Controversia et Confessio, Bd. 4


Historische Einleitung

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Historische Einleitung

Irene Dingel

Noch während der Majoristische StreitVgl. . schwelte, brach mit dem Antinomistischen Streit (1556–1571) ein weiterer Konfliktherd auf. Die hier geführte Kontroverse um Gesetz (griechisch: νóμος [nomos]) und Evangelium, das Verhältnis beider zueinander und ihre Funktionen im Blick auf das Leben des Einzelnen war im Grunde nicht neu. Sie kann als dritte Phase einer seit dem Anfang der Reformationszeit existierenden Auseinandersetzung betrachtet werden, die seinerzeit innerhalb des Wittenberger Reformatorennetzwerks selbst ausgetragen wurde, später aber weitere Kreise zog.

Bereits 1517/1518 hatte im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zum Verständnis der Buße das Wirken Gottes in Gesetz und Evangelium thematisiert. Das Gesetz verstand er als das Wort des Zorns und die Stimme des Richters, die den sündigen Menschen zur Buße führt, das Evangelium dagegen als Zuspruch der Sündenvergebung und Übereignung der Gerechtigkeit Christi. Insofern waren Gesetz und Evangelium für zweierlei Wort und Predigt, duo verba DeiVgl. .. Er betrachtete sie aber nicht als identisch mit dem Alten Testament einerseits und dem Neuen Testament andererseits, oder als aufteilbar auf die beiden Teile der Bibel. Vielmehr betonte er, dass sowohl das Gesetz als auch das Evangelium überall in der Heiligen Schrift zu finden seien. Den Unterschied zwischen beiden sah er in ihrer Funktion als Gebot und Zusage. Dadurch dass aber sowohl die Ungültigkeit des Gesetzes für den Christen thematisierte, als auch – in anderen Zusammenhängen – seine fortdauernde Bedeutung für das christliche Leben hervorhob, konnten sich in den Kontroversen stets beide Seiten auf ihn als Autorität berufen und auf diese Weise jeweils für sich in Anspruch nehmen, in der Nachfolge des Reformators zu stehen.

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Schon 1527 kam es in zu Auseinandersetzungen über die Frage der Rolle des Gesetzes und der Gesetzespredigt. Als Gegner standen sich damals – ein enger Vertrauter , seit August 1525 Leiter der neu gegründeten Lateinschule in und Prediger an der dortigen Nicolaikirche – und gegenüber.Zu und den antinomistischen Streitigkeiten vgl. ; ; . Auslöser für die Kontroverse war das Erscheinen der lateinischen Visitationsartikel2 im Jahre 1527.Vgl. . Sie waren ohne dessen Wissen gedruckt und auf diese Weise bekannt geworden. Diese Anleitung für die Visitatoren zielte darauf, die sittliche Komponente christlichen Lebens, die durch eine undifferenzierte und ausschließliche Evangeliumspredigt verloren zu gehen drohte, im Bewusstsein zu halten. Die Visitationserfahrung zeigte nämlich, dass eine einseitige reformatorische Gnadenpredigt zu Fehlentwicklungen in den jungen Gemeinden führen konnte. betonte deshalb – im Konsens mit –, dass die Predigt der göttlichen Gnade im Grunde dann ineffektiv sei, wenn nicht zuvor das Bewusstsein für die eigene Sündigkeit und die erforderliche Buße im Menschen geweckt werde. Daher müsse am Anfang der christlichen Lehre die Gesetzespredigt stehen, die zur Buße anhalte.Vgl. . Dieser von ihm gesetzte Akzent auf der Gesetzespredigt und ihrer Nützlichkeit löste den Streit zwischen und aus. warf ihm vor, von der reformatorischen Lehre abgefallen zu sein und sich mit seiner Position wieder dem alten Glauben anzunähern. Dies bekräftigte er dadurch, dass er auf Aussagen verwies, die das Evangelium als wirkende Kraft in den Vordergrund stellten. Stellungnahme und die für ihn charakteristische Lehre fand Niederschlag in seinem Katechismus, den 130 gemeinen Fragstücken für die jungen Kinder (1527). Hier legte er dar, dass das Gesetz als ein fehlgeschlagener Versuch Gottes, den Menschen durch Drohung und Zwang den richtigen Weg zu weisen, zu bewerten sei. Heute gehe die Christen das Gesetz, das im Grunde der Juden SachsenspiegelVgl. . sei, d.h. eine historische Sammlung von Rechtsbestimmungen für die Juden des alten Bundes, nichts mehr an. Denn es sei das Evangelium, das die Herzen der Menschen anrühre. Die sich darin äußernde Güte Gottes, die Erfahrung seiner Freundlichkeit und das Ergreifen der Gnade durch den Menschen führe zu Reue, Buße und innerer Erneuerung. Reue und Buße folgen nach also auf die sich im Evangelium äußernde Güte Gottes. Daher warf er vor zu lehren, dass die Buße aus Furcht vor Strafe entstehe, statt dass sie von der Liebe zur Gerechtigkeit auszugehe. Die Sünde liege aber nicht in der violatio legis, sondern in der violatio filii, d.h. der Missachtung des Sohnes Gottes, begründet.

