurden bei umfangreicheren Bauarbeiten im Stadtteil Gera-Tinz zwischen Elster, Autobahn und Brahme eine kaiserzeitliche und eine slawische Fundstelle angeschnitten. Die Ausgrabung, die von Geraer Bodendenkmalpflegern durchgeführt wurde, stand unter der Lei-tung von S. Dusek. Umfangreicher vorgestellt wurden bisher nur die kaiserzeitlichen Befunde, bei denen es sich um Batterien von Rennöfen mit zugehörigen weiteren Bauten handelte. Die slawische Siedlung wurde, obwohl sie bis dahin für Ostthüringen einmalige Befunde erbrach-te, nur in kleineren Beiträgen teilweise vorgestellt und nicht umfassend ausgewertet.94 Das ist ein Desiderat der Forschung, das einer dringenden Aufarbeitung bedarf.

Abb. 26: Auswahl von Keramik von der Siedlung Gera-Schafwiesen (Auerbach 1930, Tafel IX)

145

Der slawische Horizont in einer Tiefe zwischen 50 und 70 cm erbrachte ca. 75 Befunde, die aufgrund der Keramik in das 9./10. Jahrhundert eingeordnet wurden. Langenberg Untermhaus Gera-StadtLeumitz Lusan Tinz D. S. Tinz D. S. D. S.

Abb. 27: Die slawischen Funde und Befunde aus dem Geraer Stadtgebiet (Sachenbacher)

146

Dieser Fundplatz lieferte eine Menge Keramik, die sich durch große Verzierungsvielfalt aus-zeichnet. Die Keramik entspricht vor allem der Form II z. T. auch der Form III von H. Rempel, sie dürfte also ins 9. und 10. Jahrhundert gehören.96

S. Dusek geht davon aus, dass es sich bei den Hausbauten von Gera-Tinz um ebenerdige Blockbauten und Pfostenbauten handelt.97 Die Siedlung befindet sich unweit des 1936 durch Neumann ausgegrabenen Gräberfeldes.98 Da noch keine wissenschaftliche Auswertung der Siedlungsbefunde von Gera-Tinz vorliegt, kann nur vermutet werden, dass es sich auch hier um einen kleinen Weiler gehandelt hat, der über einen längeren Zeitraum strukturellen Ver-änderungen unterworfen war.

Die slawischen Fundstellen im heutigen Stadtgebiet von Gera orientieren sich an der Weißen Elster.

II.5 Die slawische Besiedlung des späteren Orlagaues

Diese Lücke kann auch der Aufsatz von Heinrich Rempel „Saalfeld und der Orlagau in früh-geschichtlicher Zeit“ nicht schließen, der auf knapp 30 Seiten mit mehreren Abbildungen und Karten eine grundsätzliche Einführung in die Entwicklung des Territoriums von der späten Völkerwanderungszeit bis zum Beginn des hohen Mittelalters gibt, die die slawische Besied-lung einschließt.101

Die von Kaufmann zur Vorgeschichte aufgeführte Forschungsgeschichte trifft in wesent-lichen Punkten auch für das Mittelalter zu.102 Auch hier beginnt die Beschäftigung mit den archäologischen und anderen Zeugnissen der slawischen Besiedlung mit der Tätigkeit des Vogtländischen Altertumsforschenden Vereins zu Hohenleuben im ersten Drittel des 19. Jahr-hunderts, der auch den Orlagau zu seinem Arbeitsgebiet zählte.

Alfred Wandsleb stellt in seiner Arbeit Die deutsche Kolonisation des Orlagaues , auf die im nächsten Kapitel umfassender zurückzukommen ist, das erste Kapitel unter die Überschrift „I. Das Land vor und während der Slavenzeit“.103

Die slawische Besiedlung rekonstruiert er anhand der slawischen Ortsnamen. Auf dieser Grundlage unterscheidet er drei Territorien:

Das Ergebnis seiner Untersuchung zur slawischen Besiedlung des Orlagaues fasst er folgender-maßen zusammen:

Da Alfred Auerbach in seinem Überblickswerk 1930 auch das Gebiet Thüringens östlich der Saale behandelt, erfasst er mit den damaligen Kreisen Rudolstadt, Saalfeld, Schleiz und Zie-genrück weite Teile des Orlagaues. Auch der damalige Landkreis Gera reichte in dieses Gebiet hinein.106

Auerbach nennt in diesem Territorium 14 slawische Fundstellen. Bei diesen handelt es sich um 10 Gräber/Friedhöfe, 1 Siedlung und 3 Einzelfunde von Keramik. Bei einem Teil dieser Fundstellen ist er sich allerdings nicht sicher, ob es sich tatsächlich um slawische handelt.

Für den in das Orlatal bis westlich Neustadt/a. O. reichenden Teil des Landkreises Gera führt er keine slawische Fundstelle an, für die damaligen Kreise Schleiz und Ziegenrück je 4, für den Kreis Saalfeld 5 und für den Kreis Rudolstadt 1 – für die Kreise Saalfeld und Rudolstadt hat er entsprechend seiner Abgrenzung nur die Fundstellen östlich der Saale erfasst.

Die Fundstellen westlich der Saale waren bereits 1909 von Götze/Höfer/Zschiesche mitbe-handelt worden.107 Entsprechend der Gebietseinteilung 1909 erfassten Götze/Höfer/Zschiesche auch die zu ihrer Zeit bekannten wenigen slawischen Fundstellen in den damaligen Kreisen Neustadt a. Orla, Saalfeld, Rudolstadt und Ziegenrück. Dabei beriefen sie sich meist auf Regels Arbeit von 1894.108

Heinrich Rempel führt für den Kreis Pößneck 9 Friedhöfe an, für den Kreis Rudolstadt 11 und für den Kreis Schleiz 1. Die drei bei Auerbach für den Kreis Saalfeld aufgeführten Grab-funde tauchen bei Rempel nicht auf, weil zwei der Fundstellen 1966 inzwischen zum Kreis Pößneck gehören und es sich bei einer Fundstelle ganz offensichtlich nicht um slawische Be-stattungen handelt.

Seit 1990 sind mehrere neue Fundstellen mit slawischer Keramik hinzugekommen. Dabei ist bei den Funden von Burg Ranis und von einer kleinen Burganlage bei Weltwitz davon aus-zugehen, dass hier, worauf im nächsten Kapitel zurückzukommen ist, die slawische Keramik nicht eine ursprünglich slawische Besiedlung/Burg markiert, sondern den Anteil der Slawen am mittelalterlichen Landesausbau im Orlagau unter deutscher Herrschaft. Das betrifft natür-lich auch einen Teil der als slawisch eingestuften Friedhöfe, da dieses Gebiet auch östlich der Saale wesentlich eher als das Gebiet um Gera oder der Pleißengau unter deutsche Herrschaft gekommen ist.

1959 legen R. Fischer und K. Elbracht Die Ortsnamen des Kreises Rudolstadt vor.109 Wenn sie davon ausgehen, dass eine Reihe von Ortsnamen bis in die Zeit des Thüringer König-reiches zurückreichen, ist davon auszugehen, dass die Slawen bei ihrer Einwanderung in dieses Gebiet auf hier lebende Germanen gestoßen sind. Die beiderseitig lockere Besiedlung im frühen Mittelalter machte ein ungestörtes Nebeneinanderleben möglich. Fischer und Elbracht berufen sich auf eine Mitteilung von H. Rempel, wenn sie die ältesten slawischen Funde des Kreisgebietes in das 9. bis 10. Jahrhundert setzen. Sie nennen in diesem Zusam-menhang die Friedhöfe in Engerda, Kolkwitz, Röbschütz, Schaala und Sundremda und be-rufen sich auf Keramikfunde von Röbschütz, Volkstedt und Zeigerheim, die auf Siedlungen hinweisen.110

Dazu stellen sie fest: „Freie Slawen können noch im 9. Jh. eingewandert sein.“111

In ihrer Studie Slawische Flurnamen im Kreis Rudolstadt geben Heinz Deubler und Ernst Eich-ler zum Vergleich auch eine Übersicht über die slawischen Fundstellen im damaligen Kreis-gebiet.113

Ihr Verzeichnis enthält 13 Fundstellen. Bei den Fundstellen Rudolstadt und Volkstedt han-delt es sich offensichtlich um zwei getrennte Fundstellen (Gräberfeld und Siedlung). 11 Grä-bern stehen 3  Einzelfunde von Keramik gegenüber, die auf Siedlungen hindeuten. Beim Gräberfeld Volkstedt werden u. a. „eine Urne, ein Gefäß, Scherben von drei Gefäßen“ auf-geführt.114 Bei Rempel wird ein Gefäß „1 bauchiger Topf mit Zickzacklinie auf der Schulter, hellbraun-rötlich, mäßig hart gebrannt, handgemacht (unterhalb des rechten Unterschenkels), H.: 11,5 cm“ dem Grab 2 zugeordnet.115 Die „Urne“ und die weiteren Scherben führt Rempel nicht auf. Da ein Teil des Fundplatzes bei Bauarbeiten angeschnitten wurde, könnte es sich um Funde einer Siedlung handeln, die vom Gräberfeld angeschnitten wurde. Das von Rempel abgebildete Gefäß116 und die kleinen Schläfenringe deuten auf eine junge Zeitstellung – wohl 10./11. Jahrhundert – hin.

Der archäologische Nachweis von Slawen im 9. Jahrhundert in diesem Gebiet deckt sich mit den Nennungen von Slawen im Hersfelder Güterverzeichnis aus dem 9. Jahrhundert, dem Breviarium sancti Lulli, in den Orten Rudolstadt und Remda.117

Wir müssen nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand davon ausgehen, dass die Slawen erst zu Beginn des 9. Jahrhunderts in den späteren Orlagau eingewandert sind und zumindest in seinem westsaalischen Teil dort auf hier siedelnde Germanen trafen.

Da die Einwanderungsrichtung sowohl für das westsaalische als auch für das ostsaali-sche Gebiet die gleiche ist, gibt es keine Unterschiede in der Einwanderungszeit zwischen den Gebieten, die später zum Orlagau gehören, und denen, die sich außerhalb dessen be-fanden.

Das Verzeichnis der heute in den Landkreisen Saale-Orla-Kreis und Saalfeld-Rudolstadt aufgeführten Orte mit einer oder mehreren slawischen Fundstellen umfasst 30 Orte. Sie kon-zentrieren sich zum einen in einem breiten Streifen im Orlatal und im Tal der Kleinen Orla zwischen Neustadt a. O. und Saalfeld bzw. entlang der Saale nördlich von Saalfeld und westlich darüber in die Saale-Ilm-Platte hinausgreifend. Diese Fundstellen befinden sich teilweise nicht im späteren Orlagau. Sie sind trotzdem mit aufzuführen, da es diese Trennung zur Zeit ihrer Entstehung so noch nicht gab. Es handelt sich um zahlreiche Grab- und um wenige Siedlungs-funde.

Genuin slawische Burg- bzw. Wallanlagen gibt es in diesem Gebiet nicht. Die Gründe dafür liegen in der zeitig einsetzenden deutschen Herrschaft.

Von den 9 von Rempel im damaligen Kreis Pößneck aufgeführten Bestattungsplätzen wur-den lediglich 3 zumindest teilweise nach 1900 ergraben. 4 der Grabstellen weisen bis zu 4 Gräber auf, die anderen 5 wesentlich mehr Bestattungen. Wissenschaftlichen Ansprüchen genügt lediglich die Ausgrabung des Friedhofes von Dreitzsch 1936 durch Gotthard Neu-mann.

Der eine Bestattungsplatz im Kreis Schleiz (Göschitz) wurde im 19. Jahrhundert durch einen Steinbruch weitgehend zerstört. 1802 und 1913 wurden je 9 Skelette festgestellt. 1913 wurden weitere 2 Skelette durch Grabung geborgen. Beide Gräber besaßen Steinsetzungen. Eines der Gräber (Kindergrab) enthielt einen bronzenen Fingerring.

Von den 11 im damaligen Kreis Rudolstadt von Rempel bearbeiteten Bestattungsplätzen enthielten mindestens 4 über 20 Bestattungen. Bei einer Reihe weiterer Friedhöfe ist die genaue Zahl aufgrund der Bergungsbedingungen nicht mehr zu ermitteln. Auch die nach 1900 geborgenen Gräber stammen nicht aus archäologischen, wissenschaftlichen Grabun-gen. Bei der Mehrheit der Gräber werden typische Beigaben – Messer und Schmuck – ge-nannt.

2 Bestattungsplätze sind mit dem Flurnamen „Kommel/Kummel“ verbunden, der westlich der Saale mehrfach in Verbindung zu slawischen Bestattungsplätzen steht.118

1936 wurden beim Straßenbau bei Dreitzsch im Orlatal zwischen Neustadt a. O. und Triptis ein Urnengräberfeld der frühen Eisenzeit, ein bronzezeitlicher Hortfund und ein slawisches Körpergräberfeld angeschnitten. Dieses befindet sich auf dem „Schmerhügel“ ca. 900 m von der Kirche entfernt.

Die folgende Grabung wurde im Oktober/November durch Gotthard Neumann (Jena) durchgeführt. Rempel publiziert neben den Grabbeschreibungen auch einen Plan der Gräber und zahlreiche Abbildungen von Beigaben.119

Die Grabung erbrachte 79 sicher bestimmbare Gräber, ein wahrscheinliches Grab und Streufunde. Zwischen den Gräbern 20–22 befand sich am westlichen Rand des Gräberfeldes in größerer Tiefe ein Pferdeskelett mit einem unregelmäßigen Steinlager.

Das Skelettmaterial ist nicht anthropologisch untersucht. Bei den Grabbeschreibungen wer-den Kindergräber von den Gräbern Erwachsener unterschieden. Eine grobe Geschlechterbe-stimmung, die mit zahlreichen Fehlerquellen behaftet ist, kann anhand typischer Beigaben vorgenommen werden. Ein Teil der Gräber hat allerdings keine Beigaben.

Abb. 28: Der Bestattungsplatz von Dreitzsch mit Ort und Burg Weltwitz (Kraleva) 2012345 mN31452672891011121314151617181920212223242526272830293132333435363738394041424344454647484950515253 5455565758596061626364656667686970717273747576777879

Abb. 29: Plan des slawischen Gräberfeldes von Dreitzsch

(Rempel 1966, Abb. 20)

153

Ein auf dieser unsicheren Bestimmung basierendes Bild ergäbe 37 Männer-, 22 Frauen- und 23 Kindergräber. Die zahlenmäßige Differenz zu den 79 Gräbern ergibt sich aus Bestattun-gen von Kleinstkindern bzw. Föten in den Frauengräbern. Die erwähnten Fehlerquellen bei der Geschlechtsbestimmung der Erwachsenen führt zu einem unsicheren Bild im Verhältnis Frauen- zu Männerbestattungen. Es kann davon ausgegangen werden, dass ihre Anzahl in Wirklichkeit näher beieinander liegt.

Die meisten Gräber besitzen Steineinbauten, wenige haben Holzspuren. Die Steineinbau-ten sind sehr vielgestaltig und reichen von wenigen Steinen bis zu völligen Steineinfassungen. 30 Gräber zeigen keine Spuren von Steinen oder Holz, 8 davon sind allerdings gestört.

Die Tiefe der Gräber, auch die der Kindergräber, variiert erheblich und reicht von unter 30 bis zu 100 cm.

Ca. 50 % der Gräber haben sicher zugehörige Beigaben. Diese reichen von Schmuck und Be-kleidungsbestandteilen über Werkzeuge bis zu Tierknochen und Eierschalen.

In der „Füllerde“ von Grab 1 befand sich „1 Wandscherbe mit 3 je 6–8-zügigen Wellenbän-dern, v. (bedeutet: verloren, verschollen) Darüber Reste eines gestörten Kinder- und Erwach-senengrabes.“120 Die unklaren Bedingungen lassen keine sichere Zuordnung als Beigabe zu.

Im ca. 15 km abwärts der Orla entfernten Gräberfeld von Bodelwitz (Kiesgrube) befand sich „1 Schale (links neben der Lendengegend) mit ausladendem Rand und stark gewölbter Schulter, am Halse ein vierzügiges Wellenband, Standfläche schwach gewölbt mit Achsenabdruck, auf der Innenseite des Randes 2 tiefe Rillen, hellbraun-rötlich, hart gebrannt, H.: 9,0, D.: 21,8 cm.“121

Gefäßbeigaben bzw. Keramikscherben in jüngerslawischen Gräbern kommen auch in Thü-ringen östlich und westlich der Saale zwar selten vor, sind aber immer wieder zu registrieren. Sicher handelt es sich dabei nicht um reguläre Beigaben, sondern um Spuren eines Totenmahls am Grab während der Bestattung.

Rempel setzt das erwähnte Gefäß von Rudolstadt–Volkstedt in die Zeit nach 900, das Gefäß von Bodelwitz in die Zeit um oder nach 1000.122 Zu den ostsaalischen Friedhöfen im Orlagau hatte er 1961 geschrieben:

Abb. 30: Beigabenauswahl des Bestattungsplatzes von Dreitzsch

(Rempel 1966, Tafel 73)

155

Ethnisch ordnet er diese aus interdisziplinären Gründen den Slawen zu:

1990 wurde in Oberwellenborn ein slawisches Gräberfeld angeschnitten und teilweise gebor-gen. 2010 wurden hier weitere Gräber entdeckt und gegraben. Eine erste Publikation erfolgte 2012 durch Ines Spazier. Eine umfassende Publikation erschien2013.125

Das Gräberfeld befindet sich ca. 185 m südlich der Kirche von Oberwellenborn. Die Gräber waren in den hier anstehenden Zechstein eingetieft und besaßen meist Steinverkleidungen. Die im Prinzip W/O-orientierten Gräber enthielten sämtlich Beigaben.

Abb. 31: Bestattungsplatz von Oberwellenborn (Kraleva nach Spazier)

Bei diesem Gräberfeld handelt es sich offensichtlich um einen slawischen Bestattungsplatz, der dem Geist der Zeit folgend noch außerhalb des Ortes angelegt worden war. Der heutige Ortsname Wellenborn, der auf den Personenamen Willing in Verbindung mit -born (Quelle) zurückgeht, wird 1071 erstmals erwähnt.127

So, wie andere slawische Bestattungsplätze des Orlagaues auch, reicht der Friedhof von Ober-wellenborn in die Zeit des Landesausbaus unter deutschrechtlichen Verhältnissen, der im fol-genden Kapitel behandelt wird. Wenn er dennoch bereits hier vorgestellt wird, dann deshalb, weil es sich aus ethnischer Sicht um rein slawische Gräber handelt, die eine selbständige slawi-sche Bevölkerung mit möglicherweise eigenen Ministerialen aufzeigen. II.5.2 Slawische Siedlungen und Wirtschaft

Eine Reihe von slawischen Funden – vor allem von Keramik westlich und östlich der Saale im späteren Orlagau bzw. in seiner Nachbarschaft in den heutigen Kreisen Saale-Orla-Kreis und Landkreis Saalfeld-Rudolstadt – können Siedlungen zugeordnet werden. Bei den Auffin-dungsbedingungen handelt es sich aber nicht um moderne archäologische Untersuchungen. Im Zusammenhang mit bei Ausgrabungen an Burgen angetroffener slawischer Keramik, wie in Weltwitz, Ranis oder Saalfeld, ist davon auszugehen, dass sie keine Zeugnisse einer genuin slawischen Besiedlung darstellen, sondern den Anteil der Slawen am Burgenbau unter deut-scher Herrschaft markieren.

1993 wurden bei Bauarbeiten am Rande von Ludwigshof bei Ranis Spuren einer Siedlung angeschnitten, die daraufhin durch das Thüringische Landesamt für Denkmalpflege und Ar-chäologie weitgehend ausgegraben werden konnten.

Abb. 32: Lage der Siedlung von Ludwigshof 1 bei Ranis 2 mit Burg Stein 3 (Kraleva)

In westlicher Richtung wurde, wie auch neuere Lesefunde zeigen, der Rand der Siedlung nicht vollständig erreicht. Funde und Befunde der Ausgrabung wurden in einer Magisterarbeit am Institut für Prähistorische Archäologie der Universität Halle von Grit Hother (verh. Heßland) vorgestellt.128

Abb. 33: Die Befunde von Ludwigshof (modifiziert nach Hother/Heßland)

159

Die Fundstelle befindet sich ca. 1,75 km von Burg Ranis entfernt auf einer Terrasse über einem Bach. Die Funde, primär die Keramik, datieren die Befunde in das 9. bis 14. Jahrhundert. Die Bearbeiterin hält eine Einordnung einzelner Keramikscherben bereits in das 8./9. Jahrhundert für möglich. Da es sich dabei um längerlebige Keramik handelt, sollte der Beginn der Siedlung im Vergleich mit anderen Fundstellen des Orlagaues nicht vor die erste Hälfte des 9. Jahrhun-derts gesetzt werden. Die dazugehörige Keramik ist eine typisch slawische Ware.

Die Funde des 14. Jahrhunderts markieren das Ende der Siedlung in den Wüstungsprozes-sen dieses Jahrhunderts. Wenn diese Keramik üblicherweise als deutsch bezeichnet wird, muss das nicht automatisch einen Wechsel in der ethnischen Zugehörigkeit der Bewohner bedeuten, sondern ist wohl darauf zurückzuführen, dass sich zu diesem Zeitpunkt eine Keramik mit höherer Funktionalität durchgesetzt hatte, die dem Zeitgeist entsprach.

Die Grabung erbrachte auf einer Fläche von etwa 1000 m² 185 Befunde unterschiedlichster Form, Größe und damit auch Funktionalität.

Durch den Südteil der Siedlung zieht sich ein Spitzgraben wahrscheinlich frühen Ursprungs. Da er die Siedlung schneidet und in die Richtung des Baches weist, könnte er auch als Entwässerungs-graben gedient haben. Die älteren Befunde konzentrieren sich im Süden, die jüngeren im Norden.

Ein Teil kann als Häuser unterschiedlicher Bauweise mit weiteren zugehörigen Anlagen interpretiert werden. Diejenigen Befunde des 9./10. und 10./11. Jahrhunderts, die als Häuser bezeichnet werden können, ergeben drei über die gesamte Fläche reichende Konzentrationen. Bei den Häusern mit zugehörigen technischen Anlagen ist eine Deutung als offene Hofstellen nicht ausgeschlossen. Insgesamt handelt es sich aber auch hier eher um einen Weiler. Eine end-gültige Interpretation wird jedoch durch die Tatsache erschwert, dass nicht die gesamte Fläche der Siedlung ausgegraben werden konnte.

Weitere Funde neben der Keramik, wie z. B. Eisen-, Geweih- und Knochengeräte, Spinnwir-tel, Wetz- und Mahlsteine, Hufeisen und Messer, deuten auf die landwirtschaftliche Produktion ihrer Bewohner hin. Leider wurden auch hier innerhalb der Siedlung keine Produktionsstätten für die Dinge des täglichen Bedarfs gefunden, die als haushandwerkliche Produktionsstätten eingeordnet werden könnten.

Bei der historischen Zuweisung dieser Siedlung ist aber stets zu beachten, dass jüngere Fun-de auf der nahe gelegenen Burg Ranis darauf hindeuten, dass sich hier bereits im 9. Jahrhun-dert ein punktueller Stützpunkt karolingischer Herrschaft befunden haben könnte.

Das lässt die Frage offen, ob der Beginn der Siedlung noch in genuin slawische Zeit fällt, wenngleich die Funde darauf hindeuten, dass es sich um eine Siedlung slawischer Bevölkerung gehandelt hat.

Mit ihrer historischen Kontinuität vom 9./10. bis zum 14.  Jahrhundert, wenngleich auch nicht mit durchgehender Intensität, unterscheidet sie sich deutlich von den bisher in Thürin-gen östlich der Saale gegrabenen slawischen Siedlungen. Sie ist damit eher mit Siedlungen

160

auf der Saale-Ilm-Platte zu vergleichen, die durch die Wüstungsforschung bekannt sind.129 Es besteht sogar die Möglichkeit, dass der Name dieser Siedlung erkennbar ist. In der Nähe wird der wüste Ort Ruppitz erwähnt.130

Abb. 34: Keramikauswahl von Ludwigshof (Hother/Heßland, Tafel 7)

Die Siedlung von Ludwigshof, die zumindest zum größten Teil ihres Bestehens als slawische Siedlung in die Zeit der deutschen Herrschaft reicht, schlägt damit quasi eine Brücke von den genuin slawischen Siedlungen Ostthüringens des 8. bis 10. Jahrhunderts zu den Siedlungen des mittelalterlichen Landesausbaus in der Germania Slavica Thuringiae unter deutscher Herr-schaft. Ebenso wie bei den slawischen Friedhöfen des Orlagaues zeigt sich auch hier eine Be-sonderheit dieses Gebietes, auf die im nächsten Kapitel einzugehen ist.

II.6 Zusammenfassung

Die slawische Besiedlung des Altenburger Landes beginnt im 8. Jahrhundert. Die Fundkarte weist darauf hin, dass die Einwanderung der Slawen aus nordwestlicher Richtung aus dem Raum zwischen Pleiße und Weißer Elster südlich von Leipzig, erfolgte.

Zuerst wurden die weniger strukturierten, fruchtbaren Gebiete an den Nebengewässern der Pleiße erfasst. Von dort aus wurden später die umliegenden, etwas mehr strukturierten Terri-torien erreicht.

Zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert erfolgte durch die slawischen Siedler ein erster mittel-alterlicher Landesausbau im Altenburger Land. Die Siedlungen waren kleine Weiler mit we-nigen Häusern. Sie befanden sich an bzw. über Gewässern auf leicht geneigten Hängen. Die wirtschaftliche Grundlage dieser Siedlungen waren Ackerbau und Viehwirtschaft. Auch wenn das hier noch nicht nachgewiesen werden konnte, ist davon auszugehen, dass Gewässer und Wald von den Slawen relativ intensiv genutzt wurden. Keramikproduktion und Knochenver-arbeitung sind als Zeugnis dörflichen Haushandwerks zu werten.

In den Siedlungen konnten bislang keine sozialen Unterschiede erfasst werden. Friedhöfe, die hier am ehesten Aufschluss geben könnten, wurden bisher nicht bzw. in einem Fall nicht vollständig und modern gegraben. Sie enden in der Mehrzahl abrupt zum Ende des 10. Jahr-hunderts. Folgeorte werden zur Zeit der beginnenden deutschen Herrschaft in ihrer Nähe errichtet.

Auf dem Altenburger Schlossberg wurde eher noch im 8., spätestens im 9.  Jahrhundert eine Burg errichtet, die das Zentrum eines Burgbezirkes markiert, zu dem die umliegenden Siedlungen gehörten. Eine weitere Burganlage, Paditzer Schanzen genannt, über der Pleiße gelegen und zum heutigen Ort Stünzhain gehörig, erbrachte den Nachweis zahlreicher Dreh-mühlensteine aus Porphyr. Hier befand sich offensichtlich das Zentrum einer handwerkli-chen Produktion, die sich von der Wirtschaft der umliegenden Orte deutlich abhob. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Burganlage mit den zahlreichen Drehmühlensteinen keine eigenständige Burganlage darstellt, sondern als Wirtschaftsteil der Altenburger Burg fungierte.

162

Die slawische Besiedlung im Raum um Gera beginnt auch, wie im östlich anschließenden Pleißengau, nicht vor dem 8. Jahrhundert. Sie konzentriert sich im Tal der Weißen Elster und den Tälern ihrer Nebengewässer und reicht von der heutigen Landesgrenze mit Sachsen-An-halt im Norden bis zum Gebiet wenig südlich der heutigen Stadtgrenze von Gera.

Die Erkenntnisse über die slawische Besiedlung dieses Gebietes stützen sich vor allem auf archäologische Untersuchungen einer genuin slawischen Burganlage auf dem Hainberg über Gera-Untermhaus, von mehreren Friedhöfen im Tal der Weißen Elster und ihrer Nebengewäs-ser sowie auf Untersuchungen von Siedlungen und auf zahlreiche Einzelfunde. Dabei reichen vor allem die Friedhöfe in die historisch folgende Etappe des Landesausbaus unter deutscher Herrschaft ab dem Ende des 10. Jahrhunderts hinein.

Die slawischen Fundstellen erscheinen quasi wie an einer Schur aufgereiht. Das hängt pri-mär damit zusammen, dass sich das Tal der Elster um Gera siedlungsgünstig weitet. Die um-liegenden Hochflächen dagegen werden in dieser Zeit weitgehend gemieden. Von dieser Tat-sache wird auch das südliche Ende der slawischen Besiedlung in dem Raum bestimmt, wo die siedlungsgünstige Talweitung endet. Darin liegt auch der wesentliche Unterschied im Bild der slawischen Besiedlung zum Altenburger Land begründet.

Es handelt sich wohl auch im Gebiet um Gera um einen slawischen Burgbezirk mit einer Burganlage und zugehörigen Siedlungen. Die kleinen Siedlungen dürften auch hier Weiler darstellen, deren Bewohner von landwirtschaftlicher Produktion lebten. Fischfang ist zwar bisher anhand des archäologischen Materials nicht nachgewiesen, dürfte aber wegen der Lage an der Elster und ihren Nebengewässern als selbstverständlich angenommen werden, ebenso wie Zeidlerei und weitere Waldnutzung in der Umgebung. Der Hausbau in diesen Weilern war vielgestaltig und reichte von ebenerdigen Block- und Pfostenbauten bis zu mehr oder weniger eingetieften Häusern. Es handelte sich im Gebiet um Gera um eine relativ geschlossene slawi-sche Siedlungskammer, die lediglich nach Norden relativ offen war.

Die slawische Besiedlung des späteren Orlagaues unterscheidet sich in einigen Punkten deutlich von derjenigen des Altenburger Landes und des Gebietes um Gera.

Bei den weiter östlich gelegenen Gebieten der Germania Slavica Thuringiae kann davon aus-gegangen werden, dass die Einwanderung der Slawen im 8. Jahrhundert in ein Gebiet erfolgte, das zuvor von den hier siedelnden Germanen der Merowingerzeit verlassen worden war. An Orla und Saale ist keine slawische Besiedlung vor dem Ende des 8./dem Beginn des 9. Jahrhun-derts sicher festzustellen. Sie erfolgte hier im Gebiet westlich der Saale zumindest unmittelbar außerhalb des Orlagaues, aber in direkter Nachbarschaft in einem Territorium, das weiter lo-cker von Germanen bewohnt wurde. Um 900 werden deutschnamige Orte erwähnt, in denen Slawen wohnen. Im östlich der Saale gelegenen Teil des Orlagaues deuten neuere Funde darauf hin, dass hier bereits im 9. Jahrhundert, zumindest an seinem, Ende die karolingische Herr-schaft einsetzt. Der historische Abstand zwischen Einwanderung der Slawen und deutscher

163

Herrschaft, wenn es überhaupt einen solchen gab, kann nur relativ gering gewesen sein. Darauf weist auch die mögliche Einwanderungsrichtung hin. Zwischen der Mündung der Orla in die Saale bei Orlamünde und dem Gebiet vor Pößneck gibt es bisher keine Spuren einer slawischen Niederlassung, während die Orlasenke zwischen Saalfeld und Pößneck besiedelt ist. Es muss also nach den bisherigen Erkenntnissen davon ausgegangen werden, dass die Einwanderung der Slawen in den östlich der Saale gelegenen Teil des Orlagaues aufwärts der Saale und weiter über Saalfeld erfolgte.

Abb. 35: Orte mit slawischen Fundstellen im Saale-Orla-Kreis und im Landkreis

Saalfeld-Rudolstadt (Sachenbacher)

Die einzige bisher nachgewiesene frühe slawische Siedlung, die archäologisch erkannt wurde, befindet sich bei Ranis. Sie setzte wohl nicht vor dem 9. Jahrhundert ein. Im Unterschied zu den weiter östlich gelegenen Territorien verzeichnet diese kleine Siedlung eine kontinuierliche Belegung bis zum Wüstungsprozess des 14. Jahrhunderts. Damit ist sie mit den Siedelvorgän-gen westlich der Saale auf der Saale-Ilm-Patte vergleichbar. Auch die slawischen Friedhöfe im Orlagau beginnen in ihrer Mehrzahl erst mit einer relativ späten Belegung.

164

Damit zeigt der Orlagau eine Entwicklung, die Vergleiche zulässt zur Zone II der Germania Slavica Thüringens.

Für alle drei untersuchten Territorien ist festzustellen, dass sich die slawische Besiedlung und der slawische Landesausbau in genuin slawischer Zeit auf relativ enge Gebiete bezieht, die in der Regel durch mehr oder weniger dichte Wälder voneinander geschieden sind. Diese werden allerdings in die Wirtschaft einbezogen. Jeweils eine Seite dieser Territorien, die jeweils einen Burgbezirk mit einem Mittelpunkt/einer Burg markieren, ist relativ offen. Diese „Öff-nungen“ zeigen die Einwanderungsrichtung an.

Insgesamt ist allerdings zu konstatieren, dass der Forschungsstand zu den Slawen vor allem im späteren Orlagau nach wie vor zahlreiche Fragen offenlässt und dringend einer Neube-arbeitung bedarf, die sich allerdings auch auf umfangreichere neue archäologische Untersu-chungen stützen muss, um zu sicheren Ergebnissen zu gelangen.

165

III Der hochmittelalterliche Landesausbau im Pleißengau, Geragau/Nördlichem Vogtland und Orlagau unter deutscher Herrschaft

Gegen Ende des 10. Jahrhunderts setzt ein grundlegender Wandel in der Besiedlung des Ar-beitsgebietes ein, der damit zusammenhängt, dass das Territorium unter deutsche Herrschaft bzw. deutschrechtliche Verhältnisse gelangt. Der Beginn der dahin führenden Prozesse im Orlagau unterscheidet sich zeitlich grundlegend von demjenigen im östlich anschließenden Territorium, was zu untersuchen und darzustellen ist.

III.1 Der hochmittelalterliche Landesausbau unter deutscher Herrschaft im Pleißengau

Ein Teil der im vorigen Kapitel behandelten slawischen Bestattungen schlägt eine Brücke von der genuin slawischen Besiedlung des Altenburger Landes zum Anteil der Slawen am mittel-alterlichen Landesausbau unter deutscher Herrschaft. Bis zu dem Zeitpunkt, als die Sitte sich durchsetzte, dass auch die Slawen auf den Kirchhöfen der Orte bestattet werden sollten, legten sie eigene Bestattungsplätze außerhalb der Ortschaften an, die archäologisch eigentlich gut zu fassen sind, wenngleich das für die Bestattungsplätze der Slawen im Altenburger Land bisher nur bedingt zutrifft. Mit den Bestattungen auf den Friedhöfen der Orte ist eine ethnische Trennung der Bestatteten nicht mehr möglich und sinnvoll. Das basiert auf dem Fehlen datierender und ethnisch aussagekräftiger Beigaben, das mit der christlichen Bestattungsauffassung einhergeht.

Altenburg tritt 976 in das Licht schriftlicher Quellen. Bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts werden Altenburg und/oder der Pleißengau zehnmal erwähnt:

I. 976 schenkt Otto II. den Burgwardmittelpunkt Altenburg, mit zugehörigen Orten im Pleißengau gelegen, der Kirche in Zeitz.

„… civitatem Altenburg dictam cum villis … in pago Plisina …“1

II. 1064/1065 wird Altenburg in der Reihe der Tafelgüter des Königs in Sachsen genannt.„De Saxonia … Altenburc“2

III. 1066 wird die Abtei Schmölln im Pleißengau durch Heinrich IV. der Naumburger Kirche übereignet.

„… abbatia videlicet Zmulna … in pago Blisina …“3

IV. 1069 wird wiederum das Tafelgut Altenburg (Plisna) genannt.

„Quo tempore Plisnam …“4

V. 1132 hält Kaiser Lothar in der Pfalz Altenburg („in castro Plysn“) einen Hoftag ab.„Rex Lotarius causa concilii in castro Plysn“

VI. 1134 wird Altenburg (Plzen) als civitas genannt

„… in civitate, quae Plzen vocatur …“5

VII. 1140 weiht Bischof Udo I. von Naumburg die Kirche von Altenkirchen im Pleißengau. „… in pago Plisna, ecclesiam, que Aldenkirkin dicitur …“6

VIII.1143 bestätigt Konrad III. die Gründung und Ausstattung des Benediktinerklosters Chemnitz. Als einer der Zeugen wird Heinrich von Altenburg genannt.

„… Heinricus de Altenb(urc) …“7

IX. 1145 überträgt Bischof Udo I. von Naumburg dem Kloster Bosau den halben Zehnt und den Neubruchzeht im Pleißengau. Als einer der Zeugen wird Heinrich von Al-tenburg genannt.

„… Heinricus de Plisne …“8

X. 1150 urkundet Konrad II. in der Pfalz Altenburg

„Actum in castro Aldenburch.“9

Die Möglichkeit der Gleichsetzung von Altenburg und Plisna (in verschiedener Schreibweise) beruht auf der Slawenchronik Arnolds.10

Obwohl zwischen dem letzten Viertel des 10. und der Mitte des 12. Jahrhunderts die schrift-lichen Quellen noch recht spärlich fließen, können wir uns doch zusammen mit den archäolo-gischen und onomastischen Quellen ein Bild von der Entwicklung in diesem Raum zu Beginn der deutschen Herrschaft machen, wenngleich die Konturen in mehreren Beziehungen noch unklar bleiben.

Auf dieser Basis fußen zahlreiche Arbeiten, die sich überblickshaft und im Detail mit der Entwicklung Altenburgs und des Pleißenlandes im frühen bis späten Mittelalter beschäfti-gen. Es ist vor allem das Verdienst von Walter Schlesinger, Gerhard Billig und André Thieme, die Entwicklungslinien von Burgward Altenburg, Pleißengau, Burggrafschaft Altenburg und Reichsterritorium Pleißenland umfassend herausgearbeitet zu haben.11 Dem reichhaltigen Quellen- und Literaturverzeichnis von A. Thieme sind die wichtigsten Quellen und die bis dahin erschienene ältere Literatur zu entnehmen.12

André Thieme hat in der Monografie über die Burggrafschaft Altenburg, die auf seiner im Wintersemester 1999/2000 an der TU Dresden vorgelegten Dissertation beruht, auf interdiszi-plinärer Grundlage 5 Siedlungsetappen von der Einwanderung der Slawen in das Altenburger Land bis zum „Übergang zur Hochkolonisation“, den er in „die Jahrzehnte unmittelbar vor und nach der Mitte des 12. Jahrhunderts“ setzt, herausgearbeitet.13

Bereits die Erstnennung von Altenburg 976 offenbart den enormen Fortschritt in der Quel-lenlage, wenn zu den bisherigen archäologischen Quellen nun auch mediävistische und ono-mastische hinzukommen. Die archäologischen Befunde und Funde gegen Ende des 10. Jahr-hunderts zeigen uns slawische Siedlungen in der Regel in ihrer Endphase. Eine deutsche Herrschaft ist zu diesem Zeitpunkt allein anhand der archäologischen Quellen noch nicht zu fassen.

Die Quellenlage verbessert sich im 12. Jahrhundert entscheidend. Waren es vom Ende des 10. bis zum Beginn des 12. Jahrhunderts nur 4 Urkunden und kommen bis 1150 weitere 6 hin-zu, so stehen für den Zeitraum nach 1150 bis 1250 dann schon weit mehr als 150 schriftliche Belege zur Verfügung. An diesem deutlich spürbaren Fortschritt ändert auch die Tatsache nichts, dass ein nicht geringer Anteil vor allem der das Augustiner Chorherrenstift betreffen-den Belege auf Fälschungen beruht. Diese können meist anhand anderer Quellen, u. a. den archäologischen, in Bezug auf den Inhalt verifiziert werden. Der ist im Gegensatz zu den dar-gestellten Rahmenbedingungen nicht von vornherein als nicht existent anzunehmen. Einzelne Belege, auf die im Folgenden näher einzugehen ist, zeichnen ein deutliches Bild des Landes-ausbaus von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts in seinen unterschiedlichen Bestandteilen, vor allem ausgehend von seinen herrschaftlichen, wirtschaftlichen und geistig-religiös-kirchlichen Grundlagen.

Der mittelalterliche Landesausbau ist zum einen an seine Träger gebunden – das ist bis zur Entstehung der Städte die ländliche, Ackerbau und Viehzucht sowie Haushandwerk betrei-bende Bevölkerung. Zum anderen gründet er sich auf die Herrschaft, die die Prozesse führt, organisiert und administriert. Diese Herrschaft erscheint auf verschiedenen Ebenen – neben mediävistischen und ethnografischen Quellen vor allem in den archäologischen Quellen auf den Burgen. Stellung und Grad der Herrschaft bestimmen entscheidend den Charakter der Burg als Sitz der Herrschaft und wichtigsten Ort der Herrschaftsausübung. Die Anlage auf dem Altenburger Schlossberg

Die entscheidende Burg im Pleißengau ist diejenige auf dem Altenburger Schlossberg, die das Zentrum des Landesausbaus darstellt. Ihre Entwicklung spiegelt am deutlichsten den Fort-schritt auf diesem Gebiet wider, der auch ihre äußere Erscheinung prägt.

Bei der 976 erwähnten civitas Altenburg handelt es sich ganz offensichtlich um den auf die slawische Burg folgenden Mittelpunkt eines deutschen Burgwards, zu dem 9 Orte genannt werden. Sie alle befinden sich, wie die Urkunde aussagt, im Pleißengau. Dieser ist sicher identisch mit dem Burgward, dessen Mittelpunkt Altenburg darstellt. Die civitas Altenburg ist nach den archäologischen Quellen eine Burganlage, die anstelle der vorher hier befind-lichen slawischen Burg auf dem Gelände des Schlossberges ausgebaut wurde. Gleichzeitig beweisen die archäologischen Quellen, dass es über die 9 genannten Orte hinaus weitere Siedlungen gibt, die in der Urkunde nicht genannt werden. Die Gründe dafür können viel-fältig sein.

Die erwähnten Orte, die bis auf Altenburg selbst und Buosendorf alle slawische Ortsnamen tragen, lassen sich bis auf dieses Buosendorf und die Wüstung Zebecuri, wohl nordwestlich von Altenburg gelegen, mit heute noch bestehenden Orten in Übereinstimmung bringen. Da-bei handelt es sich um Zehma (Zemouuua), das in Altenburg aufgegangene Pauritz (Pode-grodici), Drescha (Trescouua), Monstab (Masceltorp), Röda (Rodiuue), Gödissa (Godessouua) und Leesen (Lysina). Sämtliche Orte befinden sich in der Kernzone der frühen slawischen Be-siedlung des 8./9. Jahrhunderts, die den Ursprung des slawischen Burgbezirkes bildete.

Der Burgbezirk mit seinem Mittelpunkt auf dem Altenburger Schlossberg ist nahtlos in einen deutschen Burgward mit seinem Mittelpunkt übergegangen. Ortsnamen und archäo-logische Funde zeigen, dass die deutsche Herrschaft anfangs auf den Herrschaftsmittelpunkt beschränkt bleibt und außer dem einen deutschen Ort Buosendorf noch keine weiteren hinzu-gekommen sind. Diese Tatsache wird durch jüngere schriftliche Quellen bestätigt.

169

Abb. 36: Altenburg und die im Jahr 976 genannten Orte befinden sich in der Kernzone der slawischen Besiedlung (modifiziert nach Sachenbacher)

170

Der Ort Buosendorf ist offensichtlich abgeleitet von der Missionstätigkeit des ersten Merse-burger Bischofs Boso.14 Dieser hat vor Aufnahme seines Amtes in Merseburg 968 auch im Raum Zeitz gewirkt. Damit dürfte dieser Ortsname als erster deutscher Ortsname ein Hinweis auf das Einsetzen der deutschen Herrschaft in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts vor der Erstnennung Altenburgs 976 sein.

Der 976 zum Burgwardmittelpunkt gehörig genannte Ort Podegrodici – der Ort der slawi-schen Burgmannschaft – ist als identisch mit dem in Altenburg aufgegangenen Ort Pauritz anzunehmen, der neuzeitlich nur noch durch die Pauritzer Straße repräsentiert wird. Seine genaue Lage konnte bis heute noch nicht mit Hilfe archäologischer Quellen nachgewiesen wer-den. Im Bereich der Pauritzer Straße, wo er bislang vermutet wurde, fanden in den letzten Jahrzehnten mehrfach Ausgrabungen statt, die keine entsprechenden Befunde erbrachten. Es ist deshalb wohl Heinz-Joachim Vogt zu folgen, der Podegrodici im Bereich der sogenannten „Neuen Sorge“ vermutet.15

Da er noch nicht identifiziert werden konnte, muss es weiterhin eine mit hoher Wahrschein-lichkeit bestehende Annahme bleiben, dass dieser Ort mit seinem typischen Namen bereits auf eine Siedlung unterhalb der slawischen Burg zurückgeht.16

Ausgrabungen der letzten Jahrzehnte auf dem Altenburger Schlossberg stützen im Ver-gleich mit älteren archäologischen Untersuchungen die Annahme, dass sich der Mittelpunkt des deutschen Burgwards von 976 auf dem Gelände des Altenburger Schlossberges befin-det.17

Bei den bereits im vorhergehenden Kapitel erwähnten Rohrleitungsarbeiten im Altenburger Schlosshof wurden auch drei Befunde angeschnitten, die wichtige Erkenntnisse zum hoch-mittelalterlichen Landesausbau unter deutscher Herrschaft erbrachten. Dabei handelte es sich zunächst um einen Friedhof im inneren Schlosshof, um einen zweiten großen Rundturm zwi-schen Junkerei und Festsaalflügel und um eine um den Hausmannsturm laufende Mantel-mauer. Insgesamt konnten im Wesentlichen nur die Befunde freigelegt werden, die sich direkt im Bereich der Rohrleitungsgräben befanden. An einigen Stellen wurden die weitergehenden Befunde durch Erweiterungen der Gräben freigelegt, ohne, wie das wünschenswert gewesen wäre, flächendeckend graben zu können. So blieben die Erkenntnisse auf die jeweils aufge-deckten Bereiche beschränkt.

Abb. 37: Der Altenburger Schlosshof, in dem sich die älteren und die bei den

Rohrleitungsarbeiten im Altenburger Schlosshof angeschnittenen Fundstellen befinden.

Im inneren Schlosshof, der später zum Bereich der staufischen Pfalz gehörte, wurden zahlrei-che Gräber eines Friedhofes angeschnitten und geborgen.

Die Lage der Gräber, die zu einem Reihengräberfriedhof gehören, zeigt anhand des engen Neben- und Übereinander, dass der gering zur Verfügung stehende Platz effektiv genutzt wer-den musste. Mehrere Gräber waren durch Mauern, die zu späteren Bauten gehören, gestört und damit älter als diese. Zwischen den Gräbern und in der Einfüllmasse befanden sich ältere slawische Scherben vor allem des 9. und 10. Jahrhunderts. Diese deuten darauf hin, dass die Gräber jünger als die slawische Burganlage sein müssen. Die offensichtlich zur staufischen Pfalzanlage gehörenden Mauern, die die Gräber schneiden, zeigen, dass der Friedhof spätes-tens zu Beginn des 12. Jahrhunderts aufgegeben wurde. Er datiert damit in den Zeitraum des deutschen Burgwardmittelpunktes vom Ende des 10. bis zum Beginn des 12. Jahrhunderts.

172

Einige wenige slawische Beigaben in einzelnen Gräber widersprechen diesem zeitlichen An-satz nicht.

Abb. 38: Impressionen vom Friedhof im inneren Schlosshof von Altenburg –

Idealzeichnung (M. Rupp)

173

Damit handelt es sich um den Friedhof der Mannschaft des Burgwardmittelpunktes, die sich wohl in ihrer Mehrheit aus Slawen zusammensetzte. Seine Größe einschließlich der Gesamt-zahl der Bestatteten lässt sich nicht mehr ermitteln, da die späteren Bauten von der Pfalz bis zum Barockschloss das ursprüngliche Gelände völlig zerstört haben. In diesem Bereich neben dem Friedhof ist auch der älteste Kirchenbau zu suchen. 1928 wurde hier ein monolithischer Kopfnischensarkophag gefunden.18

Abb. 39: Der monolithische Kopfnischensarkophag aus dem inneren

Schlosshof von Altenburg (Höckner 1938)

Abb. 40: Zeichnung von H. Höckner mit Mauerresten im Agnesgarten und Zwinger im

Altenburger Schlosshof (modifiziert nach Höckner 1938)

175

Dieser gehört nach Vergleichsfunden in die Zeit um 1200. Solche Steinsarkophage, die die Be-stattung hochgestellter Persönlichkeiten aufzeigen, befanden sich in der Regel in einem frühen Kirchenbau. Die Stelle deutet darauf hin, dass sich hier auch die Kirche des Burgwardmittel-punktes befunden haben sollte.

Wenn wir davon ausgehen, dass das 1932 von Hans Höckner im Agnesgarten ergrabene Mauerwerk nicht, wie er annahm, zur slawischen Burganlage gehörte, sondern zum deutschen Burgwardmittelpunkt, befand sich die Westmauer dieser Anlage östlich erhöht über dem Friedhof. Diese Annahme wird auch dadurch gestützt, dass diese Mauer nach der Zeichnung H. Höckners in die slawische Kulturschicht eingetieft worden war.

Unter Nutzung der topografischen Bedingungen war der östliche Burggraben an der Stelle errichtet worden, an der er sich auch heute noch befindet. Das bedeutet, dass sich die älteste deutsche Burganlage zwischen dem heutigen Agnesgarten und dem Zwinger und damit auf dem östlichen Gelände der vorhergehenden slawischen Burg befunden hat. Westlich schloss sich der Friedhof an. Ob dieser Bereich im Westen, Norden und Süden nochmals bebaut bzw. durch Wälle abgesichert war, lässt sich durch die jüngere Bebauung nicht mehr feststellen.

Abb. 41: Plan des Turmstumpfes zwischen Goldsaalflügel und Junkerei im

Altenburger Schlosshof – Befund 2/1993 (Sachenbacher)

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E.  W. Huth hatte 1979 angenommen, dass sich der deutsche Burgwardmittelpunkt im Bereich des Brühls in der Altstadt befunden habe.19 Dabei berief er sich auf das bis dahin zu verzeichnende Fehlen archäologischen Materials für die Zeit zwischen der Slawenzeit und der Pfalzanlage. Die Grabungen und Lesefunde konnten diese Lücke schließen. Auch durch archäologische Untersuchungen in den letzten Jahrzehnten im Bereich des Brühls, die keine Befunde aus dem 10./11.  Jahrhundert erbrachten, wird der Schluss bestätigt, dass es bei der Nutzung des Schlossberges als Wehranlage im Mittelalter keinen Hiatus gegeben hat.

Abb. 42: Profil aus der Flasche (Vogt 1992)

Die zweite Grabung im Bereich der Rohrleitungen erbrachte im Winkel zwischen dem Fest-saalflügel und der Junkerei einen weiteren Rundturm mit ähnlichem Ausmaß wie dem der Flasche. Befund und Funde deuten darauf hin, dass dieser im Wesentlichen mit der Flasche zeitgleich ist und ebenfalls als Wohnturm genutzt wurde.

H.-J. Vogt datiert die Entstehung der Flasche im Ergebnis seiner Grabungen, bei der ein Profil vom heutigen Fußbodenniveau bis auf den gewachsenen Fels geführt werden konnte, im Vergleich mit dem Turm auf der Wiprechtsburg in Groitzsch in die Zeit um oder nach 1180.20

Das von ihm zur frühen Datierung herangezogene Material kann allerdings ebenso in den Beginn des 12. Jahrhunderts gesetzt werden. Die „Flasche“ wurde damit in der Zeit unmittel-bar vor Nutzung der Anlage als Pfalz errichtet. Damit gehörten zur Pfalzanlage des 12. Jahr-hunderts auf dem Altenburger Schlossberg zwei romanische Wohntürme beträchtlichen Ausmaßes. Ihrer Konstruktion nach dürften sie zu einer dauerhaften Bewohnung gedacht gewesen sein und nicht Repräsentationsbelangen des Kaisers bei seinen Aufenthalten auf der Pfalz gedient haben. Diesbezügliche Bauten sollten sich am ehesten im westlichen Bereich der späteren Schlossanlage befunden haben. Der Bereich zwischen ihnen und dem zum Burg-grafen gehörigen Bereich, in dem sich diese beiden Türme befunden haben, gehörte wohl in staufischer Zeit zu den Anlagen, die von der Mannschaft des Pleißnischen Landrichters genutzt wurden.

Der dritte, im Ergebnis des Anlegens der Rohrleitungsgräben 1993 erfasste Befund war eine in relativ geringem Abstand um den sogenannten Hausmannsturm geführte Mantelmauer, die diesen vollständig umschloss.

Parallel zu dieser Ausgrabung wurden am aus Backsteinen bestehenden Mauerwerk des Hausmannsturmes durch das damalige Thüringische Landesamt für Denkmalpflege Unter-suchungen durchgeführt, die zu dem Ergebnis führten, dass dieses Backsteinmauerwerk an-nähernd zeitgleich ist mit dem des Augustiner Chorherrenstiftes, den Roten Spitzen von Al-tenburg, das in den Beginn des letzten Viertels des 12. Jahrhunderts datiert. Es wurde 1172 geweiht21 und demnach um 1200 errichtet. Diese Datierung wird durch die Funde in den untersten Schichten zwischen Turm und Mantelmauer unterstützt. Dafür sprechen auch die Ritzfugen am inneren Mauerwerk der Mantelmauer.

Durch die bauhistorischen Untersuchungen konnte H. Reinhard, Erfurt, auch den äuße-ren Aufbau des Turmes nachweisen, einschließlich des Eingangsbereiches in ca. 13m Höhe und mehrerer umlaufender kleiner Öffnungen, die Balkenlöcher sowie Fensteröffnungen darstellen.

Die Ausgrabungen erbrachten keine Hinweise darauf, dass sich an dieser Stelle ein älterer Turm befunden hat. Es handelt sich demnach beim Hausmannsturm um den bisher ältesten in Ostthüringen nachgewiesenen weltlichen Turm in Backsteinaufbau.22

Abb. 43: Blick vom Hausmannsturm auf die Flasche (Sachenbacher)

Abb. 44: Plan der Grabungen am Hausmannsturm (Sachenbacher)

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Abb. 45: Rekonstruktionsversuch des Hausmannsturmes mit der Mantelmauer – basierend auf dem Befund von 1993 (Sachenbacher/Reinhardt)

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Konstruktion und Aussehen stehen untrennbar in Zusammenhang mit seiner Funktion und Bedeutung. Er ist ganz offensichtlich identisch mit dem 1289 zum Burggrafenamt gehörigen Bauwerk: „Zu deme burchamechte gehorit der turm mit deme mantile zu Aldenbuch uf deme hus unde der hof, da he inne lit.“23

André Thieme hat beweiskräftig herausgearbeitet, dass die Burggrafschaft Altenburg durch Konrad III. in den Jahren vor 1150 „als Teil einer übergreifenden Burggrafschaftsverfassung und zeitlich als Auftakt für die Gründung weiterer neuer Burggrafschaften“ eingerichtet wor-den war.24

Der Hausmannsturm – „der turm mit deme mantile“ – war an der höchsten Stelle der Al-tenburger Burg gelegen und als Turm des vom Kaiser neu eingerichteten Burggrafenamtes besonders geeignet, kaiserliche Macht und Herrschaft in der Germania Slavica zum Ausdruck zu bringen.

Seine Errichtung um 1200 fällt offensichtlich in eine Zeit der Entfaltung und Festigung stau-fischer Macht im Osten Deutschlands und dem Bestreben nach Schaffung eines umfangrei-chen Reichsterritoriums.

Da die Errichtung des Backsteinturmes nicht weit vor 1200 datiert werden kann, ergibt sich aus der Differenz zur Schaffung des Burggrafenamtes die Frage, was zuvor an seiner Stelle stand. Diese Frage ist archäologisch wohl nicht mehr zu klären, da die Errichtung von Turm und Mantelmauer ältere Strukturen, wenn es solche gegeben hat, vollständig zerstört haben. Die Topografie lässt am ehesten an einen älteren Bergfried denken.

Insgesamt haben die Untersuchungen am Turm die bis dahin bestehende Meinung wider-legt, dass die „Flasche“ der 1289 genannte Mantelturm sei und dieses Gebiet zum Burggrafen-teil der Anlage gehören müsse. Der Hausmannsturm und „der hof, da he inne lit“ zeigen den östlichsten Teil der Anlage als Bereich des Burggrafen. Zwischen ihm und der Pfalzanlage, die wohl im westlichsten Teil gelegen hat, befanden sich weitere Bauten, wie etwa die beiden Wohntürme. Die Trennung der Teile voneinander ist nicht unbedingt als starr anzusehen.

Im November 1988 wurde durch Alfred Adlung, Freiberg, zusammen mit Uta Künzl vom Schlossmuseum Altenburg eine geophysikalische Untersuchung im Altenburger Schlosshof durchgeführt.25 Es bestand die Aufgabe, einen Vorgängerbau des N/O-Flügels des Barockbaus zu ermitteln, der um 1700 abgerissen worden war, die ursprünglichen Ausmaße der Galerie zu er-mitteln und im vorderen Teil des Großen Schlosshofes einen dort vermuteten Graben zu finden.

