Controversia et Confessio, Bd. 4


Praetorius, De novae oboedientiae necessitate (1561) – Einleitung

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1. Historische Einleitung

In trafen mit und entschiedene Vertreter unterschiedlicher theologischer Richtungen aufeinander. Den unmittelbaren Anlass für den Beginn öffentlicher Streitigkeiten zwischen den beiden gaben dabei Predigten von am 9. und 16. Oktober 1558 (18. und 19. Sonntag nach Trinitatis), in denen er unerwartet den Frankfurter Rezess,Vgl. . den ja auch sein Landesherr, , approbiert hatte, harsch kritisierte. Insbesondere kritisierte er den Satz Nova obedientia est necessaria.Vgl. , 579. Nun war der Rezess bereits am 18. März 1558 in verabschiedet worden. Dass seine Polemik im Oktober auf die Kanzel trug, könnte motiviert gewesen sein durch die kurz zuvor von in kursächsischem Auftrag verfasste Verteidigung des Rezesses. In dem Responsum Melanthonis de censura formulae pacis Francofordianae, scripta a Theologis Wimariensibus, datiert auf den 24. September 1558,. findet sich die Passage: Und ist wahr, daß wir sagen, neuer Gehorsam sey nöthig, und ist solches wider die Antinomer gestritten, die dichten: wenn einer gleich in Sünden wider Gewissen lebe, so bleibe er doch gerecht und heilig, und behalte den heiligen Geist und Glauben. Dieser Irrthum ist in vielen, wie man Zeugen fürstellen kann, und wissen viel Leut, daß diese Wort mit großem Pracht am Hof zu vor vielen Jahren geprediget sind: das Muß ist versalzen. . Das Evangelium für den 18. Sonntag nach dem Trinitatisfest, die Frage nach dem höchsten Gebot (Mt 22,34–46), gab die Gelegenheit, das Thema des neuen Gehorsams zur Sprache zu bringen und dagegen zu polemisieren. sah sich herausgefordert, entgegenzutreten, und so kam es zu gegenseitigen verbalen und literarischen Angriffen. Dass dabei die Perikopenordnung eine gewisse Rolle spielte, dafür spricht, dass im Folgejahr wiederum am 18. Sonntag nach Trinitatis – es war der 24. September 1559 – seine Polemik erneuerte. Die fortwährenden Auseinandersetzungen bewogen den Kurfürsten, mit Datum vom 12. Juni 1560 ein Friedensmandat zu erlassen, mit dem er die beiden Kontrahenten beschied, sich um ihre jeweiligen dienstlichen Obliegenheiten zu kümmern; solle seines Predigtstuhls, seiner Lektionen warten und keiner den andern mit öffentlichen oder verdeckten Worten anstechen.Vgl. . Die Befriedung gelang allerdings nicht auf Dauer, denn spätestens mit dem hier edierten Text, der auf den 27. Juli 1561 datiert ist, wurde die Auseinandersetzung fortgesetzt.