Das hinter dieser Lehre stehende Anliegen , das zugleich den Prozess der Bekehrung zur Debatte stellte, war im Grunde ein theologisch durchaus berechtigtes: Er wollte vermeiden, dass die Reue des Menschen womöglich den Vorrang vor der Gnade Gottes erhalten könnte, denn genau dies prangerte er auf Seiten der römischen Kirche an. versuchte die Spannungen zunächst insofern zu lösen, als er auf seine Über3einstimmung mit der Lehre verwies. Als sich die Lage schließlich verschärfte, schaltete sich ein und lud die Theologen zu einem Gespräch nach ein (26.–28.11.1527), an dem nicht nur und , sondern auch und teilnahmen. Tatsächlich wurde eine Einigung erzielt. Dazu trug eine von geltend gemachte begriffliche Unterscheidung bei: zwischen einer der Buße voraufgehenden fides generalis und dem rechtfertigenden Glauben, der die Gnade ergreift. Dies fand Niederschlag in der deutschen Fassung des Unterrichts der Visitatoren von 1528.Denn wiewol etlich achten, man sol nichts leren fuͤr dem glauben, sondern die busse aus vnd nach dem glauben folgend, leren, auff das die widersacher nicht sagen muͤgen, man widderruͤffe vnser vorige Lere. So ist aber doch anzusehen, weil die busse vnd gesetz auch zu dem gemeinen glauben gehoͤren. Denn man mus ia zuuor glewben, das Gott sey, der da drewe, gebiete, vnd schrecke etc.. Tatsächlich wurde eine Einigung erzielt, die im Prinzip die Position bestätigte. bewegte sich aber insofern auf zu, als er einlenkend festhielt, dass die Liebe zur Gerechtigkeit (amor iustitiae) und die Furcht vor Strafe (metus poenarum) in der Rechtfertigung des Menschen tatsächlich eng beieinanderlägen. gestand zu, dass die auf die göttliche Drohung folgende Reue (contritio), die Rechtfertigung einleite. Als zweite auslösende Komponente der Reue aber hielt er die göttliche Verheißung (promissio) fest. Beide Streitparteien betrachteten die Kontroverse fortan als beigelegt, auch wenn in privater Auseinandersetzung mit daran festhielt, dass der Dekalog in der Kirche keinen Ort habe. seinerseits betonte – von unwidersprochen – die Funktion des Gesetzes als pädagogisch­ethische Anleitung für das Leben des wiedergeborenen Christen. Der Dekalog hatte daher für ihn seine Funktion in der Kirche keineswegs verloren. In seinen Loci von 1535 nannte er diesen Gebrauch den tertius usus legis.