Hans Höckner bildet 1938 ein Foto von 1937 ab, auf dem eine Mauer zu sehen ist, die sich vor dem inneren Schlosshof befindet und an die spätere Schlosskirche anschließt. Sie steht nach H. Höckner im Zusammenhang mit einem 10 m breiten und 6 m tiefen Graben, der seiner Meinung nach Haupt- und Vorburg voneinander trennt.26

Der ursprüngliche Verlauf der Galerie konnte durch die geophysikalischen Untersuchungen 1988 nicht festgestellt werden. Eine Messung entlang des N/O-Flügels des Schlossbaus ergab einen Vorgängerbau mit einer Länge von 17–20 m bei einer möglichen Breite von 13–15 m und einer vermuteten Mauerbreite von 2 m mit einem Anbau an seiner Südostseite, die eventuell als Turm gedeutet werden kann. Zwei Zwischenmauern wurden als Fragmente gefasst. Dabei könnte es sich um eine der Mauern handeln, die bei der Ausgrabung im kleinen Schlosshof entdeckt wurde. Sie störte den Friedhof und ist damit jünger als dieser.

Um das Alter des Baues zu ermitteln, müssten umfassende Ausgrabungen durchgeführt werden. So muss es eine Vermutung bleiben, dass dieser Bau sich an der Stelle der Pfalzbauten befindet. Die bei der Ausgrabung ermittelte Mauer könnte diese Vermutung stützen.

Im vorderen Teil des großen Schlosshofes wurden statt des erwarteten einen Grabens zwei gefasst. Unmittelbar vor dem Eingang zum kleinen Schlosshof befindet sich ein bei der Mes-sung als B bezeichneter Graben mit einer Breite von ca. 4 m. Davor liegt ein zweiter, als A be-zeichneter Graben mit einer Breite von ca. 5–6 m. Diese Maßangaben widersprechen beide den Angaben von H. Höckner 1938.

H.-J. Vogt folgert aus seiner Annahme, dass es sich um einen Sohl- und einen Spitzgraben handelt, dass letzterer der ältere ist und dass sich die Burg des 10./11. Jahrhunderts in der Spornlage über der Blauen Flut befunden hat.27 Der Schlussfolgerung von A. Adlung und H.-J. Vogt, dass die beiden Gräben nicht gleichzeitig bestanden, kann mit relativer Sicherheit gefolgt werden.

Ob aber der Graben A, wie A. Adlung schlussfolgert, zur Alten Burg und der Graben B zur Pfalz gehört haben, ist eher anzuzweifeln. H.-J. Vogt kannte damals bei seiner Lokalisie-rung der Burg des 10./11. Jahrhunderts noch nicht die Ergebnisse der Grabungen im inneren Schlosshof, die anzweifeln lassen, dass sich dort Bauten des Burgwardmittelpunktes befunden haben könnten.

Auch im Bereich der Gräben wären Ausgrabungen nötig. Bis dahin könnte es als wahr-scheinlich gelten, dass einer der Gräben eher zur slawischen Anlage und der andere zum Burg-wardmittelpunkt gehört hat, um den Friedhof abzutrennen.

Dabei ist auch zu bedenken, dass der zweite Graben ein Spitzgraben war und seine Errich-tung eher in karolingische Zeit fallen sollte. Zu diesem Zeitpunkt befand sich auf dem Gelände die slawische Burganlage. Wenn dem so ist, war die slawische Burg durch einen Graben unter-teilt. Jüngere Untersuchungen auf dem Domberg von Magdeburg haben die Möglichkeit er-bracht, dass ein Graben des dortigen Spitzgrabendoppels, der ebenfalls eine Breite von 5–6 m aufweist, aufgrund einer Radiokarbondatierung völkerwanderungszeitlich sein könnte.28Das ist für den Graben auf dem Altenburger Schlosshof wenig wahrscheinlich, da sich bisher hier keine völkerwanderungszeitlichen Spuren feststellen lassen, karolingerzeitliche aber sehr wohl. Es ist allerdings zu bedenken, dass sich die völkerwanderungszeitliche Gebrauchskera-mik schwer chronologisch einordnen lässt und unweit von Altenburg der berühmte völker-wanderungszeitliche Friedhof von Rositz liegt.

Dass die relative Zweiteilung oder eventuell eher Dreiteilung der Burganlage zur Zeit der Existenz der Pfalz durch Gräben untermauert worden wäre, erscheint zwar als weniger wahr-scheinlich, ist aber nicht absolut auszuschließen.

1996 konnte im Bereich vor dem sogenannten Gebäude 13 der Schlossanlage – dem west-lichen Abschluss vor der Zwingeranlage – eine kleine Untersuchung durchgeführt werden, die zu wichtigen Ergebnissen vor allem zur älteren Geschichte dieses Bereiches führte.29 Parallel zu den Gebäuden und damit in Nord/Süd-Richtung liegend befindet sich hier eine Wall-Gra-ben-Konstruktion. Der Wall besteht aus einem Gitterrost aus Holz mit einer Erdfüllung mit wenigen Steinen. Die wenigen älteren Funde datieren diese Wallanlage – so nahm ich anfangs an  – wahrscheinlich in die späte Urnenfelder- bzw. frühe Eisenzeit. Heute halte ich es für wahrscheinlicher, dass es sich hierbei um den Abschluss der slawischen Burganlage gehandelt hat. Wall und Graben haben das spätere Schlossgelände bereits in slawischer Zeit vom Berg-sporn abgetrennt. Da die Datierung ausschließlich auf wenigen älteren Funden beruht – mit-telalterliches Material wurde hier nicht angetroffen – und eine Dendrodatierung nicht erfolgen konnte, muss die zeitliche Einordnung allerdings relativ unsicher bleiben. Die Wahrschein-lichkeit, dass Wall und Graben zumindest in slawischer Zeit weiter benutzt wurden, ist im Vergleich mit anderen Anlagen als relativ hoch anzunehmen.

Westlich davor wurde eine Mauer gefasst, die aus in Mörtel gesetzten Porphyrquadern und Porphyrbruchsteinen besteht. Sie erinnert an Mauerwerk des 12. Jahrhunderts. Der Lage nach sollte es sich um eine Mauerkonstruktion handeln, die zum Bereich der Burg des Burggrafen-amtes gehörte. Da das davor befindliche Gebäude um die Mitte des 19. Jahrhunderts völlig abgebrannt und neu errichtet worden war, waren hier ursprüngliche Befunde weitgehend ab-getragen worden. Leider war es aus konstruktiven Gründen nicht möglich, an dieser Stelle großflächig zu graben, so dass weitergehende Schlussfolgerungen nicht möglich sind.

Hans Höckner gibt für das Gelände des Hausmannsturmes eine Höhenlage von 216,5 m an. Die Wallanlage befindet sich darunter. Das Höhenniveau im Zwinger erreicht nach Höckner 220,5 m. Das ergibt eine Differenz von 4 m. Bei seiner Grabung 1935 im Zwinger erreichte er den gewachsenen Boden, auf dem sich die von ihm gefasste Wallanlage mit Trockenmauer befindet, in einer Tiefe von 4,15 m.30 Daraus ergibt sich, dass sich die 1996 gegrabene Wall-konstruktion und die Mauer in annähernd der gleichen Höhenlage befinden wie die 1935 im Zwinger aufgedeckte Wallkonstruktion. Das dazwischen befindliche Gelände war also damals relativ eben und beide Konstruktionen verliefen annähernd parallel auf gleichem Höhenni-veau.

Mit den älteren und jüngeren Grabungen im Altenburger Schlossbereich hat sich die von Hans Höckner aufgestellte Entwicklungslinie von der slawischen Anlage bis zum barocken Schloss unter Nutzung des weitgehend gleichen Areals weitestgehend bestätigt.31 Zahlreiche Details der von ihm damals auf Basis seiner Grabungen aufgestellten Pläne sind zwar anhand der neueren Untersuchungen zu korrigieren, können aber weiter genutzt werden.

Das gesamte Areal nimmt topografisch Bezug auf die spätbronzezeitlich/früheisenzeitliche Anlage, die nicht Gegenstand dieser Arbeit ist. Wie bei den Gräben vor dem inneren Schloss-hof ist auch bei den Wallanlagen und Gräben im östlichen Teil des Schlossberges nicht oder noch nicht zu entscheiden, was zu welchem Zeitpunkt errichtet und bis wann es genutzt wur-de. Das trifft auch auf den östlichsten tiefen Graben zu, der das gesamte Schlossareal vom Bergsporn abtrennt.

Vom frühen bis zum hohen Mittelalter spielt die Altenburger Burg eine hervorragende Rolle als Mittelpunkt eines slawischen Burgbezirkes und in der Folge dann unter deutscher Herr-schaft als Zentrum königlicher Machtentfaltung in ostthüringischem Gebiet. Bereits bei seiner Erstnennung 976 tritt uns der Burgwardmittelpunkt Altenburg als im königlichen Besitz be-findlich entgegen. Burgwarde waren königliche Einrichtungen. Ob und inwieweit die Schen-kung an die Zeitzer Kirche wirksam wurde, ist nicht zu entscheiden.

Von den 10 Urkunden der Nennung Altenburgs von 976 bis 1150 beziehen sich 8 auf Besitz, Einrichtungen, Anwesenheit oder Handlungen des Königs. Zwei Urkunden dieses Zeitraumes beziehen sich auf Handlungen des Naumburger Bischofs.

Von der Erstnennung an war Altenburg auch ein Mittelpunkt der Christianisierung bzw. Slawenmission und des Auf- und Ausbaues einer gesicherten Kirchenorganisation. Seine Blü-tezeit erlebt die Anlage im 12. Jahrhundert als Pfalz, vor allem zur Zeit Friedrich Barbarossas.

Eine besondere Bedeutung kam der Altenburger Burganlage ab der 2. Hälfte des 12. Jahr-hunderts als Ausgangspunkt der Gründung und Entwicklung des Reichsterritoriums Pleißen-land und als Sitz des Pleißnischen Landrichters zu. A. Thieme konnte glaubhaft herausarbei-ten, dass das Pleißenland als neuer Herrschaftskomplex mit Altenburg als seinem Vorort um 1165 entstand:

A. Thieme verdeutlichte den prozessualen Charakter dieser Entwicklung anhand von 15 „Marksteinen“, die diese anschaulich zeigen.33

Die besondere Bedeutung, die die Altenburger Burg von den gleichzeitigen Anlagen im Plei-ßengau abhebt, zeigt sich nicht nur in ihrer konstanten Größe und Entwicklung, sondern auch in ihrer Ausstrahlungskraft als Symbol von staufischer Macht und Herrschaft.

In diesem Sinne war die Altenburger Burganlage von Anfang an auch ein Kristallisations-punkt wirtschaftlicher Größe. Die Burgen der Kleinen Herrschaftsträger

Die Burgen der Kleinen Herrschaftsträger/des Lokalen Adels überziehen den Pleißengau bzw. den heutigen Landkreis Altenburger Land mit einem dichten Netz. Sie spiegeln die Intensität des Wirkens der örtlichen Herrschaft des mittelalterlichen Landesausbaus vor allem ab dem 12./13. Jahrhundert wider.34 Zur Nachzeichnung dieses dichten Netzes stehen uns ab dem ho-hen Mittelalter zahlreiche verschiedene Quellen zu Verfügung.

Beginnend im 12., vor allem aber dann ab dem 13. Jahrhundert tauchen diese Kleinen Herr-schaftsträger in den mediävistischen Quellen auf, wo sie vielfach als Zeugen fungieren. Ihr Name mit dem Zusatz „de“ und ihrem Ort weist in der Regel auf die Existenz einer Burg als ihrem Herrschaftsmittelpunkt hin.

Mit der 1987 als Monografie vorgelegten Gießener Dissertation von Dieter Rübsamen „Klei-ne Herrschaftsträger im Pleissenland“ liegt in Bezug auf die schriftlichen Zeugnisse für die weitere Forschung ein umfassendes Werk vor, das vor allem diese Quellengattung für das Plei-ßenland insgesamt relativ ausführlich ausschöpft.35 D. Rübsamen legt in ausführlichen Kapi-teln und aussagekräftigen Tabellen, Statistiken und Übersichtskarten den Bestand der Kleinen Herrschaftsträger, deren wirtschaftliche Grundlagen, das politische Leben im Pleißenland, das soziale Umfeld und die pleißenländische Adelslandschaft im 13. Jahrhundert dar.

In einem ersten Katalog gibt er in tabellarischer Übersicht 227 Namen mit Belegen von 1200 bis nach 1321 an.36

In einem zweiten Katalog erläutert er zu diesen 227 genannten Orten die Personen, de-ren Vorkommen in den schriftlichen Quellen, die örtliche Lage und ihr Umfeld/Klientel-bildungen ausführlich mit Quellenbelegen.37 Dem folgen 1406 urkundliche Belege mit Jahr und Quelle.38

Dem Buch fügt er 6 Übersichtskarten bei:

– Herren von Leisnig – Besitzungen (Ende 13. Jahrhundert)

– Herren von Colditz – Aufenthaltsorte (1250–1320)

– Herren von Schönburg – Aufenthaltsorte (1250–1320)

– Entwicklung des Adelsbestandes

– Der Adelsbestand um 1300

– Klientelbindungen um 1300

Zusammen mit den mediävistischen Quellen sind es vor allem archäologische Quellen, die uns mit topografischer Lage, archäologischem Denkmal im Gelände und Funden Hinweise auf die Existenz und die Dauer der Besiedlung der Burgen geben. Für wenige Anlagen liegen auch Er-gebnisse von Ausgrabungen vor. In der Masse handelt es sich bei den Funden um Lesefunde von Keramikscherben.

Von gleicher Wichtigkeit sind vor allem für die Lokalisierung der Anlagen die onomasti-schen Quellen in Form von Orts- und Flurnamen. Das betrifft u. a. solche Ortsnamen wie Al-tenburg, Pauritz-Podegrodici oder auf -hain endende Orte, wie z. B. Ehrenhain – 1173 Hagen. Neben auch in Thüringen weit verbreiteten Flurnamen zu Burgen, wie Burg mit verschiede-nen Zufügungen oder Schanze, sind es im Altenburger Land besonders die Namen zu Wahl, Waal. Sie bezeichnen in der Regel kleine Wasserburgen mit einem Teich – etwa Waalteich/Wahlteich.

Für die Orte des Altenburger Landes liegen die sogenannten Thümmelschen Karten, Flur- und Ortskrokis und anderes Kartenmaterial vor, auf denen die Burganlagen in der Regel gut herausgearbeitet sind. Sie zeigen nicht zuletzt die Lage der Burgen in ihrem Ver-hältnis zum Ort.39

Eine nicht zu unterschätzende Quelle für die Burgen/Sitze des Lokalen Adels sind die späteren Rittergüter. Anlässlich einer jüngeren Ausstellung im Museum Burg Posterstein wurden zwei Ka-taloge vorgelegt, in denen die Geschichte der Rittergüter im Altenburger Land dargelegt wird.40

Neben zahlreichen historischen Ansichten und Plänen sind den beiden Bänden die die je-weiligen Orte betreffenden Blätter der von Simon Carl Eugen Wagener erarbeiteten Landesver-messungskarten vom Anfang des 19. Jahrhunderts beigefügt. Diese geben die Topografie der Rittergüter in Bezug auf Ort und Flur zu dieser Zeit sehr anschaulich wieder.

Entsprechend der Topografie des Altenburger Landes existieren diese Burgen sowohl als Hö-hen- als auch als Niederungsburgen, wobei die letzteren bei Weitem überwiegen. Die Mehrheit von ihnen befindet sich als Wasserburg in einem künstlich angelegten Teich.

Teilweise sind die Inseln in den Teichen noch vollständig erhalten, wie z. B. in Schlöpitz, oder die Teiche wurden zugeschüttet, wie z. B. in Sommeritz, oder teilweise verfüllt, wie in Ehrenhain oder Nöbdenitz. Die Waalinsel in Tegkwitz ist so geflutet, dass sie sich jetzt unter der Wasseroberfläche befindet.

Von den wenigeren Höhen- bzw. Bergspornburgen ist die bis heute auffälligste Burg Poster-stein.41 Die Lage von solchen Burgen wie der in Starkenberg ist nur noch von ihrer Topografie her nachvollziehbar.

Leider mangelt es an archäologischen Untersuchungen auf den Burgen des Lokalen Adels. Keine dieser Anlagen konnte bisher systematisch und auch nur annähernd vollständig unter-sucht werden.42 Größere bauhistorische Untersuchungen fanden auf Burg Posterstein statt.43

1995 ergab sich durch Bauarbeiten die Möglichkeit, eine kleine Untersuchung am Waalteich von Sommeritz, heute Ortsteil von Schmölln, durchzuführen. Die Lage der Burg war durch den Flurnamen und die Topografie hinreichend bekannt. Bis vor wenigen Jahrzehnten war ein großer Teil des Waalteiches noch vorhanden und die Waalinsel mit dem späteren Herrenhaus des Rittergutes hob sich deutlich ab.

Die kleine Rettungsgrabung konnte aber nur im Vorburggelände bis an den ursprünglichen Teich heranreichend durchgeführt werden. Die Insel ist weiterhin durch das Herrenhaus be-setzt. Ein großer Teil des Vorburggeländes ist durch das Anlegen eines neuen Teiches ver-nichtet worden. In einem Schnitt wurden geringe Strukturen des Vorburggeländes und der ehemalige Übergang von diesem zum Teich erfasst. Größere Mengen von Keramik, die in das 14. Jahrhundert datiert werden kann, bezeugen, dass dieses Gelände zu dieser Zeit intensiv ge-nutzt wurde. Bemerkenswert für die Entstehungszeit der Anlage war Keramik, die an das Ende des 12. Jahrhunderts gehört.

Diese Keramik, die gewöhnlich als frühdeutsche Ware bezeichnet wird, stammt aus der Zeit der Gründung der Anlage – auf diese Ware, die m. E. besser als Ware des hochmittelalterlichen Landesausbaus in der Germania Slavica bezeichnet werden sollte, da sie vor allem Verände-rungen im Gebrauchswert und nicht das Ethnos ihrer Hersteller und Nutzer widerspiegelt, ist noch zurückzukommen.

1204 taucht eine Urkunde Bischof Berthold (II.) von Naumburg in der Reihe der Zeugen Heinricus de Zamurzk auf.44 Er sollte damit der Begründer der Herren von Sommeritz und Er-bauer der Burg, die seinen Stammsitz darstellt, sein.1282 wird ein Eberhard (Heberhard) von Sommeritz (militis de Zamburcz) mit seiner Frau Cunza (Cunze)erwähnt.45

Obwohl die Gleichzeitigkeit der Entstehung mehrerer dieser kleinen Burganlagen als Sitze des Lokalen Adels/Kleiner Herrschaftsträger auf Inseln in Waalteichen im Altenburger Land bisher nicht durch weitere Grabungen bestätigt wurde, gehen wir sicher nicht fehl in der An-nahme, dass auch bei einer unerheblich späteren Nennung eine vergleichbare Entstehungszeit solcher Burganlagen anzunehmen ist.

Bereits 1143 werden Erkenbert von Tegkwitz (Erkenbertus de Tecuiz) und Gerhard von Nöb-denitz (Gerhardus de Nubudiz) genannt.46 In beiden Orten befinden sich Wehranlagen auf Waalinseln, die in ihrer Topografie mit Sommeritz vergleichbar sind.

Dabei ist allerdings zu beachten, dass wir es im Fall der Herren von Tegkwitz mit den sich später Burggrafen nennenden Herren von Starkenberg und im Fall von Gerhard von Nöbde-nitz mit einem Angehörigen der Reichsministerialität zu tun haben.

Die Waalanlage von Nöbdenitz wird noch im 13. Jahrhundert von Burg Posterstein (Stein) ab-gelöst. Der Siedelhof Nöbdenitz gehörte bis Ende des 16. Jahrhunderts zum Besitz von Posterstein.

Der Ortsname Sommeritz ist slawischen Ursprungs. Er bezieht sich nach E. Eichler auf Wald und Holz bzw. die Bodenbeschaffenheit.47 Die ersten Nennungen weisen nicht auf den Ort, sondern auf die Lokale Herrschaft hin. In dem zwischen 1181 und 1214 entstandenen Zehnt-verzeichnis des Klosters Bosau wird Sommeritz nicht erwähnt.48

Abb. 46: Die Keramik des 12. Jahrhunderts von der Grabung am Waal von Sommeritz (Sachenbacher)

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Der Ort befindet sich außerhalb des ursprünglichen slawischen Siedelgebietes und der Orte der Erstnennung von Altenburg 976. In Bezug auf die Orte des Bosauer Zehntverzeichnisses liegt es zwischen den Orten mit slawischen und denen mit deutschen Ortsnamen südwestlich von Altenburg.

Name und Nennung weisen darauf hin, dass Sommeritz im Verlauf des hochmittelalterlichen Landesausbaus auf gerodetem Wald entstanden ist und dass Ort und Herrschaft in ihrer Ent-stehung als relativ gleichzeitig um 1200 anzusetzen sind. Da es sich um einen auf die Landschaft bzw. eine Tätigkeit bezogenen Ortsnamen handelt, kann nicht von vornherein angenommen werden, dass seine ersten Bewohner auch Slawen gewesen sein müssen. Der Name kann, wenn es sich um einen ursprünglichen Flurnamen gehandelt hat, auch von der Flur übernommen worden sein. Sollte sich der Name allerdings ausschließlich auf die Tätigkeit des Rodens von Wald be-ziehen, wäre anzunehmen, dass diese Tätigkeit von den ersten Einwohnern durchgeführt wurde und dass es sich dann um Slawen unter deutscher Herrschaft gehandelt hat. Dabei kann nicht be-weiskräftig entschieden werden, ob Heinrich von Sommeritz selbst als Lokator fungiert hat oder ob er der Initiator des Landesausbaus war und einen Slawen als Lokator eingesetzt hat.

Auf der Wagnerschen Landesvermessungskarte vom Anfang des 19. Jahrhunderts zeigt sich Sommeritz von seiner Entstehung her als zweizeilige Straßensiedlung mit Burg und Kirche am Rande des Ortes.49 Die Burg beherrscht das Dorfbild. Die Gehöfte befinden sich rechts und links des Baches Limpitz, der Sommeritz in zwei Teile teilt und den Waalteich speist. Er umfließt die Burg in einem Halbkreis und mündet in Schmölln in die Sprotte. Beide Gewässer-namen sind ebenfalls slawisch.

Die zahlreichen kleinen Burgen im Altenburger Land als Sitze und Herrschaftszentrum lo-kaler Machtausübung, in ihrer Mehrheit entstanden um 1200, zeigen anschaulich die neue Qualität des hochmittelalterlichen Landesausbaus in staufischer Zeit.

Es ist an dieser Stelle nicht möglich und nicht beabsichtigt, auf diese Prozesse in Bezug auf das umfassende Reichsterritorium Pleißenland einzugehen. Auch außerhalb des Pleißengaues bzw. des Altenburger Landes, das den territorialen Rahmen der Arbeit absteckt, vollziehen sich diese Entwicklungen analog.

Es ist deshalb berechtigt, für das Erscheinungsbild der Anlage auf dem Hügel auf der Waal-insel von Sommeritz analoge Beispiele im Bereich des Reichsterritoriums Pleißenland bzw. aus seiner unmittelbaren Umgebung heranzuziehen.

1967 bis 1970 wurde auf dem Gelände des hochmittelalterlichen „Waal“ in Beerwalde, da-mals Kreis Hainichen, Sachsen, eine Grabung durchgeführt, die die Möglichkeit bot, die Burg-anlage auf dem Turmhügel zu rekonstruieren.50

Die Burg von Beerwalde hat von der ersten Hälfte des 13. bis zu den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts bestanden. Auch der Waal von Beerwalde befindet sich auf der Flur eines ehemaligen Rittergutes. Beerwalde liegt an der Grenze der Grafschaft Rochlitz mit dem Plei-ßenland.

Der Durchmesser der Anlage beträgt ca. 50 m, der Bühl hat einen Durchmesser von ca. 16 m, der Graben eine durchschnittliche Breite von ca. 6 m. Das ist durchaus mit den Maßen des Waals von Sommeritz vergleichbar.

Bei der Grabung in Beerwalde konnten die Reste einer mittelalterlichen Brücke gefasst werden, die den Zugang zur Hauptburg darstellt. Die Grundschwelle besitzt eine Länge von 2,90 m.

Die Grabung auf dem Bühl selbst zeigte, dass das Gelände zuvor für Ackerbau genutzt wor-den war. Das bedeutet, dass die Burganlage nicht zeitgleich mit der Rodung, sondern erst spä-ter angelegt wurde. Zuvor bestand ein Hof auf benachbartem Land. Siedlung und Burg wurden demnach in einem zeitlichen Abstand errichtet. Die Burg wurde nach dem keramischen Mate-rial in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts gebaut.

In der Mitte des Bühls befand sich ein mittelalterlicher Turm. Dieser war mit seinen stei-nernen Grundmauern, die bis zur ehemaligen Oberfläche reichten, in den Boden eingetieft. Der Unterbau des Turmes bestand aus Lehmstampfwerk. Dass nicht der gesamte Unterbau aus Stein war, geht nach W. Schwabenicky eventuell auf eine Rechtsvorschrift zurück, nach der solche steinernen Unterbauten bei Burgen des niederen Adels nicht über die Erdoberfläche reichen durften.51

Vom Oberbau haben sich nur verziegelte Lehmböden erhalten. Die erste Burg wurde gegen Ende des 13./Beginn des 14. Jahrhunderts zerstört. Die wieder errichtete Anlage bestand bis zu den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts. Sie wurde durch Burg Kriebstein abgelöst. Hier liegt zeitversetzt ein ähnliches Verhältnis vor wie von Nöbdenitz zu Posterstein. Die Ablösung ist verbunden mit dem Anheben der Bedeutung und der Vergrößerung des Grundbesitzes ein-zelner Geschlechter.52

Die Errichtung und der Ausbau der Burgen des lokalen Adels sowie die Anhebung von de-ren Ansehen und Besitz können als Erscheinung über den Bereich des Pleißengaues bzw. des Reichslandes Pleißen hinaus verfolgt werden.

Da für die Burganlage von Starkenberg leider noch keine Ausgrabungsergebnisse vorliegen, ist noch nicht mit Sicherheit zu entscheiden, ob die Erhöhung der Herren von Tegkwitz zu den Burggrafen von Starkenberg sich auch im Burgenbau niederschlägt, denn auch hier haben wir es mit einer Waal-Anlage in Tegkwitz und einer Höhenburg in Starkenberg zu tun.

Die das gesamte Gebiet überziehenden Burgen des Lokalen Adels/der Kleinen Herrschafts-träger bezeugen eine der wichtigsten Kräfte des hoch- und spätmittelalterlichen Landesaus-baus auch im äußersten Osten Thüringens. Dieses bei Weitem zahlenmäßig stärkste Glied der Träger einer Herrschaft bildet die leitende Kraft dieses Landesausbaus vor Ort. Ihre politische Herrschaft wird entscheidend durch wirtschaftliche Stärke in Form der Landwirtschaft und geistig-religiöses Leben in ihrem ländlichen Herrschaftsbereich beeinflusst. Sie sind in ihrem Besitz, in ihrem Einfluss und in ihrem wirtschaftlichen und politischen Vermögen differen-ziert und so einzuordnen.

Bei ihren Sitzen überwiegen im Pleißengau entsprechend der Topografie dieses Gebietes so-genannte Waal-Anlagen, d. h. kleine Turmhügelburgen auf Inseln in Teichen. Ob bei Aus-dehnung ihrer Herrschaft mehrfach eine Übersiedlung auf Höhenburgen, wie im Fall Nöb-denitz-Posterstein und Tegkwitz-Starkenberg auf Bergvorsprüngen, typisch ist, ist weiter zu untersuchen.

Abb. 47: Anlage in Nöbdenitz auf dem Urkataster von 1808 (Posterstein 2007, 33)

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III.1.2 Kirche, Kirchenorganisation und Slawenmission

Mit dem Übergang zur deutschen Herrschaft im letzten Drittel des 10. Jahrhunderts werden christliche Religion und Kirche auch im Pleißengau zur entscheidenden geistigen und geist-lichen Kraft des Landesausbaus. Dabei ist zu beachten, dass auch hier im östlichsten Thüringer Teil der Germania Slavica Brauchtum und Kult der Slawen nachwirken.

Seit der Gründung des Bistums Zeitz 968 gehört der Pleißengau zu diesem Bistum, dessen Mittelpunkt 1028 nach Naumburg verlegt wurde.

Inwieweit die Schenkung u. a. von Altenburg und anderen Orten 976 an die Zeitzer Kirche zu deren Ausstattung wirklich wirksam wurde, lässt sich aufgrund weiterer fehlender Nach-richten nicht nachvollziehen.

Mit der dreibändigen Geschichte der Kirchen und Schulen des Herzogthums Sachsen-Alten- burg von 1886–1891 liegt ein vielseitiges Nachschlagewerk zu wichtigen Fragen der Kirchenge-schichte, des Umfangs und der Geschichte der einzelnen Ephorien und Parochien vor, das bei aller Notwendigkeit zur Überarbeitung nach wie vor reiches Material beinhaltet, um darauf aufzubauen.53

Bei der Einordnung dieser Prozesse im Pleißengau in größere Zusammenhänge bietet die Kirchengeschichte Sachsens im Mittelelter von Walter Schlesinger, die längst nicht um-fassend ausgeschöpft ist, vielfältige Hinweise auf Vernetzungen.54 Die onomastische und archäologische Forschung hat ebenso wie die Mediävistik seitdem zahlreiche neue Fakten und Zusammenhänge erbracht, die ein umfassenderes Bild aufzeigen. Christianisierung, Slawenmission und Aufbau sowie Festigung einer sicheren Kirchenorganisation bieten eine Fülle an neuem Stoff, den es gilt, auch in Bezug auf den früh- und hochmittelalterlichen Landesausbau auszuwerten. Die vorliegende Arbeit kann dazu nur einen kleinen Beitrag leisten.

Wann und wo hier die erste Kirche – mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Holzbau – errichtet wurde, ist weder schriftlichen noch archäologischen Quellen zu entnehmen. Es ist aber mit Si-cherheit anzunehmen, dass dieser Bau sich auf dem Gelände des Mittelpunktes des deutschen Burgwards – auf dem Altenburger Schlossberg bzw. in seiner Nachbarschaft – befand.55

Das Gelände um den natürlich jüngeren Kopfnischensarkophag markiert am ehesten die Lage einer frühen Kirche neben dem Friedhof aus dieser Zeit.56 Hans Patze geht davon aus, dass Altenburg 976 noch keine Kirche besaß: „Wahrscheinlich haben wir in Altenburg um 1100 mit einer Kirche zu rechnen“.57 Es ist aber wohl unwahrscheinlich, dass das Zentrum des deutschen Burgwards zwischen 976 und 1100 und damit ca. 125 Jahre lang über kein eigenes Gotteshaus verfügte.

Walter Schlesinger macht auf den Ort Buosendorf in der Urkunde von 976 aufmerksam. Er wirft die Frage auf: „Sollte Boso auch hier eine für slavische Dörfer der Umgebung bestimmte Kirche gegründet haben?“58 Der genaue Platz, an dem sich die Wüstung Buosendorf befand, ist bis heute nicht bestimmt. Alles andere als abwegig ist auch seine Vermutung, eine frühe, zu Altenburg gehörige Kirche im Zusammenhang mit Buosendorf auf dem Gelände der späteren Nikolaikirche zu suchen: „Sollte diese unzweifelhaft alte Kirche etwa die Nachfolgerin einer von Boso gegründeten Missionsstation, der „Nikolaikirchhof“ der Platz des alten Buosendorf sein?“59 Im letzten Jahrzehnt von der Altenburger Stadtarchäologie hier durchgeführte Gra-bungen haben zwar Hinweise auf eine Besiedlung ab dem 12. Jahrhundert und die Baugestalt der alten Nikolaikirche mit ihrer Umgebung erbracht, aber keine Spuren einer frühen Kirche des 10. Jahrhunderts.

Zumindest kann angenommen werden, dass der Ortsname Buosendorf von 976 mit dem missionarischen Wirken von Boso um die Mitte des 10. Jahrhunderts zu tun hat. Sollte der Ort von ihm gegründet worden sein, muss das noch vor 968 erfolgt sein, als er nach eigenem Willen erster Bischof von Merseburg und nicht von Zeitz wurde.

Um die Mitte des 11. Jahrhunderts wird im Pleißengau das erste Kloster auf dem Pfefferberg von Schmölln (Verballhornung des Begriffes Pfaffenberg) gegründet. An seiner tatsächlichen Errichtung ist zwar nicht mehr zu zweifeln, aber unklar ist weiterhin, wie lange es bestand und wie groß seine Wirkung vor allem in Bezug auf die Slawenmission war.60

In der Urkunde zur Kirche Altkirchen von 1140, auf die im Folgenden ausführlich einzu-gehen ist, wird ein „Heinricus magister et in Plisna archidiaconus“ genannt.61 1140 existierte demnach bereits der Archidiakonat Pleißenland mit mehreren Pfarrsprengeln und Kirchen.

Schlesinger macht auf den Zusammenhang zwischen frühen Kirchgründungen und Burg-warden aufmerksam:

Einer der ersten Pfarrsprengel im Pleißenland, über dessen Umfang diese Urkunde Auskunft gibt, war der Pfarrsprengel Altkirchen.

Die Urkunde sollte so gelesen werden, dass Altkirchen (Aldenkirkin bzw. Starecoztol) nicht die Bezeichnung eines Ortes, sondern der Name der Kirche war. Diese Annahme wird sowohl durch den Wortlaut der Urkunde, in dem Altkirchen als Kirche bezeichnet wird, als auch da-durch gestützt, dass Altenkirchen im Gegensatz zu den umliegenden Orten nicht im Bosauer Zehntverzeichnis (1181–1214) genannt wird. Dagegen spricht allerdings, dass es 1192 in einer Urkunde Heinrich VI. heißt: „… ecclesiam in Aldenkirchen“.63

Bischof Udo (I.) von Naumburg, der die neue steinerne Kirche zu Altkirchen weiht, führt aus, dass es mehrere Vorgängerkirchen aus Holz gegeben habe und dass die erste Kirche hier von seinem Vorgänger Bischof Günter geweiht worden sei. Günter war von 1079 bis 1089 im Amt. Die älteste Kirche bestand also im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts. Sie war nur wenige Kilometer von Schmölln, dem Standpunkt des ersten Klosters im Plei-ßengau, entfernt. Wir haben hier einen Konzentrationspunkt für die Slawenmission im Pleißengau zu suchen.

Wir erfahren, dass diese erste Kirche, deren Standort wir nicht kennen, eine Holzkirche war. In der Urkunde heißt es, dass Altkirchen in der „lingua rustica Aldenkirkin“ und in der „lingua vero patria Ztarecoztol“ genannt wird.64 Wenn Ende des 11. Jahrhunderts eine Kirche slawisch benannt wurde, so ist der Prozess der Slawenmission hier bereits deutlich vorange-schritten.

Zum Umfang des Pfarrsprengels, den Bischof Udo 1140 bestimmt, gehören 32 Orte. In einem dieser Orte – Schwanditz (Zvenz) – existierte eine weitere Kirche. Nöbden (Nebedim) wird zur Dos der Kirche bestimmt. Im Ort Schwanditz existieren Spuren einer Wasserburg. Die Herren von Schwanditz tauchen allerdings erst zu Beginn des 14. Jahrhunderts auf. Mangels Ausgra-bung kann der zeitliche Zusammenhang von Burg und Kirche nicht ermittelt werden.

Dass es gleichzeitig territorial unmittelbar neben Altkirchen damals im Archidiakonat Plei-ßenland weitere Pfarrsprengel gegeben haben muss, geht auch aus der Formulierung hervor, dass Göldschen (Gotelzian) zur Hälfte zum Altkirchener Sprengel gehört. Die andere Hälfte des Ortes war Bestandteil eines anderen Sprengels.

Abb. 48: Orte der Parochie Altkirchen von 1140 (Wagner 1846)

In der Kirche des 1140 zum Pfarrsprengel Altkirchen gehörigen Ortes Mohlis (Malus), zu dem 1140 noch keine Kirche gehörte, musste 2005 eine kleine Notbergung durchgeführt werden. Zu diesem Zeitpunkt war bereits der gesamte Fußboden im Inneren der Kirche ausgeräumt, so dass kein Profil mehr angelegt werden konnte. Im Abraum fielen Keramikscherben des 14. Jahrhunderts auf. Im Kircheninneren waren durch das Ausräumen der oberen Schichten der Ansatz des eingezogenen Chores und der halbrunden Apsis zu erkennen.

Bei der ursprünglichen Kirche handelte es sich um einen vollständigen Kirchenbau mit längsrechteckigem Schiff, eingezogenem Chor und halbrunder Apsis. Bauspuren und die Ke-ramik zeigten, dass dieser Bau im 14. Jahrhundert erweitert worden war. Die Datierung des ursprünglichen Kirchenbaus ist demnach spätestens in das 13. Jahrhundert zu setzen.

Auch weitere Kirchen des Altkirchener Sprengels von 1140 zeigen romanische Baustruktu-ren. Der Landesausbau ab dem zweiten Drittel des 12. Jahrhunderts bis in das13. Jahrhundert war demnach begleitet von der Errichtung weiterer Kirchenbauten und Pfarrsprengel sowie der Festigung der Kirchenorganisation im Pleißengau insgesamt.

Kirchen im Altkirchener Sprengel von 1140 bzw. unmittelbar benachbarte, wie die in Illsitz und Jauern, zeigen durchaus Spuren wehrhafter Elemente, die auch in ihrer Topografie zum Ausdruck kommen. Ihre hervorgehobene Lage auch in Randlage als ein Kernpunkt des Or-

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tes untermauert diesen Eindruck. Dazu kommt, dass sie in der Regel als erster und einziger Steinbau im Ort im Notfall als ein gewisser Rückzugsort dienen konnten. Das berechtigt aber keinesfalls dazu, diese Bauten als Wehrkirchen zu bezeichnen.65

Tegwitz, Kirche St. Marien.

Rekonstruktion des ursprünglichen Zustandes.

Ansicht von Südosten.

Abb. 49: Rekonstruktionszeichnung der Tegkwitzer Kirche in romanischer Zeit (Richter)

Abb. 50: Grundriss der Kirche Tegkwitz mit den Grabungsbefunden (Queck)

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Mit den Kirchenbauten im Sprengel Altkirchen stellt sich die typische Erscheinung des flä-chendeckenden ländlichen Kirchenbaus im 12./13. Jahrhundert in der Germania Slavica des Pleißengaues dar. Es hat sich ein Prozess der Einheit von Slawenmission und Kirchenorga-nisation vollzogen, der ein wichtiger Bestandteil des hochmittelalterlichen Landesausbau ist. Einen davon unterschiedenen Kirchenbau stellt die Kirche von Tegkwitz dar.

Sie fällt schon äußerlich durch ihre Größe und den wuchtig wirkenden, breiten Westturm auf. Von den deutlich sichtbaren gotischen Elementen heben sich die romanischen, wie z. B. ein Biforium, ab. Im Grundriss schließt sich an das längsrechteckige, breite Kirchenschiff ein polygonaler Chor an. Im Westen ist auf der gesamten Breite des Kirchenschiffs ein Turm mit rechteckigem Grundriss vorgelagert, der mit dem Schiff verbunden ist. Im Inneren sind deut-liche Spuren einer älteren Gestalt vorhanden. Im Turm befinden sich bis zu seinem oberen Abschluss Ritzfugen.

Von 2000 bis 2002 war es möglich, den Innenraum des Kirchenschiffs beinahe flächende-ckend archäologisch zu untersuchen; gleichzeitig erfolgte durch den Bauforscher Jörg Richter, Halberstadt, eine Untersuchung des aufgehenden Mauerwerks. Bauforschung und Archäolo-gie konnten von der Untersuchung bis zur Auswertung aufeinander abgestimmt werden.66

Obwohl beinahe der gesamte Innenraum des Kirchenschiffs durch jüngere Backsteingrüfte eingenommen und damit erheblich gestört wurde und die Bauten des Altarraumes den Gra-bungen eine Schranke setzten, konnten wichtige Schlüsse auf zumindest einem Vorgängerbau der heutigen Kirche gezogen werden. Dabei handelt es sich um eine vollständige Anlage mit eingezogenem Rechteckchor und zu vermutender halbrunder Apsis.

Leider stehen die starken jüngeren Störungen beim Einbau der Grüfte weitergehenden Schlüssen entgegen. Es war auch nicht möglich, nach Abschluss der Grabungen im Schiff eine Untersuchung im Westturm vorzunehmen. Das im Schiff geborgene Fundmaterial in Gestalt von Keramik und Münzen stammt aus Auffüllschichten. So kann die Archäologie nur auf dem Datierungsansatz der Bauforschung aufbauen, der den archäologischen Untersuchungen nicht widerspricht, ohne sie im Einzelnen jedoch sicher stützen zu können:

Unter dem Fundmaterial fallen Keramikscherben auf, die der späten Latenezeit bzw. frühen Kaiserzeit angehören. Sie sind für das Altenburger Gebiet von erheblicher Bedeutung, wenn-gleich sie hier nur erwähnt werden sollen. Wichtig für den in der vorliegenden Arbeit behandel-ten Zeitraum des frühen und hohen Mittelalters dagegen ist in der Kirche geborgenes Material, das in das 9. Jahrhundert datiert werden kann und auf eine westsaalische Herkunft hindeutet. Es verbietet sich zwar, hier einen Bezug zu einem Vorgängerbau der Kirche zu suchen, aber für die Besiedlungsgeschichte des Altenburger Landes ist dieser einmalige Fund doch von Be-deutung. Eine endgültige Auswertung würde allerdings voraussetzen, dass weitere Funde im Zusammenhang mit deutlichen Befunden gemacht werden können, was bislang nicht der Fall ist. Bis dahin ist lediglich zu konstatieren, dass wir es mit einem Zufallsfund zu tun haben, der in die uns bekannte slawische Besiedlung des 9. Jahrhunderts in diesem Gebiet einzureihen ist. Diese Keramik verlangt nahezu einen Vergleich mit der bereits behandelten Ware von Schwaa-ra bei Gera und von Burg Ranis. Wir haben es hier mit dem gleichen Typ zu tun.

An der Kirche von Tegkwitz fallen vor allem zwei Besonderheiten gegenüber den zeitgleich entstandenen ländlichen Kirchen im Gebiet auf:

– erstens ist sie von erheblicher Größe

– und zweitens besitzt sie einen herausragenden breiten Westturm – es handelt sich dabei um einen Turm und nicht um ein Westwerk.

J. Richter konnte feststellen, dass die Nordwände von Turm (8,16 m lang) und Schiff (7,80 m lang) original aus romanischer Zeit erhalten sind.68 Die archäologischen Untersuchungen be-stätigten diese Tatsache für den Verlauf der Südwand. Das wiederum wird durch die Bau-forschung im Bereich des Südzuganges, wo sich auch der alte Zugang befand, gestützt. Da der Westturm grob in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts – mit Tendenz zur Jahrhundertmitte (s. o.) – gesetzt werden kann, ergibt sich, dass die ursprüngliche Länge des Schiffes vom Turm bis zum Ansatz des eingezogenen Chores reichte. Die Länge des Turmes sowie des eingezoge-nen Chores und der Apsis sind hinzuzurechnen. Ritzfugen, die annähernd bis in die heutige Höhe im Turminneren reichen, weisen auf seine ursprüngliche Höhe hin. Diese Größe ist für eine Dorfkirche dieser Zeit außergewöhnlich und zeigt eine besondere Bedeutung auf.

Die Forschungen J. Richters erbrachten, dass sich der Westturm ursprünglich durch zweibö-gige/dreibögige Erdgeschoßarkaden zum Kirchenschiff hin öffnete. Das sorgfältig gearbeitete Biforium an der Turmnordwand und Balkenlöcher verweisen auf eine romanische Empore im Turm. J. Richter zeigt einen Vergleich mit der Chorturmkirche in Nöbdenitz auf, die die Eigen-kirche der bereits genannten Herren von Nöbdenitz darstellt.

1143 wird Erkenbert von Tegkwitz (Erkenbertus de Tecuiz) in einer Urkunde König Konrads III. unter den Zeugen genannt, und zwar zwischen Heinrich von Altenburg, dem späteren Burggrafen von Altenburg, Gerhard von Nöbdenitz und Heinrich I. von Weida.69 Diese Stel-lung in der Zeugenreihe weist ihm eine nicht unerhebliche Bedeutung unter den dem König nahestehenden Personen zu.70

Die Empore im Westturm der Kirche, die J. Richter mit relativ großer Sicherheit plausibel machen konnte, ist den Herren von Tegkwitz zuzuordnen. Die Kirche war ihre Eigenkirche und zugleich Gotteshaus der Gemeinde. Der Vergleich mit den Herren von Nöbdenitz zeigt, dass diese Tatsache zumindest bei einem hervorgehobenen Teil der Kleinen Herrschafts-träger im Pleißengau zu dieser Zeit keinen Einzelfall darstellt. Dabei ist auch zu berück-sichtigen, dass der Waal in der Waalinsel von Tegkwitz mit seinem Gebäude ebenso wie der von Nöbdenitz kaum Platz für eine separate Burgkirche geboten hat. Das träfe dann natür-lich auch auf solche Lokale Adlige wie die Herren von Sommeritz zu. Ihr Sitz in der Kirche des Ortes dürfte allerdings weniger hervorgehoben gewesen sein als der der Tegkwitzer und Nöbdenitzer.

Die Geschichte der Klöster im Pleißengau ist ein Problem der Forschung, das zwar nicht als Desiderat bezeichnet werden kann, aber dennoch intensiverer Ausarbeitung bedarf. Abgese-hen von Schmölln mit seiner Klostergründung um die Mitte des 11. Jahrhunderts, deren Fol-gen mangels fehlender Urkundenlage nicht absehbar sind, ist eine frühe Klostergeschichte im Pleißengau nicht nachvollziehbar. Das 1132 gegründete Zisterzienserkloster Schmölln wurde bereits vor dem 13. Januar 1138 nach Schulpforte verlegt.71

Die Rolle, die Klöster beim Landesausbau in der Germania Slavica spielten, kommt im Plei-ßengau außer im Fall Bosau nur in Bezug auf Altenburg selbst zum Tragen. Die bedeutende Rolle des Bergerklosters in Altenburg, auf dessen Gelände umfangreiche Ausgrabungen statt-fanden, ist ebenso im nächsten Kapitel zu behandeln wie die archäologischen Untersuchungen an der Nikolaikirche und im Bereich des Klosters zum Heiligen Kreuz der Magdalenerinnen in der Innenstadt von Altenburg.

Offensichtlich hängt die relativ späte Klostergeschichte im Pleißengau mit der besonderen Rolle des 1118 durch den Naumburger Bischof Dietrich (1111–1123) bei Zeitz gegründeten Klosters Bosau zusammen, das den besonderen Schutz des Bischofs und seine hervorragende Aufmerksamkeit genoss.72 „Als Missionssprengel waren dem Kloster die Gaue Zwickau, Gera und Pleißen zugewiesen.“73 Ein wichtiger Bestandteil des Wirtschaftslebens des Klosters wa-ren von Anfang an die Zehnteinkünfte. „Aus dem Pleißengau konnte es seit 1121 einen Zehnt von insgesamt 1000 Schobern, aus dem Gau Gera 100 Schober eintreiben.“74

Ob die Verlegung des Bischofssitzes nach Naumburg und des Schmöllner Zisterzienserklos-ters nach Pforte sowie das Fehlen weiterer Klostergründungen bis zur Mitte des 12. Jahrhun-derts vorrangig oder sogar ausschließlich mit der ablehnenden Haltung der Slawen in Verbin-dung zu bringen ist, wie das in zeitgenössischen Quellen angegeben wird, ist anzuzweifeln.75Die zahlreichen Ortsgründungen durch Slawen und die Geschichte des Altkirchener Sprengels sprechen eher für eine feste Integration der Slawen in die Herrschaft und eine fortgeschrittene Slawenmission in dieser Zeit. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass die für die Verlegungen angeführten Gründe zumindest die Zeitgenossen überzeugt haben müssen, sonst wären sie so nicht angegeben worden.

Erst in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts fällt die Gründung des Klosters Grünhain im Erzgebirge, das über einen Klosterhof in Gardschütz bei Altenburg und zahlreichen Besitz im Altenburger Land verfügte. Die Nähe von Gardschütz zur Stadt Altenburg lässt den Schluss zu, dass dieser Standort nicht zuletzt mit Bezug zum Altenburger Marktgeschehen und damit aus wirtschaftlichen Gründen gewählt wurde.76

Zwischen 1260 und 1271 wurde in Grünberg im Altenburger Land – wahrscheinlich durch die Burggrafen von Starkenberg aus dem Geschlecht derer von Tegkwitz – ein Frauenkloster gegründet, das bereits 1292 in das benachbarte Frankenhausen verlegt wurde.77 III.1.3 Siedlung und Wirtschaft

Die Aussagemöglichkeiten der Archäologie zu Siedlung und Wirtschaft im Pleißengau nach 976 sind gering. In der Regel bestehen die ab dem 11. Jahrhundert gegründeten Orte noch heu-te, wenn sie nicht später wüst gefallen sind. In bestehenden Orten wurden ebenso wie auf dem Gelände von Wüstungen bislang keine nennenswerten Ausgrabungen durchgeführt. Durch Notbergungen wurden nur kleine Ausschnitte erfasst, die zumeist nur Keramikscherben er-brachten, wie z. B. in Podelwitz, südwestlich von Altenburg. Hier waren 1973/1974 in der Flur Kleinpodelwitz bei Schachtarbeiten (ohne reguläre Ausgrabung) ca. 1500 Scherben einer hart-gebrannten, scharfprofilierten, helltonigen, wellen- und kammstichverzierten Ware gefunden worden, die in das 12. Jahrhundert weist. Bei dieser Keramik, die vom Verfasser ehemals selbst als noch eindeutig slawisch bezeichnet wurde, handelt es sich um eine territorial gebundene Keramik, die zwar noch auf slawische Tradition verweist, aber besser, wie ausgeführt, als Ware des hochmittelalterlichen Landesausbaus in der Germania Slavica in Ostthüringen bezeichnet werden sollte.78

Bezeichnenderweise handelt es sich bei Podelwitz entsprechend dem Ortsnamen um einen Ort, der von Slawen unter deutscher Herrschaft errichtet wurde. Podelwitz wurde 1181/1214 erstmals genannt. Der Ortsname ist nach Ernst Eichler schwer deutbar und könnte auf Ge-bäude/Siedlung zurückgeführt werden.79 Auf einen von Slawen bewohnten Ort, dem zu dieser Zeit bereits von deutschen Bauern bewohnte Orte benachbart waren, deutet auch die Flurbe-zeichnung Kleinpodelwitz hin.

Leider war es bisher nicht möglich, gesamte Orte bzw. größere Wüstungen archäologisch zu untersuchen und so Rückschlüsse auf ihre Größe bzw. die Prozesse ihrer Entstehung und ihres Wachsens zu ziehen. In diesem Fall müssen Vergleiche mit auch weiter entfernten Gebieten herangezogen werde. Wichtige Hinweise dafür gibt Felix Biermann in seiner Arbeit Archäo- logische Studie zum Dorf der Ostsiedlungszeit , wenngleich er sich dabei mit Orten in Branden-burg beschäftigt.80 Diese Studie basiert auf seiner 2006 vorgelegten Habilitationsschrift und ist durch die Arbeiten anderer Wissenschaftler erweitert worden. Genannt sei hier exempla-risch H.-J. Bautsch, der die Gesteinsproben von Miltendorf untersucht hat und zu dem Schluss kommt, dass ein Mahlstein aus Rochlitzer Porphyr und damit aus der weiteren Umgebung von Altenburg stammt.

Die Arbeit Biermanns ist als weitestgehend umfassend zu bezeichnen und zieht auch Ver-gleiche zu weiter entfernten Gebieten. Sie kann auch für das Untersuchungsgebiet beim Fehlen archäologischer Untersuchungen in Siedlungen vielfach zu Rate gezogen werden.

Die Untersuchungen Felix Biermanns stützen sich auf die interdisziplinäre Bearbeitung von zwei Wüstungen in Brandenburg: Miltendorf und Damsdorf.

Im Fläming unweit von Wiesenburg befindet sich in einem Territorium mit weiteren Wüs-tungen die Dorfstelle Miltendorf. Die Besiedlung in einem Gebiet, das wohl zuvor von den Sla-wen verlassen worden war, beginnt im 12. Jahrhundert, die Wüstungsprozesse datieren nach W. Schich in das 15. Jahrhundert Der slawische Ortsname ist identisch mit einem Ortsnamen bei Zipsendorf im Altenburger Land, der zum Kloster Bosau gehörig ist.

Unabhängig von den möglicherweise sehr engen personellen Verflechtungen der Dorfgrün-der/Lokatoren gibt es hier unübersehbare und mediävistisch, archäologisch und onomastisch erwiesene chronologische Übereinstimmungen, denen man wohl mit Sicherheit eine reine Zu-fälligkeit absprechen kann.

Damit ergibt sich die berechtigte Möglichkeit, Prozesse des Landesausbaus auch bezogen auf eine einzelne Siedlung über so weite Entfernung hinweg vergleichen zu können. Das betrifft si-cher nicht nur die Gesamtheit des historischen Prozesses des Landesausbaus/der Ostsiedlung, sondern auch Details bis hin zu den Ortstypen, dem Hausbau, den wirtschaftlichen, geistigen und herrschaftlichen Vorgehensweisen. Hier bieten sich Forschungsansätze an, die bislang so kaum denkbar erschienen. So erscheint es durchaus berechtigt, von der Untersuchung F. Bier-manns von Miltenberg in Brandenburg auf Siedlungsstrukturen im Pleißenland zu schließen. Biermann stellt relativ ausführlich anhand der Funde und Befunde die Probleme der Anlage und die Entwicklung der Siedlung dar, die Befunde zu Hausbau, Siedlung und Wirtschaft usw. Hier bieten sich vielfältige Vergleiche an, die nicht nur das Pleißenland betreffen, sondern auch für den Geragau/Nördliches Vogtland und den Orlagau tragbar sind.

Am Ende seines Resümees trifft er eine kurze Zusammenfassung, die sicher auch für die Entwicklung in Ostthüringen herangezogen werden kann:

Das „Fehlen“ slawischer Traditionen ist allerdings m. E. in dieser strengen Form weiter zu überdenken.

Wie wissenschaftlich fruchtbar ein weiträumiger Vergleich ähnlich verlaufender Prozesse auch über größere Entfernungen sein kann, zeigt Felix Biermann nicht nur in diesem Werk, sondern zusammen mit Jiri Machacek, Franz Schopper und mehreren Autoren kleinerer Bei-träge in An Thaya und Notte im Mittelalter , wo sie Prozesse des frühen Mittelalters im west-slawischen Raum anhand der Analyse von sozio-wirtschaftlichen und kulturellen Systemen untersuchen.83 Diese Analyse gibt wichtige Hinweise für solche weiträumigen Vergleiche überhaupt mit Hilfe von Erkenntnissen der Kybernetik und Systemtheorie. Hier bieten sich mehrfach auch Anknüpfungspunkte für die Einbindung Ostthüringens in solche Analysen, die allerdings folgenden Publikationen vorbehalten bleiben muss.

Ab dem 12. Jahrhundert mehren sich urkundliche Nachrichten, in denen einzelne Orte im Pleißengau genannt werden. In der bereits aufgeführten Urkunde zu Altkirchen von 1140 wer-den bereits allein 32 Orte als zum Sprengel Altkirchen gehörig erwähnt. Auf deren Größe und Struktur gibt diese schriftliche Quelle allerdings keine Hinweise.

Zu Beginn des 20.  Jahrhunderts wurde durch den Bearbeiter des Urkundenbuchs des Hochstifts Naumburg, Felix Rosenfeld, eine Entdeckung gemacht, die wichtige Aufschlüsse zur Siedlungsgeschichte des Pleißengaues gibt. Es handelt sich um das Zehntverzeichnis des Klosters Bosau bei Zeitz, dem der Zehnt im Gau Zwickau, im Pleißen- und Geragau zustand. Dadurch erhalten wir auch den entscheidenden Hinweis zur Ausdehnung des Pleißengaues in dieser Zeit. Seine Entstehung kann in die Zeit zwischen 1181 und 1214 – am ehesten um 1200 – datiert werden.84

Da die Orte offensichtlich in der Folge des möglichen Eintreibens des Zehnten genannt sind, unternimmt der erste wissenschaftliche Bearbeiter, Hans Patze, den Versuch, anhand der vor-liegenden Schreibweise heute unbekannte Orte mit modernen Ortsnamen und Wüstungen zu identifizieren. Diese Vorgehensweise begründet er im Einzelnen nachvollziehbar.85

Im Bosauer Zehntverzeichnis werden 184 Orte genannt, die Schoberzehnt bzw. Scheffel-zehnt zu erbringen haben, der vom Zehntberechtigten abzuholen war. Nach der Reihenfolge der Nennung teilt Hans Patze die Orte in vier große Gruppen ein.

