Controversia et Confessio, Bd. 4


Wider die Verfälschung der Definition des Evangelii (1559) – Einleitung

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1. Historische Einleitung

Die Schrift wendet sich zunächst (Ausgabe A) gegen den Text von , der im vorliegenden Band unter Nr. 2 ediert ist; als Reaktion auf die Antwort des in Nr. 4 wurde der Text dann an einigen Stellen erweitert und erneut im Druck herausgebracht (Ausgabe B). Unsere Edition berücksichtigt beide Stadien der Textentstehung.

2. Die Autoren

Als Verfasser des Textes werden Studiosi Wittebergenses genannt; man darf trotz des Fehlens eines Artikels im Lateinischen davon ausgehen, dass darunter nicht die Gesamtheit der Studierenden der Leucorea zu verstehen ist, sondern eine nicht näher bestimmte Gruppe von Theologiestudierenden höherer Semester. Eine entsprechende Verfasserangabe begegnet um 1559/60 auch in weiteren Schriften.Vgl. VD 16 S 10293 (); VD 16 A 4063: . Dabei wird man annehmen können, dass die beteiligten Personen von Fall zu Fall variierten, andererseits könnte ein gewisser Kern von Engagierten an mehreren Schriften mitgewirkt haben, zumal die betreffenden Veröffentlichungen in einen relativ engen Zeitraum fallen und teilweise thematisch zusammengehören.Überlegungen zu möglichen Beteiligten finden sich in . Darüber, ob die Wittenberger Professorenschaft oder Teile derselben die jeweiligen Veröffentlichungen mit veranlasst haben könnten, wird es bis auf Weiteres bei Mutmaßungen bleiben müssen. vermutet allerdings als eine treibende Kraft hinter den Veröffentlichungen den Schwiegersohn , ;, geboren am 6. Januar 1525 in , kam 1540 nach und fand Aufnahme im Haus . Er studierte in (M. A. 1545) und , lehrte ab 1548 in Mathematik. 1550 heiratete er Tochter . 1554 erhielt er eine Professur für Mathematik (und Astronomie), im Januar 1560 wurde er zum Doktor der Medizin promoviert. 1560 und 1569 war er Rektor der Universität, außerdem achtmal Dekan der Medizinischen Fakultät. Nach dem Tod wurde die Wahrung von dessen Erbe zu Hauptaufgabe. 1566 wurde er durch in den erblichen Adelsstand erhoben. 1570 wurde Leibarzt des ; im Zusammenhang mit der Verfolgung des Kryptocalvinismus in Kursachsen wurde 1574 wegen Hochverrats inhaftiert, zunächst mit seiner Familie auf Schloss Rochlitz, dann ab 1576 in Einzelhaft auf der Pleißenburg in . Erst am 8. Februar 1586 wurde er unter Auflagen entlassen, auf Bitten des . wurde fürstlicher Rat und Leibarzt in , wo er am 2. September 1602 starb. Vgl. , 228–231; , 1183; Projekt Controversia et Confessio, Biogramm online: http://www. controversia-et-confessio.de/id/fd9080ad-2c97-4a8c-aa24-e8ff4b031765. (Zugriff 12.09.2016). jedenfalls deutet er das am Ende seiner kurzen Replik an.Vgl. .

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3. Inhalt

verwirre mit seinen Lehren, vom Teufel getrieben, die schwachen Gewissen, deshalb müsse man ihm entgegentreten. Die Verfasser verteidigen den Satz , das Evangelium predige Buße und die Vergebung der Sünden. lasse die Aussage nur gelten, wenn unter Buße (tatsächlich: Evangelium) die ganze christliche Lehre verstanden werde, in der eigentlichen Bedeutung Reue sei die Aussage falsch; das Evangelium lehre keine Reue, strafe keine Sünde, sondern das Gesetz allein strafe die Sünde. Die angeführten Belege aus Lutherschriften gegen die Antinomer seien nicht einschlägig.

Entscheidend sei die Frage, ob auch das Evangelium Sünde strafe und Reue wecke, wie es doch dem Auftrag Jesu zu entnehmen sei, der befohlen habe, Buße und Vergebung der Sünden zu predigen in seinem Namen. aber nenne das Vermischung von Gesetz und Evangelium.

Die Verfasser wollen deshalb zur Richtigstellung aufzeigen, welche Sünde das Evangelium strafe im Namen Christi und wie es Reue lehre; dabei soll die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium aufgezeigt werden: Die Reue des Judas sei vom Gesetz verursacht, die Reue des Petrus vom Evangelium. Nicht die Wittenberger, sondern vermische Gesetz und Evangelium. Man werfe den Wittenbergern vor, sie lehrten, das Gesetz habe mit seliger Reue nichts zu tun. Tatsächlich lehrten sie jedoch, man müsse das Gesetz sehr wohl in der Kirche predigen, aber das Gesetz könne von sich aus keine selige Reue bewirken. Erst das Evangelium bewirke, dass die vom Gesetz verursachte Reue zur Seligkeit diene. Das Gesetz strafe die Sünde, die Übertretung der Gebote, und bewirke Verzweiflung und Tod, wenn nicht das Evangelium hinzukomme. Das Evangelium weise auf die Gnade Christi und bringe all jene zum Leben, die nicht mutwillig im Unglauben verharren.