Die zweite Streitphase spielte sich in den Jahren 1537/1538 ab. Jetzt standen sich und als Kontrahenten gegenüber. Auslöser war Auseinandersetzung mit dem Doppelkonvertiten , war, nachdem er sich zunächst dem evangelischen Glauben zugewandt hatte, wieder zur römischen Kirche zurückgekehrt. Vgl. zu ihm . der seit 1533 in wirkte. Sie trieb , der nach Reibungen mit seinem Landesherrn, , 1536 wieder nach zurückgekehrt war, in eine immer schärfere antinomistische Position. Dies führte dazu, dass er schließlich lehrte, dass Buße, Sündenerkenntnis und Gottesfurcht aus dem Evangelium, nicht aus dem Gesetz zu lehren seien, wobei er das Verständnis des Gesetzes immer mehr auf das mosaische Gesetz einengte. Den Wittenberger Theologen warf er vor, aus Christus einen neuen Moses zu machen, da sie darauf insistierten, dass aus dem Glauben4 notwendigerweise gute Werke folgen müssten. Selbst legte er Abfall von der eigenen Lehre zur Last. Der Reformator sah zunächst über all diese Invektiven hinweg und hielt unverbrüchlich an seiner Freundschaft mit fest, der seine antinomistische Theologie jedoch weiterhin öffentlich und provokativ vertrat. Erst 1537 entschied sich , gegen die Antinomer Stellung zu beziehen und betonte die Zusammengehörigkeit von Gesetz und Evangelium: das eine dürfe nicht ohne das andere gepredigt werden.Vgl. dazu den Überblick von , 585–592; . sah darin zu Recht eine Bestätigung seiner Position, die ihn schon ein Jahrzehnt zuvor in die Kontroverse mit geführt hatte. Nach einer Aussprache zwischen und schien der Konflikt zunächst behoben zu sein. Aber als dieser, unter Hinweise auf angebliche Approbation, seine Lehre in Druckschriften weiter propagierte, gab seine bisherige Zurückhaltung auf. In einer Serie von sechs akademischen DisputationenVgl. . versuchte der Reformator, eine theologische Klärung herbeizuführen. Die erste Disputation fand am 18.12.1537 in Abwesenheit statt. Hier präzisierte : Deus vult, ut legem doceamus. Hoc ubi fecerimus, videbit ipse, qui per eam convertantur, certe convertit per eam ad poenitentiam quos et quando vult. Sic lex ad omnes pertinet, sed non omnium est poenitentia. Qui autem eam habent, ministerio legis accipiunt.. Lex non necessaria ad justificationem, sed inutilis.. Dennoch – so hielt er fest – gibt es keine Rechtfertigung ohne contritio, die durch den Heiligen Geist aus der Gesetzespredigt entsteht. Aber polemisierte weiter, so dass schließlich in einer zweiten Disputation am 12.1.1538 einen öffentlichen Widerruf von seinem Gegner forderte. Zugleich trug er den triplex usus legis vor: Quare lex est docenda? Lex docenda est propter disciplinam Secundo. Lex docenda est, ut ostendat peccatum Tertio. Lex est retinenda, ut sciant sancti, quaenam opera requirat Deus .

Tatsächlich fanden die beiden Gegner in einer feierlichen Versöhnung wieder zusammen. Dennoch konnte die Kontroverse nicht endgültig beigelegt werden. Drei weitere Thesenreihen veranlassten die Veranstaltung einer dritten, ungewöhnlich scharfen Disputation am 13.9.1538. Misstrauen begann die alte Freundschaft zu untergraben. meinte, in den Antinomern bewusste Heuchler zu erkennen, die sich anschickten, das christliche Leben und seine ethischen Normen allmählich zu unterlaufen. Zwar erkannte er, dass sich und seine Gesinnungsgenossen auf Formulierungen berufen konnten, die er selbst einmal gebraucht hatte. Aber das5 Defizit, das in seinen Augen darin bestand, dass sie sich über die Situationsgebundenheit der Gesetzes­ wie der Evangeliumspredigt hinwegsetzten, wog in seinen Augen schwer. Nach hatte die Predigt in verantwortungsvoller Weise die Lebenskontexte der Adressaten und ihre seelsorgerlichen Bedürfnisse zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen. , der durch den fortdauernden Konflikt mit auch seine berufliche Existenz bedroht sah, erklärte sich schließlich zum Widerruf bereit. Dieser Widerruf ist in Schrift Wider die Antinomer enthalten, die allerdings erst 1539 herauskam.Vgl. . Damit war der Streit offiziell beendet, so dass am 7. Februar 1539 in das neu gegründete Wittenberger Konsistorium berief. De facto aber waren die Differenzen keineswegs beigelegt. sah sich zunehmend als Märtyrer unter der Tyrannis , während und zutiefst von der Schädlichkeit der antinomistischen Lehren für Glauben und Leben der Christen überzeugt waren und sie weiterhin zu unterbinden suchten. Nach der vierten Disputation vom 10.9.1538 verfasste aufs Neue eine Revokationsschrift, die, wie schon der vorangegangene Widerruf, einer Vorlage folgte. Ob er mit Überzeugung dahinterstand, mag man bezweifeln, denn bald darauf brachte er eine Neuauflage seines Eislebener Katechismus heraus.