Aus der Anzahl der zu erbringenden Schober kann auf die Anzahl der Hufen geschlossen wer-den. „Je Hufe ist ein Schober Zehnt zu leisten … Die Hufe bezeichnet hier nicht das Bauerngut, sondern sie stellt eine Flächeneinheit dar, der freilich in der Regel ein Betrieb von normaler Größe entsprach.“87

Auf der Grundlage seiner Arbeit von 1953 hat Hans Patze das Bosauer Zehntverzeichnis in sein Altenburger Urkundenbuch von 1955 übernommen.88 Auf dieser Grundlage kann bei Beachtung aller möglichen Fehlerquellen und der Einbeziehung anderer Quellengattungen auf die relative Größe der im Verzeichnis genannten Orte im Pleißengau um das Jahr 1200 geschlossen werden. An dieser Stelle wird das Fehlen großflächiger Siedlungsgrabungen, die diesen Zeitraum erfassen, besonders schmerzlich deutlich.

Der weitaus größte Teil der genannten Orte trägt einen slawischen Ortsnamen, nur 37 der 184 genannten einen deutschen. Karlheinz Hengst hat die Ortsnamen einer eingehenden sprachwissenschaftlichen Analyse unterzogen.89 Auf dieser Basis konnte er bisherige Deu-tungen präzisieren. Er arbeitet die Herkunft der slawischen und deutschen Ortsnamen nach Personennamen und Appellativa heraus und stellt in einem Register die Nennung im Zehnt-verzeichnis dem heutigen Ortsnamen bzw. dem Wüstungsnamen gegenüber.

Die Arbeiten von Hans Patze und Karlheinz Hengst ergeben die Möglichkeit, das so gewon-nene Bild zusammenfassend festzuhalten. Neben anderen Interpretationsmöglichkeiten ergibt sich folgendes Bild: Erstens markieren und erfassen die Orte sowohl mit vorrangig slawischen als auch mit deutschen Ortsnamen jetzt das gesamte Territorium des Pleißengaues. Sie mar-kieren im Vergleich mit den ursprünglichen slawischen Siedlungen und den Ortsnennungen in der Urkunde von 976 einen enormen Fortschritt des Landesausbaus. Die Anzahl der ge-nannten Orte übersteigt durch Wüstungsvorgänge die Zahl der heutigen Ortslagen erheblich. Der spätere Bevölkerungszuwachs ist in erster Linie durch Vergrößerung der Orte entstanden.

Bei einem reinen Vergleich der slawischen und deutschen Ortsnamen ergibt sich, dass ers-tere annähernd über das gesamte Territorium des Pleißengaues verbreitet sind. Sie kommen konzentriert in dem Territorium vor, das durch archäologische Funde als ursprüngliches sla-wisches Siedelgebiet ausgewiesen ist, gehen aber weit darüber hinaus. Deutsche Ortsnamen kommen zwischen den bzw. am Rand der slawischen Ortsnamenkonzentrationen – vor allem nördlich, westlich und südöstlich von Altenburg – vor. Davon hebt sich deutlich eine größere Gruppe slawischer Ortsnamen südöstlich von Altenburg am Rand des Pleißengaues ab.

Der Landesausbau erfolgt auch unter deutscher Herrschaft vorrangig durch slawische Sied-ler, zu denen erst danach deutsche Siedler hinzukommen. Das deckt sich mit der Aussage der Urkunde von 1140 zu Altkirchen.

21 der 37 deutschen Ortsnamen einschließlich des Namens einer Mühle sind Personenna-men. Bei den slawischen Ortsnamen bzw. Mischnamen betrifft das rund die Hälfte. Acht- bzw. neunmal ist ein slawischer Name mit „Dorf“ kombiniert, einmal ein deutscher Name mit „ovi-ci“. Es ist in der Regel davon auszugehen, dass der Name der Person identisch ist mit dem Namen des Lokators. Karlheinz Hengst hat die im Bosauer Zehntverzeichnis vorkommenden slawischen Personennamen einer soziologischen Analyse unterzogen. Dabei konnte er zahl-reiche Namen feststellen, die Bezüge zum bäuerlichen Leben ermöglichen. Das könnte auf die Herkunft von Lokatoren schließen lassen, die diesen Schichten entstammen.

Im Bosauer Zehntverzeichnis werden eine Reihe von Orten nicht genannt, die nachweislich zu diesem Zeitpunkt schon bestanden haben. Die Gründe dafür müssen im Einzelnen unter-sucht werden. Das war im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich.

Abgesehen von den nicht aufgeführten Orten, die um 1200 schon bestanden haben, markie-ren die umliegenden „Fehlstellen“ Wälder, die den Pleißengau nahezu umschlossen haben. Le-diglich in nordwestlicher Richtung, d. h. in Richtung des Bischofssitzes Zeitz und des Klosters Bosau, ist mit einer Offenlandschaft zu rechnen.

Das bedeutet natürlich nicht, dass diese Wälder nicht genutzt worden wären. Der slawische Ortsname Meden z. B. (Wüstung zwischen Meuselwitz und Altpoderschau) deutet auf die Tä-tigkeit von bei den Slawen verbreiteten Zeidlern hin.90 Bezeichnenderweise befand sich dieser heute wüste Ort ziemlich am Rande des besiedelten Gebietes und damit wohl in der Nähe eines Waldes. Von den Slawen ist mehrfach – leider bisher nicht im Altenburger Land – archäolo-gisch Pechsiederei bekannt.

Günther Keil hat in seiner 1964 vorgelegten Dissertation nachgewiesen, dass die Altenburg auch heute umgebenden Wälder im Mittelalter durchaus landwirtschaftlich genutzt wurden, wovon z. B. „fossile Hochäcker“ zeugen.91

Ein aussagekräftiges Bild ergibt ein Vergleich der Abgabehöhe, der, wie ausgeführt, bei al-ler gebotenen Vorsicht Rückschlüsse auf die Größe der damaligen Orte und auf die Anzahl der Wirtschaftseinheiten, die die Höfe markieren, zulässt: Die Masse der Orte mit slawischen Ortsnamen, die eine große Zahl Wirtschaftseinheiten besitzen, gruppieren sich vor allem di-rekt um Altenburg. Das kann dahingehend interpretiert werden, dass vor allem diese Orte als erste im Landesausbau gewachsen sind. Da hier gleichzeitig auch neue Orte entstanden sind, vollzog sich der Landesausbau in diesem Territorium sowohl intensiv als auch extensiv.

Die im Umkreis liegenden Orte mit slawischen und deutschen Ortsnamen zeugen entspre-chend ihrer Größe hier vor allem von einem extensiven Landesausbau. Die deutschnamigen Orte südöstlich von Altenburg am Rand des Pleißengaues verweisen auf einen späteren ex-tensiven und intensiven Landesausbau. Altenburg selbst hebt sich als Zentrum und Kristalli-sationspunkt deutlich ab.

Bei der Mehrzahl der Orte handelt es sich um solche mit einer Größe von etwa 10 Wirt-schaftseinheiten. Wenige Orte liegen weit darunter bzw. darüber. Das lässt allerdings noch keine Schlüsse auf Struktur und Wirtschaft der Orte zu, da es keine Ausgrabungen gibt, die entsprechend ausgewertet werden könnten.

Um hier Aussagen treffen zu können, müssen wesentlich jüngere Quellen herangezogen wer-den. Diese sind, soweit möglich, mit zeitgenössischen Quellen des hohen Mittelalters zu ver-gleichen. Das dadurch zu gewinnende Bild ist allerdings mit zahlreichen Fehlerquellen behaf-tet und mit größter Vorsicht für eine Interpretation heranzuziehen. Für den Pleißengau scheint es aber dafür – wie aufzuzeigen ist – relativ günstige Möglichkeiten zu geben, die in der Art der Dorfentwicklung bis in die frühen Jahre des 19. Jahrhunderts begründet sind.

Aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts existieren die von Simon Carl Eugen Wagener (1759–1824) angefertigten Urkatasterkarten und die Topographische Karte der Aemter Altenburg und Ronneburg. Herausgegeben auf Befehl Sr. Durchlaucht des Regierenden Herzogs von Sachsen Gotha und Altenburg von dem Minister von Thümmel M. DCCC.XIII (1813) – kurz „Thümmelsche Karten“ genannt.92

Ein mit zahlreichen anderen Orten vergleichbares Bild bietet sowohl auf den Thümmelschen als auch auf den Wagenerschen Karten der Ort Tegkwitz. Er unterscheidet sich von den ande-ren Orten des Bosauer Zehntverzeichnisses lediglich dadurch, dass hier in der Kirche 2000 bis 2002 die bereits erläuterte Ausgrabung stattgefunden hat.

Im Bosauer Zehntverzeichnis ist Tegkwitz (Thecuwiz) mit 14 Schobern belastet.93 Tegkwitz tritt 1143 durch die Nennung des Erkenbertus de Tecuiz in das Licht der schriftlichen Quel-len.94 Da die Nennung des Erkenbert nach dem Ort erfolgt, ist davon auszugehen, dass Tegk-witz zu diesem Zeitpunkt bereits bestand. Mangels Ausgrabung kann vermutet werden, dass Tegkwitz von einem slawischen Lokator namens Tech im Auftrag der deutschen Herrschaft gegründet wurde.95

Tegkwitz befindet sich in der Kernzone der slawischen Besiedlung und unweit von Orten aus der Erstnennung Altenburgs als Burgwardmittelpunkt 976. Noch heute überragt die Kirche markant den Ort, da sie sich auf einer Anhöhe über diesem befindet. Der Waalteich ist zwar noch vorhanden, die ehemals auf einer Insel in ihm befindliche Burg der Herren von Tegkwitz ist allerdings durch Aufstauen im Wasser verschwunden. Die Reste des ehemaligen Rittergutes markieren wohl das Vorburggelände.96 Östlich des Ortes am Gerstenbach befindet sich eine Wassermühle.

Sowohl auf der Thümmelschen Karte von 1813 als auch auf dem Wagenerschen Urkataster von 1802 heben sich Burggelände, Kirche und mittelalterlicher Ortskern deutlich ab. Die sich südlich anschließenden Gebäude stellen eine nachmittelalterliche Entwicklung dar.

Die Zahl der Gehöfte im Ortskern, wie sie auf den Plänen vom Beginn des 19. Jahrhunderts zu sehen sind, ist nahezu identisch mit den im Bosauer Zehntverzeichnis aufgeführten Wirt-schaftseinheiten. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass sich das generelle Bild, das durch Kirche, Burg und Ortskern geprägt wird, über die Jahrhunderte wenig verändert hat. Der Zuwachs an Bevölkerung im Ortskern ist im Wesentlichen nicht durch neue Wirtschafts-einheiten gebildet worden, sondern durch Vergrößerung der bestehenden.

Hier zeigt sich eine Besonderheit des Altenburger Landes. Landschaftsprägend und wichtig für die ländliche Entwicklung sind neben den Rittergütern, die auf der Grundlage der Her-rensitze des mittelalterlichen lokalen Adels beruhen, die großen Vierseithöfe, die eine stabile wirtschaftliche Lage widerspiegeln.

Es ist also im Altenburger Land durchaus gerechtfertigt, bei Berücksichtigung aller ande-ren historischen Quellen und der Möglichkeiten von Fehlerquellen, Probleme der Struktur und Wirtschaft der ländlichen Siedlungen des Mittelalters aufgrund neuzeitlicher Quellen zu erschließen. Damit zeigt Tegkwitz das typische Bild eines Dorfes des hochmittelalterlichen Landesausbaus unter deutscher Herrschaft im Pleißengau:

Abb. 51: Tegkwitz auf der Thümmelschen Karte von 1813 (Museum Stadt Gera)

– auf markantem Platz über dem Dorf befindet sich die Kirche, die den geistigen und geistlichen Mittelpunkt des Ortes bildet. Im Falle von Tegkwitz befand sich in der Kirche, besonders hervorgehoben, der kirchliche Sitz der lokalen Herrschaft

– in der Bachaue befand sich in einem Waalteich der Sitz des lokalen Adels, einer kleinen Herrschaft. Neben dem Herrschaftssitz befand sich der Wirtschaftsteil, der wahrscheinlich ursprünglich vom Bach umflossen war.

– Der Ortskern wird von Wohn- und Wirtschaftseinheiten gebildet, die als Gehöfte die wirtschaftliche Grundlage des bäuerlichen Lebens darstellen. Es ist von Ackerbau und Viehzucht gleichermaßen auszugehen.

– Unweit des Ortes befindet sich als eine selbständige Wirtschaftseinheit eine Wasser-mühle.

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– Tegkwitz befindet sich in einer günstigen Lage auf einem nach Süden geneigten Hang über einem Bach. Die umliegenden Felder bieten günstige Bedingungen für den Ackerbau.

– Der Ort wird von weiteren, ökonomisch stabilen Dörfern umgeben, die neben an-deren Faktoren eine wichtige Grundlage für die frühe Stadtentwicklung von Alten-burg bilden. Tegkwitz befindet sich wie die umgebenden Orte von Anfang an in einer Wechselbeziehung zum Zentralort.

Vergleichbare Merkmale könnten für weitere Orte im 12. Jahrhundert im Pleißengau konsta-tiert werden. Das beträfe z. B. auch Sommeritz bei Schmölln. Wenn hier 1204 „Heinricus de Zamurzk“ als Kleiner Herrschaftsträger genannt ist, sollte der Ort bei Aufstellen des Bosauer Zehntverzeichnisses bereits bestanden haben.97 Darauf verweist auch die bei der Ausgrabung am Waal von Sommeritz gefundene Keramik. Die Gründe, warum Sommeritz gegenüber Bo-sau um 1200 nicht zehntverpflichtet war, sind weiter zu untersuchen.

Sind es bei der Erstnennung Altenburgs 976 nur wenige aufgeführte Orte, so zeigen die Ur-kunde zu Altkirchen 1140 und das Bosauer Zehntverzeichnis um 1200, dass beginnend im 11., aber hauptsächlich im 12. Jahrhundert ein enormer, nahezu explosionsartiger Landesausbau betrieben wurde, der sowohl zur extensiven Neugründung der meisten Dörfer aber auch zu deren intensiver Erweiterung führte.

Um 1200 ist im Pleißengau eine Zahl von Orten zu konstatieren, die über der Anzahl der heutigen Orte liegt. Die Ortsnamen zeugen davon, dass der Anteil der Slawen auch am Landes-ausbau unter deutscher Herrschaft überwiegend, zu Anfang sogar ausschließlich, war.

Im 13. Jahrhundert waren die Slawen kulturell assimiliert. Das schlägt sich auch im archäo-logischen Fundstoff nieder. Die Bestattungen erfolgten nunmehr nur noch auf den Kirchhöfen in den Orten.

Ein wichtiges Problem für den Landesausbau im Allgemeinen und die Wirtschaft im Be-sonderen sind die Verkehrsverbindungen. Diese sind für den Zeitraum des frühen und hohen Mittelalters zu unterteilen in Wasser- und Landwege.

Peter Ettel konnte bei seinen Untersuchungen zum Karlsgraben (Fossa Carolina) und den Befestigungen am Main im frühen Mittelalter deutlich machen, dass für das frühe und hohe Mittelalter auch weniger breite und weniger Wasser führende Fließgewässer für den Schiffs-verkehr geeignet waren.98

Wenn wir davon ausgehen können, dass Bäche bereits mit einer Breite von 4 m und einer Tiefe von 0,60 m schiffbar waren, konnten zu dieser Zeit die Pleiße und große Teile der Sprot-te – zumindest zwischen Schmölln und der Mündung – mit Booten zum Transport befahren werden. Für die Blaue Flut im Raum Altenburg allerdings dürfte das nicht zutreffen.

In bzw. nördlich von Altenburg kreuzen sich wichtige Nord-Süd- und West-Ost-Verbindun-gen des Mittelalters. Altenburg war an dieses System unmittelbar angeschlossen und auf dem Landweg günstig erreichbar. Damit war Altenburg auch an den überregionalen Fernhandel auf dem Landweg angeschlossen.

Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass der örtliche Verkehr/Handel auch in dieser Zeit über Ortsverbindungswege führte, die sich für diese Zwecke eigneten. Damit verfügte Alten-burg sowohl über eine Anbindung an den Fernverkehr als auch an den örtlichen Verkehr zu Lande und bedingt zu Wasser. Die Verbindung der Pfalz Altenburg mit den innerhalb einer Tagesreise erreichbaren benachbarten Pfalzen war auf dem Landweg gesichert.

III.2 Der hochmittelalterliche Landesausbau unter deutscher Herrschaft im Geragau/Nördlichen Vogtland

Unter den territorialen Begriffen Geragau und Nördliches Vogtland wird das spätere Gebiet der Fürstentümer Reuß und heutige Gebiet der Stadt Gera und des Landkreises Greiz westlich und östlich der Weißen Elster zwischen der Landesgrenze mit Sachsen-Anhalt im Norden und der Landesgrenze mit dem Freistaat Sachsen im Süden zusammengefasst.

Während der Terminus Geragau einen historisch realen Namen darstellt, ist der Begriff Nördliches Vogtland ein modernes Konstrukt. Er ist der Länderkunde entlehnt, die damit das Gebiet bezeichnet, das im Band 68 der Reihe „ Landschaften in Deutschland. Werte der deut- schen Heimat. Das nördliche Vogtland um Greiz erfasst ist.99 Es reicht von Wünschendorf süd-lich von Gera im Norden bis Elsterberg südlich von Greiz im Süden und erfasst einen breiten Streifen westlich und östlich des Tales der Weißen Elster. Nach der heutigen Gebietseinteilung beinhaltet es große Teile des Landkreises Greiz und reicht südlich von Greiz bis in den heuti-gen Freistaat Sachsen. Wenngleich der Begriff heute auch ein Konstrukt darstellt, umreißt er in weiten Teilen ein im Mittelalter real existierendes, relativ geschlossenes Territorium.

Sowohl das Gebiet der Stadt Gera als auch das Nördliche Vogtland sind in ihrer mittelalter-lichen Entwicklung in drei neueren Publikationen bearbeitet worden.100 Westlich schloss sich an den Pleißengau im frühen und hohen Mittelalter der Geragau an. Beide Territorien trennte zu dieser Zeit ein Streifen dichten Waldes.

Das Gebiet um das spätere Gera – noch nicht der Ort selbst – tritt im letzten Jahrzehnt des 10. Jahrhunderts in zwei Urkunden in das Licht schriftlicher Quellen. Nach den archäo-logischen Funden – slawische Siedlungs- und Friedhofsfunde sowie eine slawische Burganla-ge – war das Territorium im Tal der Weißen Elster und seinen flussnahen Nebentälern damals nicht unbesiedelt. Diese Tatsache findet allerdings in den Ersterwähnungen kaum Berück-sichtigung.

995 schenkt Kaiser Otto III. der bischöflichen Kirche zu Zeitz das Land Ponzouua mit Cros-sen. „Von einer anderen, aber gleichzeitigen Hand in Bücherschrift ist eine Grenzbeschreibung des Crossener Gebietes beigefügt“ – in dieser ist „ad terminum Gera“ genannt.101

Daraus ist zu schließen, dass es zu diesem Zeitpunkt ein Territorium gegeben hat, das nach Gera – gemeint ist hier wohl ein Landstrich bzw. Gewässer namens Gera – benannt ist. Es ist davon auszugehen, dass es sich um einen gebräuchlichen Begriff gehandelt haben muss.

999 schenkt der gleiche Kaiser „seiner Schwester Adelheid, Äbtissin (zu Quedlinburg) das Land Gera (quandam provintiam Gera dictam) mit allem Zubehör zu freiem Besitz“.102 Als dieses Zubehör werden pauschal aufgeführt: Grundstücke, Gebäude, Gutshöfe, Leibeigene, Ländereien, Äcker, Wiesen, Felder, Weiden, Wälder, Jagden, Teiche, Wasserläufe, Fischereien, Mühlen, Bewegliches und Unbewegliches, usw.103 Dabei handelt es sich nicht um eine konkre-te Auflistung, sondern um eine formelhafte Aufzählung von möglicherweise Vorhandenem. Deshalb werden auch nicht, wie in vergleichbaren Besitzübertragungen dieser Zeit, konkrete Orte aufgeführt, die nach Aussage der archäologischen Quellen vorhanden waren.

In der Urkunde Ottos II. von 976, in der Altenburg erstmals erwähnt wird, erscheint Pon-zouua zusammen mit dem Pleißengau als pagus. Da in der oben genannten Urkunde sowohl Ponzouua als auch Gera als provincia/provintia bezeichnet werden, ist nicht von vornherein auszuschließen, dass Gera bereits 999 als Gaubezeichnung aufzufassen ist. Ausdrücklich wird Gera allerdings erst 1121 und 1146 als „pagus Geraha“ erwähnt.104

Gera/Geraha geht nach Elfriede Ulbricht und Heinz Rosenkranz auf eine althochdeutsche Bezeichnung zurück. Sowohl E. Ulbricht, die Gera in Westthüringen meint, als auch H. Rosen-kranz erwägen eine Deutung als „Stück Land, das in eine Spitze ausläuft“ bzw. „keilförmiges Landstück“.105 Rosenkranz erwägt daneben auch die Deutung als „rauschender Fluß“ oder „geröll- und kiesreicher Fluß“. Alle Deutungsmöglichkeiten beziehen sich auf einen Abschnitt der Elster. Sie könnten ein Gebiet bezeichnen, das an der Elster und um einen in sie einmün-denden Bach liegt. Die Umstände – auch verglichen mit jüngeren Urkunden – deuten darauf hin, dass mit dem Gau Gera ein Gebiet an der Elster zwischen der Brahme und dem Gessen-bach vor allem östlich des Flusses mit einem kleineren Streifen westlich der Elster gemeint ist.

Für die Annahme, dass es sich um eine Gaubezeichnung gehandelt haben könnte, spricht neben der pauschalen Aufzählung möglichen Inventars auch die Tatsache eines Zentrums in Form der Burg auf dem Hainberg (dem späteren Osterstein). Diese Burganlage hat sich zu die-ser Zeit kontinuierlich vom Mittelpunkt eines slawischen Burgbezirkes zu einem Mittelpunkt der deutschen Verwaltung, wohl einem Burgwardmittelpunkt, entwickelt.

Orte im Geragau werden erst 1121 genannt. Bischof Dietrich von Naumburg bestätigt den Zehnten aus dem Geragau (in pago Geraha) in neun Dörfern: Gnannendorf (heute Teil der Gemeinde Brahmenau), Nuendorf (Nauendorf), Selmiz (Söllmnitz), Gresewiz (Cretzschwitz), Girsan (Groitschen), Rupizan (Röpsen), Nitazne (Nedissen), Nigaune (Negis), Coarwiz (Ro-schütz)106 Nitazne wurde früher – so auch noch bei Alberti – fälschlicherweise als Ritazne gelesen.107

Alle diese Orte befinden sich östlich von Langenberg, mehr oder weniger nördlich der Brah-me. Lediglich Nedissen liegt süd-süd-östlich von Zeitz, erheblich von der Brahme entfernt. Der einzige Ort südlich der Brahme – Nuendorf (Nauendorf) – wird ausdrücklich als Neues Dorf bezeichnet. Das Gebiet südlich der Brahme ist wohl demnach erst später zum Geragau gekommen. Wenn nur dieses Gebiet dem Kloster Bosau verpflichtet war, sollte das bedeuten, dass das Gebiet zwischen Brahme und Gessenbach Quedlinburger Besitz war und die Ein-künfte aus diesem Territorium nach Quedlinburg flossen. Aus einem allerdings erst aus dem 13. Jahrhundert stammenden Quedlinburger Tafelgüterverzeichnis wissen wir, dass es sich um ein Gebiet mit nicht unbeträchtlichen Einkünften gehandelt hat. „Aus den hiernach abzu-gebenden Früchten läßt sich schließen, daß die Landschaft Gera schon damals in einem guten Kulturzustand war.“108 Wenngleich auch Quedlinburg weit von der Landschaft um Gera ent-fernt war, so machten doch nicht unbeträchtliche Abgaben die Schenkung von 999 sinnvoll. Es genügte wohl für Quedlinburg, dafür im Territorium einen Vertreter zu haben.

In einer allerdings im 13. Jahrhundert gefälschten Urkunde wird 1060 ein Burgward Lan-genberg genannt, den Heinrich IV. dem Bistum Naumburg übertragen habe.109 Es ist bis heute nicht eindeutig geklärt, ob 1060 tatsächlich ein Burgward Langenberg existierte und man sich nur nachträglich angeblich älterer Besitzrechte vergewissern wollte oder ob dieser Burgward nie existiert hat. Auffällig sind die Tatsache, dass einerseits die im 12. Jahrhundert im Geragau genannten Orte alle östlich von Langenberg liegen und dass andererseits wiederum bisher auf der Burganlage von Langenberg keinerlei Funde aus dem 11. Jahrhundert aufgetreten sind Das könnte aber auch darin begründet sein, dass hier bislang keinerlei systematische Ausgra-bungen durchgeführt worden sind. Nur diese könnten dazu beitragen, diese Erkenntnislücke schließen zu helfen.

Die Schenkung 999 an das Reichsstift Quedlinburg ist in ihren Auswirkungen, ähnlich wie diejenige 976 des Pleißengaues an die Kirche in Zeitz, in anderen Beziehungen schwer zu fassen.

1125 bzw. 1148 tauchen erstmals nach Gera benannte Personen auf, die offensichtlich dem Lokalen Adel angehören: Luph und Sibert von Gera.110 In ihnen, die dem Umfeld des Stiftes Quedlinburg zuzuordnen sind, sind wohl die Begründer des Geschlechts der Herren von Gera zu suchen, die zu dieser Zeit hier ihren Sitz hatten und als Quedlinburger Verwalter fungierten.

Ab wann und in welchem Umfang in diesem Zusammenhang die Vögte von Weida auf-tauchen, ist den Urkunden nicht zu entnehmen. Da die bisherigen Ausgrabungen auf Oster-stein in dieser Zeit keine Unterbrechung ergeben haben, muss Osterstein als Herrschaftssitz kontinuierlich an die Vögte übergegangen sein, die wohl demnach zu dieser Zeit als Vertreter Quedlinburgs fungierten und sich – weit von Quedlinburg entfernt – dort allmählich eigenen Besitz aneigneten.

Vor 1209 gelangte schließlich Gera als Quedlinburger Lehen an die Herren von Weida.111Noch um 1200 wird Gera als „villa“ bezeichnet. 1237 werden erstmals „cives oppidi de Gera“ erwähnt – Gera ist zur Stadt geworden.112 Die Begriffe „cives“ und „oppidum“ im Gegensatz zum Terminus „villa“ weisen eindeutig auf diese Entwicklung hin.

Zur Geschichte der Vögte von Weida, Gera und Plauen, die seit ihrem ersten Auftreten im Territorium an der Weißen Elster in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts und in der Folge zum beherrschenden Geschlecht in diesem Gebiet werden, zu ihrer Vorgeschichte und ihrem Wirken zwischen Gera und Plauen gibt es mehrere moderne Arbeiten, in denen auch die bis-herige Forschungsgeschichte mit ihren Kontroversen eingehend dargestellt wird.113

Da Matthias Werner in seinen Arbeiten von 2008 und 2010 überzeugend den gegenwärtigen Forschungsstand zur Herkunft der Vögte, zu ihrem Wirken zwischen Gera und Plauen sowie zu ihrer Burgenpolitik darlegt, kann an dieser Stelle auf eine spezielle Zusammenfassung me-diävistischer Quellen zur Geschichte des Nördlichen Vogtlandes verzichtet werden. An einzel-nen Stellen ist auf die Darlegungen M. Werners zurückzukommen.

Zentren der Herrschaft und des Landesausbaus sind auch im Geragau/Nördlichen Vogtland die Burgen als Sitze der Herrschaftsträger der verschiedenen Ebenen. Größe und Bedeutung der einzelnen Anlagen, ihre Struktur und Baugestalt, ihre Funktion und der Stand ihrer Er-forschung unterscheiden sich erheblich voneinander. Zu den bedeutenderen Anlagen, die sich an der Weißen Elster bzw. an der Weida befinden, gibt es moderne mediävistische, bauhis-torische und archäologische Untersuchungen. Die Burgen der Kleinen Herrschaftsträger/des Lokalen Adels verteilen sich über das gesamte Territorium. Ihr Forschungsstand ist sehr unter-schiedlich. Da Burganlagen von Anfang an im besonderen Interesse des Vogtländischen Alter-tumsforschenden Vereins und anderer Gesellschaften lagen, begannen ihre Untersuchungen teilweise schon zu Beginn ihrer Tätigkeit noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ent-sprechend dem damaligen Forschungsstand existieren zu ihren archäologischen Untersuchun-gen keine Dokumentationen, die heutigen Ansprüchen genügen. Es ist als besonders glückli-cher Umstand festzustellen, dass der Vogtländische Altertumsforschende Verein von Anfang an Grabungsergebnisse publizierte und Funde magazinierte. Die Mehrheit der Fundstücke be-findet sich in den umfassenden Sammlungen des Stadtmuseums Gera und des Museums Burg Reichenfels. Dokumentationen und Funde modernerer Bauuntersuchungen und Grabungen lagern im Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, Dienststellen Erfurt und Weimar. Die überregional bedeutenden Burganlagen von Gera-Untermhaus (Osterstein), Weida (Osterburg) und Greiz (Oberes Schloss) Die slawische Anlage von Gera wurde zu Beginn des 11. Jahrhunderts ohne feststellbaren Hia-tus übernommen und ausgebaut. Den noch heute geläufigen Namen Osterstein erhielt die An-lage erst als Residenzschloss im 16. Jahrhundert. Ihr ursprünglicher Name ist nicht bekannt, aber als „Burg Gera“ anzunehmen.

Die Schlossanlage wurde am 06.04. 1945 bei einem Bombenangriff stark zerstört. Moderne Ein-bauten anstelle der abgebrochenen Ruine haben das ursprüngliche Bild erheblich verändert. Von der mittelalterlichen Anlage existieren sichtbar nur noch der Bergfried sowie Wälle und Gräben.

Die Burganlage liegt auf einem Bergsporn des Hainberges über der Elster, der im Osten, Norden und Westen relativ steil zur Elster und einem Nebental, der Kerbe, sowie zu einer Seitenschlucht hin abfällt. Südlich geht das Gelände aufsteigend in eine Hochfläche über. Hier befindet sich ein tiefer Halsgraben, der das eigentliche Burggelände vom übrigen Gelände ab-trennt. Südlich vorgelagert ist ein System von Wällen und Gräben, deren exaktes Alter – von

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der späten Bronzezeit bis in das hohe Mittelalter – mangels Ausgrabung noch nicht bestimmt werden kann. Die Kernanlage ist heute deutlich dreigeteilt. Jüngere Untersuchungen haben weitere Unterteilungen ergeben.

Die lokale Forschung hat sich stets mit der Geschichte der Burg und ihrem Verhältnis zur Stadt Gera sowie der Geraer Stadtburg auseinandergesetzt.114 Schon seit Langem betreuen eh-renamtliche Geraer Bodendenkmalpfleger die Anlage, von der in der Sammlung des Stadt-museums zahlreiche Lesefunde von der späten Bronzezeit bis in die Neuzeit vorliegen. Der Bombenangriff und die jüngeren Einbauten haben die Sammeltätigkeit forciert. Reguläre Aus-grabungen haben allerdings bis in jüngere Zeit nicht stattgefunden.

Der verdienstvolle Geraer Bodendenkmalpfleger und Heimatforscher Bruno Brause hat sich mehrfach mit der Anlage und ihrem Fundspektrum beschäftigt und in diesem Zusammen-hang 1937 einen interessanten Lageplan angefertigt.115

Abb. 52: Burg Osterstein um 1930 (Löffler)

Abb. 53: Plan der Schnitte im Lustgärtlein von Osterstein (Sachenbacher TLAD)

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Anja Löffler hat im Rahmen ihrer Dissertation an der Bauhaus-Universität Weimar zum The-ma „Reußische Residenzen in Thüringen“ Schloss Osterstein behandelt und auch zur mittelal-terlichen Burganlage hypothetische Pläne vorgelegt; zu diesem Zeitpunkt waren ihr allerdings die Ergebnisse der jüngeren Ausgrabungen noch nicht bekannt.116

1997/1998 war es, wie bereits im Kapitel zur slawischen Burganlage ausgeführt, erstmals möglich, eine reguläre Ausgrabung auf dem Gelände des Ostersteins durchzuführen. Kleinere Untersuchungen folgten bei späteren Bauarbeiten.117

Die archäologischen Untersuchungen begannen im nördlichsten Teil der Anlage, einem ba-rocken Garten, dem sogenannten „Lustgärtlein“, wo über dem gewachsenen Boden in 4 m Tie-fe die slawischen Funde getätigt werden konnten. Darüber befanden sich in kontinuierlicher Entwicklung ohne feststellbaren Hiatus Schichten mit Keramik und weiteren Funden von der Burganlage bis in das 13. Jahrhundert. Keramikfunde des 14. Jahrhunderts aus darüber be-findlichen Auffüllschichten des 16. Jahrhunderts sind wohl so zu interpretieren, dass Befunde des 14. Jahrhunderts hier zerstört wurden und dass diese Keramik der Auffüllschichten aus anderen Bereichen der Anlage stammt.

Der Schwerpunkt der Bautätigkeit unter deutscher Herrschaft ist in das 11. bis 13. Jahrhun-dert zu setzen. Davon zeugen auch zahlreiche Mauerbefunde, die aufgrund der Grabungs-möglichkeiten leider nicht weiterverfolgt werden konnten. Ein leicht in den Boden eingetieftes Haus stammt aus dem 11./12. Jahrhundert. Dieser Teil der Burganlage war nochmals durch eine befestigte Geländestufe unterteilt.

Einen überraschenden Fund stellten zahlreiche Backsteinbruchstücke dar, die sich in einer Schicht befanden, die in die Übergangszeit vom 12. zum 13. Jhd. zu setzen ist. Es handelte sich um eine große Anzahl von ausschließlich Backsteinbruchstücken, ganze Backsteine wurden nicht angetroffen. Sie konnten auch keinem konkreten Gebäude zugeordnet werden.

Wenn man davon ausgeht, dass das Bauwerk, zu dem sie gehörten, eine gewisse Zeit be-standen hat, könnte dieses gegen Ende des 12. Jahrhunderts errichtet worden sein. Es ist nicht auszuschließen, dass es sich dabei um einen in Backstein ausgeführten Gebäudeaufsatz gehan-delt haben könnte, wie er für das 13. Jahrhundert auf dem Bergfried der Osterburg von Weida nachgewiesen werden konnte. Dabei bleibt aber völlig unklar, warum bei dessen Zerstörung die Backsteine so entfernt wurden, dass sich keiner von ihnen vollständig erhalten hat. Eine endgültige Klärung können auch hier nur weitere, flächendeckende Grabungen erbringen.

Eine Bestätigung der zeitlichen Einordnung der im „Lustgärtlein“ angetroffenen Schichten-folge erbrachte eine spätere Untersuchung im unteren Schlosshof, wo sich die slawischen Fun-de auf dem gewachsenen Boden in 6 m Tiefe befanden.

Insgesamt erbrachten die Untersuchungen, wenngleich sie auch nur in bescheidenem Um-fang durchgeführt werden konnten, eine kontinuierliche Nutzung dieses nördlichen Teils der späteren Schlossanlage von der slawischen Burg bis mindestens in das 13. Jahrhundert. Sie bestand demnach auch zur Zeit der Erstnennung des Geraer Territoriums bzw. des Geragaues Ende des 10. Jahrhunderts.

Da sich der Bergfried nördlich des großen Abschnittsgrabens befindet, war das gesamte Ge-lände von dort bis zum nördlichen Ende des Burgberges im 12./13. Jahrhundert in die Burg-anlage einbezogen. Die Nutzung des Vorburggeländes vom Abschnittsgraben aus bis zu den hohen südlichen Wallanlagen bedarf künftiger umfassender archäologischer Untersuchungen. Größe und Ausführung der Anlage zeugen ebenso wie die Backsteinbruchstücke davon, dass es sich um die Burganlage einer bedeutenden Herrschaft gehandelt haben muss.

Nach heutiger Kenntnis können wir davon ausgehen, dass der anzunehmende Mittel-punkt eines slawischen Burgbezirkes kontinuierlich in den Mittelpunkt einer deutschen Herrschaft, einen Burgward, überführt wurde. Dass wir es hier mit dem Sitz der Herren von Gera zu tun haben, der später von den Vögten kontinuierlich übernommen wurde, ist sehr wahrscheinlich, aber im Moment noch nicht sicher nachweisbar. Über das Verhältnis der Burganlage auf dem Hainberg zur Stadtburg in der Südwestecke der Stadt ist mangels Aus-grabung und deutlicher mediävistischer Quellen nur der Analogieschluss zu treffen, dass es sich hier mit hoher Wahrscheinlichkeit um die Burg der Quedlinburger Vögte in der Stadt gehandelt hat. Hier können aber letztlich nur umfassende archäologische Untersuchungen weiterhelfen.

Annähernd zeitlich parallel zu den Grabungen auf dem Osterstein von Gera konnten ar-chäologische Untersuchungen an mehreren Stellen auf der Osterburg von Weida auch im In-neren des Bergfriedes durchgeführt werden.

Die Osterburg – wie bei Osterstein über Gera stammt auch dieser Name erst aus der Neu-zeit – war seit dem 12. Jahrhundert der Stammsitz der Vögte von Weida. Eine Vorgängeranlage wurde bislang auf dem Gelände der Veitskirche bei Wünschendorf gesucht. Auch das Gelände der Weidaer Widenkirche wurde dafür in Anspruch genommen. An beiden Orten wurden zwar bislang keine regulären archäologischen Ausgrabungen durchgeführt, aber Bautätigkei-ten führten zu keinen diesbezüglichen Funden oder Befunden. Auf dieses Problem ist noch bei der Behandlung der Kirchen des Gebietes zurückzukommen.

Mit den bisherigen Forschungen ist zwar die Annahme einer Vorgängerburg an anderem Ort nicht archäologisch widerlegt, aber die neueren Ausgrabungen auf der Osterburg führten zumindest zu Ergebnissen, die diese Burg über die Zeit der Vögte hinaus, mindestens jedoch bis zu ihrem ersten Erscheinen, zurückführen.

Diese Grabungen begannen zunächst im Gebäude neben dem Bergfried, dem sogenannten „Alten Schloss“, das sich allerdings in seiner heutigen Baustruktur nicht als ältestes Gebäude

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der Burg erwies. In seinem Inneren bis zum Gelände unmittelbar vor dem Hang zeigten sich an mehreren Stellen Mauerzüge. Dazwischen kamen in gestörten Befunden immer wieder Ke-ramikreste zutage, die wohl noch in das 11. Jahrhundert weisen.

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1

1 Altes Schloss

2 Innenfläche des Turmes

3 Schnitt 2 im Gefängisgarten050 mN

Weida, Lkr. Greiz. Gesamtplan der Osterburg mit den bislang archäologisch untersuchten Bereichen (1–3).

Abb. 54: Plan der Ausgrabungen auf der Osterburg von Weida (Queck)

Es handelt sich dabei um eine typische Ware des 11./12. Jahrhunderts, die zwar an slawische Traditionen anknüpft, aber nach dem Stand des Landesausbaus nicht mehr mit einem ethni-schen Zusatz benannt werden sollte. Ähnliche Keramik wurde inzwischen an mehreren Stel-len in Thüringen östlich der Saale geborgen. Diese Keramik sollte besser – wie bereits ausge-führt – als Ware des hochmittelalterlichen Landesausbaus in der Germania Slavica bezeichnet werden.

Sollte sich der zeitliche Ansatz dieser Keramik und ihre mögliche Einordnung noch in das Ende des 11. Jahrhunderts als richtig erweisen, bedeutet das für die Osterburg, dass die älteste Anlage der Vögte bereits hier errichtet und das Gelände unmittelbar zuvor schon als befestigter Platz benutzt worden war. Nach den bisherigen Untersuchungen, die inzwischen schon mehrere Stellen des Burggeländes erfasst haben, ist allerdings auszu-schließen, dass der Felsen zuvor – wie der Hainberg über Gera – eine genuin slawische Burganlage getragen haben könnte. Das haben auch die folgenden archäologischen Aus-

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grabungen untermauert, die dann im Bergfried selbst bis auf den gewachsenen Felsen ge-führt werden konnten.118

Unter umfangreichen Auffüllschichten wurde in den untersten Schichten wiederum diese Keramik des hochmittelalterlichen Landesausbaus gefunden, die den Turm zumin-dest in das erste Drittel des 12. Jahrhunderts datiert. Ein Teil der Keramik, die außerhalb des Turmes geborgen wurde, könnte darauf hinweisen, dass auch hier der Bergfried nicht das älteste Bauwerk der Anlage war Über dem Felsen fand sich im Turm ein allerdings sehr kleiner Befund, der die Deutung erlaubt, dass der Turm in einen anthropogenen Horizont hineingesetzt wurde. Das würde bedeuten, dass hier vor der Errichtung des Bergfrieds bereits etwas gestanden hat, auf das die ältesten Keramikfunde außerhalb der Turmanlage hinweisen. Dass die Burganlage zumindest in die Zeit des ersten Auftretens der Vögte zurückreicht und dass hier zuvor keine slawische Anlage gestanden hat, scheint sicher zu sein.

Parallel zu den Ausgrabungen auf der Osterburg und annähernd gleichzeitig mit den im Folgenden zu erörternden Grabungen auf dem Oberen Schloss von Greiz, fanden auf der Os-terburg auch anfangs nur kleinere bauhistorische Forschungen durch Lutz Scherf vom Büro Scherf-Bolze-Ludwig im Turm selbst statt.119 Diese wurden dann ausgedehnt und dauern bis heute an. Die ersten Ergebnisse erbrachten, dass das heute im Inneren des Turmes vorhandene Backsteinmauerwerk älter ist als bisher angenommen.

Über die Absatzgestalt des Bergfriedes schreibt Otto Piper in seiner Burgenkunde:

Abb. 55: Zeitliche Folge der Konstruktion des Turmes auf der Osterburg von Weida (Scherf)

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Auf das auf dem unteren Absatz aufsitzende Backsteinmauerwerk geht Piper nicht ein, da er es entsprechend des Erkenntnisstandes seiner Zeit sicher für wesentlich jünger gehalten hat. Dieses polygonale Bauwerk saß ehemals von außen weit sichtbar auf dem Bergfried auf. Da man offensichtlich beim Bau des nächsten Absatzes noch um seine Bedeutung wusste, wurde es bei dessen Errichtung vollständig erhalten. Die Funktion des Raumes, den es ursprüng-lich bildete, ist nicht bekannt.121 Seine weit leuchtende rote Farbe lässt auf eine besondere Be-deutung schließen. Die Backsteine, aus denen es errichtet ist, ähneln denen auf dem Greizer Oberschloss. Offensichtlich wollte man auf diese Art und Weise den Wert der Osterburg von außen sichtbar erhöhen.

Im Inneren konnte ein Bauholz geborgen werden, dessen Dendrodatierung das Jahr 1260 er-gab. Es kann möglicherweise davon ausgegangen werden, dass es aus der Bauzeit stammt. Da aber die Splintholzgrenze nicht vorhanden war, sind zum Jahr 1260 noch weitere Jahre hinzu-zuzählen. Damit könnte der Aufsatz im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts errichtet worden sein.122 Er gehört damit in die Zeit der Vögte von Weida und wurde – verglichen mit dem Obe-ren Schloss von Greiz – in der Zeit zwischen den älteren und jüngeren dortigen Backsteinbau-ten errichtet. Der Turm, wie er sich uns heute zeigt, wurde damit in seiner äußeren Gestalt in drei Schritten errichtet. Zuerst – eventuell noch am Ende des 11., spätestens im ersten Viertel des 12. Jahrhunderts – wurde der Turm in Quadermauerwerk bis zur Höhe des jetzigen ersten Absatzes gebaut. Dann wurde ca. 100 Jahre später der Backsteinaufsatz hinzugefügt. Dieser wiederum wurde in einem dritten Schritt überbaut, der das heutige Bild ergibt.

Nach 2000 wurde durch die Stadt Greiz ein neues Nutzungskonzept für das Obere Schloss erarbeitet und mit dementsprechenden Umbauarbeiten begonnen. Da sich schnell herausstell-te, dass die dort vorhandenen Backsteinbauten wesentlich älter sind als bisher angenommen, wurden relativ umfassende bauhistorische Untersuchungen durchgeführt. Diese wurden von Anfang an archäologisch begleitet. 2006 konnten dann an drei Stellen des heutigen Schloss-baues auch Ausgrabungen durchgeführt werden. Die bisherigen Ergebnisse der Bauforschung und Archäologie wurden auf mehreren Tagungen und in Publikationen vorgestellt.123

Bis zu diesen Untersuchungen galten die Bauten des Oberen Schlosses als in vielen Teilen nach einem Brand im 16. Jahrhundert frühneuzeitlich und die Stadt Greiz selbst als im Mit-telalter unbedeutend. 1209 werden erstmals Burgmannen von Greiz und 1225 das „castrum Groiz“ erwähnt.124

Der slawische Name der Stadt, der sich auf die Burg bezieht, wurde vielfach dahingehend gedeutet, dass der deutschen Burg eine slawische vorhergegangen sei.

Die Burg befindet sich auf einem Felsen, der ca. 50 m über das Tal der Elster aufragt. Sie war damit wehrtechnisch gut gelegen.

Abb. 56: Plan der hochmittelalterlichen bauhistorischen Befunde auf dem

Oberen Schloss von Greiz (Scherf)

Durch die Bauforschung konnte relativ zeitig geklärt werden, dass die Backsteinbauten des im heutigen Schlossbau verbauten ehemaligen Palasbaues mit einer zugehörigen mehrstöckigen Kapelle und ein daneben befindlicher Wohnbau hochmittelalterlichen Ursprungs sind.

Glücklicherweise haben sich hier mehrere bauzeitliche Rüsthölzer (Fichte und Tanne) mit Rinde erhalten. Drei dendrochronologisch untersuchte Hölzer ergaben das Fälldatum 1187/1188. Ihr Bauzustand ließ den Schluss zu, dass sie um 1188 verbaut worden sein müssen.125

Daraus ist zu schließen, dass der Palas mit der Kapelle und der Wohnbau um 1188 errichtet wurden. Leider erfolgten am Kapellenbau umfangreiche spätere Umbauten, so dass nicht mehr geklärt werden kann, ob es sich um eine klassische Doppelkapelle oder um eine mehrstöckige Kapelle gehandelt hat. Zur Kapelle gehörig haben sich Reste eines Portals mit einem Tympa-non und Stuckfragmente eines Christus in der Mandorla erhalten.126

Die bedeutenden Ergebnisse der Bauforschung, die archäologisch begleitet wurde und in Ver-füllschichten Keramik ab dem 13. Jahrhundert erbracht hatte, ergaben die Notwendigkeit der Durchführung einer Ausgrabung.

Diese ersten Grabungen konnten 2006 im Wohnbau, dem so bezeichneten Keller 14, auf dem Burgplateau (dem Turmgarten), der höchsten Stelle des Schlossfelsens sowie im und am dort befindlichen Turm durchgeführt werden. Der heutige Keller 14 liegt hofseitig eine Etage tief und hangseitig zu ebener Erde. Da der darüberliegende Raum den Schluss zuließ, dass er im Mittelalter einen Ofen besaß, also beheizbar war, galt es, die Situation im darunterliegenden Raum zu klären.

Die Grabung erbrachte, dass auch er über einen Ofen und mittelalterliche Fensteröffnungen verfügte und zumindest ab dem 13. Jahrhundert ein heizbarer Wohnraum war. Die bis auf den gewachsenen Felsen geführte Grabung ließ erkennen, dass der hier nach außen abfallende Fels zum Erhalt eines ebenen Fußbodenniveaus eine Lehmauffüllung erhalten hatte. Die Nutzung als Kellerraum begann erst in der Neuzeit. Ob sich auch im heutigen Obergeschoss ein solcher Raum befand, ließ sich nicht mehr klären. Es ist aber wohl mit Sicherheit davon auszugehen.

Die Anlage verfügte also im hohen Mittelalter über einen in Backstein gesetzten, freiste-henden Wohnbau mit drei bewohnbaren Etagen, der sich relativ dicht neben dem Palas- und Kapellenbau befand.

Abb. 57: Rekonstruktionszeichnung der hochmittelalterlichen Anlage auf dem

Oberen Schloss von Greiz (Scherf)

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Die Burg des 12./13. Jahrhunderts stellt sowohl von der Bauausführung als auch vom Wohn-komfort her ein hochwertiges Ensemble dar. Seine Besitzer und Bewohner – die Vögte – waren in der Lage, auch auf diese Art Macht und Reichtum zu demonstrieren.127

Die folgenden Grabungen konzentrierten sich auf den Turmgarten, da dieser sich nochmals über dem Niveau des Saal-, Kapellen- und Wohnbaus erhebt, damit den höchsten Punkt der Anlage darstellt und über einen Turm verfügt.

Die Grabung erbrachte, dass dieser Bereich durch eine auf dem Felsen aufsitzende Mauer umwehrt war. Das unterschiedliche Innenniveau war bereits im Mittelalter aufgefüllt wor-den. Der Turm war ursprünglich in die Umwehrung eingefügt. Der Umfang der Grabung auf diesem Plateau erlaubt bisher allerdings keine eindeutige Zuordnung der dort angetroffenen Mauern zu Bauten. Es lässt sich lediglich schlussfolgern, dass der Turmgarten nochmals unter-teilt war.

In den untersten Schichten konnte Keramik geborgen werden, die nahelegt, dass die Bebau-ung des Turmplateaus gleichzeitig mit der übrigen Bebauung im letzten Viertel des 12. Jahr-hunderts erfolgte. Das wird durch die beim Turmbau verwendeten Backsteine unterstrichen. Diese ergaben bei einer Thermolumineszenz-Untersuchung ein mit dem Palas- und Wohnbau vergleichbares Alter.128

Die Grabung im sechseckigen Turm unterstrich diese Einordnung. Die älteste im Turm geborgene Keramik datiert in das 13. Jahrhundert. Er wurde wohl nur wenig später als die vorher beschriebenen Bauten errichtet. Im Turm konnten mehrere teils vollständig erhaltene Gefäße geborgen werden, die in das 13. bzw. beginnende 14. Jahrhundert gehören. Der Turm, bei dem es sich nach der Bauweise nicht um den klassischen Bergfried der Anlage handelte, strahlte mit seinem Backsteinmauerwerk im hohen und späten Mittelalter weit in die Um-gebung aus.

Die Grabung erbrachte neben dem Nachweis repräsentativer Backsteinbauten aus der Zeit der Vögte, die um bzw. kurz nach 1188 errichtet worden waren, auch den Beweis, dass es sich bei der ältesten Anlage nicht, wie bisher vermutet wurde, um eine slawische Burg gehandelt hat. Die ältesten Bauten gehören zur Anlage der Vögte. Der slawische Name des Ortes, der auf eine Burg zurückgeht, muss von seinem Ursprung her anders gedeutet werden. Es ist davon auszugehen, dass der von Slawen im hochmittelalterlichen Landesausbau errichtete Ort nach der Burg benannt wurde und der Name ihn als unter der Burg gelegenen Wohnort kennzeichnet.

Die drei bedeutenden Burganlagen von Gera, Weida und Greiz, die eng mit der Geschichte der Vögte bzw. deren Vorfahren verbunden sind, heben sich deutlich von den übrigen Burg-anlagen des Geragaues und des Nördlichen Vogtlandes ab. Ihr Alter bzw. ihre Entstehung ist von Nord nach Süd gestaffelt.

Die Entwicklung der Burg auf dem Hainberg über Gera-Untermhaus – später Osterstein genannt – beginnt (abgesehen von der spätbronzezeitlichen Anlage) im 9./10. Jahrhundert als slawische Burg. Damit unterscheidet sie sich deutlich von den Burgen über Weida und Greiz. Sie geht im Prozess des Landesausbaus nahtlos in den Besitz einer deutschen Herrschaft über und wird wohl noch gegen Ende des 12. Jahrhunderts, ausgehend von Weida, zu einem Sitz der Familie der späteren Vögte.

Die Burg über Weida – später Osterburg genannt – entsteht im ersten Viertel des 12. Jahr-hunderts und ist damit identisch mit der Burg von Erkenbertus de Withaa (1122). Es kann angenommen werden, dass hier bereits Ende des 11. Jahrhunderts eine nicht zu bestim-mende Anlage bestanden hat. Die Burg über Greiz wird um 1188 errichtet und stellt sich von Anfang an als eine Gründung der Vögte dar. Alle drei Burgen bezeugen Macht und Einfluss ihrer Herrschaft, die nicht zuletzt auch in ihrem Erscheinungsbild zum Ausdruck kommt. Die Orte zu ihren Füßen entwickeln sich relativ früh zu im Mittelalter bedeuten-den Städten. Burgen Kleiner Herrschaftsträger bzw. des lokalen Adels im Geragau/Nördlichen Vogtland

Von den drei Anlagen der Vögte in Gera, Weida und Greiz unterscheiden sich solche Burgen, die die Herrschaft des Lokalen Adels/der Kleinen Herrschaftsträger auf örtlicher Ebene reprä-sentieren bzw. unter der Herrschaft der Vögte als deren Nebenanlagen keine überregionale Bedeutung besaßen. Solche Burgen, die in der Regel heute als Wallanlagen in Waalteichen oder als Ruinen kleiner Höhenburgen in Erscheinung treten, sind relativ regelmäßig über das gesamte Gebiet des Geraugaues/Nördlichen Vogtlandes verstreut.

Diese Anlagen haben schon zeitig das Interesse der Heimatforschung geweckt und standen von seiner Gründung an im Fokus der Arbeit des Vogtländischen Altertumsforschenden Ver-eins zu Hohenleuben. Durch Hans Radigs Arbeit Die Burgwälle der Kreise Greiz und Zeulen- roda von 1956 existiert eine gute Übersicht dieser Burgen im Gebiet des Nördlichen Vogtlan-des.129 Radig teilt diese Anlagen in 3 Gruppen ein:

Die Elstergruppe

Die Weidagruppe

Die Triebes- und Leubagruppe

Abb. 58: Burgen des Lokalen Adels/der Kleinen Herrschaftsträger im heutigen

Stadtgebiet von Gera (Sachenbacher)

230

Abb. 59: Burgen Kleiner Herrschaftsträger und andere Denkmale im Nördlichen Vogtland (Sachenbacher)

Diese Einteilung entspricht der Tatsache, dass sich die Masse dieser Anlagen an den bedeuten-den Wasserläufen des Gebietes orientieren.

231

In seiner gut bebilderten Arbeit schildert er relativ umfassend den Forschungsstand seiner Zeit, den gegenwärtigen Zustand der Wallanlagen und nennt die ihm zugänglichen Quellen. 1949/1951 führt er selbst an einer dieser Anlagen eine Ausgrabung durch, auf die zurückzu-kommen ist.130

Die Burgen sind im Werk Alfred Auerbachs erfasst. Dort finden sich auch die Angaben zu möglichen Untersuchungen des Vogtländischen Altertumsforschenden Vereins bzw. durch Geraer Heimatforscher. Auerbach gibt in diesem Zusammenhang auch einen guten Überblick über die Literatur zu diesen kleinen Burgen.131

An zweiter Stelle unter den Burgen des Geraugaues und des Nördlichen Vogtlandes nach den Anlagen in Gera, Weida und Greiz sind solche Anlagen aufzuführen, die sich durch Größe und durch ihre Besitzer von den übrigen Burgen der lokalen Herrschaft in diesem Gebiet im Prozess des mittelalterlichen Landesausbaus abheben. Das betrifft vor allem die Anlagen auf dem Hausberg von Gera-Langenberg, die Burg von Ronneburg, sowie die Burgen von Berga/Elster und Reichenfels. Eine wichtige Rolle im hochmittelalterlichen Landesausbau im Nörd-lichen Vogtland spielte die Burg von Elsterberg. Sie befindet sich zwar heute in Sachsen und ist damit außerhalb des Arbeitsgebietes gelegen, soll aber kurz mit angeführt werden, da sie anschaulich die Interessen der Vögte von Weida in diesem Territorium im Gegensatz zu den-jenigen der Herren von Lobdeburg widerspiegelt.

Besonders auffällig hebt sich von den anderen kleinen Burganlagen des lokalen Adels die Anlage auf dem Hausberg über Gera-Langenberg ab. Das betrifft sowohl ihre vermeintliche Funktion als auch vor allem ihre hervorstechende Größe.

Abb. 60: Plan der Anlage auf dem Hausberg von Gera-Langenberg nach B. Brause (Brause)

Der nach NO-SW ausgerichtete Hausberg fällt auf drei Seiten steil zum Tal hin ab. Im Norden ist er durch ein sich über das gesamte Plateau ziehendes Wall-Graben-System vom übrigen Berg abgetrennt. Die gesamte Anlage ist mehrfach durch tiefe Gräben, die durch seitliche Wäl-le flankiert werden, unterteilt.

