Historische Einleitung
Irene Dingel
Der in diesem Band dokumentierte Majoristische Streit ist nach seinem Hauptbeteiligten Georg Major (1502–1574) benannt.Zu seiner Person, seinem Leben und Wirken vgl. Dingel/Wartenberg, Major. Zum Majoristischen Streit vgl. Irene Dingel, Majoristischer Streit. Gegenstand der sich von 1552–1570 hinziehenden Kontroverse war die Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Werken. Damit wurde ein Thema verhandelt, das für die evangelische Rechtfertigungslehre seit Beginn der Reformation von zentraler Bedeutung war. Sowohl Martin Luther als auch Philipp Melanchthon beschäftigten sich – aus unterschiedlichen Perspektiven und in verschiedenen historischen Konstellationen – immer wieder mit diesem Thema. Schlechthin allen reformatorischen Strömungen war gemeinsam, dass sie die rechtfertigende Gnade Gottes ins Zentrum ihrer Verkündigung stellten und das Vertrauen des Menschen auf den Verdienst bzw. den meritorischen Wert eigener Werke vor Gott dezidiert ablehnten. Und so bezog sich auch die antirömische Polemik der Reformation vor allem in den frühen Jahren des 16. Jahrhunderts häufig auf die der altgläubigen Frömmigkeit vorgeworfene Werkgerechtigkeit
, von der man sich abgrenzte und der man die Rechtfertigung sola gratia
entgegensetzte. In dieser Frontstellung hatte Luther sogar einmal in Distanzierung von Positionen, die er für falsch und irreführend hielt, geäußert, dass Werke in der Beziehung des Menschen zu Gott sogar schädlich sein könnten. In seinem lateinischen Tractatus de libertate christiana formulierte er im Jahre 1520 folgendes: Haec dicta sint de interiore homine, de eius libertate et de principe iustitia fidei, quae nec legibus nec operibus bonis indiget, quin noxia ei sunt, si quis per ea praesumat iustificari
.Martin Luther, Tractatus de libertate christiana, 1520, in: ,59,21–23. Zwei Jahre später predigte er in : Dan unser glaub soͤl sein ein zuvorsicht unnd vertrawen uff gottes Barmherczigkeit unnd gnade, die do bestendig sey. Da muͤssen hinwegk alle werck, die thun gar nichts darzu, die werck sein am schedlichsten zur seligkeit, wie ich vorgesagt hab, der glaub ist so eckel [scil. abstoßend den Werken gegenüber] unnd clar, das er der werck nit haben will noch ansicht, er will allein herre sein.
Martin Luther, Predigt in der Schloßkirche zu , 26.10.1522, in: III, 387,10–15. Die Position seines Wittenberger Kollegen und Freundes Philipp Melanchthon stand keineswegs im Gegensatz dazu. Allerdings trat in seinen Äußerungen mehr der Zusammenhang von Glauben und Werken, weniger der – durchaus auch von ihm gesehene – Gegensatz beider in den Vordergrund. Artikel VI der von ihm erstellten Confessio Augustana z. B. betonte das notwendige Hervorgehen guter Früchte aus dem Glauben, der sich in guten Werken bzw. ethischem Verhalten zu äußern habe. Ihnen aber einen verdienstlichen Charakter zuzusprechen, lehnte auch Melanchthon ab. Auch wirt geleret,1 das solcher glaub gute frucht und gute werck bringen soll und das man müsse gute werck thun allerley, so Gott geboten hat umb Gottes willen, doch nicht auf solche werck zuvertrauen, das wir durch unsere werck Gottes gesetz gnug thun odder von wegen unser werck gerecht geschetzt werden
CA VI, in: BSELK 100,11–15. Solchen Äußerungen konnte sich Luther durchaus anschließen. Diese Konstellationen in der frühen reformatorischen Theologie Luthers und Melanchthons waren ausschlaggebend für die weiteren Diskussionen um das Verhältnis von Glauben und Werken.
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Schon im Jahre 1536 war es zu einer Auseinandersetzung um die Rolle der guten Werke und ihren Stellenwert bei der Rechtfertigung gekommen. An dieser Kontroverse zeichnet sich bereits ab, dass innerhalb der Wittenberger Reformation ein Differenzierungsprozess einsetzte, der in unterschiedliche Lehrentwicklungen ausmündete. Damals standen sich Conrad Cordatus (1476–1546),Nach ihm wurde der Streit als CordatusStreit bezeichnet. Vgl. Handbuch der Dogmen und Theologiegeschichte II, S. 113f. Zur Person vgl. Friedrich Wilhelm Bautz, Art. Cordatus (Hertz), Konrad, in: . ein ehemaliger Schüler Luthers und Sammler seiner Tischreden, auf der einen Seite, und Philipp Melanchthon sowie Caspar Cruciger (1504–1548) auf der anderen Seite gegenüber. Cruciger war seit 1528 Professor in und Prediger an der Schlosskirche. Er war Luthers Gehilfe bei der Bibelübersetzung gewesen; theologisch aber stand er Melanchthon näher.Zu Cruciger vgl. Friedrich de Boor, Art. Caspar Cruciger d. Ä., in: TRE 8 (1981), S. 238–240. Auslöser der Kontroverse war eine Äußerung Crucigers während einer Vorlesung im Jahre 1536. Hier hatte er gesagt, dass zwar allein Christus (solus Christus) die causa iustificationis
sei, aber auch Voraussetzungen auf Seiten des Menschen gegeben sein müssten. Dieser habe zuvor Reue über seine Sünden zu empfinden und sein Gewissen dem Wort Gottes gegenüber so vorzubereiten, dass er den Glauben empfangen könne. Ähnlich äußerte er sich auch in einem Brief an Cordatus vom 10.9.1536: iustificamur fide, diserte hoc dixi, quod tamen Christus sit causa iustificationis propter quam. Deinde hoc adidi in hac exclusiva, gratis iustificamur, nunc excludi contritionem, sed eam necessariam esse in homine iustificando, et nostram contritionem vocavi causa sine qua non, quia sine ea non potest existere fides.
