Controversia et Confessio, Bd. 4


Vorwort

Vorwort

Der vierte Band der Quellenedition Controversia et Confessio dokumentiert eine Auseinandersetzung, die im 16. Jahrhundert in verschiedenen Phasen und Strängen sowie vielfältigen Facetten die Rolle des Gesetzes im gesellschaftlich­politischen Zusammenleben und besonders im Leben des Christen thematisierte: den Antinomistischen Streit bzw. die hierunter zu fas
senden verschiedenen Kontroversen.

Unter dem Gesetz verstand man – ganz selbstverständlich – das Gesetz Gottes, wie es in den Zehn Geboten zusammengefasst ist (Ex 20,1–17 und Dtn 5,6–21) und wie es als Naturgesetz allen Menschen ins Herz geschrieben (Röm 2,15) sei; aber nicht nur. Wenn man die Forderungen des
Gesetzes Gottes thematisierte, dachte man zugleich an das das ganze Leben und Handeln umfassende Gebot der Gottes­ und Nächstenliebe und die radikalisierende Interpretation des Dekalogs in der Bergpredigt Jesu (Mt 5,17– 48). Die in den antinomistischen Streitigkeiten diskutierten Fragen richteten sich darauf, welche Geltung das alttestamentlich bezeugte Gesetz gegenwär
tig noch haben und in welchen Lebensbereichen es Gültigkeit beanspruchen könne. Der damit angesprochene sog. politische Gebrauch des Gesetzes (usus politicus) war im Großen und Ganzen unumstritten und wurde nur dann zum Gegenstand von Auseinandersetzungen, wenn das Handeln politischer Obrigkeiten in kirchliches Leben und theologische Lehre eingriff.
Weitaus intensiver wurde diskutiert, in welcher Weise das Gesetz Gottes eine theologische Wirkung entfaltete, indem es den Menschen zu innerlicher Rechenschaft über sein Leben und zur Buße brachte. Dieser theologische Gebrauch des Gesetzes (usus theologicus) erfuhr vor allem in der Reflexion über das Zusammenwirken von Gesetz und Evangelium und der Kontro
verse über ihre unterschiedlichen Wirkweisen entscheidende Präzisieungen. Debattiert wurde darüber hinaus, ob dem Gesetz ein dritter, pädagoischer Gebrauch (tertius usus legis, usus paedagogicus) zukomme, der im Sinne einer christlichen Ethik Anleitung für Leben und Handeln gebe. All diese Fragen waren bereits in der frühen Reformation diskutiert worden, brachen
aber im Zuge des Majoristischen Streits (vgl. ) wieder auf. Unser Band dokumentiert die Antinomistischen Auseinandersetzungen an Hand ausgewählter Streitschriften für die Phase von 15561571.

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Dass dieser Band noch im Jahr 2016 im regulären Zweijahresrhythmus unserer Veröffentlichungen erscheinen kann, ist dem Einsatz vieler Kollegin
nen und Kollegen zu danken. Die Forschungsstelle, bestehend aus Dipl. Theol. Hans­Otto Schneider und Dr. Jan Martin Lies, wurde in den zurückliegenden Monaten durch PD Dr. Kęstutis Daugirdas verstärkt, der auch einen Teil der Editionsarbeiten übernommen hat. Der Verlag Vandenhoeck & Ruprecht war bereit, die Herstellung noch am Jahresende in sein Pro
gramm aufzunehmen. Auch von Seiten der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, insbesondere durch den unermüdlichen Einsatz von Anna Neovesky und Aline Deicke von der Digitalen Akademie, erfuhr das gesamte Projekt große Unterstützung. Ihnen ist zu danken, dass im Jahr 2015 die neue Website von Controversia et Confessio der Öffentlichkeit zugäng
lich gemacht werden konnte. Dieser aktualisierte Internetauftritt bietet verbesserte Recherchemöglichkeiten, aktuelle Informationen und – im open access – Zugriff auf die digitale Fassung der Edition. Sie wird weiterhin sukzessive an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel unter Mitwirkung von Timo Steyer und Claudia Hautsch erstellt und wird demnächst einen
weiteren Band der Ausgabe im Netz verfügbar machen. Hinter uns liegt – nach einer zurückliegenden siebenjährigen Arbeitsphase – eine erfolgreiche Zwischenevaluation der Projektarbeit, die im Juli 2016 eine namhaft besetzte Kommission, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz sowie die Mitglieder unserer Forschungs
stelle zu einem Evaluationskolloquium zusammenbrachte. Für die ermutigende Bestätigung unserer Forschungen und Editionsarbeiten sind wir sehr dankbar.

Mainz, den 15.10.2016 Irene Dingel