Der Geraer Archivar Ernst Paul Kretschmer zitiert in seiner Geschichte der Gemeinde Lan- genberg und ihrer nächsten Umgebung von 1922 eine längere Passage aus der Arbeit von Hahn 1855. Hahn schreibt in seiner Geschichte von Gera über die obere Burg zu Langenberg: Der Grund, der Kretschmer bewog, Hahn in dieser längeren Form zu zitieren, kann nur ge-wesen sein, dass 1922 der um die Mitte des 19. Jahrhunderts geschilderte Zustand so nicht mehr erkennbar war. Die Nennung als Burgward des 11. Jahrhunderts beruht zwar auf einer gefälschten Urkunde. Es ist aber nicht von vornherein auszuschließen, dass dem ein realer Sachverhalt zugrunde liegt.

Leider gibt es von der Anlage trotz zeitigen Schürfens um 1700 keine archäologischen Aus-grabungen. Bisher zutage getretene Scherbenfunde, die als Oberflächenfunde eingeordnet werden müssen, sind nicht älter als aus dem 14. Jahrhundert. So bleiben die gegenüber anderen Burgen hervorgehobene Größe und die Tatsache, dass die im 12. Jahrhundert zum Gau Gera genannten Ortschaften sich in der Nähe von Langenberg befinden, lediglich ein Indiz für die hervorgehobene Stellung dieser Burg, eventuell als Burgwardmittelpunkt.

2003 wurde auf der Burg von Ronneburg östlich von Gera durch das Landesamt Weimar im Rahmen von Bauarbeiten eine kleine archäologische Sondage durchgeführt. Sie erfasste das Territorium des Bergfrieds und seine nähere Umgebung.

Abb. 61: Stadtplan von Ronneburg mit der Burganlage von 1762

(Stadtarchiv Ronneburg)

Dabei konnten das Fundament des Bergfrieds freigelegt und seine Erbauung in das späte 12. bzw. beginnende 13. Jahrhundert datiert werden. Das korrespondiert mit der Erstnennung Ronneburgs 1209, das sich damals im Besitz der Vögte von Weida befand.133

Die Burg wird aus der Reihe vergleichbarer Burganlagen durch die Tatsache hervorgehoben, dass sich im Gebiet um Ronneburg die Gaue Plisina und Gera unmittelbar berührten, dass die Anlage von Beginn an im Besitz der Vögte war – ältere Ursprünge konnten bisher nicht nachgewiesen werden – und dass der zur Burg gehörige Ort bereits 1304 als civitas Erwähnung findet.

Die Burganlage von Berga, auch als Drifelsen bezeichnet, befindet sich auf einem Bergvor-sprung nordwestlich über dem gleichnamigen Ort und der Elster zwischen Gera bzw. Weida und Greiz gelegen. Das auf der Anlage errichtete spätere Schloss ist heute in einem solchen Zustand, dass Begehungen, Bauforschungen und archäologische Untersuchungen nahezu un-möglich sind. Dementsprechend ist auch der Forschungsstand.

Ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts werden die Herren von Berga genannt. Sie tau-chen als Ministerialen ab 1266 in den Urkunden der Vögte unter deren Zeugen auf. Aufgrund der Namensähnlichkeit – Bergowe – werden sie oft mit den Herren von Lobdeburg-Burgau verwechselt. Eine Bergaer Herrschaft der Lobdeburger hat jedoch nie bestanden.135 Im 14. Jahr-hundert wird das Haus wettinischer Besitz.

Nach dem Dehio Thüringen von 1998 war die ursprüngliche Burganlage ein dreiteiliger Komplex aus Vorburg, Toranlage und Hauptburg. „Im 16. und 18.  Jh. zu zwei- bis dreige-schossigem Schloß ausgebaut.“136 Mangels archäologischer Untersuchungen ist nicht davon auszugehen, dass die Anlage in ihren Ursprüngen wesentlich älter ist als die Erstnennung der diesbezüglichen Herren.

Eine weitere Anlage, die sich aus der Masse der kleinen Burgen abhebt, ist die Ruine des Schlosses von Reichenfels.137 Diese befindet sich unterhalb der Stadt Hohenleuben auf einem in das Tal der Triebes reichenden Bergvorsprung. Sie ist auf drei Seiten durch Steilhänge natür-lich geschützt und auf der Bergseite durch einen heute ca. 5 m breiten Graben, dem wohl ein zweiter vor der Vorburg vorgelagert war, gesichert. Die Anlage der Hauptburg ist heute eine Ruine. In der Vorburg befindet sich das Museum Reichenfels mit der umfassenden archäologi-schen Sammlung des Vogtländischen Altertumsforschenden Vereins, die auch die Masse der Funde der kleinen Burganlagen des Geragaues/Nördlichen Vogtlandes umfasst.

1356 wird die Burg erstmals als im Besitz der Vögte von Gera genannt. Sie erlebt ihre Blü-te im 14. und 15. Jahrhundert. Der Versuch der Reußen, im Zuge der Burgenromantik im 19. Jahrhundert die Anlage neu aufzubauen, scheiterte kläglich.

Es kann angenommen werden, dass die Ursprünge der Burganlage in das 13. Jahrhundert zurückreichen. Eine Entstehung bereits Ende des 12. Jahrhunderts ist zwar wenig wahrschein-lich, aber nicht von vornherein auszuschließen. Aufschluss darüber könnten nur umfassende Ausgrabungen geben. Angesichts der Tatsache, dass sich hier der Sitz des Vogtländischen Al-tertumsforschenden Vereins befindet, ist das bisherige Fehlen einer modernen Ausgrabung mehr als zu bedauern.

Werner Radig führt in seiner Arbeit über die Grabung in Staitz zu bisherigen Keramikfun-den von Reichenfels aus, „daß hier die blaugraue Ware zu überwiegen scheint. Auch ist hier die eigenartige sogenannte vogtländische Glimmertonware stärker vertreten.“138 Er betont, dass J. Leipoldt den Ursprung der Burg aus siedlungskundlicher Sicht in die Zeit zwischen 1175 und 1200 setzt. Diesem Ansatz widerspricht er nicht.

Auch die späteren Reußischen Schlösser in Greiz-Dölau und Köstritz gehen auf mittelalterliche Burgen zurück. Mangels archäologischer Untersuchungen können zu den Entwicklungsprozessen dieser Anlagen im hohen Mittelalter keine Angaben gemacht werden.139 Es muss aber trotzdem festgestellt werden, dass sich auch diese beiden Anlagen von der Entwicklung zahlreicher kleiner Burganlagen abheben. Anja Löffler hat sie in ihrer bereits aufgeführten Arbeit berücksichtigt.

Ca. 5,5 km Luftlinie südlich von Greiz befindet sich die Stadt Elsterberg, heute zum Freistaat Sachsen gehörig und damit außerhalb des Arbeitsgebietes liegend. Gegenwärtig unmittelbar hinter der Landesgrenze gelegen, ist Elsterberg mit seiner Burg eng mit der Geschichte von Greiz und den hochmittelalterlichen Machtansprüchen der Vögte verbunden. Hier kollidier-ten die Interessen der Vögte direkt mit denen der Herren von Lobdeburg, die ihrerseits hier ab dem 13. Jahrhundert einen intensiven Landesausbau betrieben. Die Anlage der Burg über der Stadt geht vermutlich auf das Wirken der Lobdeburger zurück.140

1225 schlichtet Bischof Engelhard von Naumburg einen wohl zu Beginn des 13. Jahrhun-derts entbrannten Streit der Vögte von Weida und der Herren von Lobdeburg über die Pfarr-rechte in Greiz und Elsterberg. Die Brüder Hartmann und Hermann von Lobdeburg einigten sich mit den Brüdern Heinrich und Heinrich von Weida darauf, dass nämlich die Brüder von Weida den Anteil ihres Patronats an der Kirche von Elsterberg den Brüdern von Lobdeburg vollständig überließen und dass jene endgültig von jedem weiteren Vorgehen gegen die Kirche von Greiz und die Orte, die zu ihrer Ausstattung gehörten, Abstand nahmen.“141

Beide Seiten waren damit in ihrem Bemühen, ihren Machtbereich im Prozess des Landes-ausbaus im Bereich der Weißen Elster auf die Territorien der jeweiligen Gegenseite auszudeh-nen, vorerst gestoppt worden.

Im Folgenden sind die Burgen Kleiner Herrschaftsträger/des Lokalen Adels anzuführen, die zwar als örtliche Zentren des mittelalterlichen Landesausbaus Burg und Herrschaft auf dieser Ebene aufzeigen, aber über diesen Charakter nicht hinausgekommen sind.

Da die Mehrzahl dieser Anlagen von Anfang an im Interesse des Vogtländischen Alter-tumsforschenden Vereins stand, der dort auch „grub“, und in einer Reihe dieser Burgen auch modernere Ausgrabungen durchgeführt wurden, kann basierend auf dem gegenwärtigen For-schungsstand ein relativ gutes Bild dieser Objekte gezeichnet werden. Über diesbezügliche Aktivitäten sind wir durch die Mitteilungen des Vogtländischen Altertumsforschenden Ver-eins relativ umfassend unterrichtet. Wenngleich es damals noch keine modernen Ansprüchen genügenden Dokumentationen gab, geben die verbalen Schilderungen, entsprechend ausge-wertet, einen Einblick in die vorgefundene Befundlage und die dabei geborgenen Funde. Da das Gebiet in seiner Gesamtheit zum Arbeitsgebiet Alfred Auerbachs gehörte, befinden sich in seinem Standardwerk von 1930 zahlreiche umfassende Aussagen zu diesen Anlagen mit Hin-weisen auf Literatur, Funde und Befunde.142

In seiner 1827 erschienenen Schrift über die Pflege Reichenfels schildert der Mitbegründer des Vogtländischen Altertumsforschenden Vereins Julius Schmidt eine „Ausgrabung“ 1825 auf der sogenannten Tumelle von Brückla, zwischen den Orten Mehla und Brückla gelegen, und bildet den Hügel ab. Die Anlage hebt sich noch heute deutlich vom umliegenden Gelände ab.

Wenngleich er auch die Wallanlage als einen Opferplatz ansieht, beschreibt Schmidt doch relativ gut nachvollziehbar die Grabung und die dabei geborgenen Funde, vor allem die Ke-ramikscherben, die Eisengegenstände – vor allem Hufeisen – und die Knochen, die richtiger-weise als Tierknochen interpretiert werden.143 Nach seinen Ausführungen kann angenommen werden, dass die von einem Wassergraben umgebene kleine Wallanlage im 13. Jahrhundert errichtet wurde. Dieser Ansatz wird von Radig bestätigt, der die Ausgrabungen von 1825 inter-pretiert und auswertet und sich dabei auch auf Leipoldt bezieht, der die Keramik – mit Aus-nahme weniger bronzezeitlicher Scherben – in das 12. und 13. Jahrhundert setzt.144

Zwischen Gera und Ronneburg – heute zur Stadt Gera gehörig – liegt der Ort Naulitz mit der Naulitzer Schanze, auch Schwedenschanze genannt.

Abb. 62: Die Naulitzer Schanze auf einem Plan von B. Brause 1929

(modifiziert nach Brause, Regionalarchiv Gera)

238

Die Naulitzer Schanze befindet sich auf einem in das Gessental ragenden Bergvorsprung un-mittelbar südwestlich des Ortes. Sie ist auf drei Seiten natürlich geschützt und auf der vierten Seite durch Wall und Graben vom übrigen Gelände abgetrennt. Die Gesamtanlage ist oval, zweigeteilt, und wird vollständig von Gräben und Wällen umgeben. Zwischen Ort und Schan-ze befindet sich ein Graben, der ein Vorgelände vor der eigentlichen Burganlage markiert.

1879/1880 wurden durch den Geraer Heimatforscher Robert Eisel Grabungen durchgeführt, von denen ein verbaler Bericht mit einem Plan der Anlage vorliegt.145 „In der Mitte des Außen-raumes schlug Eisel 1879 ein und fand schon 35 cm tief eine Kulturschicht mit Scherben, hell, gut gebrannt, Drehscheibenarbeit mit vielen Parallelrinnen um die Weitung; slavisch oder frühmittelalterlich.“ 1922 fanden Nachgrabungen statt.146

Das Material, das sich heute in der Sammlung des Stadtmuseums Gera befindet, beginnt mit sehr kleinteiliger, wellenverzierter spätslawischer Ware des 11./12. Jahrhunderts und reicht bis zur Keramik des spätmittelalterlichen Landesausbaus. Aufgrund fehlender Dokumentation kann nicht nachvollzogen werden, ob sich die Keramik unterschiedlichen Profilen zuordnen ließ, die unbeabsichtigt vermischt wurden.

1303 wird ein Heinrich von Naulitz („Heinrico militi dicto de Nulitz“) genannt.147 Da die Anlage nach Zeugnis der Keramik zu dem Zeitpunkt schon länger bestand, handelt es sich bei diesem Ritter nicht um den Begründer der Anlage. Die slawische Keramik deutet darauf hin, dass die Burg unter deutscher Herrschaft für einen Vorgänger des Heinrich von 1303 im 12. Jahrhundert von Slawen errichtet wurde. Auf diesen Umstand weist auch der slawische Ortsname hin.

1949/1951 führte Werner Radig selbst eine umfassende Ausgrabung auf der Burgstatt von Staitz im damaligen Kreis Greiz durch. Verbliebene Spuren der Anlage befinden sich heute unmittelbar am bzw. im Stausee der Weidatalsperre. Der Bau des Stausees war auch der Grund für die Grabung. Die Burganlage befand sich vor dem Bau der Talsperre auf einem in das Tal der Weida ragenden Felsvorsprung, der vom Fluss in einer Schleife umflossen wurde. Von der Ausgrabung, die Wälle, Gräben und Innenflächen erfasste, publizierte Radig in seinem Artikel eine umfassende Dokumentation mit Plänen, Abbildungen und fotografischen Aufnahmen. Er bezeichnet die geborgene Keramik von Staitz als vorwiegend ziegelfarben, seltener blaugrau, und zu Töpfen mit Standboden gehörig. Die Hauptform des Randes sind Kragenränder. Die Verzierung zählt er vor allem zu Gurtfurchen und Rippen. „Bedeutungsvoll für die Herkunft unserer Burgbewohner scheint aber die Kerbleistenverzierung auf den Stücken Nr. 11–14 zu sein. Nach freundlicher Mitteilung von Prof. Dr. G. Neumann, Jena, gibt es solche, sonst im ostsaalischen Gebiet bisher seltene Verzierung hauptsächlich in rein fränkischem Gebiet und wurde in den Museen Bamberg und Bayreuth beobachtet.148 Er vergleicht die Staitzer Keramik vor allem mit der umliegender Anlagen und kommt zu dem Schluss: „Die Tonware von Staitz gehört nach unserer bisherigen Kenntnis in das 13. bis 14. Jahrhundert.“149 Damit ist auch der zeitliche Rahmen der Anlage abgesteckt.

„So kommen wir zu dem Schluß“, führt er zusammenfassend aus, „daß der miles agrarius, der bäuerliche Ritter von Staitz, sich in unwegsamem Wald- und Sumpfgebiet des Weidatales eine Zufluchtsburg, ein Refugium geschaffen hatte, das er in Gefahrenzeiten mit seinen Ange-hörigen, Mannen und Leibeigenen – wir befinden uns in der Zeit des Feudalismus – bewohn-te.“150 Er bezeichnet ihn als einen Ministerialen der Vögte von Weida. Mit Sicherheit handelte es sich bei der Anlage aber nicht um eine reine Fluchtburg, die nur in Notzeiten aufgesucht wurde, sondern um den Sitz einer Kleinen Herrschaft.

Ein interessantes Ergebnis erbrachte eine kleine archäologische Untersuchung des Landes-amtes Weimar an der Anlage „Der Wahl“ von Lunzig. Lunzig befindet sich nordöstlich von Hohenleuben, unweit der Talsperre Hohenleuben, die das Wasser der Leuba aufstaut. „Der Wahl“ ist eine kleine Wall-Graben-Anlage unterhalb des Rittergutes, die sich an den natür-lichen Hang anlehnt. Die geborgene Keramik reicht nicht über das 14. Jahrhundert zurück. Damit verweist sie zwar auf ein höheres Alter von Burg und Ort, der erst nach der Mitte des 15.  Jahrhunderts genannt wird, deutet aber darauf hin, dass die kleine Wallanlage erst im 14. Jahrhundert errichtet wurde. Da es bislang keine Hinweise auf eine eventuelle Verlage-rung des Burgstandortes gibt, muss vorerst davon ausgegangen werden, dass auch noch im vierzehnten Jahrhundert Anlagen dieser Art als Burgen einer Kleinen Herrschaft/des Lokalen Adels im Landesausbau errichtet wurden. III.2.2 Kirche, Kirchenorganisation und Slawenmission

Der erste Pfarrer von Gera wird in der bereits erwähnten Urkunde des Stiftes Quedlinburg um 1200 erwähnt. 1234 und 1238 findet die Johanniskirche Erwähnung. Die romanische Bau-struktur – einschließlich Ausgrabungen – weist darauf hin, dass zahlreiche Kirchen spätestens zum Ende des 12. bzw. zu Beginn des 13. Jahrhunderts errichtet wurden. Zu dieser Zeit ent-wickelt sich eine reiche Klosterlandschaft im Gebiet um Gera bzw. dem Nördlichen Vogtland.

Die Anfänge der Institutionalisierung der Slawenmission und Kirchenorganisation sollten allerdings wesentlich weiter zurückliegend zu suchen sein. Wir gehen sicher nicht fehl in der Annahme, dass die kaiserliche Schenkung des Geraer Territoriums 999 an das Quedlinburger Damenstift auch mit der Hoffnung verbunden war, dass sich Quedlinburg auch um das Seelen-heil der Menschen, damals sicher vor allem Slawen, die in diesem Gebiet lebten, sorgen und Slawenmission betreiben werde.

Wenngleich auch die bisherigen Ausgrabungen dafür noch keinen Beweis erbringen konn-ten, ist die älteste Kirche des Territoriums am ehesten auf dem Gelände der Burg (Osterstein) zu suchen. Da es sich um eine Holzkirche gehandelt haben sollte, ist der archäologische Beweis dafür in einem über die Jahrhunderte ständig veränderten Gelände schwer zu er-bringen.

Seit Langem gelten in der Heimatforschung im heutigen Stadtgebiet von Gera die Kirche des Ortes Dorna und im Nördlichen Vogtland die Veitskirche von Wünschendorf als die ältesten Kirchen des Gebietes. Letztere wird auch noch in der gegenwärtigen Heimatliteratur in das 10. Jahrhundert gesetzt.

2003/2004 konnten durch das Landesamt in der Kirche von Dorna partielle Ausgrabungen durchgeführt werden. Die Kirche St. Petrus befindet sich in einer hervorgehobenen Lage auf einem Hügel südlich über dem heutigen Ort und dem Brahmetal. Die Topografie deutet dar-auf hin, dass die Kirche ursprünglich Elemente einer Bewehrung aufwies. Die „Großräumige Saalkirche aus verputztem Hausteinmauerwerk mit eingezogenem, längsrechteckigem Chor und nördl. Chorflankenturm“ weist mehrere Bauphasen auf.151 Die Wand des Schiffes und des eingezogenen Chores tragen Ritzfugen, die auf eine Entstehung noch im 12. bzw. beginnenden 13. Jahrhundert hinweisen.

Als die Grabungen begannen, waren bereits durch Hilfskräfte „Abtragungsarbeiten“ durch-geführt worden, in deren Ergebnis Backsteingrüfte freigelegt wurden, die sich durch das ge-samte Schiff und den Chor ziehen und eine großflächige Freilegung bis auf den gewachsenen Boden unmöglich machen.

Die Grabung erbrachte trotzdem eine vollständige romanische Anlage mit Schiff, eingezo-genem längsrechteckigem Chor und halbrunder Apsis. Die Ritzfugen an der Wand des Chores enden an der Stelle, wo ursprünglich die Apsis ansetzte. Unter dem Ansatz der romanischen Apsis konnte eine Bestattung freigelegt werden, die ihrer Lage nach in das frühe Mittelalter weist. Ein an dieser Stelle außerhalb der heutigen Kirche angebrachter Schnitt erbrachte keine weiteren Bestattungen.

Durch zahlreiche Ausgrabungen in Kirchen Brandenburgs im Nordteil des Bistums Meißen konnten wichtige Indizien für das ehemalige Vorhandensein von Holzkirchen als Vorgänger-bauten heutiger Steinkirchen herausgearbeitet werden. Unter den 8 Kriterien, die auf einen hölzernen Vorgängerbau hinweisen, wurde als viertes Kriterium festgestellt:

Da unmittelbar vor der Außenmauer keine weiteren Gräber gefunden wurden und der heutige Innenraum keine diesbezüglichen Untersuchungen zuließ, muss offenbleiben, ob das einzelne entdeckte Grab zu einem älteren Friedhof gehörte. Die Bestattung kann deshalb nur als hypo-thetischer Hinweis auf das ehemalige Vorhandensein einer Holzkirche gedeutet werden. Die exponierte Lage der Kirche außerhalb des Ortes würde aber eine solche Deutung unterstützen. Die Situation, wie sie für den heute brandenburgischen Teil des Bistums Meißen angetroffen wurde, könnte jedenfalls mit der im damaligen Bistum Zeitz/Naumburg vergleichbar sein.

Örtlichkeit und konkretes Baualter der ältesten Geraer Kirche im mittelalterlichen Stadt-gebiet müssen nach wie vor als nicht geklärt betrachtet werden. In Vorbereitung der Bundes-gartenschau 2007 in Gera und Ronneburg konnte auf dem Gelände der ehemaligen Johannis-kirche im Geraer Zentrum eine archäologische Untersuchung durchgeführt werden.153

Die Geraer Stadtkirche St. Johannis stand an diesem Ort bis zu ihrer Vernichtung im Stadt-brand von 1780. Es handelt sich um ein gegenüber dem zur Elster weisenden westlichen Gelän-de leicht erhöhtes Terrain innerhalb der mittelalterlichen Stadtbewehrung. Hier wäre auch die Kirche zu suchen, die mit der Erstnennung eines Pfarrers in Gera um 1200 in Zusammenhang steht.

Die Grabung, die leider durch den Umfang der Platzgestaltung eingeschränkt war und viele mögliche Frage- und Antwortmöglichkeiten damit offenlassen musste, kam dennoch zu wich-tigen neuen Ergebnissen zu Vorgängerkirche und Friedhof.

Dem gotischen Bau, der bis 1780 mehrfach verändert worden war, ging nicht nur ein roma-nischer Vorgängerbau voraus. Ohne dafür einen exakten Beweis erbringen zu können, rückt damit der erfasste erste Bau wohl mindestens in das Ende des 12. Jahrhunderts. Dabei war noch nicht zu klären, ob es noch weitere ältere Vorgängerbauten gab.

Im Verlauf der Grabung konnte hier auch ältere Keramik geborgen werden:

Ob diese, wie vermutet werden kann, sich auf diesem dafür prädestinierten Gelände befand, können nur künftige Grabungen klären.

Die älteste Kirche des Nördlichen Vogtlandes wurde, wie bereits ausgeführt, auf dem Gelän-de der Veitskirche bei Wünschendorf gesucht und von der lokalen Forschung – teilweise sogar bis zur Gegenwart – in das 10. Jahrhundert gesetzt. An dieser Stelle soll sich als Vorgängerbau eine ottonische Burganlage befunden haben, die im 12. Jahrhundert von den Vögten nach Weida verlagert worden sein soll. Selbst Paul Lehfeldt folgt der älteren Einordnung der Kirche und der Hypothese, dass es sich bei Teilen der Kirche um die Kapelle der frühen Burganlage, die ursprünglich hier stand, handeln würde.155 Zu diesen Fehldeutungen haben sicher neben anderen Faktoren auch die komplizierte Baugestalt und die topografische Lage des Baues bei-getragen.

Die Kirche befindet sich auf einem Bergsporn über dem Zusammenfluss von Weida und Weißer Elster. Vom Tal aus gesehen beherrscht sie das Bild der Landschaft wie kein anderes Bauwerk. Im Bereich der Kirche befinden sich Geländespuren, die von einer mittelalterlichen Bewehrung herrühren könnten. In der Nachbarschaft durchgeführte jüngere Bauarbeiten er-brachten keine Spuren einer Burganlage. 1991 wurden bei Fußbodenarbeiten in der Kirche Mauerreste freigelegt. Leider wurden diese damals nicht archäologisch untersucht. Sie gehören nach R. Müller zur ehemaligen nördlichen Außenmauer der romanischen Kirche.156 Er konnte auch deutlich machen, dass der Westturm, an dem – wie an anderen Bauteilen auch – deut-lich Ritzfugen zu sehen sind, der älteste Teil der Kirche ist. „Eine im Sommer 2008 erfolg-te dendrochronologische Untersuchung von in ursprünglicher Einbausituation befindlichen Deckenbalken erbrachte ein Fälldatum der Hölzer um 1124 (+/– 5), so dass der Turm und die damit in Verbindung stehende romanische Saalkirche im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts entstanden sein dürften.157

Zusammenfassend stellt er für den bis dato bekannten ersten Bau fest: „Die erste nachweis-bare Kirche ist ein im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts errichteter Saalbau mit eingezogenem Chor und wohl auch halbrunder Apsis im Osten sowie einem schiffsbreiten Turm im Wes-ten.“158 Dieser Westturm fordert sowohl bauhistorisch als auch in Bezug auf das Verhältnis von Herrschaft und Kirche zu einem Vergleich mit Tegkwitz heraus.159

Die Bauzeit der Kirche und der Osterburg im Zusammenhang mit dem ersten Auftreten der Vögte in diesem Raum ist wohl alles andere als zufällig. In Tegkwitz erforderte die Art der Burg-anlage das Nutzen der Kirche auch als Eigenkirche der Herrschaft. Dies erfolgte in Gestalt des Westturmes. Gleichzeitig errichtete die Tegkwitzer Herrschaft damit ein weithin sichtbares Sym-bol ihrer Macht. Traf der erste Grund für Veitsberg nicht zu, da die Vögte mit der Osterburg eine Anlage errichteten, die genügend Platz für eine Burgkapelle bot, kommt hier wohl der zweite Grund zum Tragen: Mit der Osterburg und dem Westturm der Veitskirche besaßen die Weidaer gleich zwei Symbole ihrer Macht auf relativ engem Raum. Auch die Veitskirche war aber von An-fang an sowohl Gotteshaus der Gemeinde als auch Eigenkirche der Weidaer Herrschaft.

Ein vergleichbares Verhältnis von Herrschaft und Kirche, wie es R. Müller für die Vögte vor allem in Veitsberg, Wünschendorf, Cronschwitz und in Bezug auf die Wiedenkirche in Weida herausarbeitet, existiert auch auf der unteren Ebene der Herrschaft. So, wie im östlich benach-barten Pleißengau geht auch im Gebiet um Gera und im Nördlichen Vogtland der enorme Landesausbau des 12. und 13. Jahrhunderts nicht nur mit der Errichtung von Burgen als Sitzen der lokalen Herrschaft einher, sondern auch mit der Errichtung zahlreicher neuer Pfarrkir-chen und der Installation einer festen Pfarrorganisation, zu der diese Kirchen gehörten.

Leider gibt es sowohl in den Dorfkirchen des Gebietes des Geragaues als auch in denen des Nördlichen Vogtlandes dazu keine weiteren Grabungen – mit Ausnahme der geschilderten in Dorna. Bezeichnenderweise existiert in Dorna auch eine kleine Wallanlage als Burg einer lokalen Herrschaft. Ein Teil dieser Kirchen, wie etwa die behandelten in Dorna und Veitsberg und ebenso die in Taubenpreskeln oder Röppisch, zeigen einzelne wehrhafte Elemente ohne je einen selbständigen Wehrcharakter gehabt zu haben.160

Ein wichtiges Element der Geschichte im Allgemeinen sowie der Religionsgeschichte im Besonderen auch des Nördlichen Vogtlandes sind die Klöster. Bis in das letzte Viertel des 12. Jahrhunderts wird die klösterliche Geschichte des Gebietes bis südlich von Gera vom Wir-ken des Quedlinburger Stiftes und des Klosters Bosau quasi von außen bestimmt.

Mit der Gründung des Prämonstratenserklosters Mildenfurth als ihrem Hauskloster durch die Vögte von Weida – gelegen an der Weida unweit des Zusammenflusses mit der Elster bei Wün-schendorf – beginnt eine lebendige Geschichte des Klosterwesens im Einzugsgebiet der Vögte.

Es ist an dieser Stelle nicht erforderlich, auf diese Entwicklung näher einzugehen, da sich

Petra Weigel in jüngeren Arbeiten diesem Thema in Überblicksdarstellungen gewidmet hat.161 Abb. 63: Plan der Klöster im Vogtland nach P. Weigel (Weigel)

Sie untersucht die Klosterlandschaft des Vogtlandes sowohl unter den Aspekten des Herrschafts- und Landesausbaus der Vögte als auch – und das ist ein bislang vernachläs-sigter Blickwinkel – unter den Aspekten des mittelalterlichen Mönchstums und Ordens-wesens.162

Diese Entwicklung macht P. Weigel optisch auf einer dem Artikel beigefügten Karte sicht-bar, deren nördlichste Punkte Mildenfurth und Cronschwitz sind. Dazwischen wäre die Veits-kirche einzufügen, die als Ausgangspunkt der Kirchenpolitik der Vögte, deren kirchliches Machtzentrum und erster Grablegeort zu fassen ist.

Der Vogtländische Altertumsforschende Verein zu Hohenleuben hat sich von Beginn sei-ner Tätigkeit an auch der Geschichte der Kirchen und Klöster des Vogtlandes gewidmet. Das kommt in zahlreichen Artikeln in den Mitteilungen zum Tragen, wo einzelne Objekte vor allem unter historischen und baugeschichtlichen Aspekten vorgestellt werden. Herbert Eich-horn hat sich in seiner 2002 gedruckt vorgelegten Dissertation der Kloster- und Schlossanlage von Mildenfurth vor allem unter dem Gesichtspunkt der Geschichte, der Nutzung und der denkmalpflegerischen Konsequenzen zugewandt.165

Seine Arbeit beruht auf jahrelangen bau- und kunsthistorischen Untersuchungen am Objekt selbst. Auf dieser Grundlage hat er eine Vielzahl von Abbildungen und Plänen geschaffen. Leider wurde seine Arbeit nur zeitweilig und in geringem Umfang archäologisch begleitet. Hier wäre eine parallele Ausgrabung erforderlich gewesen, die so nicht vorgenommen wurde. Zahlreiche Befunde sind auf diese Art und Weise für immer verloren und stehen für eine in-terdisziplinäre Herangehensweise nicht mehr zur Verfügung.

Durch Bauarbeiten im Bereich der Anlage des Dominikanerinnenklosters Cronschwitz war 2006 die Durchführung einer kleinen archäologischen Sondage möglich. Cronschwitz befindet sich unweit von Mildenfurth und Veitsberg im Tal der Weißen Elster, kurz vor deren Zusammenfluss mit der Weida bei Veitsberg. Veitsberg, Mildenfurth und Cronschwitz bilden quasi die Eckpunkte eines Dreiecks. Das Dominikanerinnenkloster Cronschwitz, das sich zu einem der reichsten und angesehensten Klöster des Vogtlandes und zum Bestattungsort der Geraer Linie der Vögte entwickelte, wurde 1238 von Jutta, der Schwester Heinrichs von Gera, gegründet.166 Sie, die von ihrem Gemahl durch den Naumburger Bischof geschieden wurde, damit beide in den geistlichen Dienst eintreten konnten, wurde auch die erste Priorin des Klosters.

Das Gelände des Klosters, von dem heute äußerlich nur noch Mauern der Klosterkirche sichtbar sind, war bis in das 16. Jahrhundert noch überschaubar. Die ruinöse Klosterkirche wurde bis dahin noch für den Gottesdienst genutzt. Um das Kloster ranken sich Sagen, die, wie bei solchen Anlagen üblich, von verborgenen Schätzen berichten.167 Das hat schon zeitig dazu geführt, hier nach Schätzen zu schürfen. Dazu kommt, dass das Baumaterial der Ruinen wertvoll war und auch hier durch die Dorfbewohner genutzt wurde.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der erste Versuch unternommen, eine „Ausgra-bung“ auf dem Klostergelände vorzunehmen. Dazu hatte man die Unterstützung von Groß-herzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar gewonnen. Das Unternehmen brachte aber wahr-scheinlich nicht den gewünschten Erfolg. Jedenfalls wird davon nichts berichtet.168

1905 ergab sich die Möglichkeit, eine „Nachgrabung“ – so der gängige Begriff für eine Aus-grabung – zu unternehmen.169 Dazu wurde ein Ausschuss gebildet, der unter der Leitung des Schleizer Archivars Berthold Schmidt arbeitete und dem zahlreiche aus damaliger Sicht be-sonders kompetente Personen, wie z. B. Alfred Auerbach, angehörten. Dieser war nicht nur an den Grabungen selbst, sondern auch am Grabungsbericht beteiligt. Mit den Erdarbeiten wurde eine in Wünschendorf ansässige Firma beauftragt.

Die Grabung begann am 25.04.1905 und dauerte nach B. Schmidt ca. 11,5 Wochen. Sicher in erster Linie aus Kostengründen wurde der entstehende Abraum auf dem benachbarten Grundstück der Kirche abgeladen – damit wurden leider damals noch vorhandene Spuren des Klostergeländes völlig verwischt. Der 1906 gedruckt vorgelegte Bericht, der dem Stil der Zeit entsprechend nicht dem entspricht, was wir heute unter einer Grabungsdokumentation ver-stehen, umfasst entsprechend dem genannten Ziel der Nachgrabung vier Punkte:

I. Die Grundmauern und baulichen Reste der Kirche

II. Die Werkstücke

III. Die Grabsteine

IV. Kleinere Funde.

Das wichtigste Ergebnis des ersten Punktes ist die Erstellung eines Grundrissplanes der frei-gelegten Mauerzüge der Kirche.171 Dem Bau, der sich in Apsis, Chorkirche mit dem Hauptaltar und Schiff (Laienkirche) gliedern lässt, war südlich ein eingetiefter Kapellenbau angefügt. An das Schiff schloss sich daneben der Kreuzgang an.

In der Apsis wurden 13 Skelette „beiderlei Geschlechts“ freigelegt, die sich ursprünglich in Holzsärgen befanden. In ihnen sieht Schmidt das Erbbegräbnis der Vögte und Herren von Gera. In der Chorkirche wurden bis zu fünf Schichten weiblicher Skelette angetroffen, in de-nen Schmidt die sterblichen Überreste der Nonnen sieht. In der Laienkirche wurden weitere Bestattungen freigelegt.

Bei den unter dem zweiten Punkt des Berichtes erläuterten Werkstücken handelt es sich um steinerne Fragmente des romanischen und gotischen Baues.

Bis heute erregen die im dritten Punkt erklärten Grabsteine (Grabplatten) wissenschaft-liches Interesse. Sie wurden in der Apsis und mehrheitlich im Schiff freigelegt. In der Chor-kirche befanden sich keine Grabsteine. Im Schiff wurde auch ein rechteckiger Steinsarg ge-funden.

Berthold Schmidt erläutert – soweit es der Erhaltungszustand zuließ – diese Steine ausführ-lich und verbindet seine Schilderungen mit einer umfassenden herrschaftsgeschichtlichen Darstellung der Vögte.

Die Ausbeute der unter dem vierten Punkt vorgestellten Kleinfunde ist als mager zu be-zeichnen. Es handelt sich dabei um zehn Münzen, eine kleine Knochenfigur, 3 Bronzeblech-fragmente, einen Knochenring, einen Fingerring, eine Riemenschnalle, Reste eines Schwertes, eine Edelkoralle, zwei Schlüssel, ein Spinnwirtelfragment und Reste von Fensterglas. In der Apsis wurde „das Fragment eines kleinen mittelalterlichen Näpfchens aus hellem, fast weißem Ton“ geborgen.172

Zusammenfassend wird festgestellt:

Ziel war, es den Grabungsbefund zu festigen, die Grabplatten zu restaurieren und sie, mit Aus-nahme der Platte des Landmeisters, an ihren ursprünglichen Plätzen zu erhalten sowie den Boden der Kirche mit Kies aufzufüllen und von Bewuchs freizuhalten.174 Da nach 100 Jahren hierfür Erneuerungen notwendig waren, wurde in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts in einer Aktion mit Hilfskräften der inzwischen erfolgte Bewuchs entfernt und der Zustand von 1905 annähernd wiederhergestellt.

Es ist als besonders erfreulich zu betrachten, dass sich kurz nach dem 100-jährigen Jubiläum der Ausgrabung von 1905 im Jahr 2006 die Möglichkeit ergab, durch Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück eine kleine Fläche im Bereich der Apsis freizulegen und archäologisch zu betrachten. Diese Arbeiten wurden durch Thomas Queck vom Thüringischen Landesamt durchgeführt, ausgewertet und publiziert.175 Sie konnten wichtige Aussagen der Ausgrabung von 1905 bestätigen.

Ihr wichtigstes Ergebnis war das zusätzliche Auffinden eines südlichen Seitenschiffes, ei-ner weiteren Scheibenkreuzgrabplatte, von Bestattungen im Seitenschiff, analog zu den von Schmidt im Chor festgestellten Bestattungen, und das Auffinden romanischer Backsteine.

Abb. 64: Plan der Klosterkirche von Chronschwitz nach der Ausgrabung von 2006 (Queck) Auf die städtischen Klöster in Weida soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden, da deren Gründung nach der Mitte des 13. Jahrhunderts erfolgte und damit über den behandelten zeit-lichen Rahmen der Arbeit hinausgeht. In den Klöstern der Franziskaner bzw. der Dominika-nerinnen fanden 2008 Ausgrabungen des Landesamtes statt, die Teile der jeweiligen Friedhöfe erfassten. Das geborgene Skelettmaterial wurde anthropologisch umfassend ausgewertet.177 III.2.3 Siedlung und Wirtschaft

Über die konkrete Struktur einer Siedlung im Geragau/Nördlichen Vogtland im Prozess des Landesausbaus unter deutscher Herrschaft zwischen dem Ende des 10. und dem 12./13. Jahr-hundert vermag die Archäologie mangels modern durchgeführter und ausgewerteter Ausgra-bungen keine umfassenden Aussagen zu treffen.

Das ist umso schmerzlicher, als es bereits seit der Mitte des 20. Jahrhunderts eine detaillierte Arbeit über die Wüstungen in großen Teilen dieses Gebietes gibt.178 Helmut Barth stützt sich in seiner Arbeit zu den Wüstungen in den damaligen Landkreisen Greiz und Schleiz vor allem auf mediävistische Quellen, Katasterkarten mit Flurnamen, naturwissenschaftliche Untersu-chungen, die sogenannte „Siedlungslückentheorie“, die davon ausgeht, dass die damaligen Ab-stände zwischen den Siedlungen ca. 1,4 km betrugen, sowie umfassende Geländearbeit.179 Er erfasst neben Ortswüstungen auch Fluren, Wehranlagen und Einzelobjekte, wie z. B. Mühlen.

Durch die Tätigkeit ehrenamtlicher Bodendenkmalpfleger wurden zahlreiche dieser Wüs-tungen oberflächlich nach herkömmlicher Art prospektiert. Das dabei geborgene Fundma-terial weist in der Regel nicht über das 12. Jahrhundert zurück und ermöglicht beim Fehlen von Grabungen keine Aussagen über das tatsächliche Alter des Ortes und seine Entwicklung. Barth hat die zu seiner Zeit vorliegenden Bodenfunde aufgenommen und in seinen Ortserklä-rungen verbal beschrieben.

Einen relativen „Ausnahmefall“ stellen die zur heutigen Stadtflur von Gera gehörigen Wüs-tungen Pottendorf und Vollersdorf dar.180 Da Vollersdorf aber erst für das 14. Jahrhundert nachweisbar ist – eine Entstehung Ende des 13. Jahrhunderts ist nach Aussage der gefun-denen Keramik möglich –, ist für den Untersuchungszeitraum nur die Wüstung Pottendorf relevant.

Das Geraer Stadtmuseum führte 2001 eine Sonderausstellung zum Thema „Das Geheimnis der verborgenen Dörfer“ durch, zu der von Günter Keil und Martin Müller eine Begleitpubli-kation erarbeitet wurde, die die bisherigen Ergebnisse auch kleinerer Grabungen durch Geraer Bodendenkmalpfleger und Heimatforscher aus den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhun-derts zusammenfasst. Dazu wurden, soweit überhaupt vorhanden, schriftliche und bildliche Quellen sowie Geländeprospektionen ausgewertet.

Pottendorf befindet sich auf der Höhe westlich von Gera und Osterstein ca. 1 km nordwest-lich von Ernsee und ist heute im Wald gelegen. Es liegt

Unter der Leitung des Geraer ehrenamtlichen Bodendenkmalpflegers Arno Reuter wurde auf dem Gelände von Pottendorf 1952/1953 eine Untersuchung durchgeführt, die aus 16 mehr oder weniger tiefen Suchgräben bestand. Die Hauptmasse der Funde besteht, wie andernorts auch, aus Keramikscherben. Diese können in das 12. bis 14. Jahrhundert datiert werden. Wei-terhin wurden wenige Spinnwirtel, Glas- und Ziegelbruchstücke, Schlacken und Lehmbewurf geborgen. An Eisenfunden liegen Messer, Riegel, Türangeln, Hufeisen und Sporen vor, die der Datierung anhand der Keramik nicht entgegenstehen.

Einzelne, nicht im Gesamtzusammenhang dokumentierte Pfostenlöcher und der Lehm-bewurf deuten auf Pfostenbauten hin. Eine größere Buntsandsteinplatte wird als Unterlage für Ständerbalken gedeutet, zahlreiche Sandsteinbruchstücke als Reste von Fundamenten und „Ummauerungen“. Es wurden auch Reste eines Backofens geborgen, der an einen Wohnbau angefügt war. Die Funde stammen aus einem Umkreis von ca. 200 m.

Die Tatsache, dass es keine modernen Ansprüchen genügende Dokumentation gibt, er-schwert die Auswertung sehr bzw. schränkt sie auf wenige Aussagen zu Funden und kaum welche zu Befunden ein. Tatsächliche Größe und Struktur des Ortes sind auf dieser Basis nicht zu erfassen und bei einer Fundstreuung von ca. 200 m nur zu vermuten.

Es handelte sich um einen im 12. Jahrhundert errichteten kleinen Ort, wohl einen Weiler, dessen Bauten um einen Dorfteich gruppiert waren. Dazu war eine Quelle gefasst und in einem kleinen Quellteich angestaut worden. Die Bauten setzten sich aus Pfosten- und Ständerbauten zusammen. Eine Gehöftstruktur konnte bei dieser Art der Grabung nicht erkannt werden.

Der Umkreis, in dem Funde geborgen wurden, deutet darauf hin, dass der Ort sicher weni-ger als 10 Hofstellen umfasste. Die Fundzusammensetzung deutet auf relativ selbstgenügsame landwirtschaftliche Produktion der Dorfbewohner hin, spezielles Handwerk konnte nicht he-rausgestellt werden.

Das wird auch durch die um den Ort herum liegenden Äcker gestützt, zu denen vom 12. bis 14. Jahrhundert in der Regel Waldweidewirtschaft und weitere Waldnutzung kamen.

Die Keramik deutet darauf hin, dass der Ort im 14. Jahrhundert aufgelassen wurde. Die zahlreichen, ungenügend dokumentierten Suchgräben und der inzwischen wieder dichte Waldbewuchs würden eine künftige wissenschaftliche Untersuchung erschweren, aber nicht ganz aussichtslos erscheinen lassen.

Einen zwar nicht ganz exakten, aber zumindest im Kern aussagefähigen Hinweis auf die Größe der Dörfer des Gaues Gera nördlich der Brahme erhalten wir durch die Besitzurkunden des Klosters Bosau, wenn wir hier wiederum davon ausgehen, dass die Festlegung der pro Ort abzuliefernden Schober (scobrones) in etwa der Anzahl der Gehöfte entspricht.182 Bischof Dietrich I. von Naumburg bestätigt dem Kloster Bosau in einer Urkunde vom 9.11.1121 den Zehnten aus den Orten:

Gnannendorfheute Teil von Brahmenau9 scobrones

NuendorfNauendorf7

SelmizSöllmnitz10

GresewizCretzschwitz13

GirsanGroitschen14

RupizanRöpsen19

NitazneNedissen27

NigauneNegis12

CoarwizRoschütz–

Die Gesamtsumme, die in Wirklichkeit 111 Schober ergibt, wird – sehr oberflächlich gerech-net – nur mit 100 Schobern ausgewiesen. Gleichzeitig wird die Summe der aus dem Pleißengau abzuliefernden Schober mit 1000 angegeben. Dabei ist zu beachten, dass es sich in Bezug auf den Geragau nur um die genannten Dörfer handelt, während im Pleißengau wohl ein beträcht-licher Teil der Orte erfasst wurde. Die Mehrzahl der Dörfer im Geragau war zu diesem Zeit-punkt sicherlich Quedlinburg verpflichtet.

Die Orte, die mit Ausnahme von Gnannendorf und Nuendorf (dem neuen Dorf) slawische Ortsnamen tragen, weisen im Vergleich zu den Orten im Pleißengau darauf hin, dass es sich um Orte handeln muss, die bereits eine gewisse Zeit der Entwicklung hinter sich haben. Ledig-lich die Orte mit deutschen Ortsnamen kommen auf eine Abgabenhöhe von unter 10 Scho-bern, liegen aber mit 7 und 9 deutlich über 5 scobrones. Das könnte darauf hindeuten, dass die Orte mit slawischen Ortsnamen älter sind. Im Fall von Nuendorf findet sich der Hinweis auf die neuere Gründung bereits im Namen und in der Tatsache, dass es sich um den einzigen genannten Ort südlich der Brahme handelt.

Coarwiz (Roschütz) wird genannt „cum molendino et prato“, also mit Mühle und Wiese.183Diese Tatsache der Zehntpflicht für das Kloster Bosau wird durch weitere Urkunden bis in das 13. Jahrhundert mehrfach erwähnt.184 In der Bestätigung vom 15.4. nennt Bischof Udo I. zu diesen Orten gehöriges kultiviertes bzw. noch zu kultivierendes Land. Mühlen, Wiesen und Land werden demnach als besonders wichtig ausdrücklich erwähnt. Landwirtschaft in Einheit von Ackerbau und Viehzucht war demnach der entscheidende Wirtschaftsfaktor dieser Orte.

In einem Tafelgüterverzeichnis des Stiftes Quedlinburg aus dem 13. Jahrhundert werden für den Geragau ausdrücklich Honigpfennige, Mohn, Hirse, Erbsen und Hopfen genannt. Daraus schließt Alberti sicher zurecht: „Aus den hiernach abzugebenden Früchten läßt sich schließen, daß die Landschaft Gera schon damals in einem guten Kulturzustand war. Die Abgabe von Honig, welche sich nach dem Erträgniß des Jahres gerichtet zu haben scheint, weist auf die ursprünglich slavische Bevölkerung des Bezirks hin, denn Honig war eine alte Abgabe der Slaven.“185 Die Wälder um Gera dienten demnach auch bereits im 11. und 12. Jahrhundert nicht nur der für diese Zeit wichtigen Holzgewinnung, sondern u. a. auch der Zeidlerei.

In der Urkunde von 1209, in der erstmals Greiz Erwähnung findet, bestätigen Heinrich von Weida und seine Brüder die Schenkungen ihres Vaters an das Kloster Mildenfurth und fügen weitere hinzu.186 Matthias Werner stellt diese Urkunde 2009 in ihrer ursprünglichen Fassung und einer deutschen Übersetzung vor.187

Die getroffenen Schenkungen zeigen anschaulich einerseits das damals vorhandene Wirt-schaftsniveau und andererseits, was für das Wohl des Klosters als besonders schenkungswür-dig, also für die ökonomischen Grundlagen besonders bedeutsam, erschien.

Wenn in Bezug auf die ursprüngliche Schenkung der Pfarrei von Mildenfurth (= Kirche Veitsberg; M.W) ausdrücklich erwähnt werden: „mit ihrem gesamten Zubehör, also mit Höri-gen beiderlei Geschlechts, mit Kirchen, Hufen, Äckern, Wäldern, Weiden, Wiesen, Gewässern Mühlen, Fischereirechten und allen sonstigen Nutzbarkeiten“,188 so entspricht das zum einen sicher der damals üblichen Form, weist andererseits aber auch auf die wirtschaftliche Bedeut-samkeit der genannten Objekte hin. Das Territorium muss sich in einem guten wirtschaftli-chen Entwicklungsstand befunden haben.

Davon zeugen gleichermaßen die Objekte, die 1209 der Schenkung hinzugefügt werden: Neben zahlreichen Hufen Ackerlandes betrifft das vor allem Wälder, Fischfangrechte in der Weida, Mühlen und neues Rodungsland.

Für Wünschendorf werden ausdrücklich neben 10 bestehenden Hufen weitere 10  Hufen „Rodungsland“ genannt. Das ist so zu deuten, dass sich 1209 zum einen der Prozess des Lan-desausbaus in Einheit von Siedlungsentwicklung und Wirtschaft auf einem relativ hohen Ni-veau befand, das auf eine langjährige Entwicklung zurückging, dass aber auch zum anderen diese Prozesse in gleicher Intensität vorangetrieben wurden. Die Macht der Vögte stützte sich auf eine enorme Wirtschaftskraft, die im Landesausbau begründet war.

Einen entscheidenden Hinweis auf diese Entwicklung im Gebiet um Gera gibt die Onomas-tik, im Besonderen die Flur-, Gewässer- und Ortsnamen und in diesem Zusammenhang vor allem ein Vergleich der slawischen mit den deutschen Ortsnamen bzw. den Mischnamen. Von wichtigem Aussagewert in Bezug auf das Voranschreiten des Landesausbaus sind die deut-schen und slawischen Ortsnamen, die auf Rodungstätigkeit hinweisen. Zu den Namen im Ge-biet um Gera und im Nördlichen Vogtland liegt eine größere Zahl von Publikationen vor allem der Vertreter der Leipziger Schule der Onomastik vor.189

In ihrer Arbeit Der Thüringisch-Vogtländische Sprachraum von 1938 untersucht Gerda Glück Grundprobleme der Dialektologie in ihrem Forschungsgebiet, das westlich weit über das vorliegende Arbeitsgebiet hinausgeht, aber in östlicher Richtung an der Elster endet.190 Das große Verdienst ihrer Untersuchung besteht, wie bei der im gleichen Jahr erschienenen Arbeit von Heinz Rosenkranz, darin, die Dialektologie auf ihre Wurzeln im Siedlungswesen des mit-telalterlichen Landesausbaus hin zu überprüfen. Dabei behandelt sie u. a. Probleme der natür-lichen Grundlagen des Gebietes, der Verkehrsverhältnisse, der wirtschaftlichen Verhältnisse und der historischen Grundlagen. Die Herangehensweise von G. Glück und H. Rosenkranz ist aus heutiger Sicht sicherlich in den Grenzen des Forschungsstandes des Zeitraumes ihrer Ent-stehung gefangen und „unmodern“, aber die Ergebnisse, die sie auf diesen Grundlagen erzielen und vorstellen, lassen es bedauerlich erscheinen, dass diese Forschungsrichtung auf dem heuti-gen Forschungsstand nicht weiter verfolgt wird. Das betrifft auch in schmerzlichem Maße das Eingehen von Rosenkranz und Glück auf die wirtschaftlichen Grundlagen des bearbeiteten Gebietes, wie z. B. die Verkehrsverbindungen.

Die auf ihrer Karte 9 „Vereinigung sämtlicher Sprachkarten auf einer Karte“ getroffene Zu-sammenfassung zeigt deutlich die historischen Wurzeln der Besiedlungsgeschichte des Rau-mes.

Die Unterscheidung in einen „Kernvogtländischen Raum“, einen „Reußischen Raum“ und den „Orlaraum“ mit weiteren Unterteilungen lässt sich bis zu den Vorgängen des mittelalter-lichen Landesausbaus zurückverfolgen und hilft, diese zu entschlüsseln. Bedauerlicherweise liegt die Grenze ihres Untersuchungsgebietes an der Elster und erhält damit eine geografische Einengung, die nicht historisch begründet ist.

Die Arbeit von Friedrich Barthel von 1933, die den vogtländisch-westerzgebirgischen Raum behandelt, setzt mit ihrem Arbeitsgebiet erst weiter westlich ein, so dass zwischen beiden Ar-beiten eine erhebliche Lücke klafft. Wichtige Erkenntnisse für das Untersuchungsgebiet ver-mittelt die Studie von Käthe Gleisner, die die Urkundensprache der Vögte von Weida, Gera und Plauen untersucht und vergleicht.191 K. Gleisner kommt zu der Schlussfolgerung, „daß der Geltungsbereich der meisten untersuchten Erscheinungen entweder der gleiche geblieben ist oder mindestens im 14. Jh. vorgeformt war und späterhin durch Verschiebungen im kleinen zum heutigen Mundartbild ausgearbeitet wurde.“192 So ist es nicht verwunderlich, dass Gleiss-ner ähnliche Grenzen aufzeigen kann, wie sie von G. Glück erarbeitet wurden. Im Vergleich zu den anderen Quellen für den mittelalterlichen Landesausbau zeichnen die von Gleissner dargestellten Räume ein durchaus ähnliches Bild.

Gleissner zeigt auf der Karte 1 (Sprachgrenzen in der Urkundensprache) eine erste Sprach-grenze in der Urkundensprache nördlich von Gera auf, die der nördlichen Grenze des Gebietes der Vögte entspricht. Eine deutliche Grenze zwischen Weida und Gera entspricht der Grenze zwischen den Vögten von Weida und denen von Gera. Diese stimmt im Wesentlichen überein mit der südlichen Grenze der genuin slawischen Besiedlung. Weitere deutliche Sprachgrenzen kann sie zwischen Plauen und Hof sowie zwischen Hof und Eger feststellen. Weniger deut-liche Grenzen, die auf einzelnen Spracherscheinungen beruhen, zieht sie nördlich und südlich von Greiz. Die Karte 3 (schematische Darstellung der zwischen den Kanzleiorten verlaufenden Mundartgrenzen) hebt die Räume von Gera, Weida, Greiz und Plauen voneinander ab.193 So kann sie die für den mittelalterlichen Landesausbau im Gebiet um Gera und im Nördlichen Vogtland wichtige Schlussfolgerung ziehen: „In seinen Grundzügen ist dieses Bild im 14. Jh. schon fertig. Das bedeutet, daß die sprachliche Gliederung, die die Kolonisation geschaffen hat, im großen Ganzen bis heute gültig ist.“194

Es ist an dieser Stelle nicht beabsichtigt und möglich, den Gehalt dieser Arbeiten für die mit-telalterliche Besiedlung des Arbeitsgebietes auch nur annähernd auszuschöpfen. Dazu bedarf es weiterer zielstrebiger Forschungen auf der Grundlage der heutigen Ergebnisse der Dialekto-logie in ihrem Verhältnis zur Kulturraumforschung und Archäologie.

Karlheinz Hengst kommt in seiner Untersuchung von 2010 zu „Gera-Gau und nördliches Vogtland aus sprachhistorischer Sicht“ zu Ergebnissen, die in wesentlichen Punkten mit den Aussagen der mediävistischen und archäologischen Quellen übereinstimmen.195 Aus Sicht der Archäologie ist eine vergleichbare Abfolge der Besiedlung, wie er sie anhand der Namen fest-legt, festzustellen. Zu überdenken ist allerdings das von ihm m. E. recht früh angesetzte Alter für den Beginn der Siedlungen mit slawischen Ortsnamen.

Insgesamt kommt er zu folgenden Annahmen über den Ablauf der Besiedlung und damit des Landesausbaus im Geragau anhand slawischer Namen:

I. stellt er eine älteste Namenschicht im Tal der Elster zwischen Silbitz im Norden und Cronschwitz im Süden fest. Diese stimmt überein mit den Grenzen der genuin slawi-schen Besiedlung.

II. arbeitet er eine zweite Gruppe von Ortsnamen heraus, die sich nicht mehr unmittel-bar im Tal der Elster befinden, sondern „zu beiden Seiten der Elster etwas vom Fluss weg“. Ihre Höhenlage ist über 250 m.

III. liegt eine dritte Gruppe in der westlichen Elsteraue bis zum südlichen Ende des Ge-ragaues.

IV. befindet sich eine Gruppe von Namen östlich der Elster in einer Höhe zwischen 250–300 m, die er als „jüngere Ausbausiedlungen“ betrachtet

V. „Als Indiz für jüngere aso. (altsorbische) Benennungen dürfen jene ON-Typen gelten, die in Höhenlagen über 250 m und damit schon deutlich abseits des Hauptflusses Weiße Elster begegnen“. Diese unterscheidet er nach ihrer Lage westlich und östlich der Elster.

VI. eine relativ späte Gruppe, die schwer deutbar ist.

VII. eine Gruppe, die die östliche Grenze der altsorbischen Siedeltätigkeit markiert. Dazu gehören Kretzschwitz, Söllmnitz und Naulitz.

VIII.eine Gruppe von Mischnamen aus der Zeit des deutsch geleiteten Landesausbaus.