Cruciger an Cordatus, 10.9.1536, in: CR 3, Nr. 1466, Sp. 159–161, Zitat 160. Vgl. dazu auch Handbuch der Dogmen und Theologiegeschichte II, 113–117. Dies wurde für Conrad Cordatus, der inzwischen Pfarrer in , nördlich von , geworden war, zum Stein des Anstoßes. Er befürchtete, dass sich mit der Formulierung Crucigers, die Reue sei eine causa sine qua non
für die Rechtfertigung, eine Rückkehr in den altgläubigen Vorstellungshorizont anbahnen könnte.Dies geht aus seinem späteren Brief des Cordatus an Justus Jonas und Philipp Melanchthon vom 17.4.1537 hervor, in dem er die Position Crucigers folgendermaßen darstellte und freilich dabei auch überzeichnete: …tantum Christus est causa propter quem, interim tamen verum est, homines agere aliquid oportere, oportere nos habere contritionem, et debere verbo erigere conscientiam, ut fidem concipiamus, ut nostra contritio, et noster conatus sunt causae iustificationis sine quibus non. Causam contradictionis meae ante scripsi; quod scio hanc dualitatem causarum cum simplici articulo iustificationis stare non posse
: CR 3, Nr. 1561, 349–351, das Zitat 350. Cruciger führte dagegen ins Feld, dass er Melanchthon als Gewährsmann für diese Theologie geltend machen könne. Der Satz stamme – so gab er an – im Grunde von Melanchthon selbst.Vgl. .9.1536, in: CR 3, Nr. 1466, Sp. 162, Anm. Dies wiederum veranlasste Cordatus, sich an Luther und Johannes Bugenhagen zu wenden. Auch Nikolaus von Amsdorf (1483–1565), treuer Freund und Vertrauter Luthers, schaltete sich ein. Schon im September 1536 informierte er den Reformator über die Lehrdifferenzen in . Der Streit begann, weitere Kreise zu ziehen. Hic dicitur, quod pugnantia docentur
, so schrieb er an Luther, Ille [scil. Melanchthon] in schola vehementer urget, opera esse necessaria ad vitam aeternam, tu vero in eadem hebdomada et dominica in templo pio tuo spiritu docuisti de regeneratione: puer in utero nihil facit aut operatur, sed patitur tantum et formatur etc.
Amsdorf an Luther, 14.6.1536, in: WA.B 7, Nr. 3081, S. 540,5–10. Über Luthers direkte Reaktionen darauf kann man nur spekulieren. Er nahm aber in seiner Disputatio De iustificatione
vom 10.10.1536 zu den strittigen Fragen Stellung.Vgl. I, 82–86, 87–133. Hierin machte Luther u. a. den Zusammenhang von Rechtfertigung bzw. Glauben und dem Beginn eines neuen Lebens bei dem Gläubigen deutlich. Diesen engen Zusammenhang definierte Luther als Grundlage dafür, sagen zu können, dass gute Werke notwendig zum Heil seien. Dies aber bedeute weder für ihn noch für die anderen Reformatoren, dass die Werke womöglich das Heil begründeten oder verursachten.Vgl. I, 96,6–8. Nach wie vor stellte Luther das sola fide
im Rechtfertigungsgeschehen in den Mittelpunkt. Dieser engen Verbindung von Glauben und daraus hervorgehenden guten Werken steht – nach Luther – die enge Beziehung von Reue und Glauben zu Seite. Er hielt fest, dass es ohne Reue keine Sündenvergebung gebe und daher in ebensolcher Weise die Reue notwendig zur Rechtfertigung des Menschen sei. Als (Wirk)Ursache der Rechtfertigung allerdings könne sie nicht gelten. Eine dezidierte Abgrenzung von der Aussage, die Reue sei eine causa sine qua non
der Rechtfertigung, vollzog Luther also zunächst noch nicht. Wenig später äußerte er sich in einer weiteren Disputation vom 1.6.1537 noch einmal zu dieser Frage, diesmal ablehnend.Vgl. die Promotionsdisputation von Palladius und Tilemann vom 1.6.1537, in: . Was ihm wichtig war und woran er in dieser Auseinandersetzung festhielt, war die Notwendigkeit einer disciplina
, die die guten Werke auf der Ebene eines Wohlverhaltens in weltlichen Bezügen einordnet. Die Formulierung notwendig zum Heil
lehnte er als missverständlich ab.Vgl. I,256,15–257,7. Melanchthon dagegen verteidigte seine Auffassung von der der Rechtfertigung vorangehenden Reue und den Werken als Früchten des Glaubens. Zugleich machte er klar, dass er die sola fide
, ohne menschliches Zutun geschehende Rechtfertigung nie angezweifelt habe. Der sich in guten Werken bzw. Früchten des Glaubens realisierende neue Gehorsam des Gerechtfertigten sei weder eine Gegenleistung für ein erhaltenes Gut, nämlich die Rechtfertigung, noch ein eigenes, für die Rechtfertigung in Anschlag zu bringendes Verdienst.Vgl. Melanchthon an Luther, Jonas, Bugenhagen und Cruciger, 1.11.1536, in: CR 3, Nr. 1480, Sp. 180. MBW 17, NR. 1802, S. 263.
Damit waren die Streitpunkte ausgeräumt, und der sogenannte CordatusStreit konnte beendet werden. Dennoch blieb das grundsätzliche Problem des Stellenwerts guter Werke und damit ethischer Eigenverantwortlichkeit des Menschen virulent. Damit war langfristig auch die Frage verbunden, ob Luther oder Melanchthon die Lehrautorität in der Wittenberger Reformation und in dem an die nächste Generation zu übermittelndem reformatorischen Erbe zukam bzw. wie weit die sich lehrmäßig differenzierende Reformation zusammenzuhalten war. Diese Problematik kam wieder auf, als im Anschluss an das Augsburger Interim von 1548 mit dem als Alternative konzipierten Leipziger Landtagsentwurf eine Position Melanchthons bekannt wurde, die an die bereits in den dreißiger Jahren diskutierten Fragestellungen erinnerte. Einige derer, die sich jetzt in den fünfziger Jahren des 16. Jahrhunderts erneut zu Wort meldeten, wie z. B. Nikolaus von Amsdorf, brachten alte Erfahrungen in die Kontroverse mit ein, deren Verlauf und deren Schärfe sich nur im Kontext der neuen Konstellationen erschließt.