Die beiden antinomistischen Kontroversen können als Vorläufer für den dritten antinomistischen Streit angesehen werden, der sich überwiegend, aber nicht nur auf den dritten Gebrauch des Gesetzes bezog und ab 1556 die Öffentlichkeit bewegte.Vgl. dazu insgesamt . Auch die Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Evangelium im zweiten Gebrauch, dem usus theologicus, brach immer einmal wieder auf, und selbst der usus politicus, der erste Gebrauch des Gesetzes, wurde im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen Theologenschaft und Obrigkeit in implizit thematisiert. Dass die Frage nach der Rolle des Gesetzes im Leben des Christen nicht endgültig beantwortet war und das Thema die reformatorische Theologie weiter beschäftigte, lag u. a. daran, dass sich beide Seiten auf Positionen berufen konnten, die er allerdings in jeweils unterschiedlichen Kontexten geäußert hatte. Seine reformatorische Autorität war also nicht eindeutig. Der Reformator hatte nämlich sowohl von der Irrelevanz des Gesetzes als auch von seiner hohen Bedeutung im Rechtfertigungsgeschehen und für das Leben des Christen gesprochen. Irrelevant war das Gesetz für den Christen, sofern es sich um zeitgebundene, alttestamentlich­juridische Vorschriften und kultische Zeremonialgesetze des alten Israel handelte. Diese rechtli6chen Regelungen sah in Parallele zu den säkularen Gesetzen des zu seiner Zeit geltenden kaiserlichen Rechts. Als irrelevant beurteilte er das Gesetz darüber hinaus in der Frage der Gerechtigkeit des Menschen vor Gott. Dass diese nicht über das Tun der im Gesetz vorgeschriebenen Werke zu erlangen sei, hielten – mit – alle reformatorisch gesinnten Theologen fest. Denn durch die im Dekalog gebotenen Werke vor Gott gerecht werden zu wollen, wäre eine zwanghafte Gesetzeserfüllung aus Furcht vor Strafe, die zu einer knechtischen, käuflichen, erdichteten, äußerlichen Gerechtigkeit führen würde, so argumentierte man. Das Gesetz war für aber nicht einfach mit dem mosaischen Gesetz oder mit dem Dekalog identisch. Vielmehr sei es als Forderung Gottes jedem Menschen ins Herz geschrieben: als lex naturalis (vergleichbar mit der Goldenen Regel) und als lex caritatis (Liebesgebot). Große Relevanz schrieb er dem Gesetz zudem als Richtschnur für die weltliche Ordnung und das Funktionieren der Gesellschaft zu. Das Gesetz als äußerliche, den säkularen Bereich regulierende Norm hielt er für absolut notwendig, um das Zusammenleben der Menschen zu garantieren. In der Aufsicht darüber erkannte er eine wichtige Funktion der weltlichen Obrigkeit. Aber auch im geistlichen Bereich hatte das Gesetz, Ansicht nach, seinen Ort. Hier führt die Gesetzespredigt als opus alienum Dei (fremdes, uneigentliches Werk Gottes) zur Erkenntnis der Sünde und zum Erschrecken des Menschen vor Gottes drohendem Zorn. Dieses opus alienum aber mündet nach in das opus proprium Dei (das eigentliche Werk Gottes), das den seine Sünde und sein Unvermögen erkennenden Menschen zur Verheißung der Sündenvergebung und Gnade führt. Die wahre Buße aber – so hielt im Anschluss an fest – nimmt nicht etwa in Hass und Verzweiflung ihren Anfang, in die der Mensch gegenüber den Forderungen des Gesetzes zwangsläufig verfällt. Vielmehr entzündet sie sich an der Güte und den Wohltaten Christi. verstand daher die Predigt des Gesetzes als ein Wachrütteln des Gewissens, um dieses für die Predigt von der liebenden Gnade Gottes, die Heil verkündet und Buße auslöst, aufnahmefähig zu machen. Die Gebote Gottes behalten also ihren Sinn, denn sie führen auch den Christen stets neu zur Erkenntnis seiner Sünden. Insofern sah im Gesetz eine notwendige Vorbereitung des Menschen auf die Gnade.Vgl. ; vgl. auch . Dementsprechend begann er schon 1520 damit, die Auslegung der Gebote Gottes als das erste Stück, das einem Christen not ist zu wissen seiner Auslegung des Credo voranzustellen.Denn – so – die Gebote lassen den Menschen seine Krankheit erkennen, der Glaube zeigt, wo er die Arznei finden soll. An dieser Lehrweise hielt Zeit seines Lebens unbeirrbar fest; vgl. . Und7 schließlich betonte auch er die unterweisende und orientierende Funktion des Gesetzes für die Gerechtfertigten und deren Lebensgestaltung im Sinne einer christlichen Ethik.