Das Evangelium solle das Gesetz nicht aufheben, sondern erfüllen. Es lindere die Schärfe des Gesetzes, mache die Person angenehm und richte neuen Gehorsam in uns auf. Das Gesetz könne aus eigener Kraft nicht selige Reue lehren, es sei aber gleichwohl dazu nötig; denn aus der Reue der Verzweiflung, die das Gesetz bewirke, mache die Kraft des Evangeliums eine selige Reue.

Wer selig werden will, darf sich – so lehren die Verfasser – nicht nur vom Gesetz schrecken lassen zum Tode, sondern muss noch mehr erschrecken vor der Sünde des Unglaubens, damit er der Gnade Raum gibt und die Vergebung um Christi willen erlangt. Das Gesetz strafe die Übertretung seiner Gebote und verursache eine Reue der Verzweiflung, in der die Ungläubigen sterben. Das Evangelium hingegen strafe den Unglauben, von dem das Gesetz nichts wisse, und verursache eine selige Reue.

Die Todespredigt des Gesetzes müsse wegen der Unbußfertigen in der Gemeinde aufrechterhalten werden, um sie dazu zu bewegen, die Hilfe des Evangeliums zu suchen. Offenbar gehen die Wittenberger Studenten davon aus, der Glaube könne gefordert und willentlich erzeugt werden.

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lehre demgegenüber, der Heilige Geist strafe die Sünde des Gesetzes, und übergehe, dass er die Welt wegen ihres Unglaubens strafe.

bleibe im Allgemeinen: das Gesetz strafe die Sünde. schreibe gegen die Antinomer, man solle die Sünde aus dem Gesetz erkennen, weil die Antinomer fälschlich meinten, das Gesetz habe in der Kirche keinerlei Funktion. Aber Äußerungen richteten sich, anders als behaupte, nicht gegen die Auffassung der Wittenberger. Auch die anderen Zitate aus und Schriften seien fehlinterpretiert. behaupte zu unrecht, habe seine Theologie durch Philosophie verdorben. beschreibe allenfalls sich selbst, wenn er lehre, der Mensch sei ein Stock, Klotz oder Stein, zu allem Guten erstorben, habe einen freien Willen lediglich zum Bösen und widerstrebe der Bekehrung. wolle keine Buße tun, er beharre in Gesetzesreue, wenn er sich nicht doch noch zur Auffassung der Wittenberger bekehre.

In der erweiterten zweiten Auflage betonen die Verfasser abschließend noch einmal, strittig sei nicht, ob das Gesetz überhaupt eine Funktion habe, sondern welche unterschiedlichen Funktionen der Gesetzes­ und der Evangeliumspredigt jeweils zukommen. Das Gesetz könne aus eigener Kraft den Unglauben nicht strafen und den Glauben nicht gebieten. Fraglich sei, ob das Gesetz aus eigener Natur den Glauben lehre. Bekehrung und gute Werke könnten ohne Glauben nicht bestehen. Rechte Buße heiße, begangene Sünde bedauern und den Vorsatz fassen, künftig nicht mehr zu sündigen. Besserung sei nur aus der Kraft des Evangeliums möglich.

4. Ausgaben

Nachgewiesen werden können zwei Ausgaben:

A:

Wieder die verfel= || schung der Definition oder be= || schreibung des Euangelij / so || Flacius Jllyricus newlichen in einer || Schrifft one gruͤnde vnd wider || sein gewissen vnter das || Volck ausge= || sprengt. || [umgekehrtes Pik­Blättchen] || Stvdiosi Vvitebergenses. || 1 5 5 9. || [10] Bl. 4° [Wittenberg] (VD 16 W 2467).

Vorhanden:

Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: 21 in: Dm 3R; Dm 1760

Budapest, Országos Széchényi Könyvtár (Nationalbibliothek): Ant. 10280; Ant. 2699

Gotha, Forschungsbibliothek: Theol.4 630/2(12)

Jena, Thüringer Universitäts­ und Landesbibliothek: 4 Bud.Op.69(20); 4 Theol.XLIII,12(11); 8 MS 25 543(5)

Leipzig, Universitätsbibliothek: Syst.Theol.233­k/3

München, Bayerische Staatsbibliothek: 4 Polem. 3034 m; Res/4 Polem. 3362­38

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Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 149.16 Theol.(13); 155.8 Theol.(3); S 217b.4 Helmst.(3)

Eisenach, Wartburg­Bibliothek der Wartburg­Stiftung: Th 2405

B:

Wider die verfel= || schung der Definition oder beschrei= || bung des Evangelii / so Flacius Jllyricus || newlichen in einer Schrifft / one gruͤnde / vnd wi= || der sein Gewissen / vnter das Volck || ausgesprengt. || Auffs new gedruckt / Mit kurtzer || widerlegung etlicher Verleumbdung vnd ver= || felschung / seiner des Flacij / vnd seiner Mit= || kompen / so sich wider diese Schrifft || haben beweisen woͤllen. || [umgekehrtes Pik­Blättchen] || Stvdiosi Vviteber= || genses. || 1 5 5 9. || [14] Bl. 4° (letztes Blatt leer) [Wittenberg] (VD 16 ZV 23429).

Vorhanden:

Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dm 1761

Die Edition basiert auf Ausgabe A, Erweiterungen in Ausgabe B sind in kleinerer Schrift eingefügt; Abweichungen verzeichnet der textkritische Apparat.