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Nach der Niederlage der Evangelischen im Schmalkaldischen Krieg und dem auf die Wiederherstellung des alten Glaubens und altgläubiger Frömmigkeitspraxis zielenden, von kaiserlicher Seite erlassenen Augsburger Interim von 1548 versuchte Kurfürst Moritz von Sachsen mit Hilfe der Wittenberger Theologen – unter ihnen Philipp Melanchthon, Johannes Bugenhagen, Caspar Cruciger und Georg Major – eine Alternative zu den Bestimmungen des Augsburger Interims ausarbeiten zu lassen. Sie zielte darauf, die evangelische Lehre zu wahren und lediglich in den Riten und Zeremonien Kompromissbereitschaft mit den Anliegen des Kaisers zu signalisieren.Vgl. dazu die Historischen Einleitungen in C&C 1, S. 3–34, und C&C 2, S. 3–14. Schon im Mai 1548, noch bevor das Interim gedruckt vorlag, hatten Melanchthon, Bugenhagen, Cruciger und Major in einem Gutachten für Kurfürst Moritz gegen die im kaiserlichen Interim rekapitulierte altgläubige Rechtfertigungslehre deutlich Stellung genommen. Zugleich hatten sie sich von der wiederaufkeimenden scholastische[n] Werkgerechtigkeit
MBW Reg. 5, Nr. 5170, S. 293. deutlich distanziert und das Vertrauen auf die Gnade Gottes als vorrangig betont. Unter anderem war in dem von Melanchthon federführend erstellten Iudicium zu lesen: Wir streiten nicht vom Wörtlein sola [scil. sola fide, sola gratia], sondern sagen und bekennen: es müssen in uns die andern Tugenden und guter Vorsatz angefangen seyn und bleiben; dennoch uͤber dieselbigen Tugenden muß das Vertrauen auf den Sohn Gottes seyn, wie gesagt ist, und muß die andern Tugenden alle uͤberschatten
.Iudicium (Wittebergenses Theologi de doctrina de iustificatione in libro Augustano), in: CR 6, Nr. 4244, 908–912, Zitat 910 = MBW Reg. 5, Nr. 5170, 293. Vgl. auch C&C 2, S. 387f, Anm. 176. Zu Melanchthons Stellungnahme zum Interim vgl. Dingel, Der rechten lehr zuwider
, bes. S. 296–302. Diese Formulierung nahmen die Gegner Melanchthons wenig später auf, um den von Kursachsen eingeschlagenen Weg einer zu verhandelnden Verständigung mit der kaiserlichen Seite theologisch verdächtig zu machen.Vgl. die Anspielung auf dieses Formulierung des Gutachtens in dem von Flacius veranlassten Druck des sogenannten Leipziger Interims
, unsere Ausgabe Bd. 2, S. 387, 14–17. Die Schärfe der einsetzenden Kontroversen, auch derjenigen um den Stellenwert der guten Werke, erklärt sich aus dieser, von vielen als Situation der Entscheidung empfundenen Krise. Diese Krisenstimmung drückt sich deutlich in einer Wortmeldung des strengen Lutheraners und Interimsgegners Nikolaus von Amsdorf aus. Er führte aus: das man von der Justification on das Wort sola wol deutlich und klerlich reden kann, wie denn nicht allein Lutherus im büchlein, da er dem Cocleo Antwort, sonder auch S. Paulus selbs gethan hat. Darumb ob das Wort Sola in articulo iustificationis nicht allweg genent oder gebraucht würde, das were on gefehr. Wer wolt solchs straffen? Aber mit fürsatz vnd bedachtem Ratt mit dem Antichrist vmbs Keisers willen sich zuuergleichen aussen zu lassen und nicht mehr streiten wollen, welchs wir alle mit vnd neben Luthero heiliger gedechtnis so hefftig gestritten haben, das macht die sache verdechtig vnd gibt vrsach, der Papisten lehr widderumb auffzurichten, das der Glaub mit der Liebe rechtfertige.
Das Doctor Martinus kein Adiaphorist gewesen ist / vnd das D. Pfeffinger vnd das buch on namen jhm / gewalt vnd vnrecht thut. Nicolaus von Amssdorff / EXVL V. NOVEMB. Gedruckt zu / bey Christian Rödinger. Anno M. D. L. (VD 16 A 2338), S. C 1r. Vgl. dazu ders. Dass D. Pommer und D. Major Ärgernis und Zertrennung angericht (1551), in: unsere Ausgabe Bd. 2, S. 763,30–764,9. Vgl. auch Ritschl, Dogmengeschichte II/1, S. 374. Der bei einigen aufkommende Zweifel an der Bewahrung der reformatorischen Lehre wurde durch die eigenmächtige Veröffentlichung und Kommentierung des Leipziger Landtagsentwurfs durch Nikolaus Gallus und Matthias Flacius Illyricus weiter geschürt. Denn hier war in dem Abschnitt über die Buße zu lesen: Die Busse, Beicht vnd Absolution, vnd was dem anhengig, das die fleissig geleret vnd gepredigt vnd das volck zur Beicht, dem Priester zu thun vnd an Gottes stadt die Absolution von jhm zu entpfahen, vnnd dabei auch mit fleis ermanet vnd angehalten werde zum gebet, fasten vnd almusen geben.