Die Auseinandersetzungen mit den Antinomern hatte die Konturen der Wittenberger Theologie geschärft. fasste sie 1535 in der zweiten Ausgabe seiner Loci Communes und vor allem in der letzten von 1559 in den drei Gebräuchen des Gesetzes, den tres usus legis zusammen:Vgl. . dem usus politicus (Ordnungsfunktion des Gesetzes im gesellschaftlichen Leben), dem usus theologicus / usus enlenchticus (die den Menschen als Sünder überführende Funktion des Gesetzes) und dem usus pädagogicus / usus didacticus / tertius usus legis (orientierende Funktion des Gesetzes für das Leben des Christen).Zu den oben geschilderten ersten beiden Streitphasen vgl. . Hier eine leicht erweiterte und modifizierte Fassung jener Ausführungen.

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Die in der dritten Phase der antinomistischen Auseinandersetzungen diskutierte Fragestellung ergab sich aus den Zusammenhängen des Majoristischen Streits. Um ihn zu schlichten hatte nämlich die Eisenacher Synode in ihrem Abschied von 1556 [Nr. 1] formuliert, die Aussage, gute Werke seien notwendig zum Heil, sei abstractive et de idea in doctrina legis statthaft.Vgl. die Einleitung zu . In den nun aufbrechenden antinomistischen Streitigkeiten ging es besonders um jene Funktion des Gesetzes, die – im Sinne dieser Aussage der Eisenacher Synode – als normative Anleitung die Gestaltung christlichen Lebens regulierte und der man als tertius usus legis oder usus paedagogicus, auch usus didacticus genannt, Gestaltungskraft beimaß. Diesmal spielte sich die Auseinandersetzung weitgehend – mit Ausnahme der Auseinandersetzung zwischen sowie Vgl. dazu unten S. 12. und dem späteren Streitschriftenwechsel zwischen und Vgl. dazu unten S. 13, Anm. 35. – innerhalb der Gruppe derer ab, die sich vor allem als treue Bewahrer des theologischen Erbes verstanden und die man daher als Gnesiolutheraner zu bezeichnen pflegt. Die Kontroverse zeigt, wie differenziert die theologischen Lehren auch innerhalb ihrer Gruppe sein konnten. Erneut standen die Positionen unversöhnt gegeneinander. Der Streit entwickelte sich nahezu parallel in verschiedenen Strängen und an verschiedenen Schauplätzen.

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hatte dem zitierten Satz der Eisenacher Synode zunächst zugestimmt und ihn, ebenso wie sein Gegner ,Zu und Position im Majoristischen Streit vgl. . unterschrieben. Später jedoch bereute diesen Schritt. Was ihm nicht mehr einleuchtend erschien, war die im Eisenacher Beschluss implizit getroffene Unterscheidung zwischen abstrakt und konkret hinsichtlich der im Gesetz erhobenen Forderungen Gottes. Das Gesetz fordere nicht in abstrakter Weise etwas Abstraktes, sondern ganz konkret gute Werke, welche man – nach – keineswegs als nötig zur Seligkeit bezeichnen dürfe, um nicht aufs Neue ihre Verdienstlichkeit ins Spiel zu bringen. und – sonst Gesinnungsgenossen – standen dagegen hinter den Beschlüssen der Eisenacher Synode. Theologisch hatte dies seinen Grund darin, dass sie dem Gesetz zwei voces aut sententias, d.h. eine doppelte Wirkweise zuschrieben. Dies bezog sich darauf, dass das Gesetz zum einen das Gebot der Gottes­ und Nächstenliebe ausspreche und zum anderen zugleich das Urteil beinhalte, dass im Grunde niemand die im Gesetz ausgesprochenen Forderungen recht erfüllen könne. In diesem Anspruch an den Menschen, dem nachzukommen niemand in der Lage sei, bleibe das Gesetz deshalb im Bereich des Abstrakten. In seinem Urteil aber, das es über den Sünder spricht, sei es konkret und rufe zur Buße.

Als im Anschluss an den Frankfurter Fürstentag von 1558 der unter Beteiligung formulierte Rezess die zu jenem Zeitpunkt diskutierten Streitfragen thematisierte, um sie unter Rekurs auf die Confessio Augustana einer Schlichtung zuzuführen,Vgl. dazu , S. 121–143 = , S. 123–140. stand auch die Frage, ob gute Werke zur Seligkeit nötig seien, erneut auf der Agenda. Dies veranlasste , mit seiner Schrift Dass die Buße allein aus dem Gesetz zu predigen sei [Nr. 2] Position zu beziehen, woraus hervorgeht, wie sich die Debatte bereits weiterentwickelt hatte. Damit war die Diskussion um die Funktionen der Gesetzes­ und der Evangeliumspredigt eröffnet, in die sich auch einige Wittenberger Studenten einmischten. Mit ihrer Stellungnahme Wider die Verfälschung der Definition des Evangelii [Nr. 3] versuchten sie – der Position ähnlich – festzuhalten, dass eine selige Reue eigentlich nur durch das Evangelium bewirkt werden könne, was dazu provozierte, in einer Kurzen Antwort [Nr. 4] die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium auch unter Bezugnahme auf deutlich zu formulieren.