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2. Der Autor

ErZur Vita vgl. , 612–614; ; , 1573. Die Angaben sind in Details mitunter widersprüchlich, beginnend beim Geburtsdatum, das zwischen dem 28. März und 28. Oktober 1524 variiert. wurde 1524 in als geboren. Nach dem Schulbesuch in seiner Heimatstadt und in bezog er die Universitäten in und ab August 1542 in , um Theologie zu studieren. Am 18. Sepember 1544 erwarb er den philosophischen Magistergrad. Auf Empfehlung wurde er im selben Jahr Lehrer, 1548 dann Rektor an der Altstädtischen Schule in . Am 31. Januar 1553 nahm er einen Ruf nach an, wo er am 10. April feierlich als Rektor des altstädtischen Gymnasiums eingeführt wurde, das der polyglotteMan schreibt ihm die Kenntnis von mindestens sechs, im Höchstfall achtzehn Sprachen zu (vgl. ). zu erneuter Blüte brachte. Auf der Basis der Schulordnung erarbeitete er eine neue Ordnung, die am 9. September 1553 eingeführt wurde. Wohl in der Zeit als Magdeburger Rektor änderte er seinen Vornamen zu .Der Nachname ist latinisiert aus (Schultheiß); der Vorname entspricht der Vulgata­Form von Obadja = עֹבַדְיָה = Knecht JHWHs = Gottschalk. Der Vorname gab zu Anzüglichkeiten Anlass, weil Schalk in der Bedeutung Knecht, Diener bereits ungebräuchlich war und sich charakterloser, boshafter Mensch oder Spötter durchsetzte. Vgl. , 2067–2074. Am 1. Mai 1557 wurde er in die Philosophische Fakultät der Leucorea aufgenommen. Um 1557/58 nahm er seinen Abschied in und wechselte als Professor für hebräsche Sprache an die Universität Frankfurt/Oder.Wolff nennt als Datum der Abschiedsrede in den 18. April 1558, nach Junghans war bereits seit 1557 an der Viadrina. Schon in hatte er häufiger theologische Disputationen veranstaltet und sich die Gegnerschaft von zugezogen, nun wurde er neben dem Berliner Propst zum exponiertesten Wortführer der Melanchthonschüler in , im Gegensatz zu seinem Kollegen an der Viadrina und zum Hofprediger . Der brandenburgische Kurfürst, , entschied 1563 den Streit gegen die Philippisten, blieb aber gleichwohl gewogen, den er häufiger in diplomatischen Missionen eingesetzt hatte. übersiedelte im November 1563 nach dem Tode seiner ersten Frau nach , wo er schon seit 1561 immer wieder Lehrtätigkeiten wahrgenommen hatte. Als er sich am 13. Juli 1565 in mit , der dritten Tochter des , einer Enkelin , verheiratete, war auch der Kurfürst zugegen und erhob ihn in den Ritterstand. Am 9. Januar 1573 erlag in einer fiebrigen Erkrankung.

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3. Inhalt

unterscheidet zunächst drei Kategorien, über die guten Werke zu reden: 1. Einige schreiben ihnen zu viel zu, mehr als die Heilige Schrift (Pharisäer, Heuchler, Pelagianer, Papisten, Interimisten etc.). 2. Einige schreiben ihnen zu wenig zu, und zwar sprechen sie ihnen auch das ab, was doch die Schrift ihnen zurechnet; diese werden Antinomer genannt (Simon Magus, Pseudapostoli, Manichäer, Epikureer etc., Arbeitsscheue und Arbeitsbekämpfer). 3. Einige halten die Mitte, indem sie ihnen weder zu viel noch zu wenig zuschreiben, sondern ihnen zuschreiben, was ihnen die Schrift zuschreibt, und ihnen absprechen, was ihnen die Schrift abspricht. Dazu gehören die Rechtgläubigen, nämlich alle rechtschaffenen und recht lehrenden Doktoren.

Anschließend stellt er Regeln und Grundsätze für die öffentliche Diskussion der Frage der Notwendigkeit guter Werke auf, deren Beachtung sehr wichtig sei, und begründet seine Auffassung jeweils mehr oder weniger ausführlich. Seine Thesen sind folgende: 1. Höchst zutreffend ist die Aussage: Gute Werke sind notwendig, der neue Gehorsam ist notwendig. 2. Höchst zutreffend ist die Aussage: Gute Werke sind notwendig, gleichsam als von Gott geboten. Sie sind Gott geschuldet wegen der Vergebung der Sünden und der Annahme zur Kindschaft, als Ausdruck der Dankbarkeit, wie sie Kinder den Eltern schulden, und zahlreichen andern Gründen. 3. Nicht zutreffend ist die Aussage: Gute Werke sind notwendig zur Seligkeit. 4. Nicht zutreffend ist die Aussage: Gute Werke sind notwendig zur Erlangung der Seligkeit. 5. Nicht eigentlich zutreffend ist die Aussage: Gute Werke sind notwendig zur Bewahrung des Glaubens und der Seligkeit. 6. Höchst zutreffend ist die Aussage: Gute Werke sind notwendig als Zeugnis oder Bekundung des Glaubens und der Seligkeit.