C&C 2, S. 402,9–13. Die Gegner glaubten, hier die Satisfaktionsleistungen des altgläubigen Bußsakraments wiederzuerkennen, zumal der Glaube als ausschlaggebender Bestandteil des evangelischen Bußverständnisses keine Erwähnung gefunden hatte. Eine solche – vermeintliche – Annäherung an die altgläubige Theologie und damit einhergehend die Aufgabe der zentralen reformatorischen Lehre in einer Zeit, in der es gerade darauf ankam, das evangelische Bekenntnis trotz aller Bedrohung zu bewahren, glaubte man auch an weiteren Stellen des Landtagsentwurfs zu finden. Denn in dem Abschnitt über die guten Werke z. B. hieß es: Wie nun dieses warhafftiges erkennen in vns leuchten mus, also ist gewißlich war, das diese tugenden, glaub, liebe vnd hoffnung, vnd andere in vns sein muͤssen vnd zur seligkeit noͤtig sein
.C&C 2, S. 398,13–15. Gallus und Flacius kommentierten diese Stelle mit der Bemerkung: Solche rede, die tugende sind zur gerechtigkeit oder seligkeit noͤtig, derer sehr viel in diesem vnnd dem vorigen Capitel ist, sind den Papisten zugute gesetzt, auff das sie darnach daraus (wie denn leichtlich folgt) schliessen: Ergo, so werden wir zum teil auch durch vnsere wercke gerecht vnd selig
.C&C 2, S. 398,16–19. Damit wirkten sie nicht unerheblich in die Öffentlichkeit hinein und beeinflussten die nach dem Interim gegen die Wittenberger Theologen gerichtete Stimmung. Die bereits in dem CordatusStreit in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts diskutierten Fragen, die damals noch durch die Voten Luthers und Melanchthons beantwortet werden konnten, wurden in der Interimssituation aufs Neue aktuell.
Dabei spielten auch die persönlichen Konstellationen eine Rolle. Zu jenen Personen, die 1548 an den Beratungen um den Leipziger Alternativentwurf zum Augsburger Interim beteiligt waren, hatte neben Georg von Anhalt, Philipp Melanchthon und Johannes Bugenhagen auch Georg Major gehört. Mit Georg von Anhalt,Zu Georg von Anhalt vgl. Gabriel, Georg III. von Anhalt. dem evangelischen Bischof von , war Major als Stiftssuperintendent von bereits in Kontakt gekommen. Denn dieses Amt hatte er nach der Schließung der Universität Wittenberg im Jahre 1546 und seiner Flucht nach der Kriegsniederlage des Schmalkaldischen Bundes übernommen. Johannes Bugenhagen, wegen seiner Herkunft aus auch Zu Bugenhagen vgl. Dingel/Rhein, Der späte Bugenhagen. genannt, kannte er aus seiner langen Wittenberger Zeit, und Philipp MelanchthonZu Melanchthon vgl. Dingel/Kohnle, Melanchthon. war sein akademischer Lehrer gewesen. Majors Teilnahme an den von Kurfürst Moritz initiieren Beratungen machte ihn in den Augen der strengen Anhänger Martin Luthers, die sich um Nikolaus von Amsdorf, Nikolaus Gallus und Matthias Flacius Illyricus in gesammelt hatten, von vornherein suspekt, so dass sich Major schon 1550 genötigt sah, sich gegen Vorwürfe zu verteidigen. Kurz bevor Major Ende 1551 eine neue Stelle als Superintendent in in der antratMajor konnte sich dort nicht lange halten. Denn nach dem Abschluß des Passauer Vertrags kehrte Graf Albrecht von Mansfeld, der nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg geächtet worden war, wieder in sein Land zurück. Er wollte Major und seine Theologie nicht länger dulden, so dass der Theologe schon 1552 seinen Posten aufgeben und das Land verlassen mußte. Zur Biographie Majors unsere Ausgabe Nr. 1, Einleitung, unten S. 22f., brachte Amsdorf eine Streitschrift gegen ihn und Johannes Bugenhagen heraus: Daß Dr. Pommer und Dr. Major Ärgernis und Zertrennung angerichtet
Das Doctor Pomer vnd Doctor Maior mit iren Adiaphoristen ergernis vnnd zurtrennung angericht / Vnnd den Kirchen Christi / vnüberwintlichen schaden gethan haben. Derhalben sie vnd nicht wir zu / vom Teuffel erwegt seint / wie sie vns schmehen und lestern. Niclas von Amsdorff Exul. … [: Michael Lotter] 1551. Vgl. die kritische Edition der Schrift in unserer Ausgabe Bd. 2, S. 752–777.. Damit begann – aus den Auseinandersetzungen um die Adiaphora hervorgehendZum Adiaphoristischen Streit vgl. unsere Ausgabe Bd. 2 mit der Historischen Einleitung, S. 3–14. – ein längerer Streitschriftenwechsel, den die Forschung als Majoristischen Streit
bezeichnetVgl. zum Verlauf des Streits auch Tschackert, Kirchenlehre, 514–520; Ritschl, Dogmengeschichte II.1, 371–398; Heinz Scheible, Art. Georg Major, in: ; Handbuch der Dogmen und Theologiegeschichte II, 113–117; in neuerer Aufarbeitung Dingel, Majoristischer Streit.. Denn Amsdorf warf Major und Bugenhagen, die er wegen ihrer Beteiligung an den Beratungen zum Leipziger Alternativentwurf als Adiaphoristen
Vgl. dazu unsere Ausgabe Bd. 2, S. 11 und S. 757f. qualifizierte, vor, die reformatorische Rechtfertigungslehre verfälscht zu haben. Dies rief nicht gerade Sympathie bei der Mansfelder Geistlichkeit für ihren neuen Superintendenten Georg Major hervor. Seine Mansfelder Kollegen Michael Coelius und Johannes Wigand standen ihm ohnehin mit großen Reserven gegenüberVgl. Scheible, Art. Georg Major, in: .. Major beeilte sich, klärend einzugreifen und beteuerte in seiner Antwortschrift an Amsdorf Auf des ehrwürdigen Herrn Niclas von Amsdorfs Schrift Antwort Georg Majors
aus dem Jahre 1552 [Nr. 1], das sola fide
im Blick auf die Rechtfertigung nie in Zweifel gezogen zu haben. Dies stand für ihn aber keineswegs in Gegensatz zu seiner Ansicht von der Notwendigkeit guter Werke. Deutlich formulierte er: Das bekenne ich aber, das ich also vormals geleret vnd noch lere vnd foͤrder alle meine lebtag also leren will, das gute werck zur seligkeit noͤtig sind, vnd sage oͤffentlichen vnd mit klaren vnd deutlichen worten, das niemands durch boͤse werck selig werde vnd das auch niemands one gute werck selig werde, vnd sage mehr, das wer anders leret, auch ein Engel vom Himel, der sey verflucht.
