Controversia et Confessio, Bd. 4


Otho, Gütlicher Bericht (1559) – Einleitung

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1. Historische Einleitung

Im Zuge des Augsburger Interims und den sich daran entzündenden Kontroversen kam es in der Reichsstadt Nordhausen zu heftigen Konflikten unter der dortigen Pfarrerschaft. Es war anscheinend , der 1551 , dem Pfarrer an der Kirche St. Blasius in , vorwarf, ein Schüler zu sein und den Locus iustificationis zu verderben.Vgl. . Der Wittenberger Professor wandte sich seinerseits am 29. August 1554 an den Nordhäuser Bürgermeister und teilte ihm mit, dass er in einem Schreiben aufgefordert habe, die Heilsnotwendigkeit guter Werke nicht länger zu vertreten. Vielleicht hoffte auch, dass verlassen würde.Vgl. , Nr. 5657, Sp. 335f = MBW 7275. Doch es war keineswegs allein , der These von der Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit verteidigte. Vielmehr hatte der Majoristische Streit unter der Nordhäuser Pfarrerschaft dazu geführt, dass sich zwei rivalisierende Parteien gegenüberstanden: auf der einen Seite , dessen Diakon und als Verteidiger , auf der anderen Seite deren Gegner , dessen Diakon , , dessen Diakon und .Vgl. ; . Deren Auseinandersetzungen blieben zu dieser Zeit weitestgehend auf gegenseitige Angriffe von der Kanzel und auf Eingaben beim Rat der Stadt beschränkt.Abgesehen von ΠΑΡΑΛΟΓΙΣΜΟΙ. ; als Anhang zu einer Schrift gegen wurde 1557 auch noch ein Werk publiziert, das auf die Streitigkeiten innerhalb zurückgeht: .

Wie konfliktträchtig die Lage in der Stadt war, zeigte sich Ende des Jahres 1554, als der Stadtrat eine dieser Eingaben der Pfarrer an die Theologen der Universitäten Wittenberg, Jena und Leipzig sowie an die Magdeburger Theologen sandte, damit diese Gutachten zur Lage in verfassten.Vgl. . antwortete darauf am 12. Januar 1555, dass und andere Nordhäuser Theologen nicht länger These verteidigen sollten. Allerdings meinte er hinter Kritik an antinomistische Tendenzen erkennen zu können.Vgl. Gutachten an den Rat der Stadt . 12. Januar 1555, in: , Nr. 5718, Sp. 410–413 = MBW 7385. Die ernestinischen Theologen , 2 und teilten ebenfalls im Januar ihre Meinung über den modus loquendi in Sachen der Notwendigkeit guter Werke zum Heil. gab ein separates Gutachten ab. Vgl. dazu . mit. Auch griff aus mit einer Publikation in den Streit in ein, da er aufgrund von These um die Verkündigung der rechten Lehre fürchtete.Vgl. .

Da dem Stadtrat von an einer zügigen Beilegung des Streits unter der Pfarrerschaft der Stadt gelegen war, jedoch nicht für Schlichtungsverhandlungen anreisen konnte, erbaten die Ratsherrn im Februar 1555 von den ernestinischen Herzögen die Entsendung von und nach . Im März desselben Jahres erschienen , und in . Ihnen gelang es, einen Vertrag auszuhandeln, dem die Geistlichen der Stadt zustimmten und der per Ratsdekret bekräftigt wurde.Vgl. ; . Der so ausgehandelte Frieden hielt jedoch nicht lange, da bald erneut in seinen Predigten die Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit betonte – angeblich durch dazu ermutigt.Vgl. .

Im Jahr 1557 gewann der Streit abermals an Schärfe, da 30 deutsche ThesenSie finden sich abgedruckt bei . über die Bedeutung und die Rolle des Gesetzes in der Stadt auftauchten. Hatte bei bereits Anfang 1555 eine antinomistische Haltung erkennen wollen, so verbreitete sich nun in der Stadt rasch die Vermutung, in den Verfasser der Thesen vor sich zu haben. Tatsächlich stammten sie aber wohl aus der Feder von , einem Vertrauten . Daneben kursierten weitere 20 lateinische Thesen,Auch sie sind abgedruckt bei . gegen die sich entschieden wandte, insbesondere gegen den Satz, dass die höchste Kunst der Christen darin bestehe, das Gesetz nicht zu kennen.Es handelt sich dabei um die 17. These. Vgl. ; , Nr. 6305, S. 217f, bes. 218 = MBW 8306; offensichtlich wusste nicht, dass diesen Satz bereits in seinem Galaterkommentar 1535 geäußert hatte: Summa igitur ars et sapientia Christianorum est nescire legem .. Da man die Verfasserschaft unterstellte, wandte dieser sich an in und an das Ministerium in , um seine Rechtgläubigkeit zu beweisen.Vgl. , .