IX. eine Gruppe näher zur Elster, zu der Windischenbernsdorf und Wünschendorf ge-hören.196

Dieser Untersuchung schließt er die zu den Ortsnamen im nördlichen Vogtland zwischen Wünschendorf und Greiz an. Hier kommt er zu 5 Gruppen:

I. eine kleine slawische Gruppe im Raum bei Wünschendorf

II. eine Gruppe südlich davon bis Dörtendorf

III. eine kleine Siedelzelle im Umfeld von Greiz

IV. eine Gruppe entlang der Elster und ihrer Zuflüsse auch mit Hinweisen auf slawische Rodungstätigkeit wohl aus dem 11./12. Jahrhundert

V. eine Gruppe weiterer Dörfer, die von slawischen Lokatoren mit slawischen Siedlern unter deutscher Herrschaft angelegt wurden.

Schließlich arbeitet K. Hengst noch „slawische Namen für Siedlungen in der Zeit des fort-schreitenden dt. Landesausbaus“ heraus.197

Insgesamt lässt sich anhand der archäologischen, namenkundlichen und mediävistischen Quellen folgender Ablauf der Besiedlung – unabhängig von konkreteren Zeitangaben – he-rausstellen: Während sich die slawische Besiedlung in genuin slawischer Zeit auf das Tal der Weißen Elster zwischen der Landesgrenze mit Sachsen-Anhalt im Norden und dem Raum um Wünschendorf im Süden beschränkt, wird in der folgenden Zeit das gesamte Territorium des ehemaligen Geragaues und des Nördlichen Vogtlandes schrittweise in die Besiedlung einbezo-gen. Auch in diesem Territorium haben die slawischen Siedler einen hohen Anteil an der Ab-folge. In fortschreitendem Maße kommen zu den ursprünglich slawischen Siedlern deutsche Siedler hinzu. Für die Zeit des Landesausbaus unter deutscher Herrschaft lässt sich nur ein grober Ablauf der Besiedlung festhalten. Es werden fortschreitend auch weiter von der Elster entfernte Lagen in größeren Höhen besiedelt. Davon zeugen nicht zuletzt Ortsnamen, die auf Rodungstätigkeit hinweisen.198 Das bedeutet, dass in diesen Gebieten von den siedlungswilli-gen Slawen und Deutschen noch relativ dichte Wälder angetroffen wurden.

Die Besiedlung erfolgte durch slawische und deutsche Lokatoren, die Siedler anwarben und in der Regel mitbrachten. Eine wichtige Rolle haben dabei neben den bedeutenderen Herr-schaften – vor allem den Zeitz/Naumburger Bischöfen und Vögten – die lokalen Herrschaften gespielt, die ihre Sitze in den kleineren Wall- und Wehranlagen hatten. Sie waren der Motor der Besiedlung. In den Räumen um die bedeutenden Klöster der Vögte – Mildenfurth und Cronschwitz – erfolgte ein besonders zügiger Landesausbau.

Grenzen für den Landesausbau setzen auch die teilweise sehr engen Flusstäler, die für eine dauerhafte, umfassende Besiedlung nicht genügend Raum bieten.

Der Höhepunkt der Besiedlung wird zu Ende des 12., vor allem aber im 13. Jahrhundert erreicht. Dabei kommt es auch zur Erfassung von Gebieten, die von ihrer Struktur und Bo-denbeschaffenheit her für die dauerhafte Bewirtschaftung besonders durch eine nach wie vor in erster Linie landwirtschaftlich tätige Bevölkerung weniger geeignet sind. Das führt in der Folge zu Wüstungsprozessen. Die Übersichtskarte bei Barth, in der der Raum um Gera nicht mit erfasst ist, zeigt Wüstungen verstärkt im Gebiet der Höhen östlich der Elster und westlich des Flusses, weiter von diesem entfernt.199

Einen besonders wichtigen Faktor für Besiedlung, Struktur und Wirtschaft auch des Gera-gaues und Nördlichen Vogtlandes stellen die Verkehrsverbindungen zu Lande und, was m. E. bisher zu wenig beachtet wurde, auch auf dem Wasser dar. Zwischen den einzelnen Orten, zwischen diesen und den außerhalb der Orte liegenden Wehranlagen sowie zwischen ihnen und den sich herausbildenden Städten waren Wegestrukturen nötig, die sich heute in der Regel anhand von Hohlwegen erfassen lassen. Dazu liegen allerdings bisher keine Untersuchungen vor. Für die Entwicklung des Landesausbaus insgesamt, für Fernhandel und die Herausbil-dung früher Städte waren Fernverbindungen unerlässlich.

Leider gibt es für den Raum um Gera und das Thüringer Vogtland keine Untersuchungen, wie sie z. B. durch Gerhard Billig und Renate Wißuwa für das benachbarte sächsische Vogtland vorgelegt wurden.200 In dieser Arbeit wird die bedeutende und am Rand des bearbeiteten Ge-bietes gelegene Straße Greiz – Plauen – As erfasst. „Möglicherweise wurde die Trassenführung von Gera über Weida/Wünschendorf entlang der Weißen Elster nach Greiz herangeführt.“201

Diese Verbindung von Gera über Plauen hinaus stellt die wichtigste Straßenführung im Mit-telalter für den Geragau und das Nördliche Vogtland dar. Sie ist Teil einer Fernverbindung von Leipzig nach Nürnberg bzw. nach Eger. Diese wird im Raum Gera gekreuzt von einer West-Ost-Verbindung, die in Richtung Altenburg führt.

Die bedeutenden Burgorte der Vögte in Gera, Weida, Greiz und Plauen setzen ebenso eine stabile Wegeverbindung voraus wie die Burgen der Lobdeburger in Elsterberg, Arnshaugk und Saalburg.202 Diese Wegeverbindungen konnten „dauerhaft“ auch für den Fernhandel genutzt werden, was sich auch für die Stadtentwicklungen in Gera, Weida und Greiz positiv auswirkte. Die Verbindung zwischen Weida und Greiz kann allerdings entsprechend der Geländestruk-tur, d. h. wegen des engen Flusstales, nicht unmittelbar entlang der Weißen Elster geführt worden sein. Sie muss, ähnlich wie die heutige Bundesstraße 92, von Greiz aus über Gommla die Höhen erreicht haben.

Wichtige Hinweise auf die Altstraßen im Geragau/Nördlichen Vogtland erarbeitet Gerda Glück bei ihrer Untersuchung des Thüringisch-Vogtländischen Sprachraumes, wo sie für das Mittelalter Straßen von 4 „Grade(n) der Bedeutung“ feststellt.203 Sie geht davon aus, dass die mittelalterliche Verkehrslage entscheidend durch die Verbindung von Nürnberg und Leipzig geprägt wird. An dieser Tatsache ist sicher nicht zu zweifeln.

Die von ihr bestimmten 2 Hauptverbindungen führen am Arbeitsgebiet vorbei, eine öst-liche führt von Leipzig über Altenburg, Zwickau und Plauen und eine zweite von Leipzig über Weißenfels und das Saaletal bis Saalfeld und dann über die Höhen des Schiefergebirges über Gräfenthal und Coburg. Eine Straße zweiter Ordnung führte ihrer Meinung nach von Lichten-fels über Schleiz, Auma, Gera, Zeitz nach Leipzig. Zwischen den Hauptverbindungen existier-ten Querverbindungen. Eine Straße führte von Plauen nach Eger, eine weitere von Eisenberg nach Gera. Die Verbindung von Gera über Weida nach Zeulenroda und Plauen ist für sie eine Straße von geringerer Bedeutung. Greiz wird lediglich durch eine Straße vierter Bedeutung mit Zeulenroda verbunden.

Dieses im Kern wohl richtige Herangehen berücksichtigt nicht, wie bereits ausgeführt, die Notwendigkeit stabiler Verbindungen zwischen den Burgen der Vögte und denen der Lobde-burger sowie zwischen den sich herausbildenden Städten. Insgesamt kann konstatiert werden, dass der Geragau und das Nördliche Vogtland im Mittelalter durch Landwege gut erschlossen waren. Das bedeutete gute Verbindungen für alle Bereiche des Landesausbaus, d. h. für Herr-schaft, Wirtschaft und religiöses Leben.

Zu diesen Landwegen kamen m. E. bereits im Mittelalter nutzbare Wasserwege, deren Bedeutung bisher unterschätzt wurde. Einen solchen Wasserweg stellte die Weiße Els-ter zumindest zwischen Plauen und der Landesgrenze mit Sachsen-Anhalt im Norden bis Leipzig dar. Damit war der Raum auch auf dem Wasserweg mit Altenburg im Osten und über die Saale bis Saalfeld sowie über Saale und Elbe bis zur Nordsee verbunden. Diese Wasserwege waren allerdings stark von Wasserstand, Klima und Witterungsbedingungen abhängig.

2009 konnte neben der Friedensbrücke in Greiz am nördlichen Ufer der Elster unterhalb des Schlosses eine stabile, in verzahnten Balken ausgeführte Holzkonstruktion untersucht werden, die als eine feste Landungsstelle für Boote gedeutet werden konnte. Die Dendro-Untersuchung des Holzes ergab 1770. Dieses Datum stimmt überein mit umfangreichen Baumaßnahmen an der dahinterliegenden Orangerie. Die Tatsache, dass sich hier in der Neuzeit eine Landungs-stelle für mit Baumaterialien beladene Lastboote befunden hat, kann selbstverständlich nicht automatisch auch auf das Mittelalter übertragen werden. Es ist damit aber davon auszugehen, dass dies bedeutet, dass die Weiße Elster auch im Mittelalter für den Güterverkehr schiffbar gewesen sein muss. Leider liegen bislang keine Quellen dafür vor, zum Anlanden welcher Bau-materialien dieser neuzeitliche Anlegeplatz gedient hat und welche dieser Baumaterialien von wo aus auf dem Wasser nach Greiz transportiert wurden. Das betrifft auch den jahreszeitlichen Bezug dieser Transportleistungen. Eine Auswertung solcher möglicherweise vorhandenen Schriftquellen könnte zumindest einen Hinweis darauf geben, welche Elsterabschnitte unbe-dingt befahren werden mussten und ob dafür eventuell nur der Wasserstand zu bestimmten Jahreszeiten in Frage kam.

Darüber hinaus ist sicher davon auszugehen, dass auch die Elster für den Transport von Bauholz und anderen Gütern in Form von Flössen genutzt wurde. Für den Frankenwald wird angenommen, dass hier die Flößerei im 12. Jahrhundert einsetzte. Für 1150 sind Mainzölle für Holz belegt.204

III.3 Der hochmittelalterliche Landesausbau unter deutscher Herrschaft im Orlagau

Unter dem Begriff Orlagau wird ein Gebiet zusammengefasst, das erst ab der Mitte des 11. Jahr-hunderts diese Bezeichnung erhielt und in einer Grenzbeschreibung erfasst ist, die zwar nur in einer Kopie des 15. Jahrhunderts überliefert ist, sich aber auf das 11. Jahrhundert bezieht.

Das Zentrum dieses Gebietes – unabhängig von seiner exakten Bezeichnung – stellte von Beginn an Saalfeld mit seinen Burgen dar, das damit zurecht als Ausgangs- und Mittelpunkt des mittelalterlichen Landesausbaus in diesem Territorium gelten muss.

Abb. 65: Der Orlagau nach einer Grenzbeschreibung um 1071 (G. Werner)

Geografisch betrachtet umfasst dieses Gebiet die siedlungsgünstige Senke zwischen Franken-wald und Schiefergebirge im Süden und der durch Heide bzw. Holzland gebildeten Buntsand-steinhöhe im Norden. Links der Saale reicht das Gebiet weit hinein in die bewaldeten Höhen des Thüringer Schiefergebirges bis zur Saale-Ilm-Platte, rechts der Saale bis östlich Triptis. Nach der gegenwärtig gültigen Gebietseinteilung gehören die größten Teile des ursprüngli-chen Orlagaues zu den Landkreisen Saale-Orla-Kreis und Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. Im Süden reicht es in fränkisches Territorium.

Im Vergleich zu den benachbarten Gebieten liegt für den Orlagau ein relativ guter For-schungsstand auf mediävistischem, onomastischem und archäologischem Gebiet vor, der ständig durch neuere Arbeiten bereichert wird. Die schriftlichen Quellen beginnen für Saal-feld bereits 899, die archäologischen mit dem Paläolithikum. Nicht zuletzt durch seine bedeu-tenden paläolithischen und latenezeitlichen Fundstellen hat der Orlagau schon relativ zeitig die Aufmerksamkeit von Archäologen auf sich gezogen.

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Hans Kaufmann hat in seiner 1959 und 1963 publizierten dreibändigen Arbeit die ur- und frühgeschichtliche Besiedlung des Orlagaues erfasst und kartografisch dargestellt.205 Diese Arbeit wurde durch eine größere Zahl neuerer Ausgrabungen ergänzt, hat aber damit keines-falls ihren Wert verloren. Im ersten Kapitel gibt er einen „Abriss der Forschungsgeschichte“ bis zu seinem Arbeitszeitraum.206 Auch das Mittelalter des Orlagaues hat nicht zuletzt durch seine Quellenlage schon relativ zeitig größere Beachtung gefunden.

1911 wurde die bis heute für das zu bearbeitende Thema wichtige Arbeit von Alfred Wands-leb Die deutsche Kolonisation des Orlagaues publiziert.207 Die von ihm vorgelegten 4 KapitelI. Das Land vor und während der Slavenzeit

II. Deutsche Eroberung

III. Das Aufkommen deutscher Gewalten im Lande

IV. Die deutsche bäuerliche Einwanderung und der Ausbau des Landes208bieten auch heute noch zahlreichen interessanten Diskussionsstoff für die Beschäftigung mit dem mittelalterlichen Landesausbau im Orlagau.

1961 und 1987 haben Heinrich Rempel und Hans Eberhard wichtige Beiträge zum Thema vorgelegt.209 In der Reihe Landschaften in Deutschland. Werte der deutschen Heimat erschien 2001 der unter der Leitung von Luise Grundmann und Gerhard Werner erarbeitete Band 62 Saalfeld und das Thüringer Schiefergebirge .210 Neu ist als Band 76 dieser Reihe die landeskund-liche Bestandsaufnahme für das Orlatal und Plothener Teichgebiet durch das Leibniz-Insti-tut für Länderkunde in Leipzig publiziert worden. Zusammen mit dem 1998 erschienenen Band 58 Rudolstadt und das mittlere Saaletal sind damit wesentliche Teile des Orlagaues lan-deskundlich bearbeitet. Das bietet eine gute Grundlage für siedlungskundliche Forschungen.

2005 hat sich das dritte Kolloquium zu Frühgeschichte und Mittelalter in Ostthüringen im Schloss Ponitz mit dem Thema „Der Orlagau im frühen und hohen Mittelalter“ aus interdis-ziplinärer Sicht beschäftigt.211 Auf die dort gehaltenen Beiträge ist an entsprechender Stelle zurückzukommen.

Neuere Arbeiten von Matthias Werner beschäftigen sich mit grundsätzlichen und spezi-fischen Problemen des mittelalterlichen Landesausbaus im Orlagau.212 Arbeiten von Gerhard Werner und Dirk Henning zeigen Entwicklungslinien der Stadt Saalfeld auf.213 Beiträge eines Ehrenkolloquiums für Gerhard Werner zu seinem 75. Geburtstag beinhaltet das Saalfelder Weihnachtsbüchlein, 109. Heft, 2012.214 Dem gleichen Anlass ist der Band Saalfelder Wege in der Reihe Beiträge zur Frühgeschichte und zum Mittelalter Ostthüringens 6 gewidmet.

Heinz Rosenkranz und Elfriede Ulbricht bearbeiten 1938 und 1957 Teile des Orlagaues aus sprachhistorischer Sicht im Zusammenhang mit der historischen Entwicklung.215 Die Orts-namen des Orlagaues unterziehen Heinz Rosenkranz und Ernst Eichler einer umfassenden Untersuchung.216 Hans Walther legt grundsätzliche Probleme der Siedlungsentwicklung des Gebietes aus onomastischer Sicht dar.217

Michael Gockel erarbeitet im Repertorium der Pfalzen, Band 2 Thüringen, Saalfeld.218 Seine umfassenden Untersuchungen und Darstellungen bieten eine gute Grundlage vor allem für die Beschäftigung mit der Saalfelder Burganlage. Er unterzieht die Quellen, die bis zum Erschei-nungstermin vorliegen, einer minutiösen Kritik.

Eine ganze Reihe moderner Ausgrabungen, auf die an entsprechender Stelle näher einzu-gehen ist, haben zahlreiche neue archäologische Quellen vor allem zur Siedlungsentwicklung des Gebietes, zu seinen Burgen und Kirchen erschlossen.219

Die entscheidenden Unterschiede zwischen der frühen Entwicklung Saalfelds und des um-liegenden Gebietes offenbaren sich bereits in der Erstnennung, die ca. 100 Jahre früher einsetzt als im Pleißen- bzw. Geragau. 899 wird der Hof Saalfeld (curtis Salauelda) von Kaiser Arnulf dem babenbergischen Markenherzog Poppo, dem er zuvor unrechtmäßig entzogen worden war, zurückgegeben.220 Die in dieser Urkunde auch genannten Hörigen und Sklaven sowie Flächen mit Feldern, Wiesen, Weiden und Wäldern entsprachen wohl der damals üblichen Formel. Das bedeutet nicht, dass es solche zu dieser Zeit nicht gegeben hat. Der Hof Saalfeld ist keineswegs in einem unbewohnten Gebiet errichtet worden und die Tatsache der Rückgabe bedeutet natürlich auch, dass der Hof älter war und bereits spätestens im letzten Drittel des 9. Jahrhunderts existierte. Auffällig ist allerdings, dass er im Diedenhofener Kapitular Karls des Grossen von 805 keine Erwähnung fand. Saalfeld hätte als befestigter Hof günstig zwi-schen Erfurt und Hallstadt gelegen.

Neue Ausgrabungen in der Burg Ranis weisen auf die Möglichkeit hin, dass bereits im 9. Jahrhundert von Saalfeld ausgehend in weite Teile des östlichen Orlagaues eingegriffen wur-de. Bereits um 800 werden im Breviarium St. Lulli, einem Hersfelder Güterverzeichnis aus dem 9. Jahrhundert, das benachbarte, wenige Kilometer von Saalfeld ebenfalls an der Saale gelegene Rudolstadt, weiter saaleabwärts Rothenstein und wenig westlich der Saale Remda genannt.221Das Gebiet war demnach, das zeigen auch slawische Fundstellen, keineswegs unbesiedelt, als der Saalfelder Hof errichtet wurde.

Bezogen auf die spätere Provinz Saalfeld bzw. den Orlagau ergab sich aber im 8. Jahrhun-dert ein deutlicher Unterschied zwischen dem rechts- und dem linkssaalisch gelegenen Gebiet. Auch wenn im Territorium unmittelbar um Saalfeld kein Nachweis westsaalisch-fränkisch-karolingischer Besiedlung vor dem letzten Drittel des 9. Jahrhunderts zu fassen ist, bezeugen doch die Quellen linkssaalisch eine relativ kontinuierliche Besiedlung in der Zeit ab 800. Die slawischen Fundstellen ab dem 8./9. Jahrhundert bezeugen allerdings keinen eigenständigen slawischen Landesausbau. Dieser erfolgte hier von Beginn an unter karolingischer Herrschaft. Das rechtssaalische Gebiet weist vor dem 9. Jahrhundert nur wenige archäologische Funde auf, die auf eine Besiedlung schließen lassen würden. Hier sind die Slawen im 8. Jahrhundert in ein wohl siedlungsleeres Gebiet eingewandert, das sie bis zum Übergreifen karolingischen Einflusses im 9. Jahrhundert selbständig ausbauen konnten.

Die urkundliche Überlieferung zwischen der Erstnennung 899 und der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts ist allerdings recht lückenhaft. Dieses Desiderat lässt sich auch kaum mit archäologischen und onomastischen Quellen schließen. Besser wird dann die Urkundenlage ab der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts. Für das 12. Jahrhundert kann die Forschung auf mediä-vistische, onomastische, bauhistorische und archäologische Quellen zurückgreifen, die zwar ein deutliches Bild zeichnen lassen, aber auch zahlreiche Fragen aufwerfen, die einer Klärung bedürfen.

Von der Urkunde, nach der Kaiser Arnulf 899 Saalfeld an Poppo zurückgibt, bis zu den Dokumenten Ende des 12./Anfang des 13.  Jahrhunderts, in denen Saalfeld zur staufischen Stadt geworden ist, reicht ein weiter Bogen interessanter Quellen und Probleme der Geschichte Saalfelds und des Orlagaues, also des Landesausbaus im mittelalterlichen Thüringen in einem Territorium, das rechts und links der Saale gelegen ist. Saalfeld und der Orlagau schlagen im frühen und hohen Mittelalter eine Brücke zwischen den Zonen I und II der Germania Slavica Thuringiae. Diese Entwicklung lässt sich bei wechselnden Besitzverhältnissen gut in die Ge-schichte des Reiches einordnen. Saalfeld steht mehrmals im Zentrum der Aufmerksamkeit der unterschiedlichsten Gewalten.

Grob zusammengefasst entwickelt sich der Landesausbau im Territorium in drei großen Ab-schnitten (der Begriff Orlagau wird hier als Gebietsbezeichnung auch für eine Zeit verwendet, in der er noch nicht benutzt wurde):

I. Saalfeld und der Orlagau vor und nach der Erstnennung als Teil des slawisch-fränkisch/karolingischen Raumes

II. Saalfeld und der Orlagau im 10./11. Jahrhundert in ottonischer und salischer Zeit

III. Saalfeld und der Orlagau im 12. Jahrhundert in staufischer Zeit.222

Zeugnisse dieser Entwicklung sind Quellen, die ein differenziertes Bild dieser Entwicklung zeigen. Saalfeld und seine Burg wechseln innerhalb der genannten Zeiträume mehrmals die Besitzer. Darunter leidet die Bedeutung von Burg, Ort und Territorium nicht. Eckdaten dieser raumübergreifenden Prozesse sind:

1. Saalfeld und sein Umland vor und nach der Erstnennung als curtis 899 in karolingischer Zeit.

Die Entwicklung Saalfelds – das in den Quellen genannte salauelda bezieht sich nicht nur auf den Ort der curtis, sondern auch auf das umliegende Gebiet an der Saale – beginnt im 9. Jahrhundert als Reichsterritorium, das an das Geschlecht der babenbergischen Popponen verschenkt, ihnen unrechtmäßig entzogen und wieder zurückgegeben wird.

In dieser Zeit wird für die weitere Geschichte Saalfelds und seines Territoriums eine politi-sche, wirtschaftliche und geistige Grundlage geschaffen, die über die nächsten Jahrhunderte anhält.

2. Saalfeld und sein Umland im 10. und 11. Jahrhundert in ottonischer und salischer Zeit.

Zu Beginn des 10. Jahrhunderts fiel Saalfeld wieder an das Reich. Die Ottonen hielten in ihrer Pfalz Hoftage ab und urkundeten dort.223

1013 schenkte Heinrich II. Saalfeld und sein Umland, das jetzt Provinz genannt wurde (pa-latinus ad suam provinciam Salaveld), an den Pfalzgraf Ezzo von Lothringen, ein Akt von reichsgeschichtlicher Bedeutung. Mittelpunkt des ezzonischen Besitzes war das „castellum sa-laueldon“. 1034, nach seinem Tod, ging der Besitz Ezzos an seinen Sohn Otto über, der bereits 1047 starb. Das Erbe gelangte damit an seine Schwester, Richeza, die nach dem Tode ihres Mannes, des Königs, Polen verlassen musste, und 1063 in Saalfeld starb.

Diese hatte 1056 ihren Saalfelder Besitz unter Nutznießung dem Kölner Erzstift geschenkt. Erzbischof Anno II. richtete 1071 anstelle der Saalfelder Burg ein Kloster ein.

In einer Urkunde aus dem Coburger Copialbuch, die wahrscheinlich gefälscht ist, wird das Gebiet, das zum Kölner Besitz gehörte, umrissen. Auch wenn die Urkunde eine Fälschung ist, entspricht die Beschreibung den zeitgenössischen Gegebenheiten.

1063 errichtete Erzbischof Anno zuerst ein Chorherrenstift, das 1071 in ein Benediktiner-kloster umgewandelt wurde. Es ist anzunehmen, dass bereits das Chorherrenstift auf dem Ge-lände der alten Burg errichtet wurde; für das Benediktinerkloster ist es eine Tatsache. Damit trat an die Stelle der Burg- eine Klosteranlage.

3. Saalfeld und der Orlagau in staufischer Zeit.

In den ersten drei Vierteln des 12. Jahrhunderts, am Ende der salischen und im ersten hal-ben Jahrhundert der staufischen Zeit, gehörten Saalfeld und der Orlagau noch zum kölnischen Besitz.

Das Erzbistum baute den Orlagau machtpolitisch und wirtschaftlich weiter aus. Dazu wur-de ein Dienstrecht erlassen, das alle wichtigen ökonomischen Belange des Gebietes regelte. Der Orlagau mit seinem Zentrum Saalfeld wurde zu einem hochentwickelten, stabilen Wirt-schaftsgebiet mit hoher Außenwirkung.

Gegen 1140 gelangten Saalfeld und der Orlagau wieder in Reichsbesitz. Eine Vereinigung mit dem Vogtland, Egerland und Pleißenland, wie sie Friedrich Barbarossa anstrebte, sollte im Osten des Reiches eine stabile Machtbasis der Staufer schaffen. In dieser Zeit wurde Saalfeld Reichsstadt.

Diese Entwicklung hielt allerdings nicht lange an. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts wurde Saalfeld an die Grafen von Schwarzburg verpfändet. Im 13. Jahrhundert wurde dann zugleich mit dem intensiven Landesausbau des Gebietes der allmähliche Zerfall seiner Geschlossenheit eingeleitet. Neben den Schwarzburgern wurden weitere Kräfte, wie z. B. die Lobdeburger oder die Herren von Gera, im alten Orlagau und darüber hinaus aktiv. III.3.1 Burg und Herrschaft als Grundlage des mittelalterlichen Landesausbaus

Saalfeld und der Orlagau werden in ihrer früh- und hochmittelalterlichen Entwicklung von Anfang an wesentlich geprägt von Burgen unterschiedlicher Qualität sowie Wall- und Wehr-anlagen, die als Zentren der Macht den Landesausbau initiieren, bestimmen und begleiten. Das betrifft vor allem die Burganlage in Saalfeld selbst, die bereits bei ihrer Erstnennung als

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curtis Salauelda als Zentrum der Herrschaft fassbar wird. Ihre Entwicklung ist, bei wechseln-der Lage, bis zur staufischen Pfalz Saalfeld zu verfolgen.

Einen wichtigen Punkt der Machtausgreifung von Saalfeld ausgehend in das rechtssaalische Gebiet des Orlagaues stellt die Burganlage in Ranis dar. Eine Wallanlage bei Weltwitz, weit im Osten des Orlagaues, markiert ein weiteres Zentrum der Sicherung des Machtausgreifens in östlicher Richtung. Wie in den anderen untersuchten Gebieten zeigen zahlreiche kleinere Burgen sowie Wall- und Wehranlagen, die über das gesamte Territorium verteilt sind, Zentren lokaler Herrschaft bzw. des örtlichen Adels. Die Burganlage von Saalfeld – das Zentrum des mittelalterlichen Landesausbaus im Orlagau

Seit Langem wurde vor allem in der örtlichen Forschung der Platz der 899 erstmals erwähnten curtis sowie des castellums des 11. Jahrhunderts gesucht. Der dafür ursprünglich in Betracht gezogene Ort im Gebiet der Burganlage „Hoher Schwarm“ hat sich im Prozess primär der archäologischen Untersuchungen als nicht haltbar erwiesen. Das gleiche trifft auf das Gebiet der sogenannten Altenburg bei Graba zu.

1961 legte der Vermessungsingenieur Curt Sesselmann, dem wir zahlreiche Pläne mittel-alterlicher Burganlagen verdanken, dazu seine Ansichten vor.224 Er stützt sich dabei auf um-fangreiche persönliche Prospektion. Als Quellen seiner Forschungen führt er auf:

Er begründet seine These, dass sich die Saalfelder Burganlage vor der Errichtung des Peters-klosters nur an dessen Stelle auf dem Petersberg befunden haben kann, vor allem mit topogra-fischen Elementen zur Lage des Berges. 1956 zuvor durchgeführte Bodeneingriffe hatten hier allerdings keine entsprechenden Funde und Befunde erbracht, mit denen er seine Ansichten archäologisch hätte untermauern können. Ausgrabungen, die seine Thesen eindeutig stützen könnten, stand er eher skeptisch gegenüber: „Von den ursprünglichen Anlagen, die sich auf dem Petersberg erhoben haben mögen, ist natürlich nichts mehr vorhanden und ebenso we-nig wird durch eine Grabung ein Nachweis über den Verlauf dieser Anlagen erbracht werden können.“226

Fasst man diese Meinung Sesselmanns dahingehend auf, dass Ausgrabungen nicht mehr die ursprüngliche Struktur der alten Burganlagen (curtis von 899 bis castellum aus der Zeit Richezas) erbringen können, ist ihm sicher zuzustimmen. Anders sieht es mit dem Nachweis der Lage der Burgen auf dem Petersberg durch archäologische Forschungen aus. Diese sind inzwischen erfolgt und haben die Meinung Sesselmanns vom Ort des „ältere(n) Königshof(es) Saalfeld“ verifiziert.

Nach kleineren Untersuchungen, deren Ergebnisse keinen Beitrag zur Lösung der Frage nach der Rolle der Anlage auf dem Petersberg vor Errichten des Petersklosters leisten konnten, ergab sich 1964 für das damalige Vorgeschichtliche Museum der Friedrich-Schiller-Univer-sität Jena, Institut für Prähistorische Archäologie, die Möglichkeit, unter der Leitung seines Lehrstuhlleiters Gotthard Neumann eine studentische Lehrgrabung durchzuführen, die vom 1. bis 29. Juli des Jahres dauerte.

G. Neumann veröffentlichte erste Ergebnisse der Grabung 1965 in Ausgrabungen und Fun- de .227 Einen umfangreicheren Beitrag schrieb er für das Heft 1 der Saalfelder Museumsreihe.228In beiden Artikeln werden ein herausragender Befund und zahlreiche Keramikfunde abgebil-det, die die Grundlage für Neumanns Schluss bilden, dass es ihm gelungen sei, im Saalfelder Schlossgarten auf dem Petersberg den Nachweis für die karolingische curtis und das castellum des 11. Jahrhunderts zu finden. Seinen Schlussfolgerungen ist auch heute noch zuzustimmen. Die Deutung des Befundes und der Funde bedarf dagegen einer kritischen Wertung.

Im Laufe der Grabung wurden die Schnitte I–VIII angelegt. Da ein Schnitt im Schlosshof umfangreiche jüngere Störungen zeigte, wurden die anderen Schnitte im Schlossgarten durch-geführt. G. Neumann schildert nachvollziehbar die Anlage der Schnitte und geht umfang-reich auf die geborgene Keramik ein, die von frühgeschichtlich bis neuzeitlich einzustufen ist. Er vergleicht die frühgeschichtlichen Scherben mit der slawischen Keramik des Gebietes und kommt zu dem Schluss, dass es sich um „ostfränkisch-frühdeutsche“ Keramik handelt.

Abb. 66: Keramik von der Ausgrabung G. Neumanns 1964 auf dem Saalfelder Petersberg (Neumann 1965)

Michael Gockel hat, um sich zu vergewissern, diese Keramik Wolfgang Timpel vorgelegt:Auch wenn W. Timpel im zeitlichen Ansatz vorsichtiger datiert als Neumann, stimmen bei-de darin überein, dass es sich um, wie Neumann schreibt, „ostfränkisch-deutsche Keramik“ handelt.

Ines Spazier, die sich jüngst auf der Grundlage eigener neuer archäologischer Untersuchun-gen im Schlosspark mit dieser Problematik beschäftigt hat, kommt zu dem Schluss, dass diese Keramik nicht ostfränkisch-frühdeutsch sei: „Sie ist von ihrer Machart ‚slawisch‘ und kann im Vergleich zu den jüngst veröffentlichten Funden vom Johannisberg bei Jena an das Elbe-Saale-Gebiet angebunden werden. (Grabolle 2007). Ebenso spricht der zeitliche Ansatz eher für das 9./10. Jahrhundert. Der Duktus der Keramik sagt aber nichts über die politische Zugehörigkeit aus. Sie spiegelt lediglich die Verhältnisse im Umland wider (Grabolle 2007, 35).“231

Gleichzeitig führt I. Spazier an, dass bei Baumrodungsarbeiten 2007 im Schlosshof – unweit der Schnitte G. Neumanns von 1964 – frühmittelalterliche Keramik zum Vorschein gekommen ist. „Im Aushubmaterial des Stubbens fand sich erstaunlicherweise viel frühmittelalterliche Ke-ramik. Darunter waren auch einige Randscherben, die sowohl von ihrer Form als auch der Herstellungsweise als fränkisch bezeichnet und in das 9./10. Jahrhundert gestellt werden kön-nen.“232 Meines Erachtens spricht bei der von I. Spazier dazu abgebildeten Keramik nichts gegen die Möglichkeit, diese Scherben bereits in das Ende des 8. Jahrhunderts datieren zu können.

Unabhängig von der genauen zeitlichen Einordnung und der ethnischen Zuweisung des von G. Neumann geborgenen Keramikmaterials besteht damit endgültige Sicherheit, dass sich die karo-lingische curtis und das castellum des 11. Jahrhunderts an dieser Stelle befunden haben. Bei der ethnischen Zuweisung ist auch zu beachten, dass wir es in dieser Zeit hier mit der Germania Slavica, der Kontaktzone von Germanen/Deutschen und Slawen zu tun haben. Deshalb ist bei gegenseitiger Kontaktnahme auch des Handwerks davon auszugehen, dass es sich um gegenseitige Beeinflussung gehandelt hat, die sich wohl auch in der Keramikproduktion und ihrer Verzierung widerspiegelt.

G. Neumann geht zur Unterstützung seines zeitlichen Ansatzes auch auf einen Befund ein, in dem sich eine Mauer in opus spicatum-Bauweise befand, die in Lehm gesetzt war. Er führt dazu Parallelbeispiele vom 9. bis 14. Jahrhundert an. „Nach alldem ist deutlich, daß der in Saalfeld freigelegte Bau die Datierung der Keramik vom Typus Saalfeld ins 8.–11. Jahrhundert bestätigt und dies umso mehr, als er nicht wie all die genannten Beispiele mit Mörtel, sondern mit ‚Lehm‘ gebaut ist.“233

Rainer Müller geht bei seiner Darstellung der Dorfkirchen im Archidiakonat St. Marien zu Erfurt, das – worauf einzugehen ist – den Raum Saalfeld und den Orlagau einschließt, auch auf das opus spicatum-Mauerwerk ein: „Diese bereits bei den Römern bekannte Technik wird allgemein bis Mitte des 13. Jahrhunderts ausgeübt; vereinzelt ist sie auch in späterer Zeit nach-zuweisen. Eindeutiges Indiz für eine Entstehung in romanischer Zeit ist das Opus spicatum nicht, bei der Beurteilung müssen daher immer mehrere Befunde für eine Datierung in die Zeit vor 1250 sprechen.234 Der Befund im Saalfelder Schlosspark ist aufgrund der Umstände unbedingt in die Zeit vor 1250 einzuordnen. Diese Umstände unterstützen aber nicht den wohl zu frühen Ansatz G. Neumanns. Das zu dem Schlosspark gehörige Bauwerk gehörte am ehesten zum Komplex des Klosters.

2008 wurde unter der Leitung von I. Spazier eine Grabung im Südteil des Schlossparks durchgeführt, die eine Reihe von Befunden des 10. bis 16. Jahrhunderts erbrachte. Beim Be-fund aus ottonischer Zeit handelt es sich um das Wall-Graben-System der Pfalz, das bereits Sesselmann dargestellt hat. „Der Verlauf des nachgewiesenen Wall-Graben-Systems ist mit einer Abweichung von 15 bis 30 m nach Norden mit der von Sesselmann und Werner rekons-truierten Abschnittsbefestigung identisch. Es ist nicht auszuschließen, dass die Befestigung auch aus mehreren Wällen und Gräben bestand.“235 Im Verlauf der Grabung konnten Gebäu-defundamente, Buntmetallöfen und Eisenschmelzgruben aufgefunden werden. Da diese in die Klosterzeit datieren, soll hier darauf nicht eingegangen werden.236

Die Burganlage im Süden des Petersberges fand mit der Gründung des Klosters 1071 ihr Ende. Aus Plänen geht eindeutig hervor, dass für das Kloster das Terrain der Burganlage benutzt wur-de. Daraus ergibt sich logischerweise die Frage danach, wo die Anlage der staufischen Burg zu su-chen ist. Die Forschung ist sich bis heute darüber relativ einig, dass sich diese Anlage im Bereich des späteren Hohen Schwarms und der Nikolaikirche befunden hat. Davon abweichend wirft I. Spazier 2012 die Frage auf, ob sich die staufische Pfalz nicht auch auf dem Petersberg befunden haben könnte, da sich zwischen Hohem Schwarm und Nikolaikirche bisher bei archäologischen Untersuchungen keine Spuren finden ließen. „Für die Lage des erzbischöflichen und des staufi-schen Hofs auf dem Petersberg würden der gut befestigte Sporn und der ausreichende Platz von 3,75 ha sprechen, womit Kloster und Pfalzanlagen sich an einem Standort befunden hätten.“237

Umfangreichere Ausgrabungen im letzten Jahrzehnt im Bereich der Burganlage des Ho-hen Schwarm haben keinerlei Spuren der staufischen Pfalzanlage erbringen können. Deshalb muss es leider bis heute ein theoretischer Ansatz bleiben, dass sich diese zwischen der jüngeren Burg und der in ihrer Entstehung als stauferzeitlich anzusprechenden Nikolaikirche befunden hat, was meiner Meinung nach die nach wie vor zu bevorzugende Variante darstellt. Gegen die These von I. Spazier spricht meines Erachtens, dass das Kloster nicht neben der bestehen-den Burg, sondern unmittelbar an ihrem Ort errichtet wurde und dass die Klosterstiftung aus dem Besitz der Burganlage hervorging. Außerdem sah auch Spazier das Gelände bis zu ihrer Grabung 2008 als zuständig für das Klosterareal einschließlich dessen Friedhof an. Damit ist natürlich die Möglichkeit nicht widerlegt, dass die staufische Pfalz sich neben den Klosteranla-gen an einem benachbarten Ort auf dem Petersberg befunden haben könnte. Klärung können auch hier nur weitere archäologische Untersuchungen bringen.

Auf die Burganlage des Hohen Schwarm soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden, da sie jünger ist und aus dem zeitlichen Rahmen der Untersuchung heraustritt.

Die Burgen von Saalfeld von der karolingerzeitlichen curtis über das castellum des 11. Jahr-hunderts bis hin zur staufischen Pfalz spiegeln die besondere Bedeutung, die Saalfeld für den früh- und hochmittelalterlichen Landesausbau in Thüringen unmittelbar an der Saale gespielt hat, wider. Saalfeld war von Anfang an das Zentrum eines sich entwickelnden Gebietes, auf das später einzugehen ist. Von den Burgen in Saalfeld ausgehend – dem Zentrum von Macht und Herrschaft –, erfolgte der Ausbau eines Territoriums, das östlich weit über die Saale hinaus-griff. Die Burganlagen in Saalfeld standen in unterschiedlichen Zusammenhängen im Fokus der Reichspolitik von den Karolingern über die Ottonen und Salier bis hin zu den Staufern.

Diese Entwicklungen werden durch zahlreiche Quellen aufgezeigt, unter denen die archäo-logischen von großer Bedeutung sind, wenngleich sie auch über große Zeiträume bisher schweigen, was seine Ursachen vor allem im gegenwärtigen Forschungsstand hat. Dieser hat in den letzten 50 Jahren einen enormen Aufschwung erlebt, der zu der berechtigten Hoffnung Anlass gibt, dass diese Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten anhalten wird. Die Burg von Ranis

Stadt und Burg Ranis befinden sich in Luftlinie ca. 15 km östlich von Saalfeld, südlich oberhalb der Orlasenke und ca. 4,5 km von Pößneck entfernt, zentral im Orlagau gelegen. Die Burg wur-de auf einem Bergsporn errichtet, der sich von NO nach SW erhebt. Diese Linie bildet auch den einzigen ursprünglichen Zugang zur Burg. Der Bergsporn fällt nach den übrigen drei Seiten relativ steil ab. Vom Burgberg bzw. der Burganlage aus bietet sich eine sehr gute Sicht über die Orlasenke bis zu den Höhen über Saalfeld hinaus.

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Abb. 67: Plan von Burg Ranis (Museum Burg Ranis)

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Der Ort Ranis wird im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts erstmalig genannt. M. Werner führt dazu aus: „Die Urkunde ist nach Gockel, Saalfeld, S. 514 eindeutig in die Zeit 1167/80 zu datieren und wurde am ehesten 1170/80 ausgestellt“.238 In ihr wird ein Ekkehard von Ranis als Angehöriger der Dienstmannschaft des Kölner Erzbischofs aufgeführt. Der Ortsname ist slawischen Ursprungs und leitet sich nach E. Eichler von einem Personennamen her.239 1381 wird Ranis erstmals als Stadt der Grafen von Schwarzburg erwähnt.240

Ranis mit seinem Burgberg fand in der Urgeschichtsforschung seit Langem – spätestens seit dem Bestehen des Vogtländischen Altertumsforschenden Vereins – große Aufmerksamkeit. Zuständig dafür sind vor allem die paläolithische Ilsenhöhle unter der Burg und die latenezeit-lichen Funde und Befunde auf dem benachbarten Preißnitzberg.

Die Burg mit ihrem mittelalterlichen Erscheinungsbild, die noch heute weithin sichtbar ist, fand seit Längerem vor allem in der Heimatforschung die ihr gebührende Aufmerksamkeit, zumal die Grabungen in der Ilsenhöhle auch Unmengen mittelalterlicher Keramikscherben erbrachten. Der neue Forschungsstand mit Quellen und älterer Literatur wurde 2006 zum 625. Jahrestag der Erstnennung von Ranis als Stadt publiziert.241

Wenngleich auch die Erstnennung von Ranis als Stadt im Vergleich zu den umgebenden Orten relativ spät erfolgte, besitzt die Burganlage doch bereits im frühen Mittelalter große Be-deutung für die Geschichte des Orlagaues.

Matthias Werner hat in dem oben genannten Heft seine mediävistischen Forschungsergeb-nisse zur Stadt und ihrem Umfeld zusammengefasst.242 Er schreibt:

Am gleichen Ort publiziert Thomas Queck einen Artikel zu den bisherigen archäologischen Forschungen auf Burg Ranis.244

Vor allem bei mehr oder weniger umfangreichen Bauarbeiten auf Burg Ranis war es seit 2000 möglich, kleinere archäologische Untersuchungen an mehreren Stellen der mittelalter-lichen Burganlage durchzuführen, die gleich zu Beginn zu einem völlig überraschenden Er-gebnis führten.245

Die Untersuchungen an mehreren Stellen des Burggeländes zwischen dem Gelände vor der Toranlage, die die Vorburg von der Hauptburg trennt, und dem dritten Burghof erbrachten neben Befunden, die eine bessere Einordnung der Geschichte der Anlage ab dem 12. bis in das 14./15. Jahrhundert zulassen, vor allem, wie üblich, Keramikscherben aus dieser Zeit.

Auf die Funde und Befunde soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden, da sie noch einer gründlichen Einordnung in den Prozess der Baugeschichte der Burg bedürfen. Sie hängen ganz offensichtlich mit der Bedeutung zusammen, die Burg Ranis im 12. Jahrhundert als Sitz von Ministerialen hatte. Sie war offensichtlich von Saalfeld ausgehend das Zentrum einer Ver-waltung von Teilen des Orlagaues. Die Erstnennung hierzu betrifft den oben genannten Ekke-hardus de Ranis:

Baugeschichte, Archäologie und Mediävistik zeichnen damit relativ übereinstimmend für Ra-nis das Bild einer bedeutenden Burg des 12. Jahrhunderts.

Völlig abweichend davon ist ein Fund einzuschätzen, der zu Beginn der Grabungen 2001 im Torhaus der Burg zutage trat.

Abb. 68: Westsaalisch-fränkische Keramik des 9. Jahrhunderts aus dem Torhaus von

Burg Ranis (Sachenbacher TLAD)

In einer Schicht direkt über dem Felsen, der leider keine Befunde zugeordnet werden konnten, fand sich eine Keramik, die in das 9. Jahrhundert eingeordnet werden kann und zu der es vor

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allem westlich der Saale Parallelen gibt.248 Leider konnte bei den anschließenden Grabungen bisher an keiner Stelle des Burggeländes ein weiterer solcher Fund getätigt werden.

Selbstverständlich stellt dieser bislang singuläre Fund westsaalisch-karolingischer Keramik noch keinen eindeutigen Beweis dafür dar, dass Träger dieser Keramik in dieser Zeit auf Burg Ranis ansässig waren. Aber er zeigt m. E. relativ sicher die Möglichkeit auf, dass bereits im 9. Jahrhundert von der curtis Saalfeld ausgehend auf das ostsaalische Territorium übergegrif-fen wurde und dazu Ranis einen festen Stützpunkt bildete. Unterstrichen wird diese Annahme durch die Tatsache, dass das Territorium des Orlagaues um die Mitte des 10. Jahrhunderts kirchenorganisatorisch fest in Mainzer Hand gewesen sein muss, da es 968 bei der Gründung des Bistums Zeitz nicht in dessen Territorium einbezogen wurde. Das lässt die Annahme zu, dass diese Inbesitznahme bereits Jahrzehnte zuvor erfolgt sein kann.

Auffällig ist allerdings die Tatsache, dass dieser Fund aus dem 9. Jahrhundert bisher durch keine weiteren Funde in Ranis untermauert wurde und dass eindeutig dem 10. Jahrhundert zuzuordnende Funde von Burg Ranis bislang selten sind. Wie an zahlreichen anderen Stellen auch, können hier nur weitere archäologische Untersuchungen dazu beitragen, mehr Licht in das Dunkel dieses Zeitabschnittes zu bringen.

Dass das umliegende Gebiet in dieser Zeit nicht siedlungsleer war, davon zeugen z. B. die Ergebnisse einer Grabung im benachbarten Ludwigshof, auf die bei der Behandlung der Sied-lungsgeschichte noch einzugehen ist. Die Wallanlage von Weltwitz

Der Ort Weltwitz ist auf den südlichen Höhen über der Orlasenke zwischen Neustadt und Tri-ptis gelegen, unweit von Dreitzsch mit seinen bedeutenden Gräberfeldern. Weltwitz wird 1264 erstmals genannt – im Zusammenhang mit einem Heinrich von Welewicz. Der Ortsname ist slawischen Ursprungs und leitet sich nach Ernst Eichler von einem Personennamen her.249

Die Wallanlage „Burgstadt“ befindet sich auf einem Bergsporn ca. 1 km südlich des Ortes über dem Zusammenfluss zweier Bäche. Der Bergsporn schließt nach Süden an die Hochfläche an, die in die Höhen über dem Orlatal übergeht.

Nachdem 1979 und 1987 bereits Sondagen durch den ehrenamtlichen Bodendenkmalpfle-ger A. Laitsch durchgeführt worden waren, ergab sich 1992 für das damalige Landesamt für Archäologie die Möglichkeit einer kleinen Grabung.250 Bereits vor der Ausgrabung war die Anlage 1990 vermessen worden. Da sich diese Vermessung als relativ schwierig erwiesen hatte, wurde sie vor der Grabung erneut angelegt, so dass ein gründlicher Plan der Anlage vorliegt.251 Abb. 69: Plan der Burgstadt von Weltwitz (modifiziert nach Queck)

Zusammen mit den Abbildungen von den Untersuchungen, vor allem den Wallschnitten, er-gibt dieser ein deutliches Bild der Befestigungsanlagen. Der Plan weist auf eine Zweiteilung hin, die im Gelände zwar sichtbar ist, aber nicht archäologisch nachgewiesen werden konnte. Ein bei der Sondage von 1987 angetroffenes Steinpflaster zeigt ein Haus in Schwellbauweise. Insgesamt sind die Grabungsbedingungen im Inneren der Anlage sehr schwierig. Zahlreiche offene Fragen könnten nur durch weitere Untersuchungen vor allem im Innenbereich geklärt werden.252 Diese schwierigen Bedingungen stehen natürlich einer Deutung der Innenbebau-ung, ihres Umfangs, der Nutzung sowie der Frage nach einer ständigen oder partiellen Be-wohnung entgegen. Der Charakter der Befestigung lässt vermuten, dass bei ihrem Bau damit gerechnet wurde, dass die Burg gegenüber möglichen Angreifern würde gut gerüstet sein müssen.

Die chronologische Einordnung der Anlage kann bisher nur durch keramisches Material erfolgen. Bei den aufgefundenen Keramikscherben handelt es sich um solche der mittelslawi-schen Ware des 10./11. Jahrhunderts. Obwohl dieser chronologische Ansatz bisher nicht durch naturwissenschaftliche Methoden untermauert werden konnte, scheint er zumindest relativ sicher zu sein. Das betrifft auch die ethnische Einordnung der Scherben nach Form, Farbe, Struktur und Verzierung als von ihrem Ursprung her slawisch.

Wenn wir zurecht davon ausgehen, dass der Orlagau bereits im 9. Jahrhundert partiell von Saalfeld ausgehend in den westsaalisch-fränkischen Machtbereich einbezogen wurde und im 10./11. Jahrhundert auch nach Lage der schriftlichen Quellen fest unter deutscher Herrschaft war, erscheint die Möglichkeit, dass es sich bei der Anlage von Weltwitz um eine genuin slawi-sche Burganlage in Gestalt einer Fluchtburg gehandelt haben könnte, als nicht denkbar.

Bei einer Reihe umgebender Orte, wie z. B. auch Weltwitz selbst, handelt es sich offensicht-lich um von Slawen im Landesausbau unter deutscher Herrschaft errichtete Dörfer. Da es kei-nerlei Beweis dafür gibt, dass diese Orte bereits im 10. Jahrhundert errichtet wurden, ist die Burg als älter als die sie umgebenden Orte anzusehen. Sie wurde relativ entfernt von den Ver-kehrstraßen errichtet, die offensichtlich auf den kaum überschwemmungsgefährdeten Terras-sen im Orlatal über dem Fluss verliefen.

Die Burganlage befindet sich weit östlich von Saalfeld im Orlagau, unweit der Ende des 11. Jahrhunderts erwähnten Grenze, die ihren Ursprung nach Maßgabe der Bistumsgrenzen im 10. Jahrhundert gehabt haben kann. Das erlaubt eine Deutung als weit südöstlich in den Orlagau vorgeschobenen, rein militärischen Stützpunkt der von Saalfeld aus erfolgten Herr-schaft. Leider lässt die bisher erfolgte Untersuchung des Charakters der Innenbebauung kei-nen Schluss darauf zu, ob diese Anlage relativ ständig, oft oder nur in größeren Abständen aufgesucht worden ist. Die als „rein slawisch“ einzustufende Keramik steht einer solchen Deu-tung nicht entgegen. Die Versorgung dieser Anlage sollte ausschließlich durch Slawen aus der Umgebung erfolgt sein.

Bis zu weiteren archäologischen Untersuchungen, die Befunde antreffen, die eine bessere Deutung des historischen Geschehens im 10. und 11. Jahrhundert in diesem Raum gestatten, muss die hier vorgetragene Interpretation als hypothetischer Ansatz gewertet werden, der ge-gebenenfalls einer gründlichen Überarbeitung bedarf. Die Burgen Kleiner Herrschaftsträger/des Lokalen Adels

Zusammen mit den bereits erörterten Burganlagen von Saalfeld bis Weltwitz, die von beson-derem Charakter sind, wird auch der Orlagau im hohen Mittelalter von zahlreichen kleine-ren Burganlagen geprägt, die sich als Herrschaftsmittelpunkte des Lokalen Adels, der Kleinen Herrschaftsträger, zeigen. Sie spielen als Mittelpunkte des Landesausbaus auf lokaler Ebene eine entscheidende Bedeutung.

Solche Anlagen existieren, mit Räumen der Konzentration, über das gesamte Gebiet des Or-lagaues verteilt. Im Prozess des Landesausbaus unter deutscher Herrschaft, der große Teile der heutigen Landkreise Saale-Orla-Kreis und Saalfeld-Rudolstadt erfasst, werden kleine Burgan-lagen gleichzeitig mit der Entstehung von Orten errichtet, und zwar in Räumen, die bis dahin im frühen und hohen Mittelalter noch nicht besiedelt worden waren. Da dieser Landesausbau sowohl vom Orlagau als auch vom Vogtland aus erfolgt, kommt es zur Überschneidung bisher getrennter Gebiete.

Einen Kernraum bildet die Orlasenke, die östlich von Saalfeld bis an das östliche Ende des Orlatales reicht. Eine besondere Konzentration zeigt das Gebiet zwischen Pößneck und Trip-tis mit seiner relativ dichten Besiedlung in einem landwirtschaftlich besonders ertragreichen Gebiet.

Kernpunkt dieser Konzentration ist das Territorium um Oppurg (Unter- und Oberop-purg), zwischen Pößneck und Neustadt/a.  O. gelegen. 1074 werden utrumque Opult ge-nannt.253 Ernst Eichler hält zwar die Deutung des slawischen Ortsnamens Oppurg für un-sicher, lässt aber die Möglichkeit der Deutung zu, dass „opole einen Verwaltungsbezirk, in dem Siedlungen zusammengeschlossen waren, bezeichnete“.254 Das Bild dieser Landschaft beiderseits der Orla mit seinen Orten und Burgen kommt einer solchen Deutung nahe. Die Burg von Oppurg wäre dann bereits zu Ende des 11. Jahrhunderts ein Verwaltungsmittel-punkt gewesen.

Abb. 70: Orte und Burgen zwischen Pößneck und Triptis (Kraleva)

Zwischen Pößneck und Neustadt/a. O. reihen sich weitere Orte und Wehranlagen auf beiden Seiten der Orla zu Konzentrationsräumen des mittelalterlichen Landesausbaus aneinander. Sowohl von ihrer Entstehung als auch von der Dauer ihres Bestehens her decken diese Burgen den gesamten Zeitraum des historischen Orlagaues ab und reichen darüber hinaus. Ihre Mehr-zahl wird im 12./13. Jahrhundert gebildet.

In wenigen dieser Burganlagen östlich der Saale, wie z. B. in Oppurg, in Triptis oder in der bereits erwähnten Burganlage Stein auf dem Kochberg nahe Pößneck, fanden mehr oder weni-ger umfangreiche und ergebnisorientierte Ausgrabungen statt.

Die Burgen an der oberen Saale, rechts des Flusses, an der Grenze zu Franken  – außer-halb des ursprünglichen Orlagaues – wurden in einer Magisterarbeit am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena untersucht.255 Die Verfasserin, Arlette Schubert, konnte herausarbeiten, dass hier mehrere Burganlagen auf engem Raum unmittel-bar über der Saale, bzw. mehr oder weniger weit von ihr entfernt, im Zuge des hoch- und spätmittelalterlichen Landesausbaus errichtet wurden. Der Baubeginn liegt in keinem Fall vor dem Ende des 12., eher im 13. Jahrhundert. Diese Burganlagen wurden aus verschiedenen Gründen gerade hier errichtet. Diese Gründe reichen von wirtschaftlichen Faktoren, wie der Verkehrslage und dem Montangewerbe, bis hin zu Gründen der Sicherung des auszubauenden Territoriums.

Unmittelbar an der historischen Grenze des Orlagaues, über der Mündung der Wisenta in die Saale, befindet sich die Burganlage von Walsburg, von der heute nur noch Wälle, Gräben und wenige Baustrukturspuren im Gelände erkennbar sind. Es handelt sich um eine außer-ordentlich lang gestreckte, mehrfach untergliederte Anlage auf relativ schmalem Bergsporn. Die Landseite ist durch eine umfassende Wall-Graben-Konstruktion vom Plateau abgetrennt. Mangels archäologischer Untersuchungen muss die Möglichkeit ihrer Nutzung bereits im frü-hen Mittelalter Hypothese bleiben.

Ebenfalls außerhalb des Orlagaues befindet sich rechts der Saale die Burg von Saalburg, heute am Rand des Ortes über dem Stausee der Bleilochtalsperre, früher hoch über der Saale gelegen. Bekannt ist diese Burg als Sitz des Geschlechts der Lobdeburg-Saalburger, die 1216 erstmals genannt werden.256 2007/2008 war es erstmals möglich, hier umfangreiche archäo-logische Untersuchungen durchzuführen.257 Diese erbrachten neben zahlreichen Aussagen zur weiteren Strukturentwicklung der Anlage eine Bestätigung der Entstehung der Burg zur Zeit der Erstnennung im beginnenden 13. Jahrhundert.

In die gleiche Zeit gehört wohl die Burg der Lobdeburger Linie von Arnshaugk südlich von Neustadt/a. Orla.258 Von dieser Anlage sind nur noch wenige Spuren erhalten. Lesefunde be-stätigen die Entstehung der Anlage zu Beginn des 13. Jahrhunderts. Als dem entgegenstehend erweist sich ein jüngerer Holzfund aus der Kirche, die zu Ort und Burg gehört. Er weist bereits in das 12. Jahrhundert.259 Da die Herren von Lobdeburg ihre Anlagen andernorts auf bereits erschlossenem Territorium errichtet haben, ist das Alter der Kirche andererseits nicht unge-wöhnlich.