Major, Antwort, unserer Ausgabe Bd. 3, Nr. 1, S. 36,9–14 (C 1v – 2r). Daraus entwickelte sich eine längere Auseinandersetzung, in der eine große Anzahl von Gegnern gegen Major das Wort ergriffen: neben Nikolaus von Amsdorf, Matthias Flacius und Nikolaus Gallus auch die Mansfelder Prediger Michael Coelius und Johannes Wigand, Joachim Mörlin und die Jenaer Theologische Fakultät.
Amsdorf, der sich anschickte nach zu wechseln, reagierte unverzüglich mit einem Kurzen Unterricht auf D. Georgen Majors Antwort
[Nr. 2], der wohl im Sommer 1552 gedruckt erschien. Der zeitliche Abstand zu zwei weiteren Gegenschriften – die eine aus der Feder des Flacius (Wider den Evangelisten des heiligen Chorrocks D. Geitz Major [Nr. 3]), die andere aus der des Gallus (Antwort auf des Herrn D. Majors Verantwortung und Declaration [Nr. 4]) – scheint nur gering gewesen zu sein. Flacius bekräftigte Amsdorfs Kritik an Major und lastete ihm außerdem an, durch seine Autorschaft am Leipziger Interim
die Verteidigung der Wahrheit aufgegeben und sich den Altgläubigen angenähert zu haben. Dies sah er in Majors Lehre von der Notwendigkeit der guten Werke bestätigt, die er ad absurdum zu führen versuchte. Dazu führte er die Möglichkeit einer Bekehrung des Menschen auch noch auf dem Sterbebett ins Feld, was die zur Seligkeit nötigen Werke per se ausschloss. Das Aufzeigen von solchen Inkonsequenzen nutzte Flacius, um Major in seinem verantwortungsvollen Amt als Superintendent in als theologisch unberechenbar darzustellen. Auch Gallus zielte in seiner Schrift auf die Widerlegung von Majors Spitzenaussage, dass die guten Werke zur Seligkeit vonnöten seien. Dabei sah er sehr wohl, dass es einen Zusammenhang geben könne zwischen dem Missbrauch der evangelischen Freiheit und Majors Insistieren auf den Früchten des Glaubens, ohne deren Vorhandensein der Erhalt der ewigen Seligkeit letzten Endes in Frage gerate. Aber unter theologischem Aspekt brandmarkte er die Aussage Majors deutlich als schriftwidrig und führte die Gefahr vor Augen, dass Werke womöglich wieder einen verdienstlichen Charakter erhalten könnten. Dies flankierte er mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Kirchenzucht, auf Grund derer der nach der Bekehrung in Sünde Gefallene durch Ermahnungen gebessert oder aber aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden solle. Der Streit zog bald größere Kreise, was nicht zuletzt dadurch kam, dass Major die Streitfrage auf die Kanzel brachte. Am 25.1.1552 hielt er kurz nach seinem Amtsantritt als Superintendent in der Andreaskirche in anlässlich des Festes Conversionis Pauli eine Predigt, in der er seine Lehre von der Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit entfaltete und verteidigteVgl. dazu Kolb, Major as Controversialist.. Dass seine Mansfelder Amtsbrüder ihn daraufhin zur Rede stellten, hinderte Major nicht, im Jahr darauf diese Predigt zu einer breit angelegten Druckschrift auszuarbeiten und – gegen den Rat seines Lehrers Melanchthon – drucken zu lassen. Dieser Sermon von S. Pauli und aller gottfürchtigen Menschen Bekehrung zu Gott
[Nr. 5], erschien 1553 in . Wegen seiner Überlänge wurde er von Flacius geringschätzig als das lange Comment
bezeichnetSo in seinem Appendix zum Bedenken der Mansfelder Prediger, unsere Ausgabe Bd. 3, Nr. 6, S. 313,13.. Sein Umfang aber resultierte auch daraus, dass der Sermon nicht nur eine Rechtfertigung der Lehre und eine klare Positionierung Majors enthielt, sondern auch auf die drei bereits erschienenen Streitschriften Amsdorfs, Flacius’ und Gallus’ Bezug nahm. Worauf es Major aber in erster Linie ankam, war, seine Treue zu den reformatorischen Grundlagen klar herauszustellen. Er bekannte sich deutlich zur Rechtfertigung sola fide
und lehnte den Gedanken daran, dass menschliche Werke etwa vor Gott in verdienstlicher Weise in Anschlag zu bringen seien, dezidiert ab. Ewige Seligkeit könne es allein aus Gnaden geben. Den auf die Rechtfertigung sola fide
folgenden guten Werken kommt aber insofern ein wichtiger Stellenwert zu, als sie zur Bewahrung der ewigen Seligkeit durchaus nötig seien. Zwar stellten sie kein meritum
, d. h. kein Verdienst dar, aber ein debitum
, d. h. einen geschuldeten, neuen Gehorsam, der als Frucht aus dem Glauben, der Rechtfertigung und der damit erlangten Gerechtigkeit hervorgeht. Major stellte damit unmissverständlich fest, dass die menschlichen Werke nicht nötig seien, um die Seligkeit zu erlangen, da der Mensch sie sola gratia
und sola fide
bereits habe. Jedoch sei ein Leben in guten Werken dennoch hoch notwendig, um dieses Gut nicht wieder zu verlieren.Vgl. Major, Ein Sermon von S. Pauli … Bekehrung, unsere Ausgabe, Bd. 3, Nr. 5, S. 142,1015 (B 3r). Hier heißt es: alsdenn seind dir die gute werck nit zu der sehligkeit zu erlangen (die du aus genaden on alle werck ALLEJN durch den glauben an den Herrn Christum albereit hast), sondern zu der sehligkeit zu behalten vnnd nicht wiederumb zu verlieren so hoch vonnöten, das, do du sie nicht thust, es ein gewiß zeichen ist, das dein glaube todt vnd falsch, geferbet vnd eine erdichte opinio ist