Die Lehre von der Notwendigkeit guter Werke sei in der Heiligen Schrift enthalten und gehöre zum vollständigen Lehrganzen (corpus doctrinae). Sie sei Ermahnung zum christlichen Leben, zur Gerechtigkeit eines guten Gewissens, zur Liebe Gottes und des Nächsten, sowie zur inneren und äußeren Ordnung. Darum werde auch in jedem Buch der Schrift zu guten Werken ermahnt oder es würden Beispiele dafür gegeben. Es sei fast immer nötig, zu guten Werken zu ermahnen, wie denn auch immer Buße zu predigen sei, es müsse nur in rechter Weise geschehen. Dazu müsse die Ermahnung zu guten Werken erstens von den beiden andern Teilen der Buße, Zerknirschung (contritio) und Glaube (fides), deutlich unterschieden werden. Zweitens müsse sie vom Rechtfertigungsartikel getrennt werden. Denn sie unterscheide sich vom Glauben ebenso wie von der Rechtfertigung, da der Glaube die Instrumentalursache der Rechtfertigung sei, durch den die Verheißung und damit auch die Vergebung der Sünden ergriffen werde. Drittens müsse die Ermahnung zu guten Werken in ihren gehörigen Grenzen bleiben, als nötige Folge der Glaubensgerechtigkeit. Und schließlich müsse sie in Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift, mit dem Augsburger Bekenntnis und seiner Apologie und mit den4 Schriften , und anderer rechtgläubiger Lehrer erfolgen. Man hüte sich vor abweichenden Auffassungen.

Abschließend bekräftigt , dass er seit jeher so gelehrt habe und mit Gottes Hilfe bei der erkannten Wahrheit zu bleiben hoffe. Es folgen Zitate aus dem Augsburger Bekenntnis, aus dessen Apologie und von .

4. Ausgaben

Nachgewiesen werden können drei Ausgaben:

A: B:C:

ABDIAE || PRÆTORII || DE || NECESSITATE || NOVAE OBEDIENTIAE || ET || BONORVM OPERVM || EXPLICATIO SVMMA= || ria continens perpetuam eius sen= || tentiam & doctrinam, scripta || adolescenti cuidam pe= || tenti consilium || eius. || FRANCOFORDIAE APVD || Iohannem Eichorn,Johannes Eichorn d. Ä., geboren 1524 in , war zunächst Gehilfe in der Offizin des und ist als selbständiger Drucker in in den Jahren 1549 bis 1583 nachweisbar. Vgl. . 1561. 12 Bl. 8° [letztes Blatt leer, B 2 fälschlich als B 3 bezeichnet] (VD 16 P 4609)5 ist als Drucker in von 1557 bis 1599 nachweisbar. Vgl. . 13 Bl. 8° (VD 16 P 4610).

Vorhanden:

Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: J 312.8°Helmst.(5) [benutztes Exemplar]

B:ABDIAE || PRAETORII || DE || NOVAE OBEDIENTIAE || ET || BONORVM OPERVM || NECESSITATE || ET || ALIIS QVIBVSDAM || EXPLICATIO SVMMA= || ria continens perpetuam eius sententiam || & doctrinam, scripta adolescenti || cuidam petenti consilium || eius. || FRANCOFORDIÆ || apud Iohannem || Eichorn, || – || 1561. 20 Bl. 8° [letztes Blatt leer] (VD 16 P 4608)

Vorhanden:

München, Bayerische Staatsbibliothek: Polem. 3138 o

Gotha, Forschungsbibliothek: Druck 289(6)

Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 917.15 Theol.(6); Alv Ac 445(5) [benutztes Exemplar]; C 488.8 Helmst.(3)

C: ABDIAE || PRAETORII || GOTSCHALCI. || DE || NECESSITATE NO= || VAE OBEDIENTIAE || ET || BONORVM OPE= || RVM. || EXPLICATIO SVMMA || ria continens perpetuam eius senten= || tiam & doctrinam, scripta adoles= || centi cuidam petenti con= || silium eius. || [Vignette] || ­­ || M. D. LXII. [Erfurt: Georg Baumann d. Ä.] ist als Drucker in von 1557 bis 1599 nachweisbar. Vgl. . 13 Bl. 8° (VD 16 P 4610).

Vorhanden:

Gotha, Forschungsbibliothek: Phil 8° 01315/10(03) [benutztes Exemplar]; Theol 8° 00387/01(02)

Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 919.54 Theol.(4); Yv 630.8 Helmst.(4)

B ist gegenüber A erweitert; C ist im Wesentlichen ein Nachdruck von A. Die Edition basiert auf Ausgabe B, Abweichungen in A und C sind verzeichnet.