Am 20. Januar 1558 erließ der Stadtrat ein Dekret, in dem er den Kontrahenten gebot, persönliche Angriffe auf der Kanzel zukünftig zu unterlassen.

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Wegen der gleichwohl fortdauernden Auseinandersetzungen wandte sich der Stadtrat im Frühjahr 1558 mit der Bitte um die Abfassung von Gutachten an das Hallenser Ministerium und an . Aus Halle antwortete der Superintendent . Dieser mahnte zum Frieden und zeigte sich unparteiisch, denn er teilte mit, dass sie in im Grunde nicht befinden konnen, Das ir einer als ein falscher lerer zu verurteln und verdammen sey., 100–106, bes. 101. Überhaupt sei er der Überzeugung, das solch gezencke nur aus dem alten Haß und neid damit sie kegen einander enzündet herfleust.. Er riet dem Stadtrat daher dringend, den für die Kirche so gefährlichen Streit durch entschiedenes Auftreten zu beenden, indem er den Pfarrer den weiteren Austrag der Kontroverse strikt verbiete..

Mit diesem Votum wurde die Kontroverse aber nicht beendet, sondern geriet vielmehr seit dem Herbst 1558 noch mit , dem Oberpfarrer an der St. Petrikirche in , in Streit und sah sich wohl vor dem Hintergrund der zahlreichen Angriffe auf ihn genötigt, sich öffentlich zu rechtfertigen. Darum publizierte er im Jahr 1559 den hier edierten Gütlichen Bericht.

2. Der Autor

Zu ihm vgl. , 745f; ; ; . wurde vermutlich um das Jahr 1505 in geboren. Er scheint das Böttcherhandwerk erlernt und in der Werkstatt seines Vaters gearbeitet zu haben. Über seine schulische Ausbildung ist nichts bekannt. Im Jahr 1533 immatrikulierte er sich an der Universität Wittenberg und wurde dort am 18. September 1539 zum Magister promoviert. Danach nahm er eine Stelle als Pfarrer in an. 1543 wechselte er als pastor primarius nach .

Im Zuge der Kontroverse über den Umgang mit dem Augsburger Interim geriet in Konflikt mit den Wittenberger Theologen, da er die konziliante Haltung nicht teilte, sondern sich vielmehr öffentlich gegen diesen positionierte.Vgl. = , 728–734. Er erhob auch von der Kanzel herab Protest gegen die Durchführung der Bestimmungen des Augsburger Interims in .

In den folgenden Jahren griff publizistisch in die Kontroverse um die Rechtfertigungslehre ein und widersprach entschieden4 der These von der Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit. Über These und daran anknüpfend über die Bedeutung des Gesetzes für den gerechtfertigten Menschen entwickelte sich in den 1550er Jahren eine heftige Auseinandersetzung unter der Nordhäuser Pfarrerschaft, in deren Zentrum als strikter Gegner majoristischen Gedankenguts und einer Vermischung der Gesetzespredigt und Evangeliumspredigt stand.

Mit der Berufung von zum Pfarrer an der St. Petrikirche im Jahr 1564 erhielt einen Mitstreiter in , der durch seine Äußerungen und Schriften zur weiteren Verschärfung des Streits unter den Pfarrern der Reichsstadt beitragen sollte.Vgl. dazu unten die . Der Stadtrat reagierte darauf unter dem Druck im Juli 1568 mit der Amtsenthebung aller am Streit beteiligten Theologen.Vgl. unten die . Am 25. Juli 1568 verließ daraufhin .