. Bereits hier wird deutlich, dass Major den Akzent in dieser Kontroverse anders setzte als seine Gegner. Ihm ging es darum, solchen Konsequenzen vorzubeugen oder sie abzuwenden, die aus einer Überbetonung des reformatorischen sola fide
entstehen könnten, nämlich einem sorglosen SichVerlassen auf Gottes Gnade und den geschenkten Glauben. Bereits die ersten Visitationen in Kursachsen Ende der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts hatten gezeigt, dass das neue Leben des Christen manchmal nicht anders verlief als das alte und durch die reformatorische Predigt keine sittliche Besserung eingetreten war. Wenn aber, gemäß der Lehre der Reformatoren, aus dem Glauben notwendig gute Früchte im Sinne eines entsprechenden Lebenswandels hervorgehen, dann musste deren Ausbleiben als Zeichen dafür gelten, dass offensichtlich kein lebendiger, sondern nur noch ein toter Glaube vorhanden war, der in keiner Weise zur Seligkeit, sondern eher zu deren Verlust führte. Damit hatte Major im Grunde an Aussagen der Confessio Augustana angeknüpft und keineswegs eine neue Lehre aufgebracht.Vgl. CA VI (BSELK 100,11–102,5, bes. 100,11–15) und vor allem CA XX: Praeterea docent nostri, quod necesse sit bona opera facere, non ut confidamus per ea gratiam mereri, sed propter voluntatem Dei
, in: BSELK 125,24–28. Dass die von ihm vorgetragenen Aussagen nun zu einem theologischen Problem wurden, lag an der durch das Interim heraufbeschworenen Krisen und Bekenntnissituation. Denn Majors Formulierungen ließen in diesem Kontext den Eindruck entstehen, als sollten die Werke gleichberechtigt neben den Glauben rücken und mit ihm zusammen als Bedingung für die Rechtfertigung gelten. Dies hätte in der Tat eine Annäherung der reformatorischen Lehre an altgläubige Positionen bedeutet. Und dies nahmen die Gegner Majors in hoher Sensibilität wahr. Amsdorf ließ sich sogar dazu hinreißen, die Schädlichkeit guter Werke zur Seligkeit zu vertreten.Vgl. Diese Position leitete er aus Predigten Martin Luthers ab, die er – mit einer Vorrede versehen – im Jahre 1557 zum Druck brachte. Vgl. Das achtzehend vnd neunzehend Capitel / vnd ein Stuͤck aus dem zwentzigsten S. Johannis … Gepredigt vnd ausgelegt durch Doc. Mart. Luth. Anno M.D.XXVIII. vnd XXIX, 1557 (VD 16 L 3637). In seinem Bekenntnis … von der Justification
aus dem Jahre 1558 [Nr. 12] erklärte sich Major schließlich bereit, seine missverständlichen Formulierungen nicht mehr zu gebrauchen.Offenbar hatte ihn auch Melanchthon dazu gedrängt, seine Position aufzugeben, vgl. dazu Kolb, Major as Controversalist, 463 mit Anm. 30.
Vorausgegangen war allerdings eine harte Auseinandersetzung, die auch nach Majors Bekenntnis nicht abebbte. Ende des Jahres 1552 hatten sich die Mansfelder Prediger – Wigand, Coelius u. a. – durch ein Schreiben, das sie im Anschluss an Majors als impertinent empfundene Predigt [Nr. 5] abgefasst hatten, bemüht, bei aller Kritik an den Lehren des Melanchthonschülers, noch eine Klärung und einen Modus vivendi
zu finden.So HansOtto Schneider in seiner Einleitung, unsere Ausgabe Bd. 3, S. 283. Aber als dieses Bedenken [Nr. 6] im Jahre 1553 gedruckt erschien, wurde es durch ein hinzugefügtes, wahrscheinlich durch Flacius abgefasstes Nachwort in die Kontroverse eingeordnet und als schroffe Distanzierung von dem Eislebener Superintendenten interpretiert. Dieser hatte seine Stelle zum Zeitpunkt des Erscheinens bereits verlassen, da Graf Albrecht VII. von MansfeldHinterort, der nach dem Abschluss des Passauer Vertrags wieder in sein Land zurückkehren konnte, Majors Theologie nicht länger dulden wollteMajor kehrte in seine Ämter in zurück, wo er am 28. November 1574 starb.. Aber Major hatte nicht nur Gegner in der . Die Propositiones de bonis operibus
Stephan Agricolas (d.J.) [Nr. 7] belegen, dass Major zumindest eine Zeitlang in AgricolaBald darauf konvertierte er zum römischen Glauben, vgl. Gustav Kawerau, Art. Georg Major, in: RE³ 12 (1903), S. 89. einen Gesinnungsgenossen hatte. Dieser hatte das Bedenken der Mansfelder Prediger nicht mit unterzeichnet und vertrat in seinen lateinischen Thesen einen ähnlichen Standpunkt wie Major, wobei er auch Bezug nahm auf zuvor gegen diesen ins Feld geführte Argumentationen und sie zu wiederlegen versuchteSo argumentiert er z.B. gegen Flacius’ Einwand, dass allein schon die Möglichkeit einer Bekehrung des Sünders noch auf dem Sterbebett der Lehre Majors von der Notwendigkeit der guten Werke, die ja dann gar nicht mehr verrichtet werden könnten, entgegenstehe. Vgl. dazu unsere Ausgabe Nr. 3 (Flacius, Wider den Evangelisten des Chorrocks), S. 92,19–93,8(9–13); unsere Ausgabe Nr. 7 (Agricola, Propositiones de bonis operibus), Thesen V–VII. Das Thema blieb – auch unter seelsorgerlichem Aspekt – in der Diskussion, vgl. die Antwort auf Agricolas Schlussreden, unsere Ausgabe Nr. 8 (Antwort auf Agricolas Schlussreden), S. 342,24–343,25.. Dadurch dass Agricola sich nicht gescheut hatte, auch Vorwürfe an die Adresse seiner Kollegen zu äußern, fühlten jene sich zu einer Antwort auf Agricolas Schlussreden