Ca. 8,5 km östlich von Neustadt und Arnshaugk befindet sich die Stadt Triptis mit ihrer Burg, von der äußerlich noch der Burgturm kündet. Triptis wird erstmals 1212 als Triptes er-wähnt. Der Name ist slawisch und nach Eichler schwer zu deuten. Der erste Teil des Wortes weist auf tri = drei hin. K. Hengst nimmt an, dass der zweite Teil des Wortes auf den Wort-stamm „Vogel“ verweist.260 Die Zahl drei könnte vielleicht auf die Hauptverkehrswege hindeu-ten, die von Triptis aus in drei wichtige Richtungen führen. Ob man allerdings „Drei Vögel“ als Symbol für „Drei Verkehrsrichtungen“ deuten kann, muss wohl offenbleiben.

Bei der Nennung der Grenze des Orlagaues Ende des 11. Jahrhunderts und der Aufzählung der Orte 1074 findet Triptis keine Erwähnung. Als östlichste Stelle wird das wenige Kilometer nordöstlich von Triptis befindliche Waldstück Birkert genannt. Hätte Triptis zu dieser Zeit schon bestanden, wäre es mit Sicherheit aufgeführt worden. Triptis mit seiner Burg ist dem-nach jünger.

2006 konnte in Triptis auf dem Gelände zwischen Kirche und Burg eine archäologische Untersuchung durchgeführt werden, die Teile des Burggeländes einschloss. Ihr Ergebnis be-stätigte, dass die Errichtung der Burg bislang nicht vor dem 13. Jahrhundert angesetzt werden kann.261

Seit 1985 erfolgen jährlich saisonale Ausgrabungen auf der Wysburg bei Weisbach, nahe

Remptendorf im Thüringer Schiefergebirge gelegen.262 Sie liegt etwa 2 km vom Ort entfernt.

Bekannt ist die Anlage vor allem durch die Tatsache, dass sie in einer Sage Erwähnung fin-det, die von einer Zerstörung durch Blidenkugeln kündet. Dieser Fakt an sich konnte durch die Ausgrabung nachgewiesen werden. Es wurden nicht nur zahlreiche Blidenkugeln gefun-den, sondern es konnte auch die ca. 300 m entfernte Standstelle der Wurfmaschine ermittelt werden. Des Weiteren zeigt die Ruine sehr anschaulich, wie die Eroberer bei der Niederlegung der Anlage vorgegangen sind.

Erwähnung findet sie 1320 als castrum honwalde.263 Die Burg befindet sich auf einem Berg-sporn, der nach 3 Seiten relativ steil in vom Zusammenfluss zweier Bäche gebildete Täler hin-einreicht. Auf der dritten Seite, dem Ort und damit dem Anfahrtsweg zugewandt, wurde die Anlage durch einen breiten und annähernd 15 m tiefen Graben vom Gelände abgetrennt. An diesen schließt sich ein die Burg umlaufendes Wall-Graben-System an. Die Burg mit einer In-nenfläche von ca. 1,1 ha gliedert sich in Haupt- und Vorburg, die durch einen weiteren Graben voneinander getrennt sind. In diesem Graben befindet sich eine Filterzisterne zur Wasser-versorgung. Über dem ersten Graben erhebt sich in der Burg der Bergfried. In Haupt- und Vorburg wurden die Spuren mehrerer Gebäude freigelegt. Im Jahr 2000 wurde die Anlage mit ihrer Umgebung im Rahmen einer Diplomarbeit durch Cornelia Zühlsdorff gründlich ver-messen.264

Abb. 71: Weisbach (2) und die Wysburg (1) mit dem Hauptmannszeug (3) (Kraleva)

Neben den Blidenkugeln setzt sich das Fundmaterial wie üblich vor allem aus Keramikscher-ben, Knochen (Speisereste und Gebrauchsgegenstände) und Metallfunden zusammen. Die Keramik kann vor allem in das 13. und 14. Jahrhundert datiert werden. Daraus ergeben sich Bau- und Zerstörungstermin der Anlage. Die Wysburg mit ihren Funden und Befunden wur-de im Rahmen einer Dissertation an der FSU Jena bearbeitet.

285

Am Ortsrand von Weisbach selbst befindet sich eine kleine Wall-Graben-Anlage, „Haupt-mannszeug“ genannt.265 Die Anlage findet 1347 im Zusammenhang mit der Wysburg eine erste Erwähnung, die auf den Zusammenhang von Wysburg und Hauptmannszeug hinweist. Die Anlage wurde 2003 durch Thomas Queck und Thomas Spazier vermessen.266

Abb. 72: Die Anlage „Das Hauptmannszeug“ am Ortsrand von Weisbach (Queck/Spazier)

In diesem Zusammenhang wird darauf verwiesen, dass eine jüngst im Ort durchgeführ-te Sondage einschließlich Dendrodatierung den Ursprung des Ortes in das 12. Jahrhun-dert setzt. Das wird durch dabei freigelegte Keramikscherben unterstützt.267 Die Autoren schreiben:

Das würde die Lücke zwischen der Errichtung des Ortes und der Burg schließen. Der Sitz der lokalen Herrschaft, der im Zusammenhang mit der Ortsgründung zeitgleich oder zeitnah am Ortsrand von Weisbach entstand, wurde aus verschiedenen Gründen, unter denen der Zusam-menhang zwischen Herrschaft und Burg als Symbol dieser Herrschaft nicht unbedeutend war, auf den Ort der Wysburg verlegt. Das Gelände blieb bis mindestens in das 15. Jahrhundert im Eigenbesitz der Herrschaft.

Es ist an dieser Stelle nicht möglich und auch nicht beabsichtigt, auf alle diese kleinen Burg-anlagen im Orlagau und darüber hinaus einzugehen. Exemplarisch für den Gesamtzusam-menhang wurden deshalb wenige Burgen aufgeführt, die deutlich den Zusammenhang von Herrschaft auf lokaler Ebene und Landesausbau unter deutscher Herrschaft aufzeigen.

Die Installation dieser kleinen Burganlagen erfolgt im Zusammenhang mit den übergreifen-den Herrschaftsbeziehungen des Gebietes. Diese beginnen mit der auf der Saalfelder Anlage ansässigen Kölner Herrschaft, zu der im Verlauf des Landesausbaus weitere Herrschaftsträger wie z. B. das Geschlecht der Herren von Lobdeburg oder der Vögte hinzukommen. III.3.2 Kirche, Kirchenorganisation und Slawenmission

Saalfeld und der gesamte Orlagau gehören bis zur Reformation zu den Sedessprengeln Pöß-neck und (Kirch-)Remda des Erfurter Archidiakonats Beatae Mariae virginis des Mainzer Erz-bistums. Von der Erstnennung der curtis Saalfeld bis zum staufischen Pfalzort ist Saalfeld auch das kirchliche und geistige Zentrum von Burg, Ort und Umland. Kirchenorganisation und Slawenmission erfolgen wohl von Anfang an parallel.

Die älteste Kirche Saalfelds ist nach Gockel wohl zurecht in Graba als Eigenkirche des frän-kischen und später popponischen Hofes zu suchen. „Höchstwahrscheinlich wurde der älteste Kirchenbau in Graba bereits im 9. Jahrhundert errichtet, und zwar als eine zum Königshof S. gehörende königliche Eigenkirche.“269 Diese berechtigte These konnte allerdings bislang nicht archäologisch gestützt werden.

Der Beginn einer Kirchenorganisation im Orlagau ist bereits für das 10. Jahrhundert an-zunehmen, als dieses Gebiet nicht in das 968 gegründete Bistum Zeitz einbezogen werden konnte, da es bereits von Mainz aus besetzt war.

1071 werden als die ältesten Pfarrkirchen im Orlagau Krölpa, Neunhofen und Langenscha-de bezeichnet, die dem Saalfelder Kloster inkorporiert werden.270 Daneben sind andere Kir-chen pauschal genannt, ohne dass sie einzeln aufgeführt werden. Dazu gehört auch die in ihrem alten Ursprung gerade erst erkannte und in diese Zeit eingeordnete Kirche von Arns-haugk.271

Im Land dürfen ab da keine weiteren Kirchen ohne Zustimmung des Abtes von Saalfeld er-richtet werden. Die Bevölkerung wird als roh und heidnisch, das Land Orla als halbheidnisch bezeichnet. Diese Bezeichnung soll wohl Slawen und Deutsche in ihrer unterschiedlichen Haltung zum Christentum voneinander unterscheiden. Die Tatsache aber, dass 3 Jahre später schon zahlreiche Orte im Orlagau erwähnt werden und dass neben den drei Kirchen weitere existieren, zeugt eher von einem schon relativ weit vorangeschrittenen Prozess der Christiani-sierung und Kirchenorganisation.

Ausgehend von der Umwandlung des Hofes Saalfeld in das zu Ende des 11. Jahrhunderts gegründete Kloster benötigte der Kölner Erzbischof einen neuen Hof mit Kirche. Diese ist in erster Linie auf dem Gelände der nach ihrer Baustruktur in das 12. Jahrhundert zurückrei-chenden Nikolaikapelle im Bereich des Hohen Schwarm zu suchen. Sie war eventuell auch die Pfalzkapelle der staufischen Pfalz.

Mit der Entwicklung der Kirchenorganisation im Orlagau hat sich unlängst Enno Bünz be-schäftigt.272 In seinem Aufsatz zur mittelalterlichen Kirchenorganisation im Orlagau behandelt er grundlegende Fragen der Herausarbeitung von Kriterien zur Beschäftigung mit Problemen der mittelalterlichen Kirchenorganisation überhaupt, die er auf die interdisziplinäre Grund-lage von Schriftquellen, Archäologie, Bau- und Kunstgeschichte, Onomastik und Patrozinien-kunde gestellt wissen will.273 Seine Ausführungen zum Orlagau stützen sich wesentlich auf die Arbeiten von Hannappel 1941, Eberhard 1989 und Gockel 2000.274

Nach der Erörterung der Bedeutung von Archidiakonaten im Allgemeinen und des Archi-diakonates St. Marien Erfurt im Besonderen, konzentriert er seine Untersuchungen auf den Sedessprengel Pößneck im Einzelnen. Der Sedessprengel Pößneck umfasst große Teile des westlichen Orlagaues. Er geht davon aus, dass die Sedessprengel (Kirch)Remda und Pößneck Bildungen des frühen 12. Jahrhunderts sind.

In seinen Ausführungen beruft er sich auf das Mainzer Subsidienregister von 1506. Zurecht hebt er die unbefriedigende Zahl schriftlicher Quellen zur Geschichte der Pfarreien im Or-lagau hervor, die dringend interdisziplinär mit den bau- und kunstgeschichtlichen sowie ar-chäologischen Quellen verknüpft werden müssen. Dazu kommt, dass ein nicht unerheblicher Teil der Urkunden in späteren Fälschungen überliefert ist, die im Einzelnen einer dringenden Überprüfung ihres Wahrheitsgehaltes bedürfen. Dabei handelt es sich allerdings bislang um ein Desiderat der Forschung.

E. Bünz arbeitet anhand der Erstnennungen der Kirchen im Sedessprengel Pößneck des-sen Geschichte heraus. Es gelingt ihm, die erstgenannten Kirchen von Krölpa und Neunhofen (Langenschade gehört zum Sedessprengel Remda) als die ältesten Urpfarreien im Orlagau dar-zustellen. Für die Mehrzahl der zum Sedessprengel Pößneck gehörigen Pfarrkirchen liegen leider nur recht späte Nennungen vor. Hier sind, worauf einzugehen ist, Archäologie und Bau-forschung gefragt.

Die Ergebnisse seiner bau- und kunstgeschichtlichen Forschungen legt Rainer Müller 2001 und 2007 vor.275 In seiner umfassenden Arbeit zu den Dorfkirchen im Archidiakonat St. Mari-en zu Erfurt, zu dem der Orlagau gehört, zeigt er den bis dahin erarbeiteten Forschungsstand zu den Kirchenbauten auf.276 Das von ihm gezeichnete Bild des Verhältnisses von romanischen zu gotischen Kirchenbauten im Orlagau sowie der Kirchentypen zueinander ergibt zusam-men mit den schriftlichen und archäologischen Quellen ein anschauliches Bild der Kirchen-geschichte des Orlagaues.

R. Müller geht relativ intensiv auf die Baugestalt der Kirche in Neunhofen ein, die nicht nur durch ihre frühe Nennung, sondern auch durch ihre herausragende Größe auffällt.

Wichtig für den mittelalterlichen Landesausbau ist auch seine Feststellung, dass es keine signifikanten Unterschiede im Kirchenbau zwischen den Orten mit deutschen und slawischen Ortsnamen gibt. Das zeigt sich ja auch in der Tatsache, dass sich die ältesten genannten Kir-chen in Langenschade und Krölpa in Orten mit slawischen Ortsnamen und in Neunhofen in einem Ort mit deutschem Ortsnamen befinden.

Das von R. Müller gezeichnete Bild konnte im letzten Jahrzehnt durch mehrere Ausgrabun-gen unterstrichen bzw. präzisiert werden, die aufzeigen, dass auch ein Teil der heute ihrem Er-scheinungsbild nach gotischen Gotteshäuser einen romanischen Kern besitzen, der ihre Ent-stehung bereits Ende 12./beginnendes 13. Jahrhundert nahelegt.

Leider haben bisher in den erstgenannten Kirchen von Krölpa, Langenschade und Neunho-fen ebenso wenig Ausgrabungen stattgefunden wie in der Kirche von Graba.

Grabungsergebnisse des letzten Jahrzehnts in Dorfkirchen im Orlagau sollen im Folgenden in der Reihenfolge von Ost nach West vorgestellt werde. Diese geografische Abfolge wurde gewählt, weil die Mehrzahl der hier vorgestellten Kirchen in ihrem Beginn in den Prozess des Landesausbaus unter deutscher Herrschaft im 12. und 13. Jahrhundert eingeordnet werden konnten, es aber in keinem Fall möglich war, ein absolutes Datum anzugeben. Aus dieser zeit-lichen Einordnung fällt die Kirche von Chursdorf völlig heraus. Deshalb soll sie abschließend vorgestellt werden.

Der Ort Zwackau liegt auf der Buntsandsteinhöhe über dem Orlatal nordwestlich von Neu-stadt a.O. unweit der Nordgrenze des Orlagaues. Die Häuser gruppieren sich halbkreisförmig um eine Quellsenke. Der Ort, der erstmals 1378 genannt wurde, besitzt einen auf einen slawi-schen Namen ausgerichteten Ortsnamen.278 Er wurde demnach von einem slawischen Lokator im Prozess des hochmittelalterlichen Landesausbaus gegründet.

Die Kirche mit Nikolauspatrozinium überragt den Ort. Sie befindet sich auf einem Gelände-sporn westlich eines Teiches und vermittelt den Eindruck ursprünglicher Wehrhaftigkeit. Sie besteht aus einem hohen, rechteckigen Schiff mit einem Rechteckchor. Am Schiff befinden sich Ritzfugen.279

Abb. 73: Plan der Ausgrabung in der Kirche von Zwackau (Sachenbacher)

Es war bekannt, dass die Kirche anstelle des Rechteckchores ehemals eine halbrunde Apsis besaß, die nach bisheriger Meinung im 15. Jahrhundert abgebrochen und vom 16. bis 18. Jahr-hundert mehrfach verändert wurde.280

Vor Beginn der Grabung war der gesamte Fußboden zur Trockenlegung entfernt worden. Da-bei wurde auch die ehemalige Apsis freigelegt. Diese Arbeiten verhinderten die Möglichkeit, ein durchgängiges Profil durch die Kirche zu legen. An einer Stelle noch vorhandene Bodenplatten zeigten aber das alte Bodenniveau. Vor der Apsis wurde eine durchgängige Fundamentmauer angetroffen, die in die Seitenwände eingebunden war. Durch das gesamte Schiff und den Chor zog sich eine Schicht mit Keramik des 14. Jahrhunderts, die auch die Apsis bedeckt hatte.

Anhand der Grabungsergebnisse ist es möglich, die drei Phasen der hoch- bis spätmittel-alterlichen Entwicklung der Kirche darzustellen.

Abb. 74: Rekonstruktion der Phasen der Entwicklung der Kirche von Zwackau (Sachenbacher) Der erste Bau, der an das Ende des 12. bzw. den Beginn des 13. Jahrhunderts datiert werden kann, war ein einfacher Rechtecksaal. Dieser Bautyp war nach R. Müller bisher aus dem Orlagau nicht bekannt.281 Die zweite Kirche war ein Apsissaal, der in Thüringen weit ver-breitet ist. Wann dem Rechtecksaal eine halbrunde Ostapsis vorgelagert wurde, lässt sich nicht exakt datieren. Es ist aber wohl davon auszugehen, dass das nicht sehr lange nach der Errichtung der Kirche geschah. Neben stilistischen Gründen könnte auch der enorme Landesausbau in dieser Zeit der Grund für die Erweiterung der Anlage gewesen sein. Im 14. Jahrhundert wurde die Apsis abgebrochen und an ihrer Stelle ein eingezogener Recht-eckchor errichtet.

In der Kirche selbst wurden keine Grablegungen angetroffen. Gräber, die im Rechteckchor gefunden werden konnten, befanden sich bei ihrer Einbringung außerhalb der Kirche.

Die Grabung erbrachte ein typisches Entwicklungsbild einer romanischen Dorfkirche im Orlagau in dieser Zeit, als der Landesausbau schon relativ weit in die Waldgebiete oberhalb des Orlatales eingegriffen hatte.

Abb. 75: Bauphasenplan der Kirche von Oppurg (Queck)

293

Das schon erwähnte Oppurg liegt an der Orla zwischen Pößneck und Neustadt a. O. Die Kir-che befindet sich im Ortskern, südlich der Burganlage. Nach dem Thüringen-Dehio von 1998 wurde die heutige Saalkirche, die einen 1351 genannten Vorgängerbau besaß, 1694–1696 er-richtet.282 Bei der Grabung, welche die erste archäologische Untersuchung in dieser Anlage darstellt, konnten Spuren eines romanischen und eines wohl gotischen Vorgängerbaus der Kirche nachgewiesen werden.283 Die Möglichkeit eines weiteren noch älteren romanischen Baues muss offenbleiben.

Bei der Grabung traten an mehreren Stellen Grablegungen mit und ohne Grabstein zuta-ge. Das Kircheninnere war durch Backsteingrüfte gestört. Dadurch war es auch nicht mög-lich, eine durchgehende Stratigrafie zu erarbeiten. Das älteste Fundmaterial ist Keramik des 14./15. Jahrhunderts. Die freigelegten Mauerreste des romanischen Vorgängerbaues lassen die Deutung zu, dass es sich um eine vollständige Anlage mit Schiff, eingezogenem Chor und halbrunder Ostapsis gehandelt hat. Das unterstreicht sicher die Bedeutung, die Oppurg im hohen Mittelalter im Orlagau besessen hat.

Der Ort Herschdorf befindet sich nordwestlich von Pößneck im Waldgebiet Heide. Hersch-dorf mit seinem deutschen Ortsnamen wird erst relativ spät, 1340, urkundlich erwähnt. Das Dorf liegt nur wenige Kilometer vom Nachbarort Hütten entfernt, der 1074 als Gumprech Hutten genannt wird. Es gehört noch heute zu Krölpa mit seiner auch Ende des 11. Jahr-hunderts genannten Kirche. Obwohl in einem dichten Waldgebiet oberhalb der Orlasenke gelegen, gehört Herschdorf zu einem Gebiet, das relativ zeitig in den Landesausbau einbe-zogen wird.

Der mehrmals veränderte Kirchenbau zeigt äußerlich eine romanische Apsis, Ritzfugen an Apsis und Kirchenschiff sowie einen vermauerten romanischen Eingang östlich des heutigen an der Südwand.284

Bereits der erste Schnitt am alten Eingang erbrachte Spuren von zwei vorhergehenden Fuß-bodenhorizonten. An einer Stelle westlich des heutigen Eingangs konnte durchgehend bis zur Nordwand das westliche Ende des romanischen Baues in Gestalt eines Fundamentgrabens er-kannt werden. Dass es sich um diesen handelt, wird auch dadurch bewiesen, dass eben an dieser Stelle sowohl an der Süd- als auch an der Nordwand des Schiffes außen die Ritzfugen enden.

In der Südostecke des Schiffes wurde eine mittelalterliche Kindergruft freigelegt, die in Feld-stein ohne Mörtel errichtet wurde. Unmittelbar vor der Apsis lagen im Boden zwei künstle-risch gut gearbeitete Grabplatten mit der Jahreszahl 1610, die sicherlich vom damals im nahen Rittergut ansässigen Herrn von Etzdorf und seiner Gemahlin herrühren.285

Abb. 76: Die Ausgrabung in der Kirche von Herschdorf (Sachenbacher)

Vor und in der Apsis befanden sich Spuren spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Bestat-tungen. Beachtenswert ist insgesamt der hohe Anteil von Kinderbestattungen in der Kirche.

Die Grabung erbrachte insgesamt das Bild einer Dorfkirche vom Ende des 12./Anfang des 13. Jahrhunderts im Prozess des Landesausbaus am Rande der Orlasenke innerhalb des Orla-gaues unweit von bereits Ende des 11. Jahrhunderts genannten Orten. Es handelt sich um eine Saalkirche mit halbrunder Apsis im Osten. Auffällig ist ihre Größe, die davon zeugt, dass die Gemeinde bereits im hohen Mittelalter relativ bedeutend war. Es hat demnach zu dieser Zeit unweit des Zentrums der Urpfarrei Krölpa ein intensiver Landesausbau stattgefunden, der diesen großen Dorfkirchenbau erforderlich und möglich machte.

Südwestlich von Saalfeld auf den Höhen des Schiefergebirges zwischen Saalfeld und Neu-haus a. R. liegt der Ort Reichmannsdorf. Westlich davon im Wald neben einer großen Lich-tung befinden sich die Grundmauern der wüsten Kirche Brandiskirchen.

Abb. 77: Brandiskirchen (1) bei Reichmannsdorf (2) und die Wallanlage „Alte Schanze“ (3) im Thüringer Schiefergebirge (Kraleva)

Wegen des Fehlens von Ausgrabungen im benachbarten Gelände muss es eine Vermutung bleiben, dass sie ehemals die Dorfkirche eines heute wüsten Ortes darstellte. Pingen im nahen Wald, Spuren von Goldwäschen an den Bächen und Spuren von Schieferabbau für die Wetz-steinproduktion in der Umgebung zeugen vom ehemaligen Bergbau auf der landwirtschaftlich nur schwer nutzbaren Höhe, der allerdings zeitlich im Einzelnen schwer eingeordnet werden kann.

296

Die Fundamente der Kirche waren bereits 1924 freigelegt worden. Von dieser Grabung exis-tieren allerdings keine wissenschaftliche Dokumentation und keine Fundberichte. Wir sind lediglich durch eine Rekonstruktionszeichnung und Schilderungen vom Ergebnis informiert.

Da mangels Erhaltungsarbeiten die freigelegten Spuren völlig verwischt waren, bestand der Wunsch der Gemeinde, diese für den Tourismus wieder freizulegen und zu sichern. Es handelt sich um eine relativ kleine, vollständige Anlage mit längsrechteckigem Schiff, eingezogenem längsrechteckigem Chor und halbrunder Apsis. Die wenigen Keramikreste, die geborgen wer-den konnten, zeigen, dass die Kirche wohl im 13. Jahrhundert, eher in dessen zweiter Hälfte, errichtet wurde. Nach dem Verfall des Bergbaues und des Ortes wurde sie noch längere Zeit als Wallfahrtskirche genutzt. Sie gehört zu den wenigen nachweisbaren, ursprünglich romani-schen, vollständigen Anlagen auf den Höhen des Schiefergebirges, deren Aussehen eindeutig rekonstruiert werden kann.

Von den bisher aufgeführten Dorfkirchen mit Grabungsergebnissen unterscheidet sich die Kirche von Chursdorf in ihrer zeitlichen Einordnung erheblich. Diese liegt zwar außerhalb des Untersuchungszeitraumes, soll aber trotzdem kurz erwähnt werden, da sie sich noch im Orlagau in unmittelbarer Nähe zur historischen Grenze befindet.

Chursdorf wird erst 1378 als Conratstorf genannt. Der Ortsname deutet auf einen deutschen Lokator hin. Wenngleich der Ort sicher älter als die Erstnennung ist, gehört er doch eher zu den relativ spät gegründeten Orten zwischen Triptis, Auma, Zeulenroda und Schleiz, die sich in einem im 13. Jahrhundert erschlossenen Teil des Orlagaues befinden. Darauf weist auch die Ortsform hin – Chursdorf gruppiert sich mit seinen Gehöften um einen langgestreckten Anger.

Die Chorturmkirche wurde nach dem Dehio Thüringen im Jahr 1722 umgebaut und 1765 renoviert. In der Kirche befinden sich zwei Schnitzfiguren von einem Retabel der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.286 Die Kirche liegt am Rand des Dorfes inmitten des Friedhofs. Über dem Ort gelegen, sticht sie markant hervor.

Bei der Grabung, die auch dem Ziel diente, einen eventuell vorhandenen älteren Kirchenbau zu finden, konnten keinerlei Spuren eines solchen entdeckt werden. Durch die Kirche ziehen sich zahlreiche Backsteingrüfte, die die Untersuchungen schwierig gestalten. Zahlreiche Kno-chen gestörter Bestattungen in der Kirche deuteten darauf hin, dass sie angelegt wurde, als der Friedhof bereits in Benutzung war. Wann die Kindergruft in der Nähe des Altars, die mit Mönch-Nonne-Ziegeln abgedeckt war, errichtet wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.

Ob sich die ehemalige Kirche, wie die Heimatforschung behauptet, inmitten des Ortes auf dem Anger befunden hat und später verlagert wurde, ist ohne diesbezügliche Grabung nicht zu verifizieren, aber durchaus als möglich anzusehen. Darauf könnte auch hinweisen, dass sie in einen bestehenden Friedhof hineingebaut wurde, zu dem eine Kirche im Ort gehörte.

Das Retabel des 15. Jahrhunderts könnte auch aus einer anderen Kirche stammen. Die Tat-sache, dass es sich um eine Filialkirche handelt, kann auch darauf zurückzuführen sein, dass sie wirklich erst relativ spät errichtet wurde. Das würde die Frage nach den Gründen ihrer „Verlagerung“ überflüssig machen.

Kirche und Ort sprechen eher dafür, dass Chursdorf, unmittelbar an der Grenze des histori-schen Orlagaues gelegen, davon zeugt, dass hier auch noch relativ spät im Landesausbau Orte errichtet wurden, die durchaus über die Jahrhunderte lebensfähig waren. Zur endgültigen Klä-rung dieses Problems sind auch an dieser Stelle archäologische Grabungen erforderlich.

Die Ausgrabungen in den Dorfkirchen des Orlagaues zeugen insgesamt von einem relativ intensiven Landesausbau im 12. bis 13. Jahrhundert. Dieser wurde begleitet von der Schaffung eines dichten Netzes von romanischen Kirchen. Pfarrorganisation und Slawenmission wur-den erfolgreich vorangetrieben. Aber auch noch bis weit hinein in das 13. Jahrhundert wurde dieser Prozess – dann vor allem in den weiter abgelegenen und weniger siedlungsfreundlichen Regionen – erfolgreich gestaltet.

Der historische Orlagau stellt auch eine äußerst interessante und räumlich sowie zeitlich umfangreiche Klosterlandschaft dar, die an dieser Stelle nicht dargestellt werden kann und soll. Sie wurde mehrfach und auch in moderneren Arbeiten berücksichtigt.287 Es wäre eine lohnenswerte Aufgabe, eine umfassende Arbeit über die Klosterlandschaft des Orlagaues und seine Nachfolgegebiete auf modernen, interdisziplinären Grundlagen vorzulegen.

Gegenüber dem benachbarten Geragau und gegenüber dem Pleißengau beginnt die erste Klostergründung hier – wie bereits angeführt – bereits gegen Ende des 11. Jahrhunderts mit dem Benediktinerkloster von Saalfeld anstelle des Königshofes. Dem folgen bis zur Reformation weitere Klöster im Gebiet zwischen dem westlichen und östlichen Abschluss des Orlagaues mit Saalfeld als Zentrum in mehrfacher Hinsicht. Weitere Zentren dieser Klosterlandschaft befin-den sich in den frühen Städten des Gebietes, wie Neustadt an der Orla, Pößneck u. a. Orten.

Die Stadt Saalfeld selbst besitzt mit dem um die Mitte des 13. Jahrhunderts gegründeten Franziskanerkloster, das heute das Stadtmuseum beherbergt, eine städtische Klosteranlage umfangreichen Ausmaßes, die durch mehrfache, auch moderne, Restaurierungen positiv als Denkmal auffällt.

Im Kloster der Augustiner-Eremiten in Neustadt an der Orla fanden unlängst mehrere ar-chäologische Untersuchungen statt, deren bisherige Ergebnisse kürzlich vorgestellt wurden.288Die ehemalige Benediktinerabtei von Paulinzella, um 1100 auf den Höhen westlich über dem Saaletal gegründet – wenige Kilometer östlich des westlichsten im Orlagau genannten Punk-tes, Gösselborn – gilt als „eine der stilkräftigsten Schöpfungen der hochromanischen Epo-che“.289 Paulinzella befindet sich ebenso wie der heutige Ort Gösselborn an einem Nebenarm der Verbindungsstraße vom Saaletal in das Tal der Ilm zwischen Rudolstadt/Saalfeld (Bad Blankenburg) und Ilmenau. Dabei handelt es sich sicherlich um eine mittelalterliche Straßen-verbindung unweit der im 9. Jahrhundert genannten Remda-Orte.

Wenige Kilometer saaleaufwärts von dem Punkt, wo der historische Orlagau in westlicher Richtung vom Saaletal abbiegt, befindet sich das Zisterzienser-Nonnenkloster zum Heiligen Kreuz bei Saalburg.290 Obwohl diese Einrichtung außerhalb des Arbeitsgebietes liegt und erst im späten Mittelalter gegründet wurde, soll sie aufgrund ihrer Bedeutung für den Landesaus-bau und die spätere Entwicklung des Orlagaues hier wenigstens mit aufgeführt werden. Dafür spricht auch die Tatsache, dass es durch die Geraer Linie der Vögte gegründet wurde. Eine ausführliche Würdigung hat dieses Kloster in einer Arbeit von Werner Ronneberger gefunden, die auf seiner 1931 an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena eingereichten Dissertationsschrift beruht.291

Ronneberger hat sich in dieser Schrift umfassend mit der Anlage an sich, ihrer historischen Einordnung in den mittelalterlichen Landesausbau im Gebiet der Vögte sowie ihren wirt-schaftlichen Grundlagen auf der Basis mediävistischer Quellen beschäftigt. Dem Buch sind mehrere Abbildungen und eine „Karte der Klosterbesitzungen“ sowie ein „Chronologisches Urkundenverzeichnis“ beigefügt.

Keine Studien zum mittelalterlichen Landesausbau in diesem Gebiet kommt an diesem Werk vorbei, obwohl es sicher – vom Beginn der Beschäftigung Ronnebergers mit dieser Ma-terie an gerechnet – ca. 100 Jahre alt ist. III.3.3 Siedlung und Wirtschaft

Die mit dem Ende des 9.  Jahrhunderts einsetzenden schriftlichen Quellen, die Ergebnisse archäologischer Untersuchungen sowie ethnografischer und onomastischer Forschungen zeu-gen von einem relativ intensiven Landesausbau bis weit in das 13./14. Jahrhundert hinein, der vom Zentrum Saalfeld aus zielgerichtet vorangetrieben wurde.

Vom 8. bis in das 9. Jahrhundert erfolgen die Prozesse der Besiedlung des Landes territo-rial zweigeteilt. Östlich der Saale hatten die Germanen das Land völlig verlassen, so dass hier ab dem 8. Jahrhundert, stärker wohl im 9. Jahrhundert, Slawen in ein relativ unbesiedeltes Land einwanderten und hier Landesausbau betrieben. Dass dieser rein slawische Landesaus-bau nicht die Intensität erreichen konnte wie in den anschließenden Gera- und Pleißengauen, davon zeugt auch die Tatsache, dass Slawen im Orlagau keine eigenen Burgen errichteten. Ab dem 9. Jahrhundert kam es dann hier bereits zu einem Ausgreifen fränkischer Herrschaft von Saalfeld aus.

Eine davon anfangs unterschiedene Entwicklung vollzog sich im Gebiet westlich der Saale. Hier hatten die Germanen das Gebiet nie völlig verlassen, so dass die hier einwandernden Slawen von Anfang an neben der ansässigen Bevölkerung siedelten. Dabei ist aber auch zu beachten, dass die Siedeldichte anfangs auch links der Saale nicht als eng zu bezeichnen ist.

Spätestens im beginnenden 9. Jahrhundert, eventuell auch schon gegen Ende des 8. Jahrhun-derts bildete sich um Saalfeld mit seiner Burg des 9. Jahrhunderts ein Zentrum, von dem die weitere Besiedlung und auch Wirtschaftsentwicklung entscheidend geprägt wurde.

Slawische Friedhöfe, die teilweise noch im 8., vor allem aber im 9. bis 11. Jahrhundert an-gelegt wurden, geben Zeugnis vom voranschreitenden Landesausbau, wenngleich zugehörige Siedlungen noch nicht ergraben werden konnten.

Der Ort Saalfeld selbst zählt zu den „Feld-Orten“, die in Thüringen in der Regel in spät-karolingischer Zeit entstanden sind und nicht ein Feld im Sinne von Ackerland, sondern ein Gefilde bezeichnen.292

Ernst Eichler und Hans Walther konstatieren im Städtenamenbuch für Saalfeld folgende Na-mensentwicklung:

Hans Walther arbeitet drei Häufungsgebiete der -feld-Ortsnamen heraus: Auf der südlichen Ilm-Saale-Platte, im obersten Werragebiet und im Unterharz.

Saalfeld rechnet er der Gruppe im obersten Werragebiet zu. Die von ihm erarbeitete Karte zeigt Saalfeld allerdings eher zur Gruppe auf der südlichen Ilm-Saale-Platte gehörig.295 Das würde mit einer Einwanderungsrichtung aus dem Raum Rudolstadt–Remda–Mittelthürin-gen korrespondieren. Der enge Zusammenhang im frühen und hohen Mittelalter zwischen Saalfeld und Coburg wiederum lässt die Einordnung Saalfelds in die Gruppe an der obersten Werra als richtig erscheinen und macht eine Einwanderung aus Richtung Südthüringen wahr-scheinlicher.

Da sich ein großer Teil der Grenzbeschreibung des Orlagaues Ende des 11. Jahrhunderts nicht an Orten, sondern mehrheitlich an landschaftlichen Gegebenheiten, wie z. B. Gewässern orientiert, müssen wir davon ausgehen, dass die genannten Gegebenheiten unmittelbar an der Grenze und damit relativ weit von Saalfeld entfernt davon zeugen, dass es dort noch keine dichte Besiedlung gab. Sonst hätte man sich an Ortsnamen orientieren können.

Einen ersten, relativ zusammenfassenden Überblick über die Besiedlung des Orlagaues er-halten wir im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts durch eine Übersicht des Erzbistums Köln über den von Richeza erhaltenen Besitz aus dem Jahr 1074.

Im Gebiet um Saalfeld selbst kann zu diesem Zeitpunkt schon von einer relativ dichten Be-siedlung ausgegangen werden, ebenso an der Orla und Kleinen Orla (Kotschau) in der Orla-senke sowie in der Heide nördlich bzw. nordwestlich von Pößneck. Im Schiefergebirge werden wenige Orte bis in Höhe der Loquitz genannt, die Grenzziehung zum Frankenwald hin erfolgt ausschließlich anhand von Gewässern.

Heinrich Rempel, der die 1071/1074 genannten Orte nach deutschen und slawischen Orts-namen analysiert, kann feststellen:

– die deutschnamigen Orte befinden sich links der Saale und in der Heide, in der Or-lasenke befindet sich nur Neunhofen mit deutschem Namen, dazu kommt der Bach-name Haßlach im Frankenwald

– die slawischen Ortsnamen häufen sich in der Orlasenke, liegen am rechten Saaleufer gegenüber von Saalfeld und Schwarza und vereinzelt im Schiefergebirge. Bei Gra-ba ist er sich unsicher und bei Gräfendorf (Grabindorf) hält er einen Mischnamen für möglich.296 Da Eichler Graba als slawisch bestimmen kann und von grab/grabina (Weißbuche/Weißbuchengesträuch) ableitet, könnte auch Gräfendorf ein Mischna-me sein.297 Das sieht Rosenkranz allerdings anders – er hält beide Ortsnamen für deutschen Ursprungs: Graba als „Hof über dem Graben“ und Gräfendorf als Ort der Grafen von Orlamünde.298

Abb. 78: Slawische Ortsnamen in den Landkreisen Saalfeld-Rudolstadt und

Saale-Orla-Kreis (Sachenbacher)

Die slawisch benannten Orte liegen mit Ausnahme derjenigen im Schiefergebirge im Gebiet mit ursprünglichen slawischen Fundstellen. Hier ist sowohl von relativer Platzkontinuität aus-zugehen als auch von Neugründungen. Damit ergibt sich ein signifikanter Unterschied zum Pleißen- und Geragau. Dort enden die slawischen Siedlungen im 10. Jahrhundert und die dann entstehenden slawisch benannten Orte unter deutscher Herrschaft werden an anderen Stellen neu angelegt.

Die Häufung der slawischen Ortsnamen auf dem Gebiet, in dem sie sich bereits Ende des 11. Jahrhunderts konzentrieren, ist auch in der Folge zu beobachten. Gleichzeitig breiten sie sich auch in weitere Territorien aus und erfassen große Teile der heutigen Landkreise Saal-feld-Rudolstadt und Saale-Orla-Kreis. Im Schiefergebirge dagegen häufen sich deutsche Orts-namen.

Der enorme Zuwachs an Orten und Bevölkerung in dieser Zeit kann nur durch Zustrom aus anderen Gebieten erfolgt sein. Bei seiner Untersuchung des Dialektes im Gebiet der oberen Saale kommt Heinz Rosenkranz zu interessanten Erkenntnissen. Er geht generell davon aus, dass es eine enge Wechselwirkung zwischen der Dialektgeografie und der Siedlungsgeschichte gibt.

So kommt er zu dem Schluss:

Ein bisher kaum geklärtes Problem ist der sprunghafte Anstieg slawischer Orte im 11./12. Jahr-hundert, die nach Ortsnamen fassbar sind. Auch die slawischen Siedler können sich nicht aus den bis dahin vorhandenen slawischen Siedlungen rekrutieren, sondern müssen zugewandert bzw. aus anderen Gebieten angeworben worden sein. Dafür kommen mehrere Möglichkeiten in Betracht. S. Dusek verweist auf die Zuwanderungsrichtung aus Franken: „Der 860 genannte Ort Moinwiniden (Maina) bei Weimar und das 1106 urkundlich erwähnte Nahwinden bei Arnstadt werden als Beleg für planmäßige Umsiedlung slawischer Siedler aus dem nördlichen Bayern d. h. aus der Naabgegend angesehen.“301 Karlheinz Hengst spricht sich allerdings gut begründet gegen eine Gleichsetzung von Maina und Moinwiniden aus.

Abb. 79: Die Lobensteiner Schranke als Siedlungsgrenze bei Rosenkranz 1938

(Rosenkranz 1938, 8 und Grundkarte)

Ende des 12. und im 13. Jahrhundert wird dann wie im Pleißengau und Geragau/Nördlichen Vogtland der heutige Besiedlungsstand erreicht. Davon zeugen die zu diesem Zeitpunkt be-stehenden, bereits genannten Orte und Kirchen sowie die vor allem archäologisch erfassten Burgen der lokalen Herrschaften. In der Folge setzen dann, wie überall, Prozesse des Wüst-fallens ein.

Da die absolute Mehrheit der 1074 genannten Orte als „ganz“ genannt werden und nicht mit Hufenzahlen, ist es nicht möglich, Schlüsse auf ihre damalige Größe zu ziehen. Wenn aller-dings „12 Hufen zu Schwarza“ erwähnt werden, muss dieser Ort bereits über eine beträchtliche Größe verfügt haben.302

Ca. 0,5 km nordöstlich von Ranis befindet sich, wie bereits im Kapitel zur slawischen Be-siedlung dargestellt, der Ortsteil Ludwigshof. Westlich an diesen anschließend befindet sich ein kleiner Geländesporn, der nördlich und östlich von einem Bachlauf begrenzt wird. Bauar-beiten machten hier ab 1993 eine Rettungsgrabung nötig, die in mehreren Kampagnen durch das TLAD durchgeführt wurde. Auf diese Grabung, die in slawische Zeit zurückreicht, wurde bereits im Kapitel 5.2. eingegangen (dort auch eine Abbildung der Befunde).

Es ist einem glücklichen Umstand zu verdanken, dass die Grabung mit ihren Ergebnissen, vor allem dem relativ reichhaltigen Fundmaterial, 1999 Gegenstand einer Magisterarbeit von Grit Hother (Heßland) am Institut für Prähistorische Archäologie der Martin-Luther-Univer-sität Halle-Wittenberg wurde.303

Die Ausgrabung erbrachte eine kleine Siedlung mit zahlreichen Funden und Befunden, die eine lückenlose Belegung mit unterschiedlicher Intensität vom 9./10. bis zum 14. Jahrhundert zeigte. Es wurden ca. 1000 m² Fläche mit 185 Befunden untersucht. Es konnte allerdings nur in dem Bereich gegraben werden, der zur Baustelle gehörte. Die Fläche der Siedlung konnte dadurch nicht vollständig erfasst werden. In der Nähe des Randbereichs der Grabung konnten auf dem nicht einbezogenen Gebiet Oberflächenfunde geborgen werden, die zusammen mit den Geländegegebenheiten den Schluss zulassen, dass die Siedlung ursprünglich zumindest im westlichen Bereich geringfügig umfangreicher war als das gegrabene Terrain.

Die Datierung erfolgte primär über die zahlreichen Keramikscherben, von denen ein gerin-ger Teil urgeschichtlichen Materials ausgesondert werden konnte – wohl bronze- und eisen-zeitliche Keramik. Die für die Arbeit interessanten Stücke beginnen zeitlich mit einer in ihrer Machart und Verzierung eindeutig slawischen Ware des 9. und vor allem 10. Jahrhunderts und reichen bis zur blaugrauen deutschen Ware des 14. Jahrhunderts. Es ist nicht ausgeschlossen, wenige Scherben bereits dem 8. Jahrhundert zuzuordnen. Dazwischen liegt eine Keramik vor allem des 11./12. Jahrhunderts, die als solche des hochmittelalterlichen Landesausbaus ohne ethnische Zuordnung angesprochen werden kann. Sie ist in der Regel aus einheimischer Pro-duktion. Dazu kommen wenige Importstücke.

Anhand der Scherben wurden einzelne Befunde zeitlich eingeordnet. Das weitere Fundma-terial konnte unterschieden werden nach Funden aus Eisen, Buntmetall, Geweih und Knochen sowie Kleinfunden verschiedenen Materials. Dabei handelt es sich um Gebrauchsgegenstände, Geräte, Waffen, Schmuck, Fragmente einer Tonplastik und 2 Münzen. Die Tierknochen sind noch nicht untersucht. Die Bearbeiterin stellt grundlegend fest: „… mit großer Wahrschein-lichkeit wird es sich jedoch hauptsächlich um Haustierknochen handeln, wie sie in fast allen slawischen sowie hoch- und spätmittelalterlichen Siedlungsfunden üblich sind.“304

Wenngleich die Besiedlung auf der ergrabenen Fläche vom 9. bis 14.  Jahrhundert nicht durchgehend von gleicher Größe war, ist doch insgesamt von Raumnutzungskontinuität aus-zugehen. Das unterscheidet diese Anlage bei Ludwigshof grundlegend von den slawischen Siedlungen im Altenburger Land und im Gebiet rechts und links der Weißen Elster zwischen Gera und Greiz, die im 10. bzw. zu Beginn des 11. Jahrhunderts enden und später an anderer Stelle neu errichtet werden. Ähnliche bzw. gleiche Siedlungskontinuität ist dagegen für zahl-reiche Wüstungen zwischen Saale und Ilm festzustellen.305

Die älteste gefasste Siedlung ist ein kleiner slawischer Weiler des 9./10. bis 11. Jahrhun-derts mit wenigen Wohnbauten und weiteren dazugehörigen Befunden, die wohl zum Wirtschaftsbereich gehören.306 Die Wohnbauten sind von unterschiedlicher Größe, Kons-truktion und Eintiefung. Die Vielfalt im slawischen Hausbau kommt auch hier zum Tra-gen. Da die Datierung über relativ langlebige Keramik erfolgte, ist es nicht möglich, eine exakte Struktur der Siedlung zu einem bestimmten Zeitabschnitt zu fassen. Deshalb muss die Frage offenbleiben, ob es möglicherweise zu dieser Zeit schon abgegrenzte Hofstellen gegeben hat.

Der jüngste Bau ist die steinerne Grundmauer eines mehrräumigen Hauses des 14. Jahrhun-derts. Da von der Grundmauer nur die unterste Lage erhalten ist, kann nur vermutet werden, dass es sich bei den Aufbauten um Fachwerk gehandelt hat.

Obwohl die Siedlung nicht vollständig erfasst werden konnte, ist im Wesentlichen davon auszugehen, dass sich die besiedelte Fläche nicht entscheidend vergrößert hat. Es ist demnach bis zum Wüstfallen im 14. Jahrhundert bei einem kleinen Weiler geblieben, dessen bebaute Fläche wahrscheinlich von Süden nach Norden gewandert ist.

Die weiteren Funde und das Knochenmaterial deuten darauf hin, dass es sich um eine Siedlung mit landwirtschaftlicher Produktion gehandelt hat. Über den jeweiligen Anteil von Ackerbau und Viehzucht könnte nur spekuliert werden. Handwerkliche Produktionsstätten konnten nicht gefunden werden. Die erfassten Geräte wurden offensichtlich in Hausproduk-tion hergestellt bzw. im Handel erworben.

Die Nähe zur Burg Ranis lässt den Schluss zu, dass diese Siedlung sich in einem Abhängig-keitsverhältnis zur Burg befunden hat. Die wenigen Waffen und das Reitzubehör könnten da-rauf hindeuten, dass dieses Abhängigkeitsverhältnis nicht nur aus Abgaben und Hofdiensten bestanden hat, sondern auch aus Waffendienst.

Der Charakter der Fundstücke insgesamt offenbart jedoch, dass es sich nicht um eine Sied-lung von Dienstleuten im Sinne einer Podegrodici-Siedlung gehandelt hat. Ein unmittelbar zugehöriger Friedhof, der weitere Aufschlüsse geben könnte, ist bisher in der Nachbarschaft nicht gefunden worden.

In der jüngeren Phase hat der Ort sicherlich zur nahe gelegenen Burg Stein gehört.

Die Unterschiede im Fundmaterial zwischen der slawischen Keramik zu Beginn der Besied-lung und der Ware des 14. Jahrhunderts sowie zwischen den jeweiligen Befunden sind nicht automatisch dahin zu deuten, dass hier ein Wechsel von slawischen zu deutschen Bewohnern stattgefunden haben muss. Der Wechsel liegt eher im Gebrauch der Materialien als im Ethnos der Bevölkerung begründet.

G. Heßland/Hother macht zum Schluss ihrer Auswertung darauf aufmerksam, dass mög-licherweise der Name der Siedlung bekannt ist, da in der Sagenwelt von einem Dorf Ruppitz nahe Ludwigshof die Rede ist, das zur Burg Stein gehört haben soll.307

Die Wirtschaftskraft der Region ist auch in Saalfeld und im Orlagau die entscheidende Grundlage und ein entscheidendes Ergebnis des mittelalterlichen Landesausbaus. Die wich-tigsten Zweige des Wirtschaftslebens im mittelalterlichen Orlagau waren Landwirtschaft, Handel und Verkehr, Montan- und Waldwirtschaft.

Vor allem die Orlasenke mit ihren natürlichen Ressourcen und ihren relativ fruchtbaren Bö-den bietet für die landwirtschaftliche Produktion gute Voraussetzungen. Das betrifft sowohl die Viehzucht als auch den Ackerbau. Mehr oder weniger dichte Wälder waren eine gute Quel-le für die Jagd, sowohl als königliches Vergnügen als auch als Wirtschaftsfaktor. Für die Im-kerei in Form der Zeidlerei boten die Wälder ein ökonomisch ertragreiches Betätigungsfeld. Darüber hinaus deckten sie den enormen Holzbedarf für die verschiedensten Verwendungen im Mittelalter. Wenngleich Teer- und Pechproduktion für den Orlagau im frühen Mittelalter noch nicht archäologisch belegt werden können, so ist doch mit Sicherheit davon auszugehen, dass sie auch hier betrieben wurden.

Die Saale mit ihren Nebengewässern bot noch bis in die Neuzeit ertragreiche Bedingungen für die Fischerei.

Saalfeld und der Orlagau sind verkehrsmäßig äußerst günstig gelegen. In Saalfeld kreuzen sich wichtige Nord-Süd- und Ost-West-Straßenverbindungen.308 Saalfeld war wohl schon im frühen Mittelalter über den Frankenwald und das Schiefergebirge in südlicher Richtung mit Coburg, Bamberg und Nürnberg verbunden. In nördlicher Richtung verliefen Straßenver-bindungen über Jena, Dornburg und Merseburg nach Leipzig sowie über Rudolstadt und Remda nach Erfurt, Weimar und weiter in Richtung Harz. In westlicher Richtung war Saal-feld über Hessen und Franken mit dem Main-, Rhein- und Donaugebiet und in östlicher Richtung durch den Orlagau mit Gera, dem Vogtland und Altenburg sowie weiteren Sied-lungen in östlicher Richtung verbunden. Das schuf von Anfang an günstige Verbindungen für den Fernhandel sowie den politisch-administrativen Verkehr zwischen den Orten und Höfen des Reiches.

Ein bisher absolut unterschätzter Verkehr spielte sich bereits im frühen Mittelalter mit stei-gender Bedeutung auf der Saale ab, die mindestens ab Saalfeld, aber wahrscheinlich auch noch oberhalb von Saalfeld schiffbar war.

Auf dem Wasserweg waren von Saalfeld über die Saale und Elbe einschließlich ihrer Neben-flüsse die Nordsee und mit geringem Landweg die Ostsee und damit die großen multieth-nischen Hafenstädte erreichbar. Wenngleich diese Wasserwege nur saisonal und nicht ohne Schwierigkeiten befahrbar waren, stellten sie doch ein erhebliches Potential vor allem für den Fernhandel dar.309

Ein wichtiger Wirtschaftszweig, der Saalfeld offensichtlich auch mit den großen Handelsor-ten des Nordens, wichtigen Zentren des Reiches, verband, war bereits im frühen Mittelalter die Montanwirtschaft. Saalfeld ist bis in die Gegenwart ein bekannter Ort der Stahlproduktion. Die reichen Eisenerzvorkommen der Umgebung, vor allem südlich und östlich Saalfelds sowie im weiteren Verlauf der Orlasenke und im Schiefergebirge, boten schon im Mittelalter gute Abbaubedingungen, von denen z. B. im Gebiet um Reichmannsdorf und Schmiedefeld zahl-reiche Pingen zeugen. Leider ist es bisher nicht möglich, dafür mit archäologischen Mitteln exakte Zeitangaben machen zu können.

2007 wurde das Pingenfeld „Griebse“ bei Pößneck prospektiert und vermessen. Hier steht relativ oberflächennah Eisen- und Kupfererz an. Auf einer Fläche von 2869 m² wurden 33 Pin-gen aufgemessen. Leider war es nicht möglich, einzelne Pingen zeitlich zuzuordnen, so dass allgemein davon ausgegangen werden muss, dass das Erz hier von der Bronzezeit bis in das Mittelalter abgebaut wurde.310

Bei den Grabungen im Bereich des Saalfelder Petersklosters konnten auch Werkplätze der Buntmetallverarbeitung erfasst werden, die vor allem in das 13. Jahrhundert mit einem Beginn gegen Ende des 12. Jahrhunderts datiert werden konnten.311

Lagerstätten von Buntmetallerzen im Orlagau wurden offensichtlich bereits in ur- und früh-geschichtlicher Zeit relativ intensiv genutzt.312 Zumindest für die frühe Neuzeit bezeugen An-lagen für die Goldwäsche im Schwarzatal und an den Gewässern im Schiefergebirge den Ab-bau des Goldes.

Ein bisher zu wenig beachteter Wirtschaftsfaktor war die Nutzung der reichen Schiefervor-kommen um Saalfeld zur Herstellung von Wetzsteinen. Neben der Keramik, die in der Regel auf jeder Grabung das Hauptfundmaterial bildet, sind es bei den Gebrauchsgeräten vor al-lem die Wetzsteine, die in einer für eine Bestimmung ausreichenden Zahl vorliegen, da dieser Gegenstand in einem jeden Haushalt und in einer jeden Werkstatt benötigt wurde. Den Er-haltungsbedingungen entsprechend sind es vor allem die Wetzsteine aus hartem Gestein, die sich im Boden über die Jahrhunderte unversehrt erhalten haben.

Der Seehandelsplatz Ralswiek an der Ostsee bzw. am Großen Jasmunder Bodden bildet des-halb für solche Untersuchungen günstige Bedingungen. Die entsprechenden petrografischen Bestimmungen des Gesteinsmaterials der Ralswieker Wetzsteine wurden von H.-J. Bautsch vorgenommen. Sie konnten mit den gut aufgearbeiteten über 10 000 Wetzsteinen von Haitha-bu verglichen und typologisch eingeordnet werden.

Die Ralswieker Wetzsteine konnten den Siedlungen A bis D zugeordnet werden und gehören damit an das Ende des 8. bis in das 12. Jahrhundert.

Die Untersuchungen ergaben, dass 86  % der von Ralswiek untersuchten Wetzsteine aus fränkisch-thüringischem Quarzitschiefer hergestellt wurden. Dieser Schiefer stammt nach der Meinung des Untersuchenden vor allem aus der Umgebung von Sonneberg und Lauenstein.313Vergleichbares Gestein steht auch im Schiefergebirge unweit von Saalfeld an.

Solche Geräte wurden auch in den Grabungen von Brandenburg und Spandau geborgen. Auch Wetzsteine aus Haithabu konnten im Vergleich mit diesen als aus Thüringen stammend bestimmt werden.314 Weitere Untersuchungen des reichhaltigen Wetzsteinmaterials von ande-ren Handelsplätzen werden mit Sicherheit ergeben, dass Wetzsteine aus Thüringen im frühen und hohen Mittelalter ein beliebter Exportartikel waren.

Abb. 80: Mögliche Wasserwege von Saalfeld zur Havel und Nord- sowie Ostsee (Kraleva)

310

Joachim Herrmann, der die umfangreichen Untersuchungen von Ralswiek vorgelegt hat, unter-breitet auch einen Vorschlag, wie die Steine aus Thüringen nach Ralswiek gelangt sein könnten. Da bei den Untersuchungen in Ralswiek keine Werkstatt für Wetzsteine und nur relativ wenig Roh-material des 12. Jahrhunderts ermittelt werden konnten, geht er davon aus, dass die Geräte gefertigt ankamen. Damit ist das Produkt nach einer Herstellung am Abbauort bzw. einem Zwischenhan-delsort aus dem Rohmaterial gefertigt worden. An den möglichen Abbauorten bzw. dem wahr-scheinlichsten Versandort Saalfeld wurden bislang keine Verarbeitungswerkstätten entdeckt. An den Abbauorten auf den Schieferhalden dürfte das auch äußerst schwierig sein. Wir müssen des-halb vorerst davon ausgehen, dass die Wetzsteine auch an einem folgenden Ort gefertigt wurden.Da Brandenburg und Spandau über die Havel mit der Elbe verbunden sind, dürften auch die dortigen Materialien von Saalfeld aus über Saale und Elbe transportiert worden sein.

Nach neueren Erkenntnissen zum Nordseehafen von Haithabu in Hollingstedt bietet sich für den Transport nach Haithabu und von dort weiter über die Schlei in die Ostsee ein weitaus günstigerer Handelsweg an. Dieser führt über die Elbmündung und die Nordsee durch Eider und Treene nach Hollingstedt, das nur ca. 18 km Landweg von Haithabu entfernt liegt.316

Der Transportweg auf einem fließenden Gewässer zieht die Notwendigkeit nach sich, dass die Transportmittel zurückgeführt werden müssen, was vor allem auf den Flußoberläufen jah-reszeitbedingt schwierig ist. Es ist deshalb theoretisch denkbar, dass der Transport an den Oberläufen bis zu bestimmten Umschlagorten mit Flößen erfolgte. Das bot den zusätzlichen Effekt, die benötigten Holzmengen mit dem Vorkommen im Thüringer Schiefergebirge ab-decken zu können. Die Bedeutung, die der Flößerei zukam, wird auch durch die Anlage von Floßteichen unterstrichen, die in Saalenähe existieren.