Nach seiner Abreise bewarb er sich bei um eine neue Stelle, worauf dieser ihm die Pfarrstelle in anbot und sich gegen die Beschwerden des Buttstädter Stadtrats über das fortgeschrittene Alter durchsetzte, so dass er dort am 8. Januar 1569 als Pfarrer bestätigt wurde.

Nach dem Tod des Herzogs am 3. März 1573 übernahm die Vormundschaft über die unmündigen Söhne des Herzogs und führte die Regentschaft im Herzogtum. Dies hatte die Ausweisung einer nicht unerheblichen Zahl von Theologen, darunter , zur Folge. Über sein weiteres Leben und seine späteren Aufenthaltsorte ist wenig bekannt. Er befand sich 1574 augenscheinlich bei in und unterhielt weiterhin gute Kontakte nach . 1575/76 bemühte er sich deshalb um eine Wiedereinsetzung in sein dortiges Pfarramt und berief sich dabei auf den Willen einiger ehemaliger Gemeindeglieder. Dazu ist es jedoch nicht gekommen; eventuell erhielt er Ende der 1570er Jahre die Pfarrstelle in , eine Patronatspfarre der Familie vom Hagen.

In den Kontroversen der Zeit ergriff er weiterhin Partei. So stellte er sich im Erbsündenstreit auf die Seite von , was ihn in Gegnerschaft zu seinem ehemaligen Mitstreiter in , , führte. Im Jahr 1578 veröffentlichte er eine Gegenschrift zur Konkordienformel, die er strikt ablehnte..

Sein Todesjahr ist nicht bekannt. Da noch aus dem Jahr 1586 eine Veröffentlichung von ihm vorliegt,. ist sein Ableben irgendwann nach diesem Zeitpunkt anzusetzen.

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3. Inhalt

unterscheidet sechs Arten von Antinomern:

1. Libertinisten, die in Sünde gegen Gottes Gebot und ihr eigenes Herz leben; 2. Werkheilige, die über einer Unmenge kleinlicher Gesetzlichkeit die wesentlichen Forderungen des Gesetzes, etwa nach Barmherzigkeit, vernachlässigen; 3. Leisetreter, die das Gesetz verkünden, wo es ohne sonderliche Folgen bleibt und womöglich schwadronieren, wo es weitgehend gefahrlos möglich ist, aber davor zurückschrecken, es durchzusetzen, wo es darauf ankäme; 4. die eigentlichen Antinomer wie , gegen die bereits ankämpfte, die den usus elenchthicus legis ablehnen und die Reue aus dem Evangelium herleiten und lehren wollen; 5. Inkonsequente, die leidlich korrekt über Gesetz und Evangelium lehren, aus dieser Lehre aber keine oder falsche Folgerungen für das Leben ziehen, als bedeute sola gratia und gratis in der Rechtfertigung, es bedürfe keiner guten Werke im Leben; 6. Konjunkturritter, Schwankende, Expectanten, die Irrlehren nicht entgegentreten, sondern abwarten wollen, welche Auffassung sich schließlich durchsetzen werde, um sich dieser dann anzuschließen.

4. Ausgaben

Nachgewiesen werden kann eine Ausgabe:

A:

Gütlicher bericht von || den Antinomern. || Antonius Otho Prediger || zu Northausen. || Jm v. Theil Lutheri / Pag: Clxv. || [20­zeiliges Zitat] || Gedruckt zu Regenspurg / durch || Heinrichen Geißler. betrieb in den Jahren 1558–1569 in seine Druckerei, vgl. . [1559] [16 Bl. 4°] (VD 16 O 1483)

Vorhanden:

Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: 26 in: Dm 3 R

Dresden, Sächsische Landes­ und Universitätsbibliothek: Hist.eccl.E 335,34

Halle, Universitäts­ und Landesbibliothek Sachsen­Anhalt: AB 48 462(7)

Jena, Thüringer Universitäts­ und Landesbibliothek: 4 Bud.Theol.181(6)

München, Bayerische Staatsbibliothek: Res/4 Polem. 3362,23

München, Bibliothek der Ludwig­Maximilians­Universität: 4 Theol.3571:2

Wittenberg, Lutherhalle: Kn A 330/2200

Zwickau, Ratsschulbibliothek: 12.6.1.(4)

Der Text ist gekürzt auch bei Seehawer, Lehre und Brauch des Gesetzes, 108–116, abgedruckt.