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Zu einem der Brennpunkte des Antinomistischen Streits entwickelte sich die Reichsstadt . Hier war es bereits seit 1551 in der Pfarrerschaft zu Konflikten über die Rechtfertigungslehre gekommen. Es waren Zu seiner biographischen Einordnung vgl. unten S. 113f. in und (1515–1585) hatte ab 1530 in bei und studiert. 1541 wurde er Diakon in . Nach beruflichen Zwischenstationen in und amtierte er zunächst als Pfarrer an der Augustinerkirche in , dann als Senior des evangelischen Ministeriums und Professor. 1573 wechselte er auf eine Pfarrstelle nach Utenbach bei . Er wurde u.a. bekannt als Bearbeiter von Predigten und dessen Hauspostille. Vgl. , 1414f. in , die – als Gegner des und Vgl. die biographischen Angaben unten S. 304f. – die Debatte um den tertius usus legis in Gang setzten. und , dessen Schriften nur in Manuskriptform zirkulierten, hatten beide in studiert und standen theologisch auf der Seite . Sie fühlten sich durch den Beschluss der Eisenacher Synode herausgefordert und griffen ihn sogleich heftig an. Für alle an dem Streit beteiligten Theologen aber bestand Konsens darüber, dass sowohl der erste Gebrauch (usus politicus: Gewährleistung der äußerlichen Ordnung durch das Gesetz) als auch der zweite Gebrauch des Gesetzes (usus theologicus / enlenchticus: Erkenntnis der Sünden durch das Gesetz), zu predigen seien. Zur Debatte stand hier überwiegend der dritte Gebrauch (usus pädagogicus / didacticus, tertius usus legis), nämlich die Frage der Relevanz des Gesetzes für den wiedergeborenen Christen, für die und – in Übereinstimmung mit – vehement eintraten. Demgegenüber hielt an einem – nur – zweifachen Gebrauch des Gesetzes fest. Er sprach von einem officium ecclesiasticum und einem officium politicum und bestand in scharfer Abgrenzung gegen sogar darauf, dass die überführende Gesetzespredigt auch für den wiedergeborenen Christen weiterhin von Bedeutung sei. Denn auch der Christ bleibe ja weiterhin Sünder. Von der Rechtfertigung dagegen wollte das Gesetz – übereinstimmend mit und – strikt ausgeschlossen wissen. Aber als Richtschnur zum Tun guter Werke war für das Gesetz weder nützlich noch notwendig. In seinem Gütlichen Bericht [Nr. 5] versuchte er, das differenzierte Feld des Antinomismus durch eine Klassifizierung in unterschiedliche Typen abzustecken und sich in diesem Zuge selbst als Vertreter der rechten Lehre zu erweisen. Aber das vermochte die in schwelenden Kontroversen nicht zu dämpfen, im Gegenteil. Als seine Gegner traten Zu seiner biographischen Einordnung vgl. unten S. 351f. und auf, während er in10 aus im Harz (Neumann; 1525–1595) hatte bei studiert und machte sich als Schulmann einen Namen. Er war Rektor des Pädagogiums in und bemühte sich, hier eine Pflanzstätte des Humanismus aufzubauen. Er verfügte über eine bewundernswerte Sprachenkenntnis und bemühte sich um neue Lehrmethoden. verfasste Lehrbücher und gab zahlreiche Klassiker heraus. Vgl. , 166; . und ,Zu seiner biographischen Einordnung vgl. unten S. 324f. der im Jahre 1564 Pfarrer an der St. Petri­Kirche in geworden war, Gesinnungsgenossen fand. Initiativen des Nordhäuser Rats, den sich immer mehr zwischen und zuspitzenden Streit zu schlichten, führten nicht zum Ziel, so dass man bei in um eine gutachterliche Stellungnahme nachsuchte. Dieser entfaltete in seinen Disputationes tres pro tertio usu legis [Nr. 14] eine Position, die sich vor allem auf als Gewährsmann für den von ihm vertretenen dritten Gebrauch des Gesetzes stützte. Der Streit blieb aber nicht auf die Reichsstadt beschränkt. Er begann in jenem Moment größere Kreise zu ziehen, als sich durch Predigten und sowie durch eine Streitschrift des letzteren angegriffen sah.Vgl. dazu die . Der Rat entließ daraufhin die streitenden Theologen beider Lager. und wurden allerdings auf ihren Protest hin wieder in ihre Ämter eingesetzt. versuchte, seine Position durch seinen Bericht vom Gesetz Gottes [Nr. 15] zu rechtfertigen und die ihm unterstellte Autorschaft von anonym kursierenden Thesen zu widerlegen. Seine Auseinandersetzung mit , der mit einem Wahrhaftigen Gegenbericht [Nr. 16] antwortete, wurde durch wechselseitige Unterstellungen verschärft, die die theologischen Gegenpositionen zusätzlich aufluden.