So, wie auch bei anderen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens, sind den schriftlichen Quellen auch zur Wirtschaft im Orlagau frühere und verwertbarere Belege als in anderen Ter-ritorien Ostthüringens zu entnehmen. Diese sind allerdings nicht aussagekräftig genug und zeichnen zusammen mit den anderen Quellen bislang nur ein ungenügendes Bild vom wirt-schaftlichen Leben im frühen und hohen Mittelalter.

Die relativ frühe Nennung Saalfelds als Königshof mit Zubehör im Jahr 899 allein lässt kaum eindeutige Schlüsse auf das wirtschaftliche Leben in der Region um Saalfeld – dem Gefilde an der Saale – zu.317 Es ist aber davon auszugehen, dass der vom Kaiser an den ehemaligen Mark-grafen Poppo zurückgegebene Besitz mit dem Königshof und den Menschen, Feldern, Wiesen, Weiden und Wäldern nur dann nennenswerte Bedeutung hatte, wenn damit auch eine um-fassende Wirtschaftskraft von Hof und Gebiet verbunden war. Hier sind wir primär auf die Deutung der archäologischen Quellen angewiesen.

Die weiteren Nennungen bis um die Mitte des 11. Jahrhunderts beziehen sich auf politische Akte. Die Nennung der an das Reich aus dem Besitz der Popponen zurückgefallenen ottonischen Pfalz Saalfeld als Ort von Hoftagen, von Urkundenausstellungen und Verschwörungen gegen den Kaiser lassen lediglich den Schluss zu, dass Pfalz und Gebiet über eine bemerkenswerte Wirt-schaftskraft verfügt haben müssen. Das änderte sich offensichtlich auch nicht, als Saalfeld 1013 an Pfalzgraf Ezzo von Lothringen übergeben wurde und nach dessen Tod sowie dem Ableben seines Sohnes an seine Tochter, die polnische Königin Richeza, kam. Als diese 1056 Saalfeld und den Orlagau an das Erzbistum Köln schenkte, erhalten wir aus der Bestätigung Annos II. von 1057 erstmals wieder verwertbare Hinweise auf das Wirtschaftsleben Saalfelds und des Orlagaues.318

Es ist insgesamt davon auszugehen, dass der übergebene Besitzkomplex wirtschaftlich ent-wickelt war und reiche Zinsen erbrachte. Andernfalls wäre eine solche Schenkung an das Erz-stift Köln eine Farce gewesen. Die Burg Saalfeld (Salaueldon castellum) und das Land Orla stellten im 11. Jahrhundert einen reichen Güterkomplex dar. Die ausdrückliche Nennung von Honig- und Wachszehnt lässt auf eine intensive Zeidlerei schließen, die wohl vorrangig von Slawen betrieben wurde. Unter den Personen werden Freie und Smurden erwähnt.

Als zur Herrschaft gehörig werden Jäger genannt. Das bedeutet, dass in Bezug auf die Herr-schaft der Jagd in den reichen Wäldern um Saalfeld eine besondere Rolle zukam. Leider liegen keine untersuchten Speiseabfälle vor, die belegen könnten, dass die Jagd sowohl dem Freizeit-vertreib der Herrschaft als auch ihrem Speiseplan zugutekam. Die Möglichkeit eines Vergleichs des Wildanteils im Knochenabfall des Hofes und der landwirtschaftlich geprägten Dörfer stellt bislang ein Desiderat der archäologischen Forschung im Orlagau dar. Diese Lücke sollte mit einfachen Mitteln zu schließen sein.

Obwohl die Bedeutung der Montanwirtschaft im 10./11. Jahrhundert keine ausdrückliche Erwähnung findet, zeugen die behandelten Wetzsteinexporte in die großen Handelszentren, die zu dieser Zeit anhalten, von der Einträglichkeit dieses Wirtschaftszweiges.

Die in den auf 1071 und 1074 bezogenen Belegen genannten Orte zeigen, dass Saalfeld als Zentrum bereits im 11. Jahrhundert über ein ausgebautes Hinterland verfügte, das in Wechsel-wirkung mit der Burg eine stabile wirtschaftliche Kraft darstellte. Saalfeld, das weiterhin ein bedeutendes Zentrum des Fernhandels war, betrieb auch einen ausgeprägten Binnenhandel.319

Erwähnt wird auch der Wald, der von Schwarza und dem Gebiet links der Saale bis über Hütten und Friedebach reicht – die Vordere und Hintere Heide – sowie der „Nordwald“ bzw. Forstwald von Lehesten bis zur Haßla – Teile des Schiefergebirges bis zu den Höhen des Fran-kenwaldes. Das Jagd- und Rodungsrecht findet dabei besondere Aufmerksamkeit.

Auch die extra genannten Fischereirechte für die Flüsse, Teiche und Sümpfe im gesamten Territorium müssen damit von einer erheblichen Bedeutung gewesen sein.

Der Ortsname Hütten (Gunpreshutten bzw. Gamprech Huttni) weist auf das Bestehen einer Hütte in diesem Wald hin.

Neben der wirtschaftlichen Bedeutung von Saalfeld selbst als Ort eines ausdrücklich ge-nannten Marktes sowie des Fern- und Binnenhandels mit seiner guten Verkehrsanbindung zu Land und auf dem Wasser waren es vor allem die entwickelte Landwirtschaft in den Orten des Orlagaues, die Wald- und Montanwirtschaft, die weiterhin eine stabile ökonomische Basis für das Territorium darstellten. Genannt werden auch Weinberge, die sicherlich in erster Linie der Versorgung des Klosters zugutekamen.

Mit dem 12./13. Jahrhundert häufen sich zwar die Belege zu Saalfeld und für den Orlagau insgesamt, aber es handelt sich in der Regel um die Nennung von einzelnen Personen, Orten und Aktionen, unter denen Aussagen zur Wirtschaft eher beiläufig sind. 1125 z. B. bestätigt Erzbischof Adelbert von Köln dem Peterskloster in Saalfeld „die Villa, den Markt und Zoll daselbst“.320 Das Kloster übt zusammen mit dem Erzbistum das Münzrecht aus. Ab ca. 1140 werden in der Saalfelder Münze Brakteaten geprägt.321

Eine Ausnahme gegenüber den wenig aussagekräftigen Einzelnennungen zur Wirtschaft im 12. Jahrhundert stellt das Dienstrecht der Kölner Erzbischöfe von Saalfeld dar, das nach neu-eren Erkenntnissen zwischen 1125 und 1180 zu datieren ist. Es enthält allerdings auch Passa-gen, die wahrscheinlich aus dem 11. Jahrhundert stammen und übernommen wurden.322

Mit diesem Dienstrecht wird für den gesamten Besitzkomplex des Kölner Erzbischofs – die patria – eine Verordnung geschaffen, die für alle zur patria Gehörigen – die familia – ein ein-heitliches Vorgehen in wirtschaftlichen Fragen schafft. Wenngleich dieses Dienstrecht für die stauferzeitliche Kölner Herrschaft geschaffen wurde, kann mit Fug und Recht davon ausge-gangen werden, dass damit die wirtschaftlichen Traditionen der lothringischen Herrschaft fortgesetzt werden und dass die erneute Reichsherrschaft ab 1180 darauf lückenlos aufbauen konnte. Das Dokument ist ein aussagekräftiges Zeugnis für den hohen Stand, den der Landes-ausbau in Saalfeld und im Orlagau im 12. Jahrhundert erreicht hat. Das Territorium erweist sich damit als ein in hoher Blüte stehendes, einheitliches Wirtschaftsgebiet mit einer relativ hohen ökonomischen Außenwirkung.

Abb. 81: Das Gebiet der Heide bis Hütten (Kraleva)

314

Hätte es Kaiser Barbarossa geschafft, den Pleißengau, den Geragau/das Nördliche Vogtland und das Egerland mit diesem wirtschaftlich hoch entwickelten Orlagau zu vereinen, wäre es ihm gelungen, im Osten des Reiches eine politische und wirtschaftliche Einheit von hoher Effizienz zu schaffen.

Die in dem Dokument genannten wesentlichen wirtschaftlichen Faktoren – Fern- und Bin-nenhandel mit Zollrecht, Ernährungswirtschaft, Waldwirtschaft, Rodungsrecht und Dienst-leistungen – unterlagen einer straffen Verwaltung von Köln aus bzw. durch den Kölner Verwal-tungssitz des Erzbischofs in Saalfeld, der im Bereich Hoher Schwarm/Nikolaikirche gesucht werden kann und die Grundlage für die Entwicklung der staufischen Pfalz bildete.

Hier hatte sich, nach Aussage des Nikolaipatroziniums der Kirche, nicht weit entfernt vom Alten Markt eine Ansiedlung von Händlern herausgebildet. Es ist damit zu rechnen, dass sich zur Händlersiedlung zugehörig auch ein neuer Markt entwickelt hat, der innerhalb der noch im 12. Jahrhundert gegründeten staufischen Stadt lag.

Wenn die archäologischen Quellen eindeutig zeigen, dass auch der Montanwirtschaft zu dieser Zeit in Saalfeld und dem Orlagau eine nicht unerhebliche Bedeutung zukam, ist nach Ursachen zu suchen, warum dieser Wirtschaftszweig im Dienstrecht keine Beachtung findet. Hier offenbart sich ein für künftige Forschungen wichtiges Gebiet, vor allem für Mediävistik und Archäologie.

Das Dienstrecht weist die patria, den Orlagau mit seinem Zentrum Saalfeld, als einen hoch entwickelten, geschlossenen Wirtschafts- und Rechtskomplex aus.

Hatten bereits die Nennungen des 11. Jahrhunderts, auch wenn es sich um jüngere Abschrif-ten bzw. Fälschungen handelt, die besondere Bedeutung hervorgehoben, die der Jagd zukam, wird dieser Eindruck durch das Dienstrecht anschaulich untermauert. Jagd und Jäger mit dem Jägermeister an der Spitze, der dem Meier unterstellt ist, gibt es am Hof des Bischofs und über den Gau verteilt. Besonders hervorgehoben wird die Bedeutung der Jagd auf Hochwild, wobei die Bären ein besonders attraktives Jagdwild darstellten.

Die Jagdbeute – Fleisch, Pelze und Häute – war durch einen dafür festgelegten Personenkreis zu einem bestimmten Teil direkt nach Köln oder einen anderen Aufenthaltsort des Erzbischofs zu liefern. Für die Sammlung und Aufbewahrung gab es die Speckkammer.

Neben der Jagd spielte auch weiterhin die Zeidlerei zur Gewinnung von Honig und Wachs eine bedeutende Rolle. Dabei werden ausdrücklich Slawen erwähnt, denen eine Strafe droht, wenn sie den Honig nicht rechtzeitig abliefern.

Eine bedeutende Rolle im Nahrungserwerb spielte die Fischerei mit Fischzucht und Fisch-fang. Dazu gab es Fischteiche. Auch der Fischfang in der Saale und den anderen Flüssen war wohl gut ausgeprägt. Kein Freier durfte ohne Erlaubnis des Bischofs fischen. Wer dagegen verstieß, dem drohte eine erhebliche Strafe – die Verknechtung von Weib und Kindern. Das unterstreicht die hohe Bedeutung, die der Fischerei zukam.

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Wenngleich die Jagd sicher auch dem Vergnügen diente, muss ihr eine hohe Bedeutung in der Nahrungsmittelgewinnung für den Hof des Bischofs zugekommen sein. Anderenfalls hät-te man die Jagdbeute nicht geräuchert, gesalzen oder anders konserviert über eine auch für heutige Verhältnisse noch bedeutende Strecke von Saalfeld nach Köln transportiert. Das er-forderte im hohen Mittelalter einen bedeutenden Aufwand.

Ebenso wie die Fischerei stand auch das Erteilen des Rechts zum Roden von Wald dem Bischof zu. Darin kommt nicht zuletzt zum Ausdruck, dass dem Erhalt des Waldes große Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Es ist deshalb als verwunderlich anzusehen, dass die Be-schränkung solcher waldintensiver Wirtschaftszweige wie Pechsiederei und Köhlerei keine ausdrückliche Nennung findet.

Die Mitglieder der familia müssen Mehl, Salz und Schweine an einen bestimmten Ort liefern und Punsch, Met und Bier bereiten. Unter den handwerklichen Leistungen, die durch sie zu erbringen sind, kommt der Weberei von dafür geliefertem Flachs und dem Färben des Tuches durch einen aus der einheimischen Schildlaus gewonnenen roten Farbstoff eine besondere Be-deutung zu.

Der Bischof verfügte für die gesamte patria über den Mühlen- und Marktbann und damit über einen bedeutenden Zweig der Nahrungsmittelgewinnung und des Vertriebs nach innen und außen. Ausdrücklich erwähnt wird der Binnenhandel von Bier, Fleisch und Brot auf dem Markt. Der Export von Getreide, Honig, Schafen, Schweinen und Rindern – den entscheiden-den Bestandteilen der Nahrungsgüterwirtschaft – wurde durch festgelegte Mengen und Preise limitiert. Auch der Binnenhandel von hochwertigen Gütern und Sklaven war geregelt.

Im Dienstrecht werden auch die von den Ministerialen (servientes) zu erbringenden Dienst-leistungen für den Bischof festgelegt, wie z. B. der Dienst mit der Waffe bei Fehden. Slawische servientes haben auch Botendienste zu leisten. Beim ersten und zweiten Versäumnis droht eine Geldstrafe, beim dritten der Verlust des Dienstlehens.

Da der Begriff der servientes für Ministerialen im 12. Jahrhundert nicht mehr gebräuch-lich war, bezieht er sich auf das 11. Jahrhundert, aus dem damit ein Teil der Bestimmungen des Dienstrechtes stammt. Demnach existierten auch im 11. Jahrhundert slawische Minis-terialen.

Das Kölner Dienstrecht des 12. Jahrhunderts für den Besitz des Erzbischofs in Saalfeld und dem Orlagau ist die wichtigste Quelle für die Untersuchung der Wirtschaftskraft des Gebie-tes im 11. und 12. Jahrhundert, wenngleich die Entstehung der Bestimmungen im Einzelnen nicht einem bestimmten Jahrhundert zugeschrieben werden kann. Im letzten Drittel des Jahr-hunderts verliert zwar dieses Dienstrecht mit der Unterstellung unter staufischen Reichsbesitz formell seine juristische Wirksamkeit, aber es hat bis dahin Voraussetzungen und Grundlagen für den Landesausbau auf wirtschaftlichem und rechtlichem Gebiet geschaffen, auf denen auf-gebaut werden kann.

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Das Dienstrecht schafft wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung Saalfelds zur Stadt, die sich im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts vollzieht. Um 1180 fällt Saalfeld durch einen Güteraustausch wieder an das Reich. Da die Tauschurkunde fehlt, ist dieser Termin auf Indi-zien zurückzuführen. In Saalfeld werden jetzt Reichsmünzen geprägt. 1198 wird Saalfeld als villa regia, also voll entwickelte Reichsstadt, genannt.323 Auf die Probleme der Stadtbildungspro-zesse soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden, da sie Gegenstand des folgenden Kapitels sind.

1208 wird die Stadt Saalfeld unter Vorbehalt des Rechts, sie wieder einlösen zu können, von Otto IV. an die Grafen Heinrich und Günther von Käfernburg übereignet.324 Das Territorium mit der Stadt entwickelt sich im 13. Jahrhundert zu einem wirtschaftlich weitestgehend aus-gereizten Gebiet, das einer weiteren extensiven Entwicklung des Landesausbaus nicht mehr standhält. Wie in anderen Territorien werden zu dieser Zeit auch im Orlagau wesentliche Vo-raussetzungen für die ab dem 14.  Jahrhundert einsetzenden Wüstungsprozesse geschaffen. Der Orlagau zerfällt nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich in einzelnen Herrschern unterstehende Gebiete.

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IV Zusammenfassung und Ausblick

Der hochmittelalterliche Landesausbau in der Germania Slavica Thuringiae östlich der Saale in Einheit von Tradition und Innovation

Das abschließende IV. Kapitel ist zweigeteilt. Der erste Teil beinhaltet zur Übersicht für den Leser eine traditionelle Zusammenfassung, die den Zweck erfüllen soll, wesentliche Inhalte der Arbeit schnell überblicken zu können und so Anregungen zu für ihn besonders interessan-ten Themen zu erhalten, um sie nachlesen zu können. Der zweite Teil gibt eine Aussicht über den behandelten Zeitraum hinaus und soll die folgenden entscheidenden Entwicklungslinien vorzeichnen, auf denen auch für das Gebiet Ostthüringens im hohen Mittelalter aufgebaut werden kann.

Damit wird der übliche Ablauf des Textes zwar unterbrochen, aber es wird die Möglichkeit geboten, sich über besonders wichtige Themen zu informieren, die auf der Basis des Dargebo-tenen an den behandelten Zeitraum anknüpfen.

Es ist dabei unvermeidlich, dass zur Hinführung zu den Entwicklungslinien zu prüfen ist, inwieweit Grundzüge dieser Prozesse im behandelten Zeitraum wurzeln. Dabei kommt es zu Wiederholungen, die den gewählten Untersuchungsverlauf unterbrechen. Da es sich hierbei lediglich um theoretisch-methodische Ansätze handelt, wurde dieser Weg gewählt. Zusammenfassung

Die Arbeit hatte zum Ziel, auf begründeter theoretisch-methodologischer Basis einen Beitrag zur Untersuchung der Prozesse des früh- und hochmittelalterlichen Landesausbaus in Ost-thüringen als einer Grenzregion zwischen Slawen und Germanen/Deutschen zu leisten. Dazu wurden die Entwicklungen vom 8. bis zum 12./13. Jahrhundert im Pleißengau, im Geragau/Nördlichen Vogtland und Orlagau miteinander verglichen.

Die Untersuchungen erfolgten auf der Basis der Anwendung des Grundkonzeptes der Ger-mania Slavica. Diese wurde als Kontaktzone zwischen Slawen und Germanen/Deutschen dar-gestellt. Der Verfasser vertritt die Meinung, dass diese theoretisch-methodologische Grundlage

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die besten Voraussetzungen bietet, um den Anteil der Slawen an den Prozessen des früh- und hochmittelalterlichen Landesausbaus in einer Einheit untersuchen und darstellen zu können.

Die Germania Slavica in Thüringen umfasst räumlich das gesamte Territorium des heutigen Freistaates Thüringen, da hier sowohl von West nach Ost als auch von Nord nach Süd solche Kontakte der Ethnien nachgewiesen werden können. Das erfolgt in der Arbeit auf interdiszi-plinärer Grundlage, die vor allem mediävistische, archäologische, ethnografische und ono-mastische Quellen einschließt. Quellen weiterer Wissenschaften, die an der Erforschung des Mittelalters beteiligt sind, wie z. B. Bauforschung, werden dort, wo das nötig und möglich erscheint, einbezogen. Diese historischen Quellen insgesamt werden in aufbereiteter, publi-zierter Form verarbeitet. Dort, wo das wichtig erscheint, werden archäologische Untersuchun-gen, die der Autor in seiner Tätigkeit als Gebietsreferent des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie (heutige Amtsbezeichnung, die im Laufe der Jahre mehrmals geändert wurde) selbst gewonnen hat, der Darstellung zugrunde gelegt. Der Verfasser stützt sich auf die Veröffentlichungen zahlreicher Autoren, die in der Regel bis zur Abgabe der Arbeit als Habilitationsschrift am 25.06.2013 reichen. Dieser Publikationsstand hat sich zwischen der Abgabe der Arbeit und ihrer Publikation grundlegend erweitert. Deshalb wurden dort, wo das möglich war, auch neuere Publikationen in die Untersuchung einbezogen. Die Auswer-tung mediävistischer Quellen erfolgte auf der Basis von deren Veröffentlichung vor allem im Rahmen der Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe. Originalquellen wurden nur in wenigen Fällen, dann vor allem im Staatsarchiv Altenburg, eingesehen.

Der Begriff der Germania Slavica soll keineswegs andere räumliche und zeitliche Bezeich-nungen ersetzen. Ältere Bezeichnungen, die mitunter auch heute noch verwendet werden, wie deutsche Ostkolonisation, ostdeutsche Kolonisation und ähnliche. lehnt der Verfasser grund-legend ab. Der Begriff der Ostsiedlung ist als gleichwertig zu betrachten, der Begriff der Kolo-nisation ist m. E. missverständlich und wird deshalb nicht verwendet.

Auf dieser Grundlage kommt der Autor zu dem Ergebnis, dass das Territorium des Frei-staates Thüringen in vier Zonen unterteilt werden kann. Von diesen berührt die Arbeit die Zonen I östlich der Saale und das Übergangsgebiet zwischen den Zonen I und II im Bereich des Orlagaues.

In den 4 Zonen erfolgt der Landesausbau gleichbedeutend in alle vier Himmelsrichtungen. Ab dem 14. Jahrhundert erfolgen dem entgegengesetzt Wüstungsprozesse. In deren Verlauf wird die Zahl der Ortschaften grundlegend verkleinert, die Größe der Orte andererseits stark erhöht.

Der zeitliche Rahmen der Germania Slavica und damit derjenige der Arbeit umfasst die Zeit von der Einwanderung der Slawen ab dem 8. Jahrhundert bis zu deren Assimilation im 12./13. Jahrhundert. Das 14. Jahrhundert wird nur noch im Einzelnen in den Ausblick ein-bezogen.

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Aus diesem Grund beginnt die Arbeit mit einem kurzen Blick auf die Voraussetzungen, die die nach Thüringen einwandernden Slawen antrafen.

Thüringen ist in seiner Gesamtheit Bestandteil des völkerwanderungszeitlichen Thüringer Königreiches. Dieses hat auch im Gebiet östlich der Saale einschließlich des späteren Orlagaues archäologische Spuren hinterlassen, die sich vor allem im Gebiet des späteren Pleißengaues nie-dergeschlagen haben. Das berühmte Gräberfeld von Rositz nahe Altenburg, zu dem bislang kei-ne zugehörige Siedlung gefunden wurde, zählt zu den bedeutenderen Gräberfeldern im Gebiet außerhalb des Zentrums der Entwicklung. Aus dem späteren Geragau sind bislang nur Spuren ehemaliger Gräberfelder in Form von Keramikfunden bekannt geworden. Dabei ist aber stets zu bedenken, dass die völkerwanderungszeitliche Gebrauchskeramik eine schwer erkennbare Ware unbedeutender Qualität ist, die schwer festzustellen ist. Ab dem 7. Jahrhundert fehlen im Gebiet östlich der Saale die Funde gänzlich, bis auf einen Einzelfund in der Orla bei Neustadt/Orla.

Die ab dem 8. Jahrhundert einwandernden Slawen fanden östlich der Saale ein unbesiedeltes Gebiet vor. Westlich der Saale waren Germanen im Territorium verblieben, auf die die Slawen bei ihrer Einwanderung trafen. Die germanische Besiedlung war so locker, dass Germanen und Slawen nebeneinander bzw. in der Folgezeit miteinander siedeln konnten. Das Güterver-zeichnis der Klöster Hersfeld und Fulda verzeichnet Besitz bis an die Saale, die nicht über-schritten wird. Er befindet sich damit außerhalb des Territoriums des späteren Orlagaues, aber in seiner unmittelbaren Nachbarschaft, wie in Rudolstadt, Rothenstein oder den Remdaorten.

Die slawische Besiedlung zeigt relativ eng begrenzte Territorien, die durch Wälder vonein-ander getrennt sind. Das betrifft das Gebiet an der Pleiße um Altenburg, das Territorium um Gera an der Elster bis zum südlichen Geraer Stadtrand und das Territorium an Orla und Saale zwischen Triptis und Saalfeld. Daran anschließende, geschlossene und offene Räume erschlie-ßen eine Besiedlungsrichtung von Saale und Elster her aus östlicher bzw. nördlicher Richtung aus dem Gebiet um Zeitz bzw. der Saale um Rudolstadt und Saalfeld.

Im späteren Pleißen-, Gera- und Orlagau beginnt die slawische Einwanderung und der ihr folgende Landesausbau in der unmittelbaren Nähe von Gewässern in der Regel auf leicht ge-neigten Hängen mit Sonneneinstrahlung über diesen. Es werden zuerst die fruchtbareren und weniger strukturierten Gebiete besiedelt. Die Siedlungen setzen sich aus kleineren Weilern mit wenigen Hausbauten ohne Hofstruktur zusammen. Die Wirtschaft beinhaltet Ackerbau und Viehzucht einschließlich Fischfang, Jagd und Zeidlerei. Im Gebiet um Saalfeld ist Montan-wirtschaft mit anschließendem Fernverkehr auf der Saale nachgewiesen. Die Hausbauten sind verschiedener Konstruktion. Friedhöfe befinden sich in der Nähe der Siedlungen, vor allem auf Hügeln über diesen.

Mehr und mehr werden auch stärker strukturierte Gebiete mit weniger fruchtbaren Böden in die Besiedlung einbezogen. Die relativ dichten Wälder trennen zwar die Gebiete voneinan-der, aber sie werden wirtschaftlich genutzt.

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In Altenburg auf dem späteren Schlossberg und auf dem Hainberg über Gera befinden sich Burganlagen, die den Herrschaftsmittelpunkt slawischer Burgbezirke markieren, zu denen die umliegenden Siedlungen gehören. Zusammen mit ihrer Funktion als Herrschaftsmittelpunkt zeigen sich diese Burgen auch als wirtschaftlicher und geistig-kultureller sowie geistlicher Zen-tralort Die Burganlage auf den Paditzer Schanzen in der unmittelbaren Nähe von Altenburg stellt wohl keine eigenständige Burganlage dar, sondern markiert den Wirtschaftsstandort der Altenburger Burg mit einer ausgeprägten handwerklichen Produktion von Drehmühlsteinen, die auf der nahen Pleiße verschifft werden konnten.

Die Erkenntnisse zur slawischen Besiedlung des Gebietes stützen sich auf archäologische Untersuchungen sowie auf auch weiträumige Vergleiche.

Altenburg als Ort und Gera als Territorium werden 976 bzw. 995 erstmals schriftlich ge-nannt. Ausgrabungen auf den Burgen von Gera und Altenburg weisen eine kontinuierliche Nutzung auf. Die ehemaligen Mittelpunkte slawischer Burgbezirke werden umgewandelt in die Mittelpunkte deutscher Burgwarde.

Beginnend im 11., vorrangig aber ab dem 12. Jahrhundert setzt hier eine Entwicklung ein, die in kurzen Zeiträumen zur völligen Umgestaltung des behandelten Gebietes führt. Das ge-samte Territorium wird in den Prozess des Landesausbaus einbezogen. Es entstehen raum-füllend neue Orte, deren Anzahl über den heutigen Stand hinausgeht. Wüstungsprozesse vor allem ab dem 14. Jahrhundert führen dazu, dass die Anzahl der Dörfer zwar verringert, deren Größe aber wesentlich erweitert wird. Zehntverzeichnisse des Klosters Bosau bei Zeitz geben einen Überblick über die neu entstandenen Ortschaften. Aus der Höhe der Abgaben können Rückschlüsse auf die Größe der Dörfer gezogen werden. Diese neuen Orte besitzen slawische und deutsche Ortsnamen, die Schlüsse auf die Herkunft der Lokatoren bzw. deren ethnische Zugehörigkeit zulassen. Im Altenburger Land überwiegt anfangs der Anteil der Slawen am mittelalterlichen Landesausbau. Die deutsche Herrschaft ist zu dieser Zeit eine eher punktuel-le. Das ändert sich in den folgenden Prozessen.

Der ländliche Landesausbau wird auf lokaler Basis geleitet und vorangetrieben von der loka-len Herrschaft bzw. den Kleinen Herrschaftsträgern, die ihre Herrschaft auf örtlichen Burgen installieren. Sie benennen sich nach den Orten ihres Sitzes. Dieser Prozess durchzieht das ge-samte Gebiet. Inwieweit zu diesen lokalen Herrschaften auch slawische Adlige gehören, ist den Quellen kaum zu entnehmen. Es sollte aber davon ausgegangen werden, dass es solche Fälle gab. Die relativ kleinen Burgen setzen sich aus Niederungsburgen, primär Wasserburgen, und Höhenburgen zusammen.

Diese Prozesse werden begleitet von der durchgehenden Christianisierung des Territoriums, die in Einheit von Mission und Kirchenorganisation erfolgt. Die älteste Kirche, die auf dem Burgwardmittelpunkt Altenburg zu vermuten ist, wurde bisher nicht gefunden. Ein allerdings jüngerer Kopfnischensarkophag könnte auf ihre Lage hinweisen. Aus einer Urkunde von 1140

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über die Errichtung von Steinkirchen und den Umfang des Pfarrsprengels Altkirchen (in der Sprache der ländlichen Bevölkerung slawisch Ztarecoztol genannt) sind wir über diese Ent-wicklungen informiert.

In der Mitte des 11. Jahrhunderts wird bei Schmölln das erste Kloster östlich der Saale au-ßerhalb der Bischofssitze gegründet. Es hatte seinen Sitz auf dem Pfefferberg, wurde aber kurze Zeit später aufgelöst bzw. verlegt. Von ihm zeugen Wall- und Grabenanlagen sowie spätslawi-sche Keramik auf dem leider völlig umgestalteten Pfefferberg (Berg der Pfaffen).

1172 wird auf Initiative Barbarossas das Augustinerchorherrenstift Altenburgs mit seiner Backsteinarchitektur – Rote Spitzen genannt – gegründet.

In wenigen Jahrzehnten entwickeln sich Herrschaft, Wirtschaft und durchgehende Chris-tianisierung im Gebiet der civitas Altenburg (976), der Burggrafschaft Altenburg, des Gaues Plisni und des Reichsterritoriums Pleißenland rasant.

Eine parallele Entwicklung vollzieht sich im westlich anschließenden Geragau. Gera wird im letzten Jahrzehnt des 10. Jahrhunderts zweimal als Territorium genannt – 995 als terminus Gera und 999 schenkt Otto III. die provincia Gera an die Äbtissin Adelheid von Quedlinburg. 1237 wird Gera erstmals als Stadt mit eigenen Bürgern erwähnt. Dazwischen liegt eine Ent-wicklung, die vor allem anhand archäologischer Quellen zur Burg auf dem Hainberg über Gera-Osterstein zu verfolgen ist. Die ursprünglich slawische Anlage war zu einem Burgward und zum Sitz der Herren von Gera geworden.

In der Zeit zwischen der Erstnennung und der Erhebung zur Stadt vollzog sich in der Um-gebung Geras eine Entwicklung, die durch Ortsneugründungen, ein dichtes Netz von Burgen der Lokalen Herrschaft und der Christianisierung des Gebietes geprägt war.

Bis dahin hatte sich das Territorium Geras und des Nördlichen Vogtlandes bis südlich über Greiz hinaus rasant vergrößert.

Neben der Burg über Gera und den Sitzen der Kleinen Herrschaftsträger entwickelten sich die markanten Burgen von Weida und Greiz als Sitze einer bedeutenden Vogtsfamilie, die ihre Herrschaftsansprüche auch nach außen in Gestalt ihrer Burgen mit früher Backsteinarchitek-tur zeigte. Das Vogtland entwickelte sich zu einer wichtigen Klosterlandschaft.

Eine davon unterschiedliche Entwicklung vollzog sich im Orlagau mit Saalfeld als Zentrum. Das Gebiet um Saalfeld und das anschließende Orlagebiet waren ab dem 7., wohl eher erst ab dem 8. Jahrhundert slawische Siedelgebiete, in denen es nie zur Burganlage als Zentrum eines Burgbezirkes kommen konnte.

899 wird Saalfeld an Markenherzog Poppo zurückgegeben. Anders als im Pleißen- und Ge-ragau entwickelte sich das Territorium im 9. Jahrhundert zu einem bedeutenden Herrschafts-gebiet, das bereits in dieser Zeit seinen Blick ostwärts in Richtung Burg Ranis lenkte.

Als 968 das Bistum Naumburg gegründet wurde, konnte der spätere Orlagau nicht mit ein-bezogen werden, da er zu dieser Zeit bereits zum Land des Bistums Mainz gehörte.

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Der Hof Saalfelds aus dem 9. Jahrhundert konnte durch eine Ausgrabung des Jenaer Instituts bereits 1964 im Bereich des heutigen Schlosses/Landratsamt nachgewiesen werden. Grabun-gen der letzten Jahre in diesem Bereich haben den damaligen Ansatz bestätigt.

Nach Poppos Tod und dem des ihm nachfolgenden Sohnes erbte dessen Schwester Richeza den Saalfelder Besitz. Richeza wurde mit dem König von Polen vermählt. Nach dessen Tod verließ sie das Land und nahm ihren Besitz um Saalfeld an, wo sie starb. Sie schenkte Ort und Gebiet an das Kölner Erzbistum, das anstelle der Burg 1071 ein Kloster errichtete.

Die Schenkung Richezas wird 1071 in einer Grenzbeschreibung umfassend dargestellt. Sie betrifft das Territorium zwischen Gösselborn, nahe Paulinzella, im Westen bis zu einem Wald nahe Triptis im Osten, von Orlamünde im Norden bis zum Rennsteig im Süden.

Die Grenzbeschreibung orientiert sich vorrangig an markanten Geländepunkten. Im Gebiet werden drei Kirchen namentlich genannt und weitere erwähnt. Es werden mehrere Ortschaf-ten aufgeführt.

In einigen der Kirchen des 12./13. Jahrhunderts haben in den letzten Jahrzehnten Grabun-gen stattgefunden, die deren Entwicklung aufzeigen.

Ab 1071 entwickelt sich der Orlagau auch zu einer bedeutenden Klosterlandschaft. Mit der Errichtung des Klosters anstelle des Hofes muss die Burg bzw. Pfalzanlage verlagert werden. Der genaue Ort ist bis heute nicht zu lokalisieren. Mehrere Bereiche kommen dafür in Frage.

Mit dem 11. Jahrhundert beginnt der Prozess der Errichtung einer Vielzahl von Burgen des Lokalen Adels, die das gesamte Gebiet überziehen. Konzentrationen dieses Prozesses, die auch von Ortsgründungen begleitet werden, entstehen im unmittelbaren Orlatal, vor allem zwi-schen Pößneck und Triptis.

Ausgrabungen auf Burg Ranis in den letzten Jahrzehnten ermöglichen ein gutes Bild von der Entwicklung einer solchen Burg.

In der Nähe von Weltwitz wurde eine Burganlage zum Teil ausgegraben. Dabei gefundene slawische Keramik deutet allerdings nicht auf eine genuin slawische Burg hin, da das Gebiet zu dieser Zeit bereits unter deutscher Herrschaft stand. Sie war wohl ein früher weit nach Westen vorgeschobener militärischer Posten Saalfelds.

In der Nähe von Burg Ranis konnte eine kleine Wüstung zu einem großen Teil ausgegraben werden. Sie beginnt mit einem slawischen Weiler und reicht bis zu einem Bau des 14. Jahr-hunderts mit Steinfundament. Ein dazwischenliegender großer Hiatus konnte nicht erkannt werden.

Der Höhepunkt der Entwicklung des Landesausbaus im Orlagau wird im 12. Jahrhundert erreicht. Er geht zu diesem Zeitpunkt bereits weit über den alten Orlagau hinaus. In der Folge setzt eine Entwicklung ein, die zu einer Aufteilung der Herrschaft führt, an der neben kleine-ren Herrschaften vor allem die Herren von Lobdeburg und von Gera beteiligt sind. Mehrere

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archäologische Forschungen im Gebiet von Neustadt a. d. Orla haben Probleme dieser Prozes-se aufgedeckt. Ausblick – Zentralisierung und Stadtbildung

Die folgenden Ausführungen sind fortlaufend gestaltet. Um dem Leser die Möglichkeit zu bie-ten, sie zusammenhängend zu lesen, konnte nicht auf Wiederholungen verzichtet werden, die es erlauben, den Text ohne größere Unterbrechungen zu verfolgen.

Die Entwicklung des hochmittelalterlichen Landesausbaus in der Germania Slavica Thu-ringiae östlich der Saale unter deutscher Herrschaft vom 9./10. bis 12./13.  Jahrhundert er-folgt sowohl in quantitativer Hinsicht relativ kontinuierlich als auch in qualitativer Hinsicht in deutlich unterschiedenen Etappen. In den diesen Etappen zugrunde liegenden Prozessen kommt eine Einheit von Tradition und Innovation zum Tragen, die auf entscheidenden wirt-schaftlichen, politischen und geistigen Veränderungen beruht.

Dabei können zwei grundsätzliche Etappen unterschieden werden: In einer ersten Etappe zwischen dem 9./10. und 11. Jahrhundert zeigen sich diese zu einer neuen Qualität hinführen-den Prozesse eher punktuell. In der zweiten Etappe zwischen dem 11. und 12./13. Jahrhundert kommt es zu flächendeckenden Entwicklungen auf innovativem Gebiet.

Es ist zu untersuchen, ob diesen beiden Etappen des Landesausbaus unter deutscher Herr-schaft eine dritte Etappe in der Zeit des genuin slawischen Landesausbaus vorangeht. Beide Etappen der Entwicklung unter deutscher Herrschaft wiederum können – grob nach Jahrhun-derten unterteilt – in einzelne Phasen gegliedert werden.

Im 9. Jahrhundert, vor allem gegen Ende des Jahrhunderts, ist in Thüringen östlich der Saa-le eine Vorbereitung des Landesausbaus unter deutscher Herrschaft zu verzeichnen. Das Be-stehende wird konsolidiert und ausgebaut und es werden Grundlagen für neue Prozesse ge-schaffen. Diese erfassen in ersten Vorstößen nur wenige Territorien des bis dahin von Slawen besiedelten Gebietes der Zone I der Germania Slavica Thuringiae.

Im 10. Jahrhundert – vor allem in der zweiten Hälfte – werden punktuelle Herrschaftszent-ren installiert, von denen aus die weiteren Prozesse geführt werden. Im 11. Jahrhundert voll-ziehen sich in der Germania Slavica Thuringiae östlich der Saale grundlegende Umwälzun-gen auf wirtschaftlichem, politischem und geistigem Gebiet mit nachhaltigen Wirkungen. Im 12./13. Jahrhundert werden diese Prozesse konsolidiert und vollendet.

Diese Entwicklung vollzieht sich anfangs im Pleißengau, Geragau/Nördliches Vogtland und Orlagau unterschiedlich. Im 13. Jahrhundert kommt es zwischen diesen Territorien zu einer relativen Einheitlichkeit. Das betrifft auf wirtschaftlichem, politischem und geistigem Gebiet des flächendeckenden Landesausbaus vor allem:

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– die Herausbildung der Landesherrschaft in Einheit von Gesamtherrschaft und loka-ler Herrschaft

– die Vollendung der Herausbildung des Christentums gegenüber der vorchristlichen Religiosität; die geistige Macht der vollständig von oben nach unten institutionali-sierten Kirche

– eine effektive landwirtschaftliche Bewirtschaftung als Hauptträger der Wirtschaft in Einheit mit Handel, Handwerk und Gewerbe

– die Herausbildung früher Städte als eine entscheidende Innovation, die die folgenden Prozesse grundsätzlich prägt.

Die zu dieser Entwicklung führenden Prozesse können auch im Untersuchungsgebiet bis in das frühe Mittelalter zurückverfolgt werden und wurzeln entscheidend in Entwicklungen, die mit dem Landesausbau der Slawen in Zusammenhang stehen.

Es ist an dieser Stelle nicht beabsichtigt und möglich, diese Prozesse in ihrer Gesamtheit herauszuarbeiten und anhand archäologischer, mediävistischer und onomastischer Quellen im Einzelnen zu belegen. Deshalb soll exemplarisch für eine Gesamtsicht die Entwicklung im Pleißengau, die zu den frühen Städten hinführt, herausgestellt und mit dem Geragau/Nörd-lichen Vogtland und Orlagau verglichen werden. Sie stellt die entscheidende Innovation dar und umfasst alle anderen Prozesse.

Eine interdisziplinäre Sicht auf die zu den Städten führenden Entwicklungen verlangt eine neue Herangehensweise an die Kriterien, die eine Stadt ausmachen, wie sie in den Jahrzehnten nach 1945 herausgearbeitet wurden. Erst auf dieser Grundlage können von den beteiligten Wissenschaftsdisziplinen die Prozesse erkannt und dargestellt werden, die zur voll entwickel-ten Stadt führen.

Die Altmeisterin der europäischen Stadtgeschichtsforschung, Edith Ennen, schreibt im Vor-wort zur vierten Auflage ihres Standardwerkes Die europäische Stadt des Mittelalters 1986 zu-sammenfassend:

Wurde das Phänomen Stadt ursprünglich vor allem unter rechtshistorischem Aspekt betrach-tet, so ist diese Sicht heute einem interdisziplinären Blick auf ein Bündel von Kriterien gewi-chen, die eine Stadt ausmachen. Evamaria Engel stellt dazu 1993 fest:

Besondere Beachtung bei der Untersuchung des zur mittelalterlichen Stadt hinführenden We-ges findet dabei immer stärker der auch von Evamaria Engel ausdrücklich hervorgehobene Begriff der Zentralität eines Ortes auf politischem, wirtschaftlichem und geistig-religiösem Gebiet.

Eberhard Isenmann stellt das Unterkapitel 6.1. in seiner inzwischen zum Standardwerk gewordenen Arbeit Die deutsche Stadt im Mittelalter in der stark überarbeiteten Auflage von 2012 unter das Thema: „Stadt-Land-Beziehungen und Zentralität“. Er hebt dabei vor allem die Bedeutung hervor, die dem Umland zukommt und erst die Zentralität der Stadt ermög-lichen:

Dazu arbeitet er 4 Bereiche heraus, in denen die Stadt-Land-Beziehungen und Zentralität wir-ken: Der politisch-administrative Bereich, der wirtschaftliche Bereich, der demografisch-sozi-ale Bereich und der kultisch-kirchliche sowie kulturelle Bereich. „Zentralität, Stadt-Land-Be-ziehungen und städtische Territorialbildung sind in noch umfassendere räumliche Einheiten und wissenschaftliche Ordnungsmodelle eingebunden.“4

Dem Begriff der Zentralität, sowohl bezogen auf einen bestimmten Ort als auch auf begrenz-te Räume, wurde in den letzten Jahrzehnten größere Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei wurde immer mehr deutlich, dass mit der Zentralität ein vielschichtiges Netz räumlich und zeitlich verbundener Prozesse erfasst werden kann und muss.

Vom 23. bis 25.11.1993 wurde am Forschungsschwerpunkt „Geschichte und Kultur Ost-mitteleuropas“ in Berlin eine Tagung zum Thema „Burg – Burgstadt – Stadt“ durchgeführt. Die Beiträge wurden unter dem gleichen Titel 1995 durch Hansjürgen Brachmann publi-ziert.5 Slawomir Mozdzioch vom Institut für Archäologie und Ethnologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Wrocław legte dort seine Meinung zum Problem der Zentralität in Bezug auf die „Genese der Lokationsstädte in Polen“ dar und entwickelte in Bezug auf die „zentralörtlichen Funktionen der Stadt“, die seiner Meinung nach „alle Lebensbereiche berühren“ und in 6 Punkten zusammengefasst werden können, „idealisier-te Modelle der Zentralorthierarchie“. Bei seinen „Modelle(n) der Raumorganisation der Plätze mit zentralörtlichen Funktionen“ arbeitet er eine Entwicklung heraus, die in drei Etappen unterteilt werden können: a) 9.–10. Jahrhundert b) 11.–12. Jahrhundert und c) 13.–14. Jahrhundert.6

1995 und 1997 führte dieses Institut in Bytom Tagungen zu diesem Problemkreis durch.7Eike Gringmuth-Dallmer und Slawomir Mozdzioch haben dort, ausgehend von W. Christaller (1933), den Begriff der zentralen Orte definiert und ihre Ansichten dazu in mehreren Schemata dargelegt.8

Für die ur- und frühgeschichtliche Zeit nennt Gringmuth-Dallmer 5 überörtliche Funktionen: Herrschaft; Schutz; Rohstoffgewinnung; Handwerk/Gewerbe; Handel; Kult.10 Damit schlägt Gringmuth-Dallmer einen Bogen von der Ur- und Frühgeschichte zum „Funktionsbündel“, das eine mittelalterliche Stadt kennzeichnet.

Im Folgenden versucht er, auf dieser Basis ein Modell für eine hierarchisch gegliederte Sied-lungsstruktur zu schaffen, in das die 5 genannten Funktionen eingepasst werden. Davon aus-gehend kommt er zu 4 Schichten des Siedlungsnetzes: Eine erste Schicht stellen seiner Mei-nung nach solche Orte dar, die selbstgenügsam (autark) sind. Zu einer zweiten Schicht gehören die Orte, die einzelne zentrale Funktionen besitzen. Die dritte Schicht bilden diejenigen, die über mehrere zentrale Funktionen verfügen. Die vierte und damit höchste Schicht schließlich bilden diejenigen Orte, die über alle bzw. fast alle Funktionen verfügen „und damit mehr sind als die Summe der zweiten bzw. dritten Ebene.“11

Die so gewonnenen Erkenntnisse fasst er in jeweils einem vertikalen und einem horizonta-len Schema zusammen. Zusammenfassend schafft er ein Modell A „Hierarchische Siedlungs-struktur mit sich überschneidenden zentralen Funktionen“ und ein Modell B „Siedlungs-struktur mit sich deckenden zentralen Funktionen“.12 Für das Mittelalter stellt er heraus: „5. Im Mittelalter ist eine zunehmende Komplexität bei den zentralen Orten zu beobachten, die letztlich in die Stadt einmündet …“13

Wendet man diese Schemata nicht starr sondern differenziert auf die jeweiligen Entwick-lungen an, bilden sie eine gute methodische Grundlage für die Untersuchung derjenigen Pro-zesse, die den Weg hin zur frühen Stadt auch im Untersuchungsgebiet der Germania Slavica Thuringiae bilden. Dabei wird allerdings deutlich, dass diese Schemata in Räume und Zeiten unterschiedlich einzupassen sind.

Das gestiegene Interesse der Fachwelt an der Zentralortproblematik spiegelt auch die 2007 erschienene Festschrift für Eike Gringmuth-Dallmer zu dessen 65. Geburtstag wider.14 Meh-rere Autoren gehen explizit auf den Artikel Gringmuth-Dallmers von 1999 ein.

Bernd W. Bahn widmet sich dem Thema vor allem aus der Sicht der Verkehrswege, der zen-tralen Verkehrsstraßen.15 Er kritisiert eine unkritische Übernahme des Begriffes Zentralort aus der ökonomischen Geografie und führt aus:

Dabei betont er ausdrücklich, dass es ein Wechselverhältnis von zentraler Lage und überge-ordneten Strukturen gibt. Abschließend stellt er die Frage nach zentralen Trassen und stellt fest: „Zentralität und Peripherie, überregionale Verkehrswege, Kontakträume und wirtschaft-lich-kulturell stagnierende Siedlungsinseln bleiben Themen der Siedlungsforschung“.17

2011 baut E. Gringmuth-Dallmer seine Auffassung zur Hierarchisierung der zentralen Orte weiter aus.

Diese Systematisierung wendet er auf den nordwestslawischen Raum an. Als Oberzentrum erfasst er hier solche Orte, wie Starigard/Oldenburg, Brandenburg/Havel, das Gebiet der Lieps bei Neubrandenburg und Parchim-Löddigesee. Dabei arbeitet er heraus, dass Oberzentren so-wohl nur einen Platz einnehmen können, dass aber auch einzelne Kriterien außerhalb des Platzes liegen können, während für das Gebiet der Lieps die Funktionen auf mehrere Inseln verteilt sind.

Für Mittelzentren führt er die Anlage im Kastorfer See, die Inselsiedlung bei Pastin und Dudinghausen an.

„Unterzentren lassen sich bisher nur im gewerblichen Bereich sicher belegen“.19 Solche Orte sind z. B. Plätze der Salz- und Mahlsteinproduktion, der Eisengewinnung, der Kammproduk-tion, der Töpferei und der Produktion von Pech/Teer. Für Orte der Mühlsteinproduktion stellt er fest, dass es sich auch um Dienstsiedlungen handeln kann, die vom eigentlichen Zentrum entfernt sind und so kein eigentliches Unterzentrum darstellen. „Auf den Paditzer Schanzen erfolgte die Bearbeitung sogar direkt im Burgwall, womit die Anlage bereits zu den Mittel-zentren gehören würde.“20 Leider verfolgt er hier nicht die zuvor geäußerte Möglichkeit weiter, dass auch die Paditzer Schanzen mit ihrer Mühlsteinproduktion zu einem anderen Zentrum (Altenburg) gehören könnten, was in diesem Fall m. E. zutrifft.

Für die von ihm herausgearbeiteten Ober-, Mittel- und Unterzentren entwickelt er einzelne Schemata, die er in Abbildungen darstellt. Anschließend geht er der Frage nach, „ob sich die zugrundegelegten Kriterien einer Hierarchisierung auch in geschlossenen räumlichen Einhei-ten nachvollziehen lassen.“21 Beispielhaft ist für ihn der Raum Wolin mit seinem Umland.

Bezüglich des chronologischen Aspekts führt er aus:

M. E. überbetont Gringmuth-Dallmer hier den Aspekt des zweifelsohne vorhandenen Bevöl-kerungswachstums und beachtet zu wenig den Aspekt der Zunahme der Arbeitsproduktivität und die Wechselwirkung zwischen diesen Faktoren. Am Schluss seines Aufsatzes stellt er zu-sammenfassend fest: „In jedem Fall aber bleibt die Hierarchisierung der Zentren und damit der Siedlungen generell ein wichtiges Ziel der Forschung, das auch für andere Zeiten ange-strebt werden sollte.“23

Im Katalog zur Ausstellung „Eine Welt in Bewegung. Unterwegs zu Zentren des frühen Mittelalters“ 2008 in Paderborn und Würzburg legt Peter Ettel in seinem Einführungs-artikel unter dem Thema „Zentralorte im frühen Mittelalter zwischen Alpen und Ostsee“ seine Sicht zur Zentralortproblematik dar.24 Der Begriff des Zentralortes umfasst seiner Meinung nach, W. Christaller1933 und D. Denecke 1973 darin folgend, eine Mittelpunkts-funktion und eine Bündelung von Funktionen: „politische und administrative Funktionen und Einrichtungen, Einrichtungen des Rechtswesens, Schutzfunktionen und strategische Einrichtungen, kultische und kulturelle Einrichtungen, Versorgungsfunktionen und Ein-richtungen des Agrarwesens, Handwerk, Gewerbe und Handel sowie Einrichtungen des Verkehrs.“25

Auf dieser Basis „können unterschiedliche Typen von Zentralorten für die spätmerowingi-sche, karolingisch-ottonische Zeit herausgestellt werden.“ Dazu gehören „Burgen mit Mittel-punktsfunktion und überregionalem Charakter …, der nicht nur auf den militärischen Bereich beschränkt bleibt, sondern mit ökonomischen und kirchlichen Funktionen kombiniert sein kann“26 Von besonderer Bedeutung sind in diesem Sinne Vorburgen, die die Funktion einer ge-werblichen Siedlung ausfüllen und mit privilegierten Marktorten verglichen werden können. Des Weiteren gehören dazu Königshöfe oder Pfalzen mit Wirtschaftsbauten und kirchlichen Einrichtungen, Klöster, die ihrerseits auch wichtige ökonomische Funktionen erfüllen, Han-delsniederlassungen mit vorstädtischem Charakter und Handelsplätze an der Nord- und Ost-see. „Oft entwickelten sich aus diesen Zentralorten frühe stadtartige Siedlungen mit Handwer-kern, Kaufleuten und Kriegern.“27 Besonders wichtig erscheint mir dabei sein Hinweis, dass nur wenige dieser Zentralorte sich kontinuierlich zu späteren Städten entwickeln und dass es vor allem aus politischen Gründen, wie z. B. Zerstörungen oder Mobilität der Führungseliten, zu Verlagerungen kommen kann.

Unter dem Thema „Zentrale Orte und zentrale Räume des Frühmittelalters in Süddeutsch-land“ fand 2011, getragen von der Friedrich-Schiller-Universität Jena und dem Römisch-Ger-manischen Zentralmuseum Mainz, in Bad Neustadt a. d. Saale eine Tagung statt, auf der aus verschiedenster Sicht Prozesse herausgearbeitet wurden, die die Zentralität eines Ortes aus-machen und letztlich zur Stadt des Mittelalters hinführen können.28

In mehreren Diskussionsbeiträgen wurde dargestellt, dass die Schemata von Gringmuth-Dallmer im oben genannten Sinne eine gute Grundlage bilden. In seinem einführenden Bei-trag arbeitete Peter Ettel 6 Typen von Zentralorten heraus:29

I. Städte

II. Pfalzen/Burgen

III. Bistumssitze

IV. Königshöfe und Klöster

V. Adelssitze, frühe Adelsburgen

VI. Ländliche Zentren.

Vor allem dem letzteren Problem, d. h. der Herausbildung und Funktion ländlicher Zentren, schenkten mehrere Diskussionsredner erhöhte Aufmerksamkeit.

Es wurden zahlreiche Problemkreise behandelt, die überregionale Bedeutung haben, wie z. B.

– die überregionale Zentralität von Königshöfen bezieht sich vor allem auf die Aufent-halte der Könige (Lukas Werther)

– die Zentralität einer Siedlung bezieht sich auf deren Funktion und nicht auf die Sied-lung an sich (Andreas Dix)

– die Zentralität ländlicher Zentralorte wird vor allem durch Märkte, kleine Klöster oder Pfarrkirchen bestimmt (Thomas Liebert)

– Zentrale Räume bilden sich in der Germania Slavica in Kontaktgebieten von Ost und West im Zusammentreffen von zwei Kulturen (Hans Losert)

– Es gibt enge Zusammenhänge von Zentralorten/Zentralräumen und Verkehrszent-ren z. B. am Wasser (Mathias Hensch)

Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, das Problem der Zentralität anhand der genannten Problemkreise in Bezug auf Orte und Räume im Pleißengau zu untersuchen und Wege aufzuzeigen, die hier zu den frühen mittelalterlichen Städten führen.

Im Einzelnen handelt es sich dabei im Pleißengau, Geragau/Nördlichen Vogtland und Or-lagau anfangs offensichtlich nur um jeweils ein zur frühen Stadt hinführendes Zentrum, und zwar die Orte Altenburg, Gera und Saalfeld, zu denen erst später weitere städtische, vor allem aber ländliche Zentren hinzukommen. Die genannten drei Städte entwickelten sich – am Be-ginn dieser Prozesse in mehrfacher Hinsicht aus dem sie unmittelbar umgebenden ländlichen Milieu herausgehoben – in stabilen Umfeldern mit weiteren ländlichen Zentren.

Das östlichste frühe Zentrum in der Germania Slavica Thuringiae ist Altenburg. Die zur Stadt hinführende Entwicklung vollzieht sich hier – was zu beweisen ist – vom 8. bis 12. Jahr-hundert in drei Etappen.

Die erste Etappe umfasst die genuin slawische Periode vom 8. bis 10. Jahrhundert. Nach un-seren bisherigen Erkenntnissen wird das erste Zentrum slawischer Herrschaft und slawischen Landesausbaus hier schon relativ zeitig nach der Einwanderung im 8. Jahrhundert geschaffen.

332

Spätestens im 9. Jahrhundert wird in Altenburg eine Burg errichtet, die den Mittelpunkt eines slawischen Burgbezirkes darstellt, zu dem eine Reihe Siedlungen im Umland gehören. Die-se Burganlage besitzt eine zentralörtliche Funktion in politischer, wirtschaftlicher und wohl auch geistiger Hinsicht.

In seiner Arbeit über Die Anfänge der Stadt Chemnitz , in der er das siebente Kapitel der Entwicklung von Altenburg zur staufischen Reichsstadt widmet, verfolgt Walter Schlesinger die schriftlichen Quellen – und nur auf diese geht er mit Bemerkungen zu den onomastischen Quellen ein – bis auf die Urkunde von 976.30 Da im Zeitraum von der slawischen Landnahme bis 976 keine schriftlichen Quellen vorliegen, bezieht er diese Zeit nicht mit in seine Ausfüh-rungen ein.

In seiner Arbeit Die Verfassung der Sorben geht er auf die besondere Bedeutung der Burgen ein, die in den zeitgenössischen Quellen civitates genannt werden.31 Er stellt fest, dass die Ver-fassung der slawischen Stämme „herrschaftlich geordnet war … Eine zentrale Stellung in der Landesverfassung hatten die Burgen inne … Das in den lateinisch geschriebenen Quellen für die Burg verwendete Wort ist civitas.“32

Anschließend behandelt er die sich daraus ergebende Rolle der slawischen Burgbezirke: „Man wird dies so zu erklären haben, daß bei den Slawen die Burg Mittelpunkt eines zu-gehörigen Landbezirks war … Wir haben also mit einer durchgehenden Gliederung der Siedlungsgebiete der einzelnen Stämme in Burgbezirke zu rechnen.“33 Dabei sieht er aus-drücklich einen Zusammenhang von Landschaften und zentralen Orten: „Namensüber-einstimmung zwischen Landschaftsnamen und Namen eines zentralen Ortes kommt öfter vor“.34 In diesem Zusammenhang führt er als Beispiel ausdrücklich „Plisni“ als Bezeich-nung für einen zentralen Raum und „Plisne“ als Bezeichnung für die Hauptburg des Rau-mes auf.