[Nr. 8] genötigt, die wohl im März 1553 gedruckt herauskam. Zwischenzeitlich hatte Agricola – auf Empfehlung Melanchthons – eine Stelle als Prediger in angetreten, war aber nach wenigen Wochen wieder ins Mansfeldische zurückgekehrt. Da die Diskussionen andauerten, beriefen die Mansfelder Grafen auf den 13.2.1554 eine Synode nach ein, die unter dem Vorsitz des neuen Superintendenten Erasmus Sarcerius stattfand. In ihrer Folge mussten Agricola und weitere Gesinnungsgenossen Majors das Land verlassen, darunter die später als Philippisten hervortretenden Moritz Heling und Caspar Cruciger d. J. Das Protokoll der Synode [Nr. 9] macht deutlich, dass man der Autorität Martin Luthers für die Ausprägung der reformatorischen Lehre absoluten Vorrang einräumte. Außerhalb der war Justus Menius der einzige, der auf Seiten Majors in die Kontroverse eintrat. Seit 1546 war er Superintendent in .Er versah daneben bis 1552 die Superintendentur mit. Zu Menius vgl. Irmgard WilhelmSchaffer, Art. Justus Menius, in: BBKL 5 (1993), 1263–1266, und neuerlich Schneider, Politischer Widerstand, bes. S. 11–13. Dadurch, dass Amsdorf, mit dem zusammen er 1554 in Thüringen eine Visitation durchgeführt hatte, ihn aufgefordert hatte, sich von den Lehren Majors zu distanzieren, war er genötigt Partei, zu ergreifen. Menius stand Major insofern nahe, als er – im Grunde wie schon Luther in den Schmalkaldischen ArtikelnVgl. Schmalkaldische Artikel III, Von der Buße, in: BSELK 746,16–748,29. – die Position vertrat, dass die ewige Seligkeit durch ein sündiges Leben durchaus wieder verloren gehen könne. Die Erneuerung durch den Heiligen Geist, die sich auch in einem neuen Leben zu äußern hatte, hielt er also für notwendig und gestand Major zu, dass seine Lehre mit einigem guten Willen auch evangeliumsgemäß verstanden werden könnte. Zugleich betonte er, selbst die Notwendigkeit der guten Werke zur Seligkeit nie gelehrt zu haben. Dennoch zog er sich dadurch nicht nur das Misstrauen seiner Landesherren, der ernestinische Herzöge, sondern auch das seiner Kollegen zu. Dies konnte auch die Eisenacher Synode von 1556 nicht ausräumen, insofern sie einen Lehrbeschluss formulierte, der zunächst einem Konsens den Weg zu ebnen schien, dann aber Anlass zu weiteren Auseinandersetzungen bot, nämlich die These: …bona opera sunt necessaria ad salutem, in doctrina legis abstractive et de idea tolerari potest
Zitiert nach Richter, Gesetz und Heil, 150. Vgl. auch Dingel, unsere Ausgabe Bd. 1, Historische Einleitung, S. 19f.. Menius’ freiwillige Amtsaufgabe und die Übernahme des Superintendentenamts im albertinischen ermöglichten ihm, zur Verteidigung seiner Person und seiner Lehre – insbesondere gegen die Invektiven des Flacius – in die Öffentlichkeit zu gehen. Denn dieser hatte mit seiner Schrift Die alte und neue Lehr Justi Menii
[Nr. 10] versucht, Menius eine theologische Fehlentwicklung und lehrmäßige Widersprüchlichkeiten anzulasten, worauf Menius mit einer dezidierten Klarstellung – Kurzer Bescheid Justi Menii
[Nr. 11] – reagierte und seine Position durch Rekurs auf eine lange Liste von reformatorischen Gewährsleuten zu legitimieren trachtete. Major seinerseits hatte versucht, mit seinem Bekenntnis [Nr. 12] einen Schlußpunkt unter die Kontroverse zu setzen. Aber Amsdorf insistierte auf seiner überspitzen Gegenthese, die er schon 1557 bei der Veröffentlichung von bisher ungedruckten Predigten Luthers zu Joh 18–20 in seiner Vorrede geäußert hatte. Diese Lehre, die er in seiner Schrift Dass die Propositio
aus dem Jahre 1559 [Nr. 13] wiederholte und gegen die Ausführungen Majors in seinem Bekenntnis verteidigte, erklärt sich aus seinem Eifer dafür, die Rechtfertigungslehre Luthers in einer von ihm als endzeitlicher Entscheidungssituation gewerteten Lage möglichst unverfälscht und in Abgrenzung von jeglicher zum alten Glauben zurückführenden Werkgerechtigkeit zu sichern. Die lutherische Theologie ist ihm darin letzten Endes nicht gefolgt.Vgl. FC SD IV: Von den guten Werken, in: BSELK 1414,25–1430,20.Gute Werke sind zur Seligkeit schädlich
eine rechte wahre christliche Propositio sei
Auch noch 10 Jahre nach Beginn des Streits blieb die Lehre Majors in der Diskussion, diesmal allerdings als eine unter verschiedenen anderen Lehrabweichungen, die die streng lutherisch gesinnten Stände im Zuge der fürstlichen Einigungsbemühungen auf dem Frankfurter und dem Naumburger Fürstentag von 1558 und 1561 als Häresien