Ein weiterer Brennpunkt der Auseinandersetzungen war . Hier standen der lutherisch gesinnte Zu seiner Biographie vgl. unten S. 281f. und der Melanchthon­Anhänger Zu seinen biographischen Stationen vgl. unten S. 140. einander als Kontrahenten gegenüber.Vgl. dazu im Einzelnen die . Ihr Streitschriftenwechsel zog sich über ca. sechs Jahre hin. Während die Bedeutung des Gesetzes im Leben des Christen auf den fortwirkenden zweiten Brauch, den usus theologicus, beschränken wollte und eine belehrend­orientierende Funktion des Gesetzes im Leben des Christen ablehnte, trat für den dritten Gebrauch des Gesetzes ein. Als Äußerung des neuen Gehorsams des wiedergeborenen Christen waren für ihn gute Werke notwendig, zumal sie als solche von Gott geboten seien und mit dem Wort Gottes übereinstimmten. Diese Position, die er zunächst für die Gelehrten auf Latein dargelegt hatte [Nr. 6], verbreitete er als Bericht11 und Bekenntnis, versehen mit überreichlichen Belegen aus den Schriften , auch in der Volkssprache [Nr. 7]. Aber der Streit mit kam nicht zur Ruhe. 1564 meldete sich ein letztes Mal mit einer ausführlichen Darlegung seiner Position zu Wort [Nr. 12], auf die , ebenfalls ein letztes Mal, antwortete [Nr. 13]. Nicht die Frage der guten Werke als solcher stellte , der spätere Vertreter des bei der Erstellung der Konkordienformel (1577), in Abrede, sondern warf vor, ihre Notwendigkeit zu Unrecht geltend zu machen.

Während die Kontroversen in und den tertius usus legis in den Mittelpunkt stellten, gaben die Amtsenthebungen und Ausweisungen eines Teils der Pfarrerschaft in wegen ihrer widerständigen Haltung dem Rat der Stadt gegenüber im Herbst 1562 Anlass dafür, implizit auch jene Rolle des Gesetzes zu thematisieren, deren Ordnungsfunktion bisher generell unumstritten gewesen war: den usus politicus. Nachdem grundsätzlich für das Recht des Rates eingetreten war, sich zur Vermeidung von Unordnung und Aufruhr und zur Wiederherstellung der rechten Lehre in Angelegenheiten von Religion und Kirche einzuschalten [Nr. 8], meldete sich zu Wort, dessen Rückkehr in sein ehemaliges Amt in nach seiner Entlassung von seiner Professur in umstritten gewesen war [Nr. 9]. Ihm machte nun nicht nur intrigantes Verhalten und unrechtmäßige Übergriffe auf den Rat zum Vorwurf, sondern auch falsche Lehre, da er im Gesetz einen Weg zur Seligkeit erkenne. Dagegen und gegen das nicht evangeliumsgemäße Verhalten der anderen Prediger in habe der Rat sein politisches Mandat zu Recht ausgeübt [Nr. 10]. Dies war der Anlass für eine grundsätzliche Stellungnahme zur Funktion des Gesetzes, die er von der Perspektive der Beziehung zwischen Gott und Mensch her erläuterte. Damit kam eher der theologische Gebrauch des Gesetzes (usus theologicus / usus elenchticus) in den Blick, weniger der usus politicus [Nr. 11]. Die theologische Thematik aber verschränkte sich in diesen Debatten mit den Stellungnahmen für bzw. gegen eine Obrigkeit, die für sich in Anspruch nahm, das politische, gesellschaftliche und kirchliche Zusammenleben nach einem gottgegebenen Mandat zu regeln.