Schlesinger ist damit der Erste, der ausdrücklich auf den Zusammenhang von zentralen Räumen und zentralen Orten in der Germania Slavica Thuringiae östlich der Saale hinweist und als markantes Beispiel dafür auf Altenburg eingeht. Damit führt er die Zentralortproble-matik für Altenburg über die Erstnennung 976 hinaus.

Wir gehen heute zu Recht mit G. Billig davon aus, dass sich die Bezeichnung civitas für Altenburg 976 auf einen Burgwardmittelpunkt bezieht.35 Auf diesen Zusammenhang hat Schlesinger bereits in seiner 1954 erstmals veröffentlichten Arbeit Burg und Stadt hingewiesen: „Burgwardmittelpunkte heißen in der Folgezeit häufig civitas“.36

Wenn Altenburg damals aber bereits als eine alte Burg bezeichnet wird, ist es legitim, davon auszugehen, dass dieser Burgwardmittelpunkt auf einen slawischen Burgbezirk zurückgeht, für den ebenfalls die Bezeichnung civitas zutreffend ist. Damit muss die Zentralortproblema-tik, die den Weg zur frühen staufischen, mittelalterlichen Stadt Altenburg bereitet, bis in die Zeit des slawischen Burgbezirkes zurückgeführt werden.

Kennzeichnend für die Zentralort-/Zentralraum-Funktion von Altenburg in der Zeit der slawischen Herrschaft zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert sind vor allem:

– der Zentralort – die civitas – Altenburg in Gestalt einer Burg, die den Sitz der Herr-schaft als Burgbezirksmittelpunkt markiert. Eine dazugehörige Vorburgsiedlung konnte noch nicht archäologisch gefasst werden. Es muss bislang offenbleiben, ob die relativ große Burganlage eine befestigte Siedlung einschließt oder ob die 976 ge-nannte „Podegrodici“-Siedlung bereits auf eine ältere slawische Siedlung zurückgeht

– eine bisher allerdings nicht in Altenburg selbst, sondern im nahen Burgareal auf den Paditzer Schanzen durch archäologische Funde und Befunde nachgewiesene wirt-schaftliche Zentralfunktion des Ortes gegenüber dem Umland.

– ein stabiles, in sich geschlossenes wirtschaftliches Umfeld der Burg in Form mehrerer Siedlungen mit landwirtschaftlicher Produktion und Haushandwerk

Nach der bisherigen Erkenntnis muss rein spekulativ bleiben, ob die slawische Burg auch ein geistig-religiöses Zentrum dargestellt hat. Es gibt im gesamten slawischen Burgbezirk keine archäologischen Spuren von Kult. Beispiele aus anderen Gebieten der Germania Slavica weisen darauf hin, dass der Kult in slawischer Zeit offensichtlich stark mit Idolen aus Holz verbunden war, für die es auf dem Altenburger Burgberg außer in verkohlter Form keine Erhaltungsmög-lichkeiten gibt.

Mehrere Deutungsmöglichkeiten in Bezug auf die Zentralortfunktion ergeben sich aus der Tatsache der gleichzeitigen slawischen Burganlage auf den Paditzer Schanzen, die offensicht-lich mit einer spezialisierten Mühlsteinproduktion zusammenhängt. Es kann davon ausgegan-gen werden, dass diese Burg in Hinsicht der Herrschaft dem Zentralort Altenburg zuzuordnen ist, von dem sie ausschließlich lokal getrennt ist. Dagegen spricht die Entfernung von ca. 3km, die für diese Zeit eine erhebliche Entfernung darstellt. Dafür spricht die Tatsache, dass sich hier der wohl nächste abbau- und verarbeitungsfähige Rohstoff befand und dass der nächste schiffbare Fluss, die Pleiße, aus deren Namen sich ja Altenburg ergibt, nur an wenigen anderen Stellen, auf die der erstgenannte Faktor aber nicht zutrifft, näher an Altenburg vorbeifließt.

Tatsache ist bei allen offenen Deutungsmöglichkeiten, dass sich das wirtschaftliche Zentrum auf den Paditzer Schanzen innerhalb des slawischen Burgbezirkes mit seiner Mittelpunkts-burg Altenburg befindet und somit eindeutig zum slawischen Zentralraum Altenburg gehört. Zu einem Herrschaftszentrum hätte sich die Burg auf den Paditzer Schanzen aufgrund ihrer Lage in Bezug auf die zum Burgbezirk gehörigen Siedlungen nicht geeignet.

Die slawische Burg auf dem Altenburger Burgberg besitzt damit vor allem einen Funktions-überschuss in Bezug auf politische Herrschaft. Ein solcher besteht in Bezug auf Wirtschaft, Handwerk und Handel in Paditz. Ein Funktionsüberschuss in Bezug auf das geistig-religiöse Leben kann archäologisch nicht nachgewiesen werden, ist aber hypothetisch anzunehmen. Al-tenburg stellt für die genuin slawische Zeit zusammen mit seinem Umland vom 8. bis 10. Jahr-hundert einen Zentralort in einem Zentralraum dar.

Die zweite Etappe der zur frühen Stadt hinführenden Zentralort/Zentralraum-Funktion be-ginnt mit der deutschen Herrschaft nach der Mitte des 10. Jahrhunderts und reicht bis zum Beginn des 12. Jahrhunderts.

Wie bereits ausführlich dargelegt, wird Altenburg 976 erstmals als civitas mit dazugehöri-gen Orten im Pleißengau genannt und ist damit als Mittelpunkt eines deutschen Burgwards erkennbar. Neben den archäologisch für diese Zeit fassbaren slawischen Siedlungen sind nach der Urkunde auch erste deutsche Gründungen zu verzeichnen, die allerdings in der absoluten Minderzahl verbleiben.

Die genannten Orte liegen wie Altenburg selbst im Gebiet des ehemaligen slawischen Burg-bezirkes, über den der neu geschaffene deutsche Burgward nicht hinausgeht. Der slawische Burgbezirk mit seinem Mittelpunkt wird übernommen und in einen deutschen Verwaltungs-bezirk unter königlicher Herrschaft, den Gau Plisina, mit Zentralort Altenburg, das castrum Plysn, überführt.

Der Pleißengau befindet sich im Besitz des Kaisers Otto II., von dem er an die Zeitzer Kirche geschenkt wird. Das 968 geschaffene Bistum mit seinem Zentralort Zeitz fungiert damit als Oberzentrum. Es wird allerdings in der folgenden Entwicklung nicht erkennbar, inwieweit diese Schenkung wirksam wird. 1064/1065 wird Altenburg im Verzeichnis der Königshöfe ge-nannt und taucht von da ab stets wieder in königlichem Besitz auf.

Um die Mitte des 11. Jahrhunderts wird, wie dargelegt, im ca. 15 km von Altenburg ent-fernten Schmölln ein Kloster gegründet.37 Die Karte zeigt, dass diese Gründung am Rand des damals besiedelten Gebietes erfolgt. Der archäologische Befund deutet zwar darauf hin, dass dieses Kloster wirklich errichtet wird, aber es findet keine weitere Erwähnung. Es muss dem-nach davon ausgegangen werden, dass es nur sehr kurze Zeit existiert hat. Die Gründe dafür liegen offensichtlich in der fehlenden Infrastruktur. Schmölln mit seinem Umland besitzt im 11. Jahrhundert noch keine Bedingungen für die Einrichtung eines Zentrums mit Funktions-überschuss gegenüber dem Umland.

Die Urkunde von 976 nennt neben dem Burgwardmittelpunkt Altenburg die selbständige Siedlung Podegrodici, den slawisch benannten Ort der Burgleute unter der Burg. Im Bereich des Brühls lässt sich für das 12. Jahrhundert ein Siedlungskern nachweisen, dessen Entstehung wohl bis zum Ende des 11. Jahrhunderts zurückreicht. Wenn wir mit Walter Schlesinger davon ausgehen – was noch darzustellen ist –, dass sich im Bereich der Nikolaikirche das frühe kirch-liche Zentrum von Altenburg befindet, liegt hier ein weiterer Siedlungskern. Auch hier konnte anhand von archäologischen Siedlungen eine Bebauung des 12. Jahrhunderts nachgewiesen werden, deren Ursprünge wohl in den Anfang des Jahrhunderts bzw. das Ende des vorher-gehenden zurückreichen. Damit existieren in der zweiten Etappe der Zentralortfunktion von Altenburg um die Burg mehrere Siedlungskerne.

Auf der zweiten Etappe der zur Stadt hinführenden Entwicklung des Zentralortes Altenburg ist dieser:

– das Zentrum eines unter königlicher Oberherrschaft stehenden Verwaltungsbezir-kes, eines Burgwards. Sein politischer Funktionsüberschuss gegenüber dem Umland, dem Pleißengau, wurde ausgebaut und hat sich damit stabilisiert. Er befindet sich in königlichem Besitz und ist dementsprechend in ein Reichsgefüge integriert.

– Altenburg gehört jetzt zu den Tafelgütern des Königs. Damit ist auch ein Wachstum seines wirtschaftlichen Überschusses über das umgebende Gebiet vorhanden.

– Es kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass damit auch die Entwicklung zu einem geistig-religiösen Zentrum verbunden ist, das einen Funktionsüberschuss auf diesem Gebiet gegenüber dem Umland darstellt. Im zehnten Jahrhundert kann zwar auf dem Territorium der Burg, des Burgwardmittelpunktes, archäologisch keine frühe Kirche gefasst werden; es ist aber unbedingt von ihrer Existenz auszugehen. Auf ihre Lage deuten der Friedhof aus dieser Zeit und eine jüngere Kopfnischen-bestattung hin, die sich in der Nähe der späteren Kirche befinden. Ein kirchliches Zentrum entsteht wohl im Bereich der Nikolaikirche.

– Archäologie und die Erstnennung 976 bezeugen die Existenz von Siedlungen im Pleißengau, die zu Altenburg gehören. Der Zentralort wird von stabilen Siedlungen umgeben, die in enger Wechselbeziehung zu diesem stehen. Der Versuch, durch die Gründung eines frühen Klosters in Schmölln ein weiteres Zentrum zu installieren, ist zum Scheitern verurteilt. Weitere, ländlich geprägte Orte, die eine Entwicklung zu ländlichen Zentralorten markieren, sind in dieser Zeit noch nicht erkennbar. Die Burg auf den Paditzer Schanzen hat aufgehört zu existieren.

– Um die Burg selbst entstehen zur Burg gehörige Siedlungskerne, die später eine wichtige

Funktion in der mittelalterlichen Stadt bzw. in ihrem unmittelbaren Umfeld besitzen.

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– Altenburg als Zentralort ist der politische, wirtschaftliche und geistige Mittelpunkt einer frühen Zentralregion, des Pleißengaues. Das Territorium ist in sich geschlossen und nur in Richtung des Oberzentrums Zeitz offen.

– Mit der Errichtung der, wenngleich zu Anfang auch nur punktuellen, deutschen Herr-schaft beginnt ein länger andauernder Prozess der Durchdringung zweier unterschied-licher Kulturen, als dessen Ergebnis etwas völlig Neues auf politischem, wirtschaft-lichem und geistig-kulturellem Gebiet entsteht. Diese Entwicklung ist eine wichtige Voraussetzung zur Konsolidierung des Pleißengaues als Zentralraum in dieser Zeit.38Die dritte Etappe der Entwicklung des Zentralortes/der Zentralregion hin zur frühen staufi-schen Stadt vollzieht sich in einem relativ kurzen historischen Zeitraum vom Ende des 11. bzw. dem Beginn des 12. Jahrhunderts bis zur Jahrhundertmitte. In dieser Zeit zeigen sich auf der Grundlage der in der zweiten Etappe geschaffenen Voraussetzungen Veränderungen auf allen wichtigen Gebieten mit nachhaltiger Wirkung.

1132 wird Altenburg erstmals ausdrücklich als Königspfalz, als Ort eines Hoftages von Kö-nig Lothar III., genannt.39 Der königliche Verwaltungsbezirk mit Tafelgut entwickelt sich in einem relativ kurzen historischen Zeitraum zu einem der wichtigsten Pfalzorte des Stauferrei-ches, vor allem unter Friedrich I. Barbarossa. Beginnend mit Lothar III. wird dem Pleißengau in der königlichen Politik viel Aufmerksamkeit beim Landesausbau in der Germania Slavica geschenkt. Mit Friedrich I. Barbarossa erreicht dieser Prozess seinen Höhepunkt.

André Thieme konnte die Bedeutung der noch vor 1150 geschaffenen königlichen Burggraf-schaft neuen Typs in Altenburg eindrücklich als Bestandteil der Reichspolitik darstellen. Diese Entwicklung, die zur Konstituierung des weit über das Pleißenland hinausgehenden Reichs-territoriums führte, fasst er in folgenden Punkten zusammen, die den Prozess dieser Entwick-lung verdeutlichen sollen:

A. Thieme fasst damit bis auf die rasante wirtschaftliche Entwicklung die wichtigsten Prozes-se auf politischem und geistigem Gebiet stichpunktartig zusammen, die Altenburg und das Reichsterritorium Pleißenland in dieser Zeit als Zentralort und Zentralregion kennzeichnen bzw. ausmachen.

Dem Zeitgeist folgend stellt Walter Schlesinger zwar rechtliche Probleme in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen zur Stadtwerdung in Altenburg, führt aber eine Reihe anderer Faktoren an, die den Weg zur frühen Stadt in der Mitte des 12. Jahrhunderts markieren. Das sind seiner Meinung nach vor allem die Forsten um Altenburg, welche die Basis für herrschaftliche Jagd bilden und schon zeitig einen königlichen Forstbeamten erkennen lassen; der fruchtbare Bo-den, der eine intensive landwirtschaftliche Nutzung erlaubt; der Marktverkehr mit Fernhandel an der Kreuzung zweier wichtiger Nord-Süd- und Ost-Westverbindungen; der Königshof; die Siedlung Nashusen als Ort des Nahhandels unter der Burg, die später selbst zur Stadt ent-wickelt wird; die Funktion als bedeutende Pfalz seit Lothar und nicht zuletzt eine alte Pfarr-kirche.41

Diese älteste Pfarrkirche sucht Schlesinger im Bereich der Nikolaikirche. Er bringt sie in Zusammenhang mit der Missionstätigkeit Bosos, die seiner Meinung nach auch im Ortsna-men von Buosendorf (Urkunde von 976), das bei der Nikolaikirche gelegen haben könnte, zum Ausdruck kommt.

Diese Argumentation erscheint schlüssig, auch bei Beachtung der Tatsache, dass bei jüngeren umfassenden archäologischen Untersuchungen der Altenburger Stadtarchäologie im Gelände um die Nikolaikirche keine so frühen Spuren gefunden werden konnten. Das könnte aber mit der starken späteren Überbauung des Geländes zusammenhängen.

Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass es im Bereich des Burgwardmittelpunktes auf dem Schloßberg kein zur Herrschaft gehöriges Gotteshaus gegeben haben sollte. Wenn man von der Schlüssigkeit der Annahme Schlesingers einer sehr frühen Pfarrkirche auf dem Ni-kolaiberg ausgeht, dann sollte es zum Ende des 10. bzw. zum Beginn des 11. Jahrhunderts um Altenburg bereits zwei, von ihrer Funktion her allerdings unterschiedliche Kirchen gegeben haben.

Wie umfassend der Pfarrsprengel der Kirche im Bereich der späteren Nikolaikirche zu die-sem sehr frühen Zeitpunkt gewesen ist, lässt sich schwerlich rekonstruieren. Es kann aber an-genommen werden, dass es in dieser frühen Zeit noch keine weiteren Pfarrkirchen im Pleißen-gau gegeben hat und der älteste Pfarrsprengel das gesamte Pleißenland umfasste. „Burgward und Parochie waren vielfach identisch“.43

Da der Zusammenhang zwischen Burg und Stadt in der Germania Slavica Thuringiae öst-lich der Saale kaum zu übersehen ist, hat diese Problematik schon relativ früh Eingang in die historische und archäologische Forschung gefunden.

Es war wiederum Walter Schlesinger, der sich nicht nur intensiv dieser Problematik gewid-met, sondern sie auch auf eine höhere Stufe gehoben hat. In seinem kleinen Aufsatz „Stadt und Burg im Lichte der Wortgeschichte“ untersucht er den Zusammenhang zwischen Burg und Stadt anhand typischer Begriffe des frühen und hohen Mittelalters, vorrangig im Deutschen und Slawischen, wie z. B. civitas oder gorod.44

Für den Begriff der civitas stellt er einen Bedeutungswandel im 12. Jahrhundert fest. Civitas, das bis dahin eine typische Bezeichnung für Burg bzw. Bischofssitz war, erhält jetzt die Be-deutung Stadt. „Von der Burg erhielt auch die frühe deutsche Stadt ihre Bezeichnung … Wir kämen, wenn unsere Mutmaßungen richtig wären, einem frühen Städtewesen des germanos-lawischen Raumes auf die Spur … auch die deutsche Stadt muß eine ihrer Wurzeln im Burg-flecken haben …“45

Nach Walter Schlesinger war es vor allem Karlheinz Blaschke, der sich dieser Idee sowie den Traditionen von Hubert Ermisch, Johannes Kretzschmar und Rudolf Kötzschke folgend mit den Stadtentwicklungen in Sachsen und damit auch im Altenburger Raum beschäftigte. So ist es nur folgerichtig, dass die Zusammenfassung von Schriften K. Blaschkes 1997 unter dem Titel Stadtgrundriss und Stadtentwicklung. Forschungen zur Entstehung mitteleuropäischer Städte erfolgte.46 In diesen Band wurde auch Blaschkes Schrift Studien zur Frühgeschichte des Städtewesens in Sachsen aufgenommen, die 1973 erstmals veröffentlicht worden war.47 Grund-sätzliche Ausführungen Blaschkes werden heute zurecht kritisiert.

In diesem Aufsatz führt er die Entstehung der Städte des 12. Jahrhunderts auf das Bestehen einer Fernstraße, einer Burg und einer Kaufmannssiedlung zurück. „Es wäre jedoch nicht zu jener großartigen Entfaltung des Städtewesens nach 1150 gekommen, wenn nicht gerade da-mals zwei entscheidende Entwicklungen eingesetzt hätten, nämlich einmal die deutsche Kolo-nisation und zum andern die Verleihung von Stadtrecht durch die Inhaber der herrschaftlichen Gewalt.“48 Im Prozess der „Kolonisation“ entstand seiner Meinung nach eine Arbeitsteilung zwischen bäuerlicher und städtischer Wirtschaft.

K. Blaschke untersucht diese Prozesse anhand der Entwicklung von 19 Städten vor allem in Westsachsen. Eine wichtige Quelle bildet für ihn dabei die Stadttopografie, die in den Stadt-plänen zum Ausdruck kommt. Als Ergebnis dieser Untersuchung kommt er zu dem Schluss, dass die Existenz einer Fernstraße die entscheidende Voraussetzung für die Entstehung einer Stadt war.49

Die Stadtentstehungsprozesse erfolgen seiner Meinung nach über Jahrzehnte.

Nach den heutigen Erkenntnissen sind zwar Zweifel an wesentlichen Ausführungen Blaschkes angebracht, aber sie sind – trotz aller notwendiger Korrekturen – nicht außer Acht zu lassen.

1993 wurde am Arbeitsbereich „Germania Slavica“ des Forschungsschwerpunktes „Ge-schichte und Kultur Ostmitteleuropas“ in Berlin eine internationale Tagung unter dem Thema „Burg – Burgstadt – Stadt. Zur Genese mittelalterlicher nichtagrarischer Zentren in Ostmittel-europa“ durchgeführt, deren Beiträge 1995 erschienen.53

Der Herausgeber, Hansjürgen Brachmann, umreißt die Aufgabenstellung der Tagung im Vorwort folgendermaßen:

Neben den deutschen Autoren waren es vor allem Verfasser aus mehreren Staaten Ostmit-teleuropas, die sich dem Thema aus ihrer Sicht näherten. Diese reflektierten das Thema aus Sicht der Archäologie, Mediävistik und Namenkunde, wobei neuere Ergebnisse stadtarchäo-logischer Forschungen im Mittelpunkt standen.

Hansjürgen Brachmann arbeitete in seiner Schlussbetrachtung, die vor allem der Entwick-lung Magdeburgs gewidmet war, „drei Phasen frühstädtischer Entwicklung“ heraus. Zur ers-ten Phase gehören seiner Meinung nach „Niederlassungen, die in engem Zusammenhang be-sonders mit dem Fernhandel stehen“. Als Ursache dafür, dass es sich hierbei vor allem um Seehandelsplätze handelt, sieht er primär deren multiethnische Durchdringung. Eine gleich-zeitige Entwicklung im Binnenland vollzog sich sporadisch und konzentrierte sich auf Orte, „die für Handel und Austausch günstig waren – also auf Orte, die traditionell Treffpunkte größerer Bewohnergruppen darstellten, z. B. auf Vororte von Siedlergemeinschaften, kultische Mittelpunkte, Wegekreuzungen, Flußübergänge usw.“

In der zweiten Phase bilden sich in Ostmitteleuropa frühe Burgstädte heraus, die in enger Beziehung zur Entwicklung von Märkten stehen. Diese Entwicklung vollzieht sich in den ein-zelnen Ländern Ostmitteleuropas unterschiedlich.

Diese Entwicklung, die Brachmann vor allem anhand von Magdeburg darstellt, kann durch-aus mit gewissen Einschränkungen auch auf die Entwicklung Altenburgs vom Zentrum eines slawischen Burgbezirks zur staufischen Stadt Altenburg übertragen werden.

Lässt sich vor dem 12. Jahrhundert eine Zentralortfunktion nur für Altenburg selbst bzw. in gewissem Sinne für die Paditzer Schanzen feststellen, die aber wohl mit Altenburg in engem Zusammenhang stehen, lassen sich ab dem 12. Jahrhundert auch weitere lokale Zentren her-ausarbeiten, die vor allem mit Herrschaft und Kirche in Verbindung zu setzen sind. Scheiterte um die Mitte des 11. Jahrhunderts noch der Versuch, in Schmölln mit einem frühen Kloster ein weiteres Zentrum zu installieren, so vollzieht sich die Entwicklung ländlicher Zentren jetzt vergleichsweise rasch. Diese ist vor allem verbunden mit dem lokalen Adel, der Herausbildung der Herrschaften Kleiner Herrschaftsträger auf dem Land. Diese vereinen lokale politische Herrschaft mit wirtschaftlicher Entwicklung in Form einer intensivierten landwirtschaftli-chen Produktion.

Zu Ackerbau und Viehzucht kommen in einzelnen Orten auch Mühlen als Verarbeitungs-zentren, als Zentren ländlicher Produktion, hinzu. Auf dem Land ist handwerkliche Produk-tion vorauszusetzen, die nicht nur für den Eigenbedarf produziert. Die archäologischen und mediävistischen Quellen schweigen allerdings dazu. Aufgrund von onomastischen Quellen, die auf einzelne Produktionszweige verweisen, sind solche aber anzunehmen. Die Produktion vor allem der Landwirtschaft in Form von Ackerbau und Viehzucht erfolgt für den Eigen-bedarf, für Abgaben und für den örtlichen Handel mit dem Zentrum Altenburg. Die zentrale Stellung des frühstädtischen Zentrums Altenburg hängt ihrerseits eng mit dieser Entwick-lung auf dem Land zusammen. Diese politisch und ökonomisch stabilen lokalen Zentren mit den kleinen Burgen bilden eine entscheidende Voraussetzung für die Zentralortfunktion Al-tenburgs. Aus diesen lokalen Herrschaften stechen herausragende Geschlechter, wie die der Reichsministerialen in Nöbdenitz-Posterstein oder Tegkwitz-Starkenberg, heraus.

In engem Zusammenhang mit dieser politischen und wirtschaftlichen Entwicklung voll-zieht sich eine solche auf geistig-religiösem Gebiet. Um 1100 wird im Ort Altkirchen die erste Holzkirche errichtet. Nachdem diese und eine folgende abbrennen, wird 1140 eine Steinkirche gebaut. Zu deren Pfarrsprengel gehören über dreißig Orte. Altkirchen bildet mit seinem gro-ßen Pfarrsprengel ein wichtiges ländliches Zentrum.

Das dichte Netz von Orten, die sich in einem relativ kurzen Prozess im 12. Jahrhundert herausbilden, – Zeugnis davon gibt das Zehntverzeichnis des Klosters Bosau – zeigt, dass es in dieser Zeit zur Herausbildung mehrerer Parochien kommt. 1140 müssen neben Altkirchen und Altenburg selbst weitere bestanden haben, über die allerdings die schriftlichen Quellen schweigen. Es entstehen zahlreiche Kirchen, deren Baustruktur eine Entstehung in romani-scher Zeit aufzeigt.

Bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts existiert im ehemaligen Pleißengau – auf das gesamte Reichsterritorium Pleißenland wird in der Arbeit nicht eingegangen – eine frühe Stadt, die sich durch ein Bündel von Kriterien funktional von den anderen Orten des Gebietes deutlich ab-hebt. Altenburg hat sich in einem längeren historischen Prozess, dessen Anfänge in slawische Zeit verweisen, zur Reichsstadt entwickelt. Es ist das politische, wirtschaftliche und geistig-re-ligiöse Zentrum eines großen Territoriums mit entsprechendem Funktionsüberschuss.

Diese Funktion kann Altenburg nur wahrnehmen, weil es zu diesem Zeitpunkt von zahlrei-chen politisch, wirtschaftlich und geistig-religiös stabilen ländlichen Orten umgeben ist, mit denen es in einer regen Symbiosebeziehung steht. Neben dem einen städtischen Zentrum exis-tieren ländliche Zentren lokalen Grades, die wiederum gegenüber ihrer Umgebung über einen Funktionsüberschuss verfügen.

Der Landesausbau in diesem Territorium der Germania Slavica Thuringiae östlich der Saale hat funktional eine Stufe erreicht, an die im weiteren Verlauf nicht weiter angeknüpft werden kann. Das Reichsland geht in der Macht der Wettiner, der Vögte und kleinerer Herrschaften auf.

Eine mit dem Altenburger Land in vielen Punkten vergleichbare Entwicklung vollzog sich im westlich benachbarten Geragau und Nördlichen Vogtland. Auch in dieses Gebiet wander-ten – nachdem es im 7. Jahrhundert siedlungsleer war – im 8./9. Jahrhundert von Norden ent-lang der Elster kommend – im Prinzip aus dem gleichen Raum wie in Altenburg – Slawen ein, die das Territorium bis in den Landstrich unmittelbar südlich des heutigen Gera besiedelten.

343

Sie errichteten auf dem Hainberg über der Elster eine relativ große Burganlage, die offen-sichtlich den Mittelpunkt eines Burgbezirkes bildete, zu dem die Siedlungen im Tal der Elster und ihrer Nebengewässer gehörten, wie die Fundverbreitungskarte zeigt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass diese Karte kein nach Zeitstufen differenziertes Bild ermöglicht und dass bei den Fundstellen Friedhöfe überwiegen, die zum Teil vergleichsweise jung sind.

Das Gebiet war auf drei Seiten relativ geschlossen und nur flussabwärts nach Norden in Richtung Zeitz offen.

Die Burg auf dem Hainberg besaß gegenüber dem Umland vor allem einen politischen Funktionsüberschuss. Ein solcher auf geistig-religiösem Gebiet kann angenommen werden, lässt sich aber archäologisch schwer nachweisen. Ein überörtlich produzierendes wirtschaft-liches Zentrum, wie auf den Paditzer Schanzen bei Altenburg, ist im Geraer Raum zu dieser Zeit noch nicht erkennbar. Bei aller Übereinstimmung sind hier bereits Unterschiede zum Altenburger Gebiet feststellbar.

Im letzten Jahrzehnt des 10. Jahrhunderts tritt Gera, wie dargelegt, in das Licht der Ge-schichte, allerdings nicht als Ort wie Altenburg, sondern als Territorium, als terminus bzw. provintia Gera.56 Auf der Burg über der Elster lässt sich archäologisch kein deutlich wahr-nehmbarer Hiatus erkennen. Wir können also davon ausgehen, dass diese Burg auch unter deutscher Herrschaft ein Verwaltungszentrum für das umgebende Gebiet bildete. Ohne dass ein Burgwardmittelpunkt ausdrücklich genannt wird, ist von einem solchen auszugehen.

Der Begriff provincia (provintia), der 999 für Gera verwendet wird, deutet auf einen solchen Verwaltungsbezirk hin. Dabei kann aber nicht eindeutig bestimmt werden, ob es sich um den Teil eines größeren, umfassenderen Gaues handelt oder um einen solchen unmittelbar, wie die Forschung auch meint. Der Begriff provincia wird zu dieser Zeit durchaus auch anstelle des Begriffes pagus verwendet, der für Gera allerdings in jüngeren Quellen auftaucht. Nach den archäologischen Quellen ist auf alle Fälle davon auszugehen, dass es einen Verwaltungsmittel-punkt Gera mit einem politischen Zentrum gegeben hat.

In einer allerdings nicht echten Urkunde wird für 1060 ein Burgwart Langenberg genannt. Ob diese aus dem 13. Jahrhundert stammende Urkunde sich auf einen realen Sachverhalt be-zieht, ist bis heute unklar, da auf der Burg Langenberg noch keine umfassenden Ausgrabungen stattgefunden haben. Das bisher dort gefundene Material ist wesentlich jünger.

Wenn dem so wäre, ist zu klären, ob der Name Gera sich zu dieser Zeit eventuell auf Langen-berg bezogen hat oder ob es zu dieser Zeit zwei Verwaltungszentren in Nachbarschaft gegeben hat, Gera und Langenberg. 1121 wird der Zehnt aus 9 Orten im pagus Geraha dem Kloster Bosau übertragen.57 Die genannten Orte befinden sich alle östlich von Langenberg.

Das erschwert die exakte Deutung ebenso wie der Name Gera bzw. geraha, der eindeutig ein Flussname ist. Ob damit ein Abschnitt der Weißen Elster oder ein Nebengewässer in diesem Raum gemeint ist, kann nicht eindeutig bestimmt werden. Ersteres ist allerdings wahrscheinlicher.

Die Burg auf dem Hainberg besaß – abgesehen von Langenberg – zumindest ab dem 11. Jahr-hundert einen Funktionsüberschuss auf politischem Gebiet. Ansässig waren auf ihr wohl die Herren von Gera. Sie war Zentrum des Landesausbaus in diesem Gebiet und hatte damit auch eine wirtschaftliche Funktion. Eine solche auf geistig-religiösem Gebiet kann, wie in slawi-scher Zeit, nur vermutet werden. Eine frühe Kirche oder ein Friedhof, wie auf dem Altenburger Burgberg, können bisher nicht erkannt werden.

Aufgrund des bisherigen Forschungsstandes ist auch keine geradlinige, kontinuierliche Entwicklung bis zum 12. Jahrhundert nachweisbar. Erst 1121 ist Gera, wie bereits ausgeführt, wieder als Zentrum mit zahlreichen umgebenden Orten, die bis dahin im Prozess des Landes-ausbaus entstanden sind, fassbar. Es kann aber wohl zurecht davon ausgegangen werden, dass diese Orte nicht erst in diesem Jahr entstanden, sondern älter sind.

Spätestens zu Ende des Jahrhunderts wird Gera wie Altenburg von zahlreichen Orten mit deutschen und slawischen Ortsnamen umgeben. Zu dieser Zeit ist auch das Gebiet südlich von Gera, das in originär slawischer Zeit auch slawische Funde aufweist, mit einem dichten Netz von Orten mit deutschen und slawischen Ortsnamen überzogen.

Im 12. bzw. zu Beginn des 13. Jahrhunderts sind in diesen Orten Burgen des Lokalen Adels bzw. Kleiner Herrschaftsträger nachweisbar. Obwohl es von solchen Burgen, wie den Naulitzer Schanzen, auch slawische Keramik gibt, handelt es sich nicht um genuin slawische Burgen, sondern um Burgen unter deutscher Herrschaft, an deren Bau Slawen beteilig bzw. maßgebend beteilig waren, worauf auch der Ortsname Naulitz hinweist. Das bedeutet allerdings nicht, dass der auf der Burg sitzende Herr nicht Slawe gewesen sein könnte.

Ebenso, wie im Altenburger Land bzw. Pleißengau oder Reichsterritorium Pleißenland, he-ben sich auch im Geragau/Vogtland einige Burgen durch ihre besondere Bedeutung von der Masse der Burgen Kleiner Herrschaftsträger ab.

Was Gera von Altenburg grundlegend unterscheidet, ist allerdings die Tatsache, dass es hier, obwohl Gera der Lage nach dafür geeignet wäre, nie zur Entstehung einer Pfalz bzw. eines königlichen Etappenortes kommt. Zu Beginn des 12. Jahrhunderts wird südlich von Gera am Zusammenfluss von Auma und Weida, die wenige Kilometer flussabwärts in die Elster mün-det, die Osterburg errichtet, die zum Stammsitz der Vögte von Weida wird. Wenn 1209 der Bruder Heinrichs des Älteren, Vogt von Weida, ein weiteres Zentrum der Vogtsfamilie in Gera errichtet, ist wohl davon auszugehen, dass Gera ausgewählt wurde, weil es sich zu dieser Zeit bereits zu einem Zentrum mit Funktionsüberschuss entwickelt hatte.58

Der gegenwärtige Forschungsstand ermöglicht es leider nicht, festzustellen, ob bzw. wie der Ort Gera aus mehreren Siedlungen zusammengewachsen ist, wie das für Altenburg feststellbar ist. Von da ab zeigt sich Gera wie Weida, Greiz und Plauen als politisches, wirtschaftliches und geistig-religiöses Zentrum bis hin zur späteren Herrschaft der Reußen, welche die Burg Oster-stein auf dem Hainberg zu einem Residenzschloss ausbauen.

Die archäologischen und mediävistischen Quellen offenbaren, dass sich Gera im Verlauf des 12. Jahrhunderts kontinuierlich zu einem frühstädtischen Zentralort entwickelt. Wichtig da-für war wohl neben der Burg als politischem Zentrum die Lage Geras an der zu dieser Zeit schiffbaren Elster und an einer bedeutenden Nord-Süd-Verbindung, die den Fernhandel för-derte. Es ist davon auszugehen, dass es relativ früh zur Bildung eines Marktes mit Fernhandel und lokalem Handel kam. Gera war im 12. Jahrhundert von stabilen Orten umgeben, von denen sich einige mit ihren Burgen als ländliche, politische Zentren zeigten. Zu einer heraus-gehobenen Stellung unter diesen entwickelte sich Ronneburg mit seiner Lage im Grenzbereich zwischen Pleißen- und Geragau.

Wir können sicher davon ausgehen, dass auf der Burg auf dem Hainberg bereits im 11. Jahr-hundert eine Kapelle bestand, wenngleich sie bisher nicht archäologisch nachgewiesen werden konnte. Eine in den letzten Jahren durchgeführte Ausgrabung im Bereich der Geraer Johan-niskirche erbrachte Hinweise, dass ein erster Bau hier in die Zeit um 1100 gehört.59 Eine weite-re frühe Kapelle wird anstelle der heutigen Salvatorkirche auf dem Nikolaiberg vermutet. Aber auch hier wurde noch nicht archäologisch gegraben.

Rainer Müller konnte stichhaltig feststellen, dass die Veitskirche auf dem Veitsberg bei Wünschendorf, südlich von Gera, zwar nicht, wie in der lokalen Forschung behauptet, in das 10. Jahrhundert datiert, aber bereits im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts gebaut wurde.60

Eine weitere Ausgrabung im letzten Jahrzehnt in der Kirche von Dorna, heute zu Gera ge-hörig, erbrachte einen Befund, der ein Hinweis auf das Bestehen einer hölzernen Kirche sein könnte, die, sollte diese Deutung richtig sein, dann ebenfalls um 1100 errichtet worden sein müsste

Insgesamt ist aber festzustellen, dass das Vorhandensein früher Kirchen in und um Gera zwar anzunehmen ist, aber hypothetisch bleibt. Petra Weigel stellt zur Klosterlandschaft des Vogtlandes fest:

Ende des vorletzten Jahrzehnts des 12. Jahrhunderts existiert auf dem Schloss von Greiz eine hochwertige Burgkapelle.

Erst in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts ist Gera dann als voll ausgebildete Stadt erkennbar. 1224 werden urbani erwähnt, 1237 wird Gera oppidum genannt, die Einwohner als cives bezeichnet.

Eine unterschiedliche Entwicklung nehmen die beiden anderen bedeutenden Burgorte des Geragaues bzw. Nördlichen Vogtlandes, Weida und Greiz. Beide Orte gehen nicht auf slawi-sche Zentralorte zurück, sie erhalten ihre besondere Bedeutung erst unter der deutschen Herr-schaft als Orte unterhalb von Burgen mit erheblicher Bedeutung. Trotzdem wird Weida als erstes Zentrum der gleichnamigen Vogtsfamilie vor Gera zur Vollstadt entwickelt. Es taucht 1209 als civitas auf, was zu dieser Zeit als Stadt zu deuten ist. Ob die Entwicklung zur Stadt be-reits vorher abgeschlossen wurde und wie sie sich im Einzelnen vollzog, lässt sich nicht mit Si-cherheit belegen. Es kann angenommen werden, dass Weida eher zur Stadt erhoben worden ist als Gera, das zu Beginn des 13. Jahrhunderts über eine längere Tradition verfügt. Ausschlag-gebend dafür war offensichtlich der Status eines Herrschaftsortes, den ihr die Vögte verliehen hatten. Greiz dagegen wird erst 1359 als Stadt genannt. Das ist auf dem entgegenstehende Um-stände der Herrschaft selbst zurückzuführen, auf die hier nicht eingegangen werden soll.62

Ein Vergleich zwischen der Entwicklung von Altenburg und der von Gera zur mittelalter-lichen Stadt in der Germania Slavica Thuringiae lässt neben wichtigen Parallelen auch ent-scheidende Unterschiede erkennen. Die Entwicklung beider Orte zu Zentralorten mit Über-schussfunktion beginnt im 8./9. Jahrhundert mit der Einwanderung der Slawen, die aus der gleichen Richtung erfolgt. Es entstehen slawische Burgen, die Zentren slawischer Burgbezirke darstellen. Die Burgen sind umgeben von Orten, die diese Zentralfunktion erst ermöglichen. Die vorstädtischen Wurzeln für die zentralörtliche Funktion von Gera und Altenburg gehen in originär slawische Zeit zurück.

Mit der Errichtung der deutschen Herrschaft werden beide Burganlagen weiter als Verwal-tungszentren ausgebaut. Altenburg wird Mittelpunkt eines deutschen Burgwards, für Gera ist ein solcher zu vermuten. Ob es einen weiteren bei Gera-Langenberg gegeben hat, lässt sich bislang nicht mit Sicherheit nachweisen.

Ab dem Ende des 10. Jahrhunderts bis zum 12. Jahrhundert entwickeln sich Altenburg und Gera mit den Territorien, deren Zentren sie darstellen, in unterschiedlicher Intensität.

In und um Altenburg erfolgt die Entwicklung schneller und intensiver. Bereits im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts ist Altenburg ein bedeutender Pfalzort im Osten des Reiches, ein Status, den Gera nicht erhält.

Beide Städte entwickeln sich als politische, geistig-religiöse und wirtschaftliche Zentren ihres Gebietes. Das können sie nur, weil sie von stabilen Orten umgeben sind, die in Symbio-se mit den Zentren existieren. Für die Entwicklung Altenburgs hin zu einem Zentrum mit städtischem Charakter sind mehrere Siedlungskerne festzustellen. Für Gera ist das bislang so direkt nicht möglich. Um Altenburg sind früher als um Gera Orte mit ländlicher Zentra-lortfunktion zu fassen. Dabei ist allerdings stets auch die unterschiedliche Quellenlage zu beachten.

Die bedeutendere Entwicklung in und um Altenburg führt dazu, dass Altenburg sich bereits um die Mitte des 12. Jahrhunderts zur Vollstadt entwickelt hat, ein Status, den Gera erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts erreicht. Zum Vergleich ist die Entwicklung von Weida und Greiz als bedeutende Orte der Vögte hinzuzuziehen.

Eike Gringmuth-Dallmer geht ausdrücklich davon aus, dass die von ihm 1999 vorgestell-ten Schemata, die auf den 5 herausgearbeiteten Funktionen beruhen, für die ur- und frühge-schichtliche Zeit gelten. Es ist nicht Anliegen und Aufgabe dieser Arbeit, deren Anwendbarkeit auf diesen gesamten historischen Zeitraum zu prüfen.

Wenn wir allerdings die früh- und hochmittelalterliche Entwicklung von Altenburg und Gera bzw. Weida zu frühen Städten mit diesen vorgestellten Schemata vergleichen, kommen wir zu dem Schluss, dass diese – differenziert angewandt und wie bei allen historischen Er-scheinungen nach Zeit und Raum angepasst – durchaus geeignet sind, maßgebliche Entwick-lungslinien nachzuvollziehen und darzustellen. Die von ihm herausgearbeiteten 5 Funktio-nen, nämlich

– Herrschaft

– Schutz

– Rohstoffgewinnung, Handwerk/Gewerbe

– Handel und

– Kult,lassen sich sowohl im Altenburger Land als auch im Gebiet um Gera bzw. dem Nördlichen Vogtland in einem historischen Prozess vom 8. bis 12./13. Jahrhundert deutlich als Kriterien politischer, wirtschaftlicher und geistig-kultureller Ausprägung verfolgen. An ihrem Ende stehen voll entwickelte Städte in einem ländlich geprägten Raum mit Burgen, Kirchen und stabilen Orten, die in einer vielfachen Wechselbeziehung zu den Städten stehen. Dabei handelt es sich nicht um geradlinige und gleichmäßige Prozesse, bei denen am Ende stets das gleiche Ergebnis stehen muss. Es ist einer künftigen interdisziplinären Forschung vorbehalten, diese Prozesse tiefgründiger zu untersuchen und darzustellen.

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Die diesbezüglichen Entwicklungen im Orlagau mit Saalfeld sind im zweiten und dritten Ka-pitel der Arbeit relativ umfassend dargestellt worden. Das ermöglicht einen Vergleich, der als den entscheidenden Unterschied ausmacht, dass sich die frühurbane Entwicklung in diesem Gebiet wesentlich früher vollzieht und in ihren Grundzügen westsaalisch-karolingisch geprägt ist.

Es soll an dieser Stelle deshalb nur zusammenfassend zum Vergleich auf die Entwicklung Saalfelds als Zentralort mit dem Orlagau als einem Zentralterritorium eingegangen werden.

Die herausgearbeiteten drei Perioden des Landesausbaus in diesem Gebiet vom 8./9. bis 12./13. Jahrhundert sollen sich dabei auch als drei unterschiedliche Etappen der frühurbanen Entwicklung hin zur staufischen Reichsstadt im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts erweisen. Gradmesser der Zentralität sollen auch hier Herrschaft, Wirtschaft und geistiges Leben sein.

Im Gegensatz zum Pleißengau sowie Geragau/Nördlichen Vogtland erübrigt sich für Saal-feld und den Orlagau die Frage nach der Möglichkeit eines genuin slawischen Zentralortes bzw. Zentralraumes, da es hier durch das zeitige Ausgreifen der westsaalisch-karolingischen Machtkonstellation auf das Gebiet östlich der Saale nicht zu einer slawischen Burg mit zuge-hörigem Burgbezirk kommen konnte.

In der ersten Etappe dieser Entwicklung vor und nach der Erstnennung 899 in karolingi-scher Zeit tritt uns das Gefilde an der Saale zuerst als Reichsgebiet mit dem Reichshof, der curtis salauelda entgegen, die nach unrechtmäßigem Entzug Markgraf Poppo zurückgegeben wird und damit in babenbergischen Besitz gelangt.

Sowohl der Reichshof als auch der babenbergische Hof stellen im frühen Mittelalter ent-scheidende Zentren von Macht und Herrschaft im Osten des Reiches dar. Von hier geht der Landesausbau in alle Himmelsrichtungen voran. Der Ort Saalfeld mit seiner curtis ist der Herrschaftsmittelpunkt eines Territoriums, das günstiger gelegen ist als das nördliche und nordwestlich davon gelegene Gebiet um Rudolstadt und Remda, wenngleich diese wohl eher in den Landesausbau vom Westen des Reiches aus einbezogen werden.

Saalfeld und seinem Umland kommt seine hervorragende verkehrspolitische Lage entgegen. Es ist an sich kreuzenden, wichtigen West-Ost- und Nord-Süd-Verbindungen gelegen. Und auch die Saale als Wasserweg spielt eine entscheidende Rolle als Süd-Nord-Verbindung. Land- und Wasserwege bieten gute Voraussetzungen für den Fernhandel mit wichtigen Gütern. Für die Versorgung der curtis stehen Orte der Umgebung mit vorrangig landwirtschaftlich ge-prägter Produktion zur Verfügung.

Darüber hinaus ist mit einem wichtigen Export von Gütern der Montanindustrie bis zu den bedeutenden Handelszentren an der See zu rechnen, mit entsprechendem Rückhandel. Die Wälder um Saalfeld bilden gute Voraussetzungen für die Waldwirtschaft.

Wenngleich die Quellen dazu schweigen, können wir doch zurecht davon ausgehen, dass hier in einem Gebiet slawischer Besiedlung der Hof auch mit Aufgaben der Missionierung betraut wurde.

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Mit seinen machtpolitischen, wirtschaftlichen und geistig-religiösen Voraussetzungen bil-det Saalfeld einen frühen Zentralort in einem entwicklungsfähigen Gebiet. Daraus ergibt sich die Frage, ob wir hier zu dieser Zeit bereits von einem zentralen Territorium sprechen können. M. E. ist es in karolingischer Zeit bis zum Beginn des 10. Jahrhunderts schwierig, wie später, ein geschlossenes Territorium zu erkennen, das sich vom umliegenden Gebiet abhebt und den Begriff eines Zentralraumes rechtfertigen würde.

In der zweiten Etappe, welche die ottonische und salische Zeit des 10./11. bis zum Beginn des 12. Jahrhunderts umfasst, durchlaufen Saalfeld und der sich nun herausbildende Orlagau eine relativ schnelle und intensive Entwicklung. Das betrifft sowohl die Zeit der Rückgabe an das Reich als auch die Zeit der lothringischen und kölnischen Herrschaft. Durch den Besitzwech-sel ist keine Stagnation bzw. Rückläufigkeit zu konstatieren, die Prozesse des Landesausbaus mit einer weiteren Zentralisierung verlaufen relativ kontinuierlich.

Die ezzonische curtis wird zur ottonischen Pfalz mit bedeutenden Königsaufenthalten und Aktivitäten. Die überörtliche Machtposition Saalfelds im Reich wird ausgebaut und gefestigt. Saalfeld bildet einen wichtigen Verbindungspunkt zwischen den Pfalzen diesseits und jenseits des Frankenwaldes und Thüringer Waldes. Darüber hinaus erlangt Saalfeld eine unrühmliche Rolle als zweimaliger Ort einer Verschwörung gegen den Herrscher.

Die für die erste Etappe aufgeführten wirtschaftlichen Faktoren mit dem bedeutenden Fern-handel sowie der ausgebauten Land-, Wald- und Montanwirtschaft behalten ihre volle Gültig-keit und werden weiter gefestigt. Es werden ausdrücklich Markt, Waldwirtschaft und Fische-rei genannt. Ein entscheidender wirtschaftlicher Aufschwung ergibt sich durch das intensive Verhältnis zwischen Zentralort und sich jetzt herausbildendem Zentralraum, dem Land Orla bzw. dem Orlagau. Der Zentralort Saalfeld entwickelt sich in einem ökonomisch gefestigten Umland, das ab der Mitte des 11. Jahrhunderts als Orlagau bezeichnet wird.

Wenngleich auch vor dem Übergang in den kölnischen Besitz Mitte des 11. Jahrhunderts noch kein Kirchenbau nachweisbar ist, kann davon ausgegangen werden, dass zur Pfalz ein solcher gehört hat, wohl in Gestalt einer Kirche in Graba. Die jetzt direkt erwähnte Lage Saal-felds gegenüber dem slawischen Gebiet setzt eine intensive, von Saalfeld ausgehende Missio-nierung voraus.

Der Versuch der Gründung eines Chorherrenstiftes und die Gründung des Petersklosters 1071 geben der Slawenmission ein neues Zentrum. Das Kloster erhält auch Pfarrrechte. Es wer-den drei Kirchorte im Orlagau genannt, die mit weiteren zeitgleichen, wie etwa in Arnshaugk bei Neustadt a.d.Orla, den Prozess der Christianisierung in Einheit von Slawenmission und Kirchenorganisation forcieren.

Musste für die vorherige Zeitspanne noch festgestellt werden, dass der Zentralort noch nicht von einem Zentralraum umgeben war, ist dieser jetzt deutlich fassbar. Für seine Herausbil-dung sind die gleichen Faktoren erkennbar wie für die Entwicklung des Zentralortes.

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Erstens bildet sich im 10. und 11. Jahrhundert ein geschlossenes Herrschaftsgebiet, das Land Orla bzw. der Orlagau, mit Saalfeld als Zentralort heraus. Das Gebiet befindet sich im Besitz einer Macht, die ihren Stammsitz relativ weit entfernt von Saalfeld in Lothringen bzw. Köln hat. Der Orlagau ist vor allem durch geografische Gegebenheiten, die deutlich festgelegt sind, vom benachbarten Gebiet fest abgegrenzt. Innerhalb dieser Grenzen vollzieht sich ein zügiger Landesausbau, der getragen wird von deutschen und slawischen Elementen. Die Entwicklung lässt sich anhand archäologischer, mediävistischer und onomastischer Quellen nachverfolgen. Saalfeld mit seiner Burg bildet nach wie vor das Zentrum der Herrschaft. Dazu kommen ein befestigter Punkt der Macht in Ranis und eine Wallanlage bei Weltwitz, die Stützpunkte der Machtausübung vor allem in östlicher Richtung bilden. Saalfeld ist das politische Herrschafts-zentrum eines geschlossenen Herrschaftsgebietes.

Zweitens führt der Landesausbau in diesem geschlossenen Gebiet zu einem Ausbau der wirtschaftlichen Grundlagen. Saalfeld ist weiterhin ein Ort des Fern- und Nahhandels. Es bil-den sich stabile wirtschaftliche Beziehungen zwischen Zentrum und Umland heraus. Dadurch wird die Wirtschaftskraft beider Seiten gefestigt und weiterentwickelt. Dieser Prozess beruht auf einer weiterentwickelten Land-, Wald- und Montanwirtschaft sowie auf Handwerk und Gewerbe. Ein für das 12.  Jahrhundert festgeschriebenes Kölner Dienstrecht, das vor allem auch für die vorhergehende und folgende Periode gilt, bildet bereits jetzt eine entscheidende Grundlage für die wirtschaftlichen Prozesse.

Drittens entwickelt sich vor allem durch die Herrschaft des Kölner Erzbistums und die Gründung des Saalfelder Petersklosters eine stabile Kirchenorganisation im Orlagau, die wei-terhin zur Slawenmission beiträgt. Wenngleich die Quellen noch von einem halbheidnischen Gebiet sprechen, kann davon ausgegangen werden, dass der Prozess der Christianisierung weit vorangeschritten war. Der Begriff „halbheidnisch“ bezieht sich wohl in erster Linie auf die Tatsache, dass die Slawen in dieser Zeit noch auf eigenen, von der Kirche weiter entfernten Friedhöfen bestatteten und noch Grabbeigaben mitgaben.

Da das Gebiet nicht in das 968 gegründete neue Bistum Zeitz integriert wird, ist davon aus-zugehen, dass dies deshalb nicht möglich war, weil sich hier schon eine gefestigte kirchliche Macht herausgebildet hatte. Im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts werden drei Pfarrkirchen genannt; die Pfarrrechte für das Gebiet um Saalfeld werden dem Kloster übertragen.

In der dritten Etappe, der spätsalischen und staufischen Zeit im 12. und 13. Jahrhundert, werden die Prozesse der Zentralisierung Saalfelds und des Orlagaues vollendet. Am Ende der Etappe setzen Prozesse einer Dezentralisierung bzw. der Herausbildung kleinerer Zentralein-heiten ein. Saalfeld und der Orlagau werden im 12. Jahrhundert zur Zeit sowohl der Kölner Herrschaft als auch der staufischen Macht zum Ende des Jahrhunderts als Zentralort mit ei-nem Zentralgebiet weiter gefestigt. Saalfeld wird im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts zur staufischen Reichsstadt. Der Landesausbau im Orlagau mit Saalfeld als Zentrum wird durch

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das Erzbistum Köln weiter konzentriert vorangetrieben. Dabei werden durch neu im Gebiet wirkende Machtträger die ursprünglichen Grenzen weit überschritten. Davon zeugen nicht zuletzt neu entstehende Orte mit deutschen und slawischen Ortsnamen.

Die Burg auf dem Burgberg von Ranis wird – wie die Ausgrabungen zeigen – zügig ausge-baut. Im historischen Orlagau und in neu erschlossenen Gebieten werden im 12. und 13. Jahr-hundert zahlreiche kleine Burganlagen als Zentren einer lokalen Herrschaft installiert. Diese reichen von der Wysburg bei Weißbach im Westen bis Triptis im Osten des Orlagaues.

Arnshaugk bei Neustadt a. Orla wird als Sitz einer Nebenlinie von den Herren von Lobde-burg zu einem Machtzentrum im östlichen Orlagau entwickelt. Nach den bisherigen Erkennt-nissen kann davon ausgegangen werden, dass das geschieht, als der Orlagau wieder in den Besitz des Reiches gelangt ist. Die Lobdeburger standen bekanntlich dem Reich sehr nahe. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts wird durch die Lobdeburger die Linie Saalburg (zu Beginn wohl Saalburg-Burgau) mit ihrem Stammsitz in Saalburg an der oberen Saale gegründet. Ab wann die Herren von Gera an der oberen Saale in Burgk eine Anlage errichten, kann mangels Aus-grabungen bisher nicht gesagt werden. Wenige Lesefunde deuten darauf hin, dass das weit vor der Erstnennung im 14. Jahrhundert bereits im 13. Jahrhundert geschieht.

Als der Orlagau mit Saalfeld um 1180 wieder in Reichsbesitz gelangt, wird die Bedeutung als Zentralort im Reich mit einem zentralen Territorium gefestigt. Mit dem Versuch Barbarossas, den Orlagau mit Saalfeld gemeinsam mit dem Vogtland, dem Egerland und dem Pleißenland in ein zusammenhängendes Reichsland einzubinden, gewann dieser an Bedeutung für Macht und Herrschaft.

Einen bedeutenden Aufschwung auf wirtschaftlichem Gebiet erlangen Saalfeld und der Or-lagau mit dem Kölner Dienstrecht im 12. Jahrhundert, dessen Auswirkung auch noch nach 1180 anhält. Dieses Dienstrecht schafft einheitliche Voraussetzungen für ein zusammenhän-gendes, stabiles Wirtschaftsgebiet, das vor allem, wie das Dokument aussagt, auf gefestigtem Fern- und Nahhandel sowie hoch entwickelter Land-, Wald- und Fischwirtschaft beruht. Die Grundlage dafür bildet weiterhin eine stabile Landwirtschaft und eine besonders günstige Verkehrslage. Handwerk und Handel erblühen im gesamten Gebiet. Der zügig vorangetrie-bene Landesausbau mit zahlreichen neuen Orten schafft mit diesem Umland auch gute wirt-schaftliche Bedingungen für den Zentralort Saalfeld.

Wie Bauforschung und Archäologie aufzeigen können, werden im gesamten Orlagau zahl-reiche neue Kirchen errichtet. Die Kirchenstruktur kann als besonders gefestigt gelten.

In der Mitte des 13. Jahrhunderts kommt mit dem Franziskanerkloster ein neuer Klosterbau innerhalb der erweiterten Grenzen des Stadtgebietes von Saalfeld hinzu.

Ab dem 12. Jahrhundert – ein exakter Zeitpunkt dafür kann nicht genannt werden – be-statten die Slawen nicht mehr auf eigenen Friedhöfen, sondern begraben ihre Toten auf den

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regulären Kirchhöfen, die sich um die Dorfkirchen gruppieren. Die Toten können jetzt nicht mehr nach Beigaben ethnisch unterschieden werden. Die Slawenmission hat sich durchgesetzt.

Wenngleich die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen im Pleißengau, Geragau/Nördli-chen Vogtland und Orlagau unterschiedliche Entwicklungsprozesse in Raum und Zeit nach sich ziehen, ist das Ergebnis im 12./13. Jahrhundert annähernd das Gleiche. Dabei ist aller-dings nicht zu übersehen, dass sich bei allen Unterschieden die Grundlinien der Entwicklung im Pleißengau und Orlagau gegenüber dem Geragau/Nördlichen Vogtland mehr gleichen. Altenburg und Saalfeld sind bedeutende Pfalzorte im Osten des Reiches. Im 13. Jahrhundert vollzieht sich der Prozess der endgültigen Assimilierung der Slawen. Der Landesausbau hat seinen Höhepunkt erreicht.

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Quelleneditionen

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Literatur