ablehnten. Auf dem niedersächsischen Städtetag von 1561, der die Repräsentanten der lutherisch gesinnten Städte , , , , , und zusammenbrachte, wurde seine Lehre in einer von Joachim Mörlin erstellen Schrift sogar ausdrücklich als Majorismus
verdammt und Major selbst als Irrlehrer gebrandmarkt. Dieser sah sich daraufhin erneut genötigt seine Rechtgläubigkeit unter Beweis zu stellen, wozu er die Widmungsvorrede zum ersten Teil seiner gedruckten lateinischen Festtagspredigten nutzte [Nr. 14], die auch separat, zusammen mit seinem Bekenntnis in deutscher Sprache erschien. Diese Veröffentlichung diente nicht nur der Rechtfertigung, sondern beinhaltete auch Vorwürfe an seine Gegner. Kein Wunder, dass sich Joachim Mörlin daraufhin zu Wort meldete, um die Ablehnung der Lehre Majors auch aus dem Kontext der Einigungsbemühungen des Naumburger Fürstentags heraus zu erklären [Nr. 15: Mörlin, Verantwortung der Präfation]. Mit seinem Testamentum von 1570 [Nr. 16] legte Major – inzwischen fast 70jährig und immer noch von Gegnern angefochten – ein abschließendes Bekenntnis ab. Er sah sich mißverstanden, zu Unrecht in Streitigkeiten hineingezogen und berief sich ausdrücklich auf die Confessio Augustana, deren Apologie und das Corpus Doctrinae Philippicum, in dem Bewußtsein, damit in jenen theologischen Zusammenhängen zu stehen, die in seinen Augen als norma doctrinae
der Wittenberger Reformation unangefochten bestehen sollten. Die Leucorea, der er viele Jahre als Rektor gedient hatte, sah er verunglimpft durch den Vorwurf, Irrlehren zu dulden. Mit der Antwort der Jenaer Theologen darauf [Nr. 17: Vom neuen Testament D. Majors, 1570] wurde zugleich der ernestinische Anspruch deutlich, unter Ausgrenzung und des Einflusses Melanchthons das wahre Erbe der Reformation Martin Luthers zu verwalten.
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Im Rückblick auf die gewechselten Streitschriften zeigt sich, dass die Kontroverse keineswegs zwischen geschlossenen Fronten verlief. Die Gegner lassen sich kaum zu homogenen Gruppen zusammenfassen. Eine genaue Lektüre und Analyse der Streitschriften fördert zu Tage, dass Flacius z. B. im Grunde nicht weit von Majors Lehre entfernt war. Was ihm problematisch erschien, war das Fehlen begrifflicher Klarheit, und er lastete Major an, die Begriffe Seligkeit
, Sündenvergebung
und Rechtfertigung
oft synonym zu gebrauchen. Wenn man nämlich Seligkeit bzw. ewiges Heil mit Rechtfertigung und Sündenvergebung gleichsetzte, rückte die Lehre Majors, dass gute Werke notwendig zur Seligkeit seien, tatsächlich in unmittelbare Nähe des alten Glaubens. Flacius’ Anliegen war deshalb, terminologische Eindeutigkeit zu erreichen. Menschliche Werke sollten nach reformatorischer Lehre unter dem Aspekt von Rechtfertigung und Heilsgewissheit keinerlei Funktion haben. Damit führte er Differenzierungen ein, die Martin Luther und die frühe Reformation so noch nicht gekannt und gebraucht hatten.
Anders ist Amsdorf einzuordnen. Mit seiner überspitzten Gegenposition von der Schädlichkeit guter Werke zur Seligkeit verschob er den Fokus der Diskussion. Denn seine Position war motiviert durch den Blick auf die meritorischen Werke, nicht auf die Früchte des Glaubens. Unter diesem Aspekt war seine Berufung auf Luther, der in Von der Freiheit eines Christenmenschen
davon gesprochen hatte, dass Werke dann schädlich
seien, wenn der Mensch glaube, sich damit die Rechtfertigung verdienen zu können,Vgl. und 59,21–23 u. ö. Vgl. außerdem ; ; 650,1–8; ; I.1, 397,9–11; 451,21; III, 373,37–374,2; 387,12–15; ; .25–28. durchaus berechtigt. Dadurch dass Amsdorf dies undifferenziert in die Streitdiskussion eintrug, ging er im Grunde an dem Anliegen Majors vorbei.
Nicht in den Streit verwickelt war jener Theologe, dem Major seine Position verdankte: Philipp Melanchthon. Er hielt sich zurück, zumal er ja auch nicht zur Zielscheibe der Angriffe geworden war. Melanchthon versuchte deshalb, im Hintergrund durch Ratschläge und Gutachten auf einen Ausgleich hinzuwirken. Für ihn rückte der Begriff necessitas
in den Mittelpunkt, der ja in dem Satz bona opera necessaria ad salutem
von entscheidender Bedeutung war. Melanchthon versuchte, ihn eindeutig zu definieren und von einem Verständnis im Sinne der Verdienstlichkeit abzugrenzen.
Dass sich all dies im Spannungsfeld einer politischen Gemengelage abspielte, in der sich streng lutherisch gesinnte Landesherren von eher melanchthonisch eingestellten, manchmal bereits mit dem Calvinismus sympathisierenden Fürsten abgrenzten, so dass die verschiedenen Einigungsversuche mit ihren vielversprechenden Ansätzen, wie sie im Frankfurter Rezess oder den Beschlüssen des Naumburger Fürstentags vorlagen, nie von langer Dauer waren, verlieh dem Streit eine eigene Strenge und besondere BedeutungZu den nichttheologischen Aspekten vgl. Dingel, Majoristischer Streit, S. 243–247..