Sechs Jahre später meldete sich erneut mit einer Stellungnahme zur Frage des Gesetzes zu Wort, indem er den Anhängern Antinomismus unterstellte.Vgl. dazu die . Während selbst auf einer klaren Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bestand, warf er und seinen Anhängern ein so weites und unspezifisches Verständnis von Evangelium12 vor, dass es den eigentlich vom Gesetz ausgehenden Anstoss zur Buße mit einschließe. Darauf antwortete der Wittenberger Professor Zu seiner biographischen Einordnung vgl. unten S. 375f. mit einer Widerlegung [Nr. 17], die in 150 Thesen die Übereinstimmung der philippistischen Position mit nachzuweisen suchte. Dennoch trat die allmähliche Differenzierung zwischen der Theologie und derjenigen anhand der Kontroversen immer mehr hervor. Neben die Abgrenzungen in der AbendmahlslehreVgl. dazu . trat jene in der Frage von Gesetz und Evangelium und ihren jeweiligen Funktionen. Das zeigte sich deutlich in Erwiderung De Antinomia veteri et nova [Nr. 18], die sich nicht nur gegen , sondern auch gegen wandte. Letzterer hatte sich mit seiner Quaestio de definitione Evangelii etwa gleichzeitig mit in die Diskussion eingeschaltet. warf ihnen vor, den Antinomismus zu erneuern, was mit seiner Apologia [Nr. 19] scharf zurückwies. Belege aus der Confessio Augustana variata, den Antinomerdisputationen und den Loci theologici dienten ihm dazu, sich und die Philippisten als treue Nachfolger und darzustellen. Tatsächlich wurde aber immer klarer, dass sich die Philippisten mit ihrem Verständnis von Evangelium als Predigt von Buße und Vergebung der Sünden immer mehr von der typisch Lutherschen Unterscheidung der Funktionen von Gesetz als Aufdeckung der Sünde sowie Anstoß zur Buße und Evangelium als Predigt von Sündenvergebung und Gnade unterschieden.

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Ein Teil der Gnesiolutheraner hatte also den dritten Gebrauch des Gesetzes abgelehnt. Sie hatten in ihrer Argumentation die Perspektive auf den gerechtfertigten, geistlichen Menschen zugespitzt, dessen Glaube stets gute Werke als Früchte aus freiem, lustigen Geist, S. 1450,4f. hervorbringt. Die Bedeutung des Gesetzes im Leben des Christen war deshalb in ihren Augen auf den fortwirkenden usus theologicus beschränkt. Dies führte insofern zu einer antinomistischen Position, als sie den dritten Gebrauch des Gesetzes, den usus paedagogicus ablehnten. Die Verteidiger des dritten Gebrauchs des Gesetzes – auch Gnesiolutheraner – hatten zwar ebenfalls den Gerechtfertigten im Blick, aber insofern er als natürlicher Mensch in diesem Leben weiterhin Sünder bleibt. konnte deshalb geltend machen, dass auch der neue Mensch vom Gesetz in Anspruch genommen wird und Adressat des Gesetzes ist. Auf seiner Seite stand mit einer theologisch differenzierten Argumentation gegen antino13mistische Positionen. Deren Vertreter hatten das Gesetz und die Gesetzeserfüllung im irdischen Bereich angesiedelt und so gegenüber dem Evangelium, das auf einer höheren Ebene liege, abgewertet. dagegen insistierte darauf, dass Gesetz und Evangelium auch für den gerechtfertigten Christen untrennbar zusammengehörten. Das Evangelium bedeute nicht eine Außerkraftsetzung des Gesetzes; vielmehr blieben beide in ihrer Aufeinanderzuordnung in Geltung. Auch und seine Anhänger wurden in diesen Streit hineingezogen. Während in der ersten und zweiten Phase der antinomistischen Debatten von als Gesetzesprediger gebrandmarkt worden war, ereignete sich im Zuge der Auseinandersetzungen um den tertius usus legis genau das Gegenteil. und die Philippisten gerieten in den Verdacht, selbst antinomistisch zu lehren. Anstoß erregt hatte nämlich die Aussage , dass das Evangelium eine praedicatio poenitentiae sei, denn erst durch das Evangelium werde die eigentliche Schuld, nämlich der Unglaube aufgedeckt. Dagegen bezog in prominenter Weise Position. Der Streit, der durch die Magdeburger Kontroversen zwischen theologischen Amtsträgern und politischer Obrigkeit noch einmal eine neue Wendung bekam, ebbte schließlich ab. Aber die theologische Hauptfrage nach dem tertius usus legis blieb bestehen und fand erst durch die Konkordienformel von 1577 eine Lösung.Vgl. , S. 1414–1431 und 1442–1453.